Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 36 Europa ...
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______________________________________ Europa- und Rechtsausschuss – 13. März 2013
Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 36 6. Wahlperiode Europa- und Rechtsausschuss
K U R Z P R O T O K O L L
der 36. Sitzung des Europa- und Rechtsausschusses am Mittwoch, dem 13. März 2013, 13:00 Uhr
in Schwerin, Schloss, Plenarsaal
Beginn: 13:03 Uhr EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG Öffentliche Anhörung
Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahlen im Land Mecklenburg-Vorpommern - Drucksache 6/1024 - in Verbindung mit: Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahlen im Land Mecklenburg-Vorpommern (Landes- und Kommunalwahlgesetz – LKWG M-V) - Drucksache 6/1030 - sowie: Antrag der Fraktion DIE LINKE Teilnahme an Bundestagswahlen mit 16 Jahren - Drucksache 6/1031 -
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Liste der Sachverständigen
- Michael Thomalla, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern e. V., Schwerin
- Jan Peter Schröder, Geschäftsführer des Landkreistages Mecklenburg-Vorpommern e. V., Schwerin
- Ronja Hingst, Paula Bergmann, Keven Seidel, Katharina Baganz als Teilnehmende bei „Jugend im Landtag 2012“
- Annette Lindner, Landesvorsitzende des Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin
- Jochen Schmidt, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin
- Dr. Sebastian Berger, Stellvertretender Landeswahlleiter des Statistischen Landesamtes Bremen
- Dr. Stephan Eisel, Bonn
- Jan Kercher, Universität Hohenheim, Fachbereich Kommunikations-wissenschaft
- Professor Dr. Joachim Krause, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften
- Professor Dr. Klaus Hurrelmann, Hertie School of Governance, Berlin
- Friedhelm Heibrock, Geschäftsführer Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern e. V., Schwerin
- Martin Klähn, Mehr Demokratie e. V., Schwerin
- em. Professor Dr. Hans Meyer, Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät, Berlin
- Peter Richter, LL.M., Rechtsanwalt, Saarbrücken
- Dr. Sebastian Berger, Stellvertretender Landeswahlleiter des Statistischen Landesamtes Bremen
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AUSSERHALB DER TAGESORDNUNG Die SPD-Fraktion habe Frau Martina Tegtmeier, Vorsitzende des Sozialausschusses, als ordentliches stimmberechtigtes Mitglied benannt. Die Fraktion DIE LINKE habe Frau Jaqueline Bernhardt als ordentliches stimmberechtigtes Mitglied benannt.
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EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG Öffentliche Anhörung
Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahlen im Land Mecklenburg-Vorpommern - Drucksache 6/1024 - in Verbindung mit: Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahlen im Land Mecklenburg-Vorpommern (Landes- und Kommunalwahlgesetz – LKWG M-V) - Drucksache 6/1030 - sowie: Antrag der Fraktion DIE LINKE Teilnahme an Bundestagswahlen mit 16 Jahren - Drucksache 6/1031 –
Vors. Detlef Müller teilt mit, dass zu der Anhörung vier Jugendliche als
Sachverständige eingeladen worden seien, von denen drei 16 Jahre alt seien. Sie
hätten alle im letzten Jahr am Projekt „Jugend im Landtag“ teilgenommen. Drei von
ihnen würden dem Ausschuss ihre Meinung zur Absenkung des Wahlalters darlegen.
In der Anhörung gehe es um die Absenkung des Wahlalters bei Landtags- und
Bundestagswahlen. Zur Absenkung des Wahlalters bei den Landtagwahlen hätten
die Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE jeweils einen
Gesetzentwurf vorgelegt. Die Fraktion DIE LINKE habe zudem einen Antrag gestellt,
mit dem sie fordere, dass der Landtag sich für die Teilnahme an Bundestagswahlen
mit 16 Jahren ausspreche. Da die Vorlagen einen engen thematischen Bezug
aufwiesen, habe sich der Ausschuss darauf verständigt, sie in der Anhörung
gemeinsam abzuhandeln. Die Vorlagen seien dem Ausschuss vom Landtag
überwiesen worden. Nun müsse eine entsprechende Beschlussempfehlung
erarbeitet werden.
Da es sich um eine öffentliche Anhörung handele, dürften Bild- und Tonaufnahmen
gemacht werden. Den Zuschauern sei es jedoch nicht gestattet, Beifall oder
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Missfallen zu äußern. Anhand der aus der Tischvorlage (vgl. Anlage 1) ersichtlichen
Reihenfolge würden die anwesenden Sachverständigen gehört.
Klaus-Michael Glaser (Referent des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-
Vorpommern e.V., Schwerin) nimmt Bezug auf die schriftliche Stellungnahme des
Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern e.V. (vgl. Anlage 2) und
führt aus, dass er zur Zeit im Ehrenamt als Kreiswahlleiter des Landkreises
Ludwigslust-Parchim tätig sei. Die Städte und Gemeinden hätten mit dem Thema
Wahlalter ihre Erfahrung. Seit 1999 sei das Kommunalwahlalter auf 16 Jahre und
seitdem auch das Bürgerentscheidsalter auf 16 Jahre gesetzt. Deswegen empfinde
der Städte- und Gemeindetag die vorliegenden Anträge als sehr sinnvoll. Im Jahre
2011 sei das Landes- und Kommunalwahlgesetz eingeführt worden. Danach würden
die Landtags-, Kreistags- und Landratswahlen gemeinsam durchgeführt werden. Der
Städte- und Gemeindtag spreche sich auch aus einem praktischen Grund für die
Absenkung des Wahlalters bei den Landtagswahlen auf 16 Jahre aus. Denn es sei
schwierig zu erklären, dass jemand für die einen Wahlen stimmberechtigt sei und für
die anderen nicht. Zu diesem Thema habe er dem Ausschuss einen Artikel
zugesandt (vgl. Anlage 2). Danach seien zwei Minderjährige in einem Wahlbezirk zur
Wahl gegangen und hätten für die Landtagswahlen ihre Stimmern abgeben dürfen,
nicht jedoch für die Landrats- und Kreistagswahlen. Dies sei ein Fehler eines
Wahlvorstandes gewesen, der dazu geführt habe, dass alle drei Wahlen fehlerhaft
gewesen seien. Sie seien zwar nicht angefochten worden, so dass die Wahlen nicht
hätten wiederholt werden müssen, nichtsdestotrotz sei dies peinlich gewesen. Dieser
Fehler sei nicht allein dem Wahlvorstand vorzuwerfen, sondern auch den
schwierigen Regularien.
Die verfassungsrechtlichen Gründe spielten für den Städte- und Gemeindetag
weniger eine Rolle. Man glaube auch nicht, dass mit der Absenkung des Wahlalters
die Partei- oder Politikverdrossenheit gesenkt würde. Man hoffe, dass diese zu einer
höheren belegten Wahlbeteiligung führe, die Erfahrung bei den Kommunalwahlen
belegten dies jedoch nicht unbedingt.
Ein weiterer praktischer Grund für die Absenkung sei, dass Jugendliche dann auch in
der Lage wären, in den Wahlvorständen mitzuwirken. Dort lernten sie mehr, was
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Demokratie bedeute, als wenn sie nur die Stimme abgäben. Von den
Kommunalwahlen wisse man, dass Jugendliche sehr gute und aufmerksame
Wahlvorstandsmitglieder seien. Dies sei für die Wahldurchführung sehr hilfreich.
Ein weiteres Grundsatzargument, das der Städte- und Gemeindetag bereits 1999
vorgebracht habe, sei folgendes: Es sei nicht verständlich, warum man Jugendlichen
zutraue, Kommunalangelegenheiten zu überschauen und ihre Stimme abzugeben,
die Angelegenheiten des Landtages jedoch zu kompliziert seien, als dass
Jugendliche sie verstehen könnten. In den Städten und Gemeinden fielen wie im
Landtag wichtige Entscheidungen, so dass der Städte- und Gemeindetag die
unterschiedliche Bewertung nicht nachvollziehen könne. Der Städte- und
Gemeindetag gehe sogar weiter und frage, warum nur das aktive Wahlrecht auf 16
Jahre abgesenkt werden solle. Insbesondere bei Kommunal-, aber auch bei den
Landtagswahlen könne man sich auch ein passives Wahlrecht ab 16 Jahren
vorstellen. Gutachten, die dies wegen des Elternrechts und des freien Mandats in
Frage stellten, überzeugten nicht. Wenn die Wähler einen 17-Jährigen in die
Gemeindevertretung oder sogar in den Landtag wählten, sollte dies möglich sei. Die
Hürde solle nicht der Gesetzgeber, sondern die Wahlbevölkerung sein.
Ein positiver Nebeneffekt sei, dass die Absenkung des Wahlalters Auswirkungen auf
das Volksbegehren und den Volksentscheid habe. Denn dann würden die 16 bis 18-
Jährigen auch dafür wahlberechtigt sein und zum Wahlvolk des Landes
Mecklenburg-Vorpommern zählen, das damit größer würde.
Ein weiterer positiver Nebeneffekt sei, dass es dann mehr Aktivitäten in der
politischen Bildung gebe. Es sei gut, wenn die Wahlen ein Anlass seien, junge Leute
rechtzeitig mit der Demokratie bekannt zu machen.
Der Städte- und Gemeindetag würde sich daher freuen, wenn der Ausschuss den
beiden Gesetzentwürfen zustimme. Darüber hinaus würde er sich auch freuen, wenn
der Absenkung des Wahlalters auch auf Bundesebene zugestimmt würde. Für den
Städte- und Gemeindetag seien jedoch die Europawahlen noch wichtiger als die
Bundestagswahlen, da diese in Mecklenburg-Vorpommern traditionell mit den
Kommunalwahlen gekoppelt seien. Dort gebe es die bereits benannten Probleme,
dass die Stimmberechtigung nur für einen Teil der gleichzeitig durchgeführten
Wahlen bestehe. Für die Europawahlen dürften die Jugendlichen auch nicht als
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Wahlhelfer tätig sein, obwohl das Auszählen nicht schwieriger sei als bei den
Kommunalwahlen. Der Städte- und Gemeindetag würde sich daher freuen, wenn
Mecklenburg-Vorpommern sich daher auch auf Bundesebene für die Absenkung des
Wahlalters auf 16 Jahre bei den Europawahlen einsetzen würde.
