Lebensversicherung in der inflationÄren Volkswirtschaft

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Lebensversicherung in der inflation~iren Volkswirtschaft*) Nikolaus Miiller (Miinchen) Es ist eine unbestrittene Tatsache, dab so gut wie in allen L~indern der Welt sich inflation~ire Volkswirtschaften befinden. Die kurzen Perioden der wirtschaftlichen Stabilit~it - sofern sie iiberhaupt auftreten - stellen eigentlich ephemere Erscheinun- gen dar. Auch die scheinbar entgegengesetzten Zust~inde der Inflation, so z.B. die Deflation, wirken sich volkswirtschaftlich nicht positiv aus und fiihren manchmal zu noch absonderlicheren Verh~iitnissen, wie z.B. die neuerlich diskutierte Stagflation. Man k6nnte eigentlich alle diese Zust~inde mit dem Wort ,,Variabilit~it" besser kennzeich- nen, wobei es vermutlich irgendeinen Punkt gibt, bei dem tats~ichlich, in der Regel wohl nur transitorisch, die wirkliche Stabilitiit gegeben ist. Infolgedessen ist auch die Lebensversicherung in allen Dindern der Welt mit dem Problem der Inflation konfrontiert. Zahlreich sind die partiellen L6sungen, die mit Riicksicht auf die Notwendigkeit irgendwelcher MaBnahmen vorgeschlagen wurden; hierzu zahlen bei- spielsweise die dynamische Lebensversicherung, die Gewinnbeteiligung, die Auf- wertung, die Versicherung auf Punktebasis, die fondsgebundene Lebensversicherung u.v.a.m. Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist nicht etwa das Aufzeigen eines Wunderweges zur Bek~impfung der Inflation, ja nicht einmal der Versuch einer exakten Definition dieses Vorganges, sondern vielmehr eine pragmatische Betrach- tung dieser durch die ,,h6here Gewalt" vorgegebenen Erscheinung mit dem Fernziel, einen modus vivendi der Lebensversicherung zu erm6glichen. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird im SchluBabschnitt dieser Arbeit in der Tat zeigen, dab die Lebensversicherung in der inflation~iren Volkswirtschaft existenzf~ihig ist, sofern man die klassischen Parameter des Lebensversicherungsvertrags geeignet erweitert. Die vorliegende Arbeit stellt eine Zusammenfassung der Abhandlung [6] dar, wobei hier mehr Gewicht auf die theoretisch-prinzipiellen Gesichtspunkte gelegt wird, w~ihrend die zitierte Arbeit auch die praktischen Aspekte in extenso behandelt. 1. M a B z a h l e n und Verkniipfungsgr6Ben In der herk6mmlichen Struktur ist die Lebensversicherung eindeutig und ausschlieB- lich auf die statischen Verh~iltnisse der Volkswirtschaft abgestimmt. Diese Struktur ist definiert durch die Rechnungsgrundlagen - Sterblichkeit, Verzinsung, Kostenkompo- nenten -, die nur als Minimalgr6Ben vorgegeben sind, damit die Lebensversiche- rungsinstitution die notwendige Sicherheit erh~ilt. Eine feste Vorgabe solcher Rech- nungsgrundlagen/Parameter verhindert jegliche Adaptation der Lebensversicherung an die Fluktuationen innerhalb der Volkswirtschaft, reduziert die Verflechtung mit dieser und zwingt die Lebensversicherungsbranche zu Kompensationsmethoden, unzul~inglichen Tarifkonstruktionen etc. Eine ahnliche Situation war auch in der Sozialversicherung vorgegeben, und zwar in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Griindung vor rd. 100 Jahren unter den damals obwaltenden quasi-statischen Verh~ilt- nissen. Inzwischen hat sich die Sozialversicherung aus der Statik gel6st und durch die Indexbindung den Variationen innerhalb der Volkswirtschaft Rechnung getragen, *) Zusammenfassung der Arbeit, fiir die der Verfasser den Sonderpreis des internationalen Wettbewerbs ,K6nig Juan Carlos" erhalten hat. (Anmerkung der Schriftleitung.) 361

