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ZLR 1/2019 Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche VerstɆße und ihre Konsequenzen Abhandlung 45 Lebensmittelrechtliche VerstɆße und ihre Konsequenzen – neue Koordinaten fɒr die Lebensmittelwirtschaft RechtsanwȨlte Andreas Meisterernst, Mɒnchen und Dr. Raphael Vergho, EichstȨtt VerstȨrkter Verbraucherschutz und das in den letzten Jahren in den Vordergrund ge- tretene Ziel einer effektiveren BekȨmpfung von WirtschaftskriminalitȨt (Stichwort: „Diesel-Gate“) bringen auch fɒr die Lebensmittelwirtschaft schwerwiegende Ɛnde- rungen des fɒr sie geltenden rechtlichen Koordinatensystems mit sich. Auf nationaler Ebene wurden z.B. mit Meldepflichten fɒr Labore gemȨß § 44 Abs. 4a LFGB oder der Information der Ȕffentlichkeit gemȨß § 40 Abs. 1a LFGB (Stichwort: „Internetpran- ger“) Regelungen zur erleichterten Feststellung von VerstɆßen und zu deren Sanktio- nierung eingefɒhrt. Auf unionsrechtlicher Ebene zielt die neue Kontrollverordnung ausdrɒcklich auf eine schȨrfere Ƞberwachung ab und enthȨlt hierzu Regelungen zur Transparenz, zur Sanktionierung und dem Schutz von Whistleblowern (Stichwort: „Food Fraud“). Allgemeine Vorschriften zur zwingenden VermɆgensabschɆpfung im Strafverfahren und zur Musterfeststellungsklage verschȨrfen parallel die potenziel- len Konsequenzen von lebensmittelrechtlichen VerstɆßen in ganz erheblichem Aus- maß. Diese Verschiebung des rechtlichen Koordinatensystems muss zwingend in der Unternehmenspraxis berɒcksichtigt werden. I. Einleitung Lebensmittelrecht ist eine interdisziplinȨre Materie, die sowohl Ɇffentliches Recht, als auch Zivilrecht und Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht vereint. 1 Dieser Bei- trag liefert einen Ƞberblick ɒber aktuelle Entwicklungen in verschiedenen Bereichen des fɒr die Lebensmittelwirtschaft geltenden Rechtsrahmens. Diese kɆnnen sowohl auf gesetzlichen Neuregelungen als auch auf neuerer Rechtsprechung beruhen. An- gesichts der Fɒlle einschlȨgiger Regelungen kann der Beitrag keinen Anspruch auf VollstȨndigkeit erheben, sondern fokussiert sich auf einige ausgewȨhlte Probleme, die aus Sicht der Autoren von besonderer Praxisrelevanz sind. ZunȨchst werden unter II. kurz aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der Feststellung von VerstɆßen dargestellt. Hierzu zȨhlen zum einen die schon Ȩltere Vorschrift zur Mitteilungspflicht von Laboren gemȨß § 44 Abs. 4a LFGB, die durch eine neuere Entscheidung des VG Aachen aus ihrem „DornrɆschen-Schlaf“ 2 geweckt wurde, 1 Siehe hierzu Streinz, ZLR 2016, 572. 2 So Meisterernst/Eberlein, LMuR 2018, 137.

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    Abhandlung 45

    Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen – neue Koordinaten f�r dieLebensmittelwirtschaft

    Rechtsanw�lte Andreas Meisterernst, M�nchen und Dr. Raphael Vergho, Eichst�tt

    Verst�rkter Verbraucherschutz und das in den letzten Jahren in den Vordergrund ge-tretene Ziel einer effektiveren Bek�mpfung von Wirtschaftskriminalit�t (Stichwort:„Diesel-Gate“) bringen auch f�r die Lebensmittelwirtschaft schwerwiegende �nde-rungen des f�r sie geltenden rechtlichen Koordinatensystems mit sich. Auf nationalerEbene wurden z.B. mit Meldepflichten f�r Labore gem�ß § 44 Abs. 4a LFGB oder derInformation der �ffentlichkeit gem�ß § 40 Abs. 1a LFGB (Stichwort: „Internetpran-ger“) Regelungen zur erleichterten Feststellung von Verst�ßen und zu deren Sanktio-nierung eingef�hrt. Auf unionsrechtlicher Ebene zielt die neue Kontrollverordnungausdr�cklich auf eine sch�rfere �berwachung ab und enth�lt hierzu Regelungen zurTransparenz, zur Sanktionierung und dem Schutz von Whistleblowern (Stichwort:„Food Fraud“). Allgemeine Vorschriften zur zwingenden Verm�gensabsch�pfung imStrafverfahren und zur Musterfeststellungsklage versch�rfen parallel die potenziel-len Konsequenzen von lebensmittelrechtlichen Verst�ßen in ganz erheblichem Aus-maß. Diese Verschiebung des rechtlichen Koordinatensystems muss zwingend in derUnternehmenspraxis ber�cksichtigt werden.

    I. Einleitung

    Lebensmittelrecht ist eine interdisziplin�re Materie, die sowohl �ffentliches Recht,als auch Zivilrecht und Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht vereint.1 Dieser Bei-trag liefert einen �berblick �ber aktuelle Entwicklungen in verschiedenen Bereichendes f�r die Lebensmittelwirtschaft geltenden Rechtsrahmens. Diese k�nnen sowohlauf gesetzlichen Neuregelungen als auch auf neuerer Rechtsprechung beruhen. An-gesichts der F�lle einschl�giger Regelungen kann der Beitrag keinen Anspruch aufVollst�ndigkeit erheben, sondern fokussiert sich auf einige ausgew�hlte Probleme,die aus Sicht der Autoren von besonderer Praxisrelevanz sind.

    Zun�chst werden unter II. kurz aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der Feststellungvon Verst�ßen dargestellt. Hierzu z�hlen zum einen die schon �ltere Vorschrift zurMitteilungspflicht von Laboren gem�ß § 44 Abs. 4a LFGB, die durch eine neuereEntscheidung des VG Aachen aus ihrem „Dornr�schen-Schlaf“2 geweckt wurde,

    1 Siehe hierzu Streinz, ZLR 2016, 572.2 So Meisterernst/Eberlein, LMuR 2018, 137.

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    zum anderen Vorschriften der KontrollVONeu (Verordnung (EU) 2017/625).3 Be-leuchtet werden aus dieser Verordnung einige f�r die hiesige Thematik interessanteAspekte, wie z.B. Transparenzvorschriften und Regelungen zu Whistleblowern. Ei-nen Schwerpunkt der Darstellung bilden die nach Einsch�tzung der Autoren in derLebensmittelwirtschaft noch wenig bekannten Neuregelungen zur Verm�gensab-sch�pfung im Strafverfahren sowie im Bußgeldverfahren unter III. Hieran anschlie-ßend wird unter IV. das neue Instrument der Musterfeststellungsklage und derenAuswirkungen auf die Lebensmittelwirtschaft beschrieben. Schlussendlich wird un-ter V. die aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts4 wiederbelebte Re-gelung des § 40 Abs. 1a LFGB und einige praxisrelevante offene Rechtsfragen bei derAnwendung der Vorschrift dargestellt. Wie �blich endet der Beitrag unter VI. mit ei-nem Fazit.

    II. Feststellung von Verst�ßen

    Verst�ße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften k�nnen auf mannigfaltige Weisefestgestellt werden. Beispiele sind z.B. Eigenkontrollen von Lebensmittelunterneh-men, ggf. auch in der Lieferkette, eigenen Auditierungen und Zertifizierungen vonLieferanten und/oder aufgrund privater Standards (z.B. IFS Food), �berwachungs-t�tigkeit oder Abmahnung von Wettbewerbern, Verbraucherbeschwerden, Nachfor-schungen von NGOs oder der Presse. Im Rahmen dieser Darstellung sollen zweiAspekte angesprochen werden, n�mlich die Meldepflicht von Laboren gem�ß § 44Abs. 4a LFGB sowie einige Regelungen der KontrollVONeu.

    1. Meldepflicht von Laboren

    Gem�ß § 44 Abs. 4a LFGB hat „der Verantwortliche eines Labors, das Analysen beiLebensmitteln durchf�hrt“, wenn er „aufgrund einer von dem Labor erstellten Ana-lyse einer im Inland von einem Lebensmittel gezogenen Probe Grund zu der Annah-me“ hat, dass das Lebensmittel nicht sicher im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Verordnung(EG) Nr. 178/2002 (BasisVO) ist und „einem Verkehrsverbot unterliegen w�rde“, diesmit weiteren Angaben der zust�ndigen Beh�rde zu melden. Diese im Jahr 2011 ein-gef�hrte Vorschrift sollte zu einer verbesserten �berwachung durch Einbezug einesPersonenkreises „in die Meldepflichten“ f�hren, „der per se an der Herstellung, demBehandeln oder dem Vertrieb des untersuchten Lebensmittels nicht beteiligt ist undauch keinerlei eigene wirtschaftliche Interessen in diesem Zusammenhang ver-folgt“.5 In der Praxis wurde die Vorschrift weitgehend nicht umgesetzt. Grund hier-f�r war zum einen die massive Kritik aus der Literatur,6 zum anderen die erhebli-

    3 Siehe hierzu auch Groß, ZLR 2018, 763.4 BVerfG B. v. 21.3.2018, Az. I BvF/1/13, NVWZ 2018, 1056 = ZLR 2018, 523 mit Anmerkung Hufen.5 Vgl. BR-Drs. 52/11, S. 53 f.; siehe hierzu auch Bialonski, ZLR 2011, 261.6 Siehe Sperlich, ZLR 2010, 59; Grube, ZLR 2012, 446; Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB-BasisVO-HCVO,

    § 44 LFGB, Rn. 35.

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    chen praktischen Umsetzungsprobleme. Insbesondere sahen sich die Normadressa-ten nicht in der Lage, zu beurteilen, ob aufgrund einer analytischen Bewertung einerProbe das betreffende Lebensmittel tats�chlich als nicht sicher im Sinne des Art. 14Abs. 1 BasisVO anzusehen war, da regelm�ßig weitere Informationen �ber Herkunft,Verwendung, weitere Verarbeitung etc. fehlten. So konnte z.B. die Frage, ob die Ver-wendung eines bestimmten Lebensmittels als Zutat bei der Herstellung eines zusam-mengesetzten Lebensmittels zur fehlenden Sicherheit des Enderzeugnisses f�hrte,seitens der Labore regelm�ßig nicht beurteilt werden. Auftraggeber deklariertenauch Proben vorsichtshalber als Warenmuster, die nicht in Verkehr gebracht werdensollten.

    Vor diesem Hintergrund war der zwischenzeitlich vom VG Aachen7 entschiedeneFall typisch. Dort hatte ein Handelslabor im Auftrag eines LebensmittelherstellersFertigpackungen von Mandelkernen aus der laufenden Produktion zur Eigenkon-trolle analytisch untersucht. Ein positiver Befund auf Salmonellen wurde dem Her-steller und Auftraggeber zeitnah mitgeteilt. Dieser best�tigte daraufhin gegen�berdem Labor, „dass die betroffene Lebensmittelcharge nicht in den Verkehr gebrachtworden sei und sich noch vollst�ndig im Zugriff des Auftraggebers befinde“.8 Dem-entsprechend sah das Labor keinerlei Veranlassung, eine Meldung bei der zust�ndi-gen Beh�rde durchzuf�hren. Bei einer sp�teren Kontrolle des Labors wurden dieentsprechenden Pr�fberichte aufgefunden und gegen den verantwortlichen Labor-leiter ein Bußgeld verh�ngt. Deswegen wurde seitens des betroffenen Labors eineFeststellungsklage zum VG erhoben, die allerdings erfolglos blieb.

    Das VG Aachen hielt in diesem Verfahren die Argumentation des Labors, dass es dieSicherheit des Erzeugnisses nicht habe beurteilen k�nnen und es ja auch nicht inVerkehr gebracht worden sei, f�r nicht schl�ssig. Es vertrat n�mlich die Auffassung,dass eine Meldung bereits immer dann erfolgen m�sse, wenn Grund zu der Annahmeim Sinne eines bloßen Verdachtes auf Inverkehrbringen eines nicht sicheren Lebens-mittels best�nde. Der Laborleiter d�rfe insbesondere nicht auf die Angaben des Auf-traggebers vertrauen. Denn mit der Regelung solle erreicht werden, dass unabh�ngigvon der Absichtserkl�rung des Auftraggebers die M�glichkeit einer beh�rdlichen�berpr�fung des Sachverhalts er�ffnet werde. Im Ergebnis wurde somit die bis dato�bliche Argumentation, dass der Normadressat die Sicherheit des Lebensmittelsnicht abschließend beurteilen k�nne, sondern nur der beauftragende Lebensmittel-unternehmer, ins Gegenteil verkehrt: Gerade weil er die Sicherheit nicht beurteilenkann, muss der Normadressat nach Auffassung des VG Aachen melden!

    Ob die Entscheidung rechtlich �berzeugend ist, kann an dieser Stelle dahingestellt9

    bleiben, auch wenn die unionsrechtlichen Einw�nde im Hinblick auf die abschlie-ßenden Regelungen von Meldepflichten hinsichtlich nicht sicherer Lebensmittel ge-

    7 VG Aachen, Urt.v. 8.12.2017, LMuR 2018, 165.8 VG Aachen, Urt.v. 8.12.2017, LMuR 2018, 165, 166.9 Siehe hierzu Meisterernst/Eberlein, LMuR 2018, 137.

