Kurze Geschichte des Prâ~âyâma · WÄHREND PRANAYAMA SOim ri-tuellen Kontext benutzt wurde,...

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6 VIVEKA 35 von Uwe Bräutigam Wenn wir über Prâ~âyâma sprechen, haben wir bestimmte Übun- gen und Konzepte im Kopf. Prâ~âyâma hat jedoch eine lange Ge- schichte, in der sich die Übungsweise und die Konzepte immer wieder verändert haben. Prâ~âyâma ist selbstverständlich nicht fertig vom Himmel gefallen, sondern wurde von Yogins über Jahr- hunderte herausgebildet. Dabei gab es damals, wie es sie heute gibt, verschiedene Möglichkeiten, mit dem Atem im Yoga umzuge- hen. Der erste, der dies bereits 1955 in einem kleinen Aufsatz mit dem Titel „Evolution of Prâ~âyâma “ dargelegt hat war der Ge- lehrte und Yogi Sw. Kuvalayânanda aus Lonavla. Sein kurzer Text hat mir Anregungen und nützliche Hinweise gegeben, um einen Vortrag mit dem Thema: „Prâ~âyâma in den Texten“ auf dem Prâ~âyâma -Kongress des BDY in Bensberg im September 2005 zu halten. Der nachfolgende Artikel führt die dort vorgetragenen Ge- danken aus und ergänzt sie. Kurze Geschichte des Prâ~âyâma

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von Uwe Bräutigam

Wenn wir über Prâ~âyâma sprechen, haben wir bestimmte Übun-gen und Konzepte im Kopf. Prâ~âyâma hat jedoch eine lange Ge-schichte, in der sich die Übungsweise und die Konzepte immerwieder verändert haben. Prâ~âyâma ist selbstverständlich nichtfertig vom Himmel gefallen, sondern wurde von Yogins über Jahr-hunderte herausgebildet. Dabei gab es damals, wie es sie heutegibt, verschiedene Möglichkeiten, mit dem Atem im Yoga umzuge-hen. Der erste, der dies bereits 1955 in einem kleinen Aufsatz mitdem Titel „Evolution of Prâ~âyâma “ dargelegt hat war der Ge-lehrte und Yogi Sw. Kuvalayânanda aus Lonavla. Sein kurzer Texthat mir Anregungen und nützliche Hinweise gegeben, um einenVortrag mit dem Thema: „Prâ~âyâma in den Texten“ auf demPrâ~âyâma -Kongress des BDY in Bensberg im September 2005 zuhalten. Der nachfolgende Artikel führt die dort vorgetragenen Ge-

danken aus und ergänzt sie.

Kurze Geschichtedes Prâ~âyâma

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Vorläufer des Prâ~âyâma

DER BESONDERE UMGANG mit demAtem gehört zu den ältesten Techniken,die wir im Yoga kennen. Zum erstenMal stoßen wir darauf in den Texten desAtharvaveda. Dort werden im so ge-nannten Vratya-Buch (Av. 15) einund-zwanzig Atemarten benannt. Sie findenErwähnung im Zusammenhang mitseltsam anmutenden Gruppen vonMenschen, von denen es heißt, sie hät-ten Macht über die Vâyus, d.h. Winde.KeÍin, die Langhaarigen werden sie ge-nannt, und Vratyas, also solche, die Ge-lübde einhalten und. Der Name Vratyawar darüber hinaus aber auch der Nameeines Stammes in Nordindien, im Gebietdes heutigen Bihar, dessen Angehörigenicht zur vedischen Tradition gehörten.Die Religion der Jainas sieht die Vratyasals frühe Jain-Asketen an. Alle Erklärun-gen dies bezüglich sind jedoch wissen-schaftlich wenig abgesichert und es be-steht noch ein großer Forschungsbedarf.

Zurück zum Atem: Die Beschreibun-gen im A†harva Veda lassen leider keinegenauen Rückschlüsse auf die Techni-ken dieser Gruppen zu. Wir erfahrennur, dass sie mit Vâyu, dem Wind, einhäufiges Synonym für den Atem, umge-hen, und dass sie so in ekstatische Zu-stände gelangen und die Götter schau-en können. Es scheint sich also um frü-he schamanische ekstatische Übungenzu handeln.

Prâ~âyâma in denDharmasûtras

DIE ÄLTESTEN DIREKTEN Hinweise aufPrâ~âyâma finden wir in den Dharmasû-tras, Sûtras in denen die religiösen Re-geln und Ritualpflichten der Angehöri-gen der jeweiligen Veda-Schulen aufge-führt werden. Die Texte selbst entwi-ckelten sich aus der Ritualliteratur derVeden und waren den einzelnen Veda–Schulen zugeordnet.

Man weiß mittlerweile, dass die äl-testen Dharmasûtras in der Zeit vor dem6. Jahrhundert. v. Chr. entstanden sind

und dass das Dharmasûtra des Gautamawohl der früheste Text dieser Gattungist. Prâ~âyâma begegnet uns hier nochnicht als eigenständige Übung, sondernist Bestandteil einer umfassenden Ritual-handlung. Die Betonung liegt dabei imAnhalten des Atems. Nach dem, waswir im Âpastaμbha Dharmasûtra(2.5.15) hören, soll der Atem so langegehalten werden, bis der Körper er-schöpft ist.

Das scheint jedoch nicht grundsätz-lich so gesehen worden sein, denn in ei-nem anderen, dem ÂÍvâlayana‚rautaSûtra heißt es, der Atem solle „nachder eigenen Fähigkeit“ (yathâÍakti) ge-halten werden. Der Ausdruck „nach dereigenen Fähigkeit“ entwickelt sich vonhier an zur Standardformulierung imKontext von Prâ~âyâma und lässt sichbis in die späte Ha†ha - Literatur des 19.Jahrhunderts hinein nachweisen. ImBaudhâyanadharma Sûtra, einem ande-ren Dharmasûtra-Text, wird Prâ~âyâmabegleitet von mentalem Rezitieren vedi-scher Mantras, wie dem Gâyatri Mantraund Pra~ava (Om).

