Kuhhandel Auktionator Bruno Furrer, 64, leitet die Gant ... · Das dauert keine fünf Stunden. Um...

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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 46 Dritten!» «… und zum Er versteigert Bauernhöfe samt Kuh, Traktor, Silo und Milchkanne. Der Luzerner BRUNO FURRER ist einer der letzten Gantrufer. Ein trauriger Tag für die Verkäuferfamilie, eine Chilbi fürs Volk. Eine Auktion im Glarnerland. Kuhhandel Auktionator Bruno Furrer, 64, leitet die Gant auf dem Bauernhof der Familie Hefti in Nieder- urnen GL. Hier kommt eine Kuh unter seinen (Bleistift-)Hammer.

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Dritten!»«… und zum

Er versteigert Bauernhöfe samt Kuh, Traktor, Silo und Milchkanne. Der Luzerner BRUNO FURRER ist einer der letzten Gantrufer. Ein trauriger Tag für die Verkäuferfamilie,

eine Chilbi fürs Volk. Eine Auktion im Glarnerland.

Kuhhandel Auktionator Bruno Furrer, 64, leitet die Gant auf dem Bauernhof der Familie Hefti in Nieder- urnen GL. Hier kommt eine Kuh unter seinen (Bleistift-)Hammer.

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Sein Werkzeug Für die Gant braucht Furrer Wegweiser, Mikrofon, Bleistift und Stumpen (die er an Bieter verteilt).

Volksauflauf Die Gant auf dem Hefti-Hof in Niederurnen GL beginnt. 2000 Neugierige und Käufer kommen.

Ausverkauf im Stall Paula, 62, und Jakob Hefti, 64, beraten mit Gant-rufer Furrer (r.) die Preise für ihr Vieh.

Was ist das wert? Vor der Gant bespricht Furrer mit Bauer Jakob Hefti (l.) den Richtpreis dieser Heu- und Silogebläse.

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Der Gantrufer als

EntertainerJe lustiger die Stimmung,

desto höher die Preise

Auf der Bühne Auf einem Anhänger stehend, versteigert Furrer (r.) Kleinware. Für Bauer Jakob (Mitte) und seinen Helfer ist das ein trauriger Moment.

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Für die Besucher ist es ein

VolksfestKollegen treffen, Stumpen

rauchen, Sachen ersteigern

Die Beute Ein Mann hat eben Heu-rechen und Kleinmaterial ersteigert und trägt alles heim.Links oben: Feuereifer Ein Besucher studiert beim Stümpli- Rauchen den Gant-Katalog.Links Mitte: Näher ran Bevor für eine Maschine gebo-ten wird, neh-men die Bauern alles genau unter die Lupe.Links unten: Mit Schnauz, Hut und Rauch Zwei Interes-senten studie-ren den Gant-Katalog, in dem Fahrhabe und Vieh auf-gelistet sind.

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS KURT REICHENBACH

E inmal nannte ihn einer «Totengräber der Landwirte». Was Bruno Furrer gar nicht gern hört: «Mit

einer fairen Versteigerung ver helfe ich manchem Bauern zu einem anständigen Start in einen neu- en Lebensabschnitt.» Auch nach 44 Jahren als Gantrufer ist Furrer vor jeder Auktion nervös: Das sei eine emotionale Sache, hinter je-der Betriebsschliessung stecke ein Schicksal. «Und wenn ich dann die Kühe versteigere und es dem Hof-besitzer schier das Herz zerreisst, dann geht mir das schon nahe.» Sagt Furrer, packt sein Gantrufer-Werkzeug, das Mikrofon und den roten Bleistift (seine unprätentiöse Version des Auktionshammers), und macht sich parat, Tiere und Maschinen der Familie Hefti – «zum Ersten, zum Zweiten und zum Drrrrritten!» – zu liquidieren.

Das Lebenswerk von zwei Bau- erngenerationen kommt an die-sem föhnig warmen Samstag im April in Niederurnen GL unter den Hammer. Geht Stück für Stück an die Meistbietenden. 50 Jahre lang landwirten, ackern, säen, mähen, melken, mästen, hirten – heute wird Hof, Hab und Gut versteigert. Ein ganzer Bauernbetrieb.

