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Ulrich Fritsche Tobins q, Marktlagengewinne und die Investitionstätigkeit in Deutschland zwischen 1960 und 2000 Materialien Berlin, April 2002

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Ulrich Fritsche

Tobins q, Marktlagengewinne und dieInvestitionstätigkeit in Deutschlandzwischen 1960 und 2000

Materialien

Berlin, April 2002

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Die in diesem Papier vertretenen Auffassungen liegen ausschließlich in der Verantwortungdes Verfassers und nicht in der des Instituts.

DIW BerlinDeutsches Institutfür WirtschaftsforschungKönigin-Luise-Str. 514195 BerlinTel. 030 897 89-0Fax 030 897 89-200www.diw.de

ISSN 1619-4551

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Tobins q, Marktlagengewinne und die Investitionstätigkeitin Deutschland zwischen 1960 und 2000*

von Ulrich Fritsche

Zusammenfassung:

Eine Theorie der Investitionstätigkeit kann über die Verbindung eines portfoliotheoretischen Ansatzes mit Überle-gungen zum Einkommensbildungsprozess hergeleitet werden. Im vorliegenden Ansatz wird ein Abweichen der vonTobin eingeführten q-Größe von ihrem Gleichgewichtswert aus Marktlagengewinnen bei temporärer Nicht-Räumung des Gütermarktes erklärt. Eine "proxy" für das Tobinsche q wird aus der Preisentwicklung berechnet.Dieser Indikator leistet einen Erklärungsbeitrag für die Prognose der Dynamik der Ausrüstungsinvestitionen inDeutschland.

Abstract:

An investment theory has to take into account portfolio-theoretical aspects as well as income theory. Our approachexplains the deviation of Tobin's q from its equilibrium value in terms of macroeconomic windfall profits and tem-porary non-clearing of goods markets. We calculate a "proxy" for Tobins q from the price development. This indi-cator helps to explain the dynamic of investment in machinery and equipment in Germany.

Stichwörter: Tobins q, Investitionstheorie, Marktlagengewinne, Konjunkturzyklus, Investitions-

funktion

JEL-Klassifikation: E12, E22, E30, C22

Adresse: Ulrich FritscheDeutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)Königin-Luise-Str. 5D-14195 BerlinTel.: +4930 89 789 315Fax: +4930 89 789 102e-mail: [email protected]

* Für die anregende Diskussion danke ich Karl Betz, Stefan Collignon, Sebastian Dullien, Jan Gottschalk, Gustav A.Horn, Hajo Riese, Silke Tober und Rudolf Zwiener. Verbleibende Irrtümer gehen wie üblich zulasten des Autors.

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1. Die Idee der Untersuchung

Das Ziel dieses Aufsatzes ist es, eine Verbindung zwischen Tobins q-Relation und den makro-

ökonomischen Auswirkungen von Marktlagengewinnen abzuleiten sowie deren Bedeutung für

die Investitionstätigkeit aufzuzeigen.1 Eine empirische Untersuchung für Deutschland soll die

Validität der Argumentation zusätzlich untermauern.

Investitionen sind als Sachkapital sowohl eine Vermögenskategorie mit entsprechender Ertrags-

rate, als auch als Stromgröße Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Eine Theorie der

Investitionstätigkeit muß deshalb über die Verbindung eines portfoliotheoretischen Ansatzes mit

einkommenstheoretischen Überlegungen hergeleitet werden.

Die Stromgröße "Investitionen" stellt eine Anpassung an eine gewünschte Bestandsgröße (Kapi-

talbestand) dar. Ist der gewünschte Kapitalbestand in einer stationären Ökonomie erreicht, sind

die Anpassungen abgeschlossen, d.h. die Nettoinvestitionen sind gleich Null. Der vorliegende

Ansatz stellt im folgenden positive Nettoinvestitionen als Reaktion auf eine Ungleichgewichtssi-

tuation sowohl am Güter- wie auch am Vermögensmarkt dar. Die Untersuchung gliedert sich wie

folgt: Im ersten Teil wird zu Beginn das von Tobin eingeführte q-Konzept erläutert. Danach wird

der Zusammenhang zwischen makroökonomischen Marktlagengewinnen und Tobins q sowie

eine Investitionstheorie über adaptive Erwartungen skizziert. Im folgenden Abschnitt werden

Schätzungen bzw. Berechnungen zum Tobinschen q vorgestellt. Ein abschließender Abschnitt

präsentiert dann eine darauf aufbauende Schätzung einer Investitionsfunktion.

1 Der Aufsatz folgt damit der Anregung von Collignon (1997).

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2. Der theoretische Rahmen

2.1 Tobins q als Maßzahl für Attraktivität von produktiven Sachkapitalinvestitionen

Ein weit verbreitetes analytisches Konzept, um die Nachfrage nach Investitionen im Rahmen

eines portfoliotheoretischen Ansatzes zu behandeln, ist die von Tobin entwickelte Q-Theorie.

Der Grundgedanke des Portfoliokonzeptes besteht darin, dass die Wirtschaftssubjekte eine sol-

che Struktur ihres Vermögens anstreben, bei der bei gegebenem Ertrag das Risiko minimiert bzw.

bei gegebenem Risiko der Ertrag maximiert wird.

Im Tobinschen Modell lösen Verschiebungen in den Ertragsraten/bzw. im Risiko früher oder

später Anpassungen in der Vermögensstruktur aus. Damit ist das Modell zur Analyse der Trans-

mission wirtschaftspolitischer Impulse gut geeignet. Für die Übertragung dieser Impulse in die-

sem Modell ist letztlich das Verhältnis zweier Ertragsraten entscheidend. Die eine Ertragsrate ist

die erwartete Ertragsrate neuer Kapitalgüter (Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals). Man kann sie

als den Zinssatz interpretieren, mit dem letztlich die erwarteten Nettoeinnahmen (E) einer Inves-

titionen abdiskontiert werden müssen, um den Reproduktionskosten (RK) zu entsprechen.

