Kultur und Assekuranz

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ABHANDLUNGEN

Kultur and Assekuranz*

Von JO r g Kr a u s e, Tecklenburg

Inhaltsiibersicht

1 Einfuhrung - Systemtheorie als Instrumentarium

2 Phanomene Kultur and Assekuranz

2.1 Zum Wesen der Kultur

2.2 Zum Wesen der Assekuranz

2.3 Assekuranz im kulturellen Gesamtsystem - Eine entwicklungspsychologische

Sicht

3 Assekuranz in verschiedenen Kulturzonen

3.1 Begriindung der Einteilung

3.2 Christentum/Europa - Nordamerika - Ozeanien - Siidafrika

3.3 Judentum/Israel

3.4 Islam/Arabien

3.5 Streiflicht gewerbliche Versicherung

4 Gesamtmodell

4.1 Vergleichende Analyse der Kulturraume

4.2 Modell

5 Nutzanwendungen - Fazit

1 Einleitung - Systemtheorie als Instrumentarium

Die Kultur, die Assekuranz and der Mensch beeinflussen sich sich gegen-seitig. Mit dieser These beschaftigt sich die vorliegende Arbeit.

Fur die Klarung der Zusammenhange zwischen Kultur and Assekuranzeignet sich die Systemtheorie, die es ermoglicht, reale Systeme als Modelledarzustellen and deren Wirkungs- and Beziehungszusammenhange aufzu-

* Dieser Aufsatz beruht auf einer versicherungswissenschaftlichen Diplomarbeitim Seminar fur Versicherungslehre der Universitat zu Köln and auf einem Vortragauf dem Forum bei der Jahrestagung des Deutschen Vereins fur Versicherungswissen-schaft am 14. 3. 1996 in Stuttgart.

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zeigen. Ferner erleichtert sie die interdisziplinare Vorgehensweise, die auf-grund der Komplexitat des Themas unerlaBlich ist. Ziel der Arbeit ist, Er-kenntnisse fur die Wirtschaftswissenschaften zu gewinnen. Somit wird As-sekuranz im weiteren als Element des offenen Systems Kultur aufgefaBt,das seine Stabilitat durch die stabilisierende Funktion des Regelkreises er-halt.

2 Phanomene Kultur and Assekuranz

Kultur and Assekuranz werden als Phanomene bezeichnet. Phanomenesind vielschichtige Erscheinungen, die den Menschen umgeben and ihn -von ihm kaum wahrgenommen - beeinflussen. So wirken Kultur aber auchAssekuranz auf die Personlichkeit des einzelnen ein. Dieser ist sich des Aus-maBes der Beeinflussung nicht voll bewuBt, weil seine Denkschemata lokalkulturell gepragt sind and damit seine Fahigkeit, Phanomene kritisch zuhinterfragen nur begrenzt ist. Denn jedes Kind erlernt die Sprache seinerKultur and beginnt, in deren Struktur zu denken. Beispielsweise setzen sichdie japanischen Schriftzeichen aus Bildern zusammen. Das fiihrt dazu, daBdie Japaner, im Gegensatz z. B. zu den Europaern, eher in Bildern denken.

Assekuranz ist ein Phanomen, weil sie in einzelnen Kulturen als unent-behrlich gilt, sie dagegen von anderen Kulturen strikt abgelehnt wird. SoschlieSt „man" in Deutschland eine Lebensversicherung zur Alters- andHinterbliebenenversorgung ab, was aber z. B. in Saudi-Arabien unublichist. Auch ist Assekuranz ein Phanomen, weil sie wegen ihres immateriellenCharakters bis zum Eintritt des Schadenfalles ,nur" eine Idee ist; sie,,zeigt" sich nur demjenigen, der sich mit dem Produkt auseinandersetzt.

Die Betrachtung der Phanomene Kultur and Assekuranz erfolgt wegenihrer Komplexitat zum einen in Hinblick auf ihr Wesen - Begriffsbestim-mung and Deskription der Systementwicklung -, zum anderen aus entwick-lungspsychologischer Sicht, urn zu klaren, warum sich Kultur weiterent-wickelt.

2.1 Zum Wesen der Kultur

2.1.1 Definition: Kultur - Auf3ere Natur - Innere Natur

Kultur umfaBt „die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Bevol-kerung einschlieBlich der sie tragenden Geistesverfassung, besonders derWerteinstellungen " 1 . Sie vollzieht dabei einen standigen Wandel. Kultur ist

1 Muhlmann, W. E. zitiert in: Brockhaus Enzyklopadie, Bd. 10, 10. Aufl., Wiesba-den 1970, S. 733.

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danach alles, was der Mensch aus sich and aus seiner auBeren Umweltmacht, also der Zustand, den die Gesellschaft durch Umwandlung oder Bil-dung von Neuem aus Gegebenem erreicht. Das Gegebene, hier bezeichnetals ,Natur", ist zu trennen in das den Menschen Umgebende, die ,AuBereNatur", and in das ursprunglich im Menschen Seiende, die ,Innere Natur".

Kultur ist stets an einen typisch gestalteten Naturraum, die aul3ere Natur,gebunden. Dieser wird ebenfalls als System aufgefal3t, dessen Elemente, dieUmweltfaktoren, EinfluB auf den Menschen nehmen. Der Naturraum wirduberwiegend durch das Klima gepragt. Hervorzuheben ist, daB Umweltfak-toren ab einer gewissen Intensitat als Naturgefahren 2 verstanden werden.Auf diese muB sich die Gesellschaft durch Anpassungs- and Abhilfestrate-gien einstellen, wenn sie uberleben will.

Sowohl das Klima als auch die Naturgefahren bilden somit die Determi-nanten, innerhalb derer sich eine Kultur entwickeln kann. Wahrend derMensch z. B. in polaren Gebieten aufgrund der harten Winter zur Nah-rungsbevorratung gezwungen ist, braucht er sich darum in aquatorialen Be-reichen wegen des ganzjahrigen Nahrungsangebotes kaum zu kummern.

Unter innerer Natur wird hier das verstanden, was im Menschen als An-lage vorhanden ist and an Nachkornmen vererbt wird. Dazu gehoren diemenschlichen Grundgestimmtheiten, unter denen die „Sorge" and die„Neugierde" eine zentrale Stellung einnehmen:

J. and W. Grimm verstehen unter „Sorge": ,qualende innere unruhe uber,qualender gedanke an anscheinend drohendes ungliick, dbeli 3 . Der Menschantizipiert die Zukunft, in der Gefahren drohen and die seine derzeitige Si-tuation verandern konnte; es entsteht die „Sorge des Selbst um sichi 4 .

,,Neugierde" ist „die gier etwas neues kennen zu lerneni 5 , bzw. der 'Irieb,das Unbekannte, von dem auf den Menschen eine Anziehungskraft and Fas-zination ausgeht, in den Zustand des Bekannten zu transformieren.

2.1.2 Entstehen and Wandel von Kultur

Die Entstehung von Kultur ist untrennbar mit der Individuation - derEntwicklung and BewuBtwerdung der eigenen Personlichkeit - verknUpft.

2 Die hier verwendete Einteilung der Naturgefahren erfolgt nach Erdbeben,Sturm, tatigen Vulkanen, seismischen Flutwellen, Gewittern and anderen Naturge-fahren. Vgl. Weltkarte der Naturgefahren, hrsg. v. Miinchener Riickversicherungs-Gesellschaft, Munchen 1978 u. 1988.

3 Grimm, J. u. W: Deutsches Worterbuch, Bd. 16, Munchen 1984, Sp. 1756.

4 Koslowski, P.: Die postmoderne Kultur: gesellschaftlich-kulturelle Konsequen-zen der technischen Entwicklung, Munchen 1987, S. 60.

5 Grimm, J. u. W: Deutsches Worterbuch, Bd. 13, a. a. 0., Sp. 666.

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In einem fruhen Stadium der Geschichte ist sich der Mensch der Tren-nung seiner selbst von der Natur and semen Mitmenschen noch nicht be-wuBt, er ist gleichsam ein Teil des Systems Natur. Mit einsetzender Indivi-duation - der Mensch beginnt zu denken and zu sprechen - nimmt auch dieKultur ihren Anfang. Er erkennt, daB sich die auBere Natur von ihm unter-scheidet, doch wird die Trennung von den anderen Menschen nur vorbe-wuBt wahrgenommen. Die Kultur auf dieser primitiven Stufe ist homogen,d.h die Gesellschaft and der einzelne Mensch bilden eine noch undifferen-zierte Einheit. Langsam wachst die Erkenntnis der Individualitat, and jegroBer das BewuBtsein wird, ,daB es Tod, Krankheit and Alter gibt, [destomehr empfindet der einzelne] [ ... ] seine Bedeutungslosigkeit and Kleinheitim Vergleich zum All and zu alien anderen, die nicht ,er' sind' 6 .

Um nicht angesichts dieser Erkenntnis in Isolation and Haltlosigkeit zuverfallen, versucht der sich sorgende Mensch, einen Halt in der Welt zu er-langen, indem er feste gesellschaftliche Strukturen and Institutionenschafft. Die Kultur differenziert sich and bildet Teilsysteme mit individuel-len Geistesverfassungen aus. Diese sind Religion (Mythos), Sprache, Ethik,Staat, Politik, Recht, Kultur i.e.S. (Belletristik, Kunst, Literatur, Musik andPhilosophie), Wissenschaft, Wirtschaft, Handwerk and Technik. Dabei wirddem Teilsystem Religion, bzw. dem Glauben an die Existenz einer uberge-ordneten, allmachtigen Instanz, die weltbildkonstituierende Rolle beige-messen.

Je weiter sich Kultur entwickelt - je individueller der Mensch denkt andhandelt -, um so mehr differenzieren sich die kulturellen Institutionen. DieTeilsysteme werden-unabhangiger voneinander, and in ihnen entstehen Ele-mente, von denen jedes seine spezifische Geistesverfassung ausbildet. Diefesten Gefiige brechen auseinander. Kann die Religion allein keinen Le-benssinn mehr stiften and bildet die Bezugsgruppe (Familie) keine homoge-ne Einheit mehr, muB die weltbildkonstituierende Rolle in andere Kulturbe-reiche, wie die Wissenschaft oder die Wirtschaft, verlegt werden.

2.2 Zuni Wesen der Assekuranz

2.2.1 Definition Assekuranz

Der Ursprung des Begriffes Assekuranz geht auf das italienische ,assicu-rare" zuruck and bedeutet so viel wie ,versichern". Ab dem 17. Jahrhundertwird die Bezeichnung Assekuranz durch ,Versicherung" verdrangt, bleibtraber bis heute vor allem in Fachkreisen weiterhin gebrauchlich. Beide Be-griffe sind nur dann synonym zu verwenden, wenn der Ausdruck Versiche-

6 Fromm, E.: Die Furcht vor der Freiheit, 2. Aufl., Munchen 1991, S. 22.

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rung auf den Bereich der Individualversicherung beschrankt wird, was hiergeschieht.

2.2.2 Entstehen and Wandel von Assekuranz

Voraussetzung fur die Entstehung von Assekuranz, die als Element im Sy-stem Kultur verstanden wird, ist erstens das Vorhandensein eines versiche-rungsfahigen Objektes; der Eigentumsbegriff muB bekannt sein and ange-wendet werden. Dazu muB zweitens der subjektive Wille kommen, der vonder Beurteilung der drohenden Gefahren abhangt, das Eigentum zu schut-zen. Drittens muB die Kultur uber die entsprechenden technischen Moglich-keiten verfugen 7 . Somit ist die Entstehung von Assekuranz ein Entwick-lungsprozeB, der exemplarisch an drei bedeutsamen Kulturniveaus aufge-zeigt wird:

Am Anfang der Kulturentwicklung steht die Familienwirtschaft, die ih-ren Mitgliedern umfassenden Schutz gewahrt. Auf dieser Stufe kann es Ver-sicherung nicht geben, weil der Eigentumsbegriff nicht ausgebildet ist; alleGuter konnen vom Kollektiv genutzt werden. Auch fehlt aufgrund mangeln-den Reflexionsvermogens, das sich aus der Stufe der Individuation ergibt,die Bereitschaft, sich zu versichern. Ferner sind die technischen Moglichkei-ten, das abstrakte Gut Versicherung herzustellen, nicht gegeben.

