Kosmos und Geschichte - Verlag der Weltreligionen · Mircea Eliade stellt in seinem Buch Kosmos und...

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Mircea Eliade stellt in seinem Buch Kosmos und Geschichte eine der Grundfragen der menschlichen Existenz ɒberhaupt: Wie ertrȨgt der Mensch das Leid und die Katastrophen, denen er ausgeliefert ist? Wie deutet er das historische Geschehen und gibt damit seinem Leben einen Sinn? Bei dem Versuch des Menschen, seine Stellung im Universum zu deuten, lassen sich, so zeigt Eliade, zwei einander prinzipiell entge- gengesetzte Grundhaltungen unterscheiden: Der historische (mo- derne) Mensch sieht sich als Schçpfer der Geschichte, der Mensch der archaischen Kulturen dagegen wehrt Geschichte ab, indem er al- les Historische in ein System von Mythen und Archetypen einordnet. Damit soll alles Geschehen im Leben des Individuums wie der Ge- meinschaft teilhaben an einem Urbild, ja selbst Teil einer ɒberzeit- lichen Gegenwart werden. Das »Chaos« wird zum »Kosmos«, »Ge- schichte« zur »Wirklichkeit« beispielhafter Vorbilder, durch die sich der archaische Mensch untrennbar mit der Welt ɒber ihm und mit den kosmischen Rhythmen verbunden fɒhlt. Eliade gibt dafɒr eine Fɒlle von Beispielen aus den verschiedensten Kulturen der Welt. Dabei zeigt sich, daß die Muster noch immer fɒr unsere heutigen Le- bens- und Handlungsgewohnheiten bestimmend sind und ein tiefe- res Verstehen uns scheinbar so fremder archaischer Kulturen ɒberra- schende Einsichten in die Ursprɒnge unseres eigenen Denkens und Verhaltens zu vermitteln vermag. »Wenn mich jemand fragt, in welcher Reihenfolge er meine Bɒ- cher lesen sollte, dann empfehle ich ihm stets, mit Kosmos und Ge- schichte zu beginnen.« (Mircea Eliade) Mircea Eliade, geboren 1907 in Bukarest. Er studierte 1925-31 in Bu- karest und Kalkutta; lȨngerer Aufenthalt im Himalaya-Gebiet, ausge- dehnte Asien-Reisen. Seit den fɒnfziger Jahren bis zu seinem Tod 1986 Professor fɒr Religionswissenschaft in Chicago. Im Suhrkamp und im Insel Verlag erschienen u.a.: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, 1975; Die Sehnsucht nach dem Ursprung, 1976; Das Heilige und das Profane, 1984; Yoga. Unsterblichkeit und Freiheit, 1985; Das Mysterium der Wiedergeburt. Versuch ɒber einige Initiationstypen, 1988; Mephistopheles und der Androgyn. Das Mysterium der Einheit, 1999; Vom Wesen des Religiçsen. Erinnerungen und Schriften, 2007.

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Mircea Eliade stellt in seinem Buch Kosmos und Geschichte eine derGrundfragen der menschlichen Existenz �berhaupt: Wie ertr�gtder Mensch das Leid und die Katastrophen, denen er ausgeliefertist? Wie deutet er das historische Geschehen und gibt damit seinemLeben einen Sinn?Bei dem Versuch des Menschen, seine Stellung im Universum zu

deuten, lassen sich, so zeigt Eliade, zwei einander prinzipiell entge-gengesetzte Grundhaltungen unterscheiden: Der historische (mo-derne) Mensch sieht sich als Schçpfer der Geschichte, der Menschder archaischen Kulturen dagegen wehrt Geschichte ab, indem er al-les Historische in ein System von Mythen und Archetypen einordnet.Damit soll alles Geschehen im Leben des Individuums wie der Ge-meinschaft teilhaben an einem Urbild, ja selbst Teil einer �berzeit-lichen Gegenwart werden. Das »Chaos« wird zum »Kosmos«, »Ge-schichte« zur »Wirklichkeit« beispielhafter Vorbilder, durch die sichder archaische Mensch untrennbar mit der Welt �ber ihm und mitden kosmischen Rhythmen verbunden f�hlt. Eliade gibt daf�r eineF�lle von Beispielen aus den verschiedensten Kulturen der Welt.Dabei zeigt sich, daß die Muster noch immer f�r unsere heutigen Le-bens- und Handlungsgewohnheiten bestimmend sind und ein tiefe-res Verstehen uns scheinbar so fremder archaischer Kulturen �berra-schende Einsichten in die Urspr�nge unseres eigenen Denkens undVerhaltens zu vermitteln vermag.