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    m�ß Art. 19 Abs. 1, 3 und 20 Abs. 1, 3 BasisVO beachtlich sind. Falls das OVG M�ns-ter die Auffassung des VG Aachen in der Sache best�tigt, m�ssen Lebensmittelunter-nehmer damit rechnen, dass bei der Vergabe von Auftr�gen an externe Labore allepotenziellen Verst�ße gegen Art. 14 Abs. 1 BasisVO an die zust�ndigen Beh�rden ge-meldet werden.

    2. Einige Anmerkungen zur KontrollVONeu

    a) Neue Ans�tze

    Die KontrollVONeu gilt im Grundsatz ab dem 14.12.2019. Ein Fokus der Neurege-lung liegt auf der aufgrund des Pferdefleischskandals in der �ffentlichen Wahrneh-mung notwendigen Bek�mpfung von „Food Fraud“. Ungeachtet der Begrifflichkei-ten10 wird an verschiedener Stelle in der Verordnung ausgedr�ckt, dass „betr�geri-sche oder irref�hrende Praktiken“ gesondert bek�mpft werden sollen.11 Dasallgemeine Programm legt insoweit Art. 9 Abs. 2 KontrollVONeu wie folgt fest:

    „Die zust�ndigen Beh�rden f�hren regelm�ßig in angemessenen zeitlichen Ab-st�nden, die risikobasiert festgelegt werden, amtliche Kontrollen durch, um et-waige, durch betr�gerische oder irref�hrende Praktiken vors�tzlich begangeneVerst�ße gegen die Vorschriften gem�ß Artikel 1 Absatz 2 aufzudecken und sieber�cksichtigen dabei die �ber die Amtshilfemechanismen gem�ß den Artikeln102 bis 108 ausgetauschten Informationen �ber derartige Verst�ße und alle an-deren Informationen, die auf solche Verst�ße hindeuten.“

    Die KontrollVONeu zielt somit klar auf eine strengere �berwachung und Verfolgungvon lebensmittelrechtlichen Verst�ßen ab, die prim�r nicht die Lebensmittelsicher-heit betreffen. Es wird im Einzelnen noch zu diskutieren sein, was alles unter „betr�-gerische und irref�hrende Praktiken“ zu fassen ist.12 Jedenfalls muss es sich nichtum Betrug im Sinne des § 263 StGB handeln. Hinsichtlich der Irref�hrung wird manprim�r auf Art. 7 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) abstellen k�nnen. Klar istaber, dass sich die allgemeine Betrachtungsweise von dem Ansatz eines hinnehm-baren Ausnutzens von regulatorischen Spielr�umen in gewissen Unsch�rfebereichenverabschiedet und hin zur Einstufung als klassische Wirtschaftskriminalit�t ver-schiebt.13

    10 Siehe zur Frage, ob es sich dabei um Betrug handelt Groß, ZLR 2018, 763, 774 ff.; Wallau/Roffael, LMuR2018, 8 ff.

    11 Siehe Erw�gungsgr�nde 22, 32, 73, 74, 88 und 90, im Verordnungstext siehe Art. 1 Abs. 4 Buchst. a),Art. 9 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Buchst. e), Art. 65 Abs. 4, Art. 73 Abs. 2 Buchst. a), Art. 89 Abs. 2, Art. 97Abs. 1, Art. 97 Abs. 3 Buchst. b), Art. 98 Buchst. a), Art. 98 Buchst. d), Art. 102 Abs. 4 Buchst. b), Art. 121Buchst. h), Art. 138 Abs. 5, Art. 139 Abs. 2 KontrollVONeu.

    12 Siehe hierzu auch Wallau/Roffael, LMuR 2018, 8 ff.13 Siehe z. B. auch zur gebotenen Einstufung von Verst�ßen gegen Tierschutzbestimmungen in der Massen-

    tierhaltung als Wirtschaftskriminalit�t B�lte, NJW 2019, 19.

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    b) Transparenzvorschriften

    Die bisherige Vorschrift des Art. 7 KontrollVOAlt (Verordnung (EG) Nr. 882/2004)befasste sich trotz der �berschrift mit „Transparenz und Vertraulichkeit“ eigentlichnur in ihrem Absatz 1 mit transparenter Beh�rdenarbeit. Die weiteren nachfolgen-den Vorschriften der Abs�tze 2 und 3 besch�ftigten sich hingegen mit Geheimhal-tungspflichten, also mit Einschr�nkungen von Transparenz. Art. 7 Abs. 1 Kontroll-VOAlt sieht allgemeine Informationen �ber die Kontrollt�tigkeiten der zust�ndigenBeh�rden und ihre Wirksamkeit vor und gew�hrt den Zugang der �ffentlichkeit zuInformationen gem�ß Art. 10 BasisVO.

    Dementgegen sieht nun Art. 11 KontrollVONeu mit der �berschrift „Transparenzder amtlichen Kontrollen“ allgemeine Berichtspflichten in Absatz 1 vor. Gem�ßAbs. 3 der Vorschrift werden Angaben „�ber die Einstufung einzelner Unternehmeraufgrund der Ergebnisse einer oder mehrerer amtlichen Kontrollen“ und deren Ver-�ffentlichung erlaubt, soweit die weiter dort genannten Bedingungen erf�llt sind,n�mlich dass die Einstufungskriterien „objektiv, transparent und �ffentlich ver-f�gbar“ sind und geeignete Regelungen gew�hrleisten, „dass der Einstufungsprozessfair, schl�ssig und transparent ist“. Dabei m�ssen aber alle Ungenauigkeiten inVer�ffentlichungen gem�ß Art. 11 Abs. 2 KontrollVONeu „entsprechend korrigiertwerden“.

    „Die Verschwiegenheitspflicht der zust�ndigen Beh�rden“ ist die �berschrift desneuen Art. 8 KontrollVONeu, der in Abs. 1 bis 4 grunds�tzlich bei der Weitergabevon Informationen an Dritte eine Interessenabw�gung vorsieht. Als �bergreifendeAusnahme sieht allerdings Art. 8 Abs. 5 KontrollVONeu vor, dass diese Verschwie-genheitspflichten „die zust�ndigen Beh�rden nicht daran hindern, Informationen�ber das Ergebnis amtlicher Kontrollen, die einzelne Unternehmen betreffen“ zuver�ffentlichen, wenn die weiter dort genannten Bedingungen eingehalten werden.Diese bestehen lediglich darin, dass gem�ß Art. 8 Abs. 5 Buchst. a) KontrollVONeuder betreffende Unternehmer vorab angeh�rt wird und gem�ß Art. 8 Abs. 5 Buchst.b) KontrollVONeu die „Bemerkungen des betroffenen Unternehmers“ ber�cksichtigtoder mit der amtlichen Information „zusammen ver�ffentlicht oder freigegeben“werden. Die Vorschrift des Art. 8 Abs. 5 KontrollVONeu beschr�nkt somit denRechtsrahmen bei der Ver�ffentlichung amtlicher Kontrollergebnisse bez�glich ein-zelner Unternehmen, Art. 11 Abs. 3 KontrollVONeu erlaubt Transparenzsysteme wiez.B. Smileys oder das fr�her in NRW geplante Hygienebarometer.14 Beide Vorschrif-ten konkretisieren ebenso wie Art. 11 Abs. 2 KontrollVONeu die Vorgabe des Art. 17Abs. 2 UAbs. 2 BasisVO, gem�ß dem die Mitgliedstaaten „andere den Umst�nden an-gemessene Maßnahmen“ durchf�hren. Sie entfalten demnach eine entsprechendeVorwirkung auch vor Geltung der KontrollVONeu. Als Konkretisierung des Art. 17Abs. 2 BasisVO sind die Regelungen in ihrer Gesamtheit zu ber�cksichtigen. Deut-

    14 Siehe hierzu Meisterernst/Eberlein, ZLR 2016, 451.

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    sche Transparenzvorschriften oder Vorschriften zur Information der �ffentlichkeitm�ssen aufgrund dieser Vorgaben nunmehr auch unionsrechtlich begr�ndet, aberauch gerechtfertigt werden.

    c) Whistleblower und Sanktionspflichten

    Art. 140 KontrollVONeu enth�lt nunmehr eine gesonderte Regelung f�r Meldungenvon Verst�ßen an Beh�rden und den Schutz von Whistleblowern. Hinzu kommt derzurzeit diskutierte Vorschlag f�r eine europ�ische Richtlinie zum Schutz von Perso-nen, die Verst�ße gegen das Unionsrecht melden.15

    Hinsichtlich der von den Mitgliedstaaten festzulegenden Sanktionen enth�lt dieKontrollVONeu konkrete Festlegungen �ber das allgemeine Gebot gem�ß Art. 17Abs. 2 UAbs. 3 BasisVO hinaus. Art. 17 Abs. 2 UAbs. 3 BasisVO sieht bereits vor, dassdie Mitgliedstaaten wirksame, verh�ltnism�ßige und abschreckende Maßnahmenund Sanktionen bei Verst�ßen gegen das Lebensmittelrecht festlegen m�ssen. InKonkretisierung dieser Vorschrift legt Art. 139 KontrollVONeu fest, dass die betref-fenden Regelungen der Kommission mitzuteilen sind (Art. 139 Abs. 1 S. 1 Kontroll-VONeu).

    Nicht �berzeugend ist die Auffassung von Schneiderhan16, dass mit dieser Vorschriftdie Mitgliedstaaten angeblich verpflichtet worden seien, Amtstr�gerstrafbarkeitenf�r T�tigkeitsdelikte zu schaffen. Dies soll sich angeblich aus der Vorschrift desArt. 139 Abs. 1 S. 1 KontrollVONeu ergeben, weil es dort heißt, dass Sanktionen „beiVerst�ßen gegen diese Verordnung“ von den Mitgliedstaaten geregelt werden m�ssensowie dem Umstand, dass die KontrollVONeu angeblich keine Verpflichtungen vonLebensmittelunternehmern festlegt. Verst�ße gegen diese Verordnung k�nnten somitnur Verst�ße von Amtstr�gern bei der Umsetzung der KontrollVONeu sein. Inner-halb der KontrollVONeu gibt es aber keinerlei Anzeichen daf�r, dass eine Amtstr�-gerstrafbarkeit geschaffen werden sollte. So nennen auch Erw�gungsgr�nde 32, 41,38, 43, 73, 88 und 91 nur Verst�ße betroffener Unternehmer. Auch Erw�gungsgrund91 bringt klar zum Ausdruck, dass die zust�ndigen Beh�rden Sanktionen verh�ngenund nicht Adressat von Sanktionen sind.

    Die Vorschrift des Art. 139 KontrollVONeu bezieht sich somit auf Sanktionen gegenUnternehmer, wie sich unschwer bereits aus der Vorschrift des Art. 139 Abs. 2 Kon-trollVONeu ergibt, die die Absch�pfung des wirtschaftlichen Vorteils beim Unter-nehmer regelt. Dementsprechend befindet sich diese Regelung auch im Titel 7 mitder �berschrift „Durchsetzung“ und dort wiederum in Kapitel I unter der �ber-schrift „Maßnahmen der zust�ndigen Beh�rden und Sanktionen“.

    15 Vorschlag f�r eine Richtlinie des Europ�ischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, dieVerst�ße gegen das Unionsrecht melden, COM(2018) 218 final vom 23.4.2018.

    16 Schneiderhahn, ZLR 2018, 336.

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    Auch aus der �berschrift des Art. 137 „Allgemeine Pflichten der zust�ndigen Beh�r-den im Zusammenhang mit der Durchsetzung“ und des Art. 138 KontrollVONeu mitder �berschrift „Maßnahmen im Fall eines festgestellten Verstoßes“, die beide ein-deutig beh�rdliche Maßnahmen und das Vorgehen gegen�ber Lebensmittelunterneh-mern festlegen, ergibt sich systematisch, dass Art. 139 KontrollVONeu Maßnahmengegen�ber Lebensmittelunternehmern betrifft. In Art. 139 Abs. 1 S. 1 KontrollVO-Neu werden somit Verst�ße von Unternehmen gegen die Verpflichtungen aus der Ver-ordnung im Sinne des Art. 137 Abs. 2, 138 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 KontrollVONeu einbe-zogen. Diese Vorschriften verstehen unter einem Verstoß das Nichteinhalten der Vor-schriften des Art. 1 Abs. 2 KontrollVNeu durch den Lebensmittelunternehmer.

    Im �brigen stellt Art. 139 Abs. 1 KontrollVONeu neben der dort genannten Notifi-zierungspflicht eine bloße Wiederholung von Art. 17 Abs. 2 UAbs. 3 BasisVO dar.Der eigentliche Regelungsgehalt von Art. 139 KontrollVONeu liegt demnach in derdortigen Vorschrift des Absatzes 2, der nunmehr vorsieht, dass zwingend wirtschaft-liche Vorteile des Lebensmittelunternehmers abgesch�pft werden m�ssen und diesggf. auch als Prozentsatz des Umsatzes erfolgen kann.

    3. Zwischenfazit

    Diese wenigen Beispiele zeigen, dass das Risiko der Feststellung von lebensmittel-rechtlichen Verst�ßen steigt. Die �berwachungsdichte nimmt ebenso zu wie der Ver-folgungsdruck. Lebensmittelunternehmen m�ssen mit Mitteilungen vermeintlichinterner Vorg�nge sowohl durch Beauftragte als auch durch eigene Mitarbeiter rech-nen. Die Ver�ffentlichung amtlicher Ergebnisse einzelfallbezogener Kontrollen wird,wie auch die Einrichtung von Einstufungssystemen, unionsrechtlich ausdr�cklicherlaubt.