Prâ~âyâma reinigt einenMenschen von schlechtenHandlungen

AN DIE DHARMASUTRAS schließensich die Texte der Dharmasm®tis an.Während sich die Regeln der Dharmasû-tras auf die Angehörigen bestimmterVeda-Schulen bezogen, formulieren dieDharmasm®tis Vorschriften für alle Men-schen, allerdings streng unterschiedennach Kastenzugehörigkeit. Manusm®tiist der bekannteste dieser Texte, nichtmehr im Sûtrastil geschrieben, sondernin Versen.

Die tägliche Ritualpflicht betrifft lautManu, dem Autor des Textes, nur diedrei oberen Kasten und schließt Frauenaus; Verhaltensregeln und Ritualpflich-ten sind ausgesprochen detailliert aus-geführt.

Prâ~âyâma ist hier weiterhin ein Teildes religiösen Rituals, erfüllt aber nuneigenständige Funktionen. Die Rezita-tion von Om und bestimmten Mantras

während des Prâ~âyâma, vorher optio-nal, wird nun zur Vorschrift, denn dieSm®tis schreiben dem Prâ~âyâma inVerbindung mit Mantras eine besonde-re reinigende Kraft zu. Manusm®ti sagt(6.71), dass Prâ~âyâma die Befleckun-gen (mala) der Sinne beseitige. An ver-schiedenen Stellen betont Manu, dassPrâ~âyâma den Menschen von schlech-ten Handlungen reinige, die er began-gen haben mag. Im Vers 11.248 heißtes etwa, dass jemand, der ein Embryogetötet habe, sich durch die täglichePraxis von sechzehn Prâ~âyâmas, übereinen Monat lang ausgeführt, selbstvon dieser schwerwiegenden Handlungreinigen könne. Für die Reinigung vonunbewussten Töten von Insekten dage-gen reichten sechs Prâ~âyâmas nachdem täglichen Bad. Dieses ritualistischePrâ~âyâma-Konzept der Reinigung vonschlechten Handlungen wird bis in denHa†hayoga tradiert.

GewaltsamesAtemanhalten inAsketenkreisen

WÄHREND PRANAYAMA SO im ri-tuellen Kontext benutzt wurde, entwi-ckelten sich aber auch außerhalb diesesUmfeldes Atemübungen. Die ‡ramana-Bewegung, eine bunt gemischte Scharvon Asketen und Wahrheitssuchern, be-nutzte ebenfalls Übungen des Prâ~âyâ-ma. Bei ihnene stand das Praktizierender Atemtechniken allen Kasten offenund auch Frauen wurden davon nichtausgeschlossen. Die Übungen selbstwaren noch ausgesprochen grob underinnern wenig an die späteren Atem-übungen der Yoga-Tradition. Dennochwar ihr Ziel weit gesteckt: Sie solltendazu beitragen, Freiheit des Geistes zuerlangen. In den buddhistischen Pali-Texten ist ein Gespräch des Buddha miteinem jungen Mann aus dem 5. Jh. v.Chr. überliefert, in dem er die asketi-sche Praxis und ihre schmerzhaften Wir-kungen bildhaft beschreibt:

„Und ich hielt nun, Aggivessano(der Name des jungen Gesprächspart-

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Durch dieses Anhalten entstand im Kör-per eine glühende Qual, gleichwie zweistarke Männer einen schwächeren in ei-ne Grube glühender Kohlen hineinquä-len. (...) Aber mein Körper war nicht ru-hig geworden, das so entstandeneSchmerzgefühl konnte meinen Geistnicht binden.“ (Majjhîmanikâya 36, ge-kürzt)

Der Buddha ist sicher eine ausge-sprochen kompetente Referenz für daszu seiner Zeit geübte Prâ~âyâma, war erdoch als Asket durch alle wichtigen Orte

der Gangesebene gewandert und mitAsketen der verschiedensten Schulenund Sekten zusammen gekommen. Erhatte verschiedene Lehrer, die ihn inMeditation unterrichteten, eine feinerePrâ~âyâma-Technik als die so drastischbeschriebene jedoch scheint er nichtkennen gelernt zu haben.

Dies lässt den vorsichtigen Schlusszu, dass um 500 v. Chr. in Nordindienzwar bereits intensiv mit dem Atem ex-perimentiert wurde, verfeinerte yogische

ners des Buddha), die Ein -und Ausat-mung von Mund und Nase an. Durchdas Atemanhalten wurde mir das über-laute Geräusch der Blutströmung imOhr vernehmbar, wie der geblähte Bla-sebalg einer Schmiede ein überlautesGeräusch erzeugt. Gestählt war meineWillenskraft, unbeugsam und unver-rückbar meine Konzentration. Abermein Körper war nicht ruhig geworden,das so entstandene Schmerzgefühlkonnte meinen Geist nicht binden. Undich hielt die Ein -und Ausatmung von

Mund, Nase und Ohr an. Durch diesesAnhalten schlugen mir überheftige Strö-mungen auf die Schädeldecke auf,gleichwie ein starker Mann mit scharferDolchspitze die Schädeldecke zertrüm-merte. (...) Durch dieses Anhalten ent-standen betäubende Körpergefühle, et-wa wenn ein Mann den Kopf peitschenwürde. (...) Durch dieses Anhaltenschnitten mir überheftige Strömungendurch den Bauch, gleichwie ein Schlach-ter mir den Bauch aufschlitzte. (...)

KURZE GESCHICHTE

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Prâ~âyâma-Techniken allerdings nochnicht allgemein verbreitet waren. Diesescheinen sich erst in den folgendenJahrhunderten herausgebildet zu haben.