»Wenn mich jemand fragt, in welcher Reihenfolge er meine B�-cher lesen sollte, dann empfehle ich ihm stets, mit Kosmos und Ge-schichte zu beginnen.« (Mircea Eliade)

Mircea Eliade, geboren 1907 in Bukarest. Er studierte 1925-31 in Bu-karest und Kalkutta; l�ngerer Aufenthalt im Himalaya-Gebiet, ausge-dehnte Asien-Reisen. Seit den f�nfziger Jahren bis zu seinem Tod1986 Professor f�r Religionswissenschaft in Chicago.Im Suhrkamp und im Insel Verlag erschienen u. a.: Schamanismus

und archaische Ekstasetechnik, 1975; Die Sehnsucht nach dem Ursprung,1976; Das Heilige und das Profane, 1984; Yoga. Unsterblichkeit und Freiheit,1985; Das Myster ium der Wiedergeburt. Versuch �ber einige Initiationstypen,1988; Mephistopheles und der Androgyn. Das Myster ium der Einheit, 1999;Vom Wesen des Religiçsen. Erinnerungen und Schr iften, 2007.

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VERLAG DERWELTRELIGIONEN

TASCHENBUCH4

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MIRCEA ELIADEKOSMOS UNDGESCHICHTE

DER MYTHOSDER EW IGENWIEDERKEHR

Aus dem Franzçsischenvon G�nter Spaltmann

VERLAG DERWELTRELIGIONEN

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Gefçrdert durch dieUdo Keller Stiftung Forum Humanum

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Verlag der Weltreligionenim Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig

Taschenbuch 4Erste Auflage 2007

� Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1984Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,

des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.Umschlag: Hermann Michels und Regina Gçllner

Satz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyISBN 978-3-458-72004-1

Die franzçsische Originalausgabe erschien 1949bei Gallimard in Paris unter dem Titel

»Le mythe de l’eternel retour:Arch�types et r�p�tition«

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KOSMOS UND GESCHICHTE

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INHALT

Vorwort zur franzçsischen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Vorwort zur amerikanischen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Kapitel I · Archetypen und Wiederholung1. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192. Himmlische Archetypen von L�ndern, Tempelnund St�dten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3. Die Symbolik des »Mittelpunktes« . . . . . . . . . . . . . . . 284. Wiederholung der Kosmogonie . . . . . . . . . . . . . . . . . 335. Gçttliche Vorbilder der Rituale . . . . . . . . . . . . . . . . . 376. Archetypen der »profanen« Handlungen . . . . . . . . . 447. Die Mythen und die Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Kapitel II · Die Erneuerung der Zeit1. »Jahr«, »Neues Jahr«, Kosmogonie . . . . . . . . . . . . . . . 672. Die Periodizit�t der Schçpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 783. Fortdauernde Erneuerung der Zeit . . . . . . . . . . . . . . 88

Kapitel III · »Ungl�ck« und »Geschichte«1. Das »Normale« des Leidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1092. Die Geschichte als Theophanie betrachtet . . . . . . . 1173. Die kosmischen Zyklen und die Geschichte . . . . . . 1264. Geschick und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

Kapitel IV · Der »Schrecken der Geschichte«1. Das Fortleben des Mythos der »Ewigen Wiederkehr« 1532. Die Schwierigkeiten des Historizismus . . . . . . . . . . . 1603. Freiheit und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1674. Verzweiflung oder Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

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VORWORT ZUR FRANZ�SISCHEN AUSGABE