    III. Das neue Recht der Verm�gensabsch�pfung unddie Auswirkungen auf die Lebensmittelwirtschaft

    1. Verm�gensabsch�pfung im Strafrecht

    Erheblichen Z�ndstoff f�r die Lebensmittelwirtschaft birgt das am 1.7.2017 in Kraftgetretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Verm�gensabsch�pfung. Der Ver-m�gensabsch�pfung im Strafrecht liegt der Grundgedanke zugrunde, dass sichStraftaten nicht lohnen sollen.17 Das bisherige Recht wurde diesbez�glich h�ufig alszahnloser Tiger empfunden. Es sei zu kompliziert und deshalb in hohem Maße fehler-anf�llig.18 Das neue Gesetz hat nunmehr die materiell-rechtlichen und strafprozes-sualen Eingriffsbefugnisse der Justiz erheblich ausgeweitet. Die Frage der Einzie-hung von Tatertr�gen wird zuk�nftig eine erhebliche Praxisrelevanz haben, da die

    17 Bittmann NZWiSt 2018, 209.18 BT-Drs. 18/9525, S. 1 f.

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    Vorschriften, anders als nach fr�herer Rechtslage keine M�glichkeiten bieten, sienicht anzuwenden. Hinzukommt, dass die Anordnung der Einziehung von Tatertr�-gen f�r Einzelpersonen und/oder Lebensmittelunternehmen viel weitreichendereKonsequenzen haben k�nnen als die gegen einen T�ter zu verh�ngende Strafe. Wasist schon beispielsweise eine Geldstrafe im Vergleich zur Einziehung von Jahresum-s�tzen, bei denen noch nicht einmal die Produktionskosten abgezogen werden k�n-nen, weil sie f�r die Tatbegehung aufgewandt wurden? Sehr schnell kann es im Zu-sammenhang mit der Verm�gensabsch�pfung deshalb um existenzielle Fragen einesLebensmittelunternehmens gehen.

    a) Allgemeines zur Verm�gensabsch�pfung

    Die Einziehung von Tatertr�gen ist in den §§ 73ff. StGB geregelt. Durch die Einzie-hung soll das, was der T�ter oder Teilnehmer einer rechtswidrigen Tat erlangt hat,abgesch�pft werden. Dies erfolgt entweder gem. § 73 Abs. 1 StGB durch Einziehungdes erlangten Gegenstandes selbst (bzw. der Nutzungen und Surrogate, § 73 Abs. 2und 3 StGB) oder gem. § 73c StGB durch die Einziehung eines Geldbetrages, derdem Wert des urspr�nglich erlangten Gegenstandes entspricht. Letzteres wird danngemacht, wenn die Einziehung aufgrund der Beschaffenheit des Erlangten oder einesanderes Grundes nicht m�glich ist. Ein Geldbetrag kann auch dann eingezogen wer-den, wenn der erlangte Gegenstand an Wert verloren hat.

    Die Verm�gensabsch�pfung soll (anders als die Einziehung von Gegenst�nden gem.§ 61 LFGB bzw. §§ 74ff. StGB, die zur Begehung der Tat benutzt werden und/odermit der Tat in Beziehung stehen19) nach allgemeiner Auffassung keine Strafe darstel-len oder Strafcharakter haben.20 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts (BVerfG) geht es darum, das Vertrauen der Bev�lkerung in die Unverbr�ch-lichkeit des Rechts zu st�rken. Dieses w�rde Schaden nehmen, falls Straft�terrechtswidrig erlangte Verm�genswerte dauerhaft behalten d�rften. Die Verm�gens-absch�pfung sei ein geeignetes Mittel und verfassungsrechtlich legitimiertes Ziel,dies zu verhindern.21

    b) Die wichtigsten Neuerungen im �berblick

    Bemerkenswert an den neuen Vorschriften der §§ 73ff. StGB ist zun�chst, dass derBegriff des Verfalls verschwunden ist. Es wird nur noch von der „Einziehung“ vonTatertr�gen gesprochen. Diese sprachliche �nderung lehnt das deutsche Recht andie im Recht der Europ�ischen Union gebr�uchliche Begrifflichkeit („confiscation“)

    19 Fischer, Kommentar zum StGB, 66. Auflage 2019, § 74 Rdnr. 3; K�hler, NZWiSt 2018, 226.20 Fischer, Kommentar zum StGB, 66. Auflage 2019, § 73 Rdnr. 5 ff.; mangels Strafcharakter kann die Ver-

    m�gensabsch�pfung nicht im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Betroffenen strafmildernd be-r�cksichtigt werden. Allerdings kann sie im Besteuerungsverfahren daf�r als Ausgabe geltend gemachtwerden. Die Einziehung unterliegt steuerlich nicht der Regelung des § 12 Nr. 4 EStG.

    21 BVerfGE 110, 1 Rdnr. 103.

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    an.22 Durch diese Namensvereinheitlichung hat der Gesetzgeber jedoch das Ziel, dasRecht der Verm�gensabsch�pfung zu vereinfachen, nicht erreicht. Vielmehr bleibtauch das neue Recht der Verm�gensabsch�pfung komplex und in Detailfragenschwierig. Es w�rde den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes sprengen, die Reformumfassend abzuhandeln. Die nachfolgende Darstellung beschr�nkt sich deshalb nurauf die aus Sicht der Autoren wichtigsten Neuerungen.

    aa) Abschaffung des Opferentsch�digungsmodells/R�ckgewinnungshilfe

    Kernst�ck der Neuregelung ist die Abschaffung des „Opferentsch�digungsmodells“bzw. der sogenannten „R�ckgewinnungshilfe“. Nach fr�herer Rechtslage war gem.§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. eine Verm�genabsch�pfung dann ausgeschlossen, wennAnspr�che des Verletzten aus der Tat bestanden. In diesem Fall wollte man �ber dieVerm�gensabsch�pfung diese Anspr�che des Verletzten nicht vereiteln und eine dop-pelte Inanspruchnahme des T�ters verhindern.23 Diese Privilegierung des Verletztenf�hrte regelm�ßig zur Nichtanordnung eines Verfalls, da Anspr�che eines Verletzteninsbesondere bei Eigentums- und Verm�gensdelikten regelm�ßig im Raum standen.24

    Die Strafverfolgungsbeh�rden sicherten zwar auch nach alter Rechtslage Verm�-genswerte, allerdings nicht f�r den Verfall, sondern f�r den Verletzten und leistetenso „R�ckgewinnungshilfe“. Der Verfall hatte deshalb in der Vergangenheit keine all-zu große Praxisrelevanz. Das neue Recht sieht nunmehr einen Ausschluss der Einzie-hung bei Anspr�chen des Verletzten nicht mehr vor. Die Entsch�digung des Verletz-ten findet nicht mehr im Erkenntnisverfahren, sondern im Vollstreckungsverfahrenstatt.25 Dies soll einerseits dazu f�hren, dass alle Gesch�digten gleich behandelt wer-den. Anderseits ist eine Entsch�digung im Rahmen der Vollstreckung erst nach Ab-schluss des Strafverfahrens m�glich. Das „Schlupfloch“, den Vorschriften des Ver-falls mit Verweis auf Anspr�che Dritter zu entkommen, wurde jedenfalls gestopft.Die Anordnung der Einziehung von Tatertr�gen ist zwingendes Recht. Ein Absehenvon der Einziehung ist im Erkenntnisverfahren gar nicht m�glich, allenfalls im Voll-streckungsverfahren.26

    bb) Absch�pfung bei Dritten

    Im Wirtschaftsstrafrecht, zu dem auch das Lebensmittelstrafrecht z�hlt,27 ist es ty-pisch, dass der Verm�gensvorteil nicht beim T�ter, sondern bei einem Dritten, bei-spielsweise dem Lebensmittelunternehmen eintritt. Auch in diesen F�llen ist dieEinziehung m�glich.28

    22 BT-Drs. 18/9525, S. 2.23 Korte, wistra 2018, 1.24 Tr�g, NJW 2017, 1913, 1914 m.w.N.; K�llner/M�ck, NZI 2017, 593.25 Korte, wistra 2018, 1, 2.26 Korte, NZWiSt 2018, 231, 232.27 Hering/Hering, ZLR 2014, 540, 542.28 Vgl. zu den Absch�pfungsm�glichkeiten bei Dritten ausf�hrlich: Bittmann, NZWiSt 2018, 209ff.

  • ZLR 1/2019

    54 Abhandlung

    Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Gem�ß § 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB kann die Anordnung der Einziehung auch gegen dendenjenigen angeordnet werden, der nicht T�ter oder Teilnehmer ist, wenn er durchdie Tat etwas erlangt hat und der T�ter oder Teilnehmer f�r ihn gehandelt hat. Somitkann beispielsweise gegen ein Lebensmittelunternehmen die Einziehung angeordnetwerden, wenn ein Mitarbeiter eines Unternehmens im Zusammenhang mit seiner T�-tigkeit f�r das Unternehmen eine lebensmittelrechtliche Straftat begeht.

    Dar�ber hinaus kann �ber § 73b Abs. 1 Nr. 2 StGB auch bei demjenigen abgesch�pftwerden, auf den das Erlangte „verschoben“ wurde. Das Verschaffen der tats�ch-lichen Verf�gungsmacht ist hierbei ausreichend.29 Der Drittbeg�nstigte muss dieTatertr�ge jedoch in einer ununterbrochenen Bereicherungskette vom Tatbeteiligtenerlangt haben. Es muss ein Bereicherungszusammenhang bestehen.30 �ber § 73bAbs. 1 Nr. 3 StGB kann schließlich im Fall des Todes des T�ters oder Teilnehmers ei-ner Straftat eine Verm�gensabsch�pfung auch bei Erben, Pflichtteilsberechtigtenund Verm�chtnisnehmern erfolgen.

    Die M�glichkeit der Absch�pfung beim Drittbeg�nstigten war in den Vertretungs-und Verschiebungsf�llen zwar auch schon nach dem bislang geltenden Recht m�g-lich. Aufgrund der steigenden Praxisrelevanz der Verm�gensabsch�pfung kommt ihrnunmehr aber eine gr�ßere Bedeutung zu. Dies f�hrt dazu, dass Lebensmittelunter-nehmen zuk�nftig noch mehr auf die Etablierung eines funktionierenden Qualit�ts-managementsystems und eine hinreichende Compliance achten m�ssen. Dies umsomehr, weil es auf die Frage, ob das Lebensmittelunternehmen bzw. deren vertre-tungsberechtigten Personen selbst „b�sgl�ubig“ sind oder nicht, grunds�tzlich nichtankommt.31 Ein Lebensmittelunternehmer kann theoretisch von der Verm�gensab-sch�pfung betroffen sein, obwohl ihm kein Vorwurf gemacht werden kann. Er kannsich gem�ß § 73e Abs. 2 StGB jedoch auf Entreicherung berufen, wenn er gutgl�ubigwar. Ansonsten unterscheidet sich die Einziehung beim Dritten nicht von der Einzie-hung beim T�ter oder Teilnehmer einer Straftat. Der Dritte wird am Strafverfahrengem. § 424 Abs. 1 StPO als Einziehungsbeteiligter beteiligt, wenn eine Anordnunggegen ihn erfolgen soll.32

    cc) Pr�zisierung des Bruttoprinzips

    Auch bereits nach bisherigem Recht galt im Recht der Verm�gensabsch�pfung das sogenannte „Bruttoprinzip“. Abgesch�pft wird „brutto“, d.h. Abz�ge f�r Aufwendun-gen im Zusammenhang mit der Straftat bleiben grunds�tzlich außer Betracht. Maß-geblich ist beispielsweise der Umsatz und nicht der Gewinn im Hinblick auf die Ab-sch�pfung von Wertertr�gen. § 73d StGB pr�zisiert diesbez�glich das Bruttoprinzip.

    29 Korte, NZWiSt 2018, 231, 233.30 OLG Celle, wistra 2018, 440.31 Korte, NZWiSt 2018, 231, 233; Korte, wistra 2018, 1, 5; nur im Verschiebungsfall im Sinne des § 73b

    Abs. 1 Nr. 2b StGB spielt die „B�sgl�ubigkeit“ eine Rolle; vgl. hierzu K�hler/Burkard, NStZ 2017, 665.32 K�hler, NStZ 2017, 497, 501f.

  • ZLR 1/2019Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Abhandlung 55

    Dies war erforderlich, da die einzelnen Strafsenate des Bundesgerichtshofes dasBruttoprinzip unterschiedlich interpretierten.33

    Die Bestimmung des Erlangten ist zuk�nftig in einer zweistufigen Pr�fung vorzuneh-men: Zun�chst ist immer nach einer rein tats�chlichen Betrachtungsweise zu bestim-men, was das Erlangte nach § 73 Abs. 1 StGB ist. Abgesch�pft werden soll – soweitm�glich – in „natura“.34 Auf eine unmittelbare Kausalbeziehung zwischen Tat und Be-reicherung soll es nicht ankommen. Soll der Wert des Tatertrages nach § 73c StGB ab-gesch�pft werden, wird in einem zweiten Schritt �ber § 73d Abs. 1 StGB normativ be-stimmt, welche Aufwendungen und Gegenleistungen ber�cksichtigt werden k�n-nen.35 Hierbei soll der Rechtsgedanke des § 817 Satz 2 BGB ber�cksichtigt werden.Das, was in Verbotenes investiert wird, soll unwiederbringlich verloren sein.36

    § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB folgt hierbei dem Grundsatz, dass vom Wert des ErlangtenAufwendungen im Zusammenhang mit dem Erwerbsgeschehen abzugsf�hig sind. Al-lerdings sieht § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB hiervon eine entscheidende Ausnahme vor.Nicht abzugsf�hig ist, was f�r die Begehung der Tat oder ihre Vorbereitung aufge-wandt oder eingesetzt worden ist. Das sind beispielsweise Produktionskosten f�r dieLebensmittelherstellung. Vom Abzugsverbot erfasst sein soll jedoch nur dasjenige,was der Tatbeteiligte willentlich und bewusst,37 also vors�tzlich aufwendet und ein-setzt. F�r fahrl�ssige Taten gilt das Abzugsverbot nicht.

