KOSMOS GROSSER ENTDECKER -...

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1 Huw Lewis-Jones | Kari Herbert Vorwort von Robert Macfarlane KOSMOS GROSSER ENTDECKER Leben, Skizzen und Notizen

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Huw Lewis-Jones | Kari HerbertVorwort von Robert Macfarlane

KOSMOS GROSSER ENTDECKER

Leben, Skizzen und Notizen

3K A P I T E L / R U B R I K2

130 THOR HEYERDAHL

132 ED HILLARY

134 WILLIAM HODGES

140 HECTOR HOREAU

144 ALEXANDER VON HUMBOLDT

146 EINE ANDERE WELT Alan Bean

150 MERIWETHER LEWIS

154 CARL VON L INNÉ

160 DAVID L IV INGSTONE

164 GEORGE LOWE

168 PR INZ MAXIMIL IAN ZU WIED-NEUWIED

174 MARGARET MEE

178 MARIA S IBYLLA MERIAN

184 JAN MORRIS

186 EDWARD LAWTON MOSS

190 FR IDTJOF NANSEN

194 MARIANNE NORTH

200 UNENDLICHE SCHÖNHEIT Tony Foster

204 EDWARD NORTON

210 HENRY OLDFIELD

214 JOHN LINTON PALMER

218 SYDNEY PARKINSON

222 TITIAN RAMSAY PEALE

228 ROBERT PEARY

230 KNUD RASMUSSEN

234 PHILIP GEORG VON RECK

238 NICHOLAS ROERICH

242 UNVERZICHTBARE FREUNDE David Ainley

246 ROBERT FALCON SCOTT

250 ERNEST SHACKLETON

252 GEOFF SOMERS

254 JOHN HANNING SPEKE

258 FREYA STARK

260 MARC AUREL STEIN

262 ABEL TASMAN

268 JOHN TURNBULL THOMSON

272 COLIN THUBRON

274 ALEXANDRINE TINNE

280 ZEICHEN SETZEN Wade Davis

284 OLIVIA TONGE

288 NAOMI UEMURA

290 GODFREY THOMAS VIGNE

294 ALFRED RUSSEL WALLACE

298 JAMES WALLIS

300 JOHN WHITE

306 EDWARD A. WILSON

314 AUTOREN UND GASTAUTOREN

315 WEITERFÜHRENDE LEKTÜRE

318 BILDNACHWEIS

318 DANK

319 REGISTER

I N H A LT

06 VO R W O R T Robert Macfarlane

10 E I N L E I T U N G

DIESE SCHLICHTEN ZEILEN Huw Lewis-Jones | Kari Herbert

D I E S K I Z Z E N B Ü C H E R

22 ROALD AMUNDSEN

24 JOHN JAMES AUDUBON

28 JOHN AULDJO

34 THOMAS BAINES

40 HENRY WALTER BATES

44 LUDWIG BECKER

48 WILLIAM BEEBE

52 GERTRUDE BELL

56 FRANZ BOAS

60 CHRIS BONINGTON

62 JAN BRANDES

68 WUNDERBARE WÄLDER Ghillean Prance

72 ADELA BRETON

76 WILLIAM J. BURCHELL

82 HOWARD CARTER

86 BRUCE CHATWIN

88 JAMES COOK

94 WILLIAM HEATON COOPER

98 CHARLES DARWIN

100 AMELIA EDWARDS

102 CHARLES EVANS

104 RANULPH FIENNES

106 MARGARET FOUNTAINE

108 VIVIAN FUCHS

110 EUGENE VON GUERARD

114 ROBIN HANBURY-TENISON

116 CHARLES TURNBULL HARRISSON

122 SVEN HEDIN

126 WALLY HERBERT

Impressum

Erstmals veröffentlicht in Großbritannien 2016 von Thames & Hudson Ltd, London

Englischer Originaltitel: Explorers’ Sketchbooks. The Art of Discovery & Adventure

Explorers’ Sketchbooks © 2016 Thames & Hudson Ltd, LondonGestaltung: Sarah Praill

© 2016 für die deutschsprachige Ausgabe Sieveking Verlag, München | Berlin www.sieveking-verlag.de

Übersetzung: Tracey J. Evans, München Lektorat: Ute Heek, München Produktion und Satz: Sieveking Verlag, München | Berlin

ISBN 978-3-944874-47-0

Printed in China

Auf dem Umschlag (Vorderseite, im Uhrzeigersinn von oben links): [Abel Tasman: Niederländisches Nationalarchiv, Den Haag; Edward Norton: © Norton Everest Archive; Ludwig Becker: State Library of Victoria, Melbourne; John Hanning Speke: Royal Geographical Society (mit IBG), London; Titian Ramsay Peale: Ameri-can Philosophical Society, Philadelphia. (Rückseite) Eugene von Guerard: Dixson Galleries, State Library of New South Wales, Sydney.]