Die negativen persönlichen Erfah-rungen auch mit den oben beschriebe-nen Atemtechniken veranlassten denBuddha, die harten asketischen Übun-gen aus seiner Praxis konsequent zu ver-bannen. Dies führte allerdings auch da-zu, dass in der buddhistischen Traditionkein Prâ~âyâma benutzt wurde. Erst mitder tantrischen buddhistischen Traditionänderte sich dies und Prâ~âyâma-Übun-gen aus dem Hathayoga wurden in diebuddhistische Praxis integriert.

Atemanhalten nach derAusatmung in derBhagavadgîtâ

SCHAUEN WIR IN einen anderen Text.In der Bhagavadgîtâ finden wir einenHinweis darauf, dass Prâ~âyâma eigen-ständig praktiziert wurde, nämlich alsOpferritual. Im vierten Kapitel werdenverschiedene Arten des Opfers aufge-zählt und der Vers 4.29 sagt: „Wiederandere, die Prâ~âyâma ausführen unddie Aus –und Einatmung kontrollieren,opfern die Ausatmung dem Einatemund die Einatmung dem Ausatem.“

Statt irgendwelcher Gegenstände,äußerer Opfergaben, wird der Atem alsOpfer gebracht. Was müssen wir verste-hen unter „die Ausatmung dem Eina-tem opfern“? Es soll heißen, dass dieAusatmung zurückgehalten wird, nach-dem man eingeatmet hat, mit anderenWorten ein Atemanhalten nach der Ein-atmung.

Der umgekehrte Prozess ist ein Zu-rückhalten der Einatmung nachdemman ausgeatmet hat, also ein Atemver-halten nach der Ausatmung. Diese Stellein der Bhagavadgîtâ lässt den Schlusszu, dass auch das Atemverhalten nachder Ausatmung in der frühen Periodeder Atemübungen einen festen Platz inder Praxis hatte.

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Prâ~âyâma entwickelt sichzur eigenständigen Praxis

IN DEN SPÄTEREN Sm®ti-Texten setztsich die Entwicklung des Prâ~âyâma zueiner eigenständigen Praxis fort, belässtes allerdings weiterhin innerhalb des re-ligiösen Rituals. Besonders interessant istder Text B®hadyogiyâjñavalkya Sm®ti,entstanden etwa im 7. oder 8. Jahrhun-dert nach Chr., in dem drei Arten vonPrâ~âyâma dargelegt werden. Brahmân-anda, ein Kommentator der Ha†hapradî-pikâ aus dem 19. Jahrhundert, zitiertden Sm®ti-Text und nennt die drei For-men: Recakaprâ~âyâma (Ausatmungs-Prâ~âyâma), Pûrakaprâ~âyâma (Einat-mungs-Prâ~âyâma) und Kumbhaka-prâ~âyâma (Prâ~âyâma des Anhaltens).

„Nachdem man den Atem vollstän-dig aus der Nasenöffnung herausgelas-sen hat, als ob man leer von Luft sei, sollman mit zurückgehaltener Einatmungverweilen. Dieses Anhalten des Atemswird Recaka genannt, das große Anhal-ten (Mahânirodha).“ (Br. YY Smr.8.21)Und weiter: “Nachdem man die äußereLuft durch die Atemöffnung eingezogenhat, soll man langsam alle Nâdîs füllen,dies wird Pûraka genannt, das großeAnhalten (Mahânirodha).“ (Br. YY Sm®.8.19) „Hier bezieht man sich weder aufdie Ausatmung noch auf die Einatmung;mit dieser Methode hält man die völligunbewegte Luft an, die sich bis zur Na-senöffnung (im Körper) befindet, dieKenner bezeichnen dies mit dem NamenKumbhaka.“ (Br. YY Sm®. 8.20)

Das Anhalten des Atems nach derAusatmung wird hier ausdrücklich als ei-ne Form des Prâ~âyâma verstanden undgenau beschrieben. In der späten Sm®ti-Periode war dies also offensichtlich eineübliche Praxis.

Prâ~âyâma in denUpani‚aden

IN DEN UPANISADEN tritt der rituelleKontext in den Hintergrund und die Su-che nach der Erkenntnis des Selbst undder letzten Wirklichkeit steht im Mittel-

punkt. Was bedeutet das für den Um-gang mit den Atemübungen? Prâ~âyâ-ma wird nun aus dem vedischen Ritualherausgelöst und als Mittel zur Vorbe-reitung der Meditation eingesetzt. In der‡vetaÍvatara Upani‚ad wird, nachdemdie Sitzhaltung beschrieben wurde, inVers 2.9 die Atemkontrolle dargelegt:

„Den Atem reguliert habend, lassdenjenigen, der alle Bewegungen kon-trolliert hat, mit verringertem Atemdurch die Nase atmen.“ Prâ~âyâma er-hält also den Status einer eigenständi-gen Yogatechnik, die nun außerhalb

des Rituals eingesetzt wird als eine Me-thode Erkenntnis zu gewinnen. ImGegensatz zur Beschreibung der Atem-techniken in den Sm®tis sprechen dieUpani‚aden-Lehrer nicht nur über dasAnhalten des Atems, sondern auch übereinen reduzierten, also verlangsamtenAtem.

Die Maitrî Upani‚ad, die zu den jün-geren Upani‚aden gehört, nenntPrâ~âyâma im Vers 6.18 als erstes Gliedeines sechsgliedrigen Yogaweges:

1. Prâ~âyâma (Atemkontrolle)

2. Pratyâhâra (Zurückziehen der Sin-ne)3. Dhyâna (Meditation) 4. Dharanâ (Konzentration, auf be-stimmte Körperregionen) 5. Tarka (Meditative Reflektion) 6. Samâdhi (Versenkung)Es ist schwer zu entscheiden, ob es

sich hier um einen frühen Vorläufer desachtgliedrigen Yoga handelt, den wirvon Patañjali kennen, oder um eine spä-tere Abwandlung. Für letzteres spricht,dass die Maitrî Upani‚ad ein später Textist, wohl jünger als das Yogasûtra. Der

sechsgliedrige Yoga könnte aber durch-aus auch ein älteres Modell sein, das imText nur aufgegriffen wird.