    § 73d Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz StGB bildet f�r Austauschvertr�ge eine R�ckausnah-me vom Abzugsverbot. Leistungen zur Erf�llung einer Verbindlichkeit gegen�berdem Verletzten der Straftat sind nicht vom Abzugsverbot betroffen. Dies kann in Be-trugsf�llen relevant werden.

    Beispiel:

    Maschinenbauer A liefert an Lebensmittelunternehmer L eine Produktionsma-schine f�r 100.000,00 e und behauptet sie sei nagelneu. Tats�chlich wurde sie je-doch bereits zwei Jahre benutzt und hat einen Zeitwert von 80.000,00 e. L willden Kaufvertrag nicht r�ckabwickeln, weil er auch eine gebrauchte Maschinegut findet. Er f�hlt sich jedoch um 20.000,00 e betrogen. Ohne die R�ckausnah-me aus § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB m�ssten bei A die gesamten 100.000,00 e abge-sch�pft werden, obwohl die strafrechtswidrige Verm�genslage nur bei20.000,00 e liegt und A das Eigentum an der Maschine verloren hat. Ein solchesErgebnis h�tte Strafcharakter, weshalb insofern eine Ausnahme bei Austausch-vertr�gen vom Abzugsverbot bei Tataufwendungen gelten soll.38

    33 Vgl. BGHSt 52, 227; BGH wistra 2014, 305 auf der einen Seite und BGHSt 47, 260; BGH wistra 2010, 142;BGHSt 57, 79 auf der anderen Seite.

    34 K�hler, NStZ 2017, 497, 503.35 Tr�g, NJW 2017, 1913, 1914.36 BT-Drs. 18/9525, S. 55 und 67; K�hler, NStZ 2017, 497, 504 m.w.N.37 BT-Drs. 18/0525, S. 55.38 K�hler, NStZ 2017, 497, 509f.

  • ZLR 1/2019

    56 Abhandlung

    Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    dd) Schaffung eines selbst�ndigen Anordnungsverfahrens und„erweiterte Einziehung“

    Grunds�tzlich werden die Einziehung und der Wertersatz im Rahmen des Strafver-fahrens im Urteil angeordnet. Die Anordnung kann aber auch im selbstst�ndigenVerfahren nach §§ 435 oder 436 StPO ergehen. Neu ist, dass �ber § 422 StPO dieM�glichkeit besteht, das Einziehungsverfahren vom Strafverfahren abzutrennenund �ber die Schuldfrage vorab zu entscheiden.

    Zu ber�cksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Verj�hrung der Einzie-hung nicht mehr an die strafrechtliche Verfolgungsverj�hrung gekoppelt ist, sonderngem. § 76b Abs. 1 StGB einer 30j�hrigen Verj�hrungsfrist ab Beendigung der Tat un-terliegt.39 Theoretisch kann deshalb zuk�nftig selbst bei verj�hrten Straftaten nocheine Einziehung angeordnet werden.40

    Sofern ein Strafverfahren durchgef�hrt wurde, ist jedoch eine nachtr�gliche Einzie-hung �ber ein selbst�ndiges Einziehungsverfahren nur dann m�glich, wenn sich dasGericht oder die anordnende Beh�rde der M�glichkeit einer Einziehung nichtbewusst war und die Einziehung somit schlicht „vergessen“ hat oder es ausdr�cklichoder stillschweigend nach § 421 StPO von einer Einziehung abgesehen hat.41 Esbleibt abzuwarten, ob die Staatsanwaltschaften von der jetzt gegebenen M�glichkeitder nachtr�glichen Einziehung Gebrauch machen. Der Antrag, eine selbst�ndigeEinziehung anzuordnen, steht gem. § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO im Ermessen derStaatsanwaltschaft.42

    �ber §§ 76a und 73a StGB sind schließlich im Erkenntnisverfahren auch Gegenst�n-de einziehungsf�hig, obwohl eine Erwerbstat selbst konkret nicht nachgewiesen seinmuss. Es gen�gt, wenn das Gericht davon �berzeugt ist, dass der betreffende Gegen-stand durch irgendeine rechtswidrige Tat erlangt worden ist (§ 73a StGB) oder auseiner rechtswidrigen Erwerbstat herr�hrt (§ 76a Abs. 4 StGB). Man spricht insofernvon einer „erweiterten Einziehung“ bzw. „selbst�ndigen Einziehung“.43

    ee) Keine H�rtefallpr�fung im Erkenntnisverfahren

    § 73c StGB a.F. sah vor, dass ein Verfall nicht angeordnet wird, sofern er f�r den Be-troffenen eine unbillige H�rte w�re. Dies wurde ersatzlos gestrichen. Es gibt deshalbnunmehr im Erkenntnisverfahren keine H�rtefallklausel mehr. Allerdings sieht

    39 K�hler, NStZ 2017, 497, 500.40 K�hler, NStZ 2017, 497, 499 m.w.N.41 Vgl. zu dieser Problematik ausf�hrlich Schmidt, NStZ 2018, 631ff.; Korte, wistra 2018, 1, 7.42 Vgl. Korte, wistra 1, 8 f., der die Bef�rchtung, dass Strafverfolgungsbeh�rden jetzt bis zu 30 Jahre alte

    Akten zu Verfahren, bei denen eine Einziehung „vergessen“ wurde, aus dem Keller holen als unbegr�ndetansieht, weil eine selbst�ndige Anordnung bei verj�hrten Straftaten in der Regel nur in Betracht k�me,wenn sich ein �ffentliches Interesse an der Absch�pfung aufdr�ngt; �hnlich K�hler/Burkhard, NStZ2017, 665, 673; zur Problematik der r�ckwirkenden Geltung der neuen Vorschriften der Einziehung Hen-neke, NZWiSt 2018, 121ff.

    43 K�hler, NStZ 2017, 497, 499.

  • ZLR 1/2019Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Abhandlung 57

    § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO im Rahmen der Vollstreckung vor, dass diese zu unterblei-ben hat, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Verm�gen des Betroffenen vor-handen ist oder die Vollstreckung sonst unverh�ltnism�ßig w�re. Allerdings kannnach § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO die Vollstreckung wieder aufgenommen werden,wenn nachtr�glich Umst�nde bekannt werden oder eintreten, die beispielsweise derUnverh�ltnism�ßigkeit entgegenstehen. Aus Unbilligkeitsgr�nden kann somit nachneuer Rechtslage eine Einziehung nicht vollstreckt werden. Dies aber nur solangewie die Unbilligkeitsgr�nde auch vorliegen. Dies ist ein wesentlicher Unterschiedzum bisherigen Recht.44

    ff) Erweiterte Sicherstellungsm�glichkeiten

    Die §§ 111bff. StPO sehen bereits im Ermittlungsverfahren Sicherstellungsm�glich-keiten vor, um zu verhindern, dass ein in einem sp�teren Urteil angeordnete Einzie-hung ins Leere l�uft, weil der Tatertrag im Laufe eines m�glicherweise langwierigenStrafverfahrens beiseitegeschafft wird.45 Geht es um die Sicherung des erlangten Et-was, wird dieses Etwas gem. §§ 111b bis 111d StPO beschlagnahmt. Geht es um dieEinziehung von Wertersatz, erfolgt die Sicherung durch Verm�gensarrest gem.§§ 111e bis 111g StPO. Da die Vorschriften als „kann“-Regelungen ausgestaltet sind,soll bereits ein Anfangsverdacht als schw�chster strafprozessualer Verdachtsgradf�r Sicherungsmaßnahmen ausreichen. Bei Vorliegen dringender Gr�nde „soll“ dieBeschlagnahme bzw. der Verm�gensarrest angeordnet werden. Das Erfordernis einesArrestgrundes ist nicht mehr gesetzlich normiert. Die Neufassung verzichtet auf eineVerweisung auf § 917 ZPO.46

    Dievorl�ufigen Sicherungsmaßnahmenk�nnen ganzgravierende Folgenhaben. Durchsie k�nnen vollendete Tatsachen geschaffen werden, indem Betroffene wirtschaftlichhandlungsunf�hig gemacht werden.47 Allerdings ist diesbez�glich zu ber�cksichtigen,dass die Gesetzesbegr�ndung ausdr�cklich auf den Verh�ltnism�ßigkeitsgrundsatzBezug nimmt, aus dem sich dann auch das Erfordernis eines Sicherungsgrundesergeben soll.48 Gerade in Wirtschaftsstrafsachen sei das Sicherungsbed�rfnis einerAnordnung von Sicherungsmaßnahmen gegen drittbeg�nstigte Unternehmen beson-ders sorgf�ltigzu pr�fen.49 Hierwirdzuk�nftig ein Einfallstorder Verteidigung liegen.

    c) Praxisrelevante Problemkreise

    Die umfassenden �nderungen der gesetzlichen Vorgaben zur Verm�gensabsch�pfungbeeinflusst den Umgang mit lebensmittelstrafrechtlichen Sachverhalten maßgeblich.

    44 Korte, 2018, 1, 9.45 K�hler, NStZ 2017, 497, 501.46 Tr�g, NJW 2017, 1913, 1916.47 Vgl. zu dieser Problematik auch K�llner/M�ck, NZI 2017, 593.48 K�llner/M�ck, NZI 2017, 593, 596; so auch OLG Stuttgart, NJW 2017, 3731 m. Anm. Gubitz, das im Hin-

    blick auf das Erfordernis eines Arrestgrundes keine �nderungen zur alten Rechtslage sieht.49 BT-Drs. 18/9525, 76.

  • ZLR 1/2019

    58 Abhandlung

    Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Dies in erster Linie nat�rlich was das Verteidigungsverhalten anbetrifft. Dar�ber hi-naus aber auch insgesamt im Hinblick auf zivilrechtliche Schadensersatzfragen undAnspr�che von durch Straftaten gesch�digte Lebensmittelunternehmer. Einige Pro-blemkreise werden nachfolgend angerissen.

    aa) Was ist im Lebensmittelstrafrecht das erlangte Etwas?

    Den bislang zwischen den einzelnen Strafsenaten des BGH gef�hrten Streit, was beiAustauschvertr�gen die erlangten Verm�genswerte sind,50 hat der Reformgesetzge-ber dahingehend entschieden, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischenrechtswidriger Tat und dem erlangten Etwas bestehen muss. Abzusch�pfen ist alles„durch“ die Tat erlangte.51 Dies bedeutet, dass es im Hinblick auf die Frage des er-langten Verm�gensvorteils gerade nicht mehr auf die Genehmigungsf�higkeit einesProduktes ankommen kann.52

    Erlangt im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB sind im Lebensmittelstrafrecht prim�r Ein-nahmen, die durch den Vertrieb eines nicht den Vorschriften des Lebensmittelrechtsentsprechenden Lebensmittels entstehen. Dies k�nnen zum Beispiel Ums�tze ausdem Vertrieb gesundheitssch�dlicher Lebensmittel sein, aber auch Einnahmen beimVertrieb eines zulassungspflichtigen Produktes ohne Zulassung wie beispielsweisebei Novel Food. Auf die Zulassungsf�higkeit des Produktes kommt es f�r die Frageder Verm�gensabsch�pfung nicht mehr an.

    Wie sieht es aber bei Kennzeichnungsverst�ßen aus? Kann ein solcher zur Absch�p-fung des mit dem Vertrieb des Lebensmittels erzielten Umsatzes f�hren? Auch nachneuer Rechtslage muss nach der hier vertretenen Auffassung diesbez�glich differen-ziert werden, inwieweit die fehlerhafte Kennzeichnung Einfluss auf die Kaufent-scheidung eines Verbrauchers hat.53 Die Bestimmung des erlangten Etwas im Sinnevon § 73 Abs. 1 StGB erfolgt nach einer rein tats�chlichen Betrachtungsweise. Derrein tats�chliche Zusammenhang ist gegeben, wenn die Begehung der rechtswidrigenTat nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Bereicherung entfiele.54 EineKennzeichnungsverletzung, die keinen Einfluss auf die Entscheidung des Verbrau-chers hat, kann hinweggedacht werden, ohne dass die Bereicherung entfiele. DerVerbraucher kauft das Lebensmittel in diesem Fall nicht wegen der Kennzeich-nungsverletzung, sondern aus anderen Gr�nden. Ein kleiner Kennzeichnungsfehlerwie beispielsweise eine zu kleine Schrift auf dem Lebensmittel oder das Fehlen einerunbedeutenden Pflichtkennzeichnung kann deshalb im Rahmen der Verm�gensab-sch�pfung keine Relevanz besitzen. Die Auslobung eines Produktes als Bio-Produkt,obwohl es nicht den Vorgaben der Bio-Verordnung entspricht, kann dagegen zur

    50 Vgl. BGHSt 52, 227; BGH, wistra 2014, 305 auf der einen Seite und BGHSt 47, 260; BGH, wistra 2010,142; BGHSt 57, 79 auf der anderen Seite.