(1) RKEr =

Ihr gegenüber steht der Angebotspreis des Kapitals als zweite Ertragsrate. Der Angebotspreis

spiegelt einerseits die Marktbewertung des vorhandenen Realkapitals wider – anderseits ist es die

Ertragsrate des (produktiven) Realkapitals, bei dem die Vermögensbesitzer bereit sind, ihren Ka-

pitalbestand zu halten.

(2) MW

E*r =

Damit ist q definiert als Verhältnisgröße beider Ertragsraten:

(3) RKMW

*rrq ==

q entspricht also dem Verhältnis zweier Ertragsraten oder dem Verhältnis von Marktwert zu Re-

produktionskosten des Kapitalbestandes. Ein Wert von q>1 wird dahingehend interpretiert, dass

ein Anreiz besteht, innerhalb des Portfolios in (produktive) Sachkapitalinvestitionen umzu-

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schichten. Umgekehrt deutet ein q <1 darauf hin, dass der Anreiz für produktive Sachkapitalin-

vestitionen gering ist, da die Reproduktionskosten über dem aktuellen Marktwert liegen.

Die Verhältnisgröße q lässt sich in verschiedene makroökonomische Modelle2 integrieren, wobei

sich der Transmissionsmechanismus jedoch je nach Modell unterscheidet.

Die gängige Interpretation bezieht sich auf das Geld-Bond-Realkapital-Modell von Tobin aus

dem Jahre 1969.3 Im Falle einer expansiven Geldpolitik bzw. von Offenmarktkäufen staatlicher

Wertpapiere ergibt sich in diesem Modell ein eindeutig expansiver Effekt auf q und damit auf die

Investitionsnachfrage. Bei erhöhter Geldmenge steigen die Grenzerträge der übrigen Aktiva im

Vergleich zur Geldhaltung. Über eine verstärkte Bondnachfrage pflanzt sich die Zinssenkung in

die reale Sphäre fort (r* sinkt bzw. q steigt). Neben dem expansiven Substitutionseffekt tritt zu-

dem ein Vermögenseffekt auf, da durch die geldpolitische Maßnahme das Risiko der finanziellen

Anlage steigt (während das Risiko einer Anlage in Realkapital zunächst konstant geblieben ist.

Auch durch diese Risikozunahme steigt Attraktivität von Realkapitalbildung.

Letztlich besteht in diesem Modell die bevorzugte Strategie einer Zentralbank in einer Niedrig-

zinspolitik, die über eine Stimulierung der Investitionsnachfrage zu einem höheren Volksein-

kommen führt – solange die Ressourcen nicht an eine Knappheitsschranke stoßen und Mengen-

in Preiseffekte umschlagen.

Die Einführung endogenen Geldes hat Konsequenzen für die Lösung des Modells.4 In einem

solchen Modell entsteht Geld in der Interaktion zwischen Geschäftsbanken und Zentralbank.

Die Kreditnachfrage der Unternehmen bestimmt ein geplantes Kreditangebot der Geschäftsban-

ken, das wiederum deren Refinanzierungsbedarf bei der Notenbank bestimmt. Der bilanztechni-

sche Gegenposten zur Refinanzierung des Unternehmenssektors ist die Bildung von Geldvermö-

gen bei den Haushalten. Haushalte haben in einer geschlossenen Volkswirtschaft die Wahl, ent-

weder Geld- oder wertstabiles Sachvermögen in ihr Portfolio aufzunehmen. In dem Maße, wie

sie Sachvermögen durch Geldvermögen substituieren, erlauben sie die Bildung von Produktiv-

vermögen durch Unternehmen.

Damit wird der Unterschied zur ursprünglichen Tobinschen Formulierung des Portfoliomodells

unmittelbar deutlich. Dort waren produktives Sachvermögen und Geldvermögen Substitute – die

Alternative besteht im Halten des einen oder anderen Aktivums. In einer Kreditwirtschaft mit

endogenem Geld sind es Komplemente, denn Sachvermögen stellt als inflationssicheres Aktivum

2 Vgl. Funke (1992), Tobin (1969), Tobin (1982), Collignon (1997).3 Vgl. Funke (1990), S. 19ff.4 Vgl. Betz (1993, 2001).

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immer eine Alternative zur Geldhaltung dar, während Depositenbildung letztlich die Basis der

Kreditfinanzierung bildet. Im Gegensatz zur ursprüngliche Formulierung der Liquiditätspräferenz

bei Keynes, der den Zinssatz als Prämie für Nichthortung interpretiert, führt eine endogene

Geldmengenbestimmung dazu, den Zinssatz als Prämie für die Akzeptanz von Geld in den Port-

folios der Akteure zu bestimmen.5 Je höher diese Akzeptanz ist (je "härter" die Währung ist,

desto niedriger kann der (gleichgewichtige) Zinssatz sein.

Für eine offene Volkswirtschaft (ein Portfoliomodell mit zwei Geldern unterschiedlicher Quali-

tät) wird das Prinzip auch unmittelbar klar: Um ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht auf-

rechtzuerhalten6, muss ein Schwachwährungsland eine Prämie zahlen, um eine Portfolioum-

schichtung hin zu einer etablierten Hartwährung (Dollarisierung) zu vermeiden. Anders ausge-

drückt, der (gleichgewichtige) Zins (i) in Land a muss um die Differenz in den Liquiditätsprämien

( � ) höher (niedriger) sein, als in Land b. Die bekannte Zinsparitätengleichung widerspiegelt ge-

nau dies.