Auf der nachsten Kulturstufe haben die kulturellen Teilsysteme begon-nen, sich mit den darin befindlichen Elementen auszubilden. Die Differen-zierung von Kultur zwingt den noch fest in die Gemeinschaft eingebunde-nen einzelnen, eigenverantwortlicher zu handeln and sich gegen die Gefah-ren des Lebens abzusichern, die ausschlieBlich religios erfaBt werden. Diegesellschaftliche Arbeitsteilung ist fortgeschritten and der Eigentumsbe-griff bekannt. Wissenschaft and Technik liefern Erkenntnisse, die gleich-falls einseitig religios gedeutet werden. Die Entstehung von Assekuranz istdemnach auf dieser Kulturstufe noch nicht moglich, dennoch bilden sich imTeilsystem Religion caritative, im Staat protektionistische and in der Wirt-schaft gewinnorientierte Elemente, die als versicherungsahnliche Institutio-nen zu bezeichnen sind. Neben der Erfiillung der Hauptaufgaben, die z. B.im gemeinsamen Gebet liegen, werden die Mitglieder zu gegenseitiger Hilfeverpflichtet.

Auf der dritten Stufe ist die Kultur weiter differenziert. Die Religion hatdie weltbildkonstituierende Rolle verloren. Der Mensch hat einen Indivi-

7 Vgl. Klingmiiller, E.: Rezeption der Versicherung in islamischen Landern, in:Rechtsfragen der Individualversicherung. Betrachtungen and Probleme in interna-tionaler Sicht, Festgabe fur Erich R. Prolss, hrsg. v. E. Klingmuller, Karlsruhe 1957,S. 162.

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duationsgrad erreicht, der ihn erkennen laBt, daB er weitgehend auf sich ge-stellt ist and eigenverantwortlich seine versicherungsfahigen Objekte - derEigentumsbegriff ist vollstandig ausgebildet - sichern muB. Weiterhin sinddie technischen Moglichkeiten fur Versicherung geschaffen worden, weil dieWissenschaft inzwischen weitgehend wertfrei, d. h. ohne direkten EinfluBder Religion, arbeiten kann. Es erscheint auf dieser Kulturstufe zwangslau-fig, daB sich Assekuranz als eigenstandiges Element in jedem der drei Teils-ysteme, in dem zuvor bereits die versicherungsahnlichen Einrichtungen be-standen haben, entwickeln kann. Zeitliche Verschiebungen sind moglich,was bedeutet, daB z. B. im Teilsystem Religion langer an ,alten Werten" -wie Schicksalsglauben - festgehalten wird.

Nachdem sich in verschiedenen Teilsystemen ,Assekuranzen" ausgebil-det haben, treten diese in Wettbewerb. Sie verandern zwar nicht ihre Posi-tion im Systemgefuge, doch gleichen sich ihre Eigenschaften im Zeitablaufeinander an, wobei aufgrund der wettbewerblichen Gegebenheiten von ei-ner Dominanz des Elementes Assekuranz im wirtschaftlichen Sektor ausge-gangen werden kann.

2.3 Assekuranz im kulturellen Gesamtsystem— Eine entwicklungspsychologische Sicht —

Das folgende Modell, das aufgrund der Komplexitat der Umstande kei-nen Anspruch auf Vollstandigkeit erheben kann 8 , enthalt einen Erklarungs-ansatz, warum die Kultur sich differenziert and die Menschen sich inner-halb des Systems Assekuranz entwickeln.

2.3.1 Gesamtsystem

Sicherheit and Unsicherheit bilden Gegenpole eines Kontinuums (vgl.Abbildung 1). Allgemein bedeutet Sicherheit den Zustand des Geschutz-tseins, das Freisein von Zweifel. Kaufmann spricht davon, daB es „in derIdee der Sicherheit stets um die Vernichtung der Zeitlichkeit der Zukunfti 9

gehe. Der Mensch strebt diesen Zustand an, kann ihn aber per definitionenie erreichen, weil Zukunft stets zeitlich ist; gleichwohl ist ein hoherer Gradan Sicherheit durch Handeln moglich. Dabei werden die moglichen Auspra-gungen, die im Zusammenspiel von Handlungen des Menschen and be-stimmten Umweltkonstellationen entstehen, als Risiko bezeichnet. Analog

8 Grundgestimmtheiten, wie z. B. Trauer and FYeude, tragen auch zur Differenzie-rung von Kultur bei, bleiben hier aber unberticksichtigt.

9 Kaufmann, F.-X.: Sicherheit als soziologisches and sozialpolitisches Problem,Stuttgart 1973, S. 157.

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Abbildung 1: Gesamtsystem

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dem chinesischen Bedeutungsinhalt des Begriffes werden mogliche gunstigezukiinftige Auspragungen als Chance, ungiinstige als Gefahr verstanden.Aus der Ahnung oder dem Wissen um die Gefahr hat sich die Grundge-stimmtheit „Sorge" entwickelt, aus der Chance die ,,Neugierde". Beide siredkulturunabhangige Konstanten and nehmen EinfluB auf das zu betrachten-de Kultursystem.

Die kulturell gepragte, erfahrbare Konkretisierung der Sorge ist dieAngst. Angst ist allgemein ein Gefuhlszustand, der eher unbestimmt ist andals existenzbedrohend empfunden wird. Der sich angstende Mensch ver-sucht, die Angst irrational durch Verdrangung oder rational durch Vorsorgeabzubauen. In der Regel ergreift er Vorsorge, das ist ,auf voraussicht beru-hende bemuhung [ ... ], um ein drohendes oder doch mogliches ubel fur sichoder andere abzuwendeni 10 . Die Art der Vorsorge kann zum einen ideellsein, z. B. indem der Mensch an die Existenz einer ubergeordneten, all-machtigen Instanz glaubt and somit Religion entsteht ll . Zum anderen kannsie materieller Natur sein, worunter vor allem das Wirtschaften zu verste-hen ist. Durch Vorsorge werden Gefahren objektiv Oder subjektiv12 redu-ziert mit der Folge, daB der Mensch einer Illusion der Sicherheit erliegt, mitder eine Minderung der aus der Sorge entspringenden Angste einhergeht.Der Begriff Illusion wird gewahlt, weil die einzelne Gefahr aufgrund deraus der Zeitlichkeit resultierenden Unsicherheit nie vernichtet, sondern nurreduziert werden kann. Weiterhin kann Vorsorge stets nur einen Bruchteilder Gesamtgefahrenlage erfassen.

Aus der Grundgestimmtheit ,Neugierde" resultiert der kulturgepragte,,Wagemut"; das ist die Bereitschaft, etwas Gefahrliches, Risikoreiches zuwagen. Sind die der Sorge entspringenden Angste ubermachtig, verhindernsie die Entstehung von Wagemut; werden die Angste reduziert, entwikkeltsich Wagemut, and die Menschen sind bereit Risiken einzugehen. Durchdiese Risiken wird Kulturfortschritt (bzw. -differenzierung) ermoglicht.Dieser bedeutet fiir den einzelnen einen hoheren Grad der Individuation.

Personliche and kollektive Erfahrung nehmen in diesem ProzeB eine zen-trale Position ein, weil alte Verhaltensmuster, die in der Realisierung der Ri-siken zu Schaden oder Nutzen gefuhrt haben, mit der gegenwartigen Situa-tion verglichen and durch Reflexion zu neuen Mustern weiterentwickeltwerden. Gleichzeitig werden auf dieser (hoheren) Kulturstufe neue Angste

10 Grimm, J. u. W.: Deutsches Worterbuch, a. a. 0., Bd. 26, Sp. 1591.11 Religion nimmt das GefUhl von Einsamkeit, vgl.: Balzac, H. de: Verlorene Illusi-

on, Munchen 1965, S. 35: „Der Mensch hat [ ... ] Angst vor dem Alleinsein. [ ... ] Dieersten Einsiedler lebten mit Gott, sie bewohnten die am dichtesten bevolkerte Welt,die Welt der Geister".

12 ,Glaube" kann nie objektiv sein, sondern ist die GewiBheit dessen, was manhofft. Vgl. Hebraerbrief 11,1, in: Die Bibel.

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hervorgerufen, die auf Verfall der festen Strukturen (z. B. Familie), der Er-zeugung neuer Gefahren (z. B. Atomkraft) oder dem steigenden Reflexions-vermogen (komplexere Denkstrukturen) beruhen.

Der Kreislauf beginnt von neuem, aufgrund der komplexeren Angste muBebenfalls komplexere Vorsorge getroffen werden. Letztere ist moglich, weildurch den Kulturfortschritt neue Vorsorge-Instrumente zur Verfugung ste-hen. Es handelt sich bei Kultur folglich um ein offenes System, das semenZustand relativer Ordnung im FlieBgleichgewicht findet, wo die Entropieam geringsten ist.

2.3.2 Stellung der Assekuranz im Gesamtsystem

Die primare Rolle der Assekuranz innerhalb des Gesamtsystems scheintin der Bildung materieller Vorsorge zu liegen: Durch das Versprechen desVersicherers, Versicherungsschutz zu gewahren, wird der Versicherungs-nehmer auf ein hoheres Sicherheitsniveau versetzt and der zuvor beschrie-bene Vorgang ausgelost. Bei genauer Betrachtung ist ein breiteres Bedeu-tungsspektrum von Assekuranz erkennbar.

Eine Sonderstellung der Assekuranz ergibt sich aus ihren wechselseitigenBeziehungen zu alien kulturellen Teilsystemen (bzw. zu den meisten ihrerElemente) and dem besonderen EinfluB der auBeren Natur. Daraus resul-tiert eine innerhalb des Systems ansonsten nur selten anzutreffende Kom-plexitat, die der gesamtkulturellen Entwicklung zunutze kommt: Die Er-fahrungen der Assekuranz nehmen zu, and these werden von ihr an sie be-ruhrende Elemente weitergegeben. Durch den Informationsaustausch wirdkollektives Lernen erleichtert. Weiterhin ergibt sich aus dem Wesen der As-sekuranz die Situation, daB sie materielle Vorsorge fur andere Vorsorgeele-mente sein kann: Die Gefahren des Wirtschaftens werden durch die ,Vor-sorge Assekuranz" vermindert.

Daneben bietet Assekuranz - was zunachst verwundert - ideelle Vorsorge.Das geschieht dadurch, daB zum einen tabuisierte Extremsituationen dermenschlichen Existenz, wie Krankheit oder Tod, die zum Geschaftsfeld vonVersicherung gehoren, den kollektiven VerdrangungsprozeB fordern aberauch die Enttabuisierung vorantreiben konnen, wodurch eine hohere Indi-viduation moglich wird. Zum anderen kann Versicherung als „Spiel mit derSicherheiti 13 aufgefaBt werden. Aus dem Wunsch, EinfluB auf das eigeneSchicksal nehmen zu konnen, werden Versicherungen abgeschlossen, wo-durch ein Sicherheitsgefiihl entsteht. SchlieBlich kann der Versicherungs-vertrag als Ersatz fur transzendentale Inhalte dienen, wenn andere kultu-

13 vwd: Versicherungsgeheimnis, in: Blick durch die Wirtschaft, 16. 10. 85.