    51 Das Tatbestandsmerkmal „aus“ wurde ersetzt.52 Nach der alten Rechtslage diesbez�glich noch differenzierend Hering/Hering, ZLR 2014, 540, 546f.53 So zur alten Rechtslage schon Hering/Hering, ZLR 2014, 540, 547.54 K�hler, NStZ 2017, 497, 503.

  • ZLR 1/2019Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Abhandlung 59

    Einziehung der mit dem Produkt erzielten Einnahmen f�hren. Absch�pfungsrecht-lich problematisch k�nnen auch irref�hrende Claims und Verst�ße gegen die Health-Claims-Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 sein. Dies gerade auch in Grenzf�llen.

    Beispiel:

    Der Verwaltungsgerichtshof M�nchen sieht in einer aktuellen Entscheidung dieProduktbezeichnung „Arthro Aktiv Kapseln“ f�r ein Lebensmittel als unzul�s-sige gesundheitsbezogene Angabe an, die gegen Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006 verst�ßt und best�tigt eine zu dem Claim ergangene beh�rdliche Untersa-gungsverf�gung. Zwar handele es sich bei dem Begriff „Arthro Aktiv“ um kei-nen besonders stark auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes hindeu-tende Angabe. Sie nehme jedoch f�r den durchschnittlich verst�ndigen Verbrau-cher ohne weiteres Bezug auf das Krankheitsbild der Arthrose und implizierejedenfalls zusammen mit der Verwendung des positiv konnotierten Begriffs „ak-tiv“ einen positiven Zusammenhang zwischen der Einnahme des Lebensmittelsund dem Krankheitsbild der Arthrose.55

    Unterstellt man, dass das Inverkehrbringen des Produktes unter der Bezeichnung„Athro Aktiv Kapseln“ auch eine rechtswidrige Tat gem. § 59 Abs. 2 Nr. 3 LFGBi.Vm. Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 darstellt, w�ren zwingenddie mit dem Vertrieb des Produktes erzielten Einnahmen strafrechtlich abzusch�p-fen. Als in irgendeiner Form kausal f�r die Kaufentscheidung der Verbraucher mussman die Bezeichnung „Arthro Aktiv“ wohl ansehen. Diese gerade auch bei Grenzf�l-len durch das Absch�pfungsrecht m�glichen drastischen Konsequenzen zeigen ein-mal mehr das Problem des Lebensmittelstrafrechts, insbesondere bei den Irref�h-rungstatbest�nden auf. Es werden „fl�chendeckend“ mit allen Konsequenzen s�mt-liche lebensmittelrechtliche Verst�ße straf- oder zumindest bußgeldrechtlichsanktioniert, ohne dass es darauf ank�me, ob den Straftatbest�nden ein hinreichendbestimmtes Rechtsgut zugeordnet werden kann.56 Die Dispositionsfreiheit allein istkein strafrechtlich relevantes Rechtsgut, da ihr der Bezugspunkt wie beispielsweisedas Verm�gen fehlt.57 Die lebensmittelstrafrechtlichen Irref�hrungstatbest�ndesch�tzen jedoch nur die Dispositionsfreiheit, was sie zumindest kriminalpolitischangreifbar macht.58

    55 VGH M�nchen, Beschluss vom 17.9.2018, Az.: 20 ZB 17.2073.56 Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 237ff.; kritisch zu dieser Situation schon

    Freund, ZLR 1994, 261, 281ff.57 M�KoStGB/Hefendehl, 3. Aufl. 2019, StGB § 263 Rdnr. 4; Vergho, wistra 2010, 86, 88.58 Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 251ff.

  • ZLR 1/2019

    60 Abhandlung

    Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    bb) Risiko Gest�ndnis?

    Ein Gest�ndnis hat grunds�tzlich strafmildernde Wirkung.59 Bei einer Verteidigungim Hinblick auf die Strafzumessung kann es deshalb empfehlenswert sein, dass man„reinen Tisch macht“ und die ber�hmte „Lebensbeichte“ ablegt. Dieses Verteidi-gungsverhalten muss im Lichte der Neuregelungen zur Verm�gensabsch�pfung ge-nau �berdacht werden. Eine Einziehung nach den §§ 73ff. StGB ist zwingend anzu-ordnen, wenn die Voraussetzungen f�r die Einziehung erf�llt sind. Es gibt kein Er-messen des Gerichts. Ein T�ter, der um Bonuspunkte bei der Strafzumessung zusammeln, „�berschießend“ gesteht, indem er beispielsweise einr�umt, die strafbareHandlung schon l�nger zu begehen, muss damit rechnen, dass sich die Verm�gensab-sch�pfung auf alle von ihm einger�umten Taten beziehen wird. Dies umso mehr,wenn man ber�cksichtigt, dass die Einziehung gem. § 76b Abs. 1 StGB einer 30-j�h-rigen Verj�hrungsfrist unterliegt. M�glicherweise erh�lt ein so gestehender T�tereine geringe Strafe, ist wirtschaftlich aber ruiniert. Dies kann gerade auch im Le-bensmittelstrafrecht eine Rolle spielen und muss in der Beratungspraxis ber�cksich-tigt werden. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, inwieweit f�reinen Beschuldigten in Bezug auf die Einziehungsproblematik Belehrungspflichtengem. § 136 StPO auf Seiten der Ermittlungsbeh�rden bestehen, wenn die Einziehungf�r den Beschuldigten schwerwiegendere Konsequenzen nach sich ziehen kann alsdie eigentliche Strafe.60

    cc) Zunehmende Bedeutung der Unterscheidung zwischen Vorsatzund Fahrl�ssigkeit

    Es gibt im Lebensmittelstrafrecht etliche Straftatbest�nde, die fahrl�ssiges Verhal-ten unter Strafe stellen. Verwiesen sei diesbez�glich nur auf § 58 Abs. 6 LFGB, derbeispielsweise auch das fahrl�ssige Inverkehrbringen gesundheitssch�dlicher Le-bensmittel gem. § 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB unter Strafe stellt. Fragen der Verm�gensab-sch�pfung stellen sich bei solchen Straftatbest�nden in gleicher Weise. Die Unter-scheidung zwischen Vorsatz und Fahrl�ssigkeit ist dennoch beim neuen Recht derVerm�gensabsch�pfung wichtig, da bei fahrl�ssigen Verhaltensweisen das Abzugs-verbot aus § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB f�r Aufwendungen, die im Zusammenhang mitder Straftat get�tigt werden, nicht gilt. Produktionskosten f�r das fahrl�ssig in Ver-kehr gebrachte, vorschriftswidrige Lebensmittel k�nnen dann von den Einnahmenabgezogen werden.

    59 Fischer, Kommentar zum StGB, 66. Auflage 2019, § 46 Rdnr. 50.60 Vgl. zur geschw�chten Position des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren K�llner/M�ck, NZI 2017,

    593, 598f.

  • ZLR 1/2019Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Abhandlung 61

    dd) Abfindungsvergleich, Entreicherungseinwand und die Bedeutungdes Zivilrechts

    Die Einziehung ist gem. § 73e Abs. 1 StGB ausgeschlossen, soweit der Anspruch, derdem Verletzten aus der Tat auf R�ckgew�hr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertesdes Erlangten erwachsen ist, erloschen ist. Diese Regelung wird flankiert von der in§ 459g Abs. 4 StPO. Demgem�ß wird der Ausschluss der Vollstreckung der Einzie-hung nach §§ 73 bis 73c StGB angeordnet, soweit der Anspruch, der dem Verletztenaus der Tat auf R�ckgew�hr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangtenerwachsen ist, erloschen ist.

    Wann ein Anspruch erloschen ist, unterliegt einer zivilrechtlichen Betrachtungswei-se. Das Zivilrecht erm�glicht somit strafrechtliche Verteidigungsans�tze. So kannbeispielsweise �ber einen Abfindungsvergleich mit dem Gesch�digten die Anord-nung der Einziehung ausgeschlossen werden. Dies kann nicht nur f�r den T�ter, son-dern auch f�r den Verletzten Vorteile haben. �ber einen Vergleich kann er unter Um-st�nden schneller an sein Geld kommen. Eingezogene Verm�genswerte werden n�m-lich erst im Rahmen der Vollstreckung nach rechtskr�ftigem Abschluss desStrafverfahrens an die Verletzten verteilt. Dies kann bei wirtschaftsstrafrechtlichenVerfahren Jahre dauern. § 73e Abs. 1 StGB ist somit Einfallstor f�r zivilrechtlicheund konsensuale L�sungen, die zuk�nftig in wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahreneine erhebliche Bedeutung haben werden.61

    Gleiches gilt f�r den Entreicherungseinwand des Drittbeteiligten aus § 73e Abs. 2StGB. Demzufolge ist die Einziehung bei einem Dritten ausgeschlossen, soweit derWert des Erlangten nicht mehr im Verm�gen des Betroffenen vorhanden ist, es seidenn dem Betroffenen waren die Umst�nde bekannt oder infolge von Leichtfertigkeitunbekannt, welche die Anordnung der Einziehung gegen den T�ter oder Teilnehmeransonsten zugelassen h�tte. Auch diesbez�glich ist im Hinblick auf die Frage, aufwelchen Zeitpunkt es f�r die Beurteilung einer etwaigen Entreicherung ankommt,auf die zivilrechtlichen Bereicherungsgrunds�tze aus den §§ 818ff. BGB zur�ckzu-greifen.62 Dies gilt auch f�r die Beurteilung der B�sgl�ubigkeit.

    Zivilrechtliche Fragestellungen k�nnen schließlich bei der Bestimmung der Sch�t-zungsgrundlagen f�r den Umfang des Wertersatzes gem. § 73d Abs. 2 StGB einezentrale Rolle spielen. Wie bisher kann der Wert des Erlangten auch gesch�tzt wer-den (vgl. § 73b StGB a.F.). Um eine Sch�tzung vornehmen zu k�nnen, bedarf es einerSch�tzungsgrundlage. F�r die Verteidigung oder den Drittbeteiligten besteht hierdie M�glichkeit, Ankn�pfungstatsachen vorzutragen, die eine f�r den Betroffeneng�nstige Sch�tzung erm�glichen. Inzident stellen sich im Rahmen der Sch�tzungdann auch die oben bereits behandelten zivilrechtlichen Problemkreise.

    61 K�llner/M�ck, NZI 2017, 593, 595 sprechen von einer Zentralnorm der strafrechtlichen Verm�gensab-sch�pfung.

    62 K�hler/Burkhard, NStZ 2017, 665, 674.

  • ZLR 1/2019

    62 Abhandlung

    Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    ee) Verh�ltnism�ßigkeit

    Wie oben beschrieben hat der Gesetzgeber die H�rtefallpr�fung im Strafverfahrenabgeschafft. Lediglich im Rahmen der Vollstreckung sollen BilligkeitsgesichtspunkteBer�cksichtigung finden. Dies bedeutet aber nicht, dass im neuen Recht der Verm�-gensabsch�pfung der Verh�ltnism�ßigkeitsgrundsatz als Verfassungsgrundsatz nichtmehr gilt. Vielmehr ist die Verh�ltnism�ßigkeit bei jeder Maßnahme der Verm�gens-absch�pfung, insbesondere bei vorl�ufig verm�genssichernden Maßnahmen zu be-achten.63 Dementsprechend pr�ft das OLG Stuttgart im Rahmen einer Anordnungeines Verm�gensarrestes gem. §§ 111e StPO, 73, 73c StGB zu Recht unter Bezug-nahme auf den Verh�ltnism�ßigkeitsgrundsatz sowohl das Vorliegen eines Arrest-grundes, also die Besorgnis einer Erschwerung oder wesentlichen Vereitelung derForderungsvollstreckung, als auch die Notwendigkeit eines besonderen Sicherungs-bed�rfnisses.64 Die Frage der Verh�ltnism�ßigkeit bleibt deshalb ein Verteidigungs-ansatz gegen die Anordnung der Einziehung.

    ff) Opferperspektive

    Fragen zum neuen Recht der Verm�gensabsch�pfung k�nnen sich f�r die Lebensmit-telwirtschaft nicht nur aus der Perspektive als Betroffener oder Drittbeteiligter stel-len, sondern auch aus der Perspektive des Gesch�digten. Zu denken ist beispielswei-se nur an Handelsketten und zivilrechtliche Anspr�che zwischen Lieferant undH�ndler.

    Lohnt sich die Geltendmachung zivilrechtlicher Anspr�che und Titulierung noch,wenn �ber das Strafverfahren zur Vermeidung eines „Windhundrennens“ dieVerletzten bzw. Gesch�digten einer Lebensmittelstraftat sowieso alle gleich gestelltsind65 und die Verteilung abgesch�pfter Tatertr�ge ausschließlich �ber das Voll-streckungsverfahren l�uft? Oder sollen zivilrechtliche Anspr�che aus lebensmittel-strafrechtlichen Verfahren zuk�nftig in einem sogenannten Adh�sionsverfahren gem.§§ 403ff. StPO im Rahmen des laufenden Strafverfahrens geltend gemacht werden?Geht das �berhaupt? Ist f�r einen Gesch�digten m�glicherweise eine Strafanzeigeder schnellste und sicherste Weg, um �ber die Verm�gensabsch�pfung an Geld zukommen?