(4))(ii

ii

abba

bbaa

��

��

−+=+=+

Jedoch auch in einer geschlossenen Volkswirtschaft ist niemand gezwungen, ein "schlechtes"

Geld zu akzeptieren, solange er die Alternative von (nicht-produktiven) Sachvermögensanlagen

mit hohem Versicherungswert gegenüber Inflation hat.7

In einer solchen Ökonomie bestimmt also die Bereitschaft der Akteure zur Depositenbildung die

Finanzierung des Kapitalstocks und über die Zinsabhängigkeit der effektiven Nachfrage auch die

Kapitalnachfrage. Damit wird der in postkeynesianischen Modellen anzutreffende scheinbare

Freiheitsgrad der Wirtschaftspolitik eliminiert, über eine "Politik des leichten Geldes" oder fiska-

lischen Expansionismus die langfristige Wachstumsrate der Ökonomie beeinflussen zu können.

Eine "Politik des leichten Geldes" ist dabei in doppelter Weise schädlich. Auf der einen Seite

werden alle Versuche, die Kreditvergabe von Seiten der Zentralbank über das von den anderen

Akteuren gewünschte Niveau auszudehnen, "weginflationiert", da sie bei alternativen Anlagefor-

men nicht zum Halten eines unerwünscht hohen Geldbestandes gezwungen werden können;

andererseits wirken dadurch entstehende höhere Inflationsraten negativ auf die Liquiditätsprämie

5 Vgl. Betz (2001).6 Als Kriterium könnte ganz traditionell die Stabilität des Wechselkurses bzw. eine mittelfristig ausgegliche Leistungs-bilanz herhalten.7 Vgl. dazu die Argumentation in Betz (1993).

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der heimischen Währung zurück, was zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes in Zukunft

einen höheren Zinssatz erfordert.

Diese Überlegungen werden hier so ausführlich diskutiert, um in der nachfolgenden Abscnitten

nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, die Zentralbank könne durch systematische Niedrig-

zinspolitik jederzeit einen dauerhaften Investitionsboom stimulieren. Der Handlungsspielraum

der Zentralbank wird beeinflußt von der Einschätzung der Akteure über den gleichgewichtigen

Zinssatz und ist asymmetrisch: Setzt die Zentralbank dauerhaft den Zins unter den akzeptierten

gleichgewichtigen Zins, so werden die Haushalte dies nicht akzeptieren und letztlich über eine

Inflation der Aktien- und Vermögenspreise konterkarieren. Dies kann auf Dauer wirtschaftspoli-

tisch nur kontraproduktiv sein. Sollte sich jedoch bei erfolgreicher Politik die Einschätzung der

Akteure über den gleichgewichtigen Zinssatz nach unten ändern, so kann und sollte die Zentral-

bank dieser Einschätzung auch Raum geben und die entsprechende Kapitalstockanpassung zulas-

sen, deren Dynamik im folgenden beschrieben und empirisch untersucht werden soll.

2.2 Marktlagengewinne und Tobins q

Die üblichen makroökonomischen Modelle basieren auf dem aus Keynes' General Theory entwi-

ckelten IS-LM-Modell.8 Die IS-Kurve in diesen Modellen gibt als Gleichgewichtslokus genau

diejenigen Einkommens-Zins-Relationen an, in denen der Gütermarkt geräumt ist. Für die Be-

trachtung der hier interessierenden Anpassung an Ungleichgewichtssituationen erscheint es je-

doch sinnvoll, auf die konjunkturtheoretischen Arbeiten von Keynes – insbesondere die Treatise

on Money – zurückzugreifen.9 Unterscheidet man mit dem Keynes der Treatise on Money zwischen

den Profiten des Gleichgewichts (Q) und (unverteilbaren) Extragewinnen (Verlusten) QU, als

Phänomenen des Ungleichgewichts, die durch eine Überschussnachfrage (bzw. ein Nachfragede-

fizit) hervorgerufen werden, so lässt sich die übliche makroökonomische Verteilungsgleichung

umschreiben zu:

(5) UHU QYQQWY +=++=

mit Y als (Nominal-)Einkommen, Q den (Gleichgewichts-)Gewinnen, sowie QU als Marktlagen-

gewinnen.

Zusammen mit der Verwendungsgleichung

(6) TGImExICY −+−++=

8 Vgl. Barens/Caspari (Hrsg.) (1994).

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mit C als privater Verbrauch, I als Investitionen, Ex als Exporten und Im als Importen, sowie G

als Staatsausgaben und T als Steuern ergibt sich für das Haushaltseinkommen YH folgende Auf-

teilung in Konsum (C) und Haushaltsersparnis (S):

(7) SCYH +=

Aus den Gleichungen folgt, dass makroökonomisch in dem Maße, wie die aktuelle nominale

Nachfrage von den (kontrahierten) Haushaltseinkommen abweichen, Marktlagengewinne anfal-

len:

(8) )TG(Im)Ex()SI(YYQ HU −+−+−=−=

Die Gründe für eine solche Überschussnachfrage können darin liegen, dass entweder die Investi-

tionen die aktuelle Ersparnis übersteigen, oder es Handelsbilanzüberschüsse bzw. staatliche Defi-

zite gibt.

Für die Ableitung der Ergebnisse ist es sinnvoll, anzunehmen, daß es für die Entlohnung der

Faktoreinkommen bestehende Kontrakte gibt. Das sind zum einen Lohnkontrakte und eine sich

am Marktzinssatz orientierende Mindestverzinsung des bestehenden Kapitalstocks an die Ver-

mögenseigentümerhaushalte. Damit sind die kontrahierten Haushaltseinkommen (Lohn- und

gleichgewichtige Gewinneinkommen) vorgegeben.