Der hier beschriebene sechsgliedrigeYoga ist nicht der einzige in der Litera-tur. Er findet sich in etwas veränderterReihenfolge auch in späteren tantri-schen Texten, wie dem GuhyasamâjaTantra oder dem Kâlachakra Tantra. De-ren sechsgliedriger Yogaweg ist in dertibetisch-buddhistischen Tradition nochheute lebendig und wird von tantri-schen Praktizierenden geübt.

DES PRANAYAMA

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‡vetaÍvatara Upani‚ad Kapitel 2, Vers 9»Nachdem er den Atem reguliert hat, lass denjenigen, der alleBewegungen kontrolliert hat, mit verringertem Atem durch die Naseatmen; lass den Weisen seinen Geist achtsam kontrollieren so wie ereinen Wagen lenken würde, vor den wilde Pferde gespannt sind.«

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Prâ~âyâma in den Purâ~as

DIE PURANAS SIND mythologischeTexte, mit einem religiös-didaktischenInhalt. Sie sind die grundlegende Litera-tur der Hindu-Religionen. Auch in denspäteren Sm®ti-Texten wird ihr Einflussdeutlich. In den Purâ~as wird die Welt-schöpfung und die periodischen Zerstö-rungen und Erneuerung der Welt, dieGenealogie der Götter und der Seher,die Geschichte Manus, des Urahnen der

Menschheit und die Geschlechterfolgeder Könige dargelegt. Dabei handelt essich um zum Teil sehr alte Überlieferun-gen, die in diesen wesentlich jüngerenTexten nur weiter getragen werden. Siebeschreiben die Taten der Götter, derHelden und der heiligen Männer, und esgibt auch Passagen über Yoga.

Prâ~âyâma wird hier nun nicht mehrmit der Verehrung des vedischen Son-nengottes verbunden, sondern mit derVisualisierung von Brahma, Vi‚~u und

‡iva, den populären Göttern des Hindu-ismus. Während der Einatmung wirdVi‚nu im Nabel, während des AnhaltensBrahma in der Herzregion und währendder Ausatmung ‡iva in der Stirnregionvisualisiert. (Br. YY Sm®. 8.23-25)

Die Purâ~as definieren Prâ~âyâmadreifach: Recaka (kontrollierte Ausat-mung), Pûraka (kontrollierte Einatmung)und kumbhaka (kontrolliertes Anhalten).Also nicht mehr nur das Anhalten, son-dern auch die kontrollierte Aus- undEinatmung heißen jetzt Prâ~âyâma.

„Unsere Meinung ist, dass unter demEinfluss der Purâ~as Pûraka und Recakaihre Positionen als Prâ~âyâma bekom-men haben, weil bereits seit dem 7. Jh.,wenn nicht schon früher, diese beidenProzesse (Recaka und Puraka) die Be-deutung von Prâ~âyâma erlangt hatten“(Sw. Kuvalayânanda, Yoga Mimâμsâ,6.1, S.69).

In den Purâ~as spielen die Zeitmaße(mâtrâ) des Prâ~âyâma eine wichtigeRolle. Auch vorher existierten bestimmte

Zeitmaße für das kontrollierte Atmen,nun aber bilden sich die bekannten Zeit-verhältnisse des Prâ~âyâma heraus, wiez.B.: Einatmen 16 Takte, Anhalten 64und Ausatmen 32, also das Atemver-hältnis 1:4:2 .

Die Purâ~as bemühen sich um stan-dardisierte Zeiteinheiten (mâtrâ), aller-dings mit den unterschiedlichsten Er-gebnissen: Dreimaliges Schnippen mitDaumen und Zeigefinger, dreimal mitder Hand um das Knie herumstreichen,dreimaliges Händeklatschen oder einAtemzug eines schlafenden Menschensind nur einige der Zeitmaße, die für ei-ne Maßeinheit, ein mâtrâ, gewählt wer-den. Die Beschäftigung mit der Quan-tität des Atems nimmt hier oft mehrRaum ein, als die Qualität des Atems.

Ein geheimnisvoller alterYogatext

IN EINEM DER schon erwähnten Sm®ti-Texte, der B®hadyogiyâjñavalkya, stoßenwir auf einige Hinweise zu einem Yoga-Lehrsystem (Siddhânta), das älter als dasPatañjalis ist. „Hira~yagarbha hat denYoga dargelegt, niemand anders ist äl-ter als er“, heißt es dort (Br. YY S®m.12.5).

Ganz offenbar war dieser Hinweisdurchaus auch einigen Kommentatorendes Yoga Sûtra Patañjalis bekannt; so zi-tiert Vacaspati MiÍra in seinem Yogasû-tra-Kommentar diese Stelle und fragtsich dann rhetorisch: Wenn Hira~ya-garbha den Yoga schon dargelegt hat,wieso will Patañjali ihn nun erläutern?Seine eigene Antwort darauf lautet,dass Patañjali etwas erkläre, was schonvorher entwickelt worden sei. Nun ha-ben wir leider über diesen frühen Vor-läufer Patañjalis so gut wie keine Kennt-nis. Einige wenige Hinweise finden wirjedoch in der oben genannten B®hadyo-giyâjñavalkya Sm®ti. Da wird etwa imText Prâ~âyâma als viertes Glied einesachtgliedrigen Yogapfades aufgeführt.Die letzten drei Glieder unterscheidensich aber dann von der ReihenfolgeDhyâna, Dharanâ und Samâdhi beiPatañjali.

