KZVB Satan auf der Spur - bzb-online.de · er es noch genauer wissen, so die Beraterin dort, solle...
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Satan auf der SpurMit Pilzberater Dr. Georg Dünzl auf der Suche nach einem Abendessen
Ein Vormittag Mitte August im Forstenrieder Park. Auf dem Weg in den Wald knirscht und knackt es unter meinen Füßen. Die Nadelbäume duften, die Luft ist schwülwarm, die Amseln singen und ich suche mein Abendessen. Ganz genau suche ich heute Pilze. Damit ich das nicht zum letzten Mal tue und der Artikel über die Schwammerl- suche tatsächlich erscheinen kann, begleitet mich Zahnarzt Dr. Georg Dünzl. Er ist ehrenamtlicher Pilzberater und weiß, worauf es beim Pilzesuchen ankommt.
Es war beim Joggen vor vier Jahren, als Dünzls
Liebe zu den Pilzen plötzlich wieder aufflammte.
Der Anblick eines Pilzes erinnerte ihn an seine
Kindheit. Da zog er noch mit seinem Vater durch
die Wälder und sammelte die Schwammerl körbe-
weise ein. 1986 verlor sich das erst einmal. Der
Reaktorunfall in Tschernobyl machte die Pilze aus
heimischem Boden ungenießbar. „Inzwischen
kann man sie wieder in Maßen essen“, weiß
Dünzl. Als ich mit ihm unterwegs bin, hat die
Hochsaison für Pilze bereits begonnen. Die nächs-
ten zwei Monate seien ideal, um auf Pilzsuche zu
gehen, erfahre ich. „Wenn es gut läuft, auch bis
Mitte November“, meint der Experte.
Wenn die Pilze aus dem Boden schießen, gibt es
auch in der Pilzberatungsstelle der Stadt München
viel zu tun. Vor drei Jahren besuchte auch der heu-
tige Experte diese Beratungsstelle – mit im Gepäck
hatte er einen „Boletus radicans“, den Wurzelnden
Bitterröhrling, wie er damals erfahren sollte. Wolle
er es noch genauer wissen, so die Beraterin dort,
solle er doch zum Pilzverein gehen. Das tat Dünzl
prompt und war auf der Stelle begeistert. 50 Pilz-
arten lagen auf dem Tisch, über die sich die Pilz-
enthusiasten austauschten. „Ich habe nur Bahnhof
verstanden, weil da nur die lateinischen Namen hin-
und hergeschmissen wurden.“ Aber das Interesse
war geweckt. Von da an ging Dünzl wöchentlich
zum Pilzverein und stellte für sich fest: „Menschens-
kinder, das Leben ist endlich. Wenn du nochmal was
Neues anfangen willst, dann musst du es jetzt ma-
chen.“ Also gab er 2016 seine Praxis nach 33 Jahren
auf, um sich ganz seinem Hobby zu widmen.
Und sein Hobby ist der Grund, warum wir heute
unterwegs sind. Nach ein paar Minuten gehen wir
vom Weg ab und laufen auf eine Wiese. Denn Dünzl
hat von einem anderen Pilzler, so nennen sich die
Experten untereinander, den Tipp bekommen, dass
genau hier gerade der Blaufleckende Purpurröhrling
wächst. Den möchte er finden. Während wir suchen,
erzählt mir der Mykologe von seiner ehrenamtlichen
Arbeit. Pilzsucher, die Rat brauchen, können ihn an-
rufen oder kommen persönlich vorbei. Zu seinem
Aufgabengebiet gehört auch der Unterricht in der
Volkshochschule. Mit den Kursteilnehmern geht er
dann gemeinsam auf Pilzsuche. Was es zu finden
gibt, hängt von vielen Faktoren ab. „Jedes Habitat
hat seinen eigenen Rhythmus. Der Sommerstein-
pilz eröffnet die Saison. Der Fichtensteinpilz mag es
dagegen etwas kalt und dampfig. Generell sollte es
nachts weniger als 15 Grad haben. Denn ist der Tem-
peraturunterschied zwischen Tag und Nacht nicht
groß genug, wird sich auch kein Pilz nach oben ins
Freie arbeiten.“ Das Sammelglück ist übrigens nicht
grenzenlos. Wer glaubt, dass er für sich, die Schwie-
gereltern und die fünfköpfige Nachbarsfamilie sam-
meln darf, irrt. Zwei Kilo pro Person darf ein Samm-
ler in der hiesigen Gegend zum Eigengebrauch mit
nach Hause tragen. Mir persönlich würden heute ein
paar Gramm Speisepilze schon genügen.