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relle Institutionen keinen geistigen Halt mehr geben: „Die regelmaBige Pra-mienzahlung fur eine Versicherung hat fur viele Menschen auch den Stel-lenwert eines magischen Opfers zur Abwendung von Schicksalsschlagen" 14•

Aus dem Vorangegangenen ergibt sich die Relevanz der Assekuranz imentwicklungspsychologischen Gesamtmodell. Mit jeder neu erreichten Kul-turstufe befindet sich die Gesellsehaft auf einem hoheren Risikoniveau, d. h.analog dem Ertragsgesetz wird die Wohlfahrt durch das Eingehen von Risi-ken, welches durch Versicherung gefordert wird, uberproportional erhoht.Ab einem gewissen Risikograd kann aber auch eine Existenzbedrohung furdie Gesamtkultur entstehen, d. h. die Entropie im System wird maximal.Hier kann Assekuranz regulierend tatig werden, indem sie Versicherungs-schutz verweigert and dadurch die Wirtschaftssubjekte davon abgehaltenwerden, ein existenzbedrohendes Risiko einzugehen.

3 Assekuranz in verschiedenen Kulturzonen

3.1 Begriindung der Einteilung

In der anschlieBenden Analyse werden die relevanten Versicherungs-markte der Welt 15 in Kulturraume eingeteilt nach den Kriterien der groBenWeltreligionen bzw. die den Menschen stark beeinflussenden Weltanschau-ungen; dabei erfolgt hier eine Beschrankung auf das abendlandische Chri-stentum, das Judentum and den Islam is. Obwohl andere sinnvolle Eintei-lungen in Kulturraume moglich sind 17 , erscheint die hier gewahlte aus vierGriinden angebracht.

Auf die zentrale Rolle der Religion in der allgemeinen Kulturentwicklungwurde bereits hingewiesen. Auch in Kulturen, in denen der Sakularisati-onsprozeB weit fortgeschritten ist, hat die Religion ihre realsoziologischeWirkung nicht verloren. Der EinfluB der religiosen Wertvorstellungen findet

14 Strotzka zitiert in: vwd: Versicherungsgeheimnis, a. a. 0.15 Vgl. Arab Market Information, hrsg. v. ARIG-Insurance Group, Bahrain 1994,

S. 28 ff.; sigma, hrsg. v. Schweizerische Ruckversicherungs-Gesellschaft, 1992, Nr. 4,S. 22 ff. u. 1993, Nr. 4, S. 25 ff. Die im weiteren durchgefuhrten eigenen Berechnungenstutzen sich auf diese Quellen. Mittlerweile liegen die Zahlen uber die weltweite Ver-sicherungswirtschaft bis zum Geschaftsjahr 1994 vor (Sigma 1996, Nr. 4); die mit denZahlen der Geschaftsjahre 1990 bis 1992 hergeleiteten Aussagen werden durch dieneuesten Zahlen bestatigt, well die strukturellen Veranderungen der Versicherungs-geschafte in den einzelnen Landern and Regionen sich nur auBerst langsam vollzie-hen.

16 In der diesem Aufsatz zugrundeliegenden Arbeit werden auBerdem der christ-lich lateinamerikanische, der asiatische (mit weiterer Untergliederung) sowie derkommunistisch gepragte osteuropaische Kulturraum untersucht.

17 Z.B. nach geographischen Merkmalen (Klimazonen, Naturgefahren), Entwick-lungsstand (1.-4. Welt), Grenzen oder politischen Systemen.

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- zumeist unbewuBt - in taglichen Handlungen ihren Niederschlag. Geradein der jungsten Vergangenheit wird das gesamte Weltgeschehen zunehmenddurch religios begrundete Ereignisse gepragt. Beispiele dafur sind der welt-weite Terrorismus des Islam oder auch der Burgerkrieg zwischen Katholi-ken and Protestanten in Irland. Ein weiterer Grund fur die gewahlte Eintei-lung ist, daB gerade die Religion die Wahrnehmung objektiv vorhandenerRisiken sowie deren subjektive Einschatzung and dadurch die Angste desMenschen beeinfluBt. Ganz entscheidend ist letztlich, daB sowohl Religionals auch Assekuranz dem Menschen als Vorsorgeinstrumente gegen die ausder Sorge entspringenden Angste dienen. Dabei ist die Religion mehr ideel-les, die Assekuranz dagegen mehr materielles Vorsorgeinstrument.

Die nach den Weltreligionen geschaffenen Kulturraume werden gleicher-maBen untersucht: Zunachst werden die Charakteristika der Religionenaufgezeigt. Die Untersuchung der AuBeren Natur erfolgt im zweiten Schritt.Die Gegenwart vor ihrem geschichtlichen Hintergrund wird im drittenSchritt dargestellt. Im vierten Schritt schlieSt sich die Deskription der As-sekuranz im Bereich des Privatkundengeschaftes an, die sich in einen ge-schichtlichen tYberblick and in die Darstellung von versicherungsspezifi-schen Charakteristika and Kennzahlen gliedert. Letztere dienen nur alsOrientierungshilfen, weil die verwendeten Quellen zum Teil deutlich von-einander abweichen (Grunde: Inflation, Kursschwankungen) and die Kauf-kraft der nationalen Wahrungen verschieden ist.

Der Analyse der Kulturraume, in denen das Privatkundengeschaft be-trachtet wird, schlieSt sich eine eigenstandige Untersuchung des kultur-raumspezifischen Einflusses auf die Assekuranz im gewerblichen Geschaftan. Das geschieht, weil im gewerblichen Geschaft uberwiegend Beziehun-gen zwischen Elementen des Teilsystems Wirtschaft bestehen, was den Ein-fluB der anderen Teilsysteme vermindern konnte.

3.2 Christentum/Europa - Nordamerika - Ozeanien - Sudafrika

Zum Kulturbereich des Christentums (im weiteren auch ,abendlandi-sches Christentum" genannt) zahlt zum einen der Bereich des europaischen(nicht sozialistisch gepragten) Raumes, Nordamerikas, Ozeaniens (Austra-lien and Neuseeland) sowie Sudafrika, weil deren Einwohner uberwiegendausgewanderte (Mittel-)Europaer and deren Nachfahren sind oder von ih-nen bestimmt wurden. Eine europaisch-christlich gepragte Kultur wird un-

terstellt.

Von diesem Bereich grenzt sich der christlich-lateinamerikanische Kul-turraum ab, der kolonialisiert and ausgebeutet wurde. Das dortige Chri-stentum unterscheidet sich von dem abendlandischen Christentum in zwei-

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facher Hinsicht: Die alten Religionen wurden im Rahmen der Kolonialisie-rung zwangsweise abgeschafft, dennoch ist die Beeinflussung des Christen-turns durch autochthone einheimische Vorstellungen tiefgreifend. Weiterhinhat die afrikanischstammige Bevolkerung die Entwicklung nachhaltig ge-pragt.

Die christlichen Philippinen werden dem asiatischen Kulturkreis zuge-rechnet, weil sie geschichtlich betrachtet buddhistisch and hinduistisch ge-pragt sind. Die Analyse der nichtarabischen Staaten Afrikas ist unzweck-madig, weil fur diese Lander, in denen die Anteile der einzelnen Glaubens-richtungen annahernd gleich, die Naturreligionen verbreitet and die Gegen-satze im Lebensstandard gravierend sind, kein verwertbares Datenmaterialzur Verfugung steht.

Das Christentum ist aus deco ebenfalls streng monotheistischen Judentumhervorgegangen, aber der Christ glaubt an die Trinitat des einen Gottes.Das christliche Buch, die Bibel, berichtet von Jesus, dem ,Fleisch geworde-nen Gott" and dessen Botschaft, dem Prinzip der Liebe. Durch sie anddurch den Schopfungsglauben versteht der Christ die Wirklichkeit als vonGott gewollt and gutgeheil3en.

Friih bildet sich die Kirche als Institution heraus, an deren Spitze derauch von den weltlichen Herrschern Gehorsam fordernde Papst steht. 1054losen sich die Ostkirchen von der katholischen Kirche, 1517 spaltet sich dervon Luther begrundete Protestantismus von ihr ab, der starker den Prade-stinationsglauben betont and sich auBer in Europa vor allem in den USA,Siidafrika and Ozeanien ausbreitet.

3.2.1 Auf3ere Natur

Die meisten betrachteten Lander gehoren solchen Klimaten an, in denengroBe Temperaturschwankungen and -extreme selten sind and Humiditatvorherrscht. Die daraus resultierende nati cliche Vegetation ist uberwiegendder Wald (z. B. borealer Nadelwald). Lediglich in ostlichen Teilen der USAand in Zentralaustralien herrscht Wustenklima.

Die uberwiegende Anzahl der Staaten weist keine oder wenig Naturge-fahren auf. Ausnahmen bilden insbesondere die von nahezu allen Naturge-fahren stark bedrohten USA and das von Erdbeben bedrohte Griechenland.

3.2.2 Heutige Situation vor historischem Hintergrund

Die heutigen Strukturen gehen auf die des Mittelalters zuruck and aufdie der alten romischen and griechischen Kulturen, deren Betonung der Ra-

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do and der menschlichen Freiheit die Ausbildung von Wissenschaften anddemokratischen Strukturen fordert. Die homogene, starre mittelalterlicheGesellschaftsordnung bricht zuerst in Italien zusammen, wo aus dem Hand-lertum eine machtige besitzende Klasse entsteht; wirtschaftliche Macht be-kommt eine neue Dimension. Die Entdeckung Amerikas 1492 and die Refor-mation fuhren endgultig zur Neuzeit hin. In der Aufklarung versuchen diedurch den SakularisationsprozeB gestarkten Feudalherren, die Entwicklungihrer Lander voranzutreiben. Dennoch bleibt das sich seiner Unfreiheit be-wuBt werdende Volk arm. Es folgen Auswanderungswellen in unerschlos-sene, freie Teile der Welt, u. a. nach Sudafrika, dem Ziel fur uberwiegendcalvinistische Hollander. Siidafrika wird spater, ebenso wie Australien, bri-tische Kolonie. Die 1789 gegrundeten USA sind die erste moderne Demo-kratie. Davon beeinfluBt kommt es in Europa zu Unruhen, die in der Fran-zosischen Revolution ihren Hohepunkt finden. Deren Schlagworte werden

zum Leitbild fur ganz Europa.

Die um 1850 einsetzende Industrielle Revolution verandert alle kulturel-len Teilsysteme. Soziale Ungerechtigkeit and Ausbeutung der Massen cha-rakterisieren die Situation. Deshalb richten viele Staaten soziale Siche-rungssysteme ein (Deutschland ab 1883). Die Lander au6erhalb Europasfordern hingegen bis heute die Eigenverantwortlichkeit ihrer Burger andbieten nur begrenzt staatlich organisierte Vorsorge in Form der Sozialversi-

cherung an.

Heute gehoren alle betrachteten Lander trotz Verwiistungen durch den 2.Weltkrieg zu den reichen Nationen and sind demokratisch organisiert. Nurin Sudafrika verfugte bis in die jungste Zeit nur die reiche weiBe Minderheituber demokratische Rechte. Im betrachteten Kulturraum ist der Stand vonWissenschaft and Bildung im Vergleich zu den anderen Staaten der Weltuberdurchschnittlich hoch. Das Bevolkerungswachstum stagniert oder istnegativ. Die traditionellen familiaren Strukturen losen sich auf.

3.2.3 Geistesverfassung

Im Mittelalter lebt der Mensch in Union mit sich selbst and seiner Um-welt. Erst in der Renaissance erfahrt er als Individuum groBere Freiheit anddamit ,ein wachsendes Gefuhl der Starke and zugleich groBere Vereinsa-mung, Zweifel and Skepsis and als Folge von all dem - Angst " 18 .

