Leser fragen Armutsforscher Professor Nasir El Bassam · 2013. 8. 19. · Montag, 5. August 2013...

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ANTWO R TEN Leser fragen Armutsforscher Professor Nasir El Bassam fragt Catarina Köchy aus Jerxheim, die Bezirksvertreterin der Landfrauen Braunschweig ist. fragt Jürgen Hirschfeld aus Seesen, Vorsitzender des Landvolks Region Braunschweig. „Wie können Frauen in Entwicklungsländern besser gefördert werden?“ „Wie schaffen wir es, dass der Nahrungsüberschuss weltweit besser verteilt wird?“ „Oft verhindern Großkonzerne nachhaltige Energiekonzepte. Was kann die Politik da tun?“ fragt Hans Coswin Clemen, der sich für die landlose Bevölkerung in Brasilien einsetzt. Redaktion: Herr Professor El Bass- am. Sie waren lange an der For- schungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig (FAL) beschäftigt und leiteten am Ende die Abteilung für Bioenergie und Biomasse. Was haben Landwirtschaft, unsere Energievorkommen und Hungers- not miteinander zu tun? Ich habe mehr als 30 Jahre an der FAL gearbeitet. 1998 hat mich die Uno beauftragt, neben der land- wirtschaftlichen Komponente auch die Nahrungs-, Wasser- und soziale Situation speziell in klei- nen Kommunen der Dritten Welt zu analysieren. Das führte zur Entwicklung des Konzeptes der „Integrierten Energiefarm“, IEF, um Nahrungsmittel und Energie in den ländlichen Räumen autark und nachhaltig zu produzieren. Daraus entstand die Notwendig- keit, eine Institution zur Durch- führung des Konzeptes zu grün- den, woraus das Internationale Forschungszentrum für Erneuer- bare Energien, IFEED, hervor- ging. Inzwischen wurden in meh- reren Ländern Planungen zu IEF durchgeführt. Inspiriert von die- sen Überlegungen entstand auch das Bioenergiedorf in Jühnde bei Göttingen. Catarina Köchy: Wie kann man die- se Konzepte auf Afrika oder Asien übertragen? Wir müssen aufhören zu glauben, dass wir den Menschen helfen, wenn wir ihnen nur die Nahrungs- mittel liefern, die ihnen fehlen. Das ist nur ein Teil. Armut ist der Auslöser für Hunger und nicht umgekehrt. Dafür brauchen wir nachhaltige Konzepte, die ganz- heitlich funktionieren, indem man die Gegebenheiten jedes Standor- tes analysiert und darauf das Kon- zept abstimmt. Dies sollte landwirtschaftliche, energetische, ökologische, ökono- mische, soziale und ethische Ziel- setzungen in einem vertretbaren Verhältnis berücksichtigen. Des- halb müssen wir bei unserer Hilfe die Art der Energieerzeugung den Eigenheiten der Länder anpassen. So hilft Solarenergie vielleicht in Afrika, in Südamerika ist der An- satz, über Biomasse Strom zu er- zeugen, viel naheliegender. Was überall gilt: Für jede Mahlzeit, die in der Welt gekocht wird, braucht man eine Energiequelle. Man braucht auch Licht, wenn man abends ein Buch lesen will, um sich weiterzubilden. Deshalb ist die Energiefrage für mich die wichtigste, um die Verhältnisse in der Welt zu verbessern. Catarina Köchy: Die Regierungen in der Welt vernachlässigen aus mei- ner Sicht die ländlichen Gebiete und hier besonders die Arbeit und Weiterbildung von Frauen. Wie kön- nen diese besser gefördert werden? Die Rolle der Frau ist nicht zu un- terschätzen. Oft tragen Frauen die Hauptlast, wenn es um die tägli- che Versorgung der Familie geht. Sie zu entlasten, ist deshalb es- senziell. 1,2 Milliarden Menschen haben weltweit keinen Zugang zu Elektrizität, und 2,8 Milliarden sind auf Holz oder andere Bio- masse angewiesen, um kochen und heizen zu können. Die Frauenministerin von Indien hat mir mal auf einer Tagung er- zählt, dass es dort Frauen gibt, die am Tag acht Stunden damit ver- bringen, Holz zu sammeln, um ei- ne einzige Mahlzeit anzurichten. Das ist zu lang. Deshalb ist unser Anliegen, dass über andere For- men der Energiegewinnung – bei- spielsweise über effiziente Solar- und Biomasse-Kocher – die Zeit verkürzt und die Gesundheit der Menschen verbessert wird. Denn leider ist es auch so, dass der Rauch bei der Holzverbrennung äußerst ungesund ist. Catarina Köchy: Warum ist das ein so langwieriger Prozess? Hätten Ih- re Forschungen nicht schon längst umgesetzt werden können? Es fehlt noch immer das Bewusst- sein, dass Energie, Nahrungsmit- tel, Wasser sowie das Klima eng miteinander verbunden sind. Iso- lierte Lösungen sind nur Kosme- tik. Mein Grundsatz lautet: Kein Brot ohne Demokratie und kein Brot ohne Energie. Da, wo keine Demokratie herrscht, herrscht in der Regel Hunger, siehe Nordko- rea. Auch in dem System der Ost- block-Staaten gab es einen Nah- rungsmangel, nicht in der Form wie heute in Afrika, aber es gab eben einen Mangel an bestimmten Lebensmitteln. In den Debatten wird immer ver- nachlässigt, dass es eine Verant- wortung der nationalen Regierun- gen gibt. Die Ursachen der Armut und des Hungers sind vor allem politischer, ökonomischer und struktureller Natur. Aber auch die Unfähigkeit einiger Machthaber, Prioritäten zu setzen sowie Kor- ruption, Kriege, Vertreibungen und mangelnde Ausbildung sind dafür verantwortlich. Jürgen Hirschfeld: Es gibt einen Wi- derspruch zwischen weltweiter Er- nährung und der Gewinnung von Energie durch Biomasse. Wir haben keinen Nahrungsmangel in der Welt. Im