Wenn wir nicht gef�rchtet h�tten, allzu ehrgeizig zu erschei-nen, w�rden wir diesem Buch einen Untertitel gegeben ha-ben: »Einleitung zu einer Philosophie der Geschichte«. Denndas ist im Grunde das Anliegen des vorliegenden Versuchs,mit der Besonderheit allerdings, daß er nicht den Weg derspekulativen Analyse des historischen Ph�nomens geht, son-dern statt dessen die grundlegenden Vorstellungen der archai-schen Gemeinschaften untersucht, die zwar auch eine gewisseForm der »Geschichte« kennen, sich aber alle M�he geben, sienicht zu beachten. Beim Studium dieser �berlieferungsgebun-denen Gesellschaften ist uns ein Zug immer ganz besondersaufgefallen: ihre Auflehnung gegen die konkrete, historischeZeit, ihre Sehnsucht nach einer periodischen R�ckkehr zurmythischen Zeit der Uranf�nge, zur »Großen Zeit«. Der Sinnund die Funktion dessen, was wir »Archetypen und Wiederho-lung« genannt haben, sind uns erst klar geworden, als wir denWillen dieser Gemeinschaften begriffen hatten, die konkreteZeit abzuweisen, und gleichzeitig ihre Feindschaft gegen je-den Versuch zur autonomen »Geschichte«, das heißt zur Ge-schichte ohne archetypische Ordnung. Dieser Wille, die »Ge-schichte« nicht anzunehmen, und diese Auflehnung gegensie entspringen nicht einfach den konservativen Tendenzender primitiven Gemeinschaften, wie unser Buch zeigen wird.Nach unserm Daf�rhalten ist man berechtigt, in dieser Ver-achtung der Geschichte, das heißt der Ereignisse ohne �ber-geschichtliches Vorbild, und in dieser Zur�ckweisung derprofanen kontinuierlichen Zeit eine gewisse metaphysischeBewertung der menschlichen Existenz zu erblicken. Es han-delt sich dabei aber keinesfalls um jene Bewertung des Men-schen, wie sie seit der Entdeckung des »geschichtlichen« Men-schen gewisse nachhegelianische philosophische Richtungen,

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vor allem der Marxismus, der Historizismus und der Existen-tialismus, vorzunehmen suchten, indem sie dekretierten, derMensch sei �berhaupt nur in dem Maße, in dem er sich selbstim Schoß der Geschichte schaffe.

Das Problem der Geschichte an sich wird indessen in die-ser Untersuchung nicht unmittelbar aufgegriffen werden. Unswar zun�chst daran gelegen, einige vorherrschende Kraftli-nien im Spekulationsbereich der archaischen Gesellschaftenfreizulegen. Es wollte uns aber scheinen, als sei auch eine ein-fache Darstellung dieses Gebietes nicht ohne Reiz, vor allemf�r den Philosophen, der gewçhnt ist, seine Probleme und zu-gleich auch die Mittel zu ihrer Lçsung in den Texten der klas-sischen Philosophie oder den Situationen der abendl�ndischenGeistesgeschichte zu finden. Wir sind seit langem davon �ber-zeugt, daß die abendl�ndische Philosophie – wenn das Wortgestattet ist – in Gefahr schwebt, provinziell zu werden: ein-mal, indem sie sich eifers�chtig auf ihre eigene Tradition be-schr�nkt und sich zum Beispiel um die Probleme und Lçsun-gen des orientalischen Denkens nicht k�mmert. Dann aberauch dadurch, daß sie nur die »Situationen« des Menschender geschichtlichen Zivilisationen anerkennen will und dabeidie Erfahrungen des »primitiven« Menschen untersch�tzt,der den archaischen Gemeinschaften angehçrte. Wir haltenes n�mlich f�r mçglich, daß die philosophische Anthropolo-gie einiges von der Wertung lernen kçnnte, die der vorsokra-tische Mensch (mit andern Worten: der fr�hzeitliche Mensch)seiner Stellung im Universum gibt. Besser gesagt: die Grund-probleme der Metaphysik kçnnten durch die Kenntnis derarchaischen Ontologie neu gesehen werden. In mehreren vor-hergehenden Arbeiten, besonders im Trait� d’histoire des reli-gions, haben wir versucht, die Prinzipien dieser archaischenOntologie vorzuf�hren, ohne daß wir selbstverst�ndlich denAnspruch erheben kçnnten, eine durchweg zusammenh�n-gende oder gar erschçpfende Darstellung gegeben zu haben.