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Lebensversicherung in der inflation~iren Volkswirtschaft*) Nikolaus Miiller (Miinchen)

Es ist eine unbestrittene Tatsache, dab so gut wie in allen L~indern der Welt sich inflation~ire Volkswirtschaften befinden. Die kurzen Perioden der wirtschaftlichen Stabilit~it - sofern sie iiberhaupt auftreten - stellen eigentlich ephemere Erscheinun- gen dar. Auch die scheinbar entgegengesetzten Zust~inde der Inflation, so z.B. die Deflation, wirken sich volkswirtschaftlich nicht positiv aus und fiihren manchmal zu noch absonderlicheren Verh~iitnissen, wie z.B. die neuerlich diskutierte Stagflation. Man k6nnte eigentlich alle diese Zust~inde mit dem Wort ,,Variabilit~it" besser kennzeich- nen, wobei es vermutlich irgendeinen Punkt gibt, bei dem tats~ichlich, in der Regel wohl nur transitorisch, die wirkliche Stabilitiit gegeben ist. Infolgedessen ist auch die Lebensversicherung in allen Dindern der Welt mit dem Problem der Inflation konfrontiert. Zahlreich sind die partiellen L6sungen, die mit Riicksicht auf die Notwendigkeit irgendwelcher MaBnahmen vorgeschlagen wurden; hierzu zahlen bei- spielsweise die dynamische Lebensversicherung, die Gewinnbeteiligung, die Auf- wertung, die Versicherung auf Punktebasis, die fondsgebundene Lebensversicherung u.v.a.m. Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist nicht etwa das Aufzeigen eines Wunderweges zur Bek~impfung der Inflation, ja nicht einmal der Versuch einer exakten Definition dieses Vorganges, sondern vielmehr eine pragmatische Betrach- tung dieser durch die ,,h6here Gewalt" vorgegebenen Erscheinung mit dem Fernziel, einen modus vivendi der Lebensversicherung zu erm6glichen. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird im SchluBabschnitt dieser Arbeit in der Tat zeigen, dab die Lebensversicherung in der inflation~iren Volkswirtschaft existenzf~ihig ist, sofern man die klassischen Parameter des Lebensversicherungsvertrags geeignet erweitert. Die vorliegende Arbeit stellt eine Zusammenfassung der Abhandlung [6] dar, wobei hier mehr Gewicht auf die theoretisch-prinzipiellen Gesichtspunkte gelegt wird, w~ihrend die zitierte Arbeit auch die praktischen Aspekte in extenso behandelt.

1. MaBzah len und V e r k n i i p f u n g s g r 6 B e n

In der herk6mmlichen Struktur ist die Lebensversicherung eindeutig und ausschlieB- lich auf die statischen Verh~iltnisse der Volkswirtschaft abgestimmt. Diese Struktur ist definiert durch die Rechnungsgrundlagen - Sterblichkeit, Verzinsung, Kostenkompo- nenten - , die nur als Minimalgr6Ben vorgegeben sind, damit die Lebensversiche- rungsinstitution die notwendige Sicherheit erh~ilt. Eine feste Vorgabe solcher Rech- nungsgrundlagen/Parameter verhindert jegliche Adaptation der Lebensversicherung an die Fluktuationen innerhalb der Volkswirtschaft, reduziert die Verflechtung mit dieser und zwingt die Lebensversicherungsbranche zu Kompensationsmethoden, unzul~inglichen Tarifkonstruktionen etc. Eine ahnliche Situation war auch in der Sozialversicherung vorgegeben, und zwar in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Griindung vor rd. 100 Jahren unter den damals obwaltenden quasi-statischen Verh~ilt- nissen. Inzwischen hat sich die Sozialversicherung aus der Statik gel6st und durch die Indexbindung den Variationen innerhalb der Volkswirtschaft Rechnung getragen,

*) Zusammenfassung der Arbeit, fiir die der Verfasser den Sonderpreis des internationalen Wettbewerbs ,K6nig Juan Carlos" erhalten hat. (Anmerkung der Schriftleitung.)