Der Gleichgewichtsgewinn Q erklärt sich nun aus der Verzinsung des bestehenden Kapitalstocks

K. Für den einfachsten Fall – den Fall der Identität von gleichgewichtiger Profitrate r und Markt-

zinssatz i – ist der Gleichgewichtsgewinn bestimmt über: 10

(9)i*r

K*rQ==

Der Lohn ist Ergebnis von Lohnkontrakten, die zu einem bestehenden Lohnsatz abgeschlossen

werden. Damit gilt für das (kontrahierte) Haushaltseinkommen:

(10) iKwLYH +=

Die Zusammenhänge können an einem "keynesianischen Kreuz" aufgezeigt werden. Ein Gleich-

gewicht ergibt sich, wenn die Ausgaben der Haushalte für Güterkäufe und Ersparnis der Faktor-

entlohnung (den Ausgaben der Unternehmen) entsprechen. Im Gegensatz zur üblichen Schreib-

weise sind es hier nicht die Lagerveränderungen, sondern die Veränderung der marktlagengewin-

9 Vgl. Keynes (1930).10 Für das Argument genügt die Annahme, dass die Profitrate systematisch vom Kreditzinssatz abhängt, vgl. Betz(1993).

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ne, die die Differenz zur 45°-Linie ausmachen. Sind die Ausgaben der Haushalte größer als die

(gleichgewichtigen Faktor-) Ausgaben der Unternehmen (eine temporäre Überschußnachfrage),

so fallen positive "Marktlagengewinne" an, im umgekehrten Falle unerwartete Verluste.11

Das Ungleichgewicht ist durch die Abweichung der realisierte Ertragsrate des Kapitals von der

vom Vermögensmarkt geforderten Faktorentlohnung gekennzeichnet ( *rir ≠≠ ). Unter Ver-

nachlässung der außenwirtschaftlichen und staatlichen Einflüsse (und damit SIQU −= ) gilt:

(11)K)ir(SI

)iKwL(rKwLYYQ HU

−=−=+−+=−=

Das Verhältnis der tatsächlichen Erträge aus Investitionen zur gleichgewichtigen Faktorentloh-

nung ergibt sich als *rr

ir = und ist damit direkt in das q von Tobin überführbar:

(12) 1qi

iriKQU −=−=

11 Dies macht das speziell konjunkturtheoretische Moment der Kreislauftheorie der Treatise aus. Der Multiplikator derGeneral Theory, die übliche keynesianische Mengenlösung, verlangt hingegen ein Gleichgewicht von Angebot undNachfrage am Gütermarkt, unterstellt wird mithin QU= 0. Vgl. Riese (1986).

45°Ausgaben der Haushalte (Y)

Ausgaben der Unternehmen (YH)

0QU >

0QU <

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Steigen also in einem Aufschwung die Investitionen, so fallen, solange das Einkommen nicht ein

Niveau erreicht hat, auf dem die geplante Ersparnis dem neuen Investitionsvolumen entspricht,

Extragewinne in Höhe von SIQU −= an.

2.3 Marktlagengewinne und der Inflationsprozeß

Lässt man Ungleichgewichte am Gütermarkt zu, so kann das Preisniveau in zwei Komponenten

aufgespalten werden: eine Einkommenskomponente des Preisniveaus, PY, das sich auf die gleich-

gewichtigen Faktorpreise zurückführen lässt und eine Gewinnkomponente,PQu, die die Extrage-

winne der Unternehmen reflektiert:12

(13) P = PY + PQu

Die Einkommenskomponente des Preisniveaus ist makroökonomischer Ausdruck der unternehmeri-

schen Aufschlagskalkulation – und zwar als der Aufschlag auf die Löhne, der die gleichgewichtige

Profitrate gewährleistet. Zur Ermittlung der Komponenten dividieren wir das Nominaleinkommen

durch das sich ergebende Realeinkommen.

(14)yQ

yWPY += bzw.

(15)yKi

yLw

yKi

yLwPY +=⋅+=

Mit der zusätzlichen Definition:

(16)Ly

≡λ

ergibt sich:

(17) yKiwPY +

λ=

Die Gewinnkomponente des Preisniveaus geht einher mit der Abweichung der Profite vom Gleichge-

wichtsprofit. Für QU größer Null liegt das Preisniveau um die Komponente PQu über dem Ein-

kommenspreisniveau:

(18)QW

QP u

Qu +=

12 Vgl. detailliert Riese (1986).

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und zwar wegen kurzfristiger Kapazitätsbeschränkungen und damit temporären Überschussnach-

fragen, die Marktlagengewinne ("windfall profits" oder Quasi-Renten) zulassen.

Das Preisniveau insgesamt wird definiert als Summe aus der Komponente PY, die der gleichge-

wichtigen Faktorentlohnung entspricht und der Komponente PQu, die als prozentualer Aufschlag

auf die Gleichgewichtsentlohnung die Existenz von Marktlagengewinnen widerspiegelt.

(19)y

QyKiw

PPP

U

QY u

++λ

=

+=

Wegen der in (12) definierten Beziehungen gilt:

(20) qyKiwP ��

���

�+

λ=

Es folgt daraus für Tobins q sofort:

(21) qP

w

iKy

=−

��

��

λ

Sinken ceteris paribus die Kreditzinsen steigt also Tobins q. Gleiches trifft c.p. auf sinkende

Lohnstückkosten oder ein durch ein steigendes Preisniveau zu.