Katharina Baganz (Teilnehmerin bei „Jugend im Landtag 2012“) nimmt Bezug auf
ihre schriftliche Stellungnahme (vgl. Anlage 3) und führt aus, dass sie zusammen mit
den anderen drei Jugendlichen Teilnehmerin des Projekts „Jugend im Landtag“
gewesen sei. Sie sprächen sich alle für eine Herabsetzung des Wahlalters und damit
für eine generationsübergreifende Politik aus. Bisher entschieden nur Volljährige
über sämtliche gesellschaftspolitischen Themen wie Rente, Krankenversicherung,
Arbeitswelt und Bildung. Dies betreffe aber viele tausende Jugendliche im Land, die
von den Entscheidungen direkt betroffen seien, so insbesondere bei Reformen im
Bereich der Schule. Die Jugendlichen seien die besten Quellen im Bereich der
Schul- und Universitätsbildung. Herr Glaser habe angesprochen, dass Jugendliche
seit 1999 in Mecklenburg-Vorpommern auf Kommunaleben wählen könnten. Viele
Jugendliche seien jedoch sehr engagiert. Ihnen diene die Kommunalebe zwar als
guter Start, Demokratie kennenzulernen, sie hätten aber den Wunsch, sich auch auf
Landesebene zu beteiligen. In der Stimmabgabe sollte ein Gleichgewicht hergestellt
werden. Die Jugendlichen würden gerne mitentscheiden können, wenn es um
Bildung gehe oder ihre Zukunft. Jugendliche seien auch verantwortungsvoll,
beispielsweise als größeres Geschwisterkind oder als Mitglied in einem Sportverein.
Sie würden gerne sehen, wie die Parteien ihre neue Verantwortung wahrnehmen
würden, die neue Wählergruppe der 16 bis 18-Jährigen besser einzubinden und dies
in ihren Parteiprogrammen auch deutlich zu machen. Denn auch Jugendliche
könnten an Proteiprogramme Kritik üben und wollten, dass ihre Repräsentanten ihre
Meinung später im Landtag vertreten könnten.
Keven Seidel (Teilnehmer bei „Jugend im Landtag 2012“) nimmt Bezug auf seine
schriftliche Stellungnahme (vgl. Anlage 3) und führt aus, dass Jugendliche oft als
nicht verantwortungsvoll genug eingeschätzt und ihnen unterstellt werde, sie wüssten
nicht genau, was sie wählten. Schüler hätten sich jedoch insbesondere durch die
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geisteswissenschaftlichen Fächer wie Sozialkunde, Geschichte, Philosophie,
Religion, Arbeit, Wirtschaft, Technik (AWL) ein umfangreiches Wissen angeeignet. In
diesen Fächern würden schon früh aktuelle politische Themen diskutiert und
verschiedene ethische Auffassungen vorgestellt, sowie ein demokratisches
Wertefundament vermittelt. Daher seien Jugendliche teilweise besser informiert als
Erwachsene, insbesondere bei aktuellen Themen wie dem Klimawandel oder der
Europäischen Union. Sie seien in der Lage, differenziert zu denken und sich eine
eigene Meinung zu bilden und daher auch politisches Geschehen kritisch unter die
Lupe zu nehmen. Der Behauptung, dass Jugendliche extremer wählten, stimme er
nicht zu. Das zeige sich beispielsweise an den Wahlen in Bremen. Es werde auch
behauptet, Jugendliche seien politikverdrossen, ein großer Teil von ihnen wähle
überhaupt nicht. Studien würden belegen, dass Jugendliche nicht wählen wollten.
Dem halte er entgegen, dass bei den letzten Landtagswahlen 48,5 % der
Wahlberechtigten in Mecklenburg-Vorpommern nicht gewählt hätten. Denen könne
man – sodass von ihm zitierten Gegenargument zu Ende gedacht – dann auch das
Wahlrecht entziehen. Dies zeige, dass politisches Desinteresse nicht nur in der
Altersgruppe der Jugendlichen, sondern ebenso bei älteren Menschen bestehe. Es
gebe in jeder Altersgruppe einen Bevölkerungsanteil, der sich frage, warum er
wählen solle.
Viele Jugendliche stünden bereits mitten im Leben. Sie hätten eine Ausbildung
absolviert, seien einer Partei beigetreten, viele engagierten sich sozial, so dass ihnen
gesellschaftliche Missstände auffielen. Im Alter von 17 Jahren sei es bereits möglich,
sich als Zeitsoldat bei der Bundeswehr zu verpflichten. Hier gehe es lediglich darum,
den Jugendlichen eine Stimme und die Möglichkeit zu geben, einen Repräsentanten
für den Landtag zu wählen.
Jugendliche könnten auch Probleme der Freizeitkultur und Bildung einschätzen,
mithin, wo sie die Probleme des Landes sehen. In einer Demokratie sei es wichtig,
dass alle Bevölkerungsgruppen Einfluss nehmen könnten, um dann Kompromisse zu
schließen. Nur so seien die Parteien gezwungen, sich vor diesen Gruppen zu
rechtfertigen. Es sei wichtig, dass die Parteien die Jugendlichen als Wählergruppe
anerkennen würden. Nur so könne die Jugendpolitik verbessert werden.
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Ronja Hingst (Teilnehmerin bei „Jugend im Landtag 2012“) nimmt Bezug auf ihre
schriftliche Stellungnahme (vgl. Anlage 3) und fügt hinzu, dass die Absenkung des
Wahlalters mit einer frühen politischen Bildung einhergehen müsse. Vorzugsweise
sollte diese bereits ab dem elften Lebensjahr erfolgen, damit Jugendliche bereits
eine ganze Legislaturperiode miterlebt hätten und eine Grundlage für die erste
Stimmabgabe mit dem sechzehnten Lebensjahr geschaffen werde. Projekte wie
„Jugend im Landtag“ oder „Jugend debattiert“ vermittelten Jugendlichen bereits früh
politische Strukturen. Sie könnten noch mehr unterstützt und verstärkt an Schulen
angeboten werden. Vor einem Jahr hätten in Rostock Oberbürgermeisterwahlen
stattgefunden. Die Kandidaten seien in ihre Schule eingeladen worden und hätten
ihre Ziele dargelegt und den Schülern geschildert, welche Politik sie verfolgten. Ihre
ganze Klasse habe sich darüber ausgetauscht und alle hätten darüber geredet. Am
Ende hätten jedoch nur fünf wählen dürfen, obwohl die ganze Klasse dazu bereit
gewesen wäre. Durch die Absenkung des Wahlalters würde für die Schüler eine
größere Motivation entstehen, sich für Politik zu interessieren. Dies käme auch den
Lehrern entgegen. Denn wenn Jugendliche Politik aktiv mitgestalten könnten, die sie
betreffe, dann würde das Interesse daran wachsen. Schüler seien im Unterricht
aufmerksamer, wenn Lehrstoff vermittelt würde, den sie anwenden könnten, als
wenn sie wüssten, dass sie dies erst in Zukunft betreffen werde. Wichtig sei auch, an
den Schulen das Interesse an einer Schülervertretung mehr zu stärken. Bereits in
der Grundschule sei es so, dass zunächst ein Kinderrat und erst später eine
Schülervertreteung gewählt werde. Dort würden den Kindern politische Strukturen
vermittelt, sie müssten mit anderen Kindern und Jugendlichen diskutieren,
vergleichbar der heutigen Ausschusssitzung. Wenn dies weiter gestärkt würde,
könnten Jugendliche sehr gut mit dem sechzehnten Lebensjahr wählen. Jugendliche
würden bereits früh Verantwortung tragen. Insbesondere im Bildungsbereich würden
Jugendliche sehen, welche Auwirkungen die Politik auf ihren Schulalltag habe und
somit einen viel größeren Bezug zur Bildungspolitik haben. Zur Stärkung des
Demokratieverständnisses und zum Heranführen Jugendlicher an die Politik sollten
die Wahlen den Jugendlichen offenstehen. Wenn man Zukunftspolitik gestalten
wolle, seien die vorliegenden Gesetzentwürfe ein Schritt in die richtige Richtung.
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Jochen Schmidt (Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-
Vorpommern, Schwerin) nimmt Bezug auf seine schriftliche Stellungnahme (vgl.
Anlage 4) und führt aus, dass er aus Sicht der politischen Bildungsarbeit Argumente
auf drei Ebenen vortragen werde, die ihn zu einer relativen Skepsis hinsichtlich der
Absenkung des Wahalters führten. Diese Skepsis ertrecke sich aber nicht auf die
Frage, ob Jugendliche grundsätzlich in der Lage seien, verantwortungsvolle
politische Entscheidungen bei Wahlen zu treffen. Aus der Erfahrung von Projekten,
die die Landeszentrale für politische Bildung, abhalte, sei dies weitestgehend
unstrittig.
Der erste Punkt beziehe sich vielmehr auf die Frage, an welches Alter das Wahlrecht
gekoppelt werde. Grundsätzlich müsse jede altersmäßige Einschränkung bei Wahlen
begründet werden. Denn das allgemeine Wahlrecht stehe als Grundrecht in der
freiheitlichen Demokratie jedem Bürger zu. Für die Festlegung von Altersgrenzen, ob
nun mit dem vierzehnten, sechzehnten, achtzehnten oder einundzwanzigsten
Lebensjahr, könnten immer nur Hilfskonstruktionen herhalten. Eine solche
Hilfskonstruktion, die aus seiner Sicht bislang sinnvoll gewesen sei, sei die
Koppelung des Wahlrechts an die Volljährigkeit mit 18 Jahren. Die Forderung nach
einer Absenkung des Wahlalters postuliere eine willkürlichere Festlegung der
Altersgrenze als das Wahlrecht ab 18 Jahren, da die Koppelung an die Volljährigeit
fehle. Weitere Assymetrien, die zur Sprache gekommen seien, seien die
unterschiedlichen Altersgrenzen bei den Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und
Europawahlen. Dies sei bereits jetzt für die politische Bildung schwer vermittelbar,
weil es keine schlüssige Erklärung dafür gebe, warum es diese Unterschiede gebe.
Das gelte insbesondere für die Trennung von aktivem und passivem Wahlrecht, die
notwendig werde, da das passive Wahlrecht nur bei voller Geschäftsfähigkeit
denkbar sei. Eine Auflösung dieser Widersprüche sei nur möglich, wenn man
ernsthaft in Betracht zöge, das Alter für die Volljährigkeit herabzusenken. Dann
entstünde eine innere Logik. Insgesamt müsse aus Sicht der politischen Bildung für
eine horizontale und vertikale Harmonisierung der Altersgrenzen beim Wahlrecht
plädiert werden. Ein Ausbau des jetzt anzutreffenden Flickenteppichs sei der
politischen Bildungsarbeit eher abträglich.