KURZE GESCHICHTE

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Der sechsgliedrige Yoga in der MaitrîUpani‚ad und in einigen Tantras führt,wie schon erwähnt, ebenfalls Dhyânavor Dharanâ auf. Es könnte sich alsodurchaus um eine ältere Form des acht-gliedrigen Yogas handeln. Daneben er-halten wir aber auch noch einige inter-essante Informationen über Prâ~âyâmaim System Hira~yagarbhas: In diesemLehrsystem soll der Atem mit festenZeitmaßen (mâtrâ) geregelt und Prâ~aund Apâna (die Ein- und die Ausat-mung) nur noch mit der Silbe Om kon-trolliert werden; letztere sollte mit fest-en Zeitmaßen benutzt werden.

Diese Zeitmaße werden in drei Stu-fen eingesetzt, es gibt die milde, diemittlere und die höchste Stufe. Danach,so heißt es dann, soll die Praxis von Pra-tyâhâra folgen: „Die äußere Luft im Kör-per soll sehr langsam im Leib zurückge-halten werden, dies wird Pratyâhâra ge-nannt“ (Br. YY Sm®. 8.47-49). Leidermacht dieses Zitat nicht wirklich deut-lich, wie Hira~yagarbha Prâ~âyâma vonPratyâhâra abgrenzt und auch die Tech-nik von Pratyâhâra bleibt recht unklar.Konkrete Anleitungen fehlen ganz.Dennoch zeigen diese Informationen,dass Prâ~âyâma im YogasystemHira~yagarbhas nicht mehr mit den län-geren Mantras aus dem Ritual verbun-den war, sondern nur noch mit der SilbeOm. Dies ist ein wichtiger Schritt in derEtablierung des Prâ~âyâma als unabhän-gige yogische Praxis.

Patañjali löst Prâ~âyâmavollständig aus demreligiösen Ritualismus

DEN LETZTE SCHRITT, der Prâ~âyâmaaus dem religiös-ritualistischen Kontextheraus zu einer reinen Yogaübungmacht, vollzieht das Yogasûtra Patañja-lis. Während bei Hira~yagarbha dieMantras beim Prâ~âyâma wegfallen undder Atem nur noch mit der Silbe Omverbunden wird, verzichtet das Yogasû-tra nun auch noch darauf. Sw. Kuvlây-ananda beschreibt dies so: „ Prâ~âyâmawird nun vollständig unabhängig vonden letzten Resten des Sm®ti-Einflusses

DES PRANAYAMA

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Yoga Sûtra, 2. Kapitel, Sûtra 50bâhya abhyantara stambha v®ttiª deÍa kâla saμkhyâbhiª parid®‚†odîrghasûk‚maª»Prâ~âyâma beinhaltet die Regulierung der Ausatmung (bâhyav®tti), derEinatmung (abhyantarav®tti) und der Atemverhaltung (stambhav®tti).Diese drei Prozesse werden reguliert, indem wir unseren Geist auf einenOrt (deÍa) ausrichten, jedem Teil des Atems eine bestimmte Länge geben(kâla) und dies über eine gewisse Anzahl von Atemzügen beibehalten(saμkhyâ). Dadurch wird ein langer (dîrgha) und gleichförmiger (sûk‚ma)Atem erreicht.«

Yoga Sûtra, 2. Kapitel, Sûtra 49tasminsati ÍvâsapraÍvâsayoª gativicchedaª prâ~âyâmaª»Wenn die Praxis von Âsana (in einem gewissen Maß) beherrscht wird:Prâ~âyâma. Es bedeutet das Unterbrechen von ÍvâsapraÍvâsa(unbewusste, gestörte Ein- und Ausatmung).«

Yoga Sûtra, 2. Kapitel, Sûtra 52tataª k‚îyate prakâÍâvara~am»Dies(e regelmäßige Praxis von Prâ~âyâma) verringert, was das Licht(einer klaren Wahrnehmung) bedeckt.«

Yoga Sûtra, 2. Kapitel, Sûtra 53dhâra~âsu ca yogyatâ manasaª»Unser Geist ist nun fähig für dhârana (sich auf einen gewählten Fokusauszurichten).«

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und wird zum unabhängigen Teil einerpsycho-physischen Wissenschaft. Es istPatañjalis Verdienst, Prâ~âyâma auf die-ses hohe Podest gehoben zu haben. Erverbannt sogar das Pra~ava (Om) ausder Technik des Prâ~âyâma. SeinPrâ~âyâma ist Atemübung, rein undeinfach, aber ohne Zweifel mit Acht-samkeit ausgeführt. Nach Patañjali istdie Wirkung, obwohl der Vorgang kör-perlich ist, psychologisch und psycho-physisch“ (Yoga Mimâμsa 6.1, S.59).

Bei Patañjali ist Prâ~âyâma eine

Yoga-Technik geworden, die zum Zielhat, innere Klarheit (PYS 2.52) und dieFähigkeit zur Konzentration des Geistes(PYS 2.53) hervorzubringen. Zwei Qua-litäten nennt das Yogasûtra, die derAtem durch Prâ~âyâma erlangen soll:Der Atem soll lang und fein (dîrghasûk‚ma) werden. Keine schlechtenHandlungen werden mehr durchPrâ~âyâma gesühnt und keine Opfermehr gebracht. Die Atemübungen ha-ben die Aufgabe, den Praktizierenden

auf die Meditation vorzubereiten, umtiefere Erkenntnis zu gewinnen.

Mit der Loslösung vom vedischen Ri-tual entwickelt sich Prâ~âyâma zu eineruniversellen Übung, die allen Kasten,Religionen und auch den Frauen offensteht. Nur auf dieser Basis konnte sichder Yoga und Prâ~âyâma im Besonde-ren weiterentwickeln, und auch imWesten seinen Platz finden.

Prâ~âyâma im Ha†hayoga

ETWA AB DEM 10. Jahrhundert entwi-ckelt sich der Ha†hayoga zur dominie-renden Tradition des Yoga. Hier hat dasPrâ~âyâma nun eine zentrale Stellung.In der Ha†hapradîpikâ heißt es: „Wennder Atem bewegt ist, dann ist auch derGeist bewegt, wenn der Atem ruhig ist,ist der Geist ruhig“ (HP 2.2.). Prâ~âyâmawird zur Methode, den Geist zur Ruhezu bringen.