Das Sicherheitsgefiihl durch die ideelle Vorsorge „Religion" laBt sichnicht mehr erhalten: Dadurch, dal3 der Protestantismus den Glauben an diebedingungslose Liebe Gottes zerstort, ruft er Angst hervor, die er nicht ab-

18 Fromm, E.: F urcht ... , a. a. 0., S. 42.

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zubauen vermag. Auch die Katholiken kannen sich dem EinfluB der neuenGedanken nicht entziehen. Aus Angst, Obrigkeitsunterwiirfigkeit and Pra-destinationsgedanken entsteht die geistige Verfassung, die den Industrialis-mus ermoglicht. Das mit dem Lohn erworbene Eigentum des zwanghaftuberaktiven Menschen ist nicht nur materielle Vorsorge, sondern zugleichStiitze seiner Selbst, d. h. ideelle Vorsorge. Daraus resultierende Tugendenpragen den individuellen Volkscharakter.

Der SakularisationsprozeB ist heute so weit fortgeschritten, daB zwar diemeisten Burger noch einer Konfessionsgemeinschaft angehoren, die Kircheaber kaum direkten EinfluB ausubt. Der Mensch verfugt uber eine groBe in-nere Freiheit, die ihn jedoch im Rahmen der Individuation in Isolation andEntfremdung fuhrt. Er versucht, ideelle Vorsorge in anderer Form als derchristlichen Religion zu treffen.

3.2.4 Assekuranz

Nur in Europa werden die auch in anderen Kulturen bestehenden versi-cherungsahnlichen Einrichtungen zur eigentlichen Versicherung weiterent-wickelt. Dabei sind genossenschaftliche Zusammenschliisse, staatliche In-itiative and die Versicherung auf kaufmannischer Grundlage zu unterschei-den.

Der genossenschaftliche Gedanke entwickelt sich aus den mittelalterli-chen Gilden and Ziinften sowie den Brandgilden des 16. Jahrhunderts. Invielen Landern, darunter die USA, werden in der Folgezeit zahlreiche aufdem Gegenseitigkeitsgedanken basierende Versicherungen gegrundet. Dieheutige Form der Gegenseitigkeitsversicherung nimmt im 19. Jahrhundertihren Beginn. Die vom Staat initiierte Versicherung mit ihm selbst als Risi-kotrager wird erstmals 1677 als Feuerkasse in Hamburg gegrundet andbreitet sich von dort in die deutschen Staaten, Osterreich and die Schweizaus. Aus den Feuerkassen entwickeln sich spater die offentlich-rechtlichenVersicherungsunternehmen. Als erste Versicherung auf kaufmannischerGrundlage tritt im 14. Jahrhundert die Seeversicherung in Oberitalien auf,nachdem die Kirche das Seedarlehen aufgrund des kanonischen Zinsverbo-tes untersagt hat. Sowohl die Sach- als auch die erste Lebensversicherungauf mathematisch-statistischer Grundlage entstehen im 17. Jahrhundert.

Das 19. Jahrhundert ist durch die Entstehung des sich auf wissenschaftli-che Methoden stiitzenden and in Versicherungssparten differenzierendenmodernen Versicherungswesens and durch die Ausbreitung des Versiche-rungsgedankens in breitere Bevolkerungsschichten gekennzeichnet. Jedochentwickeln sich trotz staatlicher and versicherungswirtschaftlicher Initiati-ve einige Versicherungszweige zunachst nur schleppend. Von Europa wird

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der Versicherungsgedanke nach Nordamerika getragen and aufgrund derTradition der personlichen Initiative des Burgers schnell aufgenommen andweiterentwickelt. Die USA entwickeln sich zum groBten Versicherungs-markt der Welt; es gelingt ihnen jedoch nicht, in europaischen Landern be-deutende Marktanteile zu erwerben, weil ihr Marketing nicht den europa-ischen Bedurfnissen entspricht. Nur langsam erlangen andere europaischenStaaten groBere Anteile am Weltversicherungsaufkommen, indem sie ihreeigenen Versicherungsmarkte ausbauen; deren Tatigkeit auf nichtnationa-len Markten bleibt gering. Der sddafrikanische and der australische Versi-cherungsmarkt entwickeln sich ahnlich wie die europaischen Versiche-rungsmarkte.

Die Auswertung der versicherungsspezifischen Kennzahlen ergibt: In die-sem Kulturkreis mit 719 Mio. Bewohnern (13,59% der Weltbevolkerung)werden 46,26% des Life- and 81,66% der Non-Life-Weltpramien erwirt-schaftet, was 72,02% des Gesamt-Weltpramienaufkommens entspricht. In-nerhalb des Kulturkreises teilen sich die 72,02% in etwa gleich in Life- andNon-Life-Geschaft auf. Die Pro-Kopf-Pramie nimmt mit 1417,65 US$ denhochsten Rang in der Welt ein. Der Anteil der Versicherungspramien amBIP betragt durchschnittlich 7,3%.

3.3 Judentum / Israel

Obgleich die grol3ten jiidischen Gruppen auf3erhalb Israels leben, wirdhier dieses Land gewahlt, weil nur in ihm ein geschlossenes judisches Kul-tursystem entstehen konnte.

Das meter als 3.000 Jahre alte Judentum scheint nur verstandlich, wennman seine zwei konstitutiven Prinzipien, das des Stammes and das des Bun-desvolkes naher betrachtet: Die Geschichte des Volkes Israel beginnt mitdem Bund seiner Stamme mit Gott. Sie mussen Gottes Gebote befolgen andwerden dafur zum auserwahlten Volk. Ein Jude begreift sich, gleich wo erlebt, als Israelit and erst sekundar der jeweiligen ,Wirtszivilisation" ange-horig. So ist verstandlich, daB die Juden sich in der langen Zeit des Exilskaum mit anderen Volkern vermischt haben.

Bereits die alten Israeliten wissen um die ,,Spannung zwischen der trans-zendenten and der irdischen Welt and deren moglicher Losungi 19 . Die Ju-

den glauben an die Allmacht Gottes, bleiben aber stets Subjekte, denen dasSich-Ergeben in ein von Gott gefugtes Schicksal fremd ist. Ein bestimmterGlaubensinhalt, ein verbindliches Gottesbild oder eine zentrale Institution- wie z. B. der Papst - sind ihnen fremd; Gott ist geglaubte Geschichte. Die

19 Eisenstadt, S. N.: Die Transformation der israelischen Gesellschaft, Frankfurtam Main 1992, S. 32.

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598 Jorg Krause

einzigen verbindlichen Dogmen sind: Einzigkeit Gottes, Offenbarung derThora, Auferstehung der Toten. Gleichwohl kommt es zu einer minutiosenRegelung des Lebens durch Ge- and Verbote.

3.3.1 Aufiere Natur

Israel liegt in der subtropischen Zone, in der Klima and naturliche Vege-tation mediterran sind. Die sud- and ostlichen Gebiete sind wustenhaft.Das Land ist erheblich von Naturgefahren bedroht. So besteht im Nordeneine hohe Wahrscheinlichkeit von Erdbeben and seismischen Flutwellen.

3.3.2 Heutige Situation vor historischem Hintergrund

Heute leben weltweit ca. 17 Mio Juden, die meisten von ihnen in den USA(ca. 6 Mio), in Israel (ca. 5 Mio) and in der GUS (keine genauen Angaben).

Nachdem Jerusalem im Jahr 70 zum zweitenmal zerstort ist, beginnt dieDiaspora. Bis zum 18. Jahrhundert andert sich wenig an der Lage der Ju-den: Sie ist gepragt von politischer Abhangigkeit, eingeschrankten rechtli-chen and wirtschaftlichen Befugnissen and der standigen Gefahr, in Un-gnade zu fallen and vertrieben zu werden. Trotz aller Beschrankungen sinddie Juden vor allem im wirtschaftlichen Sektor sehr erfolgreich.

Mit der Aufklarung andert sich die Lage in Europa: Liberalere Haltungengegenuber den Juden setzen sich durch, was zu einem beiderseitigen Off

-nungs- and AnnaherungsprozeB fiihrt. Auch nutzen die Juden schon friihdie Moglichkeiten der aufstrebenden kapitalistischen Wirtschaft und Indu-strie, was zu Wohlstand fuhrt, jedoch wieder die antisemitischen Tendenzenfordert. Diese finden spater ihren grausamen Hohepunkt im Holocaust.

Am Ende des 19. Jahrhunderts entsteht die ,nationale Revolutionsbewe-gung" der Zionisten, deren Ziel die Schaffung eines israelischen Staates ist.Nach mehreren Einwanderungswellen and mit Unterstutzung der UNO ent-steht 1948 die parlamentarische Republik Israel. Die Geschichte Israels istgezeichnet von 5tandigen, zum Teil militarischen Konflikten mit den arabi-schen Nachbarlandern, die bis heute anhalten. Das Bildungsniveau der Ju-den ist insgesamt hoch, variiert aber zwischen den Gruppen. Weiterhinkommt es zu Auseinandersetzungen zwischen einfluBreichen religiosen andweltlichen Gruppen. Probleme bereitet der wegen anhaltender Einwande-rungswellen notwendige Ausbau der Infrastruktur and die Bereitstellungvon Arbeitsplatzen; um die Probleme zu losen, entstehen zum Teil soziali-stisch gepragte Modelle. Seit der Staatsgrundung nimmt der Dienstlei-stungssektor einen sehr groBen Anteil in der Wirtschaft ein; die Landwirt-

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Kultur and Assekuranz 599

schaft ist weit entwickelt. Die Industrie muB stark gefordert werden, expan-diert dann ab Ende der 60er Jahre rapide. Die Inflation erreicht seit dem„Juni-Krieg" von 1967 zeitweilig dreistellige Werte. 1992 liegt die Inflati-onsrate bei 9,6%. Das Sozialversicherungssystem entsteht 1954.

3.3.3 Geistesverfassung

Das Judentum macht dem Menschen deutlich, daB er nicht Teil Gottes ist,sondern dessen Gemeinschaft durch praktizierte Nachstenliebe suchen soil.Dadurch wird der EinfluBbereich der Religion auf alle Bereiche des men-schlichen Lebens ausgedehnt. Nur die positive „religiose Bewertung der ir-dischen Welteni20 hat es den Juden moglich gemacht, die Diaspora als Volkzu uberstehen; sie begrundet auch die ambivalente Geistesverfassung, dieden Juden zu eigen ist:

Ideelle Vorsorge durch feste Strukturen, die neben der Religion auch derStaat gibt, konnen sich die Juden in der Diaspora selbst nicht geben. Daherschaffen sie sich durch Hinwendung zum wirtschaftlichen Sektor (auchideelle) Vorsorge. Eisenstadt zeigt in diesem Zusammenhang deutliche Par-allelen zwischen Juden and Protestanten auf. Juden bietet wirtschaftlicherErfolg weit mehr Halt als Angehorigen anderer Kulturen, weil damit politi-sche Sicherheit verbunden ist: Sie werden zwar beneidet, aber die Wirtszi-vilisationen haben fiskalisches Interesse an ihnen.

Daneben ist die heutige Geistesverfassung wegen der Feindseligkeitenmit den arabischen Nachbarstaaten von einem hohen Sicherheitsbedurfnisgepragt. Weiterhin hat der Holocaust ein Trauma hervorgerufen, das die ge-gensatzlichen Volksgruppen miteinander verbindet.