    Diese Fragen k�nnen nicht pauschal abgehandelt werden, sondern bed�rfen jeweilseiner Einzelfallbetrachtung. Prinzipiell ist aber festzuhalten, dass nach Vollziehungvon Arrestmaßnahmen im Rahmen eines Strafverfahrens die flankierende Geltendma-chung von Schadensersatzanspr�chen in einem isolierten Zivilverfahren genau �ber-dacht werden sollte, da ein zivilrechtlicher Titel wegen § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO nichtmehr vollstreckt werden kann. Um dieser Problematik zu entkommen, kann es ratsam

    63 Rettke, wistra 2017, 417, 420.64 OLG Stuttgart, NJW 2017, 3731 m. Anm. Gubitz.65 Zum „Windhundrennen“: Korte, wistra 2018, 1, 2.

  • ZLR 1/2019Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Abhandlung 63

    sein, mit dem T�ter einen Vergleich zu schließen, der auch gem. § 405 StPO im Adh�si-onsverfahren m�glich ist. Hierdurch kann die Einziehung ausgeschlossen werden(§ 73e StGB), was wiederum im Rahmen der Vollstreckung gem. § 459g Abs. 4 StPO zuber�cksichtigen w�re. Dies kann Vorteile f�r den Gesch�digten haben, da er schnelleran sein Geld kommt. Außerdem ist oft im Rahmen eines Strafverfahrens der Druck f�rden T�ter gr�ßer, was ebenfalls f�r den Gesch�digten g�nstig sein kann. Das neueRecht der Verm�gensabsch�pfung hat insofern auch erheblichen Einfluss auf dieDurchsetzung zivilrechtlicher Anspr�che der Gesch�digten.

    2. Verm�gensabsch�pfung im Ordnungswidrigkeitenrecht

    Auch das Ordnungswidrigkeitenrecht sieht im selben oder jedenfalls im vergleichba-ren Umfang Absch�pfungsm�glichkeiten wie das Strafrecht vor.66 Die zentrale Vor-schrift der Verm�gensabsch�pfung im Ordnungswidrigkeitenrecht ist § 29a Abs. 1und 3 OWiG. Dieser soll vor allem auf Tatbest�nde des Wirtschaftsrechts, insbeson-dere auch des Lebensmittelrechts Anwendung finden.67 Im Rahmen der Reform derVerm�gensabsch�pfung wurde die Norm an die strafrechtliche Rechtslage angepasst.Der Bezeichnung „Verfall“ wurde auch im Recht der Ordnungswidrigkeiten durchdie Begrifflichkeit „Einziehung des Wertes von Tatertr�gen“ ersetzt.68 Im Wesentli-chen kann im Hinblick auf die Verm�gensabsch�pfung bei Ordnungswidrigkeitenauf die obigen Ausf�hrungen zum Strafrecht verwiesen werden.

    a) Unterschiede zur strafrechtlichen Rechtslage

    Es gibt jedoch dennoch ein paar wichtige Unterschiede im Vergleich zur Verm�gens-absch�pfung bei Straftaten, die nachfolgend kurz skizziert werden.

    aa) Geltung des Opportunit�tsgrundsatzes

    W�hrend im Strafrecht die Anordnung der Einziehung von Tatertr�gen verpflich-tend ist, steht sie im Bereich der Ordnungswidrigkeiten im Ermessen der anordnen-den Beh�rde. Es gilt auch im Rahmen der Verm�gensabsch�pfung im Recht der Ord-nungswidrigkeiten das Opportunit�tsprinzip. Sowohl das „ob“ der Anordnung alsauch die „H�he“ der Anordnung stehen im Ermessen des Anordnenden. Die Aus-�bung des Ermessens erfolgt nach den allgemeinen Zweckm�ßigkeitserw�gungen.Hierbei k�nnen auch unbillige H�rten f�r den Betroffenen eine Rolle spielen. Diesinsbesondere auch im Hinblick auf wirtschaftliche Konsequenzen.69

    66 Bittmann, NZWiSt 2018, 209.67 BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 29a Rdnr. 5.68 Skeptisch im Hinblick auf den Sinn der Bezeichnungs�nderung KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG

    § 29a Rdnr. 1.69 BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 29a Rdnr. 77 ff.; Krenberger/Krumm, 5. Aufl. 2018, OWiG § 29a

    Rdnr. 10.

  • ZLR 1/2019

    64 Abhandlung

    Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    bb) Ausschließlich Wertersatzeinziehung

    W�hrend im Strafrecht sich die Einziehung prim�r auf einen Gegenstand – das er-langte Etwas – bezieht, wird im Ordnungswidrigkeitenrecht stets ein Geldbetrag ab-gesch�pft.70 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 29a Abs. 1 OWiG, derausdr�cklich von der Einziehung eines Geldbetrages spricht. Als Vorfrage kommt esdennoch auch im Ordnungswidrigkeitenrecht auf das erlangte Etwas an, um �ber-haupt den Wert des Geldbetrages bestimmen zu k�nnen. Die Bestimmung des Wertesder Tatertr�ge l�uft dann wie im Strafrecht ab. Es gilt insbesondere bei § 29a Abs. 3OWiG auch das Bruttoprinzip.71

    cc) Vorrang der Gewinnabsch�pfungsfunktion der Geldbuße (§ 17 Abs. 4 OWiG)

    Die Einziehungsanordnung ist im Ordnungswidrigkeitenrecht nach § 29a OWiG nurzul�ssig, wenn eine Geldbuße nicht festgesetzt wird.72 Wird eine Geldbuße festge-setzt, werden die Verm�gensvorteile ausschließlich �ber die Gewinnabsch�pfungs-funktion der Geldbuße gem. § 17 Abs. 4 OWiG vorgenommen.73 Im Bußgeldbescheidsoll dann zwischen der eigentlichen Geldbuße und dem Absch�pfungsbetrag unter-schieden werden.74 �ber die Absch�pfung des wirtschaftlichen Vorteils kann gem.§ 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG auch das gesetzliche H�chstmaß �berschritten werden, sodass sehr hohe Geldbußen denkbar sind.

    Anders als bei § 29a Abs. 3 OWiG ist der Absch�pfungsteil bei § 17 Abs. 4 OWiGnicht �ber das Bruttoprinzip zu bestimmen, sondern es gilt das Nettoprinzip. Alswirtschaftlicher Vorteil ist nur der Gewinn aus der konkreten Tat abzusch�pfen. Dieim Zusammenhang mit der Tat stehenden Aufwendungen sind abzuziehen.75 Im Le-bensmittelrecht k�nnen insbesondere die Produktionskosten f�r die Herstellung ei-nes nicht dem Lebensmittelrecht entsprechenden Lebensmittels abgezogen werden.

    Obwohl bei § 17 Abs. 4 OWiG das Nettoprinzip gilt, muss der Weg �ber § 17 Abs. 4OWiG dennoch nicht immer zwingend g�nstiger f�r den Betroffenen sein. Zu be-r�cksichtigen ist n�mlich, dass der Absch�pfungsteil nur die Untergrenze der Geld-buße darstellt, zu dem noch ein Ahndungsteil hinzukommen kann.76 Letzterer f�lltbei einer Einziehung �ber § 29a OWiG weg. Der Ahndungsteil kann insbesondere beiwirtschaftlich gut situierten Betroffenen nicht unerheblich sein. Die wirtschaftlichenVerh�ltnisse des Betroffenen sind f�r die Bemessung der Bußgeldh�he gem. § 17

    70 KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 29a Rdnr. 1; BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 29a Rdnr. 3a.71 Krenberger/Krumm, 5. Aufl. 2018, OWiG § 29a Rdnr. 4.72 Keine Geldbuße wird beispielsweise festgesetzt bei einer Einstellung des Verfahrens wegen Verfahrens-

    hindernissen oder aus Opportunit�tsgr�nden (§ 47 Abs. 1 und 2 OWiG) oder auch bei einem Freispruch.Dann richtet sich die Verm�gensabsch�pfung nach § 29a OWiG.

    73 Krenberger/Krumm, 5. Aufl. 2018, OWiG § 29a Rdnr. 8; KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 29aRdnr. 5.

    74 Krenberger/Krumm, 5. Aufl. 2018, OWiG § 17 Rdnr. 31.75 BeckOK OWiG/Sackreuther, OWiG § 17 Rdnr. 125.76 BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 29a Rdnr. 4.

  • ZLR 1/2019Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Abhandlung 65

    Abs. 3 OWiG ein wichtiges Kriterium. Ferner wird die Einziehung von Tatertr�genbei § 29a OWiG nicht in das Gewerbezentralregister eingetragen.77 Bei einer Geldbu-ße findet dagegen gem. § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO eine Eintragung statt, wenn dieGeldbuße �ber 200 Euro betr�gt. Dies kann bei zuk�nftigen Straf- oder Ordnungs-widrigkeitenverfahren negative Auswirkungen haben.

    b) Praxisrelevante Auswirkungen

    Die oben dargestellten Unterschiede zur strafrechtlichen Rechtslage er�ffnen imOrdnungswidrigkeitenrecht zus�tzliche Verteidigungsm�glichkeiten und haben pra-xisrelevante Auswirkungen.

    aa) Unternehmensgeldbuße (§ 30 OWiG) als Chance?

    Bisher hat man in der Verteidigungspraxis im Interesse des Lebensmittelunterneh-mens meistens versucht, die Verh�ngung einer Unternehmensgeldbuße78 so gut esging zu vermeiden. Leitende Personen, die als T�ter f�r eine Bezugstat einer Verm�-gensgeldbuße gem. § 30 Abs. 1 OWiG in Betracht kamen, sollten m�glichst aus demFokus der Ermittlungen herausgehalten werden. Diese Verteidigungsstrategie wirdsicher auch zuk�nftig weiter eine Option sein. Bei einem weitreichenden Fehlverhal-ten in einem Lebensmittelunternehmen kann es demgegen�ber allerdings auch imEinzelfall ratsam sein, im Interesse des Unternehmens auf die Verh�ngung einer Un-ternehmensgeldbuße hinzuwirken. § 17 Abs. 4 OWiG ist auch bei Geldbußen gegenjuristische Personen und Personenvereinigungen gem. § 30 Abs. 3 OWiG anzuwen-den. Hieraus folgt, dass auch bei der Bemessung einer Unternehmensgeldbuße dasNettoprinzip gilt.79 Dieses Prinzip kann die Existenz eines Unternehmens sichern.

    Beispielsweise wurde wegen des Dieselskandals gegen die Audi AG von der Staats-anwaltschaft M�nchen II mit Bescheid vom 16.10.2018 eine Unternehmensgeldbußein H�he von 800 Millionen Euro verh�ngt. Hierbei entfielen f�nf Millionen Euro aufden Ahndungsteil und 795 Millionen Euro auf den Absch�pfungsteil.80 Sicherlichsind 800 Millionen Euro viel Geld. Ber�cksichtigt man aber, dass die Staatsanwalt-schaft M�nchen II davon ausging, dass die Manipulationen 4,992 Millionen Fahrzeu-ge betrafen,81 ist die Geldbuße fast schon ein „Schn�ppchen“. Ohne die Geltung desNettoprinzips und der hierdurch erm�glichten Ber�cksichtigung von Produktions-kosten, von Kosten f�r die Umr�stung betroffener Fahrzeuge und von in den USA im

    77 BeckOK OWiG/Meyberg, OWiG § 29a Rdnr. 9; K�llner/Cyrus, NZI 2016, 17, 19 sehen in diesem Zusam-menhang § 29a auch als m�gliche Verteidigungsstrategie gegen eine Unternehmensgeldbuße nach § 30OWiG an.

    78 Vgl. allgemein zu Unternehmenssanktionen und �nderungsbestrebungen des Gesetzgebers Hartwig/Memmler, ZLR 2014, 396ff.

    79 Korte, NZWiSt 2018, 231, 235.80 Vgl. Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft M�nchen II vom 16.10.2018 unter https://www.justiz.

    bayern.de/gerichte-und-behoerden/staatsanwaltschaft/muenchen-2/presse/2018/13.php.81 Vgl. Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft M�nchen II vom 16.10.2018 unter https://www.justiz.

    bayern.de/gerichte-und-behoerden/staatsanwaltschaft/muenchen-2/presse/2018/13.php.

  • ZLR 1/2019

    66 Abhandlung

    Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Rahmen der Diesel-Aff�re bezahlten Straf- und Vergleichskosten, w�re der abzu-sch�pfende wirtschaftliche Vorteil um ein Vielfaches h�her ausgefallen.