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Ein ähnliches Argument, aber auf einer anderen Ebene, sei das Wahlrecht als
Symbol. Das allgemeine, freie, gleiche, unmittelbare, geheime Wahlrecht sei
selbstverständlich konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen Demokratie. Die
besondere Bedeutung, die dem Wahlrecht beigemessen werde, lasse sich nicht nur
historisch ableiten, sondern auch an den Hürden ermessen, die einem Entzug oder
einer Aberkennung des Wahlrechts vorausgehen müssten. Neben den rein
juristischen oder praktischen Aspekten bedeute dies, dass das Wahlrecht einen
hohen symbolischen Wert für das Selbstverständnis der Demokratie habe, gerade in
Abgrenzung zu diktatorischen Systemen. Auch vor diesem Hintergrund sehe er eine
Absenkung des Wahlalters auf das sechzehnte Lebensjahr momentan eher als
problematisch. Es würde zumindest implizit signalisieren, dass Entscheidungen über
das Gemeinwesen weniger wert oder einfacher sein könnten, als die Übernahme von
Verantwortung in eigener Sache. Dies würde zu einer impliziten Abwertung des
Wahlrechts führen. Beispielsweise seien die letzte Entscheidungskompetenz
hinsichtlich der Eheschließung oder das Führen eines Pkws an die
Geschäftsfähigkeit gekoppelt. In der politischen Bildung ginge es immer darum, den
hohen Stellenwert von Wahlen und des Wahlrechts zu vermitteln. Die Konsequenz
sei das Werben für die Parallelisierung von Wahlrecht und Volljährigkeit, um
staatsbürgerliche Rechte und Pflichten in Einklang zu bringen.
Dritter Punkt sei, dass in der Öffentlichkeit behauptet werde, durch die Absenkung
des Wahlalters werde die Politikverdrossenheit eingedämmt, das Interesse für Politik
geweckt, so dass sie einen Beitrag zur politischen Bildung darstelle. Die singuläre
Einführung des Wahlalters ab 16 Jahren könne vielleicht unterstützend wirken,
jedoch alleine für sich genommen die Probleme nicht lösen. Politikverdrossenheit sei
bereits ein problematischer Begriff, hier könne eher politische Bildung helfen. Die
Absenkung des Wahlalters, die zweifelsohne ein Partizipationsanreiz sei, könne
helfen, eine größere Nähe und Beschäftigung mit Politik herzustellen.
Entscheidender in diesem Zusammenhang seien jedoch die konkreten
Partizipationsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb von Schulen wie in
Jugendparlamenten und wie die Schülerbeteiligung an Schulangelegenheiten. Im
Vergleich zu diesen Partizipationsmöglichkeiten sei das Wahlrecht dann relativ
abstrakt. Allein durch das Wahlrecht könne das Interesse für Politik auch nicht
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geweckt oder gesteigert werden. Hier müssten flankierende Maßnahmen in der
außenschulischen und schulischen Bildung erfolgen. Entscheidend für den
politischen Bildungserfolg seien vor allem Zeit und eine angemessene
Methodenwahl. Man müsse sich eher Gedanken darüber machen, wie man sich in
Schulen früher mit Themen wie Wahlen, Parteien oder Parlamentarismus
auseinandersetzen könne und sich die Curricula ansehen. Sollte das Wahlalter bei
Landtagswahlen auf 16 Jahre herabgesetzt werden, müssten parallele Maßnahmen
zur Harmonisierung mit anderen Normen erfolgen sowie eine Verbesserung der
Rahmenbedingungen für die politische Bildung an Schulen in Angriff genommen
werden.
Dr. Sebastian Berger (Stellvertretender Landeswahlleiter des Landes Bremen)
nimmt Bezug auf seine schriftliche Stellungnahme (vgl. Anlage 5) und führt aus,
dass er Referatsleiter beim Senator für Inneres und Sport für den Bereich Wahlen in
Bremen und in dieser Funktion zugleich Stellvertretender Landeswahlleiter von
Bremen sei. Er bitte um Verständnis, dass er aus dieser Funktion nicht Stellung zu
den vorliegenden Gesetzentwürfen nehmen könne. Jedoch werde er darauf
eingehen, wie die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei der Bürgerschaft in
Bremen verlaufen sei, was die Gründe dafür gewesen seien und welche Erfahrungen
damit gemacht worden seien.
Vorweg wolle er darauf hinweisen, dass kommunalverfassungsrechtlich in Bremen
eine ganz besondere Situation bestehe, die auch bei der Diskussion über die
Absenkung des Wahlalters eine Rolle gespielt habe. Bremen sei der einzige
Zweistädtestaat in Deutschland. Das Land Bremen bestehe aus den Stadtgemeinden
Bremen und Bremerhaven. In der Stadtgemeinde Bremen bestehe die Besonderheit,
dass die Kommunalwahl mit der Landtagwahl zusammenfalle. Für die
Zusammensetzung des Kommunalparlamentes sei die Landtagswahl von ganz
entscheidender Bedeutung. Lediglich in Bremerhaven werde kommunal separat
gewählt, für die sogenannte Stadtverordnetenversammlung. Im Jahre 2009 habe
Bremen als erstes Bundesland das aktive Wahlrecht bei Landtagwahlen ab
Vollendung des sechzehnten Lebensjahres eingeführt. Das passive Wahlrecht liege
weiterhin bei 18 Jahren. Die Reform des Wahlrechts im Jahre 2009 sei eine sehr
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umfassende gewesen. Sie habe sich nicht nur auf das Wahlrecht ab 16 Jahren
beschränkt, sondern es sei ein Mehrstimmenrecht eingeführt worden. Danach hätten
die Bürgerinnen und Bürger 5 Stimmen, die sie beliebig zwischen Personen und
Listen verteilen könnten. Für das Wahlrecht ab 16 Jahren habe es schon in den 90er
Jahren erste Anlaufversuche seitens der Grünen gegeben. Sie hätten zunächst keine
Mehrheiten gefunden. Im Jahre 1999 sei dann auf Antrag der Fraktionen der SPD
und CDU im Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss das erste Mal sehr
eingehend eine Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre geprüft worden.
Seinerzeit sei auch der Sachverständige Professor Dr. Hurrelman angehört worden,
der sehr nachdrücklich dafür plädiert habe, das Wahlalter abzusenken. Er habe das
maßgeblich damit begründet, dass sich die Kinder und Jugenedlichen rein körperlich
weiterentwickelt hätten. Der Beginn der Pubertät sei in den letzten 100 Jahren weit
nach vorne verschoben worden. Es sei daher sinnvoll, das aktive Wahlrecht
herunterzusetzen. Der Bremische Gesetzgeber habe sich im Jahre 2000 noch nicht
dazu durchringen können, habe dann jedoch im Jahre 2006 einen ersten Schritt
unternommen, in dem das aktive Wahlalter für die sogenannten Beiräte – dies seien
in Bremen die Ortsteilparlamente – auf 16 Jahre heruntergesetzt worden sei. Im
Jahre 2007 habe sich die Bremische Bürgerschaft erneut mit dem Thema des
aktiven Wahlrechts bei Landtagswahlen ab 16 Jahren befasst und einen Ausschuss
hierzu eingesetzt. Dieser Ausschuss habe zunächst die verfassungsrechtliche
Zulässigkeit des Antrages geprüft, ob Artikel 28 des Grundgesetzes (GG), das
Homogenitätsprinzip, oder Artikel 38 GG entgegenstünden. Die Frage sei damals
verfassungsrechtlich umstritten gewesen. In der Literatur habe sich jedoch
mehrheitlich die Auffassung gefunden, dass das Homogenitätsprinzip nicht dazu
zwinge, einen Einklang des Landtagswahlrechtsalters mit dem
Bundestagswahlrechtsalter vorzusehen. Dieser Auffassung hat sich der Ausschuss
angeschlossen. Es seien dann die Unterlagen aus der Anhörung des
Sachverständigen Hurrelmann hinzugezogen worden, ein
Erziehungswissenschaftler, Prof. Pallentin, sei als Sachverständiger angehört
worden, der nachdrücklich eine Ausweitung zumindest im kommunalen Bereich
befürwortet habe. Er habe dies damit begründet, dass die Angelegenheiten im
kommunalen Bereich für 16jährige überschaubar seien. Dies habe für den Stadtstaat
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die Bedeutung, dass die Bereiche quasi zusammenfielen. Bremen und Bremerhaven
zusammen seien nicht so viel größer als die Stadtgemeinde Bremen allein, so dass
der Ausschuss eine Überschaubarkeit für das Land Bremen angenommen habe. Der
Ausschuss habe damals sehr eingehend darüber beraten, ob andere Altersgrenzen,
die im Rechtssystem normiert seien, zu einer Bewertung zwingen würden, das
Wahlrechtsalter nicht abzusenken, insbesondere der Eintritt der Volljährigkeit mit 18
Jahren. Hier sei die Frage erörtert worden, ob es erforderlich sei, einen Gleichklang
zu schaffen. Dies habe der Ausschuss verneint, insbesondere deshalb, da Artkel 38
GG selbst keinen solchen Einklang fordere. Denn dort werde das aktive Wahlrecht
mit 18 Jahren gewährt, während für das passive Wahlrecht der Eintritt der
Volljährigkeit Voraussetzung sei. Dieses Alter habe früher nicht bei 18 Jahren
gelegen. Der Ausschuss habe geschlussfolgert, dass Altersgrenzen insgesamt, die in
anderen Rechtsgebieten bestehen, beispielsweise die Religionsmündigkeit mit 14
Jahren, auf die spezifischen Gebiete zugeschnitten seien und nicht dazu zwingen
würden, auf den Bereich des Wahlrechts übertragen werden zu müssen. Der
Ausschuss habe die Auffassung vertreten, dass 16 und 17jährige in der Lage seien,
die Bedeutung von Wahlentscheidungen zu erfassen. Denn die Lebenssituation von
Jugendlichen habe sich in den letzten Jahren ganz massiv verändert. Dies zeige sich
schon in der Auflösung der traditionellen Form der Kleinfamilie. Es gebe nun andere
Formen des Zusammenlebens, in denen Kinder und Jugendliche viel stärker
gefordert würden. Auch im Bereich der Medien habe es tiefgreifende Veränderungen
gegeben, so dass Jugendliche viel selbständiger geworden seien. Im Ausschuss
hätten sich dann die Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE
LINKE für eine Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre ausgesprochen. Die
Fraktion der CDU habe dies abgelehnt. Die FDP habe dies für Landtagswahlen
abgelehnt, jedoch für die Kommunalwahlen in Bremerhaven befürwortet. Der
Ausschuss habe in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich betont, die
Absenkung im Bereich der Landtagswahlen auf 16 Jahre beim aktiven Wahlalter sei
letztlich eine Folge der historischen Besonderheiten der Landesverfassung der
Freien Hansestadt Bremen, da es in der Stadtgemeinde Bremen keine eigenständige
Kommunalwahl gebe. Die Frage des passiven Wahlrechts ab 16 Jahren habe der
Ausschuss diskutiert und wegen der Spannungen mit dem Elternrecht abgelehnt. So
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stelle sich die Frage, was geschehe, wenn jemand in das Parlament gewählt und die
Eltern die Teilnahme an den Plenarsitzungen verbieten würden. Das habe man als
sehr schwierig eingestuft und davon abgesehen. Im Jahre 2011 sei dann das erste
Mal nach dem neuen Wahlrecht gewählt worden. Das habe alle Beteiligten vor große
Herausforderungen gestellt, da das Wahlrecht umfassend reformiert worden sei. Es
sei schon im Rahmen der Ausschussberatung Einingung darüber erzielt worden,
dass es zwingend erforderlich sei, die gesetzliche Absenkung des Wahlalters auch
mit einer entsprechenden Vorbereitung der Jugendlichen auf die Wahlen
einhergehen zu lassen. Dazu seien sehr viele Maßnahmen durchgeführt worden.