2.4 Der Anpassungsprozeß auf Vermögens- und Gütermarkt und Investitionen

Ein makroökonomisches Gleichgewicht bedeutet für die Investitionen, dass keine Bestandsände-

rung bezüglich des Kapitalstocks mehr gewünscht wird, d.h. die Nettoinvestitionen sind Null

( 0KI =∆≡ ). Für ein gegebenes Preisniveau ist also *KK = . Und auf dem Gütermarkt ist

HYY = oder 0QU = (oder q=1).

Für die Nettoinvestitionen gilt also

(22) )1q(II −= mit 0)0(I =

d.h. solange es eine positive Differenz zwischen erwarteten Erträgen und Finanzierungskosten

gibt, existieren Anreize, die Nettoinvestitionen zu erhöhen und den Kapitalstock auszuweiten, im

Falle einer negativen Differenz existieren Anreize, den Kapitalstock zu reduzieren.

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Zu einer Investitionstheorie kommt man, wenn man Formen adaptiver Erwartungsbildung

und/oder Anpassungsverzögerungen bei der Kapitalstockanpassung unterstellt. In beiden Fällen

wird aus (22):

(22a) �=

−=n

1ii)1q(II

Für die Akkumulationsdynamik ist demnach das Zusammenspiel zwischen Gewinn- und Ein-

kommenskomponente von Bedeutung.13 Die Einkommenskomponente zeigt dabei die gleichge-

wichtige Faktorentlohnung an. Die Quasi-Rente UQ als spezifischer Ertrag von Investitionen

kann jedoch in der Wirkung auf weitere Investitionen relevant sein, im Fall positiver Erträge

0QU > (bzw. 1q > ) als stimulierendes Moment, im Falle 0QU < (bzw. 1q < ) als retardieren-

des Moment. Die für die Investitionen so wichtigen Profiterwartungen er (oder Keynes' be-

rühmte "Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals") werden also durch die entsprechenden makro-

ökonomischen Quasirenten gestützt.

Anders formuliert: Laufende Profite bilden für sich allein noch keinen Anreiz für Nettoinvestiti-

onen, das sie die Wahl zwischen Investitionsobjekt und (zinstragendem) Vermögensobjekt offen

lassen. An der Grenze ( *rir == bzw 1q = ) ist man gerade indifferent. Positive Quasirenten

über einen gewissen Zeitraum und damit ein 1q > stützen jedoch für sich genommen die Renta-

bilität des Investitionsobjektes.

3. Die Ermittlung von Tobins q

Damit ist die Grundidee der empirischen Untersuchung umrissen: Es besteht ein kreislauftheore-

tischer Zusammenhang zwischen Tobins q und den makroökonomischen Marktlagengewinnen.

Bei Existenz von Angebotsbeschränkungen führt dies zu Preisreaktionen. Aus der abgeleiteten

Bestimmungsgleichung des Preisniveaus wird unter Zuhilfenahme von Gleichung (21) ein Wert

für q berechnet. Dieser soll dazu genutzt werden, die konjunkturellen Schwankungen der Investiti-

onstätigkeit zu erklären. In dem Maße, wie die Investitionen kapazitätswirksam werden, ver-

schwinden auch die Quasi-Renten (und q geht zu seinem Gleichgewichtswert zurück).

13 Vgl. Herr (1986).

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3.1 Die Zeitreihen und die Berechnung von Tobins q

Für die Berechnung des Tobinschen q wurden folgende Daten verwendet: Die Investitionen sind

die Ausrüstungsinvestitionen in Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR).

Für das Preisniveau wurde der Deflator der Bruttoinlandproduktes (BIP) benutzt. Die Lohn-

stückkosten w/λ errechnen sich aus den Lohnkosten w = Arbeitsentgelte/Beschäftigte und der

Produktivität λ =reales BIP/Erwerbstätige; wobei die "Arbeitsentgelte" in der VGR nach alter

Berechnungsmethode den "Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit" nach neuer VGR

(ESVG 93) entsprechen. Für den Zinssatz wurde als "Proxy" der kurzfristige Interbankenzinssatz

am Bankplatz Frankfurt (FIBOR) verwendet. Der reale Kapitalstock wurde im DIW Berlin ge-

schätzt. Ein nominaler Kapitalstock wurde näherungsweise über den Deflator der Ausrüstungs-

investitionen berechnet.

Prinzipiell wurden die Reihen vor 1991 nach der VGR alter Berechnungsmethode (für West-

deutschland) ermittelt. Ab 1991 wurden die gesamtdeutschen Zahlen nach neuer Berechnungs-

methode herangezogen.

Alle realen Zeitreihen wurden auf die Preisbasis 1995 umgestellt. Das Tobinsche q wurde für den

Zeitraum vor und nach der Umstellung der VGR ermittelt (gleichzeitig ist damit der Wiederver-

einigungsbruch berücksichtigt) und miteinander verkettet. In der theoretischen Ableitung ent-

spricht ein q = 1 dem Gleichgewichtswert, in der Praxis kann das q davon abweichen.14 Das em-

pirisch gemessene q weist einen Mittelwert von 0,88 auf, liegt also erstaunlich nahe am theore-

tisch erwarteten Wert. Wie die Abbildung zeigt, haben die Entwicklung der Kapital- und Lohn-

stückkosten15 einen direkten Einfluß auf das berechnete q. In rezessiven Phasen wie 1967, 1973

(erste Ölkrise) sowie 1979 (zweite Ölkrise) stiegen in Deutschland sowohl Lohn- wie Kapital-

stückkosten. Gleichzeitig ging Tobins q zurück. In daran anschließenden Phasen der Zinssen-

kung sowie moderater Lohnabschlüsse kam es zu einem Anstieg des q-Wertes. Im Zuge der

deutschen Wiedervereinigung kam es zu einem etwas anderen Verlauf – hier erhöhten sich zwar