3.3.4 Assekuranz

In den 30er Jahren, als schon zahlreiche Juden im spateren israelischenStaatsgebiet siedeln, arbeiten dort bereits 60 iiberwiegend auslandischeVersicherer. Nach der Staatsgrundung entstehen zahlreiche, schnell wach-sende nationale Versicherer. 1979 arbeiten insgesamt 88 Versicherer in Is-rael, von denen die 45 auslandischen Gesellschaften nur 9% des Pramien-aufkommens erwirtschaften.

Der israelische Versicherungsmarkt ist aus drei Grunden von einem Kon-zentrationsprozeB gepragt: Erstens mussen, als 1983 der heimische Kapital-markt zusammenbricht, eine Vielzahl von Versicherungsgesellschaften, die

20 Eisenstadt, S. N.: Transformation ... , a. a. 0., S. 52.

38 Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 4

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600 Jorg Krause

in Bankenaktien investiert haben, Konkurs anmelden oder werden von gro-Ben Gesellschaften aufgekauft. Zweitens bereitet zunachst die InflationSchwierigkeiten, die aber durch Indexierung der Vertrage eingedammt wer-den konnen. Drittens ist bei vielen Versicherern das versicherungstechni-sche Aquivalenzprinzip nicht erfizllt. Die Griinde dafiir, daB seit Jahrzehn-ten, besonders in den Sachsparten, Verluste erwirtschaftet werden, sindzum einen in der Schadenentwicklung zu sehen; das Anderungsrisiko hatsich realisiert. Zum anderen fehlt es lange an ausgebildetem Fachpersonal,insbesondere im oberen Managementbereich. Heute gilt das Fachpersonalals qualifiziert. Fehlentscheidungen in der allgemeinen Geschaftspolitikand die Realisation des Irrtumsrisikos verursachen weitere Verluste. Der ineinigen Sparten herrschende ruinose Wettbewerb verscharft die Situation.Doch der Markt reagiert sehr schnell auf Veranderungen, so daB die Bilan-zen der Versicherer fur 1993 positive Ergebnisse aufweisen.

Heute teilen sich drei Versicherungsgruppen Marktanteile von 73%. Nochist es nicht gelungen, die schadentrachtigen Sparten, vor allem die Kfz-Kaskoversicherung (die Kfz-Haftpflichtversicherung ist staatlich organi-siert), zu sanieren. Auch im Bereich der Sozialversicherung drohen Insol-venzen, falls der Staat keine Finanzhilfen zusagt.

Die Auswertung der versicherungsspezifischen Kennzahlen ergibt: Israelmit ca. 5 Mio. Bewohnern (0,09% der Weltbevolkerung) erwirtschaftet0,16% des Life- and 0,28% des Non-Life-Weltpramienaufkommens. Dasentspricht 0,22% des Gesamt-Weltpramienaufkommens; diese teilen sichinnerhalb Israels auf in 60,92% fur das Non-Life- and in 39,11% fiir das Li-fe-Geschaft. Die Pro-Kopf-Pramie betragt 622,60 US$ and der Anteil derVersicherungspramien am BIP 5,2%.

3.4 Islam / Arabien

Der hier untersuchte Kulturraum umfaBt den arabischen Raum, die Tur-kei and den Iran (im folgenden ,Arabien" genannt). Trotz groBer islami-scher Gemeinschaften im fernostlichen Asien, wie in Indonesien, be-schrankt sich die Analyse auf Arabien, weil die ,aktive Umwandlung reli-giosen Glaubens in ein kulturstiftendes Element [ ... ] im sudasiatischen Is-lam lange gar nicht oder allenfalls sehr schwach [stattfindet. Erst spatererfolgt die Transformation des BewuBtseins in] Richtung auf die Schaffungumfassender islamischer Kulturmusterr 21 . Daher durften die fur Arabiengetroffenen Aussagen tendenziell auch fur die moslemischen Bevolkerungs-schichten der anderen asiatischen Staaten zutreffen.

21 Kulturen der Achsenzeit II. Ihre institutionelle and kulturelle Dynamik, Teil 3,hrsg. v. S. N. Eisenstadt, Frankfurt am Main 1992, S. 158 f.

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Kultur and Assekuranz 601

Der von Mohammed im Jahr 610 gestiftete Islam hat die gleichen Wurzelnwie das Juden- and das Christentum. Jesus ist fur den Mohammedaner le-diglich ein Prophet, Mohammed selbst wird als der letzte groBe Prophet an-gesehen. Das Wesen des Islam ist in drei Kernaussagen zu fassen.

Zum ersten ist der Islam eine Religion der Offentlichkeit. Das Ideal liegt

in der umma (Gemeinschaft der Glaubigen). Zum zweiten erfaBt er denMenschen integral: Aus dem Wort Allahs, dem Koran, and dem Wort desPropheten, der Sunna sowie deren Auslegung durch Juristen ergibt sich,,das Netz von Einzelvorschriften, Regelung des Lebens in seiner Gesamt-heit [ ... ]; der Islam ist im besten Sinne totalitar" 22 . Für den Moslem ist der

- haufig als Fatalismus bezeichnete - Pradestinationsglaube bestimmend,der dem protestantischen Weltbild ahnelt, aber konsequenter ist. Er glaubtan die Wiederauferstehung and an das Paradies. Zum dritten sieht der Is-lam sein Ideal in einer Gesellschaft, in der alle Menschen der umma angeho-ren, also der ideale Zustand der Vergangenheit wieder hergestellt ist. Dar-um kann ,Erneuerung nur als Ruckkehr zu den groBen and wunderbaren

Anfangeni 23 zu verstehen sein. Aus dieser Sicht erklart sich der weltmissi-

onarische Charakter des Islam (,,heiliger Krieg").

3.4.1 AuJ3ere Natur

Die iiberwiegend in der subtropischen Zone liegenden arabischen Staatenweisen, sofern nicht direkte Mittelmeernahe mediterranes Klima bedingt,wintermildes Steppen- and groBtenteils Wustenklima auf. Die sich darausergebende naturliche Vegetation ist Trockensavanne, Halbwiiste and Wdste.Weite Teile Arabiens sind wenig oder gar nicht von Naturgefahren bedroht.Allerdings ist das Zerstorungspotential durch Erdbeben vor allem in derTurkei and im Iran groB.

3.4.2 Heutige Situation vor historischem Hintergrund;

Mohammed war der letzte Prophet, so bleibt semen Nachfolgern ,nur"die Leitung der Gemeinde beim Gebet and im heiligen Krieg; das Herr-schaftsgebiet des Islam breitet sich stetig aus. Die auch im Handel entste-hende Machtposition der traditionell nomadisch lebenden Araber fuhrt zurBlute der Kultur, die mit den Attributen Offenheit, Eifer and Toleranz cha-rakterisiert werden kann. Bedingt durch den Wegfall des Wegemonopols im

22 Ess, J. v.: Islam, in: Die funf groBen Weltreligionen, hrsg. v. E. Brunner-Traut,4. Aufl., Freiburg, Basel, Wien 1991, S. 73.

23 Ess, J. v.: Islam, a. a. 0., S. 70.

38*

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Handel - der Seeweg nach Asien ist entdeckt - verfallt langsam die arabi-sche Welt. Der neue Kontakt zum Abendland, dessen Beginn oft mit demEinfall Napoleons in Agypten (1798-1801) angesetzt wird, ist gepragt durchden Ausbau der europaischen Machtpositionen. Die Zeit ab 1945 ist ge-kennzeichnet durch das Streben der arabischen Staaten nach Souveranitat;es brechen, wie in Algerien, jahrelange Burgerkriege aus. Spannungen ent-stehen weiterhin durch die Grundung des Staates Israel and den Ausbauder Machtpositionen der USA and der Sowjetunion. Ein Hauptgrund desInteresses der westlichen Welt an Arabien ist ihre Abhangigkeit von dessenOlreserven.

Heute sind, bedingt durch den FremdeinfluB, zahlreiche Subkulturen inArabien vorzufinden. Lander mit groBen Olvorraten sind in kiirzester Zeitsehr reich geworden and beschaftigen eine Vielzahl an Auslandern, die denEinheimischen die Arbeit abnehmen. Das fuhrt zu einem „Know-how-Im-port", der sich auf alle kulturellen Bereiche auswirkt: Das Bildungsniveausteigt, die Infrastruktur wird ausgebaut, arztliche Hilfe kann umsonst inAnspruch genommen werden. Ein umfassendes Sozialversicherungssystembesteht jedoch in ganz Arabien noch nicht. Neben der Olindustrie wachsenauch andere Industriezweige. Demgegenuber sind die hochverschuldetenStaaten ohne Olvorkommen abhangig von internationaler Entwicklungshil-fe. Das Bildungsniveau ist schlecht, and die wirtschaftlichen Probleme fuh-ren zu Migrationsproblemen.

In Zeiten der westlichen Okkupation wurde die Konfrontation mit demeuropaischen Lebensstil erzwungen. Doch auch nach Erlangung der Souve-ranitat streben viele Herrscher and Regierungen die Liberalisierung des is-lamischen Lebensstils an, was auf erbitterten Widerstand der Fundamenta-listen stof3t. Breite Volksschichten unterstiizen die an Macht gewinnendenislamisch-konservativen Fizhrer.

3.4.3 Geistesverfassung

Der Islam formt die Umwelt des Menschen, erfaBt ihn ,ganzheitlich,nicht nur in seiner Innerlichkeiti 24 . So verbinden sich ideelle and materielleVorsorge auBergewohnlich intensiv. Der Moslem hat durch die GewiBheit,ins Paradies zu kommen, wenig Angst vor dem Tod and erlebt die Welt posi-tiv. Neben den festen Familienstrukturen ist, anders als in vielen anderenReligionen, auch in der umma eine real existente Gemeinschaft des Lebens-gefuhls evident. Sie gibt Halt, hemmt aber die Ausbildung eines autonomenStaates and die Individuation des einzelnen. Jedoch erzwingen die westli-chen Staaten die Integration in das moderne internationale System. Daher

24 Ess, J. v.: Islam, a. a. 0., S. 69.

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Kultur and Assekuranz 603

ist „die Wahrnehmung and das BewuBtwerden der ,anderen` durch die Ara-ber keine freie Willensentscheidung [ ... ]. [Daraus folgt eine innere Zerris-senheit] zwischen dem Erbe der Vergangenheit, den Anforderungen der Ge-genwart and den Hoffnungen fur die Zukunfti 25 . Der durch den Reichtumermoglichte westliche Lebensstil fasziniert den Araber, gleichzeitig be-furchtet er aber Moralverfall (Ablehnungs-Bewunderungs-Syndrom).

Ob sich die Entwicklung der Individuation der Araber durch die dortvielfach geforderte Ruckkehr zum koranischen Lebensstil and durch Ein-dammung des westlichen Einflusses aufhalten laBt, ist zu bezweifeln, weilsich kein von Einnahmen aus dem Olsektor abhangiges Land dauerhaft iso-lieren kann. Andererseits unterstutzt das Volk die religiosen Eiferer mit ei-ner Konsequenz, daB auch die gegenteilige Prognose moglich ist. Die Ent-wicklung bleibt abzuwarten.

Inwieweit die Moslems heute wirklich noch an Gott glauben and sich da-durch ideelle Vorsorge geben, bleibt offen, weil ,bewuBte Abkehr vom Islam[ ... ] willentlicher AusschluB aus der Gesellschaft, in der man lebti 26 , ware

and nicht toleriert wird. Der an der Gottesexistenz Zweifelnde wird in derOffentlichkeit die islamischen Gesetze befolgen, womit er seine gesell-schaftlichen Pflichten erfullt. Hier zeigt sich die Doppelmoral der Araber:Verbotenes wird nicht geahndet, so lange es heimlich praktiziert wird.