    Ein weiterer großer Vorteil ist, dass �ber die Bezahlung einer Unternehmensgeldbußedie Angelegenheit f�r das Unternehmen – auch im Hinblick auf die strafrechtlicheVerm�gensabsch�pfung – endg�ltig abgeschlossen werden kann. Sobald eine Unter-nehmensgeldbuße festgesetzt wird, ist n�mlich die zus�tzliche Anordnung einer Ein-ziehung nach § 29a OWiG und auch nach §§ 73ff. StGB wegen § 30 Abs. 5 OWiG aus-geschlossen. Das betroffene Unternehmen kann sich dann wieder auf sein Gesch�ftkonzentrieren und hat Planungssicherheit.

    bb) Zunehmende Bedeutung der Unterscheidung zwischen Straftatund Ordnungswidrigkeit

    Auch wenn das Ordnungswidrigkeitenrecht in �hnlichem Ausmaß wie das StrafrechtAbsch�pfungsm�glichkeiten vorsieht, ist es doch aus den oben genannten Gr�ndenin vielerlei Hinsicht g�nstiger f�r den Betroffenen. Allein die Tatsache, dass der Op-portunit�tsgrundsatz gilt, macht den Umgang mit der Verm�gensabsch�pfung imOrdnungswidrigkeitenrecht einfacher. W�hrend Billigkeitsgesichtspunkte im Straf-recht nach neuer Rechtslage im Erkenntnisverfahren gar keine Ber�cksichtigungfinden, sind diese bei einer Ermessensentscheidung im Ordnungswidrigkeitenrechtzwingend zu beachten. Dass Ordnungswidrigkeiten qualitativ vom Unrechtsgehaltgeringer einzustufen sind als Straftaten,82 spiegelt sich deshalb auch im Absch�p-fungsrecht wieder. Dies hat zur Folge, dass die Bedeutung der Unterscheidung zwi-schen Ordnungswidrigkeit und Straftat auch im Hinblick auf die Verm�gensab-sch�pfung zunimmt. Gerade die subjektive Tatseite wird deshalb im Lebensmittel-recht mehr Beachtung finden, weil bei den Mischtatbest�nden aus §§ 59, 60 Abs. 1LFGB die Qualifikation einer Handlung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit davonabh�ngt, ob vors�tzliches oder fahrl�ssiges Handeln vorliegt.

    IV. Musterfeststellungsklage

    1. Grundz�ge der Regelung

    Am 1.11.2018 ist das Gesetz zur Einf�hrung einer zivilprozessualen Musterfeststel-lungsklage in Kraft getreten.83 Damit wurde im Sinne des Verbraucherschutzes dieM�glichkeit geschaffen, gegen das rationale Desinteresse bei Streusch�den vorzuge-hen. Hierzu heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung:

    „Gerade wenn der erlittene Nachteil im Einzelfall gering ist, werden Schadens-ersatz- oder Erstattungsanspr�che oft nicht individuell verfolgt, da der erforder-

    82 Vgl. hierzu K�hne, ZLR 1996, 369, 371.83 Gesetz zur Einf�hrung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juni 2018, Bundesge-

    setzblatt 2018 Teil I Nr. 26 vom 17. Juli 2018.

  • ZLR 1/2019Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Abhandlung 67

    liche Aufwand aus Sicht des Gesch�digten unverh�ltnism�ßig erscheint (,ratio-nales Desinteresse ,). Kommt eine Einigung der Parteien – etwa im Rahmen deraußergerichtlichen Streitschlichtung – nicht zustande und sehen die Betroffenenvon einer Klage ab, verbleibt der unrechtm�ßig erlangte Gewinn bei dem Anbie-ter, der hierdurch einen Wettbewerbsvorteil gegen�ber rechtstreuen Wettbewer-bern erzielt.“84

    Hinzu kam der unter dem Eindruck von „Diesel-Gate“ im politischen Feld gewon-nene Eindruck, dass hartgesottene Industrieunternehmen Anspr�che von Verbrau-chern hierzulande abwettern, w�hrend sie im Ausland, insbesondere in den USA,großz�gig Schadensersatz leisten. Insofern verfolgt die Musterfeststellungsklagenicht nur die Durchsetzung von geringen Streusch�den, sondern auch von Massen-sch�den.85 Dabei handelt es sich aber nicht um eine „class action“86 im Sinne desUS-amerikanischen Rechtssystems. Die Interessenwahrnehmung wird vielmehr be-rechtigten qualifizierten Einrichtungen im Sinne des § 606 Abs. 1 ZPO �berantwor-tet. Im Rahmen dieser Darstellung werden nur einige Grundz�ge der Musterfeststel-lungsklage sowie deren Konsequenzen f�r die Lebensmittelwirtschaft dargestellt.Hinsichtlich der Details wird auf die weiterf�hrende Literatur verwiesen.87

    Wie bereits ausgef�hrt, k�nnen Musterfeststellungsklagen nur von qualifiziertenEinrichtungen eingereicht werden, f�r die die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 ZPOvorliegen. Hierzu geh�ren die in § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Unterlassungsklagengesetzbezeichneten Stellen, die gewisse weitere Voraussetzungen erf�llen m�ssen.88 Ver-braucherzentralen und andere Verbraucherverb�nde, die �berwiegend mit �ffentli-chen Mitteln gef�rdert werden, sind stets klagebefugt. Zu den klageberechtigtenqualifizierten Einrichtungen d�rften aber auch in der Lebensmittelwirtschaft be-kannte Einrichtungen wie z.B. Foodwatch e.V. geh�ren, die mittels dieses neuen In-struments ihre Kampagnenf�higkeit unter Beweis stellen k�nnen.

    Gegenstand der Musterfeststellungsklage ist „die Feststellung des Vorliegens oderNichtvorliegens von tats�chlichen und rechtlichen Voraussetzungen f�r das Bestehenoder Nichtbestehen von Anspr�chen oder Rechtsverh�ltnissen (Festsetzungsziele)zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer“ (§ 606 Abs. 1 S. 1 ZPO). SowohlRechts- als auch Tatsachenfragen k�nnen demnach Gegenstand der Feststellungsein. Der Begriff des Verbrauchers wird f�r die Zwecke der Musterfeststellungsklageeigens in § 29c Abs. 2 ZPO definiert. F�r die Musterfeststellungsklage ist ausschließ-lich das Oberlandesgericht zust�ndig, bei dem der Beklagte seinen allgemeinen Ge-

    84 BT-Drs. 19/2439.85 So zutreffend Waclawik, NJW 2018, 2921.86 Siehe hierzu Schneider, BB 2018, 1986.87 Instruktiv Waclawik, NJW 2018, 2921 und Schneider, BB 2018, 1986; siehe auch Thierry/Schlingmann,

    DB 2018, 2550; Voll, MDR 2018, 497; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657; Deiß/Graf/Salger, BB 2018, 2883.88 Zur ersten Ablehnung einer �ffentlichen Bekanntmachung einer Musterfeststellungsklage mangels

    Nachweises des Vorliegens der Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO siehe OLG Braunschweig, B. v.12.12.2018, 4 MK 2/18; zur Zulassung und teilweise �ffentlichen Bekanntmachung siehe OLG Braun-schweig, B. v. 23.11.2018, 4 MK 1/18.

  • ZLR 1/2019

    68 Abhandlung

    Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    richtsstand hat (§ 32c ZPO). Feststellungsf�hig sind alle Rechtsverh�ltnisse, bei de-nen Anspr�che oder Rechtsverh�ltnisse von mindestens zehn Verbrauchern abh�n-gen (§ 606 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO) und sich innerhalb von zwei Monaten nach �ffentlicherBekanntmachung mindestens 50 Verbraucher durch Eintragung in das Klageregisterder Musterfeststellungsklage anschließen (§ 606 Abs. 3 Ziff. 3 ZPO). Diese Vorausset-zungen sind f�r zahlreiche Verb�nde bereits aus der eigenen Mitgliedschaft ohneweiteres zu generieren.

    Die Musterfeststellungsklage wird vom OLG bekannt gemacht. Danach k�nnen sichbetroffene Verbraucher ohne Zuhilfenahme eines Anwalts durch Anmeldung von An-spr�chen dem Verfahren bis zur ersten m�ndlichen Verhandlung anschließen (§ 608ZPO). Das Verfahren kann durch Urteil oder einen Vergleich beendet werden, der ggf.der Genehmigung des Gerichts gem�ß § 611 Abs. 3 ZPO bedarf. Verbraucher, die ihreAnspr�che angemeldet haben, k�nnen durch eine „opt out“-Erkl�rung die Geltungdes Vergleichs f�r sich ablehnen (§ 611 Abs. 4 ZPO). Erkl�ren weniger als 30% der an-gemeldeten Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich, wird der gerichtlich geneh-migte Vergleich wirksam (§ 611 Abs. 5 S. 1 ZPO). Eine Bindungswirkung tritt nur in-soweit ein, wie die Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhaltder Musterfeststellungsklage betrifft (§ 613 Abs. 1 ZPO). Ggf. muss der betroffene Ver-braucher auf der Grundlage der Entscheidung in der Musterfeststellungsklage seineAnspr�che individuell geltend machen. Allerdings bindet das Ergebnis der Muster-feststellungsklage insoweit das zur Durchsetzung der Anspr�che berufene Gericht(§ 613 Abs. 1 ZPO). Gegen alle Entscheidungen �ber eine Musterfeststellungsklage istgem�ß § 614 ZPO die Revision zum Bundesgerichtshof statthaft.

    2. Praktische Konsequenzen

    Die einschl�gigen Verb�nde erhoffen sich von dem neuen Instrument viel. Es wun-dert daher wenig, dass z.B. die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) in ihremNewsletter vom 9.5.2018 die Musterfeststellungsklage als Meilenstein f�r den Ver-braucherschutz begr�ßt. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert in einer Presse-mitteilung vom 7.6.2018 hingegen die Ausdehnung auf alle Umwelt- und Verbrau-cherschutzverb�nde ohne die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 ZPO. Auch Mieter-vereine begr�ßten die Musterfeststellungsklage.

    Im Bereich des Lebensmittelrechts wird das Betreiben von Musterfeststellungskla-gen f�r klageberechtigte qualifizierte Einrichtungen insbesondere im Rahmen ver-bandspolitischer Kampagnen von Interesse sein. Die betreffenden Verfahren werdendurch die vorgesehene Ver�ffentlichung allgemein bekannt und versprechen eine ho-he Publizit�t. Im Rahmen der Auseinandersetzungen k�nnen regelm�ßig tatbestand-liche Voraussetzungen von Gew�hrleistungsanspr�chen von Verbrauchern geltendgemacht werden, die diese wegen des bereits angef�hrten „rationalen Desinteresses“gerade bei geringwertigen G�tern des t�glichen Bedarfs nicht selber geltend machenw�rden.

  • ZLR 1/2019Meisterernst/Vergho, Lebensmittelrechtliche Verst�ße und ihreKonsequenzen

    Abhandlung 69

    Nur zur Erinnerung in diesem Zusammenhang ein kurzer Ausflug in das Kaufrecht.Gem�ß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB ist eine Sache nur dann mangelfrei, wenn sie der ver-traglichen Beschaffenheit gen�gt. Wenn kein vertraglich vorausgesetzter Gebrauchfeststellbar ist, kommt es gem�ß § 434 Abs. 1 S. 2 Ziff. 2 BGB darauf an, ob sich dieKaufsache f�r die gew�hnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist,die bei Sachen der gleichen Art �blich ist und die der K�ufer der Sache nach erwar-ten kann. Diese sog. „Normalbeschaffenheit“ bestimmt sich auch nach dem �ffent-lich-rechtlichen Rechtsrahmen. Auch sind bei der Beurteilung der Mangelhaftigkeit�ußerungen von Lebensmittelunternehmen „insbesondere in der Werbung oder beider Kennzeichnung“ gem�ß § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zu ber�cksichtigen.

    3. Zwischenfazit

    �ber das Vehikel der Musterfeststellungsklage k�nnen gegen�ber Lebensmittelun-ternehmern Anspr�che auf einer rechtlichen Ebene geltend gemacht werden, die bis-lang nicht im Fokus der Wahrnehmung standen. Insbesondere k�nnen qualifizierteEinrichtungen damit lebensmittelrechtliche Verst�ße von unhygienischer Herstel-lung bis hin zu irref�hrender Kennzeichnung oder Bewerbung zum Gegenstand einerMusterfeststellungsklage machen.

    V. Information der �ffentlichkeit

    Unter staatlichem Informationshandeln versteht man jede Information der �ffent-lichkeit bzw. jede an die Bev�lkerung gerichtete Erkl�rung durch den Staat oder eineBeh�rde, die sich auf einen bestimmten Sachverhalt und ein bestimmtes Unterneh-men, eine bestimmte Person oder auf ein Produkt bezieht.89 Hierbei ist grunds�tzlichzwischen anlassbezogenen Informationen der �ffentlichkeit (= Warnungen),90 dieder Gefahrenabwehr dienen, und einer zwingenden Information der �ffentlichkeit,die den generalpr�ventiven Zweck hat, Lebensmittelunternehmer zur Einhaltungder einschl�gigen Vorschriften anzuhalten, zu unterscheiden.91 Regelungen zur an-lassbezogenen Information der �ffentlichkeit finden sich in Art. 10 BasisVO sowie§ 40 Abs. 1 LFGB. Im Rahmen dieses Beitrags geht es um die zwingende Informationder �ffentlichkeit gem�ß § 40 Abs. 1a LFGB unter den weiteren dort genannten tat-bestandlichen Voraussetzungen.

    1. Historie

    Die Vorschrift des § 40 Abs. 1a LFGB wurde durch das Gesetz zur �nderung desRechts der Verbraucherinformation vom 15.3.2012 in das LFGB eingef�gt. Danach

    89 Siehe Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Auflage, § 15, Rdnr. 8.90 Siehe hierzu BVerfG, B. v. 26.9.2002 – „Glycol-Wein“; EuGH, Rs. C-636/11, ZLR 2013, 294 – „Berger

    Wild“.91 Siehe zu den Begriffen Meisterernst, Lebensmittelrecht, § 4, Rn. 91 ff.