über ein steigendes Zinsniveau die Kapitalstückkosten – die Lohnstückkosten gingen vereini-

gungsbedingt zuerst zurück, stiegen im Verlauf dann jedoch stark an. Im Verlauf der 90er Jahre

blieb die Lohnentwicklung dann äußerst moderat, was zu einem Anstieg der Q-Profite und damit

zu einem Anstieg des Tobinschen q führte. Die in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zu beo-

bachtende starke Zunahme des q – ohne dass ein enormer Investitionsboom ausgelöst wurde –

könnte auch mit Meßfehlern bei der Berechnung des Kapitalstocks zusammenhängen. Wird der

14 Die Begründung könnte in der Existenz von Risikoprämien liegen. Vgl. Collignon (1997).15 Die Werte wurden für eine bessere Darstellung etwas umbasiert.

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ostdeutsche Kapitalstock zu gering veranschlagt, was bei den Berechnungen des DIW Berlin zu

vermuten ist, so wird q entsprechend zu hoch ausgewiesen bzw. der Anreiz ist zu gering, K zu

erhöhen.

-1

0

1

20.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

60 65 70 75 80 85 90 95 00

Kapitalstückkosten gg. Vj.Lohnstückkosten gg. Vj. (*10)Tobins q

Kapital- und Lohnstückkostenentwicklung sowie Tobins q

Für die Ausrüstungsinvestitionen wäre eine Modellierung als Nettoinvestitionen in Frage ge-

kommen. Dies hätte neben einer Schätzung der Abschreibungen auch einer der Abgänge von

Kapitalgützern aus dem Kapitalbestand bedurft. Hier wurde – zumal die Daten schon vorlagen –

eine andere Herangehensweise gewählt, nämlich die Modellierung der Anpassungsgeschwindig-

keit des Kapitalstocks (I/K). Dies ist inhaltlich ähnlich und in der Praxis der Investitionsfunkti-

onsschätzungen durchaus üblich. Wie eine erste optische Inspektion zeigt, scheint der Zusam-

menhang zwischen beiden Zeitreihen (I/K und q) recht eng zu sein, was unsere vermutete In-

vestitionsfunktion bestätigt.

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14

-3

-2

-1

0

1

2

3

60 65 70 75 80 85 90 95 00

I/K (ohne Saison und mit Vereinigungsdummy)Q

I/K und Tobins q

Die Grafik zeigt recht anschaulich, dass die Anpassungsgeschwindigkeit des Kapitalstocks – zu-

mindest bis zum Ende der 80er Jahre – mit zeitlicher Verzögerung auf die Entwicklung von To-

bins q reagiert. In der Vereinigungsphase scheint der Zusammenhang gestört. Die rasche Lohn-

angleichung in Ostdeutschland führte – bei weitgehend konstanter Preissteigerung zu einer Ver-

schlechterung der q-Relation ohne den Investitionsboom zu bremsen.

3.2 Die Eigenschaften der relevanten Zeitreihen

Der Tests auf Stationarität für die Reihe den Tobinschen q sowie für die Reihe der Anpassungs-

geschwindigkeit der Investitionen nach der Methode von Dickey und Fuller ergab, dass die Rei-

hen als stationär angesehen werden können.

Dickey-Fuller Tests

Zeitreihe Teststatistik

Q (c) 3,63***

I/K 3,83***

*,**,*** zeigt Signifikanz auf dem 10, 5, bzw. 1%-Niveau.

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15

4. Der Zusammenhang zwischen Tobins q und der Anpassungsge-schwindigkeit des Kapitalstocks

4.1 Spektralanalytische Tests

Vor der Schätzung der Investitionsfunktion wurde über eine spektralanalytische Untersuchung

getestet, wie eng der Zusammenhang zwischen den beiden Reihen im konjunkturellen Bereich

ist.

Die Spektralanalyse ist für diese Zwecke sehr hilfreich. Das Korrelogramm eines Zeitreihenpro-

zesses kann über eine Fouriertransformation in ein Spektrum überführt werden. Die Spektral-

funktionen geben den Beitrag der jeweiligen Frequenzkomponente zur Gesamtvarianz an. Damit

kann – etwas salopper formuliert – ermittelt werden, wie stark kurzfristige, saisonale, konjunktu-

relle oder langfristige Schwankungen die Gesamtvarianz der Zeitreihe bestimmen. In der zeitrei-

henanalytischen Untersuchung überlagern sich die verschiedenen Schwingungen regelmäßig und

erschweren die Analyse.

Werden nun spektralanalytische Instrumente auf mehrere Zeitreihen angewendet, so kann z.B.

über die Berechnung der Kohärenz die Stärke des Zusammenhangs zwischen Zeitreihen an den

jeweiligen Frequenzen gemessen werden. Die Kohärenz hat zusätzlich die angenehme Eigen-

schaft invariant gegenüber verschiedenen linearen Transformationen zu sein.16

Die Kohärenz ist dabei als Mass für die Stärke des Zusammenhangs einer Beziehung zwischen

zwei Zeitreihen an einer bestimmten Frequenz anzusehen.17 Das Mass ist deshalb mit dem aus

der Regressionsanalyse bekannten R 2 vergleichbar. Nur bezieht es sich auf bestimmte Frequen-

zen, was es erlaubt, saisonale und kurzfristige Zusammenhänge von konjunkturellen und lang-

fristigen Zusammenhängen zu trennen. Dies ist ein interessantes Maß, dient es doch zum Test

auf einen gewissen Gleichlauf der Zeitreihen an einer definierten Frequenz. Damit kann zum

Beispiel die Eignung konjunktureller Indikatoren sehr gut ermittelt werden.18 Auch für die vorlie-

16 Die (quadrierte) Kohärenz ist hierbei als Funktion der Spektren und Kreuzspektren definiert: )(f)(f

)(f)(K

yyxx

2

xyxy λλ

λ=λ ;

wobei f a x y uaa ( ), , ,λ = das Spektrum an der Frequenz λ and fxy ( )λ das Kreuzspektrum (zwischen x und y) angibt.Vgl. König/Wolters (1972).17 König/Wolters (1972: 120).18 Vgl. Wolters (1996), Fritsche/Stephan (2000), Fritsche/Marklein (2001).