„Hier muss irgendwo eine Stinkmorchel sein“, sage
ich, die Speisepilzjägerin. Wir suchen die Fläche
„Für mich kann der Tag nach wie vor 36 Stunden haben. Mir war noch keine Sekunde langweilig, seit ich in Rente bin“, sagt der ehemalige Zahnarzt und heutige Pilzberater Dr. Georg Dünzl.
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: KZV
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| BZB September 17 | Praxis40
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ab, werden aber nicht fündig. Dünzl erklärt mir
aufmunternd: „Es gibt natürlich einiges was stinkt
im Pilzbereich. Das ist wie in der Zahnmedizin, bei
einer Wurzelbehandlung zum Beispiel.“ Den Pilz
zum Geruch finden wir dann doch nicht und ich
bin bemüht, den olfaktorischen Vergleich von Pilz
und Wurzelbehandlung aus meiner Vorstellung zu
verbannen. Schließlich bin ich auf der Suche nach
Speisepilzen. Und was sehe ich: eine Marone. Meine
ich. Mein Experte zückt dagegen erst einmal den
Spiegel, um dem Pilz unter den Hut zu schauen. Ein
erster Check zur genauen Analyse: Pore oder Lamelle?
Wie feingliedrig? Welche Farbe? Das sind nur einige
Komponenten, die zur Artbestimmung beitragen.
Auf jeden Fall ist es ein Traumstück. Klein, knackig,
ohne jegliche Schneckenspuren. So prächtig, dass
Dünzl sofort zu Stativ und Kamera greift. Ich dachte,
ich mache hier die Bilder für den Artikel, aber nein,
auch der Experte hält den Fund fest. Hat das einen
Grund? „Hobby“, lautet die verschmitzte kurze Ant-
wort. Es macht ihm einfach Spaß. Nach den Fotos
kommt endlich der finale Schnitt. Mein erster Pilz
für heute. Ich bin ein bisschen aufgeregt, schließlich
habe ich das gute Stück erblickt. Doch, was soll ich
sagen? Es ist gar keine Marone, denn diese würde
blau anlaufen, so Dünzl. Der Hut des Pilzes ist fein
samtig. Also ist es ein Filzröhrling. Aber „wenn Sie
mir den bringen, gebe ich ihn zum Essen frei“. Ich
komme meinem Abendessen also näher. Gramm für
Gramm zum Dinner for One.
Biss in den TodOb sauer, mit Rahm und Semmelknödel oder als
Suppe: Pilze schmecken einfach herrlich. Wenn
man sie denn verträgt. Und sich kein Exemplar
kredenzt, das womöglich giftig ist. „Pilzvergiftun-
gen machen nur 0,05 Prozent aller Vergiftungen in
Deutschland aus“, beruhigt Dünzl. In 95 Prozent
dieser Fälle sei der Grüne Knollenblätterpilz ge-
gessen worden. Allerdings, so erzählt er, seien die
Vergiftungszahlen wieder angestiegen. Besonders
betroffen seien Migranten wie Russen und Syrer,
denn in deren Heimat gäbe es ähnlich aussehende
essbare Pilze. Und welche Pilze kann ich nun beru-
higt einsammeln? „Die, bei denen Sie sich sicher
sind.“ Von Kostversuchen rät der Experte dagegen
dringend ab. Denn beispielsweise kann es beim
Knollenblätterpilz bereits mit kleinen Mengen kri-
tisch werden. 50 Gramm von ihm führen innerhalb
von vier Tagen zum Leberversagen.