  • ZLR 1/2019

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    muss die zust�ndige Beh�rde die �ffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung desLebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Fut-termittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Fut-termittel hergestellt oder in den Verkehr gelangt ist, in bestimmten weiter definiertenF�llen informieren. In der Praxis erfolgt dies durch Bekanntmachung im Internet.Voraussetzung ist, dass ein eindeutig belegter, hinreichend begr�ndeter Verdacht be-steht, dass entweder „in Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes fest-gelegte zul�ssige Grenzwerte, H�chstgehalte oder H�chstmengen �berschritten wur-den“ (§ 40 Abs. 1a Ziff. 1 LFGB) oder gegen sonstige Vorschriften im Anwendungs-bereich des LFGB, die dem Gesundheitsschutz, dem T�uschungsschutz oder derEinhaltung hygienischer Anforderungen dienen, verstoßen wurde. Im Falle vonProben nach § 39 Abs. 1 S. 2 LFGB ist f�r die Annahme eines hinreichend begr�nde-ten Verdachts das Vorliegen zweier unabh�ngiger Untersuchungen von amtlichenLaboren notwendig. In der Alternative des § 40 Abs. 1a Ziff. 2 LFGB ist weiterhinnotwendig, dass gegen die dort genannten Vorschriften entweder „in nicht nur uner-heblichem Ausmaß“ oder „wiederholt“ verstoßen worden ist und zus�tzlich die Ver-h�ngung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten ist.

    Unmittelbar nach Beginn der Anwendung der Vorschrift hatten sich die Verwal-tungsgerichte in verschiedenen Eilverfahren mit der Anwendung der Vorschrift undderen Rechtm�ßigkeit zu befassen. Dabei wurde von der Verwaltungsgerichtsbarkeitin weiten Teilen die Auffassung vertreten, dass § 40 Abs. 1a LFGB grundgesetzwid-rig sei.92 In Folge dieser oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wurde dieVollziehung der Vorschrift des § 40 Abs. 1a LFGB ausgesetzt, das Land Niedersach-sen betrieb ein abstraktes Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsge-richt zur �berpr�fung der Rechtm�ßigkeit der Vorschrift. Mit Entscheidung desBVerfG vom 21.3.201893 wurde die Regelung in den Grundz�gen gehalten.

    2. Der Beschluss des BVerfG

    Der Beschluss des BVerfG wurde in der Rechtsliteratur bereits umfassend analysiertund teilweise auch wiederum sehr kritisch rezipiert.94 An dieser Stelle soll weder dasUrteil nochmals umfassend analysiert werden noch eine weitere Urteilsschelte erfol-gen. Den Autoren liegt vielmehr daran, einige aus ihrer Sicht wesentliche Gesichts-punkte der Entscheidung herauszustellen.

    Eine zwingende Information der �ffentlichkeit ohne entsprechendes beh�rdlichesErmessen dient als modernes Vollzugsinstrument der Durchsetzung des Lebensmit-telrechts.95 Diese Vorschrift dient janusk�pfig einerseits der Verbraucherinformation

    92 Siehe z. B. VGH Baden-W�rttemberg, ZLR 2013, 212; BayVGH, B. v. 18.3.2013, 9 CE 13.80; OVG M�nster,ZLR 2013, 493.

    93 BVerfG, B. v. 21.3.2018, NVWZ 2018, 1056.94 Siehe z.B. Becker, NVWZ 2018, 1032; Hamm, NJW 2018, 2099.95 Siehe hierzu Meisterernst, Lebensmittelrecht, § 7 Rdnr. 58 ff.

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    und allgemeinen Transparenz, andererseits wegen ihrer Prangerwirkung der Durch-setzung des Lebensmittelrechts. Da den gesch�tzten Grundrechtspositionen der be-troffenen Unternehmer eigentlich keine direkten Grundrechtspositionen der Ver-braucherschaft oder der �ffentlichkeit96 gegen�berstehen, bestanden gegen dieseZielsetzungen im Rahmen der G�terabw�gung erhebliche Bedenken. Die Ausgestal-tung als zwingende Information beruhte dabei erkennbar auf dem Bestreben, Amts-haftungsanspr�che gem�ß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu erschweren.97 Die juris-tisch entscheidende Frage war demnach, wie das Bundesverfassungsgericht diesesSpannungsverh�ltnis aufl�sen w�rde.

    Ungeachtet aller Bedenken kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass mit der Rege-lung legitime Zwecke verfolgt werden.98 Auch die potenziell hohe Grundrechtsbe-eintr�chtigung der betroffenen Unternehmen �ndere nichts daran, dass der Rege-lungszweck gerechtfertigt sei. Sowohl der Aspekt einer hinreichenden Grundlage f�reigenverantwortliche Konsumentscheidung der Verbraucher als auch die Bedrohungdes Lebensmittelunternehmers mit der Informationsverbreitung und der damit aus-ge�bte Zwang zur Einhaltung der Bestimmung des LFGB sei legitim. Soweit die Vor-schrift dem Schutz vor Gesundheitsgefahren diene, k�nne sie auch auf Art. 2 Abs. 2S. 1 GG gest�tzt werden, hinsichtlich der Verbraucher werde deren Vertragsfreiheit(Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) gest�rkt. Davon unabh�ngig k�nne der Gesetzgeberin die Berufsfreiheit gem�ß Art. 12 Abs. 1 GG auch zugunsten solcher Ziele eingrei-fen, „die zu verfolgen er nicht bereits durch das Grundgesetz gehalten ist“.99 Auchdie Ver�ffentlichung bereits beseitigter Verst�ße sei zur Zweckerreichung geeignet,dies im Hinblick auf das legitime Ziel der Generalpr�vention.100

    Insgesamt kann demnach festgehalten werden, dass nach Auffassung des BVerfG dieVorschrift das legitime Ziel verfolgt, als vorbeugende Maßnahme zur Verhinderungerstmaliger oder weiterer lebensmittelrechtlicher Verst�ße beizutragen. Diese gene-ralpr�ventive �ffentlichkeitsinformation ist als sog. Verwaltungssanktion mit straf-�hnlichem Charakter anzusehen.101 Hinsichtlich der weiteren Erfordernisse ziehtdas BVerfG die H�rde ein, dass eine L�schungsfrist festgesetzt werden muss, sowiedass die betroffenen Verst�ße nahezu zweifelsfrei seitens der Beh�rde festgestelltwerden m�ssen.102 Hinzu kommen muss zudem, dass der Verstoß „von nicht nur un-erheblichem Ausmaß“ war. Diesem weiteren Kriterium kommt nach Auffassung desBVerfG „f�r die verfassungskonforme Anwendung der Regelung entscheidende Be-

    96 Siehe hierzu auch Meisterernst/Eberlein, ZLR 2016, 51; weiterhin kritisch Becker, NVWZ 2018, 1032und Hamm, NJW 2018, 2099; siehe auch Wiemers, ZLR 2009, 413; Becker, ZLR 2011, 391; Abb�, Ver-braucherschutz durch Transparenz?, Dissertation, besprochen von Meisterernst, StoffR 2017, 60.

    97 Als „leading case“ sei hier das Urteil des OLG Stuttgart vom 21.3.1990, 1 U 132/89 in Sachen „Birkel“genannt.

    98 BVerfG, NVWZ 2018, 1056, Tz. 30.99 BVerfG, NVWZ 2018, 1056, Tz. 33.

    100 BVerfG, NVWZ 2018, 1056, Tz. 38.101 Siehe hierzu Wallau, LMuR 2018, 186, 187; Dannecker, JZ 2013, 924ff.; Schwarze, EuZW 2003, 261 ff.102 BVerfG, NVWZ 2018, 1056, Tz. 44.

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    deutung zu“.103 Dabei sei der unbestimmte Rechtsbegriff „durch die zust�ndigen Be-h�rden, im Klagefall auch durch die Verwaltungsgerichte, anhand von quantitativenund qualitativen Kriterien zu konkretisieren“.104 Zudem „k�nnen nur solche Verst�-ße als erheblich gelten, die von hinreichendem Gewicht sind, um f�r die betroffenenUnternehmer potenziell gravierende Folgen zu rechtfertigen“.105

    3. Anwendungsfragen

    Etliche Anwendungsfragen wurden bereits in Erlassen verschiedener L�nderminis-terien angesprochen, auf die an dieser Stelle verwiesen wird.106 Viele Fragen sind al-lerdings auch offen geblieben. Diese wurden bereits teilweise in der Literatur ange-sprochen.107 Einige Gedanken seien dennoch an dieser Stelle aufgegriffen bzw. vor-gestellt.

    – Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es im Hinblick auf Art. 50 der Grundrech-te-Charta nur unter bestimmten Voraussetzungen zul�ssig, f�r einen Verstoß zu-gleich mit einer Verwaltungssanktion und einer strafrechtlichen Sanktion bedachtzu werden. Eine der Voraussetzungen daf�r, dass dies gem�ß Art. 52 Abs. 1 S. 1der Grundrechte-Charta gerechtfertigt werden kann, ist, dass die betreffende na-tionale Regelung „klare und pr�zise Regeln aufstellen muss“, die es den B�rgernerm�glichen, vorherzusehen, f�r welche Handlungen und Unterlassungen einesolche Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen in Fragekommt.108 Fraglich ist, wie dies in der Anwendung des § 40 Abs. 1a LFGB beach-tet werden kann. Einen einheitlichen Bußgeldkatalog f�r lebensmittelrechtlicheVerst�ße gibt es bekanntlich nicht und die vom Bundesverfassungsgericht in denRaum gestellten qualitativen und quantitativen Kriterien liegen derzeit noch v�l-lig im Dunkeln.

    – Das Verh�ltnis zwischen Art. 8 Abs. 5, Art. 11 Abs. 2, Abs. 3 KontrollVONeu undder Vorschrift des § 40 Abs. 1a LFGB ist nicht gekl�rt. Insbesondere ist noch offen,ob der in Art. 8 Abs. 5 KontrollVONeu vorgenommene Einschub „unbeschadet derF�lle, in denen die Verbreitung nach Unions- oder nationalem Recht erforderlichist“ richtigerweise nur die F�lle des Art. 10 BasisVO und die dazugeh�rigen natio-nalen Vorschriften erfasst oder eine allgemeine Ausnahme f�r nationale Regelun-gen schafft. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass Art. 8 Abs. 5 KontrollVONeuMindestanforderungen an eine Aufhebung der Verschwiegenheitspflichten gem�ß

    103 BVerfG, NVWZ 2018, 1056, Tz. 54.104 BVerfG, NVWZ 2018, 1056, Tz. 54.105 BVerfG, NVWZ 2018, 1056, Tz. 54.106 F�r das Land Baden-W�rttemberg Erlass vom 19.11.2018, f�r das Land Niedersachsen Erlass vom

    12.9.2018, f�r das Land Schleswig-Holstein Erlass vom Oktober 2018, f�r das Land Hessen Erlass vom23.7.2018, f�r das Land Nordrhein-Westfalen Vorerlass vom Juni 2018 sowie weiterer Erlass vom20.12.2018, mitgeteilt gem�ß BLL-Rundschreiben BLL-673-2018 vom 10.12.2018.

    107 Siehe Wallau, LMuR 2018, 186, 187; Stichworte: ne bis in idem, Zurechnung fremden Fehlverhaltensund der nemo tenetur-Grundsatz.

    108 EuGH, U. v. 20.3.2018, Rs. C-524/15, „Luca Menci“, Tz. 49.

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    Art. 8 KontrollVONeu konstituiert, die auch vom nationalen Gesetzgeber zu be-achten sind.109

    – Da § 40 Abs. 1a LFGB generalpr�ventiven Zwecken dient und diese den schwer-wiegenden Eingriff in die Grundrechte der Berufsfreiheit der betroffenen Lebens-mittelunternehmer gem�ß Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen, k�nnen auch nur sol-che Verst�ße ver�ffentlicht werden, die den betreffenden Lebensmittelunterneh-men zurechenbar sind und von diesen beherrscht werden und ggf. h�ttenverhindert werden k�nnen. Dementsprechend kommt es auf „das Fehlverhaltendes Ver�ffentlichungsbetroffenen“ an.110 Oftmals wird es demnach auf ein Organi-sations- bzw. Aufsichtsverschulden bei arbeitsteilig organisierten Unternehmenankommen.

    – Aus dem vorgenannten Gesichtspunkt ergibt sich gleichfalls, dass auch f�r denTatbestand des wiederholten Verstoßes, der nach Auffassung des BVerfG verhin-dern soll, dass Lebensmittelunternehmer kleine Verst�ße systematisch hinneh-men,111 auf die jeweils verantwortliche Person abzustellen ist, so z.B. bei Unter-nehmen mit verschiedenen Betriebsst�tten auf ein Fehlverhalten des jeweiligeneinzelnen Betriebsleiters, der f�r den ersten und den Wiederholungsverstoß ver-antwortlich ist.

    – Weiter sei auf die Problematik hingewiesen, dass betroffene Lebensmittelunter-nehmen oder Mitarbeiter im Anh�rungsverfahren regelm�ßig umf�nglich zu Ver-antwortlichkeiten im Unternehmen vortragen m�ssen und insofern Gefahr laufen,dass die dort erfolgten �ußerungen in einem Straf- oder Bußgeldverfahren gegensie verwendet werden k�nnten. Hierin k�nnte ein Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsatz liegen.112 Dem kann sinnvollerweise nur durch ein umfassendes Ver-wertungsverbot der betreffenden �ußerungen im Ordnungswidrigkeitenverfahrenbegegnet werden. In der momentan noch rechtlich ungekl�rten Situation f�hrtdies allerdings dazu, dass im Anh�rungsverfahren unter Umst�nden nur „mit an-gezogener Handbremse“ vorgetragen werden kann.

    – Der Wortlaut der Norm stell