Im Kommentar zum 12. Vers deszweiten Kapitels der Ha†hapradîpikâheißt es: „Von allen Praktiken des Yogaist Prâ~âyâma die wichtigste.“ Alle wei-teren Glieder des Yoga hängen vomPrâ~âyâma ab oder gelten als Erweite-rung des Prâ~âyâma. Der Kommentarzitiert dazu eine Stelle aus dem Skanda-purâ~a: „Zwölf Prâ~âyâmas werden alsPratyâhâra bezeichnet, zwölf Pratyâhâ-ras werden als Dharanâ bezeichnet.Zwölf Dharanâs sind durch die Verbin-dung mit ÎÍvara Dhyâna. Zwölf Dhyânaswerden als Samâdhi betrachtet“ ( Skan-da Pur. 4.41.94-96). Samâdhi ist nun al-so letzten Endes nichts anderes als eineIntensivierung von Prâ~âyâma.

Innerhalb der Ha†ha-Tradition bilde-ten sich vielfältige Prâ~âyâma-Technikenheraus, wie Ujjâyî und NâdîÍodhana, diedazu dienen, Ausatmung und Einat-mung zu verlängern und gleichförmigzu machen. Prâ~âyâma bekommt nun-mehr die Aufgabe, die Energiekanäle(nâdîs) im Körper zu reinigen. Was hates nun mit den Bahnen auf sich, in de-nen man sich Energiefluss vorstellte?Dem Konzept der Nâdîs liegt ein tantri-sches Körpermodell zugrunde, nachdem der Atem in dem Sonnen-Nâdî unddem Mond-Nâdî fließt, die sich rechtsund links von der Wirbelsäule befinden.Das Ziel der Ha†hayogis ist es nun, denAtem in einen mittleren Energiekanal(Nâdî) zu bringen und ihn dort aufstei-gen zu lassen. Das gelingt ihnen mit Hil-fe der Bandhas, die während desPrâ~âyâmas geübt werden.

Bandhas sind Techniken, bei denenMuskelkontraktionen in Hals, Bauch undBeckenboden ausgeführt werden. Wasdas Anhalten des Atems betrifft, sosteht die Verhaltung nach der Einat-mung im Mittelpunkt der Techniken,während der Halt nach der Ausatmungbei Atemübungen im Ha†ha eine unter-geordnete Rolle spielt und nur selten inden Texten erwähnt wird.

Das Ziel der ganzen Methode jedochbleibt klar:„Am Ende des Atemanhal-tens durch Kumbhaka soll man denGeist unabhängig (von Objekten) ma-chen. Durch die Anwendung dieserÜbung erreicht man die Stufe des Râja-yoga“ heißt es in der Ha†hapradîpikâ(2.78).

Der Ha†hayoga unterteilt Prâ~âyâma

KURZE GESCHICHTE

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in zwei Gruppen, in eine mit und eineohne Mantra, eine Unterteilung, die wirauch in den Purâ~as finden. Swami Ku-valâyananda kommentiert das in derYoga Mimâμsa so (6.1, S.59): „Höchstwahrscheinlich, weil Patañjali Prâ~âyâ-ma auf eine unabhängige psycho-physi-sche Ebene brachte und sogar die SilbeOm verbannte, begann Prâ~âyâma sichin zwei große Gruppen zu teilen: der al-te Typ, der mentales Rezitieren von be-stimmten Mantras oder Om verlangtund der neue Typ, der alle Arten vonMantras fallen lässt“.

Einige der bekanntesten Ha†ha-Textewie die Ha†hapradîpikâ folgen der Me-thode Patañjalis, während anderePrâ~âyâma mit bestimmten Keimsilben(Bîjamantras) verbinden. Vedische Man-tras, wie das Gâyatri-Mantra sind imHa†hayoga – Prâ~âyâma nicht üblich.

Prâ~âyâma für dieGesundheit

IM HATHAYOGA ZIELT Prâ~âyâma ne-ben seinem Hauptanliegen, den Geistzur Ruhe zu bringen, auch auf gesund-heitliche Aspekte ab. „Durch die Praxisvon Prâ~âyâma werden alle Arten vonKrankheiten beseitigt“, so heißt es inder Ha†hapradîpikâ (2.16). Im Zu-sammenhang mit den einzelnen Techni-ken werden nun auch spezielle Krank-heiten aufgezählt, die durch Prâ~âyâma.beseitigt werden können. Klärung durchPrâ~âyâma wird hier vor allem als Reini-gung auf der körperlichen Ebene be-schrieben, doch finden wir, wie oben er-wähnt, auch noch das alte ritualistischeKonzept der Reinigung von schlechtenHandlungen: „In dieser Weise wirdPrâ~âyâma zum Feuer für das Brennma-terial in Form von schlechten Handlun-gen. Prâ~âyâma wird von den Yoginsimmer die mächtige Brücke über denOzean der schlechten Handlungen ge-nannt.“ (Gorak‚aÍataka 53).

Smârta Yoga

NEBEN DEN Ha†hayoga-Texten ent-

stand etwa zeitgleich oder etwas frühernoch eine andere Gruppe von Texten,die von den religiösen Vorschriften derSm®tis beeinflusst waren und die manauch als Smarta-Yoga-Texte bezeichnet,also Texte eines Yoga, der auf den Re-geln der religiösen Sm®ti-Texte beruht.In diesen Werken wird die Yogapraxismit den täglichen Ritualen der Hindusverbunden. Zu dieser Textgruppe gehö-

ren Texte wie VaÍi‚ta Samhitâ undYogayâjñavalkya. Zum Prâ~âyâma selbsthaben die Smârta-Yoga-Texte jedochkeine eigenen Aspekte entwickelt. Siestützen sich auf die bekannten Übungenaus dem Ha†hayoga, favorisieren aberdie Verbindung von Prâ~âyâma undMantra. Im Kommentar Brahmânandaszur Ha†hapradîpikâ 2.48 stoßen wir aufeine längere Passage eines unbekannten

DES PRANAYAMA

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Ha†ha pradîpikâ, Kapitel 2, ‡loka 44Jetzt die acht kumbhaka:Sûryabhedana, Sîtkârî, ‡îtalî, Bhastrika, Bhrâmarî, Murcchâ, Plâvinî.