3.4.4 Assekuranz

Die Religion verpflichtet die Burger zur Mildtatigkeit; daher empfindensie die im 18. Jahrhundert von den Europaern eingefuhrte Versicherung alsfremd and prufen sie auf Zulassigkeit im Sinne des Korans. Ibn Abidins(1784-1836) richtungsweisendes Urteil lautet, daB der AbschluB einer Versi-cherung innerhalb der islamischen Rechtssphare verboten ist, er aber statt-haft ist mit Versicherungsgesellschaften, die auBerhalb der islamischen Weltihren Sitz haben. Als die Bedenken gegen die Assekuranz weitgehend besei-tigt sind, fiihren die Englander 1882 die Lebensversicherung in Agyptenein. Doch erst nach dem 1. Weltkrieg lassen sich verstarkt auslandische Ver-sicherer in Arabien nieder; nationale Gesellschaften entstehen erst viel spa-ter, z. B. die staatliche Versicherungsgesellschaft im Iran in den 30er Jahren,in die spater die Sozialversicherung integriert wird. Zahlreiche Lander ver-staatlichen ab Ende der 50er Jahre ihr gesamtes Versicherungswesen (soauch der Iran 1979), hauptsachlich zur Eindammung der Abhangigkeit vomAusland and zur Vermeidung von Devisenabflilssen.

25 Rettet die Weltkulturen. Der multikulturelle Planet, Report einer unabhangigenExpertengruppe an die UNESCO, hrsg. v. E. Laszlo, Stuttgart 1993, S. 99.

26 Ess, J. v.: Islam, a. a. 0., S. 71.

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Anfang der Her Jahre wird die Frage nach der Zulassigkeit der Versiche-rung westlicher Pragung im Islam neu gestellt and aus verschiedenen Grun-den verneint. Bis heute hat die Versicherungswirtschaft Schwierigkeiten,mit dem Koran vereinbare Versicherungsmodelle (vor allem in der Lebens-versicherung) zu entwickeln. Die in vielen anderen Staaten der Welt dblicheobligatorische Kfz-Haftpflichtversicherung gibt es nur in wenigen arabi-schen Staaten.

Vielen Burgern ist Versicherung noch immer fremd oder unheimlich, andaus Aberglauben wird der AbschluB von Lebensversicherungen vermieden.Auch tragt die durch den Pradestinationsglauben gepragte Geistesverfas-sung mit ihrer ,typischen Abneigung [ ... ] gegen jede UngewiBheit and da-mit auch die UngewiBheit des Schicksalss 27 zur Errichtung psychologischerBarrieren gegen organisierte Vorsorge bei.

Die Auswertung der versicherungsspezifischen Kennzahlen ergibt: Insge-samt werden im arabisch-islamischen Kulturkreis mit 341 Mio. Bewohnern(6,44% der Weltbevolkerung) 0,11% des Life- and 0,88% des Non-Life-Weltpramienaufkommens erwirtschaftet. Das entspricht 0,48% des Ge-samt-Weltpramienaufkommens. Innerhalb des Kulturkreises teilen sich die0,48% auf in 87,3% fur das Non-Life- and in 12,7% fir das Life-Geschaft.Die Pro-Kopf-Pramie betragt 19,72 US$ and der Anteil der Versicherungs-pramien am BIP durchschnittlich 1% (nur Arabien ohne Turkei and Iran).

3.5 Streiflicht gewerbliche Versicherung 28

Allgemein gilt, daB bei groBgewerblichen Unternehmen - die Industrie-unternehmen stehen hier im Vordergrund - keine Produktion mehr ohneVersicherung vorstellbar ist.

Im Unterschied zu den anderen untersuchten Kulturkreisen, stammt inArabien ein GroBteil der Assekuranz aus dem Regierungsgeschaft, d. h. dieRegierungen versichern die staatseigene ((Dl-)Industrie and staatliche Pro-jekte. Der Deckungsumfang weist keine Charakteristika auf. Die Vertragewerden teilweise ohne Wissen des Volkes abgeschlossen, well sie den islami-schen Vorschriften widersprechen. Im gewerblichen Geschaft sind Preisab-sprachen zwischen den Versicherern ublich.

Insgesamt ist die Versicherungsnachfrage im groBgewerblichen Geschaftin alien Kulturkreisen ahnlich. Deutlichere Unterschiede ergeben sich ausder Art der Vertragsverhandlungen. Die Amerikaner sind fizr ihre kurzfri-stigen Vertrage and direktes Vorgehen bekannt. Hingegen denken Europaer

27 Klingmuller, E.: Rezeption ... , a. a. 0., S. 163.28 Die Informationen wurden aus Gesprachen mit Praktikern gewonnen.

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Kultur and Assekuranz 605

eher langfristig, and die Japaner gehen in Vertragsverhandlungen zuri ck-haltend vor. Vor allem in den arabischen and asiatischen Kulturen ist daspersonliche Vertrauen ausschlaggebender Faktor fur erfolgreiche Ge-schaftsbeziehungen. Dagegen stehen in den christlichen Kulturkreisen dieLeistungen and der kurzfristige Erfolg im Vordergrund.

4 Gesamtmodell

4.1 Vergleichende Analyse der Kulturraume

Kultur and Assekuranz sind komplexe Phanomene. Daher sind die fol-genden Aussagen zu Wirkungszusammenhangen jeweils als Teilerklarungenaufzufassen and ergeben nur in ihrer Summe ein stimmiges Bild.

4.1.1 Weltreligionen

In Kapitel zwei wurde auf allgemeintheoretischer Ebene die besondereStellung der Religion im Kultursystem aufgezeigt. Die Untersuchung derWeltreligionen im dritten Kapitel ergab ein differenzierteres Bild. Verglei-chend laBt sich feststellen, daB sie alle versuchen, dem Menschen die derSorge entspringende Angst vor der Transzendenz des Todes zu nehmen; alsideelle Vorsorge geben sie ihm ein Ziel vor and dadurch seinem Leben einenSinn. In ihrem Wesen variieren die Ziele, doch lassen sich drei Gruppen un-terscheiden.

Der ersten Gruppe sind die Religionen zugeordnet, deren Konzeptionenrein jenseitig ausgerichtet sind. Hierzu zahlen vor allem die asiatischen Re-ligionen, wie Hinduismus and Buddhismus. Die zweite Gruppe bilden dieWeltanschauungen, die dem jenseitigen Sein gegenuber Interesselosigkeitzeigen: Konfuzianismus, Shintoismus and Kommunismus.

Der dritten Gruppe sind die drei in diesem Aufsatz untersuchten Religio-nen zuzuordnen. Sie sehen den Sinn des menschlichen Lebens (wie die ersteGruppe) in der jenseitigen Existenz des Menschen, die Sicht des Diesseiti-gen ist aber grundsatzlich positiv. Alle drei Religionen weisen den Men-schen an, sich die Erde untertan zu machen. Doch ist die aktive Gestaltungder Welt kein Selbstzweck, vielmehr zeigt sich in dieser Gestaltung and imUmgang mit dem Nachsten der Weg zu Gott and damit zur Ewigkeit. Dar-aus ergibt sich die urspriingliche Forderung der Religion, daB sich ihr alleanderen kulturellen Teilsysteme unterzuordnen haben. Innerhalb eines sol-chen Kultursystems ist fur Assekuranz kaum Raum. Denn die Anhaufungbzw. Sicherung materieller Werte tritt hinter der religiosen Gestaltung desLebens zuruck; daher sind wenig versicherungsfahige Objekte vorhanden.

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Weiterhin bietet die rein religiose Erfassung des gesamten Lebens - oft inVerbindung mit dem Schicksalsglauben - ein solches MaB an ideeller Vor-sorge, daB materielle Vorsorge in Form von Versicherung nicht entwickeltoder nachgefragt wird. Dieser Schicksalsglaube ist nach wie vor im mosle-mischen Glauben verhaftet, was zum Teil materielle Vorsorge in direktenWiderspruch zu ideeller Daseinsvorsorge setzt.

Verliert aber die Religion - unfreiwillig wie im Judentum oder als Folgeeines Prozesses wie im abendlandischen Christentum - die weltbildkonsti-tuierende Rolle (im Rahmen der Individuation), andert sich die Einstellungzum Materiellen. Wirtschaftlicher Erfolg, die Ansammlung materieller Gu-ter and mindestens der Erhalt des Status quo wird innerhalb der Kulturzum Fetisch 29. Solch eine Bejahung des Materiellen fordert auch die mate-rielle Vorsorge Assekuranz. Denn zum einen steigt die Anzahl der versiche-rungsfahigen Objekte, zum andern begunstigt die veranderte Geistesverfas-sung der Menschen den Wunsch, das bereits Erlangte zu schutzen, urn somitdem Leben einen hoheren Grad an Stabilitat - Sicherheit - geben zu kon-nen.

4.1.2 Auf3ere Natur

Indem die auBere Natur maBgeblich die Lebensbedingungen einer Kulturdeterminiert, pragt sie ebenfalls deren Geistesverfassung. Die in Kapiteldrei durchgefiihrte Untersuchung der auBeren Natur in den Kulturkreisenergibt eine solche Vielzahl von Kombinationen aus Klimaten and Naturge-fahren, daB eine vergleichende Analyse keine GesetzmaBigkeiten aufzeigen,sondern nur zu Tendenzaussagen fiihren kann.

Der arabische Raum liegt uberwiegend in der lebensfeindlichen Wuste,an die die Araber ihre Lebensbedingungen anpassen muBten. So fuhrtenWasserknappheit and karge Weideflachen zur Auspragung der nomadi-schen Lebensweise. Heute ist das Wanderleben nicht mehr verbreitet, dochist dessen Tradition tief in der Geistesverfassung der Menschen verwurzelt.So hemmt die Tradition des Weiterziehens die Ansammlung von „festenWerten", z. B. in Form von Immobilien oder Wohnungseinrichtungen. DasVermogen wird eher in solchen Sachen angelegt, die im weitesten Sinne mo-bil sind, wie z. B. Goldschmuck oder teure Autos. Das hat Auswirkungenauf die Assekuranz: Zum einen konnen Nachfrageprobleme auftreten, weildie Menschen ihr Eigentum allein dadurch fiir gesichert hasten, daB sie es

29 „Nun sind wir einem desorientierten Drang zur Betatigung ausgeliefert. Ohneuns fiber die Welt and fiber unser Leben ins Klare kommen zu lassen, jagt uns derGeist unserer Zeit ins Wirken hinaus. [...] So ziehen wir als heimatlose, trunkeneSoidner im zunehmenden Dunkel der Weltanschauungslosigkeit dahin". Schweizer,A.: Verfall and Wiederaufbau der Kultur, Munchen 1925, S. 60.

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Kultur and Assekuranz 607

am eigenen Korper tragen. Zum anderen ergeben sich Angebotsproblemeauf Seiten der Versicherungsunternehmen, weil die Versicherbarkeit solcherRisiken erheblich erschwert ist.

Neben dem zuvor beschriebenen EinfluB der auBeren Natur auf die Le-bensgewohnheiten der Araber ist eine weitere Parallele feststellbar: Nur inWustenregionen, die dem Menschen extreme Anpassung abverlangen, hatsich eine bedingungslose Bereitschaft zur Unterordnung der gesamten Kul-tur unter die gleichfalls als extrem zu bezeichnende Religion herausgebil-det. In anderen moslemischen Landern, wie Indonesien, hat der Islam dengleichen Machtanspruch, konnte ihn aber bis heute nicht durchsetzen. Eskann damit festgehalten werden, daB sowohl Faktoren der Religion als auchder auBeren Natur auf die Vorsorge Assekuranz EinfluB nehmen.