Empfindliche FrüchteAls Pilzberater erlebt Dünzl einiges. Er erzählt von
einer ziemlich beratungsresistenten Sammlerin.
Sie suchte Dünzl mit einem Fliegenpilz auf, meinte
aber völlig überzeugt: „Den kenne ich ganz genau.
Das ist eine Rotkappe.“ Sein Rat an die Dame –
praktisch und konsequent zugleich: „Passen Sie
auf, es ist gescheiter, wenn Sie keine selbstgesam-
melten Pilze essen.“ Denn selbst bei der Recherche
in Pilzbüchern könnten falsche Schlüsse gezogen
werden. Das Bild alleine reiche nicht zur Art-
bestimmung, weiß er. Wichtig sei es auch, den Text
genau zu lesen. Bei einigen Pilzen komme es eben
auf Nuancen an. Bei manchen Pilzsammlern, die
seinen Rat suchen, hilft wohl nur eine klare An-
sage. Wenn beispielsweise Schwammerlsucher mit
einer Plastiktüte voller Pilze vorbeikommen, seufzt
Dünzl schon innerlich. „Die schwimmen teils schon
in ihrem eigenen Saft. Es ist dann problematisch,
sie zu überzeugen, dass alle Schwammerl wegge-
worfen werden müssen.“ Diese Fundstücke seien
zwar nicht giftig, aber bereits verwest. Pilze gehören
nun einmal in den Korb und nicht in die Tüte.
Wir streifen weiter und machen uns auf Richtung
Nadelwald. Dabei lacht mich ein kleiner knubbe-
Auf den Grill oder in die Mikrowelle mit den Pilzen, so lautet das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie. Denn dann bleiben die Nähr-stoffe weitestgehend erhalten. Das gilt zumindest für die essbare Ziegenlippe (l.). Den giftigen Satanspilz (r.) sollte man besser gleich im Wald stehen lassen.
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Praxis | BZB September 17 | 41
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liger Pilz an. Es ist der Satanspilz, klärt mich Dünzl
auf. Auch ein schönes Exemplar, welches prompt
für die Kamera Modell steht. Zwischen den Fichten
erzählt mir Dünzl von seinen 40 Jahren als Zahn-
arzt und warum er es schätzt, jetzt alleine durch
die Gegend zu streifen: „Wenn man 40 Jahre mit
Menschen zu tun gehabt hat, hält man das auch
mal aus“, sagt er lachend. Obwohl es genau das
war, was ihm am Zahnarztberuf besonders gefallen
hat. Der Umgang mit Menschen. Und: „Es ist ein
wahnsinnig vielseitiger Beruf. Er erfordert sowohl
intellektuelle als auch manuelle Kapazitäten. Das
heißt, Sie müssen handwerklich was draufhaben,
müssen aber genauso wissen, wie Sie Diagnosen
stellen, mit neuen Materialien umgehen, präzise
arbeiten und eine hohe Verantwortung tragen.“
Riechen, sehen, schmecken, fühlenViele Fähigkeiten, die er als Zahnarzt brauchte,
helfen ihm auch jetzt bei seinem Hobby. Denn zur
Pilzbestimmung benötige man fast alle Sinne: das
Auge für die Definition der Farben. Eine ruhige
Hand hilft beim Fotografieren. Die Nase erkennt,
ob der Pilz nach Marzipan, Kokos, Leuchtgas oder
heißem Lokomotivenöl riecht. Die Zunge sagt, ob
der Pilz bitter schmeckt. Und hier im Nadelwald
helfen uns beiden unsere Augen, mit denen wir un-
missverständlich sehen, dass hier noch gar nichts
an Pilzen zu holen ist.