Schmutztitel: Charles Harrissons Schlittenlogbuch in phonetischer Kurzschrift aus der Antarktis, 1912.

Seiten 2–3, im Uhrzeigersinn von oben links: Philip Georg von Recks Tagebuch, 1730er-Jahre; Edward Norton, Skizze eines Bergkameraden auf der Mount-Everest-Expedition, 1924; Hector Horeau, »Tempelansicht des Aufgangs mit Sphingen und des Pylons«, Wadi as-Subu, 1838; Ludwig Becker, Drosselkrähe, 1860; von Recks Tagebuch, 1730er-Jahre; Titian Ramsay Peale, Eisbär , 1830, vermutlich nach einem Museumsexponat; Karte, gezeichnet von Ludwig Becker, 1860. Frontispiz: Feld-tagebücher von Lewis und Clarks Corps-of-Discovery-Expedition, die 1804 aufbrach. Seite 10: Eine Seite mit Seevögeln von dem niederländischen Gelehrten und Pastor Jan Brandes aus den 1780er-Jahren

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unerreichtes Forschungsziel vor – den Nordpol. Dafür hatte er sich bereits die Fram, das Schiff von Fridtjof Nansen, gesichert, als er erfuhr, dass zwei amerikanische Polarforscher, Robert Peary und Frederick Cook, diese Ent-deckung bereits für sich beanspruchten. Er änderte seine Pläne und segelte – im Wissen, dass auch Robert Falcon Scott zum Südpol aufgebrochen war – nach Süden.

Am 14. Dezember 1911 schrieb Amundsen in sein Tage-buch: »Dem Herrn sei Dank!« Mit Kompass und Sextant hatte er mit vier Männern auf Hundegespannen als Ers-ter den Südpol erreicht und hisste die norwegische Fahne. Drei Monate später ging die Fram vor dem tasmanischen Hobart vor Anker. Unauffällig gekleidet checkte Amund-sen in ein Hotel ein und verfasste drei verschlüsselte Tele-gramme: an den norwegischen König, an Nansen und sei-nen Bruder. Am Morgen darauf meldete man seinen Sieg.

Diese Leistung wurde jedoch von dem Tod von Scotts Team überschattet. Der Südpol war nie Amundsens Lebensziel gewesen. Dort angekommen, schrieb er: »Ich sollte ehrlich sein und rundheraus zugeben, dass ich nie einen Mann kannte, der sich an einem, dem Ziel seiner Sehnsüchte so diametral entgegengesetzten Ort wie-derfand. … Die Gegenden um den Nordpol – gut, ja, der Nordpol selbst – haben mich seit meinen Kindertagen angezogen, und hier war ich, am Südpol. Kann man sich Verdrehteres vorstellen?« Es war schließlich die Arktis, wo Amundsen bei einem Flugzeugabsturz den Tod fand.

Schon als Kind war der Norweger Roald Amundsen fasziniert von Sir John Franklin, der auf der Suche nach der Nordwestpassage im arktischen Eis ver-

schollen war. Immer wieder las er Franklins Bücher und gestand später, dass sie »mich fesselten, mehr als alles andere, das ich je gelesen hatte. … In mir erwachte der brennende Ehrgeiz, dieselben Entbehrungen zu erdulden.

… Ich beschloss, Entdecker zu werden.« Seine Eltern jedoch wollten, dass er Medizin studierte, was er eher halbher-zig tat. Als beide Eltern verstorben waren, verfolgte er eigene Zukunftspläne. Als 25-Jähriger schloss er sich als zweiter Offizier der Belgica-Expedition (1897 – 99) unter Adrien de Gerlache an und übernahm auf der ersten Polarexpedition, die in der Antarktis überwintern sollte, zahlreiche Aufgaben. Nach der Rückkehr erwarb er sein Steuermannspatent und war entschlossen zu vollbringen, was Franklin und anderen Entdeckern nicht gelungen war.

1903 segelte Amundsen auf seiner Schaluppe Gjøa mit einer Crew von sechs Leuten vom Oslofjord nordwärts, bis die zufrierende Meerenge sie zum Ankern zwang. Fast zwei Jahre lebten sie in der Nähe der Netsilik-Inuit, die sie lehrten zu jagen, sich zu kleiden und zu reisen wie sie. Dieses Wissen sollte entscheidend zum Erfolg seiner späteren Expeditionen beitragen. Im September 1906 erreichten er und seine Crew endlich Nome in Alaska – sie hatten als Erste die Nordwestpassage durchquert. Als nächstes nahm sich Amundsen gleich ein anderes bislang

ROA L D A M U N D S E N 1872–1928

Wir machen weiter, Tag um Tag, unser Leben liegt in unseren Händen.

