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LES ELITES ET LEURS ESPACES Mobilite, Rayonnement, Domination (du `jle au Xle siecle) sous la direction de Philippe DEPREUX, Francois BOUGARD et Regine LE JAN BREPOLS ý ýýý ýý . ý'ý

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LES ELITES ET LEURS ESPACES

Mobilite, Rayonnement, Domination (du `jle au Xle siecle)

sous la direction de Philippe DEPREUX, Francois BOUGARD

et Regine LE JAN

BREPOLS

ý ýýý ýý . ý'ý

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BRIGITTE ENGLISCH

REISEWISSEN UND RAUMVORSTELLUNG AUF DER GRUNDLAGE DER

GEOGRAPHISCHEN UND KARTOGRAPHISCHEN QUELLEN

DES FR TERS

Die Unruhen der Völkerwanderungszeit und der Niedergang des weströmischen Reiches bedeuteten vielleicht eine Zäsur in Politik und Kultur, die Reisetätigkeit wurde hiervon aber

kaum tangiert. So reisten nicht nur reiche römische Damen zum Wüstenväter-Sightseeing nach Afrika', Pilger aus Angelsachsen nach Ag)pten2 und ein Elefant nach Aachens. Auch die meisten der frän- kischen und deutschen Könige waren samt ihrem Tross mehr oder minder permanent auf Reisen, sei es zum Zweck der Krönung, eines Krieges oder der Verwaltung ihrer Reiche, wie es zuletzt Althoff her- vorhob. ' So wird auch von Karl d. Gr. zwar von einer Vielzahl von Heerzügen berichtet, die ihn quer durch Europa führten5, jedoch

r S. hierzu insbesondere H. C. Zander, Als die Religion noch nicht langweilig war. Die Geschichte der lt ustenväte , Köln, 2004, bes. S. 138 f soti%ie umfassend B. Kötting, Peregrinatio religiosa: 1lbllfahrten in der Antike und das Pilgerwesen der allen Kirche, Münster, 1950 (Forschungen zur l'olkskunde, 33/34/35)"

Hier wären insbesondere die von Dicuil, Liter de nzensura orbit terrae, ed. J. J. Tierney u. L Bieler, Dublin, 1967,6,1 i-i8, S. 63 überlieferte Reise des Mönchs Fidelis zu erwähnen, die ihn sowohl die Scheunen desJoseph, d. h. die Pyramiden, als auch die Stelle bewundern ließ, an der Moses das Rote Meer teilte, worauf bereits W. Bergmann, Dicuils De rnensura orbis tenrae, in P. L Butzer u. D. Lohrmann (Hg. ), Science in Western and Eastern civilization in Garolingian tirnes, 2 Bde., Basel, 1993; hier Bd. 1, S. 525-536, bes. S. 531 hinwies. 3 Mit der von Einhard überlieferten Reise des Elefanten Abbul Abbas beschäftigt sich ins- besondere der Ausstellungskatalog von W. Dressen (Hg. ), Ex oriente. Isaak und der weiße Elefant; Bagdad-Jerusalem-Aachen; eine Reise durch drei Kulturen urn 8oo und heute; Katalog- buch in drei Bänden zur Ausstellung in Rathaus, Dom und Domschatzkammer Aachen vom 30. Juni bis 28. September 2003, Mainz, 2003. ' G. Althoff, 1bm ZwangzurMobilität und ihren Pmblernen, in X. von Ertzdorff, D. Neukirch u. a. (Hg. ), Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Atlanta, 1992 (Chloe. BeiheflezurnDaphnis, 13), S-91-111- 5 Karl kämpfte beispielsweise gegen die Langobarden in Italien, gegen die Sachsen östlich des Rheines, in Spanien, gegen die Bretonen im Nordwesten Frankreichs, wie uns bereits Einhard berichtet: s. hierzu Artreals regni Francornm ..., Hannover 1895 (M11GH SS rer. Geren., 6) sowie Einhard, Vita Karoli MUagni, Hannover, 1811 (e11GHSS rer. Gern., 25).

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fSKIGI"ITE ENGLISCH

fehlen Belege darüber, dass er einmal sein Ziel verfehlt hätte. Dies

setzt aber stets eine Vorstellung von der Lage der Zielorte und eine relativ genaue Routenplanung voraus. Und es sei auch daran erin- nert, dass die berühmten Pilgerziele Peregrinatio maiors mit Rom7, Jerusalem8 und später auch Santiago de Compostela9, die Reisenden in weite Ferne, im letzten Fall sogar an den Rand der bekannten Welt führten. Eine vielfältige Mobilität ist für das Mittelalter also anzunehmen10.

Damit stellt sich die Frage, wie man in dieser Epoche seinen Weg

und vor allen Dingen das gewünschte Ziel - vor Erfindung von Stra- ßenatlas und Navigationssystem - fand. Versucht man zu eruieren, wie solche Reisen geplant wurden und wie man sich unterwegs orien- tierte, so ist die Frage zu stellen, welche Hilfsmittel man diesbezüglich im Mittelalter konsultierte bzw. welche Rolle die kartographischen Erzeugnisse dieser Epoche dabei spielten. Dies schließt die Suche

nach dem Fortleben antiker Traditionen und der diesbezüglichen Informationsmedien ebenso mit ein wie die Analyse der mittelalterli- chen Kartographie. Ferner ist zu untersuchen, ob sich im Zeitraum

vom 6. bis 11. Jh. diesbezüglich Veränderungen ergaben. Sichtet man die in diesem Kontext relevanten Quellen, wird man

für das frühe Mittelalter regional differenzieren müssen. Offenkundig

waren in den ehemaligen römischen Provinzen das überkommene Reisewissen und auch die materiellen Grundlagen - nämlich das von den Römern erbaute Straßennetz- erhalten geblieben, welches zwei- fellos eine geographische Orientierung erlaubte. Hiervon zeugen

6R Caucci, Pilgerziele der Christenheit. Jerusaleut, Born, Santiago de Compastdla, Dartttstatit, t ggg; M. Mattheus (Hg. ), Pilger und WW aUfahrtsstduen in ý1fitidalter und FrührrNetceil, Stuttgart, 19! ) g; L. Kriss-Rettenbeck (Iig. ), Wallfahrt kennt keine Grenzen: Themen zu einerAussie lung des 13a)- erischen Nationalmuseums, München, 1984. 1 G. Lanzi, Wege nach Rom. Eine Kulturgeschichte der Pilgerfahrt in die Einige Stadt, Stuttgart, 2000. "A. Gräböis, Le pelerin occidental en Terre salnte au iifo)en Age; Paris, i g98. 9K Herbers u. R. Plötz, Nach Santiago zogen sie. Berichte tan Pilgerfahrten ans �Ende der UM-, München, 1996; R. Plötz (Hg. ), Europäische 1l be der Santiago Pilgerfahrt, Tübingen, 1 ggo (Jakobus-Studien, 2); Y. Bottineau, Der ll b der fakohsßilger Geschichte, Kunst u. Kultur der Wall- fahrt nach Santiago de Cornpostela (mit einer Einleitung und einem Kapitel zurJakobsverch. rung in Deutschland von K Herisers), 1Bergisch Gladbach, 3987; die diesbezügliche For- schung bis zum Beginn der 9oerJahrc erschließt die Bibliographic von M. Dunn u. L. Kay Davidson, The Pilgrimage to Santiago de Comf ostd a. A tomprrhnuirr, annotated bibliography, New York/London, 1994. 10 S. hierzu z. B. G. Althoff, Vom Zuwngzur Sfobillät (Nie Anm. . I). der S. 96 darauf hinweist, dass die unablässige Rcisetatigkeit aller bedeutsamen Personen sowie dersic begleitenden Leute weitreichende �Planung, Organisation und Kommunikation' voraussetzte.