Ha†hapradîpikâ, Kapitel 2, ‡loka 10Und wenn er den Atem durch die linke Nasenöffnung (i∂â) eingeatmetund angehalten hat, soll er durch die andere (Nasenöffnung) wiederausatmen. Wenn er den Atem durch die rechte Nasenöffnung (pi›galâ)eingeatmet und gehalten hat, soll er danach durch die linke ausatmen.Nach drei Monaten entsteht bei denjenigen, die Selbstbeherrschungbesitzen und beständig und viel die Übung vorschriftsmäßig mit der rech-ten (sûrya) und der linken Nasenöffnung (candramas) ausgeführt haben,die Reinheit des Nâ∂î-Systems.

Page 9: Kurze Geschichte des Prâ~âyâma · WÄHREND PRANAYAMA SOim ri-tuellen Kontext benutzt wurde, entwi-ckelten sich aber auch außerhalb dieses Umfeldes Atemübungen. Die ‡ramana-Bewegung,

Smarta-Yoga-Textes, in dem es heißt:„Nachdem er vorschriftsmäßig Was-

ser aus der Handfläche getrunken hatund Atemkontrolle als Teil des vedi-schen Rituals ausgeführt hat, soll er dieBesten der Yogins usw. verehren...Nachdem er die Übung Siddhâsana festeingenommen hat, soll er Prâ~âyâmabegleitet von den Bandhas ausführen,zu Beginn zehn Stück und von Tag zuTag fünf mehr, bis er achtzig in tieferKonzentration ausführt. (...) Die ganzePraxis soll Gott gewidmet sein. Derjeni-

ge, der von der Praxis aufgestanden ist,soll ein Bad mit heißem Wasser neh-men. Der Weise soll, nachdem er geba-det hat, das tägliche Ritual in Kürze aus-führen. (...) Nach dem Essen soll er dieLehrbücher über die Befreiung anschau-en, die Purâ~as hören oder den Namendes Allmächtigen preisen. Am Abendsoll er, nachdem er die Abendritualeausgeführt hat, wie zuvor Yoga prakti-zieren.“ Diese Textstelle zeigt deutlich,wie die Yogapraxis mit der Ritualpraxis

verbunden wird. Der Grund dafür könn-te sein, dass die Smarta-Yoga-Texte sichausdrücklich an Übende wenden, die inein familiäres Leben eingebunden sind,deren religiöse Pflicht es ist, die täglichvorgeschriebenen Rituale auszuführen.

Prâ~âyâma: dasUnterbrechenunbewusster Atemmuster

AUCH DIE TRADITION des Yogasûtraexistierte weiter neben dem dominantenHa†hayoga, was sich in den Kommenta-ren zum Yogasûtra verfolgen lässt.Ebenso wie im Bereich der Âsanas (derKörperhaltungen) finden wir in denKommentaren zum Prâ~âyâma umfang-reiche Verweise auf die Praxis desHa†hayoga. Man kann sagen, dass sichetwa ab dem 13. Bis 15. Jahrhundertdie Yogasûtra-Kommentare bezüglichder Praxis von Âsana und Prâ~âyâma

völlig auf die Ha†ha-Texte stützen. DasYogasûtra gibt die Grundprinzipien undder Ha†hayoga liefert die Praxis. In derPatañjali-Tradition bildete sich weder beiden Âsanas noch im Prâ~âyâma eine ei-genständige unabhängige Praxis heraus.Die verschiedenen historischen Kom-mentare diskutieren zwar die Bedeu-tung der einzelnen Worte im Yogasûtra,nehmen jedoch zur Praxis im engerenSinne keinen besonderen Bezug. Trotz-dem kann auch die Auslegung der Verseeinen Einfluss auf die Art und Weise derPrâ~âyâma-Übungen haben.

Ein wichtiges Beispiel ist die Diskus-sion um den neunundvierzigsten Versim zweiten Kapitel des Yogasûtra. Dortheißt es: Tasmin sati ÍvâsapraÍvasyor ga-tivicchedaª prâ~âyâmah„. “Wenn mandarin (in Âsana) eine gewisse Fähigkeiterlangt hat, ist Prâ~âyâma eine Unter-brechung der Bewegung (gativicchidah)der Ein- und Ausatmung.“, so VijñânaBhik‚u.

Er versteht in seinem Yogasûtra-Kommentar „gativiccheda“ als eineUnterbrechung aber auch eine Verände-rung in der natürlichen Atmung: „Dieallgemeine Charakteristik der vier Artenvon Prâ~âyâma, die noch erläutert wer-den, ist gativiccheda, d.h. ein Anhaltenin der natürlichen Bewegung (desAtems), entsprechend den Methodendie in den Lehrbüchern gegeben wer-den, ... die Unterbrechung der natür-lichen Einatmung und Ausatmung istPrâ~âyâma, dies ist die einzige Bedeu-tung.“ (Yogavarttika 2.49).

Vijñâna Bhik‚u versteht das Wort„gativiccheda“ aber eben auch als Ver-änderung des Atemrhythmus und nichteinfach als eine Unterbrechung der Aus-und Einatmung, also Atemverhaltung.Dies ist keine Spitzfindigkeit. Es hat fürdie praktische Ausführung der Übungnämlich weit reichende Konsequenzen,ob Prâ~âyâma vor allem als Atemrhyth-mus verändernd oder als Anhalten desAtems verstanden wird.

