Landschaftszerschneidung durch...
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132Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Freizeit und Tourismus
Landschaftszerschneidung durch InfrastrukturtrassenUlrich Schumacher und Ulrich Walz
Unsere heutige Kulturlandschaft inMitteleuropa besteht aus einem Mosaikverschiedener mehr oder weniger scharfvoneinander abgegrenzter Lebensräume.Dies lässt sich nur zum Teil auf die un-terschiedlichen natürlichen, insbeson-dere geologisch-bodenkundlichen Aus-gangsbedingungen zurückführen. In im-mer stärkerem Maße bewirken mensch-liche Nutzungsformen – vor allem In-frastrukturmaßnahmen – eine A Zer-schneidung der Landschaft in Flächenunterschiedlicher Größe.
Problematisch erscheinen einige di-rekte und indirekte Folgen der Ver-kehrsentwicklung, speziell unter demBlickwinkel des Natur- und Land-schaftsschutzes sowie der A naturnahenErholung:• Flächenverlust durch Versiegelung,• Lärm- und Schadstoffemissionen,• Störung des Landschaftshaushaltes
durch Veränderung des Mikroklimas,• Verinselung der Lebensräume von
Tierarten durch Zerschneidung ihrerWanderungslinien,
• kollisionsbedingte Todesfälle bei Tie-ren,
• Verkleinerung von Gebieten für dienaturnahe Erholung des Menschen,
• Störung der Eigenart von Land-schaftsbildern.
Untersucht man die Entwicklung derVerkehrsinfrastruktur in den beidendeutschen Staaten von 1960 bis 1989und die gemeinsame Entwicklung ab1990, so fällt beispielsweise bei den Au-tobahnen der starke Zuwachs in den al-ten Ländern bis 1989 auf, während inder DDR nur eine geringe Zunahme zuverzeichnen war E. Entsprach die Län-ge des Autobahnnetzes vor Beginn desMauerbaus noch etwa den Flächenpro-portionen zwischen beiden TeilenDeutschlands im Verhältnis von 2 zu 1,liegt dieses Verhältnis heute bei 5 zu 1.Der Nachholprozess in Ostdeutschland,der mit notwendigen Lückenschließun-
gen durch die „Verkehrsprojekte Deut-sche Einheit“ begonnen hat, droht zu ei-ner ähnlich starken Freiraumzerschnei-dung mit all ihren Folgen wie in großenTeilen Westdeutschlands zu führen.
Landschaftszerschneidungdurch InfrastrukturtrassenZur Bestimmung der Landschaftszer-schneidung im gesamten Bundesgebietwerden zunächst die Trassen von Auto-bahnen, Bundesstraßen und Landesstra-ßen betrachtet. Die höchsten Dichtenauf Kreisbasis 3 werden in den kreis-freien Städten sowie in den Verdich-tungsgebieten Rhein-Ruhr und Rhein-Main erreicht. Es existiert ein deutli-ches West-Ost-Gefälle, welches von ei-nem Mitte-Nord- bzw. Mitte-Süd-Ge-fälle überlagert wird. Außerdem sind fürdie Landschaftszerschneidung die Fern-strecken der Eisenbahn (ICE-, IC/EC-und IR-Strecken der Deutschen Bahn)von Bedeutung, besonders wenn es sich
um Neubau- oder Ausbautrassen han-delt.