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wofiir auch neu aufgekommene Begriffe wie z.B. der relative Beharrungszustand u. ~i. deutlich sprechen. Eine ~ihnliche Entwicklung ist jedoch in der privaten Lebensver- sicherung bisher v611ig ausgeblieben. Als erste Bezugsgr6Be fiir die Einbettung der Lebensversicherung in die inflation~ire Volkswirtschaft ben6tigt man selbstverst~indlich die Inflationsrate, die wir im folgen- den mit j bezeichnen wollen. Eine genaue Definition dafiir k6nnen und wollen wir nicht geben, zumal diese Inflationsrate in den meisten F~illen und in den meisten L~indem nahezu schamhaft nicht als solche bezeichnet wird, sondern in versteckter Form irgendwo unter den Indizes der Lebenshaltung und ~ihnlichen erscheint. Fiir unsere Zwecke erscheint es ausreichend, unter der Inflationsrate das zu verstehen, was der ,,kleine Mann" darunter versteht. Eine solche Interpretation erweist sich sogar zum Zwecke der Lebensversicherung letzten Endes als richtig und zweckm~iBig. Wie iJblich wird die Inflationsrate auf ein Jahr bezogen und in Prozent angegeben, so z.B. 1% (kriechende Inflation), 10% (beschleunigte Inflation) oder 100% (galoppierende Inflation). Es steht natiirlich nichts im Wege, diese Gr6Be auf einen kiirzeren Zeitraum, z.B. auf einen Monat oder auf einen Tag zu beziehen oder sogar zu ihrem Grenzwert, der Intensit~it, iiberzugehen. FiJr die Koppelung der Lebensversicherung mit der Inflation werden durch eine heuristische l~berlegung, die aber gerechtfertigt ist, zwei Verkniipfungsgr6Ben einge- fiihrt. Die erste dieser Gr6Ben ist die MaBzahl fiir die Wiederherstellung des Versiche- rungsschutzes, im folgenden bezeichnet mit e. Die in diesem Fall vorzunehmende Rechnung mit dieser MaBzahl ist ganz einfach: eine Versicherungssumme S, die dem Versicherungsbediirfnis des Versicherten entspricht, miiBte nach einem gewissen Zeitraum, fiir den e vorgegeben ist, auf den Betrag S .(1 + e) erh6ht werden. Die zweite MaBzahl fiir die Verkniipfung des Lebensversicherungsvorgangs mit der Inflation ist durch den Ansparvorgang der Lebensversicherung bed!ngt. Der bekannte Ansparvorgang bedeutet die Bildung des Deckungskapitals, dessen Aquivalent auf der Aktivseite der Bilanz in den Verm6gensanlagen erscheint. Bewertet man nun diese Verm6gensanlagen, wie es z.Z. iiblich ist, nach dem Niederstwertprinzip, so folgen sie in keiner Weise der inflation~iren Entwicklung und sind bestenfalls nach ihrer F~illigkeit auf dem Wege fiber den Verkehrswert realisierbar. Wir meinen jedoch, dab durch eine entsprechende Bewertung dieser Verm6gensanlagen eine in jeder Be- ziehung gewiinschte Aktualisierung erreicht werden k6nnte. Die MaBzahl fiJr die Aufwertung, im folgenden mit 0 bezeichnet, wollen wir fiir die Verbindung des Lebensversicherungsvertrages mit der Inflation einfiihren. Im iibrigen fehlt es nicht an gewissen Versuchen einer solchen Koppelung, man denke nur an die fondsgebunde- nen Lebensversicherungen, die den gewiinschten Zweck jedoch nur einseitig und unzul~inglich erffillen. Die Berechnung der Versicherungswerte mit Hilfe von ~ ist ebenfalls einfach: das Deckungskapital kV hat nach dem Zeitraum, ffir den p ermittelt ist, den wirklichen monet~iren Wert kV" (1 + Q). Beide Parameter e und Q haben die Gr6Benordnung von j, jedoch weichen sie vonder Inflationsrate nach unten oder oben, je nach den Gegebenheiten der Volkswirtschaft, ab. In die weiteren Betrachtungen wird selbstverst~indlich auch der RechnungszinsfuB, mit dem die Lebensversicherungsvertr~ige kalkuliert werden, einbezogen; er wird im folgenden wie iiblich mit i bezeichnet. Diese Gr6Be stellt, wie allgemein bekannt ist, denjenigen Zinsertrag dar, der auf die Dauer, in l~ingeren Zeitr~iumen betrachtet, in einer Volkswirtschaft so gut wie mit absoluter Sicherheit realisiert werden diirfte. Man sollte daher eine weitere Gr6Be einfiihren, die den Kapitalertrag der Volks- wirtschaft kennzeichnet, und zwar nicht als die auf die Dauer erfiillbare Gr6Be, sondem als eine Art z.Z. giiltige Ertragsgr6Be. Bekanntlich ist bei den gegebenen