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REISEIVISSEN` UND RAUMVORSTELLUNG

eine Reihe von Überlieferungen, die sich in Form von Wegbeschrei- bungen, den sog. Itineraen erhalten haben". Eine solche Sammlung

präsentiert sich uns in Gestalt des Itinerarium provinciarum Antonini Augusti aus der Zeit Diokletians (280/90)'=, das eine Übersicht über das komplexe Wegesystem ermöglicht`. Dort war die Entfernung zwi- schen den Städten in römischen Meilen (= iooo Doppelschritte oder 1480 m) oder Stadien (= 185 m) angegeben, in der Weise, dass

zunächst die Gesamtlänge einer Strecke zwischen zwei Hauptorten

verzeichnet wird und dann die dazwischen liegenden Städte mit den jeweiligen Distanzen der einzelnen Etappen. So beträgt dort die Ent- fernung von Golan ja Traiana (Xanten) nach Colonia Agrippina 71 Mei- len, dazwischen finden sich als Etappen Alediolanum (Pont bei Gel- dern) und Sablonibus (Leuth) zu denen jeweils 8 Meilen zurückzule- gen sind, von dort nach 111ederiacum (Melich) sind es 1o Meilen, nach Theudurum (Tüdderen) 8, nach Coriovallum (Heerlen) 7, nach Julia-

cum (Jülich) 12, nach Tiberiacum (Zieverich) 8 und schließlich nach Köln 1o Meilen"'. Die Auswahl von etwa gleich langen Entfernungen

zwischen den einzelnen Etappenzielen könnte darauf hindeuten, dass hiermit Tagesreisen umschrieben werden.

Solche Itinerare wurden in der Spätantike auch im Kontext der Pilgerreisen genutzt. Hiervon zeugt neben dem Reisebericht der Egeria aus dem späten 4. Jh., der sich allerdings auf den Bereich Kleinasien, d. h. die heutige Türkei inkl. Konstantinopel, Palästina

und Ägypten konzentriert15, insbesondere das Itinerarium Burdigalense,

welches den Weg von Bordeaux nach Jerusalem beschreibt16, den ein Pilger im Jahr 333 genommen hatte und nachträglich aufzeichnet. Dort wird die Distanz zwischen den Orten des Reiseweges in einer dem Itinerarium Antonini entsprechenden Form präsentiert, in dem

zunächst die einzelnen Stationen zwischen zwei größeren Orten

" E. Olshausen, Einfuhrung in die historische Geographie der alten IM 4 Darmstadt, i gg i, S. 87 definiert das Itincrar als jede Form schriftlicherAufzeichnung über die Logistik von Reisen über Land mit Angaben von Stationen, Streckenmaßen, Straßenbeschaffenheit, Zolltaxen und Unterkünften. - 12 A. Heit, Itinera , in Lexikon des Afittelalters, 5, Stuttgart, iggg, Sp. 771-775, hier 773- 13 E. Olshausen, Ein fuhrung in die historische Geographie (%%ie Anm. 1 1), S. 88. " Itineraria Antonini Augusti, in O. Cuntz (Hg. ), Itireraria Romana, 1, Stuttgart, 1990 (Iiine- raria Antonini Augusti et Bunfigealnue), S. 1-75. 's Egeria, Itinerarium/Reiscbcricht. Mit Auszügen aus Peires Diaton us, De locis sanctis /Die heiligen Stätten, übers. und eingeleitett: G. Rössenkamp, unter Dlitarbeitvon D. 'Thönnes, Freiburg, Basel u. a., 1995 (Fonts Christiani, _o). 16 Itineraria Burdigalnue, in O. Cuntz, Itineraria Romana (wie Anm. 14), 1, S. 86-1on, hier S-86-87-

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BRIGITTE ENGLISCH

detailliert aufgelistet und dann nochmals die Gesamtdistanz zwischen besagten Hauptorten hinzugefügt wird. Dabei ist das Itinerar in sei- nen Angaben relativ präzise, wenn es für die Distanz von Bordeaux

nach Arles 372 Meilen, d. h. ca. 55o km verzeichnet. Es ist also anzu- nehmen, dass die seit der Antike gebräuchlichen Informationsmedien für Reisen auch im Kontext der frühen Pilgerreisen genutzt wur- den.

Dass diese Reisepraxis rund um das Mittelmeer während des frü- hen Mittelalters nicht zum Erliegen kam, machen insbesondere die Pilgerfahrten ins Hl. Land deutlich, die beispielsweise der angelsäch- sische Mönch Arkulf im 8. Jh. 1' mit der gleichen Selbstverständlichkeit

unternahm wie Egeria in spätrömischer Zeit. Dies betraf nicht allein das Wissen um den einzuschlagenden Weg, sondern auch die funk- tionierende Logistik von Mittelmeerreisen, wie es Arkulfs Rückreise

zeigt. "' Ohne hierin irgendein Problem zu sehen beschreibt er diese

nämlich in der Form, wie wir heute eine gelungene Mittelmeerkreuz- fahrt planen würden, indem er zunächst per Schiff von Alexandria nach Konstantinopel mit Zwischenstopp Kreta, und von dort mit dem gleichen Transportmittel nach Rom reiste, also dieVerbindtuigAfrika- Kleinasien und Kleinasien-Italien über das Meer wählte. Auch hier gibt uns eine �Sightseeing"- Etappe Aufschluss über die benutzte Route. Wenn Arkulf nämlich Sizilien und den beeindruckenden, Feuer und Rauch spuckenden Ätna schildert, dann deutet es darauf hin, dass er wirklich den kompletten Weg bis Ostia zu Schiff zurück- gelegt haben dürfte. Dass diese Route nicht zwingend vorgegeben war, sondern den Reisenden offenkundig verschiedene Möglichkeiten zu Verfügung standen, verdeutlicht das Beispiel des Mönchs Bernard, der um dasJahr 865 herum das Hl. Land besuchte19. Er reiste auf dem Hinweg anders als Arkulf, indem er von Bari, d. h. von Süditalien aus in See stach und dann zuerst Alexandria ansteuerte20. Dies spricht dafür, dass man im mediterranen Gebiet im frühen Mittelalter nicht nur auf die alten Wege, sondern auch auf die etablierten Transport-

sl Adamnan, De locis sanctis libri tors, ed. L Bieler, in Corpus Christianorum Series Latina, 175 (Itineraria ei alia Geographica, i), Turnholz, 1965, S. 175-248- "Ii. Wilkinson, Jerusalem Pilgrims before the muades, Warminster, 2002, S. Zoo, 19 S. hierzu D. Regnier-Bohler (Hg. ), Cmisades ei pilerinages. Ricits, chroniques ei voyages en tern sainte, XII- XVF siede, Paris, 1997, S. 893.915 (bes. 10-12), S. 903.906 (Willibald) und S. 9z 6- 927 (bes. 3-4), S. 920 (Bernhard). 2°J. Wilkinson, Jerusalem Pilgrims (wie Anm. 18). S. 260-269. Die Idee der Kreuzfahrt resp. der Rundreise lässt sich gerade bei Bernards Jerusalemreise nicht leugnen. da er einen anderen Rückweg nahm, der ihn per Schiff von Joppe nach Rom führte.