Zu unserem großen Bedauern wird auch die hier vorgeleg-te Untersuchung diese erschçpfende Darstellung noch schul-dig bleiben. Da wir uns an den Philosophen nicht weniger

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wenden als an den Ethnologen oder Orientalisten, vor allemaber an den Gebildeten im umfassenden Sinn, den Nichtfach-mann, haben wir uns oft gezwungen gesehen, summarisch ab-zuhandeln, was in genauer und farbenreicherer Darstellungeinen umfangreichen Band gef�llt haben w�rde. Eine mehrins Detail gehende Diskussion w�rde durch die erforderlicheHeranziehung weiterer Quellen und Fachausdr�cke viele Le-ser abgeschreckt haben. Wir hatten aber nicht sosehr die Ab-sicht, den Fachwissenschaftlern eine Reihe von Kommenta-ren abseits von ihren eigenen Problemen zu liefern, sondernwollten vor allem die Aufmerksamkeit des Philosophen unddes Gebildeten im allgemeinen auf geistige Haltungen len-ken, die zwar in zahlreichen Gebieten der Erde Vergangen-heit sind, trotzdem aber f�r die Kenntnis und die Geschichtedes Menschen aufschlußreich sein kçnnen. Erw�gungen dergleichen Art ließen uns Referenzen und Hinweise auf das un-bedingt Notwendige und manchmal sogar auf eine einfacheAndeutung beschr�nken.

Die erste Fassung dieses Versuchs ist in franzçsischer Spra-che im Jahre 1949 erschienen (Le mythe de l’�ternel retour : Arch�-types et r�p�tition, Gallimard, NRF). Anl�ßlich der hier vorgeleg-ten deutschen �bersetzung haben wir den Text durchgesehenund erweitert und haben in den Anmerkungen auf eine Reihevon Arbeiten verwiesen, die in den letzten Jahren erschienensind.

Paris, Oktober 1952 Mircea Eliade

13vorwor t zur franzçsi schen ausgabe

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VORWORT ZUR AMERIKANISCHEN AUSGABE

Die amerikanische Taschenbuch-Ausgabe dieses kleinen Bu-ches (1959) hat mir die Mçglichkeit gegeben, den urspr�ng-lichen Titel wiederherzustellen. Das Manuskript, an dem ichim Mai 1945 zu arbeiten begann, war �berschrieben Kosmosund Geschichte. Erst sp�ter �nderte ich den Titel in »Archety-pen und Wiederholung«. Schließlich aber machte ich, auf Vor-schlag meines franzçsischen Verlegers, »Archetypen und Wie-derholung« zum Untertitel, und das Buch erschien 1949 als Lemythe de l’�ternel retour.

Das hat Anlaß zu Mißverst�ndnissen gegeben. Einmalschließt die archaische Vorstellung von ritueller Wiederho-lung, die der Hauptgegenstand meiner Untersuchung war,nicht immer den »Mythos der ewigen Wiederkehr« ein. Undweiter kçnnte ein Leser aus diesem Titel den Eindruck gewin-nen, daß das Buch sich haupts�chlich mit dem ber�hmtengriechischen Mythos oder mit seiner modernen Neuinterpre-tation durch Friedrich Nietzsche befaßt, was keineswegs derFall ist.

Das Kernproblem meiner Forschungen betrifft das Bild,das der Mensch der archaischen Gesellschaften sich von sichselbst und von der Stellung gemacht hat, die er im Kosmoseinnimmt. Der Hauptunterschied zwischen dem Menschender archaischen und traditionsbezogenen und dem Menschender modernen Gesellschaften mit ihrer starken Pr�gungdurch das Juden-Christentum liegt in der Tatsache, daß dererste sich untrennbar mit dem Kosmos und den kosmischenRhythmen verbunden f�hlt, w�hrend der andere darauf be-steht, nur mit der Geschichte verbunden zu sein. Nat�rlichhat der Kosmos f�r den archaischen Menschen auch eine»Geschichte«, wenn auch vielleicht nur deshalb, weil er eineSchçpfung der Gçtter ist und als von �bernat�rlichen Wesen