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Verh~ltnissen in Deutschland z.Z. der Ertrag der Lebensversicherungsgesellschaften in der Gr613enordnung von 7 bis 7,5% j~hrlich anzusetzen. Es sind natfirlich auch andere Volkswirtschaften mit anderen Ertr~gen denkbar, es ist sicherlich Sache der Volkswirte, diese Gr6Be, ~hnlich wie die allmonatlich erscheinenden statistischen Indizes, ebenso allmonatlich oder in anderen Intervallen offiziell zu ermitteln und zu publizieren. Im fibrigen erscheint diese Variable im System der Differentialgleichun- gender SozialSkonometrie als Kapitaleinkommen (s. Kaiser [1] und [2]). Im folgenden wird der Ertrag der Volkswirtschaft mit dem Symbol r bezeichnet und genauso wie die fibrigen Gr6Ben in % pro Jahr definiert. Selbstverst~ndlich sind alle bisher eingeffihrten und erl~iuterten Parameter Funktionen der Zeit und infolgedessen gfiltig ffir bzw. umrechenbar auf beliebige Zeitintervalle, in der Regel also auf ein Jahr. Weder der Mangel an exakter Definition der bisher eingeffihrten Gr6Ben, noch die Eindeutigkeit ihrer Bezugnahme auf Zeitintervalle wird - wie die nachfolgenden Ausfiihrungen zeigen werden - den Gedankengang negativ beeinflussen. Wir wenden uns jetzt der Darstellung des Zusammenspiels der betrachteten Gr6Ben zu.

2. M a n n i g f a l t i g k e i t der 6 k o n o m i s c h - a s s e k u r a t i v e n Zus t~nde

Die im vorhergehenden Abschnitt eingeffihrten zeitabh~ngigen Gr6Ben j, e, 0, i und r lassen sich entsprechend ihrer wirtschaftlichen Bedeutung in drei Gruppen einteilen: j und e haben direkt mit der Erscheinung der Inflation etwas zu tun, 0 nur mit der Betrachtung der Verm6genswerte und schlieBlich i und r mit dem Ertrag dieser Werte. Infolgedessen l~Bt sich die Mannigfaltigkeit aller m6glichen Zust~nde fiir die Beschreibung der Lebensversicherung in der Volkswirtschaft im dreidimensionalen kartesischen Koordinatensystem wie folgt darstellen.

+ p

Aufwer tung

0

/

ag

.~176176 + j Inflation

Grafik 1. Prinzip der Darstellung der Lebensversicherung im Inflations-Aufwertungs-Ertrags- Raum.

Jedem Punkt in der obigen Darstellung entspricht ein gewisser Zustand in bezug auf die Lebensversicherung in der Wirtschaft. Zum besseren Verst~ndnis kann man die drei Ebenen der Darstellung getrennt betrachten und dadurch wichtige Erkenntnisse hinsichtlich des Ph~nomens Inflation gewinnen.