In Israel herrschen ahnlich harte Lebensbedingungen vor wie in Arabien.Das Klima ist etwas gemaBigter, doch ist die Bedrohung durch Erdbebenvergleichbar. Das konnte zu den gleichen Konsequenzen fiir die Assekuranzfuhren wie im arabischen Kulturraum. Die judische Kultur ist jedoch durchdie Diaspora weltoffener geworden; der Individuationsgrad der Kultur istgroB. Die Juden kennen die Tradition des Wanderlebens nicht mehr. Darausergibt sich, daB die Versicherungsnachfrage weniger von der auBeren Natur,sondern mehr von Kulturfaktoren beeinfluBt wird.

Im europaisch geprdgten christlichen Kulturraum herrschen gemaBigte,kuhlere Klimate vor, and Naturgefahren sind begrenzt. Die USA and Au-stralien bilden eine Ausnahme. Doch aufgrund ihrer GroBe ist ein geogra-phischer Risikoausgleich moglich. Soich eine Lage der Kulturraume begun-stigt den Erwerb von bleibenden Werten (Eigentum), die schutz- and damitversicherungswurdig sind. Diese Tendenz zeigt sich auch daran, daB imchristlich-abendlandisch gepragten Kulturkreis fiber 80% des Non-Life-aber ,nur" ca. 46% des Life-Weltpramienvolumens erwirtschaftet werden.

4.1.3 Heutige Situation vor historischem Hintergrund

Mit der anbrechenden Neuzeit beginnt die europaische Kultur, die ande-ren Kulturen der Welt in ihre Abhangigkeit zu fiihren. Eine derartige Politikwird spater auch von den Nordamerikanern ubernommen. Diese Entwick-lung hat zur Folge, daB sich die anderen Kulturen der Welt nicht frei ent-wickeln konnen, sie ausgebeutet werden and gezwungen sind, in weiten Be-reichen die Kulturmuster der fremden Machte zu adaptieren. Fur die christ-lich-abendlandische Kultur bedeutet die Ausbeutung der Fremdkulturenzum einen grolen Reichtum, zum anderen dringt neues Gedankengut durchden Kontakt zu den Fremden in die einzelnen Teilsysteme von Kultur, was

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zu deren Weiterentwicklung fuhrt and damit die Entwicklung der Asseku-ranz begiinstigt.

Noch heute IaBt sich die Welt in zwei Gruppen einteilen: Die erste Gruppebesteht aus den groBen Industrienationen, den ehemaligen Imperialmach-ten, die den Grolteil des Weltvermogens - and damit der versicherungs-fahigen Objekte - besitzen. Dies sind viele Staaten des christlich-abendlan-dischen Kulturraums and Japan. Neben dem Vorhandensein von versiche-rungsfahigen Objekten ist in diesen Staaten die gesamte Auspragung desKultursystems fur Assekuranz gunstig.

Alle kulturellen Teilsysteme sind weit entwickelt, and das gesamtkultu-relle System ist weitgehend stabil. Als Gunstfaktoren sind zu nennen: dieWissenschaften, welche die Voraussetzung fur qualitatives Risk-Manage-ment bieten, and das hohe Bildungsniveau, das die Umsetzung wissen-schaftlicher Ergebnisse in den Versicherungsunternehmen ermoglicht. Da-neben fordert das hohe Bildungsniveau die Versicherungsnachfrage, weildas erklarungsbediirftige immaterielle Produkt Versicherung schwierig zubegreifen ist. Die Regierungen fordern meist aktiv die Assekuranz.

Die zweite Gruppe bilden die restlichen - mehr oder weniger armen -Staaten der Welt. Die Zusammensetzung dieser Gruppe ist inhomogen: DerGrad der Armut bzw. des Wohistandes, des Bildungniveaus, der Stand derWissenschaften and die z. B. durch Inflation gestorte Stabilitat der kultu-rellen Teilsysteme variieren zwischen and innerhalb der Kulturraume. Furdie Assekuranz ergeben sich aus der Auspragung der Parameter zum Teil er-hebliche Ungunstfaktoren.

Somit laBt sich allgemein festhalten, daB die Bedingungen fur Assekuranzum so besser sind, je differenzierter - and damit spezialisierter - die kultu-rellen Teilsysteme sind and je mehr versicherungsfahige Objekte vorhandensind.

4.1.4 Geistesverfassung

Die Untersuchungen haben deutlich gemacht, daB unter Berucksichti-gung der allgemeinkulturellen, vor allem der wirtschaftlichen, Situation so-wohl der Grad der religiosen Beeinflussung als auch die Bedingungen derauBeren Natur auf die Geistesverfassung der Menschen and damit auf derenVorsorgeverhalten in Form von Assekuranz maBgeblichen EinfluB nehmen.Hieraus ergibt sich, daB die Lebensbedingungen in einer Kultur untrennbarmit deren Geistesverfassung verknupft sind. Somit ergibt sich, daB sich dieauBeren Gunstfaktoren fur Assekuranz mit der geistigen Grundhaltung derMenschen decken mussen, damit Assekuranz erfolgreich sein kann.

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4.1.5 Assekuranz

Die vergleichende Analyse der versicherungsspezifischen Parameterzeigt, daB die Assekuranz in den Kulturraumen von unterschiedlicher Be-deutung ist. Die Auswertung der absoluten Zahlen ergibt, daB das abend-landische Christentum mit Abstand den groBten Versicherungsmarkt bildet.In Israel leben 0,09% der Weltbevolkerung, die 0,66% des Weltpramienauf-kommens erwirtschaften. Der Anteil am Weltpramienaufkommen in Ara-bien ist im Verhaltnis zur Anzahl der dort lebenden Menschen verschwin-dend gering. (Vgl. Tabelle 1)

Tabelle 1

Versicherungsspezifische Parameter

Anteile des Kulturkreises (in %) .. .

an der Welt- am kumulier- am Welt- der Pramien

bevolkerung ten ,,BIP" aller pramien- am ,,BIP"

betrachteten aufkommenKulturen

Abdl. Christentum 13,59 62,17 72,07 7,03

Israel 0,09 0,26 0,22 5,20

Arabien 6,44 5,32 0,48 0,54

Diese Daten bestatigen die in Kapitel 4.1.3 gemachten Aussagen, weil derabendlandisch-christliche Kulturraum zuzuglich Japan (21,76% des Welt-pramienaufkommens!) insgesamt auch die groBte allgemeinwirtschaftlicheWertschopfung erwirtschaftet (als Orientierunghilfe wurden die BIP alleruntersuchten Kulturen kumuliert and zueinander ins Verhaltnis gesetzt).Auch wird eine vergleichsweise hohe Einkommenselastizitat der Nachfragein bezug auf die Assekuranz angenommen. Solch ein Ansatz ist jedoch nichterschopfend, weil uber die Motivation der Versicherungsnehmer, Versiche-rungsprodukte nachzufragen, keine Aussagen gemacht werden. Zur Erkla-rung mussen vielmehr die Aussagen aus den Kapiteln 4.1.1 and 4.1.2 heran-gezogen werden. Danach ist die erhohte Versicherungsnachfrage aus derGeistesverfassung der Menschen zu begrunden. Die Assekuranz wird alsErsatz fur andere Vorsorgeinstrumente eingesetzt and ubernimmt nicht nurmaterielle, sondern auch immaterielle Vorsorge. Der arabische Kulturraumzeichnet sich durch einen unterdurchschnittlichen Anteil am Weltpramien-aufkommen im Verhaltnis zur Summe der BIP aus. Das ist auf die starke Po-sition der Religion zuruckzufuhren, welche die Assekuranz aktiv behindert.Daneben wird dadurch die in Kapitel 4.1.1 geauBerte Vermutung gestiitzt,

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daB die Araber so viel ideelle Vorsorge durch andere kulturelle Teilsystemeerhalten, daB Assekuranz fur nicht so wichtig erachtet wird.

Abbildung 2: Verhaltnis der Pramienverteilung differenziert nach Life- and Non-Li-fe-Anteilen in den Kulturraumen.

Der Vergleich der Anteile der Versicherungspramien am BIP in den ein-zelnen Kulturraumen fuhrt zu demselben Ergebnis wie die zuvor beschrie-bene Auswertung.

Ein weiterer zu untersuchender Parameter ist das Verhaltnis der Life- zuden Non-Life-Pramien (vgl. Abb. 2). Wieder lassen sich Israel and derchristlich abendlandische Kulturraum zusammenfassen. Das Verhaltnis vonLife- zu Non-Life-Pramien ist relativ ausgewogen zugunsten eines leichtenUbergewichts des Non-Life-Anteils. Hingegen liegt der Non-Life-Anteil imarabischen Kulturraum erheblich hoher. Dort nimmt die Religion noch dieweltbildkonstituierende Rolle ein. Zum einen bietet die Religion noch einhbhes MaB an ideeller Vorsorge and macht daher Versicherung weitgehendentbehrlich. Zum anderen wird gerade der AbschluB von Lebensversiche-rungen als Eingriff in die Vorsehung Gottes angesehen and unterbleibt des-halb haufig.

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4.2 Modell

Aufbauend auf den Erkenntnissen, die aus den modellhaften Untersu-chungen der Entwicklungsgeschichte von Kultur and Assekuranz im zwei-ten Kapitel and aus der Zusammenstellung charakteristischer Merkmaleeinzelner Kulturzonen im dritten Kapitel gewonnen wurden, wird im fol-genden ein Gesamtmodell fiir die Assekuranz auf hoherem Abstraktionsni-veau entwickelt (vgl. Abb. 3). Aufgrund der festgestellten Parallelitat zwi-schen der typischen Lebensform eines Kulturelementes (eines Menschen)and seiner Geistesverfassung, wird die Hypothese aufgestellt, daB die Gei-stesverfassung als Spiegel der typischen Lebensform eines Elementes zuverstehen ist. Daher werden im Gesamtmodell ausschlieBlich die Geistes-verfassungen der Kulturelemente betrachtet.

Ebenso wie die einzelnen Elemente im Kultursystem uber spezifischeGeistesverfassungen verfugen, finden sich solche auch Air die einzelnenTeilsysteme. Diese sind als aggregierte Geistesverfassungen einzelner Ele-mente zu verstehen.

Dabei geht die primare Pragung von im Teilsystem aktiv tatigen Elemen-ten aus, die sekundare von auBerhalb des Teilsystems stehenden, aber mitihm verbundenen Elementen. Der Grad des Einflusses variiert deutlich andhangt von der Einschatzung ab, welche Position die beeinflussenden Ele-mente and Teilsysteme im kulturellen Weltbild einnehmen. Als Beispiel istdas Teilsystem Wirtschaft zu nennen: Die Geistesverfassung des einzelnenUnternehmens stellt sich als Aggregat von Geistesverfassungen dar. DiesesAggregat setzt sich zunachst aus den Geistesverfassungen seiner Koaliti-onspartner - Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Anteilseigner, Vertragspartner -zusammen. Weiterhin gehen in das Aggregat die Geistesverfassungen alleranderen mit dem Unternehmen - auch indirekt - in Beziehung stehendenElemente and Teilsysteme von Kultur ein, wie z. B. die Moralvorstellungender Teilsysteme Politik, Recht and vor allem die der Religion. Hat die Reli-gion noch die weltbildkonstituierende Rolle inne, ist ihr EinfluB auf dieGeistesverfassung ubermachtig. Die Geistesverfassung des gesamten Teilsy-stems Wirtschaft bildet sich aus der Summe der Geistesverfassungen derUnternehmen, ihrer Koalitionspartner and den anderen beeinflussendenGeistesverfassungen der Kultur. Die Bildung der gesamtkulturellen Gei-stesverfassung verlauft analog. Deutlich wird hier die Kybernetik des Sy-stems, well aufgrund der Interdependenz aller Geistesverfassungen eine Re-

gulation stattfindet.