Da innerhalb größerer Siedlungsberei-che das Verkehrsnetz zu dicht für dasVerbleiben nennenswerter Freiräume RRRRR
Bayern
Sachsen
Brandenburg
Mecklenburg-Vorpommern
Schleswig-Holstein
BremenHamburg
Niedersachsen
Berlin
Thüringen
Hessen
Rheinland-Pfalz
Nordrhein-Westfalen
Saarland
Baden-Württemberg
Sachsen-Anhalt
Unzerschnittene Freiräume 1997
Autor: U.Schumacher U.Walz
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000
nach Ländern
Maßstab 1: 6000000
25 750 50 100 km
Freiraum > 100 km²
Freiraum50 bis < 100 km²
übrige Fläche
Fläche desBundeslandes
1 mm² = 75 km²
25,2 %Freiräume
50 bis < 100 km²
55,5 %Restfläche
19,3 %Freiräume> 100 km²
Anteil unzerschnittener Frei-räume in Großschutzgebieten
1997
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000
Kiel
SchwerinHamburg
Berlin
Potsdam
Magdeburg
Dresden
Erfurt
München
Stuttgart
Wiesbaden
Mainz
Düsseldorf
Bremen
Hannover
Saarbrücken
Autoren:U.Schumacher,U.Walz
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000 Maßstab 1: 6000000
25 750 50 100 km
Straßennetzdichte 1997Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen
nach Kreisen
Straßendichtein km/km²
> 0,70 bis 0,95> 0,50 bis 0,70> 0,30 bis 0,50
> 0,95
< 0,30=
2 3
1
133Landschaftszerschneidung durch Infrastrukturtrassen
Oder
Main
Inn
Mosel
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Elbe
Sa
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Saale
Wes
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Lausi t zer Neiße
Rhein
Rhein
Rhe in
Donau
Donau
Weser
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Main
Fulda
B o d e n s e e
Müritz
Chiemsee
Schweriner See
StarnbergerSee
Ammer-see
Plauer See
Plauer See
KummerowerSee
>
Kiel
Schwerin
Hamburg
Bremen
Hannover
Magdeburg
Berlin
Potsdam
Dresden
Düsseldorf
Erfurt
Wiesbaden
Saarbrücken
Stuttgart
München
Mainz
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000
Landschaftszerschneidung durch Verkehrstrassen 1997
Autoren: U.Schumacher, U.Walz
Maßstab 1: 2750000
0 50 100 km7525
Unzerschnittene FreiräumeFlächengröße in km²
> 100
50 bis <100*
* inkl. grenzüberschreitender Räume 50 km²
Großschutzgebiete
Nationalpark
Naturpark
Biosphärenreservat
Bundesautobahn
Fernbahn
Siedlungsfläche derStädte >100 000 Einw.
Landeshauptstadt
100 km²
50 km²
=
übrige Fläche
A
4
134Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Freizeit und Tourismus
1 mm² = 20 km²
> 100 km²
8
in 1000 km²
< 20 km²
6
0
4
2
20 bis< 50 km²
50 bis< 100 km²
Anteil der Erholungs- und Schutzgebietean den Freiräumen in Sachsen 1994
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000
Erholungsgebiet
übrige Fläche
Gesamtfläche der Freiräume (einschließlichder Fläche der Land- und Forstwirtschaft)
Schutzgebiet
Landschaftszerschneidung in Schutz- und Erholungsgebieten 1994
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000 Maßstab 1 : 1 500000
0 20 50 km3010 40
Autoren: U.Schuhmacher, U.Walz
Sachsen
100 km2=>
50 bis 100 km2
übrige Fläche
LändergrenzeStaatsgrenzeEisenbahn
Autobahn im BauBundesstraße
Autobahn
Unzerschnittene Freiräume
Erholungsgebiet
Nationalpark, Naturpark,Biosphärenreservat, Natur-oder Landschaftsschutzgebiet
Schutzgebiete
TS
CH
EC
HI
SC
HE
RE
PU
B L I K
PO
LE
N
Siedlungsfläche(> 2,5 km )2
GöGöGörlitz
ZZZittau
Delitzschhh
GriGriGrimmammamma
Torgau
Döbeln
Mitt-weida Freiberg
DDDippoldiswaldeippoldiswaldeippoldiswalde
Marienberg
Meißen
ZwickauStollberg
Annaberg-Buchholz
Aue
WerdrdrdauGlauchauGlauchauGlauchau
Großenhain
KameKameKamenz
BautzenBautzenBautzen
Pirna
Hoyerswerda
PPPlauen
LEIPZIGLEIPZIGLEIPZIG
CHEMNITZCHEMNITZCHEMNITZ
DRESDENDRESDENDRESDEN
7
8
9
10
in 1000 km
1960 1999
6
0
5
3
4
2
1
Jahr1970 1980 1990
neue Länderalte Länder
Entwicklung des Autobahnnetzes 1960-1999
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000
und thematischer Daten die Flächen-größen der verbleibenden Freiräume alsMaß für die Landschaftszerschneidungdurch Infrastrukturtrassen ermittelt 4.Die Verteilung der unzerschnittenenFreiräume ist in Deutschland recht un-gleichmäßig: Während in Nordwest-und Süddeutschland derartige Räumezahlreich sind, ist in den großen Bal-lungsgebieten aber auch in einigenFremdenverkehrsregionen ein solchesPotenzial kaum mehr vorhanden 2.
Naturnahe ErholungDer gegenwärtige Trend im Freizeitver-halten ist durch eine Spezialisierung vonFreizeitaktivitäten sowie eine zunehmen-de Kommerzialisierung gekennzeichnet,was vielfach zu einer verstärkten Frei-zeitmobilität führt. So wird inzwischenmindestens die Hälfte aller Personenki-lometer auf dem Weg in die Freizeit oderin den Urlaub zurückgelegt, der größteTeil davon mit dem Pkw.