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Die erste nahezu triviale Feststellung aufgrund der obigen Grafik ist, dab der Ursprung des Koordinatensystems offenbar den einzigen Punkt der absoluten Stabili- tat darstellt. Die Winkelhalbierende mit der Beziehung 0 = j stellt aber auch die vollstindige Kompensation der Inflationsauswirkungen dar. Das Dreieck zwischen

+ P

A u f w e r - t u n g s r a t e

p > j

S c h ~ p f u n g e x n i h i l /

.o=..oo \

' Z u s t ~ u n d e J l ~ . n k t d " o " n - / I P u e r a ~ s l u t e § j I n f l a t i o n s r a t e

" ' " % 1 . . . . D e f l a t S t a b l l t t a t

I z e r s ~ r u n g d e r l ~ e r t e

Grafik 2. Die Aufwertungs-lnflations-Ebene.

dieser Winkelhalbierenden und der Ordinate, often nach oben, entspricht nicht nur der Uberbewertung, sondern auch sogar einer ex nihil-Schfpfung. Das schraffierte nach rechts offene Dreieck zwischen der Winkelhalbierenden und der Abszisse reprasentiert dagegen fiir alle Q < j die Zustinde der Inflation im herk6mmlichen Sinne dieses Wortes. Links vonder Ordinate und fiir die negativen Betr~ige der Inflationsrate sind die Zustinde der Deflation enthalten, die sehr wahrscheinlich nur temporir sind, so dab die Abszisse hier irgendwo endet. F i r die negativen Werte von O dagegen diirfte es sich um die Zerstfrung der Gfiter handeln, die ebenfalls nur temporir oder transitorisch sein k6nnte. Besonders interessant ist die Winkelhalbie- rende im 1. Quadrant, die eine Aufwertung im gleichen Mal3stabe wie die Inflation darstellt. Man kann den Zustand auf dieser Linie auch als die Substitution des Geldes bezeichnen, die bei sofortiger Realisierung ebenfalls einen stabilen Zustand darstellt. Es sei hier an die Inflation nach dem 1. Weltkrieg erinnert, in der dieser Sonderfall der sofortigen Substitution oder Umbenennung des Geldes offenbar nahezu perfekt verwirklicht wurde. Der Zustandspunkt, der dieser Inflationsrate von 1923 entspricht, liegt selbstverstindlich recht weit auf der j-Achse und genauso hoch auf der p-Achse.

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Eine numerische oberfl~chliche Absch~itzung ergibt, dab er einer Rate von etwas fiber 5% t~iglich (und einem astronomischen Prozentsatz bezogen auf ein Jahr) entsprach. Immerhin muf5 man feststellen, dab der genannte Grenzfall nicht nur mathematisch denkbar ist, sondern in der Wirtschaft auch realisiert wurde. Die nachfolgende Grafik 3 betrachtet die Aufwertungs-Ertrags-Ebene. Aul~er den bisher schon erw~ihnten Begriffen tritt in ihr ganz deutlich das Prinzip des absoluten Nominalismus der W~ihrung Q = 0 in Erscheinung.

§ Aufwertungs- rate

/

Oberbewer tung

4 5 " a b s o l u t e r Nominal i smus

f ~ r p = 0 E r t r a g s r a t e + r

Grafik 3. Die Aufwertungs-Ertrags-Ebene.

SchlieBlich ist in der Grafik 4 die Ertrags-Inflations-Ebene dargestellt. Aus ihr ist insbesondere die Relation zwischen dem technischen Rechnungszins und der Infla- tionsrate ftir die Lebensversicherung von Bedeutung. An dieser Stelle sei erw~ihnt, dab offenbar die Institution der Zinsen eine wichtige Rolle im inflationaren ProzeB spielt. Der Verfasser bittet um Nachsicht, wenn er mit der nachfolgenden )~ul~erung in die Dom~ine der anderen Fakultat eindringt: Die Gew~hrung des Zinses (als Prinzip seit babylonischen Zeiten) scheint, wenn nicht die ausschliel31iche Ursache, so doch zumindest die dominierende Ursache der Inflation zu sein. In allen dargestellten Grafiken befinden sich verschiedene Felder links von der Ordinate und unterhalb der Abszisse, deren Interpretation hier nicht vorgenommen wurde, da diese Felder wirklich nur v611ig anormale Zust~inde der Volkswirtschaft betreffen; ihre Interpretation sei den Volkswirtschaftlern iiberlassen. Fiir unsere Zwecke der Herstellung der Verbindung zwischen der Lebensversicherung und der Inflation geniigen die bisherigen Betrachtungen, die wir im folgenden Abschnitt versuchen werden, der Praxis etwas n~iherzubringen.