Gegenteil: Es gibt einen Überschuss. Aber wir bekommen es nicht hin, dass davon auch die Men- schen in Afrika profitieren. Was kann die Politik tun, damit wir von dieser Fehldiskussion wieder zu ei- ner wissenschaftlich fundierten De- batte kommen? Sie haben Recht. Die Nahrungs- mittelproduktion beträgt zurzeit 150 Prozent des Weltbedarfs, und trotzdem leiden 800 Millionen Menschen an Hunger, und täglich verhungern 30 000 Kinder. Aber der Film „Taste the Waste“ hat ja eindrucksvoll gezeigt, dass 50 Prozent der Lebensmittel in Europa am Ende auf der Müllhal- de liegen, oftmals originalver- packt. Das ist für mich die eigent- liche Sünde, die wir begehen, und nicht die Frage, ob wir über Bio- masse Energie erzeugen können. Zudem ist es erschreckend, wie sündhaft billig in Deutschland Nahrungsmittel angeboten wer- den. Man kann es den Menschen nicht verübeln, weil sie sparen wollen, um etwas zum Leben zu haben. Doch wenn wir den welt- weiten Hunger stoppen wollen, müssen wir bei uns anfangen. Erst denken, dann kaufen, dann essen. Redaktion: Jetzt sprechen wir aber über Missverhältnisse in Deutsch- land. Haben andere Länder nicht ganz andere Probleme? Natürlich. Aber wenn die Subven- tionen für Nahrungsmittel in den Industriestaaten laut OECD eine Milliarde Dollar pro Tag betragen, dann können sie die Produkte sehr preiswert absetzen. So lohnt es sich auch nicht, beispielsweise Tomaten aus Afrika zu kaufen, sondern da wird die subventio- nierte Tomate aus Holland be- stellt. Das ist doch die Misere der armen Länder, dass sie ihre Pro- dukte nicht exportieren können und auf ihnen sitzenbleiben. Ganz schlimm finde ich die Spe- kulationen an den Börsen. Da sit- zen die Banker in ihren klimati- sierten Räumen und bestimmen die Nahrungsmittelpreise. An die- sem Punkt werden die Debatte über Lebensmittel und die Hilfe für die Dritte Welt scheinheilig. Hans Coswig Clemen: Die landlose Bevölkerung in Brasilien versucht gewaltfrei, sich dort wieder anzu- siedeln, von wo sie einst vertrieben wurde. Bei der Frage der Energiege- winnung ist es aber doch oft so, dass, sobald etwas funktioniert, große Firmen das Projekt mit Hilfe der Politik an sich reißen. Wie kann das verhindert werden? Oft fehlt es in diesen Ländern an Organisationsgrad, dem Zusam- menschluss in Vereinen oder Ge- nossenschaften. Was hier in Deutschland geht – mit drei Per- sonen kann man einen Verein gründen – funktioniert woanders nicht. Die Leute müssen sich zu- sammentun, denn als Einzelner ist man verloren. Man braucht auch die Solidarität von Vereinen aus Ländern, die diese Infrastruktur bereits besitzen. Und man darf sich nicht nur an Gewinnmaximie- rung orientieren. Hans Coswig Clemen: Wie könnte die Hilfe konkret aussehen? Oft mangelt es nicht an Land oder Wasser in diesen Ländern. Länder wie China oder Saudi-Arabien ha- ben in Afrika Millionen von Hek- tar gepachtet, um vom Ausland aus ihre eigene Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Es geht, weil sie Kapital haben und Energie einsetzen können. Und ich frage mich, warum die Entwick- lungshilfe in Deutschland nicht in diese Richtung geht. Das Ministe- rium pachtet in einem Dorf ein Stück Land, setzt das Konzept der Integrierten Energiefarmen um und versetzt die Menschen in die Lage, sich vor Ort selbst zu versorgen und Verdienstmöglich- keiten zu schaffen. Jürgen Hirschfeld: Ich bin da ande- rer Meinung: Wir können nicht un- sere Technik auf die Dritte Welt übertragen. Wir müssen die Ver- hältnisse berücksichtigen, sonst bauen wir an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. Die Technik muss den Verhältnis- sen angepasst sein. Das stimmt. Dennoch dürfen wir nicht auf den Einsatz von Technologien, die die Nachhaltigkeit fördern, verzich- ten. Wie kann man nur glauben, dass wir den Afrikanern helfen, in- dem wir ihnen Spaten schicken, um ihre Felder zu beackern. Leider steht man bei der Entwick- lungshilfe oft auf verlorenem Pos- ten. Nicht, weil keiner helfen will. Ganz im Gegenteil. Es wurden jüngst in Deutschland 50 Fahrrä- der für Ghana gespendet. Ein Ver- ein setzte sich dafür ein. Am Ende standen sie über Monate am Flug- hafen, weil die dortigen Behörden Zoll dafür verlangten. Einfach nur zu helfen, ist manchmal gar nicht so einfach. Unseren Lesern erklärte der gebürtige Iraker, warum weltweite Hungersnot und Energiegewinnung zusammengehören. „Auch jede warme Mahlzeit kostet Energie“ Jahrgang 1938, geboren in Bas- ra (Irak), Studium und Promotion an der Universität Bonn. Von 1971 bis 2003 in der Bun- desforschungsanstalt für Land- wirtschaft Braunschweig tätig. Seit 1999 ehrenamtlicher Leiter des Internationalen Forschungs- zentrums für Erneuerbare Ener- gien (IFEED). Nasir El Bassam organisiert am 6. und 7. September 2013 die in- ternationale Tagung „Nachhalti- ge Landwirtschaft für Nahrungs- mittel, Energie und Industrie“ im Bürgerzentrum in Vechelde. NASIR EL BASSAM Professor Nasir El Bassam „Mein Grundsatz lautet: Kein Brot ohne Demokratie und kein Brot ohne Energie.“ Redaktion: Dirk Breyvogel Fotos: Rudolf Flentje Nasir El Bassam leitet das Internationale Forschungszentrum für erneuerbare Energien (IFEED). Montag, 5. August 2013 03

