Lehmann, Alfred - Aberglaube und Zauberei. Von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart

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Der Begriff Aberglaube ist seit dem 15. Jahrhundert belegt (abergloube). Der Wortbestandteil „aber-“ bedeutete nach Auffassung heutiger etymologischer Wörterbücher ursprünglich „nach, wider, hinter“, wobei es später eine abschätzige Bedeutung annahm und das Gegenteil dessen bezeichnete, was der zweite Wortbestandteil ausdrückte, z. B. bei „Aberwitz“.[4] Das Wort kam als Lehnübertragung des lateinischen Begriffs super-stitio in Gebrauch.[5] Der Begriff wurde von Afterglaube (= Mißglaube) abgeleitet und stand für „falsche“, d. h. von der christlichen Glaubenslehre abweichende, Glaubensinhalte und -formen. Aberglaube galt als heidnisch, unmoralisch und ketzerisch.Die Bekehrung der Heiden war in Europa zwar abgeschlossen, doch die lokalen Volksglauben lebten in gewissen Grenzen weiter: Zauber, Amulette, Böser Blick, heilige Bäume und heilige Haine sollten die Christen nicht vom wahren Glauben abbringen. Außerdem wollte man mit dem Begriff Aberglauben den neuen vorreformatorischen und sektiererischen Einflüssen entgegenwirken. Kirchenkritiker und Abweichler, die Ketzer, sollten damit auf die gleiche Ebene wie Hexen und Zauberer gestellt werden. Auch das Regelwissen der aufstrebenden Naturwissenschaft wurde diffamiert: Wissen oder Sehen-Wollen statt Glauben und Vertrauen stand im Verdacht der Überheblichkeit und des Fanatismus, befand sich also im Widerspruch zur christlichen Ethik.Der griechische Philosoph Plutarch verurteilt alles als Aberglaube, was Gott negative Eigenschaften unterstellt, namentlich die Vorstellung einer Hölle.[6]Bereits Augustinus übernahm den Begriff „superstitio“, um nichtchristliche Religionen zu kennzeichnen. Er legte die theoretischen Grundlagen der mittelalterlichen Lehre über die Geschichte des Aberglaubens. In seinen Werken De civitate Dei, De doctrina christiana, De divinatione daemonum und De natura daemonum befasste er sich ausführlich mit dem Aberglauben. Als Bischof von Hippo war er insbesondere mit dem Amulettglauben konfrontiert, der nach seiner Meinung eine ernsthafte Bedrohung des Christentums darstellte.[7] Seine Terminologie und seine Kenntnisse entnahm er weitgehend Marcus Terentius Varro.[8] Die Lehre von den Dämonen übernahm er im Wesentlichen von den Neuplatonikern. Augustinus ging von der realen Existenz von Dämonen aus. Sie bevölkerten nach ihm den Weltstaat („civitas terrena“ oder „civitas diaboli“). Um einem dualistischen Weltbild zu entgehen, erklärte er die Dämonen als urgeschichtlich gefallene und von Gott verstoßene Engel.[9] Die magischen Praktiken waren heidnischen Ursprungs, und Augustinus sah im Aberglauben den Versuch, sich mit Hilfe der heidnischen Götter, die mit den Dämonen identifiziert wurden, Sicherheit zu verschaffen. So wurde der Aberglaube mit dem heidnischen Götzendienst identifiziert.[10] Auch Thomas von Aquin verstand Aberglauben als sittlichen, intellektuellen und religiösen Verfall. Den Götzendienst interpretierte er als eine Form der „superstitio“, beschäftigte sich aber auch mit abergläubischen Formen der an sich richtigen, christlichen Gottesverehrung; diese seien nichtsdestoweniger sündhaft.Im Zeitalter der Aufklärung trat ein grundlegender Wandel ein: An die Stelle der Frage nach dem rechten Glauben trat das Bemühen, den Geltungsbereich vernunftgemäßen Urteilens und naturwissenschaftlicher Prinzipien zu bestimmen. Aberglaube galt als Abweichung der Vernunft und war in erster Linie ein historisches und soziales Bildungsproblem. Die Aufklärung richtete sich unter anderem gegen den religiösen Aberglauben und entwickelte eine „Vernunftreligion“. Immanuel Kant sagte etwa: „Aberglaube ist der Hang, in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären lässt – es sei im Physischen oder Moralischen.“[11] Heute bezeichnet der Begriff Aberglaube – nach einer Definition des Sozialpsychologen Judd Marmor – Glaubenssätze und Praktiken, die wissenschaftlich unbegründet si

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