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REISEWISSEN UND RAUMVORSTELLUNG

mittel zurückgreifen konnte. Ferner ist anzunehmen, dass bestimmte Häfen ihre Bedeutung bewahrt hatten, die man - wie z. B. Rom oder Bari - als Etappenziel unmittelbar �ansteuern"

konnte, ohne sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, wo Jerusalem oder Alexandria

nun konkret zu finden war; ein Phänomen, welches bei Flugtouristen in moderner Zeit ja auch hin und wieder zu beobachten ist.

Hilfreich beim Auffinden dieser Landetappen dürften die erwähn- ten Itinerare gewesen sein. Dass diese aber illustriert waren, lässt sich nur durch ein einziges Beispiel belegen, welches sich in einer Kopie des 12. oder 13. Jh. erhalten hat, die sogenannte Peutingersche Tafel (Abbildung 1). Dieses vermutlich im 4. oder 5 Jahrhundert entstan- dene und von Konrad Peutinger (1465-1547) wiederentdeckte Kar- tenwerk zeugt von den Leistungen der römischen Vermessungstech-

nik wie auch vom Orientierungsbedürfnis der Spätantike. Sie besteht

aus einer 6,8 m langen und 34 cm breiten Pergamentrolle, die die

wesentlichen Teile der damals bekannten Welt umfasste. Aufgrund ihrer Gestalt eines Rotulus war sie leicht zu transportieren. Sie ver- zeichnet für die wichtigsten Orte der römischen Welt von Britannien bis in den fernen Osten, d. h. nicht weniger als 3300 Stationen, 6oo Ortsnamen und 500 Stadtsymbole bzw Signaturen, zwischen denen Verbindungen und Entfernungen in einer Gesamtlänge von 70.000 römischen Meilen oder 1o5. ooo km skizziert sind 21.

Dennoch haften ihr im Hinblick auf unsere Fragestellung zwei Probleme an. Zum einen fehlt der Karte, und dies ist angesichts der

verzerrten, dem Format der Schriftrolle angepassten Darstellung des Mittelmeerraumes leicht zu erkennen, jeder Maßstab und auch jede Bezugnahme auf die Himmelsrichtungen. So ist Italien weniger durch

seine geographische Gestalt als durch die Einzeichnung Roms zu erkennen. Das Gleiche gilt für den Routenverlauf, der nur äußerst

schematisch angedeutetwird, so dass man hier nur bedingt von einer Straßenkarte wird sprechen können. Zum anderen kann anhand der Peutingerschen Tafel demonstriert werden, dass es nicht die antiken Zeugnisse allein gewesen sein können, die dem Mittelalter das not- wendige Reisewissen bereitstellten, denn gerade für den heimischen Raum, aber auch Nord- und Osteuropa fehlen sämtliche Informatio-

"IF. Bordersen u. J. Gruber, Tabula Peulingeriana, in Lexikon des Mittelalters, 8, Stuttgart, 1999, Sp. 398-399; 0. A. Wentworth, Itineraries and Geographical Maps in Early and late Roman Empire, inJ. B. Harley u. D. Woodward (Hg. ), The History of Cartography, 1: Cartography in Prehistoric, Ancient and Medieval Europe and flit itlediterranean, =Chicago/London, 1995, S- 234-257, hier S. 238-242.

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Abbildung 1: Ausschnitt aus der Peutingerschen Tafel (Nachzeichnung von K. Miller aus der Ausgebe Castorius) aus dem 4. /5. Jh., in der für Nord- lind Osteuropa keine Informationen Aufnahme fanden. Die östlichste Straße folgt größtenteils dem Rheins, der schmale Landstrich zwischen Donau und Nordsee ist im Wesentlichen eine terra incognita (Die Peutingersche Tafel. Einschließlich der Neuzeichnung des verlorenen 1. Segments mit farbiger Wiedergabe der Tafel sowie kurzer Erklärung und 18 Kartenskizzen der überlieferten römischen Reisewege aller Länder, hg. v. K. Miller, Repr. Stuttgart 1962).

nen. Die östlichste Straße auf der Peutingerschen Tafel verläuft in etwa entlang des Westufers des Rheins, entsprechend der Tatsache, dass Germanien für die Römer mehr oder minder eine terra incognita

geblieben war. Doch gerade dort, wo für die Römer die Welt zuende war, konstituierten sich im Mittelalter, parallel zu der schon von Henri Pirenne festgestellten epochenspezifischen Verlagerung der Kultur-

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REISEWISSEN UND RAUMVORSTELLUNG

zentren vom Mittelmeer nach Norden22 neue Machtzentren, Königs- residenzen und Bischofssitze. Folglich kommt es auch hier zu inten- siven Reisetätigkeiten. Dass diese selbst über weite Entfernungen stattgefunden haben, verdeutlichen Zeugnisse seit dem frühen Mit- telalter. So schildert der englische Mönch Beda Venerabilis im frühen B. Jh. die Reisen einiger Äbte und KlostergründerAngelsachsens nach Rom und zu diversen Synoden auf dem Kontinent=s und die Transla- tion der Gebeine des hl. Liborius erregte in Le Mans zwar Bedenken, die sich aber nicht hinsichtlich mangelnder Informationen bezüglich des einzuschlagenden Weges, sondern des Ereignisses an sich erho- ben24. Zudem entstanden prominente Reisewege, wie für den westfä- lischen Raum der Hellweg, auf dem nicht nur Karl d. Gr. gegen die Sachsen gezogen sein soll, sondern der auch heute noch im wesent- lichen dem Verlauf der Bi resp. im Ruhrgebiet der A 4o entspricht. Auch in diesen

�barabarischen" Regionen tauchte folglich ein Bedarf

nach geographischen Kenntnissen auf, der mangels antiker Vorbilder,

sich unabhängig von den diesbezüglichen Überlieferungen gestaltet haben muss.

Dennoch galt das frühe Mittelalter lange Zeit als immobile Ära.