Exemplarisch zu nennen sei das flächendeckende Projekt „Juniorwahl“. Dies sei ein
Projekt des Berliner Vereins „Kumulus“, das auch bereits in vielen anderen
Bundesländern durchgeführt worden sei. Dies finde an Schulen statt und sei ein
Projekt zur Förderung der politischen Bildung. In Bremen hätten sich die
Bürgerschaft, die Landeszentrale für politische Bildung, der Senator für Inneres und
die Bildungssenatorin an dem Projekt beteiligt. Insgesamt hätten 84 Schulen mit über
13.000 Schülerinnen und Schülern teilgenommen. Innerhalb dieses Projektes sei
eine Einführung ins neue Wahlrecht gegeben worden. Eine Woche vor der „echten“
Wahl hätten dann in den Schulen „fiktive“ Wahlen stattgefunden, in den Klassen 7 bis
13. Diese Ergebnisse seien später nach der „echten“ Wahl veröffentlicht worden.
Daneben habe zum neuen Wahlrecht insgesamt, das ein Mehrstimmenwahlrecht
umfasst habe, eine Informationskampagne stattgefunden. Diese habe aus Plakaten,
Flyern, Broschüren, Schnupperwahllokalen, einer Homepage und einem Kinospot
bestanden. Man habe sich sehr darum bemüht, diese Kampagne sehr jugendgerecht
zu gestalten. Das Motto habe gelautet: „Gib mir 5.“ Man habe auch mit facebook und
twitter gearbeitet, was damals noch etwas moderner geswesen sei als heute, um die
Jugendlichen zu erreichen. Es hätten dann auch noch Projekte des Vereins „Mehr
Demokratie“ stattgefunden wie das Projekt „Demokratie macht Schule“, das
workshops an Schulen beinhaltet habe. Schließlich sei ganz gezielt versucht worden,
Erstwählerinnen und Erstwähler ab 16 Jahren als Wahlhelferinnen und Wahlhelfer
anzuwerben. Dies sei in großem Umfang auch gelungen. Man habe dadurch
Informationen über die Wahl und das neue Wahlrecht an diese Personengruppe und
ihre Bezugspersonen transportieren wollen.
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Exakte Daten zur Wahlbeteiligung und zum Wahlverhalten der 16jährigen lägen
aufgrund des Statistikgeheimnisses nicht vor. Allerdings gebe es doch sehr deutliche
Anhaltspunkte dafür, wie diese Gruppe gewählt habe. Einmal könne man sich die
repräsentative Wahlstatistik für die 16 bis 20jährigen ansehen, dann die Befragungen
der Meinungsforschungsinstitute am Wahltag, die die 16 und 17jährigen befragt
hätten und schließlich noch das Ergebnis der fiktiven Juniorwahl.
Die Wahlbeteiligung als solche habe bei den Wahlen zur Bürgerschaft-Landtag
landesweit im Jahre 2011 bei 55 %, für die Stadt Bremen nach der repräsentativen
Wahlstatistik bei 51 % gelegen. Bei der Gruppe der 16 bis 20jährigen habe es nach
der repräsentativen Wahlstatistik eine Wahlbeteiligung von 48,6 % gegeben, also
geringfügig unter dem Schnitt, aber diese Wahlbeteiligung habe deutlich höher
gelegen, als die der folgenden Altersgruppen, nämlich der 21 bis 34jährigen, so dass
man sagen könne, die Jüngeren seien gut vertreten gewesen.
Er habe eine Tabelle vorbereitet (vgl. Anlage 5), in der die Erkenntnisse aus den
verschiedenen Statistiken und Befragungen nebeneinander gelegt worden seien.
Wenn man sich das über den Daumen ansehe, könne man sagen, dass es
zumindest deutliche Anhaltspunkte dafür gebe, dass die 16 bis 17jährigen
überdurchschnittlich stark die Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Die
Piraten und NPD gewählt hätten. Unterdurchschnittlich stark hätten die CDU und
SPD abgeschlossen.
Nico Lange (stv. Leiter der Hauptabteilung „Politik und Beratung“ der Konrad-
Adenauer-Stiftung, Berlin) führt aus, dass er in Vertretung für Herrn Dr. Eisel
anwesend sei, der eine schriftliche Stellungnahme vorgelegt habe (vgl. Anlage 6).
Viele der Argumente seien bereits in der Debatte aufgetaucht, so dass er sie nicht
wiederholen werde. Wenn man sich Umfragen ansehe, welche die Frage gestellt
hätten, welche Jugendliche denn selbst Interesse an der Senkung eines Wahlalters
hätten – hier könne er auf die Umfrage der Shell-Jugendstudie aus dem Jahre 2006
verweisen – dann hätten nur 24,7 % der befragten Jugendlichen im Alter zwischen
12 und 25 Jahren eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre befürwortet. Ein
ähnliches Ergebnis zeigten andere Studien, wie beispielsweise die Forsa-Umfrage in
Berlin, die Studie „Jugend in Brandenburg 2010“, also auch Umfragen neueren
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______________________________________ Europa- und Rechtsausschuss – 13. März 2013
Datums, in denen sich fast durchgängig in etwa ein Drittel der Jugendlichen für eine
Senkung des Wahlalters aussprächen und zwei Drittel dagegen oder sich gleichgültig
äußerten. In Ergänzung zu dem, was aus Bremen soeben berichtet worden sei,
könne man sich ansehen, welche Erfahrungen es in Sachsen-Anhalt gebe, wo man
auch bereits das Wahlalter gesenkt habe. Hier könne er auf eine Mitteilung der
Landesregierung an den Landtag Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2006 verweisen, in
der die Landesregierung feststelle, dass sich nur sehr geringfügige Veränderungen
bei der Wahlbeteiligung in der Gruppe der sogenannten Jungwähler ergeben hätten,
obwohl die Gruppe durch die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre sehr stark
vergrößert worden sei. Das decke sich auch mit einer aktuellen Jugendstudie der
Konrad-Adenauer-Stiftung, in der es um politische Einstellungen und politische
Wertvorstellungen Jugendlicher gehe. Diese komme zu dem Ergebnis, dass
Jugendliche und Erwachsene sich fast überhaupt nicht unterschieden, wenn es um
Interesse oder Teilhabewünsche an der Politik gehe. Man könne daraus
schlussfolgern, Jugendliche seien nicht mehr, aber auch nicht weniger an Politik und
demokratischer Teilhabe interessiert, als Erwachsene. Gleichzeitig mit anderen
Studien weise es aber darauf hin, dass es eine größer werdende Gruppe von
Nichtwählern und überhaupt nicht an Politik interessierten Menschen gebe. Dieses
Problem müsse tatsächlich angegangen werden.
Ein für die Absenkung des Wahlalters häufig ins Feld geführte Argument sei das der
besseren Repräsentation von Jugendlichen und jungen Menschen in der Politik. Er
glaube, dass dies ein sehr wichtiges Argument sei – gerade auch im Hinblick auf den
demographischen Wandel. Vor diesem Hintergrund sei es dann aber schwierig
nachzuvollziehen, warum bei 16jährigen das aktive und passive Wahlrecht getrennt
werden solle. Dies laufe wieder auf das Elternrecht und die Bindung an die
Volljährigkeit hinaus, die die Voraussetzung für das passive Wahlrecht seien. Auch
aus demokratietheoretischen Überlegungen sei es schwierig zu begründen, warum
aktives und passives Wahlrecht überhaupt voneinander getrennt werden könnten.
Dies sollte man bei einer Entscheidung über die Absenkung des Wahlalters
berücksichtigen.
Weiter sei die Altersgrenze von 16 Jahren willkürlich. Es gebe einige Verbände, die
die Absenkung der Altersgrenze auf 14 Jahre forderten, es gebe eine aktuelle
Rechta-Apr06-036 36/19
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Forderung der Piratenpartei in Berlin, die Altersgrenze auf 7 Jahre abzusenken. Es
gebe auch wieder aus demokratietheoretischen Überlegungen heraus keine
nachvollziehbare Begründung, warum die Absenkung ausgerechnet auf 16 Jahre
erfolgen solle. Die jetzige, auch für die Bundestagswahl auch so vorgeschriebene
Bindung an die Volljährigkeit sei da plausibler. Die Förderung der Repräsentation von
Jugendlichen und Interessen von Familien mit Jugendlichen und Kindern sei wichtig.
Vielleicht könnten aber anstelle der Absenkung des Wahlalters Überlegungen über
ein Familienwahlrecht oder über die Gewichtung von Stimmen von Wählern mit
Kindern in die Argumentation mit einfließen.
Zuletzt wolle er noch auf einige grundsätzliche Überlegungen hinweisen, die den
Flickenteppich beträfen, den Herr Schmidt bereits angesprochen habe. Es sei wieder
aus demokratietheoretischen Überlegungen heraus sehr schwer zu begründen,
warum für unterschiedliche Wahlen unterschiedliche Altersgrenzen gelten sollten. Er
glaube, es sei gefährlich, den Eindruck zu erwecken, bestimmte Wahlen seien
weniger wichtig als andere. Dieser Eindruck scheine bei einigen in der Bevölkerung
vorzuherrschen, wenn man sich die Wahlbeteiligung an Kommunal- und
Europawahlen gegenüber der Wahlbeteiligung an Bundestagswahlen ansehe. Er
glaube nicht, dass man diesen Eindruck unterstützen sollte.
Er wolle noch einen Hinweis aus der internationalen Arbeit der Konrad-Adenauer-
Stiftung geben. Die Konrad-Adenauar-Stiftung gebe hier, ebenso wie die Venedig-
Kommission des Europarates, den Hinweis, dass Änderungen des Wahlalters wie
des Wahlrechts insgesamt sehr hoher demokratischer Hürden bedürfen. Dies sei in
den Bundesländern der Bundesrepublik sehr unterschiedlich. In manchen
Bundesländern brauche man eine Zweidrittelmehrheit, in manchen nur eine einfache
Mehrheit. Das Argument der Venedig-Kommission und auch der Stiftung im Ausland
bei der Beratung sei immer, eine niedrigere Grenze erwecke die Gefahr
parteitaktischer Überlegungen. Bei der Absenkung des Wahlalters in Österreich, die
damals sehr stark von der SPÖ betrieben und eingeführt worden sei, habe sich
gezeigt, dass 44 % der Erstwähler dann die SPÖ gewählt hätten.