Aber es ist gut zu hören, dass keiner umkehren möchte.

Amundsens Eintrag vom 14. Dezember 1911, beginnt mit

den Worten: »Wir erreichten den geografischen Südpol und

konnten dort unsere Fahne hissen.« Da er die Datumslinie

überquert hatte, war es der 14., nicht der 15. Dezember;

in späteren Veröffentlichungen berichtigte er das Datum).

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mit eher spärlichen Ergebnissen.»Wir waren fast soweit, uns geschlagen zu geben«, gestand Carter später. Er wollte gerade das Werkzeug niederlegen, als ein junger Einhei-mischer beim Wasserholen über eine Stufe stolperte. Dort fand man den Eingang mit unverkennbar königlichen Sie-geln. »Es bedurfte all meiner Selbstbeherrschung, nicht die Tür aufzubrechen und an Ort und Stelle weiterzu-forschen«, schrieb Carter. Am 26. November 1922 bohrte Carter im Beisein von Carnarvon ein kleines Loch in eine zweite Tür und hielt eine Kerze daran. Er schrieb: »Es dau-erte, bis man etwas sehen konnte, die entweichende heiße Luft ließ die Kerze flackern, aber sobald sich die Augen an den schwachen Lichtschein gewöhnt hatten, zeichnete sich das Innere der Kammer allmählich vor einem ab, darin ein eigenartiges und wunderbares Durcheinander übereinander gehäufter, außergewöhnlicher und wun-derschöner Objekte.« Hinter der Tür lag ein ägyptisches Königsgrab, das seit drei Jahrtausenden kein Auge mehr erblickt hatte. Die Öffentlichkeit war begeistert von den erlesenen Schätzen und fasziniert vom mumifizierten Kindkönig in seiner herrlichen Goldmaske.

Mit 64  Jahren starb Carter in London. Seinen Grab-stein ziert die Inschrift eines Alabasterkelchs, aus Tutan-chamuns Grab: »Möge dein Geist leben, mögest du Mil-lionen von Jahren verbringen, du, der du Theben liebst, der du mit dem Gesicht zum Nordwind sitzt, deine Augen Glückseligkeit schauend.«

Am 4. November 1922 öffnete der britische Archäo-loge Howard Carter sein Feldtagebuch und schrieb quer über die Seite: »erste Stufen des Gra-

bes gefunden«. Er war dabei die größte Entdeckung der modernen Ägyptologie zu machen: das Grab des Kindkö-nigs Tutanchamun freizulegen.

Mehr als zwei Jahrhunderte hatten Archäologen im Tal der Könige akribisch Sand und Schutt abgetragen und mehr als 60 Gräber freigelegt. 1922 galt dieses Gebiet als erforscht. Carter hielt unbeirrt an dem Glauben fest, dass das Tal ein weiteres Geheimnis birgt.

Howard Carter bekam von seinem Vater, dem Künst-ler Samuel John Carter, Zeichen- und Malunterricht. Er war 17  Jahre alt, als er nach Ägypten aufbrach. Dort fand er beim Egypt Exploration Fund in Amarna, bei dem Archäologen Flinders Petrie, eine Anstellung. Seine Zeichnungen der Reliefs in Hatschepsuts Tempel in Deir el-Bahari waren großartig. In Beni Hasan kopierte er tags-über detailgetreu antike Zeichnungen und Hieroglyphen und nächtigte mit den Fledermäusen in den Gräbern. Er arbeitete für die ägyptische Altertumsbehörde, bis ein Streit zwischen europäischen Touristen und einheimi-schen Wächtern in Sakkara, deren Partei er ergriff, zu sei-ner Entlassung führte. 1908 begann er mit Fördergeldern von Lord Carnarvon, einem reichen Ägyptenliebhaber, selbst zu graben. 1922 hatte Carters Team bereits sechs volle Grabungsperioden im Tal der Könige hinter sich,

H OWA R D C A RT E R 1874–1939

Die Euphorie der Entdeckung, die fiebrige Spannung, die unbändige Neugier, nun die

Siegel zu brechen und die Deckel von den Kisten zu heben, allein der Gedanke, dem Buch

der Geschichte eine Seite hinzuzufügen, ist die reine Freude für den Forscher.