Dies ist vornehmlich darauf zurückzuführen, dass sich keine konkre- ten Reiseanleitungen, vergleichbar zu den eingangs zitierten spätan- tiken Beispielen erhalten haben. 25 Einen Einblick in das Reisewesen durch diese in der Antike nicht erschlossenen Gebiete liefern die

== H. Pirenne, Geburt des Abendlandes. Untergang derAutihe am Mittelmeer und Aufstieg des ger- manischnen llfitlelalters, übertragen von P. E. Hübinger, Leipzig, 1939- '-'So schildertz. B. BedaVenerabilis, Historia ecclesiasticagentis anglorurn /Beda derEhrwürdige. Kirrhengescliic hte des englischen lblkes, hrsg. u. übers. v. G. Spitzbart, Darmstadt, 1982, Bd. 2, IV 18 (16), S. 370-373 die Romreise des Abtes Benedict Biscop; in Kapitel V, 7 (S. 449) beschreibt er, dass König Caed%%all von Westsachsen zum Zwecke der Taufe vor seinem Tod nach Rom pilgerte. S. hierzu auch W. Busse, All ways lead toRome Ibn England nach Rout und zurück im Mittelalter, in P. Wunderli (Hg. ), Reisen in reale und mythische Ferne. Reiseliteratur in Mittelalter und Renaissance Düsseldorf, 1993, S. 255-270, der dort folgende prominente Rompilger Angelsachsens er-wähnt: König Ine von Wessex (und mit ihm viele Engländer, Adelige und Gemeine, weltliche wie geistliche Herren, Männer und Frauen, mit großem Eifer, wie Beda berichtet [V. 7, S. 451]), Eadburh, Tochter des Königs von Mercia (802), Ethelslsith, Schwester König Alfreds d. Cr., die S88 in Rom starb u. a. 2'A

. Cohausz, Erconrads Trarulatio S. Liborii. Eine wiederrntdeckte Geschichtsquelle derKarolinger-

zeit urrd dieschon bekannter Übertragungsberichte mit einer Einführung, Erläuterung und deut-

schen Übersetzung des Erconrad, Paderborn, 1866; zu diesem Ereignis zuletzt H. Röcke- lein, Reliquientrarulatiornen nach Sachsen irn 9J 7L UberKommnunikation, Mobilität und Öffentlich-

keif im Frührnittelaller, Stuttgart, 2002 (Beihefte derFrancia, 48), bes. S. 95-1 oo. 25 Möglicherweise aus diesem Grund beschränkt sich die jüngste Publikation zu diesem Thema im wesentlichen auf die Zeit nach dem 14. Jh. s. hierzu F. Reichert, Erfahrung der Ilell. Reisen und liulturbegt nungim später: Mittelalter, Stuttgart/Berlin/Köln, 2001.

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I3KIGITI'E ENGIISCII

Itinerare der Karolinger und Ottonen, die auf der Grundlage der

erhaltenen Urkunden ermittelt werden können, uie nachfolgend ain Beispiel Ottos II. für dasJahr 974 demonstriert wird. Die urkundliche Überlieferung2G weist ihn Anfang Januar in Utrecht nach, am 21. Januar in t27 (bei Limburg), danach in der Gegend zwischen Werl und Paderborn=, vom 1. -i g. April in Quedlinburg, am 25. April in Namur, am 29. April im sächsischen Mühlhausen, am to. Mai in Tilleda am Kylihäuser, am 13. Mai wiederum in Quedlinburg und elf Tage später in Merseburg. Weitere Stationen sind Allstedt (28. Mai-i 6. Juni), Grone (i i. Juni), Pöhlde (17. Juni), Kirchberg (so. Juni), danach Erfurt, Magdeburg (28. Juni), Memleben (13. August), Erwitte (i g. August), dann Frose (30. August), Allstedt (3o. August), Dornburg (2. November) und Pöhlde (25. Dezember). Um diese Informationen sinngemäß auszuwerten, sind jedoch zwei methodi- sche Vorüberlegungen unumgänglich. Zunächst ist es notwendig, keine imaginären Luftlinien, sondern die Wege einzuzeichnen, die

auch tatsächlich gemäß der vorherrschenden Topographie bereist

werden konnten, oder wie die Heliwegregion, faktisch als Reisewege

angenommen werden können. Auf diese Weise Können Informatio-

nen über die realiter zurückgelegten Strecken ermittelt werden, die logischerweise länger und, eingedenk existierender Hindernisse wie zu überquerende Flüsse, Gebirge oderTäler, weitaus zeitintensiver zu bereisen waren. Ferner sollte auch bedacht-werden, dass mit dellt Urkundenbestand allein oft nicht alle zurückgelegten Wege eines Herrschers nachzuvollziehen sind. Dies macht im vorliegenden Fall

26 Die Aufenthalte in Bongard, Quedlinburg. \lühlliausen. Tillcda, Quedlinburg. \lcrsee burg, Grone, Pöhlde, Kirchberg. Magdeburg, Memlcbcn, Er ittc, Frose, Allstech und Dorn- burg belegt K. Fr. Stumpf-Brentano, Die Kaiweurkundei des to., tr. und t_. Jafirhuruleris chronologisch verzeichnet als Beitrag= den R baten und: urKrilik drwiben, mit Nachträgen von J. Ficker, Innsbruck, 1865-1883 (Die Reichskanter, 2), Repr. Aalen, 196.1. S. 56-58; zu (Ken übrigen s. J. Fr. Böhmer, Die Rrgatrn des f aiurrridus unter 01t0 11955 (973). 9S3, neu bearb. v. H. L. Mikoletzky, Graz, 1950 (Regata imperii, 2), S. 292'302- 27 Böhmer, RI 2 (wie Anm. 26), S. 292 nennt den Ort Boussou oder Bongut. 28 Diese Zwischenstation lassen zwei nichtgeradlinig in das Itinerarcinzufügende Urkun- den vermuten, nömlich eine vom t8. JanuarfürPaderborn, deren Originaljedochverloren ist, so dass der Ausstellungsort nicht genau fesutcllbar ist sowie eine am 2. April eine in Werl in Westfalen ausgestellt Urkunde. Das Faktum, dass am i. April eine Urkunde in Quedlinburg ausgestellt wird, und die Distanz zusehen beiden Orten innerhalb eines 1: tgcs kaum zu betw: tltigen «ar, lässt vermuten, dass der Herrscher bereits nach Quedlinburg aufgebrochen war, ein Teil der Kanzlei sich aber noch in Westfalen aufhielt. Dennoch ist

zu bemerken, das Willigus als cancdllarius in den Unterfertigungen beider Urkunden auf- taucht. Möglicherweise ist aber auch das Datum für den Aufenthalt in Wcrl nicht korrekt überliefert, da sich die Urkunde nur abschriftlich erhalten hat.

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REISEN'1SSEN UND RAUDIVORSTELLUNG

die Chronik des Thietmar von Merseburg deutlich, der für das Jahr 974 von einem Feldzug berichtet, den der Kaiser, vermutlich im August='9, in Schleswig gegen die Dänen führte30. In der Kombination können diplomatische und historiographische Überlieferungen

- auch wenn sie vordringlich nicht als geographische Texte gelten - folglich als zentrale Quellen für das tatsächliche Reiseverhalten im frühen und hohen Mittelalter dienen.