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+ r

Ertrags- rate

0

/

Partielle Kompens atlon /

I n f l a t i o n s r a t e + j

Grafik 4. Die Ertrags-Inflations-Ebene.

3. P r a k t i s c h e F o l g e r u n g e n

Die heuristisch erfolgte Einffihrung der beiden zus~itzlichen Parameter 0 und e zwecks Kompensation der Irfflationsrate j findet ihre natfirliche Rechtfertigung in der Erfordemis der laufenden Anpassung des Versicherungsbedarfs des Kunden fiber die c und der Antwort der Versicherungswirtschaft darauf durch die Q, die jedoch gewil3 nicht als eine einzelne isolierte MaBnahme des Versicherers erforderlich ist, sondern vielmehr nur als ein zus~itzlicher Parameter im ganzen Paket von Mal3nahmen. Manche von diesen sind bereits bei einigen Gesellschaften realisiert worden, manche lieBen sich mit geeigneten Mitteln einffihren, andere wiederum erfordern fundamen- tale ,~nderungen in den bisherigen Gepflogenheiten und Gesetzen. Als Beispiel hierfiir sei die zeitliche Verschiebung zwischen dem Eintritt der Teuerung durch die Inflation und den MaBnahmen ffir ihren Ausgleich genannt. Je kfirzer dieser Zeitraum ist, um so geringer werden die negativen Auswirkungen der Inflation sein und um so vollst~indiger werden die Effekte der Gegenmal3nahmen sein. Es wird daher hier die Meinung vertreten, dal3 die Einbeziehung der Parameter ~ und e nur dann zweck- m~il3ig ist, wenn alle nachstehenden - ohne Anspruch auf die Vollst~indigkeit - aufgez~hlten Schritte gleichzeitig vorgenommen werden. Die nachstehende Aufz~ihlung der wichtigsten zu berficksichtigenden Aspekte ist nicht vollst~indig; aul3erdem kann sie nur Begriffe enthalten, nicht aber die Details und erst recht nicht die L6sungsvorschl~ige. Jedem der aufgez~ihlten Aspekte ist in der Originalver6ffentlichung [6] ein besonderes Kapitel gewidmet und viele Einzelheiten, auf die es gerade in der Praxis ankommt, werden debattiert. Zuerst muf5 natfirlich die Technik, also sowohl die versicherungsmathernatische Darstellung als auch die entsprechende Datenverarbeitung, die neuen Gegebenheiten berficksichtigen; eine Emission von getrennten Policen fiber die erforderlichen Nach-

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versicherungen und ihre getrennte Behandlung entspricht gewiB nicht den Anforde- rungen der rationellen Verwaltung. Was die zus~itzlichen Parameter - die Inflations- rate und die durch sie diktierten Anpassungs- und Aufwertungsraten - anbelangt, so mul3 es sichergestellt sein, dab ihre Verftigbarkeit und Transparenz die Verwaltung der Versicherungen erm6glichen. Nattidich ~indert sich auch die Gewinnbeteiligung der Versicherungen, so dab auch in dieser Hinsicht entsprechende Bestimmungen ausgearbeitet werden mtif3ten. Uber das time-lag wurde schon manches ausgefiJhrt; gerade dieser Effekt ftihrt zu unange- nehmen Auswirkungen im Inflationsraum und bedarf infolgedessen einer Neukonzep- tion. Je kiirzer dieser Zeitraum ist, um so h/Shere Anforderungen werden an das gegenseitige Informationsverhalten des Versicherers und des Versicherungsnehmers gestellt, so dab auch hier v/511ig neue Wege erforderlich erscheinen; hoffnungsvolle Ans~itze sind bereits vorhanden [3]. Es ist naheliegend, im Zuge der m6glichst raschen Aktualisierung des Versicherungsvertrages auch die herk6mmlichen Rechnungsgrund- lagen - Sterblichkeit, Verzinsung, Verwaltungskostenkomponenten - ebenfalls mit zu aktualisieren (vgl. [4]). Eine Fiille von medizinischen, rechtlichen und durch den Vertrieb der Versicherungen diktierten kaufm~innischen Probleme geh6ren ebenfalls zum Komplex der inflationsgerechten Versicherungen. Der Verfasser vertritt die Auffassung, dab nur die gemeinsame und gleichzeitige Berticksichtigung aller oben angeftihrten Aspekte die Problematik der inflations- gerechten Lebensversicherungen 16sen k6nnte. Eine isolierte Realisierung der einzel- hen Punkte fiihrt nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen, was man aus den unbefrie- digenden partiellen L6sungen auf der ganzen Welt erkennen kann. Eine detaillierte Beschreibung eines solchen kombinierten Realisierungsvorschlags wurde daher vom Verfasser unter der Bezeichnung der ,,morphologischen", also umfassenden Aktuali- sierung entworfen [6]. Diese Methode bricht mit zahlreichen in der Tradition festver- wurzelten Grunds~itzen und zeigt den Weg, wie man eine Lebensversicherung in der inflation~iren Volkswirtschaft nicht nur den Gegebenheiten anpassen, sondern auch auf eine rationelle Art und Weise verwalten k6nnte.