Friedhelm Heibrock (Geschäftsführer Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern
e.V., Schwerin) nimmt Bezug auf die schriftliche Stellungnahme des
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Landesjugendrings (vgl. Anlage 7) und führt aus, dass er Vater zweier Kinder sei.
Als solcher habe er erlebt, wie seine Tochter im Jahre 2011 mit 16 Jahren sowohl
den Bürgermeister als auch die Gemeindevertretung, den Kreistag, und über den
Namen des Landkreises habe wählen dürfen, nur den Landtag habe sie nicht wählen
dürfen, obwohl sie politisch durchaus interessiert gewesen sei. Der
Landesjugendring habe sich schon seit 1995 auf die Fahnen geschrieben, dass auch
bei Landtagswahlen das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt werden sollte. In der
Stellungnahme, die der Landesjugendring abgegeben habe, werde nicht auf die
Bundestags- und Europawahl hingewiesen. Der Landesjugendring sei aber Mitglied
im Bundesjugendring (DBJR) und fordere auf dieser Ebene, also der Bundesebene,
auch die Wahlalterabsenkung für die Bundestags- und Europawahl. In der
Stellungnahme werde auf einige Argumente eingegangen, die bei der ersten Lesung
der Gesetzentwürfe hier im Landtag auffällig gewesen seien. Die
verfassungsrechtliche Zulässigkeit wolle er außen vor lassen, weil Argumente hierzu
bereits schrftlich vorgelegt worden seien. Vielmehr wolle er auf das eingehen, was
hier in der Anhörung eine Rolle gespielt habe, nämlich die Volljährigkeit und andere
Altersgrenzen. Seines Erachtens nach gebe es keinen Junktim zwischen dem
Wahlrecht, der Volljährigkeit und zivilrechtlicher Mündigkeit von jungen Leuten. Wenn
man sich das Straf- und Zivilrecht ansehe, gebe es dort ganz bestimmte
Ausführungen zum Schutz von Minderjährigen. Er denke jedoch, dass das Wahlrecht
keine gesundheits- und entwicklungsgefährdende Materie darstelle, vor der junge
Leute geschützt werden müssten. Auch was die Volljährigkeit angehe sei es so, dass
man nicht nur in der alten Bundesrepublik erlebt habe, dass es zwischen 1917 und
1975 eine Diskrepanz zwischen Volljährigkeit und Wahlrecht gegeben habe. Die
Volljährigkeit sei erst 1975 von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt worden, das Wahlrecht
allerdings schon 1917 auf 18 Jahre. Bei der Volljährigkeit sei die unbeschränkte
Geschäftsfähigkeit das Entscheidende. Das bedeute, vor 18 Jahren würden
Jugendliche vor negativen Folgen ihres Handelns geschützt. Dort greife eben der
Taschengeldparagraph nach § 110 BGB ein, der besage, ein Jugendlicher könne nur
soweit haftbar gemacht werden, als er den Gegenstand, für den er haftbar gemacht
werden solle, auch überschauen könne. Seines Erachtens nach müsse der
Jugendliche vor den Folgen des Wahlrechts nicht geschützt werden, da es dort keine
Rechta-Apr06-036 36/21
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negativen Folgen geben könne. Von daher sei der Zusammenhang zwischen
Volljährigkeit und Wahlrecht sehr konstruiert.
Ein zweiter Punkt sei die Urteils- und Kritikfähigkeit von jungen Leuten zwischen 16
und 18 Jahren. Er denke, dass diese Altersgruppe im Gegensatz zu der übrigen
Bevölkerungsgruppe Mecklenburg-Vorpommerns nicht weniger urteils- und kritikfähig
sei. Man müsse berücksichtigen, dass die 16 bis 18jährigen in Mecklenburg-
Vorpommern nach 1989 ihr gesamtes Leben in einer pluralistischen Demokratie
verbracht hätten. Man könne auch nicht nachweisen, dass die Urteils- und
Kritikfähigkeit von jungen Leuten und überhaupt von weiteren Altersgruppen im Laufe
der Jahre steige, sondern man könne vielleicht umgekehrt sagen, dass sie auch
etwas sinke. Es sei bereits dargestellt worden, dass junge Leute durchaus in der
Lage seien, politisches Geschehen, politisches Handeln durchaus kritisch zu
begleiten. Junge Leute wählten bei der Landtagswahl Volksvertreter, denen ebenfalls
Urteils- und Kritikfähigkeit zugestanden werde. Denn die Landtagswahl sei Ausfluss
der repräsentativen Demokratie und diene der Legitimation von Volksvertretern.
Junge Menschen könnten sich auch im Schulunterricht damit auseinandersetzen,
was an politischen Entscheidungen anstehe und damit den Wahlen durchaus
kritischer gegenüberstehen als ältere Menschen, die nur nach allgemeiner
parteipolitischer Abhängigkeit zur Wahlurne gingen.
Der Landesjugendring finde es wichtig, dass Demokratie eingeübt werde und
demokratische Werte vermittelt werden. Dies könne nicht nur Aufgabe von
Elternhaus und Zivilgesellschaft, sondern müsse auch Aufgabe von Schule und
Schulpolitik sein. Für letzteres sei das Land auch zuständig. Hier könne in Schulen
noch wesentlich mehr vermittelt werden als auch in der außerschulischen Bildung
wie der Landeszentrale für politische Bildung. Auch private Organisationen wie
Jugendverbände müssten entsprechend gefordert werden, demokratische und
politische Bildung Jugendlichen zu vermitteln. Dies könne durch entsprechende
Förderprogramme geschehen. Der Landesjugendring selbst sei bereit,
entsprechende Verantwortung zu übernehmen, nicht nur durch „Jugend im Landtag“,
sondern auch durch die Jugendverbände in Mecklenburg-Vorpommern, die bei
Landtags-, Kommunal-, Bundestags- und Europawahlen mit unterschiedlichen
Aktionen bei Jugendlichen um deren Interesse werben. Er könne sich nur wünschen,
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dass die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre nicht durch den Landtag politisch
ausgesessen werde, so wie zur Zeit durch die Bundesregierung ausgesessen werde,
die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern.
Martin Klähn (Mehr Demokratie e.V., Schwerin) nimmt Bezug auf die schriftliche
Stellungnahme von „Mehr Demokratie“ (vgl. Anlage 8) und führt aus, dass er seit
1990 Mitglied bei „Mehr Demokratie“ sei. Damals sei es noch der „Omnibus für
direkte Demokratie“ gewesen, ein Verein, der heute noch existiere. „Mehr
Demokratie“ habe sich dann im Laufe der 90er Jahre gegründet. Als Gründungsleute
und Mitinitiatoren der runden Tische, die auch ein plebiszitäres Element darstellten,
seien sie damals auch aus dem Bezirk Schwerin angesprochen worden, ob sie sich
für Bürger und Volksentscheide einsetzen wollten. Er habe sich in der Folge
intensiver damit beschäftigt, was unter anderem dazu geführt habe, dass der Verein
1992 in Mecklenburg-Vorpommern eine Kampagne mit organisiert habe, damals mit
dem „Omnibus für direkte Demokratie“, und dafür geworben habe, dass die
Menschen sich in den Diskussionsprozess um die Landesverfassung mit einbringen,
gerade bei Punkten wie den Staatszielbestimmungen. Er habe damals mit dem Bus
auf verschiedenen Marktplätzen gestanden und erlebt, dass Leute die Verfassung
als „pro forma“ abgetan und gesagt hätten, dass die Verfassung nichts zu bedeuten
habe. Das wisse man aus der alten Zeit, in der es doch auch eine Verfassung
gegeben habe. Es sei deutlich geworden, was für eine riesige Aufgabe vor dem
Verein gelegen habe, um bei den Menschen für Demokratie zu werben. Wenn man
sich an diese Zeit zurückerinnere, falle einem der enorme Autoritätsverfall ein, dass
gerade Eltern und Lehrer nicht mehr die Definitionsmacht gehabt, sondern ganz oft
von ihren Kindern die neue Zeit erklärt bekommen hätten. Diese seien an die
Veränderungen angeschlossen gewesen, wo hingegen die Eltern alte Prägungen oft
nicht so schnell hätten überwinden können. Seinerzeit sei er von der
Bürgerbewegung her in der politischen Bildung gelandet. Er habe es hochinteressant
gefunden, am Anfang bei dem Verein „Arbeit und Leben“ mitzuwirken, heute arbeite
er bei dem Verein „Politische Memoriale“. Er habe diesen Übergang aus den alten
Verhältnissen in die neue Zeit als einen Prozess begriffen, der gestaltet werden
müsse. Er habe es bedauert, dass damals nicht mehr Zeit darauf verwendet worden
Rechta-Apr06-036 36/23
______________________________________ Europa- und Rechtsausschuss – 13. März 2013
sei, die Leute aus Ostdeutschland mitzunehmen, sondern es ihnen selbst überlassen
habe, klar zu kommen. In den 20 Jahren Mitwirkung in der politischen Bildung sei
ihm klar geworden, wie wichtig das Einüben, das immer wieder damit
Auseinandersetzen, das immer wieder Wiederholen von Inhalten sei. Das Werben für
Demokratie sollte bereits vor dem 16. Lebensjahr erfolgen. Er fände es gut, wenn es
dies dann auch eine entsprechende Konsequenz habe, wenn also Jugendliche, die
sich damit auseinandersetzten, dann auch eingreifen könnten und ihre Partizipation,
ihr Engagement auch eine Konsequenz habe.
Mit der Absenkung des Wahlalters werde auch eine Erweiterung des
Themenspektrums einhergehen, was er interessant fände. Wenn man sich ansehe,
wo Jugendliche aktiv mitwirkten, seien dies insbesondere Umweltschutz, Fragen von
Frieden und Gerechtigkeit oder der Bewahrung der Schöpfung. Dass Jugendliche
sich in entsprechenden Vereinen dafür einsetzten und demonstrierten verdiene, dass
sie bis zum Schluss konsequent handeln könnten und damit eben auch wählen
dürften. Ob das Wahlalter noch weiter abgesenkt werden solle als 16 Jahre, könne
man seiner Meinung nach diskutieren. Dafür, dass das Wahlalter aber auf 16 Jahre
abgesenkt werde, zumindest für die Landtagswahl, wolle er hier plädieren.
Peter Richter (Rechtsanwalt, Saarbrücken) nimmt Bezug auf seine schriftliche
Stellungnahme (vgl. Anlage 9) und führt aus, dass er die Gesetzentwürfe in erster
Linie unter rechtlichen Gesichtspunkten würdigen wolle. Insbesondere wolle er die
Fragen ausblenden, ob Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren die sittliche
Verstandesreife hätten, an Wahlen teilzunehmen. Dies sei eine Frage, die
Erziehungswissenschaftler oder andere Sachkundige bewerten könnten.