Bei all diesen Reisen müssen wir trotz mangelhaftem Wegenetz und uns unbekannt gebliebenen Informationsmedien von geplanten Unternehmen ausgehen, da nur so ihre Realisation - zudem mit einem unterwegs zu versorgendem Heer und bei feindlichen Angrif- fen, wenn schnelles Eingreifen zur conditio sine qua non wird - über- haupt vorstellbar ist. Auch die oftmals erstaunlich kurzen Reisezeiten wie z. B. die Bewältigung des ca. 30o km langen Weges von Memleben nach Envitte in nur 6 Tagen lässt keinen Raum für Irrwege. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die Urkundenausstellung manchmal einige Tage

�hinter dem Herrscher her hinkte", denn gerade das

zuletzt gewählte Beispiel macht deutlich, dass die Kanzlei zumindest an den genannten Daten vor Ort gewesen sein muss, was die besagte Reisegeschwindigkeit auch für diese Gruppe wahrscheinlich macht.

Doch nicht nur die Herrscheritinerare der Epoche verraten etwas über die eingeschlagenen Reisewege durch die Kerngebiete der mit- telalterlich-mitteleuropäischen Machtzentren, sondern auch die Schilderung der Ziele der frühen Missionare. Die Viten beispielsweise von Bonifatius, Liudger, Adalbert und Norbertsi übermitteln neben ihren Taten auch die eingeschlagenen Wege, die sie in die neu zu erschließenden Gebiete östlich des Rheines führten. Diese verraten eher etwas von geplanten Reisunternehmen als von einer alleinigen Lenkung durch überirdische Mächte - zumindest was die konkrete Wegfindung angeht. Betrachtet man beispielsweise die Strecken, die der hl. Liudger im Zuge seiner Missionen zurücklegte, so umfasst dies, wie bereits Manfred Genving hervorhob - ein Gebiet, welches von York in England bis Rom und Benevent in Italien, von Helmstdt bis Leuze bei Tournai in Belgien und von Utrecht bis nach Helgoland

Dies vermutet Böhmer, RI 2 (%%ie Anm. 26), S. 330. SOThietmarvon ASerseburg, Chrunicon, Hannover, tSSg (MGHSSrer. Gm'., 54), 111,6. " Zu den letzten dreien s. M. Gerwing, Dreimal Ostmission: Liudger, Adalbert, Norbert, in F. Seibt, U. Borsdorf und H. Tb. Grüner (Hg. ), Transit Brügge-Novgorod. Eine Strasse durch die europäische Ceschidi! e latalogzurAusstellungdesRuhrlandmuseunuEsset. 15. Mai-2 r. Sep- tenber 1997, Essen 1997, S. 145 ff.

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BRIGITTE ENGLISCIi

reicht. Damit bereiste Liudger nicht nur ein Gebiet, welches erstkurz

zuvor, durch die Eroberungszüge Karls d. Gr. der mittelalterlichen Kulturwelt eröffnet worden war, er drang sogar bis in dessen Randgc. "- biete vor. Darüber hinaus fand er, was für unsere Fragestellung noch

wichtiger ist, offenkundig den Weg ohne Probleme auch wieder

zurück, was auf die Kenntnis von Route und Distanzen schließen lässt.

Tatsächlich reiste man allem Anschein nach mit einer großen Selbst-

verständlichkeit selbst mitten in den Gebieten, die bis dahin feindli-

ches Territorium waren. Dies lässt zumindest das Unternehmen ver- muten, welches rund So Kleriker, die derAufbau des Missionsraumes

vom Kloster Fulda 775/777 in das Gebiet der oberen Weser führte.

Von ihnen ist ebenfalls bekannt, dass sie -wohl ohne größere Schi%ic-

rigkeiten - den Missionsraum erreichten. Neben diesen von konkreter Reisepraxis geprägten Überlieferun-

gen präsentiert sich die Quellengruppe, die man in der Gegenwart

am ehesten mit der Routenplanung verbindet, als am wenigsten hilf-

reich: die mittelalterlichen Weltkarten. Selbst wenn nian deren rudi- mentäre Variante, die an Piktogramme gemahnenden Schemakarten hier ausklammert, erweisen sich die vielfältig ausgestalteten illappae mundi des Frühmittelalters als nicht zum Zwecke des Reisens konzi-

piert; sie haben eine andere Intention. Ein Beispiel hierfür sind die

sog. Beatuskarten, d. li. die Weltdarstellung, die der spanische Mönch Beatus von Liebana ca. 776 seinem Kommentar zur Apokal)I)se bei- legte s2. Das Original ist verloren, jedoch gilt das Exemplar aus den

sogenannten Maiusbeatus (New York, Pierpont Morgan Library M. 644, fol. 33 v- 34 r., 94o'945)" aufgrund seiner Entstehungszeit im

1o. Jh. wie auch seiner Ausgestaltung einen guten Eindruck von der

ursprünglichen Karte des Beatus (Abbildung 2). Das Erdbild dieser Karte besteht aus den durch Nil, Don und Mittelmeer voneinander

' Zum Apokalypsenkommentar des Beatus s. J. Williams, The illustrated Meatus. A corpus of the Illustrations of the Commentary on tluApocal)ps ,5 Bdc. (ersch. Bd. t-. 1), London, 199.1 ff., zur Ubcrliefcrung bes. Bd. i, S. 22 ff.; WI: Neuss, DieApokal)pse des IleiligrnJohannes in der altspanischen raid christlichen Bibelillustration. Dasl'roblem derlkatwhanduhriftrn, 2 Bde., Mün-

ster, 1931 (SpanischeForsclmngen dnG&nesgrselluhaft, 2. Reihe, 2 u. 3); P. K. Klein, Dereilterr Beatty-Codex Vitrina 14-1 derBibliotctaNational :u Madrid. Studier zur Beatw"Ills stration und der spanischen Buchmalerei des so. Jahrhunderts, 2 Bde.. Hildesheim/Ncw York, 1976. ss J. Williams (Hg. ), Beatty Liebanensis. Bratus. Apokal) psederl'ierpant Morgan Lrlrrary: eire llaupt-

werk der spanischen Buchmalerei des so. Jahrhunderts, Eint u. Kommentar von J. W15lliams, kodikologische Beschreibung von B. A. Shailor, übers. von M. Huber. Stuttgart/Zürich,

1 ggi. Ausführliche Diskussionen dieser Handschrift finden sich bei J. Williams, lllwtratnl

Beat us 2 (wie Anm. 32), S. 22 fi . Zur iiane des ýfaius fkatus s. II. Englisch, Ordo ortrit lerne. Die Weltsicht in den llfappae mundi desfrühen und hohen Miuefalters, Berlin, 2003, S. 1255-288-