Ein Jahr nach der Entdeckung von Tutanchamuns Grabkammer stieß

Carter hinter einer gewaltigen goldenen Wand auf den Sarkophag

des Pharaos – die Seite eines riesigen Schreins. Carter machte

sorgfältige Skizzen aller Gegenstände in situ und vergab für jedes

Objekt eine entsprechende Nummer.

Harry Burton, Ägyptologe und Archäologie-Fotograf, hielt jeden

Fund in Tutanchamuns Grab im Bild fest – eine Aufgabe, die sich

über acht Jahre hinzog. Dieses Bild eines Throns wurde von Carter

und Burton mit Anmerkungen und genauen Farbangaben versehen.

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penhelm aus Kork und um den Hals baumelte ein Kom-pass, an einer dicken, schwarzen Kette. Obwohl sie keine naturwissenschaftliche Ausbildung hatte, berichtete sie im Entomologist über ihre Studien in Kleinasien, Algerien, Costa Rica, den Philippinen und Griechenland.

Neben Tagebüchern, Skizzenbüchern und Schmet-terlingsnetz trug Fountaine stets einen Flachmann mit Brandy bei sich – wenn es mal wieder hart auf hart kam. Mutig sprang sie einmal aus einem Zug, ehe dieser ent-gleiste; sie überquerte in Tennisschuhen einen Gletscher und entging mehrfach nur knapp dem Tod durch Malaria. Erdbeben, Tropenstürme, auch Begegnungen mit Löwen und Giftschlangen ließen sie unbeeindruckt. Einer ihrer besten Momente war, als sie sich ein Gläschen, mit einem berüchtigten Banditen in den korsischen Bergen gönnte. »Eine reine und edelgesinnte Frau umgibt ein unmittel-barer und besonderer Schutz, den kein noch so gemeiner Mann durchbrechen kann«, schrieb sie später.

Groß, attraktiv, doch zurückhaltend, warf sich Foun-taine von einer verhängnisvollen Liebesgeschichte in die nächste, bis sie Khalil Neimy traf, einen (wie sie später herausfand) verheirateten Syrer, der fast drei Jahrzehnte ihr ständiger Begleiter blieb. Gemeinsam trugen sie eine der weltweit schönsten Schmetterlingssammlungen zusammen. Als Neimy starb, reiste Fountaine weiter. Sie starb mit 78 Jahren auf einer staubigen Straße in Trinidad, das Schmetterlingsnetz fest in der Hand.

E in kleiner Kreis von Menschen versammelte sich 1978 feierlich im Kellerarchiv des Castle Museums in Norwich, um eine alte, seit 1940 versiegelte

Kiste zu öffnen. Darin fanden sich zwölf schwere Bände mit Tagebüchern, die über sechs Jahrzehnte lang täglich geführt worden waren sowie Mahagony-Kästen mit rund 22 000  Schmetterlingsexemplaren. Auf den Tagebuch-seiten fanden sich die außergewöhnlichen Abenteuer der Schmetterlingsforscherin Margaret Fountaine, die ihr Leben auf der unermüdlichen Suche nach Schmetterlin-gen und kühnen Männern zubrachte.

Fountaine verließ England mit 29  Jahren, ohne kla-reres Ziel als das, ihr gebrochenes Herz zu heilen. Ein wohlhabender Onkel ermöglichte ihr ein finanziell unab-hängiges Leben, und sie wollte ihr Vermögen darauf ver-wenden, die Welt zu bereisen. In der Schweiz entdeckte sie ihre Liebe zu Schmetterlingen – fortan verbrachte sie ihr Leben als unerschrockene Schmetterlingsjägerin.

Getrieben von Fernweh reiste Fountaine durch Europa, brach nach Nordafrika auf und bereiste bald die abgelegensten Gegenden jedes Kontinents, meist nur in Begleitung eines Führers oder Übersetzers. Kein Ziel war ihr zu wild oder gefährlich. Unkonventionell war auch ihr bevorzugtes Outfit für die Schmetterlingsjagd: ein kariertes Männerbaumwollhemd, ein Baumwollrock mit aufgenähten Extrataschen, Baumwollhandschuhe mit abgeschnittenen Daumen und Fingerspitzen, ein Tro-

M A RG A R E T FO U N TA I N E 1862–1940

Das Reisen bereitet mir das größte Vergnügen. Ich mag die Idee,

mich auf der Welt herumzutreiben und mich mit den Sitten und

Gebräuchen der Menschen vertraut zu machen.

Oben: Fountaines wunderschön illustrierte Zeichenbücher sind

in Seide gebunden.

Gegenüber: Diese Seite ist Larven und Puppen gewidmet, die

sie 1908/09 in Südafrika dokumentierte.