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oder mythischen Helden geordnet betrachtet wird. Aber die-se »Geschichte« des Kosmos und der menschlichen Gesell-schaft ist eine »heilige Geschichte«, bewahrt und weitergege-ben durch Mythen. Mehr noch, es ist eine »Geschichte«, dieunbegrenzt wiederholt werden kann insofern, als die Mythenals Vorbilder f�r Zeremonien dienen, die periodisch die un-geheuerlichen Ereignisse am Beginn der Zeiten wieder wirk-lich werden lassen. Die Mythen bewahren und vermitteln dieParadigmata, die beispielhaften Vorbilder, f�r das gesamteverantwortliche Handeln des Menschen. Kraft dieser beispiel-haften Vorbilder, die den Menschen in mythischen Zeiten of-fenbart wurden, werden Kosmos und Gesellschaft periodischwiedergeschaffen.

Danach bespreche ich die Wirkungen, die diese gl�ubigeWiedererschaffung der Vorbilder und diese rituelle Wiederho-lung mythischer Ereignisse auf die religiçsen Vorstellungender archaischen Vçlker hatten. Es ist nicht schwer zu begrei-fen, warum eine solche Vorstellung die Entwicklung vondem, was wir heute »Geschichtsbewußtsein« nennen, unmçg-lich machte.

Im Verlauf des Buches habe ich die Begriffe »BeispielhafteVorbilder«, »Paradigmata« und »Archetypen« verwandt, umeine bestimmte Tatsache zu betonen, n�mlich daß der Menschder traditionsgebundenen und archaischen Gesellschaftenglaubte, die Vorbilder f�r seine Institutionen und die Normenf�r die zahlreichen Kategorien seines Verhaltens seien zu Be-ginn der Zeiten »offenbart« worden, und daß sie infolgedes-sen f�r ihn einen �bermenschlichen und »transzendenten« Ur-sprung hatten.

Bei der Verwendung des Begriffs »Archetypen« bedachteich eines nicht: deutlich zu machen, daß ich nicht die Arche-typen meinte, wie sie von C. G. Jung beschrieben wurden.Das war ein bedauerlicher Fehler. Denn einen Begriff, dereine entscheidend wichtige Rolle in Jungs Psychologie spielt,in einem vçllig abweichenden Sinn zu gebrauchen, kçnnte zurVerwirrung f�hren. Ich brauche kaum zu erw�hnen, daß f�rJung die Archetypen Strukturen des kollektiven Unbewußten

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sind. Aber ich ber�hre in meinem Buch nirgends die Pro-bleme der Tiefenpsychologie, noch arbeite ich mit der Vorstel-lung des kollektiven Unbewußten. Wie schon erw�hnt, ver-wende ich den Begriff »Archetypen« – genau wie Eugeniod’Ors es tut – als Synonym f�r »beispielhaftes Vorbild« und»Paradigma«, das heißt also letztlich im Augustinischen Sinn.Aber heutzutage hat dieses Wort durch Jung einen ganz neuenSinn erhalten. Und es ist bestimmt w�nschenswert, daß derBegriff »Archetypus« nicht l�nger in der Bedeutung verwandtwird, die er vor Jung hatte, es sei denn, dies w�rde ausdr�ck-lich erkl�rt.

Selten wird ein Autor mit einem Werk noch einverstandensein, dessen Vollendung zehn Jahre zur�ckliegt. Zweifellosw�rde dieses kleine Buch, wenn ich es heute schriebe, sehr an-ders aussehen. Und doch halte ich es, so wie es ist, mit all sei-nen Tat- und Unterlassungss�nden, f�r das wichtigste meinerB�cher. Und wenn mich jemand fragt, in welcher Reihenfolgeer meine B�cher lesen solle, dann empfehle ich ihm stets, mitKosmos und Geschichte zu beginnen. Einige der darin behan-delten Probleme habe ich in sp�teren Verçffentlichungen wie-der aufgegriffen, vor allem in Images et symboles (Paris 1952, dt.:Ewige Bilder und Sinnbilder, 1958) und Mythes, reves et myst�res(Paris 1957, dt.: Mythen, Tr�ume und Myster ien, 1958). Eine neueDarstellung der archaischen Mythologie, die als »heilige Ge-schichte« periodisch wiederverwirklicht wird, befindet sichin meinem letzten Buch �ber Initiationen, Birth and Rebirth(New York 1958 [dt.: Das Myster ium der Wiedergeburt, 1961]).