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gende Untersuchung ist ein Kohärenztest geeignet, kann man damit doch abschätzen, ob die

beiden Reihen im konjunkturellen Bereich einen engen Zusammenhang aufweisen.

Im folgenden wurden die Jahreswachstumsrate der Ausrüstungsinvestitionen, die (lineare) Trend-

abweichung der Ausrüstungsinvestitionen sowie die Anpassungsgeschwindigkeit des Kapital-

stocks I/K jeweils mit dem ermittelten Tobinschen q zusammen einer Kohärenzanalyse unterzo-

gen. Die beiden letzten Reihen wurden über geeignete Regressionen jeweils um den Vereini-

gungsbruch sowie die nicht interessierenden saisonalen Schwankungen bereinigt. Da die π-fachen

der Skala in Perioden umgerechnet werden können,19 interessiert für die konjunkturelle Betrach-

tung der Bereich links von π/4 (entspricht 2 Jahre bis ∞).

Kohärenzschätzungen

0.0

0.1

0.2

0.3

0.4

0.5

0.6

0.7

0.8

0.9

1.0

0 Pi/8 Pi/4 Pi/2 Pi

Kohärenz

Trendabweichung (ohne Saison undmit Vereinigungsdummy)

Jahreswachstumsrate derInvestitionen

I/K (ohne Saison und mit Vereinigungsdummy)

Signifikanz auf 5% (Koopmans)

Die Ergebnisse der Kohärenzschätzungen sind befriedigend. Sie zeigen, dass – gemessen an ei-

nem eingezeichneten Signifikanzwert, der auf Koopmans20 zurückgeht – ein signifikanter Zusam-

menhang zwischen der Trendabweichung der Ausrüstungsinvestitionen und q sowie der Anpas-

sungsgeschwindigkeit des Kapitalstocks und q im mittelfristigen Bereich besteht. Beide Reihen

weisen also ähnliche konjunkturelle Verläufe auf. Über die Phasenverschiebung der jeweiligen

Reihen kann jedoch die Kohärenz keine Auskunft geben. Hier gäbe es andere spektralanalytische

Maße wie die Phase, die jedoch wegen der Nichteindeutigkeit trigonometrischer Funktionen

schwer interpretierbar sind. Deshalb wurde ein zeitreihenanalytischer Test spezifiziert.

19 Ein π/n-faches entspricht 2n Perioden.20 Vgl. Koopmans (1974: S. 142).

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17

4.2 Granger-Kausalitätstests

Wegen der angedeuteten Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Phasenverschiebung wurde ein

zeitreihenanalytischer Test spezifiziert. Dabei bietet sich der Granger-Kausalitätstest an. Granger-

Tests bestimmen, ob Veränderungen einer Zeitreihe Veränderungen einer anderen Zeitreihe vor-

auslaufen. Dazu wird eine Zeitreihe auf ihre eigenen verzögerten Werte sowie die verzögerten

Werte der anderen Zeitreihe regressiert. In einem F-Test wird die gemeinsame Signifikanz der

verzögerten Werte der jeweils anderen Zeitreihe getestet.

Eine Schwierigkeit besteht im allgemeinen in der Bestimmung der Anzahl der zu berücksichti-

genden Verzögerungen.21 Wegen der engen inhaltlichen Nähe des Granger-Testes zu vektorauto-

regressiven (VAR)-Schätzungen, wurde ein VAR-System spezifiziert und über das Schwartzsche

Informationskriterium die optimale Verzögerungslänge bestimmt. Hier ergaben sich 5 Quartale.

Der Granger-Tests wurde entsprechend mit 5 Quartalen durchgeführt. Die I/K-Reihe ist um

saisonale Schwankungen sowie den Vereinigungsbruch mittels geeigneter Regressionen bereinigt

worden.

Testhypothese (H0) Resultat

Q ist kausal für I/K I/K ist kausal für Q

1,94* 0,55 Q � I/K

*,**,*** zeigt Signifikanz auf dem 10, 5, bzw. 1%-Niveau.

Als Ergebnis kann eine Granger-Kausalität von q auf I/K auf dem 10%-Niveau bestätigt werden.

Eine Schätzung der Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland

Für die Schätzung einer Investitionsfunktion mit saisonbehafteten Daten sowie wegen des Me-

tallarbeiterstreikes und der deutschen Wiedervereinigung muss die Regression mit Dummies spe-

zifiziert werden.

Das geschätzte Modell hat folgende Struktur:

(23) I K I K q S S S D Dt t i t i t i j t j/ /= + + + + + + +− − −��α β γ α α α α α0 1 2 3 4 51 2 3 84 91

21 Vgl. Gujarati (1995: S. 622).

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Die Anpassungsgeschwindigkeit des Kapitalstocks hängt also von eigenen verzögerten Werten

sowie von den aktuellen und verzögerten Werten von q ab. Zusätzlich kommen die Saisondum-

mies (S1 bis S3) sowie die erwähnten anderen Dummies zur Berücksichtigung.