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REISEWISSEN UND RAUMVORSTELLUNG

getrennten Erdteilen Asien, Afrika und Europa sowie einem vierten, von der Ökumene aus unerreichbaren 4. Kontinent, den das mare rubrum von der bekannten Welt separiert. Damit werden die topogra- phischen Gegebenheiten nach dem Wissen der Zeit korrekt widerge- geben. Ihre Schilderung entspricht im wesentlichen den Darstellun-

gen der enzyklopädischen Bildungsliteratur der Epoche, wie sie in den Ety mologiae des Isidor von Sevilla aus dem 7. Jh ', dem anonymen De situ orbis aus dem 9. Jh 3' oder der Descriptio mappae mundi des Hugo

von St. Victor aus dem i i. Jh ss zu finden ist. Dies gilt nicht nur für das Gesamtbild, sondern auch für die einzelnen Abschnitte. Betrach- ten %%ir beispielsweise Spanien, wird dieses im Kartenbild von den Pyrenäen begrenzt, neben Tan-agoua und Olisbona (Lissabon) nennt die Karte noch die Landstriche Span ja und Gallecia. Sie reproduziert damit die gleichen Elemente, die sich beispielsweise auch bei Isidor finden lassen, auch wenn dieser in seinem Bestreben nach enzyklo- pädischer Vollkommenheit die spanische Provinzen Hispania citerior und Hispania ulterior etwas ausführlicher in Gestalt ihrer Flüsse und den von antiken Herrschern wie Julius Cäsar oder Augustus gegrün- deten Hauptorten schildert? '. Dass jedoch zentrale Orte wie Toledo

s+ Isidor von Sevilla, Elirnologias, ed. J. Oroz Reta u. M. A. Marcos Casquero, introd. por Manuel C. Diaz y Diaz, 2 Bde., 2. Aufl. Madrid 1993-1994, hier 14, Bd. 2, S. 166: (... ) Divisus est auten trifarie: e quibus una panAsia, altera Europa, tertia Africa nuncupatur. Quas tres parses orbit vetens non aequaliterdiviseunt. Nam Asia a ineridie perorientem toque ad septentrionen pevenil; Europa vero a septentrione usque ad occidentern; atque finde africa ab occidente usque ad nuridem. V nde evidenter orten dimidurn duce tenent, Europa ei Africa, alium vein dimidium sola Asia, sed ideo istae dune parses factaesunt, quia inter utramque ab Oceano mareZlagnwn ingreditur, quad eas intersecat. (... ) Etyrnologiae 14,5,17 (Oroz Reta 2, S. lgo): Extra tree autent parses orbis quarta pan trans Ocean um interior es! in ineridie, quae solis ardore incognita nobis est; in cuius ftnibus Antipodes fabulose inhabilare produntur. Isidor beschreibt hier of enkundig den �Ideal- fall" einer Schemakarte, jedoch weist die 4fappa mundi aus Gerona, trotz ihrer gattungsspe- zifisch länglichen Form im wesentlichen die gleichen Proportionen auf. ss Anonymus Leidensis, De situ orbis libri duo, ed. Ricardo Quadri, Padua, 1974,1,5, S. 13- 14: r. Iden causarn, tilediterranei maxis infereru ait: Nunc ipsius terrae divisionen, quantum patitur

succiuda insinuatio, mnntorabo. Circulus ornnie superarehabitabilisque telluris, sicut plerique testan- tu , in tres parts est distributus: Europarn, Asiarn, Africamque, quorum primam atque ullimarn intenuptio dissicit Oceani, narr Adlantici profundi ex Gaditano fretu vis inteneccn s profunda tellu-

ris Lybicum ad Hllxm La! us abseidit el rauf estim se in pmpinqui marls fl uenta d[undit. (... ) 6. Hoc igitur frrlo, id es! Gadilano, kvorsum Europa distendilur usque in Tanai fluminis gurgitern, a quo inchoans Asia Nili itidem ohm limitatur, qui quidem Nilus tandem Africam disrumpens telluris

complexuminte t-cat rnulti! udinefluviorum. " Hugo von St. i ictor, La De cziptio mappae mundi' dc Hugues de Saint-Victor, cd. P. Gautier Dalchc, Paris, 1g88. 'r Isidor, El)"mologiae 14,28-30 liefert zwar einige Details mehr als die Beatuskarte, doch ist es das antike, nicht das westgotische Spanien welches er schildert. Das gleiche ist auch für die Schilderung der spanischen Hauptorte in Etymologiae 15,1,71 zu konstatieren, wo das Aummlilkriterium die antike Gründung, nicht die Bedeutung in Isidors Gegenwart ist.

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BRIGITTE ENGUSCII

- Herz des Westgotenreiches -, Barcelona oder Cordoba in der Karte

ebenso wie bei Isidorfehlen, macht deutlich, dass hier kein auf einen

praktischen Nutzen abzielendes Bild der Gegenwart gezeichnet wer- den soll. Es ist die durch die antike Bildungsliteratur abgesicherte Weltauffassung, die im Mittelpunkt steht. Konform zur Peutinger-

schen Tafel ist zudem die Schwerpunktsetzung auf den Mittelmeer-

raum erkennbar, wohingegen nördlich des Massiv Central und der

Donau nach der Karte kein Kulturraum mehr zu erwarten ist. Dies ist

nicht als Spezifikum dieser in Nordspanien entstehenden Kartengat-

tung zu werten, diese Eigenheit zieht sich durch die geographischen Texte und Karten des Frühmittelalters. Konform zum epochenspezi- fischen Bestreben, die Weisheit der Antike zu erhalten, baren es die

in den alten Quellen definierten Regionen, auf die sich das Interesse

konzentrierte. Zusammengenommen präsentieren schriftliche wie kartographische Quellen ein übereinstimmendes Bild der Welt.

Dabei bediente man sich V ölkernamen und Landbeschreibungen

einer längst vergangenen, aber als Hort allerWeisheit verehrten anti- ken Vergangenheit in Gestalt von Solinus oder Potnponius Mela. So

weiß der Autor des anonymen De situ odds über Genmanien nicht mehr, als dass es sich nach Scythien an der Donau befindet, im Osten

von der Donau, im Norden und Westen vom Ozean und inl Süden

vom Rhein begrenzt wirdg". Erst Hugo von St. Victor im ii. jh. nennt einige Details über die Region östlich des Rheines, wenn auch noch bei ihm die Grundvorstellung immer noch von antiken Strukturen geprägt ist. Dort er wähnt. er zunächst die Region 7heutonica, dann Scithia inferiorund Gerniani, die gefolgt werden von Dacern, Sartimaten und nicht näher bezeichneten Nomaden, in deren Nähe er neben den Goten immerhin auch die Cinocephalen, also hundsköpfige Fabel- wesen, vermutet 9. Immerhin kennt Hugo aber - und dies könnte durchaus als gattungsspezifische Innovation des i i. jh. zu bewerten sein - neben den Dorestades, also dem in der Karolingerzeit bedeuten-