1110 G E O R G E L O W E

Gegenüber: Lowes Notizbuch und Zeichenmappe von der Besteigung des Mount

Elie de Beaumont 1951 deren Ziel die beeindruckende Maximiliankette war. Allein um

den Einstieg für die Besteigung zu finden, verbrachten sie viele Tage mit schwerer

Ausrüstung auf Erkundungstour. Es war eine der frühen Klettertouren in Neuseeland,

die seine lebenslange Freundschaft mit Ed Hillary begründeten.

Oben links und rechts: Die Einzelheiten seiner Erlebnisse 1953

auf dem Everest brachte Lowe ausführlich nach der Rückkehr ins

Basislager zu Papier. Diese seltenen Briefe vom Everest liefern einen

anschaulichen Blick hinter die Kulissen einer Gipfelexpedition, die

Geschichte schreiben sollte.

1312

thwest Territory gedient hatte. Sie überwinterten bei den Mandan und fuhren mit dem Schiff 4 145  Kilometer zu den Stromschnellen unterhalb der großen Missourifälle. Sie reisten flussaufwärts bis zur kontinentalen Wasser-scheide. Vor ihnen lag nun der Treck über die Bitterroot Mountains: »gewaltige Berge, die über 60  Meilen von ewigem Eis bedeckt sind«. Doch von den einheimischen Führern im Stich gelassen, verirrten sie sich in Sturm und Schnee. Ihre Pökelfleischvorräte gingen zu Ende; in ihrer Not verzehrten die Männer ihre Pferde. Clark zog mit einigen Jägern voraus und kehrte mit Fisch und getrock-neten Wurzeln sowie Hinweisen zur Route zum Columbia River von den Nez-Percé zurück. Am 7. November 1805 erreichten sie das Meer und errichteten an der Flussmün-dung Fort Clatsop, dann traten sie den Rückweg in zwei Trupps an, und trafen sich in Nord-Dakota wieder. Sie hatten über 300 Pflanzen- und Tierarten entdeckt, viele indigene Völker kontaktiert und weite Teile des Missouri und der Nordwestküste kartografiert. Auch war der Beweis erbracht, dass sich die Vereinigten Staaten vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckten. Gleichzeitig hatten sie die Chancen für ein gewaltiges Wirtschaftsimperium ausge-lotet, das Felle für den Asienhandel aus dem Landesinne-ren zur Mündung des Columbia verschiffen sollte. Lewis wurde als Held empfangen. Doch schon im Oktober 1809 erlag er am Tennessee Trail zwei Schussverletzungen. Freunde mutmaßten, er habe seine Berühmtheit nicht

Als Präsident Thomas Jefferson Captain Meri-wether Lewis und William Clark entsandte, eine Route durch Nordamerika zu kartieren, war kaum

bekannt, was sie dabei erwarten würde. Selbst gebildete Kreise jener Zeit glaubten, Wollmammuts und Riesenfaul-tiere durchstreiften ausgedehnte Steppen im unerforsch-ten Inneren Amerikas, wo es Feuer speiende Vulkane und einen Berg aus reinem Salz gäbe, und die Forscher viel-leicht sogar ein von blauäugigen, Walisisch sprechenden Eingeborenen bevölkertes Utopia entdecken würden.

Hinter der »Corps of Discovery«-Expedition standen handfeste politische und wirtschaftliche Interessen. Das damalige Louisiana, das vom westlichen Einzugsgebiet des Mississippi bis zu den Rocky Mountains reichte, hatte man den Franzosen gerade erst abgekauft. Die Geografie, Flora und Fauna, aber auch die Ressourcen dieses Land-strichs sollten rasch erkundet werden. Jefferson drängte Lewis, Bündnisse mit den Indianern einzugehen, um der spanischen oder britischen Einflussnahme zuvorzukom-men und potenzielle Siedlungsgebiete auszumachen.

Lewis, der auf einer Plantage in Virginia aufgewach-sen war, ging mit 20  Jahren zur Armee und stieg in sei-ner Dienstzeit rasch auf; 1801 wurde er Privatsekretär von Präsident Jefferson, der ein alter Freund der Familie war. Im Mai 1804 segelte er mit einem 40-köpfigen Expe-ditionsteam auf dem Missouri Richtung Westen. Die Leitung teilte er mit William Clark, mit dem er im Nor-

M E R I W E T H E R L E W I S 1774–1809

Ich war überzeugt, sie würden versuchen, uns zu berauben, in welchem

Fall […] ich mich aufs Äußerste erwehren und den Tod dem Verlust meiner

Aufzeichnungen, Instrumente und meines Gewehres vorziehen würde.