University of Chicago Mircea EliadeNovember 1958

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KAPITEL IARCHETYPEN UND WIEDERHOLUNG

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1 .DAS PROBLEM

Die Aufgabe dieses kleinen Buches soll es sein, gewisseAspekte der archaischen Ontologie zu untersuchen; genauer:die Vorstellungen von Sein und Wirklichkeit, die aus dem Ver-halten des Menschen der fr�hzeitlichen Gemeinschaften zuerschließen sind. Die »fr�hzeitlichen« oder »archaischen« Ge-meinschaften umfassen sowohl die Welt, die man gewçhnlichdie »primitive« nennt, als auch die alten Kulturen Asiens,Europas und Amerikas. Nat�rlich sind die metaphysischenVorstellungen der archaischen Welt nicht durchweg in einerbegrifflichen Sprache ausgedr�ckt worden; aber Symbol, My-thos und Ritus bringen, auf verschiedenen Ebenen und mitden ihnen eigenen Mitteln, ein komplexes System von zusam-menh�ngenden Feststellungen �ber die letzte Wirklichkeitder Dinge zum Ausdruck, ein System, das man als Darstel-lung einer Metaphysik betrachten kann. Es ist allerdings we-sentlich, den tiefen Sinn aller dieser Symbole, Mythen undRiten richtig zu erfassen, damit es gelingt, ihn in die uns ver-traute Sprache zu �bertragen. Wenn man sich die M�hemacht, die authentische Bedeutung eines archaischen Mythosoder Symbols zu ergr�nden, kann man nicht umhin festzu-stellen, daß in ihr die Bewußtwerdung einer gewissen Stel-lung im Kosmos deutlich wird und daß sie damit auch einemetaphysische Stellung einbegreift. Es w�re vergeblich, inden archaischen Sprachen die Begriffe finden zu wollen, dievon den großen philosophischen �berlieferungen so arbeit-sam geschaffen worden sind: wahrscheinlich wird man Aus-dr�cke wie »Sein«, »Nichtsein«, »wirklich«, »unwirklich«, »Wer-den«, »illusorisch« und andere mehr in der Sprache derAustralier oder der alten Mesopotamier nicht entdecken.Aber wenn auch dasWort daf�r fehlen mag, die Sache ist dochvorhanden: nur wird sie »ausgesagt« – das heißt im Zusam-menhang dargestellt – durch Symbole und Mythen.

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Wenn man das Verhalten des archaischen Menschen im all-gemeinen betrachtet, f�llt einem folgendes auf: die Gegen-st�nde der Außenwelt besitzen, nicht anders als die mensch-lichen Handlungen im eigentlichen Sinn, keinen selbst�ndigeninneren Wert. Gegenst�nde oder Handlungen gewinnen einenWert und werden damit wirklich, weil sie auf die eine oder an-dere Weise einer Wirklichkeit teilhaftig sind, die �ber dieGrenzen hinausgreift. Ein gewisser Stein wird unter einerMenge anderer Steine heilig – und damit gleichzeitig von Seinges�ttigt –, weil er eine Hierophanie darstellt, im Besitz vonMana ist, seine Gestalt eine gewisse Symbolik enth�lt, oderauch weil er an einen mythischen Akt erinnert, usw. Der Ge-genstand erscheint als Gef�ß einer außer ihm selbst liegendenKraft, die ihn von seiner Umgebung unterscheidet und ihmSinn undWert verleiht. Diese Kraft kann in der Substanz oderder Gestalt des Gegenstandes wohnen; ein Fels offenbart sichals heilig, weil seine Existenz selbst eine Hierophanie ist: inseiner Unverwundbarkeit und Unersch�tterlichkeit ist er,was der Mensch nicht ist. Er widersteht der Zeit, seine Wirk-lichkeit verdoppelt sich noch mit Dauerhaftigkeit. Auch einganz gewçhnlicher Stein kann »wertvoll« werden, das heißtdurchtr�nkt sein von einer magischen oder religiçsen Kraft,und zwar allein schon wegen seiner symbolischen Form oderseiner Herkunft: »Donnerkeil« (Blitzstein), der vom Himmelherabgefallen sein soll; die Perle, die vom Grund des Ozeansstammt. Andere Steine werden als heilig betrachtet, weil sieden Seelen der Ahnen als Wohnsitz dienen (Indien, Indone-sien) oder weil sie fr�her einmal der Schauplatz einer Theo-phanie waren (so der bethel, der Jakob als Ruhest�tte diente)oder auch weil ein Opfer oder Schwur sie geheiligt hat.1