3s Anonymus, De situ orbis 1,13, S. to : Gmnanicus a Gmranic, quae ita dicta est propterferun- ditatem gignendorun: populorurn. Quae regio post Stithiam it Jtrimcm a Danubio intalUtrnurn flu- vium Oceanuinque conclusa cingitur a scptentrione it a occasu Oce ano, ab orte wsu Danubio, a sneridie R lierto fluvio diri snitur. Duae a ufern sun! Cmnaniar- su f rr ar i uxia scpicntrionalan Ocean sun, inferior circa Ren um. 3° Altnlich von spätantikem Gedankengut geprigt en. eist sich auch die Liste der don lcben- den Völkerschaften, der illarromannigau crudelissima, Saxons� Wandali, Germania, Alanannia, Tungriund Trisi; s. hienu Hugo v. St. Victor, Descrilpio maple mundi («ic Anm. 36), s t. S. 153-

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Abbildung 2: Die Weltkarte des sog. sogenannten Maiusbeatus (New York, Pierpont Morgan Library M. 644, fol. 33 v-34 r., 940-945) entspricht in ihrer Gestaltung des Erdbildes im Wesentlichen der enzyklopidischen Bildungsliteratur des frühen Mittelalters. Abbildung aus G. Menendez-Pidal, Mozärabes y asturianos en la adlura de la alla edad media, in Bolelin de la Real Academia de la Historia, 134, 1954, S. 137-291, hier S. 235.

den Handelsplatz in der Nähe von Utrecht40, in Sachsen die Gebirge

ntonsSueuusund mops Geizen na, sowrievierFlüsse, nämlich Alba (Elbe), Santo (Ems), Vensura und ll'andala. Wie fragmentarisch sein diesbe-

zügliches Wissen aber ist, kann daran verdeutlicht werden, dass er den Main (il fogona) der Region Frisia zuweist". Man kann seine Beschrei- bung der Region als Versuch werten, Kenntnisse über den

�neuen", erst seit ca. 40o Jahren bedeutenden Raum mit dem ererbten Wissen

zu vereinen, auch wenn es ihm dabei allein um die Aufnahme diesbe-

züglicher Namen, keinesfalls um eine präzise geographische Zuord- nung ging.

'0 Dorestad hatte aber zu Hugos Lebzeiten schon langst seine Bedeutung verloren; s. hierzu A. Verhulst, Dorestad. Geuhichle, Topographie und llirtschaft, in Lexikon des Mittelalters, 3, Stutt- gart, 1999, Sp. 1264-1265. 41 Hugo c St. V ictor, Descrilpio mappe mundi (%%ie Anm. 36), 21, S. 154.

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BRIGITTE EXGIISCII

Bis in das i 1. Jh. hinein und dann auch nur in Gestalt fragmenta-

rischer Hinzufügungen spielte der außerhalb der antiken Kulturwelt

liegende Raum Mitteleuropas folglich auch in den Enzyklopädien

keine Rolle bmv. blieb durch antike Vorstellungen geprägt. Wir finden

hier weder etwas über die neugegründeten Missionszentren östlich des Rheines wie Münster oder Paderborn oder prominente Bistümer

wie Magdeburg noch über die Wege, die die Herrscher und Missio-

nare in aller Selbstverständlichkeit bereisten. Festzuhalten bleibt damit, dass die frühmittelalterlichen Weltkarten wie auch die Texte der Bildungsliteratur sich nicht das Ziel setzten, geographische Infor-

mationen zur praktischen Anwendung zu vermitteln. Vielmehr wird geographisches Wissen in einem übergreifenden

Kontext der Weltdeutung funktionalisiert. Beispielsweise wird, uni zu unserem Beispiel des Maius-Beatus zurückzukehren, durch die Nut-

zung der Topographie eine Gliederung der Erde erreicht, die es denn Verfasser ermöglicht, seine im Rahmentext der Karte formulierte Intention, eine Karte der Aussendung der Apostel in alle Untier der Erde zu zeichnen"-, bildlich umzusetzen. Die Anordnung der Gebirge, Städte und Flüsse ist eingebettet in das Bedürfnis, die erschaffene Weltordnung abzubilden. So ist es für die Rezipienten dieser Karte

auch kein Mangel, dass dort keine Strecken dargestellt werden. Viel-

mehr wünscht der anhand der ererbten Texte ausgebildete Schüler der Artes liberales die Lehren der antiken Vordenker über die Welt

zu erfahren, ihr- im wahrsten Sinne des Wortes - �Weltbild" kennen-

zulernen, wobei Schilderungen versumpfter Strecken, profaner Distanzen und holpriger Wege als offenkundig wenig adäquat emp- funden worden waren. Das Wissen um die konkret-erfahrbare Welt

war bis zur Jahrtausendwende kein Thema gelehrter Abhandlungen,

weder im Text noch im Bild. Diese Situation ändert sich auch in der Kartographie mit dein

beginnenden i 1. Jh. Der Abbildung des persönlichen Lebensraumes

wird erstmals in der vermutlich um dasJahr t o0o in England entstan-

42 Diese Intention findet sich in dem der Banc unmittelbar forangehenden Abschnitt: Beatus von Liebana, Cornmentarius in Apocal3psin, hg. v. Eugenio Romero-l'osc, _ lklc., Rom,

1985, hier Bd. 1, Prolog 2. Buch, S. 19_/3: flare es1 ettlesia Jr runiuenurn orbem tenaniui dilatala. Hoc est seiten sanctum ei ekdwn, regalesacerdotium per unitvnurn munduni snninnlum. (... ) Et quo falcibus hate serninis gran per agnrm huius mundi, quem projetae laboralmrnt ei hi

vielen!, subiectae formulae pictura de nonstrat s. hierzu auch E. Edson. Afapßing that art! spacer How medieval matnnakers viewed tltirworld, London, 1997, S. 188, Anm. 6.

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REISENISSEN UND RAUMVORSTELLUNG

denen sog. Cottonia4' (Abbildung 3) Aufmerksamkeit gewidmet. Diese Karte beeindruckt insbesondere im Bereich Nordeuropas und der britischen Inseln durch eine annähernd realistische Darstellung des Küstenverlaufes. Dasselbe giltfür die zentralen Flüsse Mitteleuro- pas, die nun erstmals als gewundene Wasserläufe in einer den natur- haften Konditionen entsprechenden Weise Aufnahme finden. Die Cottonia ist somit als die erste Karte zu bezeichnen, in der sich der Gedanke niederschlug, dass auch die Abbildung des natürlich erfahr- bare Raumes im Kontext einer Weltdarstellung eine nutzbringende Information sein konnte. Es ist angesichts der insularen Entstehung der Karte naheliegend, hierin eine Reaktion auf die Seefahrten der Angelsachsen und Normannen zu sehen, die sich im Bereich der Nord- und Ostsee und durch die Mündungsgebiete flußaufwärts in den europäischen Kontinent hinein abspielten. ' Diese auf die erfahr- bare Realität abzielenden Elemente der Cottonia können als Indiz für einen allmählichen Wandel hinsichtlich der Nutzanwendung karto-

graphischer Produkte bezeichnet werden, der jedoch erst seit dem 12. / 13. Jh. allgemeinere Verbreitung erlangte.