Ausgangspun1 t des Modells ist das Versicherungsbedurfnis. A lgemeinkann als Bedurfnis die subjektive Empfindung eines Mangels bezeichnetwerden, verbunden mit dem Verlangen, diesen Mangel zu'beseitigen. Dabeitreten Bedurfnisse des Bediirfnistragers nicht nach auBen, sondern sind Teil

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Abbildung 3: Gesamtmodell

seiner Geistesverfassung. Das impliziert, dai3 auch das Versicherungsbe-diirfnis in unbedingter Abhangigkeit zu den anderen Geistesverfassungender Kultur steht. Das Versicherungsbediirfnis ist danach der bewuBt oderunbewuf3t empfundene Mangel an Versicherungsschutz, den das Wirt-schaftssubjekt zu beheben versucht. Vom allgemeinen Bedurfnis nach Si-cherheit, dem das Versicherungsbedurfnis entspringt, unterscheidet es sichdurch die Moglichkeit, am Markt befriedigt zu werden and stellt somit einwirtschaftliches Bedurfnis dar. Aufgrund der Vielzahl der wirtschaftlichen

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BedUrfnisse and der in aller Regel beschrankten Kaufkraft des Wirtschafts-subjektes (Versicherungsbedarf) hangt es von der Intensitat des Versiche-rungsbedurfnisses gegenuber den anderen Bedurfnissen ab, inwieweit es alsNachfrage auf den Markt tritt.

Das Versicherungsunternehmen hat - wie alle Unternehmen - seine spezi-fische Geistesverfassung. Von dieser hangt es ab, welche Versicherungspro-dukte dem Markt zur Verfugung gestellt werden and damit, weiche Bedurf-nisse der Wirtschaftssubjekte erft llt werden konnen.

Die zuvor durchgefiihrte Untersuchung zeigt, daB die Versicherungsnach-frage des Privatkunden sich innerhalb verschiedener Kulturen zum Teildeutlich unterscheidet, die der groBgewerblichen Kunden dagegen nur gra-duell. Hierfur gibt es zwei ineinander ubergehende Erklarungsansatze.

Die groBgewerblichen Kunden sind Unternehmen, die vollstandig zumTeilsystem Wirtschaft gehoren. Ihre Geistesverfassung wird zwar durch dieanderen Kulturelemente maBgeblich beeinfluBt, doch ist insgesamt eine ra-tionalere Geistesverfassung festzustellen, was zu einem rationales Umgangmit Risiken fuhrt. Demgegenuber sind die Privatkunden in deutlich groBe-rem Umfang in andere Teilsysteme eingebunden, die ihre Geistesverfassungand damit ihr Versicherungsbedurfnis pragen. Das fuhrt zu einem wenigerrationalen Umgang mit Risiken, der dadurch unterstutzt wird, daB dem Pri-vatkunden aufgrund fehlender Informationen and fehlenden Know-howsdie Einsicht in GesetzmaBigkeiten von Schadenverteilungen erschwertwird. Demgegenuber verfugen die Unternehmen uber ausgebildete Risk-Manager, die sich kognitiv mit den das Unternehmen bedrohenden Gefah-ren auseinandersetzen.

Der zweite Erklarungsansatz grundet auf der Erkenntnis, daB sich durchden Kontakt zu anderen Kulturen die Geistesverfassungen verandern kon-nen. Dabei ist zwischen indirekten and direkten interkulturellen Beziehun-gen zu unterscheiden. Indirekte Beziehungen sind solche, die sich allein ausdem Wissen um die Existenz anderer Kulturen ergeben (z. B. das Gefuhl derBedrohung). Direkte Beziehungen bedeuten unmittelbaren Kontakt zu Ele-menten anderer Kulturen. Es wird die Hypothese aufgestellt, daB durch di-rekte Beziehungen eine Annaherung der Geistesverfassungen erfolgt, weildie Reflexionsmuster beider Kulturelemente kritisch uberpruft werden andgegebenenfalls modifiziert werden mussen. Der Grad der Annaherung istum so starker, je mehr sich die Elemente ahneln. Daraus erklart sich dieAhnlichkeit der Versicherungsnachfrage der gewerblichen Versicherungs-nehmer, weil sich diese unter der internationalen Konkurrenz behauptenmussen oder weil sie auf Auslandsmarkten tatig sind, wo sie sich den dorti-gen Verhaltnissen anpassen mussen. Auch innerhalb der Versicherungs-branche findet sich die Hypothese empirisch bestatigt: Im sehr kleinen,

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landlichen VVaG ist weft weniger Rationalitat im Umgang mit Risiken zuunterstellen als Beim traditionell international tatigen Ruckversicherungs-unternehmen. Hingegen ist anzunehmen, daB interkulturelle Beziehungenzwischen Privatpersonen nur selten vorkommen, weil sie die Moglichkeitdazu i.d.R. nicht ausnutzen. GrUnde konnen Sprachschwierigkeiten, man-gelnde Gelegenheit oder Interesselosigkeit sein.

5 Nutzanwendungen - Fazit

Die Versicherungsbetriebslehre versteht sich als praktisch-normativ. Dassich daraus ergebende Erkenntnisziel liegt zum einen in der Ableitung desAllgemeinen aus dem Einzelnen durch Abstraktion. Zum anderen sollenVerhaltensempfehlungen zu einer gunstigen Gestaltung der Versicherungs-praxis gegeben werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wel-cher Nutzen sich aus den bier gewonnenen Erkenntnissen fur die Versiche-rungsbetriebslehre and damit fur die Versicherungspraxis ergibt.

Entsprechend dem Erkenntnisobjekt wird traditionell in der Versiche-rungsbetriebslehre and zahlreichen mit ihr interdisziplinar arbeitendenWissenschaften die direkte Sicht auf die Assekuranz and ihr nahestehendeElemente and Teilsysteme gewahlt. Damit werden umfassende, haufig ma-thematische Erklarungsfunktionen entwickelt and Spezialwissen in bedeu-tendem Umfang gesammelt, was fur die Weiterentwicklung der Wissen-schaft forderlich and unentbehrlich ist. Der Nachteil einer solchen focussie-renden Betrachtungsweise liegt regelmaBig darin, daB sie die Einordnungdes gewonnenen Wissens in ein ubergeordnetes Wirkungsgefuge - das Ge-samtsystem Kultur - erschwert.

Ausgehend von Farnys These der „maximalen Relevanz der globalen Um-welti 30 fur die Versicherung wurde fur die vorliegende Bearbeitung einePerspektive gewahlt, die von der oben beschriebenen - focussierenden - Per-spektive abweicht: Vor versicherungswissenschaftlichem Hintergrund er-folgte eine allgemeine Betrachtung des Gesamtsystems Kultur, innerhalbdessen Assekuranz and Mensch einzuordnen waren. Die durch den Perspek-tivenwechsel hervorgerufene ganzheitliche Sicht fuhrte zu dem Ergebnis,daB die Assekuranz and das Verhaltnis des Menschen zu ihr in deutlich ho-herem MaBe von bisher wenig beachteten Kultur- and Naturfaktoren, dienichtokonomischer Art sind, beeinfluBt wird. Auf die zentrale Bedeutungder Geistesverfassung, die zum einen den Grad der Individuation ausdrucktand zum anderen als Abbild der auBeren Lebensumstande gesehen werdenkann, wurde hingewiesen. Daraus ergibt sich fur die Versicherungsbetriebs-lehre die Herausforderung, die bisher entwickelten Erklarungsfunktionen

30 Farny, D.: Umwelten ... , a. a. 0., S. 24.

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in Zusammenarbeit mit anderen, vor allem den geisteswissenschaftlichenDisziplinen neu zu hinterfragen and in einen Gesamtkontext einzubinden.

Inwieweit die vorliegende Arbeit dem zweiten Anspruch der Versiche-rungsbetriebslehre, der Praxis Handlungsempfehlungen zu geben, gerechtwird, ist im folgenden zu klaren.

Fur die Versicherungspraxis kann der gewahlte ganzheitliche Ansatz in-soweit von Nutzen sein, als ihr damit die Moglichkeit gegeben wird, dieStellung der Assekuranz innerhalb des Gesamtsystems Kultur and derenBedeutung fur den Versicherungsnehmer kritisch zu hinterfragen. EineMoglichkeit dazu bietet beispielsweise die Marktforschung, deren Moglich-keiten jedoch in der Versicherungswirtschaft noch nicht erschopfend in An-spruch genommen werden. Denn bisher neigten die Versicherer dazu, ,nurauf die Bedingungen des Angebotes zu schauen, als wenn sich alles Produ-zierte gleichsam von selbst verkaufen wurdei 31

Bislang arbeiteten die Versicherungsgesellschaften zumindest auf den na-tionalen Markten erfolgreich. Das kann damit begrundet werden, daB dieGeistesverfassungen der Versicherer - als Summe der Geistesverfassungenvon Mitarbeitern and Koalitionspartnern verstanden - in etwa derjenigenihrer Kundschaft entspricht. Diese Ahnlichkeit ermoglicht den Entschei-dungstragern in den Versicherungsgesellschaften, auf der Grundlage des ih-nen zur Verfugung stehenden Datenmaterials eher ,intuitiv" die Interessenihrer Kunden zu erkennen and die entsprechenden Leistungen anzubieten.

Mit Intuition lassen sich jedoch dauerhaft keine Erfolge erzielen. Dahersetzt sich langsam die Erkenntnis durch, daB „der Erfolg eines Versicherers[ ... ] in der Zukunft um so groBer sein [wird], je mehr er sein Verhalten anden Interessen der Kunden orientierti 32 . Das heiBt, je bewuBter der Versi-cherer seine eigene Geistesverfassung and die seiner Kunden wahrnimmt,desto gezielter kann er sein Angebot gestalten. Weiterhin wird das Versiche-rungsunternehmen durch die Kenntnis der Geistesverfassung seiner Kun-den erkennen, daB die Motivation des Versicherungsnehmers, Versiche-rungsleistungen nachzufragen, nicht nur dem Bedurfnis nach materieller,sondern auch nach ideeller Vorsorge entspricht. Diese Kundenmotivationist fur die Produktgestaltung and das Marketing der Versicherer von hoherRelevanz.

Die oben getroffenen Aussagen treffen in besonderem MaBe fur solcheVersicherer zu, die auf fremden Markten tatig werden. Allgemein hat sich inder Versicherungsbetriebslehre die Erkenntnis durchgesetzt, daB Versiche-

31 Schulenburg, J.-M. Graf v. d.: Versicherungsnachfrage als Gegenstand der oko-nomischen Forschung, in: ZVersWiss, (78) 1989, S. 319.

32 Farny, D. zitiert in: Kundenorientierung leben, in: rundum, Hauszeitschrift derVictoria-Versicherung Dusseldorf, 1994, Nr. 2, S. 5.

39 Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 4

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616 Jorg Krause

rungsschutz das Gegenteil von einem zum Export geeigneten Gut ist, weildie Prasenz des Versicherungsunternehmens am Wohnort des Versiche-rungsnehmers vor allem in der Schadenabwicklung unerlaBlich ist. So sindauslandische Versicherer zwar auf nationalen Markten tatig, erwerben aberselten beachtenswerte Marktanteile durch eigenstandige Tatigkeit, sondernallenfalls durch Beteiligung an nationalen Versicherern. Das ist zum einenzu begrunden mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen, wie z. B. Markt-eintrittsbarrieren, rechtlichen, politischen and wirtschaftlichen Besonder-heiten. Zum anderen werden vielfach die Geistesverfassungen der Men-schen nicht gesehen, verstanden oder ernstgenommen, sondern der Einstiegin das neue Geschaftsfeld wird in der vertrauten and bewahrten Art andWeise angetreten. Zeigten die Versicherer in diesem Punkt mehr Offenheit,ware ihr Erfolg in den fremden Markten sicher groBer.

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