Karambelkar, Autor einer sehr aner-kannten Yogasûtra-Übersetzung, hält esfür einen „Vorteil, wenn man „gativic-cheda“ als eine Veränderung des Atem-rhythmus anerkennt“.Er führt dies in seinem Yogasûtra-Kom-mentar aus: „Wenn dem Übenden un-unterbrochen eingehämmert wird, dass

KURZE GESCHICHTE

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Page 10: Kurze Geschichte des Prâ~âyâma · WÄHREND PRANAYAMA SOim ri-tuellen Kontext benutzt wurde, entwi-ckelten sich aber auch außerhalb dieses Umfeldes Atemübungen. Die ‡ramana-Bewegung,

Prâ~âyâma vor allem Atemanhalten(kumbhaka) bedeutet und das es keinPrâ~âyâma ohne Kumbhaka gibt usw.,macht man ihn glauben, dass er kumb-haka sofort zu Beginn der Prâ~âyâma-Praxis ausführen müsse. Wenn ihm wei-ter gesagt wird, dass kumbhaka derwertvollste Teil des Prâ~âyâma ist, dannwird er von Anfang an versuchen kumb-haka in höchst möglicher Ausdehnungzu machen. In solch einem Ansatz ge-schieht es sehr oft, dass der Praktizie-rende nicht vertraut ist mit den Vorbe-reitungsübungen und den Vorsichts-maßnahmen oder dass er seine eigenenGrenzen überschreitet und sich unnötigin Schwierigkeiten bringt. ... Deshalb ist es angebracht, kumbhakaauf einer entsprechend späten Stufeeinzuführen, nachdem der Übende überlange Zeit verschiedene Arten desPrâ~âyâma ohne kumbhaka geübt hat.Das wird seine Atemorgane und die an-deren damit verbundenen Organe trai-nieren, so das sie dazu in der Lage sind,die Spannungen und den erhöhtenDruck, der durch kumbhaka entsteht,gut auszuhalten.Wenn man die allgemeine Natur desPrâ~âyâma in Betracht zieht, dann istdas allgemeine Ziel den Atemprozess zuverlangsamen und zu verlängern. DasZurückhalten des Atems (kumbhaka)bringt ohne Zweifel die Verlangsamungund Verlängerung des Atems in höchst-möglicher Weise. Aber die gleiche Artvon Wirkung wird auf geringere Weise,durch die langsame Einatmung undlangsame Ausatmung erreicht. So wirddurch verlangsamte und verlängerte Ein-und Ausatmung die Wirkung eines klei-nen kumbhakas hervorgebracht.“(Yogasûtra-Kommentar S.285-286, vomAutor übersetzt)

Dieses Verständnis des Yogasûtrahat auch T. Krishnamacharya geteilt undgelehrt. So schreibt T.K.V. Desikachar inseinem Kommentar zu dem obigen Sû-tra: „Prâ~âyâma ist die bewusste Regu-lierung des Atems. Durch diese Regulie-rung werden unbewusste Atemmusterunterbrochen und ersetzt.“ (T.K.V. Desi-kachar, Über Freiheit und Meditation,S.91)

Was an diesem Beispiel deutlichwird: Es geht im Umgang mit den Tex-ten nicht um Haarspalterei, sondern um

verschiedene Rezeptionen des Yoga imallgemeinen und des Prâ~âyâma im be-sonderen.

Die Entwicklung desPrâ~âyâma – Versuch einesResümees

DIE HIER SKIZZIERTE Geschichte desPrâ~âyâma zeigt, wie sich die Atem-übungen in verschiedenen Bereichender indischen Kultur und Tradition ent-wickelt haben. In den Texten klingt diePraxis wider, leider jedoch als konkreteÜbungsweise nicht immer ausreichendgenug dargelegt, um sich ein genauesBild machen können. Dennoch lassensich Konzepte und Tendenzen deutlicherkennen. Diese kurze Geschichte desPrâ~âyâma möchte in all ihrer Unvoll-ständigkeit die wichtigsten Ansätze unddie Entwicklung yogischer Atemübun-gen zeigen, einer Entwicklung, die nichtals eine Stufenleiter von einer Periodezur nächsten missverstanden werdendarf. Verschiedene Zugänge zumPrâ~âyâma haben im Laufe der Ge-schichte nebeneinander existiert; dasKonzept der Sm®tis oder der Purâ~as et-wa wurde nicht automatisch vom Yoga-sûtra abgelöst und außer Kraft gesetzt,sondern existierte in bestimmten Kreisenweiter und hat bis heute Einfluss aufden Yoga.

Auch in der heutigen Zeit finden wirdie verschiedensten Konzepte desPrâ~âyâma nebeneinander oder buntmiteinander vermischt. Der Artikel solleine Hilfe sein, das, was hinter den ver-schiedenen Ansätzen des Prâ~âyâmasteht, besser zu verstehen und einord-nen zu können.

Im Westen wurde Prâ~âyâma langeZeit stiefmütterlich behandelt. Bis in dieachtziger Jahre gab es in Deutschlandnur wenige LehrerInnen, die Prâ~âyâmaunterrichteten. Wir können drei Grup-pen innerhalb der Yogaszene ausma-chen. 1. Diejenigen, die Prâ~âyâmanicht praktizieren, weil sie es nicht rich-tig gelernt haben, bzw. es für gefährlichhalten. 2. Diejenigen, für die Anhaltendes Atems das wichtigste am Prâ~âyâ-

ma ist und die deshalb nur wenigeSchüler mit dieser Methode angemessenerreichen, aber viele Schüler abschre-cken, sich mit Atem intensiv zu beschäf-tigen. 3. Diejenigen, die Prâ~âyâma invielen kleinen Schritten unterrichten undbei denen Atemverhaltung als fortge-schrittene Übung einer guten Vorberei-tung bedarf.

In den letzten Jahren hat sich einverantwortungsbewusster Umgang mitdem Atem im Yoga deutlich ausgewei-tet. Auch der BDY-Kongress 2005 zumPrâ~âyâma war ein Schritt in diese Rich-tung.

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