Das dauert keine fünf Stunden.Um 4.15 Uhr ist das Bauern-

paar Jakob und Paula Hefti auf-gestanden. Wie sie das jeden Tag tun, seit 24 Jahren, seit sie den Hof gepachtet haben (Land und Ge-bäude gehören der Gemeinde). Schon Paulas Eltern bewirtschaf-teten diesen Betrieb. Stall, Scheu-ne, Schopf, Silo, dazu ein kleines Wohnhaus, würfelförmig, mit beiger Schindelfassade. Im Feld 2 lautet die Adresse, Niederurnen ist das Dorf eingangs Glarnerland.

Jakob Hefti wird im Sommer 65, seine Frau Paula 63. Keines ihrer

Startnummer Damit es zu keiner Ver-wechslung kommt, wird jede Kuh am Hintern mit einer Zahl bemalt.

Kinder kann den Betrieb über-nehmen. Also hören Heftis auf, geben auf. Wie das in der Schweiz Tag für Tag drei Bauern tun.

Das Bauernsterben. In den letzten 20 Jahren machten jähr-lich 1200 Betriebe dicht. Heute gibt es noch 54 000 Höfe. Viele Landwirte ächzen unter der Büro-kratie und einem geringen Ein-kom men, im Schnitt 44 000 Fran-ken jährlich, bei einer Wochen-arbeitszeit von über 50 Stunden.

Es ist halb acht Uhr. Jakob und Paula Hefti und ein paar Gehilfen kümmern sich im Stall um das Vieh. Zum allerletzten Mal.

21 Kühe: Nadja, Maya, Java, Miranda, Nina, Petra, Nelly, Alis, Melani, Diva, Evi, Vroni, Priska, Sa brina, Rita, Judith, Sereina, Karin, Svenja, Anja, Martina. Dazu noch ein paar Rinder und Kälber.

Jakob schabt den Mist weg und stiert stumm vor sich hin, Paula schwingt schweigend einen Reisigbesen, und Schwägerin Mar grith striegelt Kuhschwänze und hat Tränen in den Augen. 40 Jahre sei sie mit den Tieren z Alp gegangen, «und jetzt hirte ich sie zum letzten Mal».

So eine Gant ist eine seltsame Sache. Ein trauriger Tag für die Bauernfamilie, die verkaufen muss – ein Volksfest für die Besu-cher. Als würde auf einer Beerdi-gung getanzt. Chilbi am Totenbett.

Aus der halben Schweiz kom-men die Leute. Am Ende dieses Tages werden ersteigerte Kühe bis nach Appenzell, Graubünden oder ins Bernische verfrachtet. Die meisten Besucher aber sind Einheimische. Man kommt aus Solidarität mit den Heftis, aus Neugier und vielleicht auch, um einmal eine Nase voll zu nehmen, wie sich das so anfühlt, wenn einem der Hof versteigert wird: «Vielleicht ist man ja das nächste Bauernopfer, das aufhören und versteigern muss», sagt einer mit Helly-Hansen-Jacke, kalter Pfei-

fe im Mund und einem Käppi, das für Futtermittel wirbt.

Sowieso, diese Käppis. Die Bauern tragen und werben für: Swissgenetics, UFA Samen, Müh-le Bachmann, Reform, Migros, Rapid, Agrar, Schweizer Braun-vieh, Schwyzer Wy, Schweizer Milch prinzessin, Swissmilk. Als verfüge jeder Bauer über einen Vertrag mit einem Kopfsponsor.

Währenddessen schreitet Fur- rer mit Bauer Hefti durch den Stall. Für jede Kuh wird ein Ver-kaufspreis festgelegt. Furrer war selber bis vor drei Jahren Land-wirt, sein Schwiegersohn hat den Hof übernommen. Jeder Kuh wird mit einem Viehzeichenstift eine Nummer auf den Hintern ge-malt. In Jeansblau. Zahltag.