Die Qualität einer Landschaft für na-turnahe Erholung hängt von der frei-zeitinfrastrukturellen Erschließung so-wie vom Landschaftsbild ab. Eine dich-te Verkehrsinfrastruktur erweist sichzwar für die Erreichbarkeit als günstig,bringt aber negative Einflüsse wie Lärmund Schadstoffemissionen mit sich. Sosetzt man für eine von Hauptverkehrs-strömen unberührte Tageswanderungeine Fläche von mindestens 100 km²
an, ein Richtwert, der andere wichtigeParameter wie Flächenform oder vor-herrschende Nutzungsart noch nichtberücksichtigt.
Die Karte zur Eignung für naturnaheErholung H enthält zusätzliche Infor-mationen über die Flächennutzung in-nerhalb der beiden Größenkategorienunzerschnittener Freiräume. Dabei wur-de nach dem Flächenanteil erholungsre-levanter Nutzungstypen differenziert,wobei die CORINE-Daten der Haupt-klassen Wald, Grünland, naturnahe Flä-che, Feuchtfläche und Gewässer Ver-wendung fanden. Durch diese qualitati-ve Bewertung treten die wertvollen un-zerschnittenen Freiräume noch deutli-cher hervor als in der Hauptkarte 4. Esfällt auf, dass in den benachteiligtenRegionen wie dem Münsterland oderder Magdeburger Börde oftmals Nut-zungstypen dominieren, die eine geringeErholungseignung aufweisen, z.B. inten-sive Landwirtschaft.
Das Regionalbeispiel Sachsen F Gliefert Aussagen über die Korrelation mitden im Landesentwicklungsplan ausge-wiesenen Fremdenverkehrs- bzw. Erho-lungsgebieten. Für den Straßenverkehrwurden hier zusätzlich die Verkehrsstär-ken, d.h. die DTV-Werte (durchschnitt-liche tägliche Verkehrsmenge) pro Stra-ßenabschnitt (Zählung 1995), als Krite-rium für die Einbeziehung herangezogen.Als Untergrenze wurde ein DTV-Richt-
wert von 1000 Kfz/Tag angenommen,wobei dieser Wert nicht nur auf Auto-bahnen und Bundesstraßen, sondernauch auf nahezu allen Staatsstraßen er-reicht wird. Die Karte zeigt eine Konzen-tration unzerschnittener Freiräume nord-östlich von Leipzig, wo der NaturparkDübener Heide liegt, nordöstlich vonDresden in der Gegend des Biosphären-reservats Oberlausitzer Heide- undTeichlandschaft sowie im Bereich desErzgebirgskammes, vorzugsweise auftschechischem Staatsgebiet.
Natur- und LandschaftsschutzEine wichtige Rolle spielen die A Groß-schutzgebiete zur Bewahrung von biolo-gischer Vielfalt und von dazu notwendi-gen großflächigen Freiräumen. Da dieseGebiete häufig die letzten größerenA Refugialräume innerhalb intensiv ge-nutzter Landschaft darstellen, sind sieauch wichtig für die naturnahe Erho-lung. Die Darstellung unzerschnittenerFreiräume erfolgte deshalb im Zusam-menhang mit den Großschutzgebietenvon nationaler bzw. internationaler Be-deutung, um auf ein Problem aufmerk-sam zu machen: Mehr als die Hälfte derFläche aller Großschutzgebiete (vor al-lem Naturparke) in Deutschland befin-det sich in Räumen, die eine starke Zer-schneidung und damit Beeinflussungdurch stark frequentierte Verkehrstras-sen aufweisen 1 (AA Beitrag Job).
ist, wurden alle zusammenhängendenSiedlungsflächen größer als 5 km² a prioriausgeschlossen. Die Abgrenzung derSiedlungen erfolgte mit Hilfe vonA CORINE Bodenbedeckungsdaten.Aufgrund ihres Generalisierungsgradesmit 10 ha als kleinster Fläche lassen die-se Daten zwar nur großräumige Aussagenzu, sind aber für Vergleiche unterschied-lich strukturierter Räume gut geeignet.