Dass dieses innovative Gedankengut die Cottonia aber keineswegs zufällig prägt's macht das Faktum deutlich, dass die Sammelhand- schrift Cotton Tiberius B. V. neben verschiedenen komputistischen, kosmologischen und geographischen Materialien46 noch eine weitere Quelle enthält, die den erfahrbaren Lebensraum thematisiert. Diese

u P. McGurk, The dlappa munde, in Ders., D. N. Dumville u. a. (Hg. ), An Eleventh Century Anglo-Saxon Miscellany: British Library Cotton Tiberius B. V, Part L Together with Leaves from British Library Cotton New D. II, Kopenhagen, 1983 (Early English Manuscripts in Facsimile,

21), S. 79-87, hier S. 79, der dort auch eine umfassende Analyse der Legenden der Karte

präsentiert; s. hierzu ferner E. Edson, Mapping time and space (%%ie Anm. 42), S. 74 i"; K. Miller, Mappaenundi. Dir ältesten IW'eltkarten, 6 Bde., Stuttgart 1895-1898, hier 3, S. 29. " Zu den Nordfahrten z. B. des Wulfhere und Othmar s. R. Hennig, Terrae incognitae. Eine Zusammenstellung und kritisdie Bewertung der wichtigsten vorcolurnbischen Entdeckungsreisen anhand der darüber vorliegenden Originalberichte 4 Bde., 2. Aufl. Leiden, 1944-1956. Eine solche Betonung des eigenen Lebensraumes, der sich gerade auch im Bereich der Küsten- beschreibung manifestiert, findet sich auch in der im späten i i. Jh. entstandenen Kirchen- geschichte des Adam von Bremen. \I tewohl sich, lie schon K. Miller, Mappaenmundi (wie Anm. 43), 3, S. 37 erwähnte, keine direkte Verbindung mischen beiden Überlieferungen herstellen lässt, entstammen sie doch vermutlich einer ähnlichen Motivation. Zu diesem Problem zuletzt P. McCurk, . lfappa mundi (%%ie Anm. 43), S. Si. Zur friedlichen Erschlie- ßung der Meere s. D. Ellmers, Frühmittelalterliche Handrluchiffahrt in Mittel- und Nordeuropa, Neumünster 1992, bes. S. 227 ff- ' Bereits P. McGurk, Palaeography and Illumination, in Ders., D. Dumville u. a. (Hg. ), An Eleventh Century AngloSaxon Illustrated Miscellany, S. 28-39, hier S. 3o deutet die Karte als ursprünglichen Teil des Manuskriptes. '6 S. hierzu E. Edson, Mapping time and space (%%ie Anm. 42), S. 74-79.

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Abbildung 1)u uni da, jahi liuriý }, ,t iA 1,1 die dc tailgenauc, tc t1iýux b Auýhtht uuK, iuI hu, tcreit-gi n, n an und ( K[, cc sowie der britischen Inseln. Auch die zentralen Flüsse Mitteleuropas erscheinen erstmals als gewundene Wasserläufe. Abbildung aus K. Miller.. Wappaemundi (wie Anm. 43), 3, S. 33.

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REISEIVISSEN UND RAUMVORSTELLUNG

ist für die vorliegende Fragestellung umso aufschlussreicher, als sie ein althergebrachtes Hilfsmittel wiederentdeckt: das Itinerar. Die Beschreibung der Reise Bischof Sigerics nach Rom von ggo (fol. 22 v. - 23 n)-17 zählt nicht nur die 23 zu besichtigenden Kirchen in Rom auf, sondern gibt auch über den Reiseweg unverzichtbare Infor- mationen, indem die 79 submansiones, d. h. Zwischenstationen zwi- schen dem englischen Kanal und seinem Zielort aufgeführt werden. Wir haben hier folglich das erste postantike Zeugnis, das die Tradition der detaillierten Wegbeschreibung aufgreift und damit eine konkrete Reiseanleitung formuliert. Die Vermittlung von Informationen über die eigene Umwelt im Zusammenhang mit Reisen kann daher als eine der möglichen Zielsetzungen der Handschrift gesehen werden, die neben das konventionelle Bildungswissens tritt. Sie ist ein Beleg dafür, dass seit dem i i. Jh. allmählich die Notwendigkeit erkannt wird, Rei- seinformationen zu vermitteln, die so allmählich Einlass in verschie- denen Text- und Bildgattungen finden. Dies ist sicherlich im Zusam- menhang mit der wachsenden Mobilität durch das Aufkommen der Städte, den Fernhandel, aber auch die Kreuzzüge zu sehen, die neue Medien entstehen bzw. althergebrachte, wie die Mappae mundi, durch innovative Ergänzungen in einem geänderten Kontext als bedeutsam erscheinen ließ.

Insgesamt bleibt zu konstatieren, dass die Vermittlung von Reise- wissen kein Anliegen der frühmittelalterlichen Kartographie und auch der frühmittelalterlichen Bildungsschriften darstellte. Ihr Ziel Urar die Abbildung resp. Beschreibung des spätantiken Kulturraumes im Kontext der Weltdeutung oder Welterläuterung. Demgegenüber lassen sich konkrete Reiseanleitungen, vergleichbar der antiken Iti- nerare, für die Zeit bis zum i i. Jh. nicht nachweisen. Erst danach, mit dem beginnenden i 1. Jh. lässt sich in verschiedenen Text- resp. Kar- tengattungen, sei es in der Enzyklopädie des Hugo von St Victor, der Cottonia oder dem Itinerar des Sigeric, eine allmähliche geänderte Haltung gegenüber dem persönlich erfahrbaren Lebensraum konsta- tieren, die diese Information, wahrscheinlich nicht zuletzt im Zusam- menhang mit der wachsenden Mobilität, als sinnvolle Ergänzung der althergebrachten Kenntnisse betrachtete. Dass man dennoch in den davor liegenden Jahrhunderten von einer intensiven Reisetätigkeit

"Fr. P. Magoun, An English Pilgrim-Diaryof the Iearggo, in Alediacval Studies, 2,1ggo, S. 231- 252. Er verlegt (S. 232) die Schrift an den Beginn des i i. Jh.; möglichený; eise vor 1016. Zu Sigerics Itinerar s. ferner K. Miller, Alappae nundi (1%ie Anm. 43), 3, S. 156-158.

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BRIGITTE E\GLISCII

auszugehen hat, machen die Reisewege von Herrschern und Missio-

naren deutlich, die sich aus den Urkunden, V iten und historiographi-

schen Zeugnissen der Epoche rekonstruieren lassen. Deren umfas-

sende Untersuchung scheint daher, will man etwas über Routenver-

läufe, Reiseverhalten und -geschuindigkeiten erfahren, unter einem

modifizierten methodischen Zugriff unumgänglich.

Brigitte ENGLISCH

Universität Paderborn b. englisch@uni-paderborn. de

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