21 durchnummerierte Hintern.21 Nummernfräuleins.Kuh Martina mit Nummer 21

mööget und trampelt. Seit Tagen schon, sagt Bauer Hefti, sei sein Vieh nervös, «die merken, dass etwas im Busch ist». Die unruhi-ge Martina wird später beim Vor-führen in der Sägemehl-Arena gar einen Fluchtversuch wagen.

Bruno Furrer, 64, an Heilig-abend geboren, aus Mosen LU, leitet gut 60 Auktionen im Jahr: Betriebsaufgaben, Viehversteige-rungen, aber auch Töff-, Oldtimer- oder Antiquitätenverkäufe. Schon sein Vater Hans war Gantrufer, mit 20 stieg Bruno ins Geschäft ein. In der Schweiz gibts keine Handvoll Gantrufer mehr.

Um 9.30 Uhr beginnt das Spek-takel. 800 Besucher hat Familie Hefti erwartet, es kommen über 2000. Jede Festbank im Festzelt ist belegt. Elmer Citro, Glarner Bier, Möhl-Most, Tübli Wy und Gant-kaffee (mit Caramel Wodka und Rahm). Bereits um 11 Uhr sind die 800 Bratwürste ausverkauft, und Metzger Rickli aus Schänis schafft eiligst Nachschub herbei. Volksfest-Stimmung sei wichtig, weiss Furrer. Je lustiger die At-

Redemarathon Furrer bei der Arbeit. Oft stundenlang, ohne Pause. Seine Kondition holt er sich beim Velofahren.

In der Sägemehl-Arena Anja, die Kuh mit der Startnummer 20, wird für 2450 Franken versteigert.

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mosphäre, desto grösser die Kauflaune. Ein guter Gantrufer ist auch ein prima Entertainer. Und Furrer der Sinatra der Szene.

Zum Aufwärmen versteigert er Kleinkram: Kuhglocken, Heu-gabeln, Viehüterdraht. Furrer steht auf einem Anhänger – seine Bühne. Er wird jetzt ein paar Stunden ohne Punkt und Komma und Pause ausrufen. Er verteilt, um die Stimmung anzufeuern, Zi-garren ans Publikum, die guten alten Rössli-Stumpen. Von der gesamten Auktionssumme (ge-schätzte 150 000 Franken) erhält Furrer zwei Prozent als Honorar. Sein loses Mundwerk lohnt sich.

Er zündet ein verbales Feuer­werk. Mit maschinengewehr-arti ger Kadenz beschiesst Furrer die Leute mit Sachinfos, Preis-vorstellungen und Sprüchen. Die Kunst eines Gantrufers sei es, für den Verkäufer möglichst viel Geld herausholen, dem Käufer gegenüber aber trotzdem fair zu bleiben. «Ich versuche, den Bieter aus der Reserve zu locken, darf ihn aber nie unter Druck setzen.»

Beispiel: Motormäher Aebi AM 41, 14 PS, 2-Zylinder-Van-guard-Motor, neue Breitreifen.

Auftritt Gantrufer Furrer:«Fangen wir mit 2000 Franken

an. Gäu. Chömmed, wer bietet 2000? 2000 da, danke! Öpper 2100? Wer bietet 2100? 21 da! 22! 23! Danke, gäu. Wer 2400? Ufe mit de Finger, chömmed! 24? 24!, merci! Machen wir grad 2500? Jakob zu-liebe, er trug Sorge zum Mäher. 25 da drüben, gäu, merci. Wer bietet mehr? 2600, der Mann dort hinten, danke schön. 26. Wer bietet 27 ? Uuuu, dort winkt einer seinem Kollegen zu, das ist dann gefähr-lich an einer Gant, gäu! Öpper 27 ? 2600 Franken sind geboten. 2600 zum Ersten … Stell dir vor, wenn du auf dem Heimweg dein Geld ver-lierst, drum bietest du hier besser mit! Wer gibt 27 ? 2600 zum Zwei-ten … Wer bietet 27 ? Chömmed Lüt!»