Oben: Karte von Cape Disappointment, das seinen Namen Kapitän

John Meares verdankt, der 1788 die Einfahrt zum Columbia River

verfehlte. Für Lewis und Clark war dies jedoch ein Ort des Trium-

phes. Mit ihrer Ankunft hatte die Expedition ihre Hauptaufgabe

erfüllt: sie hatte den Kontinent bis zum Pazifik durchquert.

Gegenüber: Lewis‘ und Clarks füllten 18 kleine Notizbücher,

13 waren in rotes Saffianleder gebunden, vier in mit marmoriertem

Papier beklebten Karton und eines in schlichtes braunes Leder.

1514

in ihre Siebziger hinein. Mees lang gehegter Traum war es, die seltene Mond-

blume zu malen, die nur eine einzige Nacht blüht. 24 Jahre lang suchte sie, bis sie 1988 schließlich das perfekte Exem-plar fand. Hingerissen wartete sie geduldig, bis sich die Knospen öffneten und zeichnete sie im Schein einer Taschenlampe. Sie war 78 Jahre alt. Nur fünf Monate spä-ter, kam sie bei einem Autounfall in England ums Leben. Ihre Kollegen erinnern sich an ihren Mut, ihre Sanftmut und ihren unermüdlichen Einsatz für Flora, Fauna und die Völker des Regenwalds am Amazonas. Ihre Asche ver-streute man rund um die Mondblume.

Mee zeichnete ausschließlich lebende Pflanzen und schuf auf ihren 15  abenteuerlichen Expeditionen exzel-lente Darstellungen der Flora. Stets kehrte sie mit lebhaf-ten Landschaftsbildern und sorgfältigen botanischen Stu-dien zurück, die sogar eine präzise Bestimmung bislang unbekannter Arten zuließen. Diese detail- und farbge-treuen Pflanzenbilder begründeten ihren guten Ruf. Ihre Arbeiten zählen bis heute zu den besten Dokumentatio-nen der Pflanzen und ihrer Lebensräume am Amazonas. Es stimmt wehmütig, dass sie zugleich Zeugnisse einer im Verschwinden begriffenen Welt sind. Mees Reisen fielen zeitlich mit dem Beginn der kommerziellen Erschließung der Regenwälder zusammen. Sie war eine der ersten Umweltschützerinnen, die auf die verheerenden Folgen des groß angelegten Rohstoffabbaus und der Abholzung hinwies. Viele der von ihr erfassten Pflanzenarten sind heute bereits ausgestorben.

Mee war zierlich und wirkte zerbrechlich, erwies sich auf Reisen jedoch als beherzt und furchtlos. Auf der Suche nach botanischen Schätzen reiste Mee, oft allein, Tausende von Meilen durch abgelegene und gefährli-che Gegenden. Sie überlebte mehrere Schiffbrüche und wäre fast der Hepatitis, Malaria oder dem Hunger zum Opfer gefallen. Betrunkene Goldsucher hielt sie sich mit ihrem Revolver vom Leib; Angriffe von Vampirfledermäu-sen ertrug sie ebenso wie Horden giftiger Ameisen und Stechmücken. Sie reiste – trotz Hüftproblemen – bis weit

Mit 47  Jahren packte die Britin Margaret Mee ihre Malutensilien, ihr Tagebuch, etwas Klei-dung und einen Revolver in einen Leinenruck-

sack und brach zum Amazonasbecken auf, um seltene Pflanzen zu suchen. In den nächsten Monaten reiste die botanische Zeichnerin, mit einem einheimischen Füh-rer, im Einbaum den Gurupi, einen Zufluss des Amazo-nas, hinauf. Wenn sie rastete, dann um die Flora in den Baumkronen ringsum festzuhalten. Begeistert kehrte sie zu ihrem Ehemann nach Sao Paulo zurück: Amazo-nien, erklärte sie, liege ihr nun im Blut. Sie verbrachte fast 40 Jahre in Brasilien. Keine Frau der westlichen Welt bereiste das Amazonasgebiet so ausgiebig wie sie.

Schon früh gefördert wurde Mees Interesse an der Kunst und dem Reisen durch ihre Tante Nell, einer Kin-derbuchillustratorin, und durch ihren Großvater, der die sieben Jahre, in denen er darauf wartete, dass seine Auserwählte seinen Heiratsantrag annahm, auf Weltreise gewesen war. Die Kriegsjahre verbrachte Mee als Zeichne-rin in einer Flugzeugfabrik, nach Kriegsende studierte sie in London Kunst. Ihre erste Brasilienreise unternahm sie mit dem Künstler Greville Mee, ihrem späteren Ehemann. Kurze Ausflüge in die Berge an Brasiliens Südküste, wo sie die üppige Vegetation und Kolibris malte, weckten die Lust auf längere Reisen, die sie tief ins Amazonasbecken führen sollten. Was als zweijährige Auszeit geplant war, wurde zur lebenslangen Faszination.