Genatterter Stiel, widerlicher GeruchWir verlassen also den Nadelwald und machen
uns nochmal auf der Wiese auf die Suche nach
dem Blaufleckenden Purpurröhrling. Von dem ist
weit und breit nichts zu sehen. Aber wer braucht
den Blaufleckenden Purpurröhrling, wenn er dafür
einen Steinpilz sieht. So wie ich. Aber nein, werde
ich prompt korrigiert. Es handelt sich um einen
Netzstieligen Hexenröhrling. „Brauner Hut, ähn-
lich wie ein Steinpilz, rote Poren und Netz am Stiel.
Wenn man ihn aufschneidet, blaut er sehr stark“,
beschreibt Dünzl den Pilz. Ich bin ein bisschen ent-
täuscht. Wieder danebengelegen. Dafür lerne ich,
was der Unterschied zwischen einem Berater und
einem Sachverständigen ist. Um Pilzberater zu wer-
den, muss man bei der Bayerischen Mykologischen
Gesellschaft eine Prüfung ablegen. Bei dieser musste
Dünzl unter anderem in einem Korb voller Pilze
Bruchstücke des Grünen Knollenblätterpilzes finden.
Des Weiteren musste er sagen, welche Pilze er für
den Verzehr freigibt und welche nicht. Dafür muss
er nicht alle kennen. Nur darf er diese dann auch
nicht freigeben. Und um die Prüfung zu bestehen,
sollte er dann aber doch den überwiegenden Teil
der essbaren Pilze herausfinden. Außerdem musste
er die Merkmale eines Pilzes beschreiben können.
„Widerlicher Geruch nach Kunsthonig, Tortenstück,
abziehbare Huthaut, Stiel genattert und so weiter.
Das ist schon eine Herausforderung, sich das al-
les zu merken. In meinem Alter heißt das Wieder-
holung, Wiederholung, Wiederholung.“
Als Pilzsachverständiger ist übrigens noch mehr
Wissen notwendig. Und dieses Wissen macht sich
Dünzl gerade zu eigen, denn er steht kurz vor der
Prüfung zum Sachverständigen. Was muss er da
wissen? Sachverständige müssen die Krankenhaus-
mikroskopie beherrschen. Außerdem müssen sie
aus Putzresten oder in einer Pilzsuppe den Grünen
Knollenblätterpilz herausfinden. Wenn ein Notruf
aus dem Krankenhaus kommt, ist der Experte ge-
fragt. Die Polizei kommt mit der Suppe oder dem
Erbrochenen und der Sachverständige muss aus-
waschen und zu einem Ergebnis kommen.
Während Dünzl mir von seinen Aufgaben erzählt,
begegnen wir tatsächlich noch dem Blauflecken-
den Purpurröhrling. Er hat eine rosa Huthaut, bei
Berührung blaut sie. Zur Artbestimmung gehört es
auch dazu, den Schnitt zu analysieren. Bei einigen
Pilzen, die blau anlaufen, wird dann die Stoppuhr
gezückt. Denn manche verlieren die blaue Färbung
auch wieder. Während Dünzl sich über die erfüllte
Mission freut und noch einige Fotos zum Abschluss
macht, packe ich mein Notizbuch und meinen Stift
ein. Ich habe viel erfahren und viel Neues mitge-
nommen – außer meinem Abendessen. Denn das
steht nach wie vor gut versteckt im Forstenrieder
Park. Dort, wo die Nadelbäume duften, die Am-
seln singen, die Luft schwülwarm und der Satan
zu Hause ist.
Ilka Helemann
Hat Dünzl ein besonderes Exemplar aufgespürt, heißt es fotogra-fieren, analysieren, katalogisieren.
Foto
: KZV
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| BZB September 17 | Praxis42
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