Der Preis für den Mäher scheint bei 2600 Franken festge-froren. Doch Furrer gibt nicht auf, gantet fünf Minuten weiter, buhlt um Bieter, fordert, feilscht, reizt, zockt, lockt, «chömmed!». Und dann … «zum Drrrrritten!» geht der Mäher für 4100 Franken weg.

Furrers lockere Hartnäckig­keit lässt Preise, Stimmung und Hände in die Höhe schnellen. Und manch einer verliert im Mit-biet-Rausch alle Hemmungen. Etwa jener Bündner, der das mit Blumen bepflanzte Holztrögli, das als Deko beim Wurststand steht, seiner Frau heimbringen will. 250 Franken bietet er. Bäue-rin Paula schüttelt entrüstet den Kopf. Also grad alles gebe sie dann doch nicht her. Das Ehepaar Hef-ti gibt zwar den Hof auf, kann aber im Haus wohnen bleiben.

Manchmal gebe es schon auch Hitzköpfe an einer Gant, er-zählt Furrer. Letzthin waren da zwei Bieter, die sich fürs glei- che Objekt interessierten. Sich überboten, Preis und Emotion hochschaukelten. Und einander schliesslich mit ihren Regen-schirmen auf den Grind gaben.

Die Gant läuft weiter. Ein Güllenfass für 13 200 Franken, ein schnuckliger, kleiner Oldtimer-Traktor mit Jahrgang 1974 für 1700, sein riesengrosser Bruder, ein Mas- sey-Ferguson-Traktor, 95 PS, für 29 000 Franken.

Dann das Vieh. Die Gant-Are-na wird umgebaut, Sägemehl am Boden, umkränzt von Strohballen.

Nadja mit der Nummer 1 am Hin-tern geht für 2700 Franken weg. Maya bringt 2800, Java 3050. So geht das Kuh für Kuh, bis zur Nummer 21, Martina. Sie bockt, rennt davon, bugsiert Strohballen und Interessenten zur Seite. Mit ihrem Freigeist macht Martina bestes Marketing in eigener Sache; sie erzielt sehr gute 3900 Franken. So wird Familie Heftis Vieh in kürzester Zeit verkauft.

Bäuerin Paula ist in der Scheu-ne verschwunden, ihr Mann Ja-kob nirgends zu sehen.

Kurz nach 14 Uhr ist das Volksfest vorbei. Nicht immer, sagt Furrer, sei Chilbi-Stimmung angebracht. Und er erzählt, wie ihm das unter die Haut geht, wenn er den Hof einer jungen Familie versteigern muss, weil der Vater tödlich verunglückt ist. Da mache er keine Sprüche bei der Gant, sondern bringe die Sache «wür-dig über die Bühne, der trauern-den Familie zuliebe». In solchen Fällen wird Furrer, der Bauern-hofentsorger – zum Seelsorger.

Für Jakob und Paula Hefti wird morgen Sonntag ein stiller Tag sein. Der erste seit einem Vierteljahrhundert. Es gibt nichts mehr zu tun. Jakob will den Wecker trotzdem auf 4.15 Uhr stellen. «Ausschlafen kenne ich nicht», sagt er, «kann ich nicht.» Auch Bäuerin Paula wird dann auf-stehen: «Statt der Stallarbeit» – und zum ersten Mal an diesem Samstag lächelt sie – «werde im um 4.15 Uhr die Wäsche bügeln.»

Familienfirma Furrers Frau Rita, 58, ist bei jeder Gant dabei. Sie baut Lautsprecher und Wegweiser auf und ist die rechte Hand ihres Mannes.

Ein neuer Stall fürs Vieh, ein

neues Leben für die Bauernfamilie

Es ist vorbei Jakob und Paula Hefti nach der Gant. In weniger als fünf Stunden wurde ihr Lebenswerk verkauft.

Züglete Diese Kuh wird von ihren neuen Besitzern in den Viehtransporter verladen. Ab gehts nach Appenzell.

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