Zunächst wolle er herausstellen, dass bei der Frage, welches Wahlalter im Gesetz
festgelegt werde, der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl berührt werde. Dieser
könne zwar vom Gesetzgeber eingeschränkt werden, aber nur aus zwingenden
Gründen. Dass Altersgrenzen notwendig seien, sei wohl unstreitig. Die Frage sei nur,
wie hoch sie angesetzt werden. Da hier die Altersgrenze von 18 auf 16 Jahre
herabgesetzt werden solle, werde der Eingriff in den Grundsatz der Allgemeinheit der
Wahl reduziert, so dass die Gesetzentwürfe keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken unterlägen. Ganz im Gegenteil sei die Annahme der Gesetzentwürfe
Rechta-Apr06-036 36/24
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seiner Meinung nach verfassungsrechtlich geboten, aufgrund einer Überlegung, die
bereits angesprochen, aber noch nicht exakt dogmatisch verortet worden sei. Das
Problem bestehe darin, dass nach gegenwärtiger Rechtslage ein Wahlrecht für
16jährige schon bei Kommunlawahlen bestehe, während bei Landtagwahlen die
Altersgrenze von 18 Jahren gelte. Diese Differenzierung erweise sich seiner
Auffassung nach als schlichtweg willkürlich. Man könne eben gerade nicht sagen,
dass Kommunalwahlen unbedeutender seien als Landtagwahlen oder umgekehrt,
dass die Teilnahme an Landtagwahlen eine größere sittliche Verstandesreife
erfordere. Das Grundrecht der Allgemeinheit der Wahl, das Wahlrecht insgesamt,
könne, was die erforderliche Verstandesreife anbelange, nur einheitlich beurteilt
werden. Der Gesetzgeber könne bestimmen, dass bei allen Wahlen durchgängig das
Wahlalter von 16 oder 18 Jahren gelten sollten.
Der mögliche Hintergrund für eine Differenzierung zwischen Landtags- und
Kommunalwahlen könne sein, dass der Landtag Gesetze im formellen Sinne
erlassen könne und Teil der Legislative sei, während die Gemeinderäte,
Bürgermeister und Landräte letztendlich Teil der Exekutive seien und nur Gesetze im
materiellen Sinne erlassen könnten. Seines Erachtens nach sei diese Differenzierung
aber nicht tragfähig weil der Wahlakt als solcher immer der gleiche bleibe, nur die
Themen, die zur Wahl stünden, gegebenenfalls andere seien. Die einen Themen
seien aber nicht wichtiger als die anderen.
Ob man das Alter auf 16 oder 18 Jahre festsetzen solle, könne er nicht beurteilen. In
jedem Fall sollte es aber für alle Wahlen einheitlich sein. Durch die Herabsetzung
des Alters bei den Kommunalwahlen habe der Gesetzgeber schon gezeigt, dass er
Personen ab 16 Jahren die entsprechende Verstandesreife zugestehe. Dies müsse
berücksichtigt werden. Dies sei ja auch bereits einige Jahre durchexerziert und die
gesetzgeberische Prognose sei nicht widerlegt worden. Es sei also nicht festgestellt
worden, dass die 16jährigen nicht in der Lage seien, verantwortungsvoll mit dem
Wahlrecht umzugehen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht müsse sich der
Gesetzgeber an der Prognose, die er für Kommunalwahlen getroffen habe, festhalten
lassen und diese auf die Landtagwahlen übertragen. Danach müsse das Wahlalter
insgesamt auf 16 Jahre herabgesetzt werden. Es könne sein, dass es dann zu
Kollisionen mit dem Recht der Volljährigkeit komme. Auf der anderen Seite bestehe
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momentan auch keine Kongruenz. Zudem werde die Volljährigkeit vom
Bundesgesetzgeber festgelegt, während hier das Wahlrecht vom Landesgesetzgeber
geregelt werde. Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes gebe es insofern
keine Probleme, da verschiedene Hoheitsträger am Werk seien. Er sei daher der
Auffassung, dass die Gesetzentwürfe aus verfassungsrechtlicher Sicht angenommen
werden müssten und wolle dem Ausschuss eine entsprechende Empfehlung
abgeben.
Vors. Detlef Müller bedankt sich bei den Sachverständigen und eröffnet die
Fragerunde.
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Abg. Martina Tegtmeier führt aus, dass einige neue Aspekte vorgetragen worden
seien. An dem ersten Redebeitrag von Herrn Glaser komme man nicht vorbei. Die
Punkte, die er genannt habe, seien auch von anderen aufgegriffen worden, so
insbesondere die Frage, warum nur das aktive Wahlrecht abgesenkt werden solle.
Konsequenterweise müsse dann auch das passive Wahlrecht abgesenkt werden.
Das gelte nicht nur für die Kommunal-, sondern auch für die Landtags-, Bundestags
und auch Europawahlen. Einige Anzuhörende hätten diese Frage ausgespart, weil
die Fragestellung sich auf das aktive Wahlrecht bezogen habe.
Dennoch stelle sie zunächst an Herrn Richter die Frage, ob seine Ausführungen
auch für das passive Wahlrecht gelten würden.
Der Landesjugendring habe bereits in der letzten Legislaturperiode dazu Stellung
bezogen und sich dahingehende geäußert, dass das aktive Wahlrecht herabgesenkt
werden sollte, das passive nicht. An Herrn Heibrock habe sie daher die Frage, wie er
das hier und heute sehe.
Herr Dr. Berger habe berichtet, die Gruppe der jugendlichen Neuwähler sei mit 48 %
Wahlbeteiligung sehr stark ins Gewicht fallen. Die Statistiken, die Herr Lange
herangezogen habe, hätten jedoch wesentlich darunter liegende Quoten enthalten.
Die Wahrheit würde irgendwo in der Mitte liegen. In Bremen seien diese neuen
Wähler sehr beworben und mit Kampagnen informiert worden. Deswegen sei
wahrscheinlich die Wahlbeteiligung überdurchschnittlich hoch gewesen, die ohne
diese Voraussetzung nicht so hoch ausgefallen wäre.
An Frau Hingst habe sie eine Frage. Nachdem ihre Vorredner bereits umfangreich
dargelegt hätten, wie kompetent und interessiert Jugendliche an dem politischen
Geschehen seien, habe Frau Hingst am Schluss einen ganz entscheidenden Satz
gesagt, wobei sie nur vom aktiven Wahlrecht ausgegangen sei: Dass für die
Einführung des Wahlrechts eine Voraussetzung geschaffen werden müsse. Über die
Bildung müssten die Jugendlichen in die Lage versetzt werden, das Wählen zu
erlernen. Sie müssten eine Wahlperiode die Zeit haben, sich darauf einzustellen,
damit alles gut funktioniere. Dies finde sie sehr wichtig und sei auch aus anderen
Stellungnahmen wie beispielsweise des Landesjungendringes hervorgegangen. Die
Bildung müsse man in diese Richtung entwickeln, damit dies auch erfolgreich
umgesetzt werden könne. Sie habe nun die Frage, wie es mit dem passiven
Rechta-Apr06-036 36/27
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Wahlrecht aussehe. Es sei mehrmals gesagt worden, dass das aktive mit dem
passiven Wahlrecht einhergehen müsse. Sie wolle wissen, wie Frau Hingst das aus
ihrer Sicht und der anderen Jugendlichen beurteile.
Peter Richter antwortet, dass er die Frage verneinen würde. Beim passiven
Wahlrecht könne das Problem auftreten, dass wenn eine 16-Jähige Person in den
Landtag gewählt werde, die Eltern nicht nur entscheiden könnten, zu verbieten, dass
ihr Kind zu Sitzungen erscheint, sondern auch versuchen könnten, über ihr
Erziehungsrecht Einfluss auf die inhaltlichen Entscheidungen zu nehmen, die ihr
Kind als Abgeordneter zu treffen hätte, wie beispielsweise das
Abstimmungsverhalten, auch bei Personalwahlen. Dies sei nicht unproblematisch. Es
müsse seines Erachtens auch keine Kongruenz zwischen aktivem und passivem
Wahlrecht bestehen. Wenn sich das passive Wahlrecht realisiere, also der
Betreffende gewählt werde, würden ganz andere Anforderungen an die
Verstandesreife des Betreffenden gestellt, als beim aktiven Wahlrecht. Das aktive
Wahlrecht erschöpfe sich im Wesentlichen darin, die verschiedenen Wahlvorschläge
soweit zu sichten, zu entscheiden, wer nach eigener Ansicht das beste
Wahlprogramm habe und dann in die Wahlkabine zu gehen und das entsprechende
Kreuzchen zu machen. Das passive Wahlrecht könne hingegen in der Mitgliedschaft
im Landtag münden. Der Landtag wähle aber auch entsprechende Teilorgane. Es
könne dann passieren, dass ein 16-Jähriger zum Landtagspräsidenten gewählt
werde. Dies erscheine vielleicht als ziemlich unwahrscheinliches Szenario, es sei
jedoch möglich. Dann müsste jemand, der im zivilrechtlichen Sinne nur beschränkt
geschäftsfähig sei, nach außen hin das Parlament vertreten und möglicherweise
rechtserhebliche Erklärungen abgeben. Dies stelle aus Sicht der erforderlichen
Verstandesreife eine ganz andere Kategorie dar, als die Abgabe der Stimme. Daher
tendiere er dahin, das passive Wahlrecht weiterhin an die Volljährigkeit zu knüpfen.
Friedhelm Heibrock führt aus, dass der Landesjugendring seine Position nicht
geändert und seitdem keine Beschlüsse zum passiven Wahlrecht gefasst habe. Er
habe auch wegen der elterlichen Sorge Bedenken, das Wahlalter auch beim
Rechta-Apr06-036 36/28
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passiven Wahlrecht abzusenken, aufgrund des Aufenthaltsbestimmungsrechtes und
des eben genannte Erziehungsrechtes. Dort könne es zu Kollisionen kommen.
Ronja Hingst antwortet, dass sie sich ihren Vorrednern nur anschließen könne. Sie
könne sich nicht vorstellen, als Landtagsabgeordnete tätig zu sein, da sie mit ihren
Hausaufgaben und dem Lernen für die Schule hinreichend beschäftigt sei. Darum
gehe es den Jugendlichen auch gar nicht. Sie wollten, dass Jugendliche sich mehr
für Politik interessierten und dies könne man durch die Absenkung des aktiven
Wahlalters ermöglichen. Daher denke sie nicht, dass das passive Wahlrecht daran
gekoppelt werden müsse.