LITERATURVERZEICHNIS

[1] Kaiser, E.: Die dynamische Relativit~it: ein Zentralproblem der Sozial- und Wirtschafts- mathematik. Mitteilungen der Vereinigung schweizerischer Versicherungsmathematiker, Bern 1974, S. 29- 62.

[2] Kaiser, E.: Probl~mes centraux d'~conomie sociale. Etudes et Recherches, A.I.S.S., Genf 1970.

[3] Held, G.: Versicherungsschutz fiir Haushaltungen im Umbruch: Vom additiven Vertragsab- schlul3 zum integrierten Versicherungskonto. Zeitschrift fiir Versicherungswesen, Hamburg 1981, S. 440-443.

[4] Braess, P.: Vergleich einer Alterssicherung nach den Grunds~itzen der offenen und geschlos- senen Gruppe in 6konomischer Sicht. Versicherungswissenschaftliches Archiv, 1958, S. 1 - 14.

[5] Miiller, N.: Das Verfahren der permanenten Aktualisierung. Berichte des 20. Internationalen Kongresses der Versicherungsmathematiker, Tokyo 1976, Band II, S. 209- 219.

[6] Miiller, N.: Inflacibn y Seguro de Vida. Actualizacibn morfol6gica. Miinchen/Madrid, 1981/82, 201 S.

Zusammenfassung

Die private Lebensversicherung, wie sie iJberall auf der Welt angeboten wird, basiert auf statischen Verh~iltnissen der Volkswirtschaft und nimmt infolgedessen keinerlei Riicksicht auf die

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in Wirklichkeit obwaltenden Inflationsgegebenheiten. Die vorhandenen partiellen L6sungen erreichten bisher nicht den gewiinschten Erfolg. Es wird daher die Erweiterung des Lebensver- sicherungsvertrages durch die Einfiihrung von zwei zusiitzlichen technischen Parametern vorge- schlagen, die die laufende Anpassung des Versicherungsbedarfs des Versicherungsnehmers einerseits sowie die kaufm~innisch korrekte Bewertung seiner bei der Gesellschaft angesammelten Mittel, also der Aktiva im Betrage des Deckungskapitals, andererseits betreffen. Es wird ferner die Meinung vertreten, dab diese beiden zusiitzlichen MalSzahlen nur dann sinnvoll erscheinen, wenn sic durch eine ganze Reihe von weiteren Mal3nahmen, die teilweise einen radikalen Bruch mit den traditionellen Gepflogenheiten darstellen, unterstiitzt werden.

Summary

Private life insurance contracts as they are offered all around the world, are based on static conditions of the economy and therefore do not correspond to the inflationary facts dominating the reality. The existing partial solutions have not achieved the desired success, sofar. The author, therefore, suggests to extend the life insurance contracts by introducing two additional technical parameters. They should allow to continously adapt the protection of the policy holder as well as to give a commercially correct valuation of his deposits within the insurance company, i.e. of the assets corresponding to the mathematical reserve. Furthermore, the opinion is expressed that these two additional indexes are convenient only if they are imbedded in a whole set of supplementary measures which partially would represent a complete break with the traditional postulates.

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