M A RG A R E T M E E 1909–1988

Geh’ nach Hause, Du kannst mich allein lassen.

Ich habe bei Jaguaren geschlafen.

Ich musste mit all meinen Zeichenutensilien auf das

Boot klettern … und mich vor die Knospe setzen und

darauf warten, dass sie sich öffnet. Und sie bewegte

sich, während sie sich öffnete, man konnte zusehen,

wie sie sich öffnete. Es war hinreißend. Und als sie

sich entfaltete, verströmte sie einen wunderbaren

Duft, um den Schwärmer anzulocken … der sie

bestäubt. Es war Vollmond … sagenhaft. Und die

ganze Zeit die Laute der Nachtvögel.

Mee suchte 24 Jahre nach einer Mondblume (Selenicereus wittii),

die bei Nacht blüht, wenn die Knospen soweit sind, sich zu öffnen.

Mit 78 Jahren fand sie ein Exemplar vor dem Aufblühen. Mee zeich-

nete sie sorgfältig ab, ehe sie verwelkte. Es war, erinnerte sie sich,

ein »überwältigender« Augenblick.

1716

Am 19. Dezember 1851 stieg der britische Feldchir-urg Henry Oldfield auf den Rücken eines Elefan-ten und brach zur Jagd auf Nashörner und Leo-

parden in den Urwald auf. Er ritt an der Seite von Jang Bahadur Rana, dem mächtigen Premierminister und De-facto-Herrscher Nepals. Später am Abend rauchten und lachten sie, spielten Schach und Flöte und applaudierten dem fernen Klang der Musketen. Erlebnisse wie diese festigten Oldfields Freundschaft zu Jang, der später als Tyrann in Verruf geriet. Oldfield gewann Jangs Vertrauen in den frühen Jahren seiner Herrschaft und wurde des-sen informeller Berater und Leibarzt. Mit seiner Erlaubnis reiste er Hunderte von Meilen durchs Land und führte Buch über die Geschichte, die Glaubensvorstellungen und die Gesellschaft in Nepal. Der passionierte Maler schuf detailreiche Aquarellskizzen von Dörfern, Tempeln und Schreinen. Seine beeindruckende Sammlung von Zeich-nungen und Schriften veröffentliche Oldfield 1880 unter dem Titel Sketches from Nipal. Die beiden Bände begrün-deten seinen Ruf als führendem, britischen Maler von Nepal im 19. Jahrhundert. Oldfields Herz schlug für das Antike, und der Verfall der Tempel und Bauwerke im Tal von Kathmandu bekümmerte ihn sehr. Seine detaillierten Architekturansichten sollten sich bei Restaurierungspro-jekten in späteren Jahren als kostbare Quelle erweisen. Unglücklicherweise wurden einige dieser Gebäude bei Erdbeben in jüngster Zeit unwiederbringlich zerstört.

H E N RY O L D F I E L D 1822–1871

Die Hügel zu beiden Seiten bedeckte üppig dichter Urwald …

alles war wild, grandios und malerisch.

Der Ganesha-Tempel in Bhaktapur, Nepal. Eines der Gebäude, welche

»einst verschwenderisch mit kunstvollen Schnitzereien und Grotes-

ken aus Holz und Stein verziert, aber nun in Trümmern lagen.«

Gegenüber: Oldfield verband oft architektonische Details mit All-

tagsszenen: Der Dhunsar-Gerichtshof hinter dem Obstmarkt in Kath-

mandu; an der Südseite Häuser von Fakiren und Tempelruinen.

1918

G EO F F SO M E R S 1956*

Jede Reise verändert dich als Mensch. Wenn du sicher

nach Hause kommst, sind die wirklich elenden Momente

auf einer schwierigen Expedition immer die, die du

letztlich am meisten genießt.

Kite hat Somers bis heute rund 22 500 Kilometer in der Arktis und Antarktis zurückgelegt. Er hat sechs Gruppen zum Nordpol geführt, ein Dutzend zum Südpol, und Captain Scotts verhängnisvolle Reise nachgeahmt. Er war auch mehrfach im Regenwald unterwegs, unter anderem auf Borneo‚. Zu Hause ist er im englischen Lake District schreibt seine Memoiren und plant neue Expeditionen.