Abg. Jürgen Suhr führt aus, dass seine erste Frage sich an die beiden politischen
Bildner richte, die Landeszentrale und die Konrad-Adenauer-Stiftung. Er wolle aus
der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2010 zitieren: „Da heute der Einritt in das
Jugendalter mit der Geschlechtsreife im Durchschnitt bei 12 bis 13 Jahren liegt und
sich damit im Lebenslauf in den letzten 3 bis 4 Generationen immer weiter nach
vorne verschoben habe, ist über eine Absenkung des Mindestwahlalters unserer
Einschätzung nach grundsätzlich nachzudenken. Ein durchschnittlicher 16jähriger,
vielleicht auch schon ein 14jähriger Jugendlicher heute, ist durchaus in der Lage, die
intellektuelle und soziale Urteilsfähigkeit aufzubringen, die für einen Wahlakt bei
Europa-, Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen erforderlich ist.“
Ihn interessiere es zu wissen, wie die politische Bildung der hier skizzierten
Entwicklung Rechnung tragen wolle, wenn gleichzeitig argumentiert werde, wenn,
dann müsse alles kompatibel gemacht werden, Stichwort: Volljährigkeit, passives
Wahlrecht. Wenn man dem folge, was er gerade vorgelesen habe, dann habe sich
die Reifeentwicklung bezogen auf das Alter von Jugendlichen nach vorne verlagert.
Die zweite Frage habe er an die Jugendlichen, die seiner Meinung nach soeben sehr
überzeugend vorgetragen hätten. Von ihnen möchte er wissen, inwieweit das
Einräumen eines aktiven Wahlrechts dazu beitrage, dass sich gerade im schulischen
Kontext, tatsächlich intensiver mit Politik auseinandergesetzt werde. Ihn interessiere
es zu wissen, inwieweit das Einräumen eines aktiven Wahlrechts dazu beitragen
Rechta-Apr06-036 36/29
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würde, sich in stärkerem Maße in Parteien oder anderen politischen Organisationen
zu engagieren.
Nico Lange erwidert, dass er über die intellektuelle Urteilsfähigkeit von Jugendlichen
nicht gesprochen habe. Die Konrad-Adenauer-Stiftung stehe fern davon, diese zu
bezweifeln. Wenn es um die politische Bildung gehe, werde insbesondere die
Zielgruppe der Schüler und Auszubildenden für die Arbeit der Konrad-Adenauer-
Stiftung als politischen Bildungsträger wichtiger. Man sehe jedoch – er spitze das
jetzt sehr zu – dass es einen gesamtgesellschaftlichen Trend zur Politikferne gebe.
Dieser Trend lasse sich aus verschiedenen, nicht nur von der Konrad-Adenauer-
Stiftung erhobenen, Studien belegen und betreffe Jugendliche nicht wesentlich
anders als andere gesellschaftliche Gruppen. Dieses Problem müsse insgsamt
angegangen werden. Die Senkung des Wahlalters sei kein Instrument der politischen
Bildung. Es sei wichtig, Instrumente der politischen Bildung für Jugendliche zu
entwickeln. Damit beschäftige man sich auch in der Tat heute intensiver als noch vor
einigen Jahren. Jedoch halte man die Senkung des Wahlalters nicht für ein
pädagogisches Instrument.
Jochen Schmidt führt aus, dass er das, was die Shell-Jugendstudie konzertiere,
auch unterschreiben könne. Man versuche nicht erst seit gestern oder heute,
politische Jugendbildung zu betreiben und mache dies nicht an Wahlrechtsgrenzen
fest. Wenn man sich die unterschiedlichen Projekte der Landeszentrale für politische
Bildung ansehe, kopple man diese nicht an das Wahlrechtsalter. Dies wäre auch
verfehlt. Es gebe Anlass, bereits früher damit einzusetzen. Seine Argumentation
habe sich vielmehr auf die Überschaubarkeit und Klarheit von Regelungen bezogen,
was auch Auswirkungen auf die Vermittlungsarbeit habe. Das zweite Argument sei
das der symbolischen Wertigkeit und Signalwirkung gewesen, die ein Wahlrecht
habe. Wenn die politische Jugendbildung mit 14 oder 15 Jahren einsetze, müsse
man sich jetzt Gedanken darüber machen, ob man noch früher ansetzen sollte. So
schön Feuerwehraktionen bei der Einführung des Wahlrechts auch seien oder
Juniorwahlen, die man auch durchführe, so sei Kontinuität doch wichtig. Man müsse
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dies zu einem entsprechenden Zeitpunkt auch in der Schule vermitteln, der nicht zu
spät liege.
Katharina Baganz antwortet, dass sie einen guten Sozialkundeunterricht in der
Schule erfahren habe. Ihr Lehrer sei immer sehr bemüht gewesen, die Schüler ans
aktuelle politische Geschehen heranzuführen und dies auf eine Ebene
herunterzubrechen, die sie bereits im Alter von 13 oder 14 Jahren verstanden hätten.
Sie hätten auch bereits die U18/Wahlen kennengelernt, mit dem Wahl-O-Maten auf
dem PC. Es habe Projekte an der Schule gegeben wie „Jugend debattiert“, an denen
auch Lehrer teilgenommen hätten, um den Schülern dies beizubringen. Die
Jugendlichen erhofften sich, dass eine Herabsenkung des Wahlalters dies noch
mehr fördere, dass auch in den Schulungsplänen der Lehrer noch verstärkt
eingebaut werde, den Jugendlichen dies sehr anschaulich und verständlich zu
vermitteln. Dies könne im Rahmen einer Informationsveranstaltung geschehen
oder einer Projektwoche, in der sich auch schon die unteren Klassen beteiligen
könnten. Gerade die spielerische Form könne dazu führen, dass sich Jugendliche
bereits früh für Politik interessierten. Wenn man wisse, dass man mit 16 Jahren zum
ersten Mal in ein Wahllokal gehen und bewußt das Kreuz dort setzen könne, wo man
seine eigenen Interessieren repräsentiert sehe, sei dies genau das, was sich die
Jugendlichen erhofften.
Abg. Jacqueline Bernhardt möchte von den Jugendlichen wissen, ob sie die
politische Bildung ausreichend fänden oder daneben, auch im außerschulischen
Bereich, noch mehr wünschten, wie beispielsweise Jugendclubs oder
Stadtparlamente, bei denen es Kinder- und Jugendparlamente gebe. Sie interessiere
es zu wissen, ob die Jugendlichen dort noch mehr Handlungsbedarf, auch von
Seiten der Politik, sehen, oder ihnen das außerhalb der Schule nicht so wichtig sei.
Der Landesjugendring oder zumindest die Kreisjugendringe hätten die U18/Wahlen
durchgeführt. Von Herrn Heibrock möchte sie wissen, wie die Wahlbeteiligung dort
bisher gewesen sei. Ihrer Kenntnis nach habe 2009 die letzte U18/Wahl
stattgefunden. Im Internet habe eine Erhebung stattgefunden, wie viele Jugendliche
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selbst eine Absenkung des Wahlalters befürworteten. Hier interessiere es sie
ebenfalls von Herrn Heibrock zu wissen, wie das Ergebnis ausgesehen habe.
An Herrn Schmidt, der ausgeführt habe, die Wahlalterabsenkung bedürfe eines
logischen Argumentes, habe sie die Frage, ob das Argument nicht sein könne, dass
auch bei Kommunalwahlen das Wahlrecht mit 16 Jahren bestehe. Dies könne auch
das logische Argument für Landtags- und Bundestagswahlen sein. Er habe ebenfalls
ausgeführt, dass es zu einer Abwertung der Landtagwahlen komme könne. Sie wolle
wissen, ob dies tatsächlich so sei. Jugendliche könnten bereits andere wichtige
Entscheidungen mit 16 Jahren fällen, wie die Bereitschaft zu Organspenden oder
seien dann bereits straf- und religionsmündig. Zudem möchte sie von Herrn Schmidt
wissen, mit welchen konkreten Maßnahmen die Absenkung des Wahlalters politisch
und außerpolitisch verbunden werden müsste.
Von Herrn Dr. Berger interessiere es sie zu wissen, was im schulischen Bereich und
Unterricht in Bremen konkret getan worden sei, um die Jugendlichen auf die Wahl
vorzubereiten.
Von Herrn Lange, der vor einer unterschiedlichen Gewichtung bei den Wahlen
gewarnt habe, möchte sie wissen, ob es diese nicht bereits jetzt zwischen den
Kommunal- und Landtags-, Bundestags- und Europawahlen gebe.
Ronja Hingst antwortet, dass sie vor einem Jahr bei „Jugend debattiert“
teilgenommen und sich dort erstmalig mit Politik beschäftigt habe. Sie habe dann im
Landtag Mecklenburg-Vorpommern ein Parktikum absolviert und am „Jugend im
Landtag“ teilgenommen. Dadurch, dass sie an „Jugend debattiert“ teilgenommen
habe, erhalte sie nun viele Angebote, sich im politischen Bereich zu engagieren. Ihre
Mitschüler in Rostock jedoch erhielten solche Angebote nicht. In Rostock gebe es
zwar einen Jugendclub, jedoch sei dies dort alles eher schwierig. Sie habe das
Gefühl, es liege auch viel am Geld. Das bedaure sie sehr. Sie versuche immer, ihre
Mitschüler mitzunehmen, jedoch denke sie, dass hier noch mehr gefördert werden
müsse. In Rostock bestehe außerhalb der Schule in jedem Fall noch
Handlungsbedarf.
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Katharina Baganz fügt hinzu, dass alle vier der Ansicht seien, dass noch mehr –
auch im außerschulischen Bereich – getan werden könne.
Friedhelm Heibrock antwortet, dass die U18/Wahl dieses Jahr bundesweit zur
Bundestagswahl durchgeführt werde. Hier habe er keine Zahlen vorliegen. Das
Prinzip sei, Wahllokale einzurichten, beispielsweise an Schulen, die als
Projektpartner gewonnen würden. Dort werde die Wahlbeteiligung
höchstwahrscheinlich relativ hoch sein, so dass sie überhaupt nicht repräsentativ sei.
Der Landesjugendring habe eine Reihe vom Umfragen zur Wahlbeteiligung gemacht,
wie hier bei „Jugend im Landtag“, aber auch über facebook. Auch diese seien nicht
repräsentativ. Bei facebook hätten sich ungefähr 300 Leute daran beteiligt, von
denen sich über 70 % für die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre
ausgesprochen hätten. Wenn man sich die Shell-Studie intensiv durchlese, sehe
man, dass dort die 18-Jährigen befragt worden seien. Diese hätten den unter 18-
Jährigen nicht bescheinigt, in der Lage zu sein, zu wählen. Die Shell-Studie habe
dann festgestellt, dass es, wenn man den unter 18-Jährigen das Wahlrecht
einräume, eine höhere Wahlbeteiligung gebe, wie man auf Seite 145 ff. nachlesen
könne.
Jochen Schmidt führt aus, dass die Koppelung an die Volljährigkeit und das
Wahlalter der Bundestagwahlen immer noch ein starkes Argument sei. Dies könne
man aber auch drehen und sagen, Harmonisierung könne auch auf das 16.