Wir wollen nun zu den menschlichen Handlungen �berge-hen, soweit sie nicht dem einfachsten Automatismus entstam-men. Ihre Bedeutung, ihr Wert sind nicht an ihre rohe kçrper-liche Gegebenheit gebunden, sondern daran, daß sie einenurt�mlichen Akt nachvollziehen, ein mythisches Beispiel wie-derholen. Die Nahrungsaufnahme ist nicht einfach eine phy-siologische Handlung, sondern erneuert eine Kommunion.

20 kap itel i · archety pen und w iederholung

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Hochzeit und kollektive Orgie verweisen auf mythische Urbil-der, und man wiederholt sie, weil sie im Anfang (»in jenerZeit«, ab or igine) von Gçttern, »Ahnen« oder Heroen geweihtworden sind.

In den Einzelheiten seines bewußten Verhaltens kennt der»Primitive«, der archaische Mensch, keine Handlung, die nichtvon einem andern gesetzt und vorgelebt worden w�re, voneinem andern, der kein Mensch gewesen ist. Was er tut, ist schon getanworden. Sein Leben besteht in der ununterbrochenen Wieder-holung von Handlungen, die von anderen eingesetzt wordensind.

Diese Wiederholung bestimmter beispielhafter Handlun-gen l�ßt eine urspr�ngliche Ontologie erkennen. Das roheProdukt der Natur und nicht weniger der durch menschlicheHand bearbeitete Gegenstand erlangen Wirklichkeit und Iden-tit�t nur in dem Maße, als sie einer transzendenten Wirklich-keit teilhaftig sind. Ein Akt erh�lt Sinn und Wirklichkeit aus-schließlich in dem Maße, als er eine urt�mliche Handlungwiederholt.

Gruppen von Beispielen aus den verschiedenen Kulturenwerden uns helfen, die Struktur dieser archaischen Ontolo-gie besser zu erkennen. An erster Stelle haben wir Beispielegesucht, die uns mçglichst klar die Mechanik des fr�hzeit-lichen Denkens sichtbar machen kçnnen; mit andern Worten,Beispiele, die uns verstehen helfen, wie und warum f�r denMenschen der fr�hzeitlichen Gemeinschaften manche Dingewirklich werden. Es erscheint uns wichtig, zuerst diese Mecha-nik richtig zu verstehen, damit wir uns dann dem Problemder menschlichen Existenz und der Geschichte im Blickkreisder archaischen Geisteswelt n�hern kçnnen.Wir haben unser Material nach folgenden Gesichtspunkten

gegliedert:1. Beispiele, die uns zeigen, daß f�r den archaischen Men-

schen die Wirklichkeit eine Funktion der Nachahmung eineshimmlischen Urbildes ist;

2. Beispiele, die uns zeigen, wie die Wirklichkeit verliehenwird durch die Teilhabe an der »Symbolik des Mittelpunkts«:

211. das problem

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St�dte, Tempel, H�user werden wirklich, weil sie dem »Mittel-punkt der Welt« �hnlich gemacht werden;

3. schließlich die bezeichnenden Riten und Profanhandlun-gen, die den ihnen beigelegten Sinn nur verwirklichen kçn-nen, weil sie mit Vorbedacht Akte wiederholen, die ab or iginevon Gçttern, Heroen oder Ahnen gesetzt worden sind.

Die bloße Darstellung dieser Beispiele wird die Erfor-schung der zugrunde liegenden ontologischen Vorstellungenin Gang bringen, und nur sie kann die Grundlage abgebenf�r deren Entschl�sselung, an die wir anschließend herange-hen wollen.

22 kap itel i · archety pen und w iederholung