Die Antarktis auf der längsten Route zu durchqueren, war echt die ganz harte Tour. »Wir waren so oft in Gefahr«, sagt Somers, »aber wir haben nie wirklich darüber nach-gedacht. Zwei der Hunde mussten wir zwei Monate lang pflegen, weil sie Frostbeulen an den Beinen hatten. Wir wickelten sie in Jacken, bis sie ein Flugzeug mitnehmen konnte. Die Antarktis kennt kein Erbarmen für Dumm-köpfe und das Leben hier kann sehr, sehr kompliziert sein. Bei den heftigsten Winden hatten wir gerade mal zwei Schichten Stoff zwischen uns und der Außenwelt. Es würde keine zwei Sekunden dauern, das Zelt fortzurei-ßen und du wärst tot.« Zu Fuß, auf Skiern und mit dem

Somers hat Expeditionen durch sonnenversengte Wüsten, dichte Urwälder und ewiges Eis geführt. Aber am bekanntesten ist er für seine Durchque-

rung der Antarktis an ihrer breitesten Stelle – eine sie-benmonatige Reise mit dem Hundeschlitten über fast 6 200 Kilometer. Als Vorbereitung durchquerte das Team den Grönländischen Eisschild von Süd nach Nord. Bei beiden Abenteuern war er für die Logistik, die Navigation und Führung des Leitschlittens verantwortlich. Seine Verdienste als Polarreisendem sind über Grenzen und Nationalitäten hinweg bekannt. Die Durchquerung der Antarktis 1990 war für die ganze Menschheit ein Erfolg, denn sie vereinte sechs Männer aus sechs Nationen zu einem gemeinsamen Ziel: die Aufmerksamkeit der Welt auf den eisigen Kontinent zu lenken.

Somers’ fünf Begleiter waren Will Steger, amerika-nischer Umweltaktivist und designierter Teamleiter; Jean-Louis Étienne, ein französischer Arzt, der alleine auf Skiern zum Nordpol gewandert war, wobei er – durch unglaublichen Zufall – Steger getroffen hatte; Qin Dahe, ein chinesischer Gletscherforscher, der tägliche Eis- und Schneemessungen vornahm; der Japaner Keizo Funatsu, der als Hundetrainer für die Gesundheit der vierbeinigen Teammitglieder sorgte; und der sowjetische Forscher Vic-tor Boyarsky, ein Antarktisveteran, der sein Leben lang in den entlegensten Winkeln der Welt Ozon- und Wetterda-ten gesammelt hat – ein echtes Team von Abenteurern.

Im Laufe eines Lebens voll abenteuerlicher Forschungsreisen hat sich

ein Berg von Tage- und Notizbüchern angehäuft. Jedes vollgestopft

mit bunten, profanen Details: zur Realität von Expeditionen gehören

Wetterbedingungen und Listen wichtiger Ausrüstungsgegenstände.

O L I V I A TO N G E

22 23A L F R E D R U S S E L WA L L A C E

Der Kopf eines Nashornvogelweibchens (Buceros rhinoceros),

von Wallace 1855 in Sarawak gemalt. Sein Notizbuch aus

Makassar von 1856 enthält ausführlichere Anmerkungen über

beobachtete Vögel, darunter abermals ein Nashornvogel.

23

Selbst jetzt, da ich im letzten Lichtschein der

Dämmerung schreibe, flattert die Vampirfledermaus

durchs Zimmer, treibt sich zwischen den Dachbalken

herum … und ab und zu saust sie mit einem höchst

gespenstischen Geräusch an meinen Ohren vorbei.

Diese jetzt sicher in Alben gebundenen Skizzen gehörten

zu der Handvoll kostbarer Stücke, die Wallace von seiner

Brasilien-Expedition 1848–52 retten konnte, als die

Helen bei der Rückreise in Brand geriet und sank. Seine

riesige Sammlung an Funden und Zeichnungen wurde

ein Raub der Flammen.

24 K A P I T E L / R U B R I K

Auf diesen Seiten folgen wir 70 Forschern und Entdeckern auf ihre einzigartige Reise durch Zeit und Raum. Allesamt unerschrockene In-dividuen, denen wir auf ihren Erkundungen in das ewige Eis, auf die höchsten Gipfel der Erde, in karge Wüstengebiete und durch üppige Regenwälder folgen. Dank ihrer Skizzenbücher und Tage-bücher – faszinierende Dokumente, die sonst in wohltemperierten Archivräumen, in Bibliotheken, Privatsammlungen oder auf ver-staubten Dachkammern die Zeit überdauert haben – können wir durch ihre Augen in eine vergangene Welt blicken. Dieses Buch bie-tet die Gelegenheit, sie wieder aufzuschlagen.

ISBN 978-3-944874-47-0