Unter Nutzung eines GeographischenInformationssystems (GIS) wurdendurch Verarbeitung o.g. topographischer
F
G
5
135Landschaftszerschneidung durch Infrastrukturtrassen
Magdeburg
Kiel
Bremen
Hannover
Düsseldorf
Mainz
Stuttgart
München
ErfurtDresdennn
Potsdam
SchwerinHamburg
Wiesbaden
Saar-brücken
Berlin
Autoren: U.Schumacher,U.Walz
Eignung für naturnahe Erholung 1997
Maßstab 1: 3750000
0 50 100 km7525
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000
BundesautobahnFernbahnSiedlungsfläche derStädte > 100000 Einw.Landeshauptstadt
> 75 bis 100> 50 bis 75> 25 bis 50
0 bis 25
Anteil erholungsrelevanterNutzungstypen anunzerschnittenen Freiräumen
Flächenanteile in %
übrige Fläche
Die existenzielle Bedeutung von groß-flächig unzerschnittenen Freiräumen fürzahlreiche Tierarten ist bekannt. Durcheinen weiteren Ausbau des (Straßen-)Verkehrsnetzes würden nicht nur solcheRefugialräume reduziert oder ganz ver-schwinden, sondern es würde auch dasPotenzial der Landschaft zur naturna-hen Erholung beeinträchtigt werden.
FazitIn einer zunehmend zersiedelten undgroßräumig durch Lärm, Schadstoffeund andere Belastungen beeinträchtig-ten Umwelt gewinnt der Schutz großerFreiräume zweifellos an Bedeutung undfindet in der Raumplanung wachsendeBeachtung. Die regelmäßige Bilanzie-rung und Analyse der Entwicklung derFreiflächenzerschneidung besitzt imRahmen der Umweltbeobachtung eineerhebliche Bedeutung, da strukturelleVeränderungen schleichend verlaufenund in ihrem Ausmaß aus individuellerSicht nur schwer wahrgenommen wer-den können. Erst ein A Monitoring über
CORINE Land CoverCORINE ist die Abkürzung für COoRdina-tion de l’INformation sur l’Environment,ein Programm zur Erfassung der Boden-bedeckung in den EU-Mitgliedsstaaten.Auf der Grundlage von Daten des US-amerikanischen Fernerkundungssatelli-ten Landsat-TM und ergänzenden topo-graphischen Karten und Luftbildern wur-de eine europaweit flächendeckende di-gitale Datenbasis geschaffen.
FreiräumeAls Freiräume werden großflächige Ge-biete bezeichnet, die außerhalb der dichtbesiedelten Räume liegen. Sie erfüllenwichtige Funktionen als ökologischeAusgleichsräume und großflächige Erho-lungsgebiete.
GroßschutzgebieteSammelbegriff für Nationalparke, Na-turparke und BiosphärenreservateAA Beitrag Job.
MonitoringDie laufende Beobachtung eines Prozes-ses zur Kontrolle der Einflussfaktorenund Wirkungen. Das Umweltmonito-ring ist eine begleitende Schutzmaßnah-me für ökologisch gefährdete Räume.
Naturnahe ErholungFreizeitaktivitäten, die naturbezogensind und der körperlichen und geistigenWiederherstellung der Kräfte dienen,wie Wandern oder Radfahren. Dafürwerden unverlärmte und vielfältig struk-turierte Natur- und Kulturlandschaftenals besonders attraktiv empfunden.
RefugialräumeRückzugsflächen ohne menschliche Be-siedelung, Industrie- oder Verkehrsbela-stung für gefährdete Tier- und Pflanzen-arten.
ZerschneidungMit Zerschneidung bezeichnet man lini-enhafte vom Menschen geschaffeneStrukturen oder Materialströme, von de-nen Barriere-, Emissions-, Kollisionseffek-te oder ästhetische Beeinträchtigungenausgehen. Als unzerschnittene Frei-räume werden Bereiche bezeichnet, diezwischen Hauptverkehrstrassen liegen,jedoch von kleineren Straßen bzw. Bahn-strecken angeschnitten sein können.
größere Räume und Zeitabschnitte hin-weg ist in der Lage, das Ausmaß und dieFolgen von Veränderungen zu objektivie-ren. Die Erfassung und Bewertung derLandschaftszerschneidung durch Infra-struktur muss deshalb integrierter Be-standteil eines Umweltmonitorings sein.
Dabei reicht es als Zielstellung nichtaus, den Kfz-Verkehr aus verkehrlich
hochbelasteten und gleichzeitig ökolo-gisch sensiblen Räumen herauszuneh-men. Vielmehr sollte der Hebel an denUrsachen für die ständige Steigerungder Verkehrsleistung sowie an der Ver-kehrsmittelwahl angesetzt werden, wasletztlich vom persönlichen Denken undHandeln eines jeden abhängt.?
H