Die Schätzung ergab folgendes Resultat:

�++−+−⋅+⋅−

⋅+⋅+⋅+α⋅=

−−−−−

−−−

dummiesq0006.0q0007.0q0007.0q0010.0q0006.0)K/I(4890.0

)K/I(4115.0)K/I(1845.0)K/I(8029.00018.0K/I

1312215

421

mit 2R =0.958 sowie einem Durbin-Watson von1,96. Alle Variablen sind auf dem 5%-Niveau

signifikant. Die Ergebnisse dieses Modell sind insgesamt befriedigend. Die Spezifikation scheint

in Ordnung zu sein. Die Residuen sind weitgehend frei von Autokorrelation. LM-Tests deuten

auf höchstens ganz geringe Probleme mit Autokorrelation 1. Ordnung, nicht jedoch höherer

Ordnung hin. Bei der Untersuchung auf Strukturkonstanz22 zeigen sowohl CUSUM-Test wie

auch der CUSUM-Quadrat-Test zeigen keine Anzeichen eines strukturellen Bruches.

-20

-10

0

10

20

92 93 94 95 96 97 98 99 00

CUSUM 5% Significance

CUSUM-Test für Modell I/K

-0.4

0.0

0.4

0.8

1.2

1.6

92 93 94 95 96 97 98 99 00

CUSUM of Squares 5% Significance

CUSUM-Quadrat-Test für Modell mit I/K

Gleiches trifft auf die Ergebnisse der Schätzung der rekursiven Koeffizienten zu.

Diskussion

Dem Ansatz von Collignon (1997) folgend, wurde der enge kreislauftheoretische Zusammenhang

zwischen dem Konzept von Tobins q und makroökonomischen Marktlagengewinnen aufgezeigt.

Dabei wurde unter Zugrundelegung der altkeynesianischen Überlegungen zu Einkommens- und

22 Der CUSUM-Test zeigt eine Aufsummation der Residuen der Schätzung, der CUSUM-Quadrat-Test entsprechendder quadrierten Residuen.

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Gewinninflation (dem Krug der Witwe der Treatise on Money) ein keynesianisches Inflationsmodell

(vgl. insbesondere Riese 1986) zur empirischen Identifikation des Tobinschen q benutzt. Dieses

ermittelte Maß erweist sich als empirisch gehaltvoll zur Schätzung von Investitionsfunktionen.

Hier bietet sich nun jedoch eine Verzahnung mit weiteren Forschungsrichtungen an. Einerseits

könnte die Rolle der wirtschaftspolitischen Gesamtkonstellationen in ihrer Auswirkung auf q und

letztlich I/K herausgearbeitet werden. Welche Rolle hat beispielsweise "Lohnzurückhaltung" für

die Investitionstätigkeit? Wie sieht es mit der Rolle der Geld- und Fiskalpolitik aus? An dieser

Stelle scheint das Konzept der "Marktphasen" bzw. "Marktkonstellationen" fruchtbar zu sein.23

Hier bietet sich Raum für weitere Forschungsarbeit.

Literatur

Barens, I.; Caspari, V. (Hrsg.) (1994): Das IS-LM-Modell: Entstehung und Wandel. Marburg.

Betz, K. (1993): Ein monetärkeynesianisches makroökonomisches Gleichgewicht. Marburg.

Betz, K. (2001): Jenseits der Konjunkturpolitik: Überlegungen zur langfristigen Wirtschaftspolitikin einer Geldwirtschaft. Marburg.

Collignon, S. (1997), Unemployment and Monetary Policy in the Single Market: A Dialogue withFranco Modigliani, in: Ders. (Hrsg.), European Monetary Policy, London/Washington, S.271-289.

Fritsche, U./Marklein, F. (2001): Leading Indicators of Euroland Business Cycles (= DIW Dis-cussion Paper. 238).

Fritsche, U./Stephan, S. (2000): Leading Indicators of German Business Cycles: An Assessmentof Properties (= DIW Discussion Paper. 207)

Funke, M. (1992): Tobin's Q und die Investitionsentwicklung in den Wirtschaftszweigen desUnternehmenssektors in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin.

Gujarati, D. (19953): Basic Econometrics, New York.

Herr, H. (1986): Geld, Kredit und ökonomische Dynamik in marktvermittelten Ökonomien – dieVision einer Geldwirtschaft. München.

Keynes, J. M. (1930): Treatise on Money. (dt.:) Vom Gelde. Berlin (19833)

König, H./Wolters, J. (1972): Einführung in die Spektralanalyse ökonomischer Zeitreihen, Mei-senheim am Glan.

Koopmans, L. H. (1974): The Spectral Analysis of Time Series, New York.

Riese, H. (1986): Theorie der Inflation. Tübingen.

Riese, H. (2001): Grundlegungen eines monetären Keynesianismus. 2 Bde., Herausgegeben vonBetz, K. u.a., Marburg.

23 Vgl. Riese (2001), insbesondere Bd. 2, S. 785ff.

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20

Tobin, J. (1969): The Equilibrium Approach to Monetary Theory, In: Journal of Money, Credit,and Banking, Vol. 1, S. 15-29.

Tobin, J. (1982): Money and Finance in the Macroeconomic Process, In: Journal of Money, Cre-dit, and Banking, Vol. 14, S. 171-204.

Wolters, J. (1996): Zur Beurteilung verschiedener Frühindikatoren für die Produktionsentwick-lung, In: Helmstädter, E.; Poser G.; Ramser, H.-J. (1996): Beiträge zur angewandten Wirt-schaftsforschung: Festschrift für Karl-Heinrich Oppenländer, Berlin, S. 339-361.