Lebensjahr erfolgen. Es gehe ihm um die Harmonisierung. Für ihn sei das Wahlrecht
das Königsrecht der Bürgerinnen und Bürger. Daher sei der Vergleich mit anderen
Regularien für ihn nicht zielführend, weil diese eher nachfolgen müssten. Es sei
daher für ihn schwer verständlich, wenn das Wahlrecht bereits mit 16 Jahren greife
und viele Dinge des persönlichen Lebens erst mit 18 Jahren möglich seien. Dies sei
eine Frage der Prioritätensetzung. Im Vorfeld der Landtagswahl 2011 sei das Projekt
„Juniorwahl“ unterstützt worden. Dabei seien rund 80 Schulen erreicht worden, mithin
fünfstellige Schülerzahlen. Man müsse eigentlich 400 bis 500 Schulen in Blick
nehmen. Hier müsse man mehr über ein flächendeckendes und dauerhaftes
Vorgehen reden. Man müsse sich fragen, wie viele Schülerinnen und Schüler in den
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Genuss eines so tollen Projekts wie „Jugend im Landtag“ oder die U18/Wahlen
kämen. Dies müsse auch im ganz normalen Curriculum in der Schule enthalten sein,
damit sich Schüler bereits im Alter von 14 Jahren mit Themen wie Wahlen, Parteien
und Parlamentarismus auseindersetzten.
Dr. Sebastian Berger antwortet, dass in Bremen das Projekt „Juniorwahl“ ganz
zentral gewesen sei und dies flächendeckend habe durchgeführt werden können.
Dies sei im Stadtstaat natürlich wesentlich einfacher als im Flächenstaat. Es seien
über 13.000 Schülerinnen und Schüler erreicht worden. Über dieses Projekt seien in
der Gruppe der 16 bis 17jährigen in etwa 90% der Wahlberechtigten erreicht worden.
Dazu sei in etwa 4 Wochen vor der eigentlichen Landtagswahl in jeder Schule eine
Einheit zum Thema Wahlen und Demokratie durchgeführt worden, auf die alleine 6,6
Unterrichtsstunden entfallen seien. Weitere Maßnahmen seien Workshops oder
Einzelinitiativen gewesen. So habe beispielsweise ein Lehrer eine Wahlwette
organisiert, bei der seine Schüler mit einem Fußballspieler von Werder Bremen
darauf gewettet hätten, dass die Wahlbeteiligung der jüngsten Wählergruppe höher
sei, als die der nachfolgenden. Diese Wahl hätten die Schülerinnen und Schüler
gewonnen. Der Werder-Spieler habe danach eine Stunden Unterricht in der Klasse
geben müssen. So etwas wirke bei Jugendlichen natürlich sehr gut. Daneben seien
Schülerinnen und Schüler gezielt als Wahlhelfer angeworben worden. Hierzu seien
entsprechende Schreiben seitens der Senatorin für Bildung und Wissenschaft an die
Schulen verfasst und die Schüler aufgefordert worden, sich zu engagieren. In
Bremerhaven sei das Thema dann teilweise in Schulen als Projekt behandelt
worden.
Nico Lange führt aus, dass sich die Einwände beheben ließen, wenn man
Jugendlichen mit 16 Jahren das Wahlrecht für alle Wahlen einräumen würde. Der
Bundestag habe sich aufgrund der – aus demokratietheoretischer Sicht –
problematischen Trennung von aktivem und passivem Wahlrecht und Hinweisen auf
Volljährigkeit und Elternrecht 2008 dafür entschieden, das Wahlalter nicht auf 16
Jahre abzusenken. Für ihn wögen die in der Bundestagsdebatte 2008 geäußerten
Bedenken schwer, gleichzeitig mit den bisherigen empirischen Ergebnissen, die
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keinen Schluss darauf zuließen, dass eine Senkung des Wahlalters diesen
gesamtgesellschaftlichen Trend zur Politikferne umkehren könne. Diese zeigten
vielmehr, dass dies nur bei einer Senkung des Wahlalters mit zahlreichen weiteren
Maßnahmen angegangen werden könne.
Abg. Barbara Borchardt führt aus, dass sie noch mehr als die Politikferne die
Parteienferne erlebt habe. Jugendliche seien bereits sehr stark politisch engagiert.
Sie habe auch nicht die Hoffnung, dass man hier die Wahlbeteiligung erhöhen
könne. Von Herrn Lange möchte sie wissen, was denn parallel dazu erfolgen
müsste.
An Herrn Schmidt habe sie die Frage, ob die poltische Aufklärung nicht immer
erfolgen müsse – unabhängig von der Absenkung des Wahlalters.
Die Jugendliche habe sie so verstanden, dass sie ihre Zukunft mitgestalten wollten.
Von ihnen interessiert es sie zu wissen, ob man Jugendliche deshalb für die Wahlen
begeistern könne, weil sie selbst von den Entscheidungen wie beispielsweise der
Schulpolitik betroffen seien.
Nico Lange führt aus, dass sich seine Aussage zur Politikferne nicht nur auf
Jugendliche, sondern auf alle beziehe. Auch die aktuelle große Pro7-Umfrage zeige,
dass die Nichtwähler nicht von einer bestimmten Partei oder bestimmten Politikern
enttäuscht seien. Vielmehr gebe es eine größer werdende Gruppe in der
Gesellschaft, die sich schlicht und einfach nicht für Politik interessiere. Als politischer
Bildungsträger frage man sich, mit welchen Instrumenten man hier arbeiten könne.
Wenn man sich dann noch Umfragen zu politischem und zeitgeschichtlichem Wissen
von Schülern ansehe und Lehrplanforschung betreibe, welchen Anteil dies am
Schulunterricht einnehme, würde er sagen, dass eine nachhaltige Verbesserung nur
erfolgen könne, wenn sich der Schulunterricht insofern verbessere. Gleichzeitig habe
sich die Umwelt in Bezug auf Medien und Methoden der politischen Bildung sehr
stark verändert. Hierauf müsse reagiert und daran müsse noch bei der politischen
Bildung gearbeitet werden. Er habe insofern kein Patentrezept, wie man die
Poliktikferne nachhaltig verbessern könne.
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Jochen Schmidt führt aus, dass politische Bildung ein Dauerauftrag und Teil des
lebenslangen Lernens sei. Insofern seien alle Altersgruppen in den Blick zu nehmen.
Er habe nur betonen wollen, dass bei einer Absenkung des Wahlalters die
Jugendlichen verstärkt in den Fokus genommen werden sollten und zusätzliche
Anstrengungen erforderlich seien.
Ronja Hingst führt aus, dass sie der Ansicht sei, dass das Interesse der
Jugendlichen an Politik steigen werde, wenn sie wählen dürften. Zur Zeit liege das
Durchschnittsalter eines Erstwählers bei 20,5 Jahren. Wenn man das Wahlalter auf
16 Jahre senken würde, läge es bei 18,5 Jahren. Wenn sie erst kurz nach einer Wahl
18 Jahre alt werde und dann vier Jahre warten müsse, bis sie wählen dürfe, könne
sie keinen Einfluss auf Themen nehmen, die sie dann bereits beträfen wie
beispielsweise die Studiengebühren.
Abg. Martina Tegtmeier führt aus, dass Herr Klähn in seiner Stellungnahme
schreibe: „Mehr Demokratie tritt dafür ein, dass die Absenkung des Wahlalters nicht
über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg beschlossen wird, dass diese
vielmehr selbst per Referendum über das Absenken des Wahlalters auf 16 Jahre
abstimmen könnten.“ Sie interessiert es von Herrn Klähn zu wissen, ob dies nicht
widersprüchlich sei, da dies doch nur die Volljährigen beinhalte, da nur diese per
Referendum abstimmten dürften.
Martin Klähn führt aus, dass der Verein sich seit längerer Zeit für mehr Bürger- und
Volksentscheide einsetze. Er gebe Frau Tegtmeier recht, dass darin ein Widerspruch
stecke. Ausschlaggebend sei für ihn hier, dass ein Volksentscheid auch einen
Prozess der politischen Bildung darstelle und dass nicht nur das Parlament darüber
befinde, ob das Wahlalter abgesenkt werden sollte, sondern auch die gegenwärtig
Abstimmungsberechtigten in diese Entscheidung einbezogen werden.
Abg. Barbara Borchardt führt aus, dass sie sehr für die direkte Demokratie sei. Sie
möchte wisse, ob sie das richtig verstehe, dass Herr Klähn sich dafür ausspreche,
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dass die Älteren darüber entscheiden sollen, ob die Jüngeren zukünftig ein
Wahlrecht haben sollten.
Martin Klähn antwortet, dass diejenigen, die gegenwärtig wählen dürften, darüber
abstimmen sollten. Damit wolle man für Auseinandersetzung werben.
Abg. Jürgen Suhr möchte von Herrn Glaser wissen, ob es Gegenargumente gegen
die Absenkung des Wahlalters gebe und von Herrn Dr. Berger, ob er aus der
Erfahrung in Bremen sagen könne, dass die Absenkung ein falscher Schritt gewesen
sei. Von Herrn Heibrock und Herrn Schmidt möchte er wissen, ob sich ihre Position
ändern würde, wenn der Landtag sich durchringen würde, die Herabsenkung des
Wahlalters mit politischen Bildungsmaßnahmen zu flankieren.
Klaus-Michael Glaser antwortet, dass er keine Gegenargumente aus der
Kommunalwahl kenne. Es gebe keine praktischen Argumente gegen die Absenkung,
weshalb der Städte- und Gemeindetag und der Landkreistag sich dafür
ausgesprochen hätten.
Dr. Sebastian Berger antwortet, dass ihm keine Argumente bekannt seien. Dies
spiele in der politischen Debatte in Bremen auch keine Rolle. Im vergangenen Jahr
habe die Bürgerschaft einen Ausschuss zur Reform des Wahlrechts eingesetzt, der
sich nicht mit dieser Frage befasst habe.
Jochen Schmidt führt aus, dass der Landtag der Souverän sei und die
Landeszentrale bei einer Absenkung mit Elan an die neuen Aufgaben herangehen
würde. Dennoch bleibe seine Skepsis bestehen.
Friedhelm Heibrock antwortet, dass er Herrn Schmidt beipflichten könne, dass
politische Bildung dauerhaft erfolgen müsse.
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Vors. Detlef Müller führt aus, dass nun alle die Gelegenheit hätten, die
vorgetragenen Argumente in den Fraktionen zu erörtern. Danach werde das Thema
im Ausschuss wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Der Ausschuss beschließt einvernehmlich, die angefallenen Reisekosten der
Sachverständigen auf Antrag zu erstatten.
Schluss: 15:16 Uhr
Meuthen
Detlef Müller
Vorsitzender