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ANTWORTEN

Leser fragen Armutsforscher Professor Nasir El Bassam

fragt Catarina Köchy aus Jerxheim, dieBezirksvertreterin der Landfrauen Braunschweig ist.

fragt Jürgen Hirschfeld aus Seesen,Vorsitzender des Landvolks Region Braunschweig.

„Wie können Frauen inEntwicklungsländernbesser gefördert werden?“

„Wie schaffen wir es, dass derNahrungsüberschuss weltweitbesser verteilt wird?“

„Oft verhindern Großkonzernenachhaltige Energiekonzepte.Was kann die Politik da tun?“

fragt Hans Coswin Clemen, der sich fürdie landlose Bevölkerung in Brasilien einsetzt.

Redaktion: Herr Professor El Bass-am. Sie waren lange an der For-schungsanstalt für Landwirtschaftin Braunschweig (FAL) beschäftigtund leiteten am Ende die Abteilungfür Bioenergie und Biomasse. Washaben Landwirtschaft, unsereEnergievorkommen und Hungers-not miteinander zu tun? Ich habe mehr als 30 Jahre an derFAL gearbeitet. 1998 hat mich dieUno beauftragt, neben der land-wirtschaftlichen Komponenteauch die Nahrungs-, Wasser- undsoziale Situation speziell in klei-nen Kommunen der Dritten Weltzu analysieren. Das führte zurEntwicklung des Konzeptes der„Integrierten Energiefarm“, IEF,um Nahrungsmittel und Energie inden ländlichen Räumen autarkund nachhaltig zu produzieren.Daraus entstand die Notwendig-keit, eine Institution zur Durch-führung des Konzeptes zu grün-den, woraus das InternationaleForschungszentrum für Erneuer-bare Energien, IFEED, hervor-ging. Inzwischen wurden in meh-reren Ländern Planungen zu IEFdurchgeführt. Inspiriert von die-sen Überlegungen entstand auchdas Bioenergiedorf in Jühnde beiGöttingen.

Catarina Köchy: Wie kann man die-se Konzepte auf Afrika oder Asienübertragen?

Wir müssen aufhören zu glauben,dass wir den Menschen helfen,wenn wir ihnen nur die Nahrungs-mittel liefern, die ihnen fehlen.Das ist nur ein Teil. Armut ist derAuslöser für Hunger und nichtumgekehrt. Dafür brauchen wirnachhaltige Konzepte, die ganz-heitlich funktionieren, indem mandie Gegebenheiten jedes Standor-tes analysiert und darauf das Kon-zept abstimmt.Dies sollte landwirtschaftliche,energetische, ökologische, ökono-mische, soziale und ethische Ziel-setzungen in einem vertretbarenVerhältnis berücksichtigen. Des-halb müssen wir bei unserer Hilfedie Art der Energieerzeugung denEigenheiten der Länder anpassen.So hilft Solarenergie vielleicht inAfrika, in Südamerika ist der An-satz, über Biomasse Strom zu er-zeugen, viel naheliegender. Was

überall gilt: Für jede Mahlzeit, diein der Welt gekocht wird, brauchtman eine Energiequelle. Manbraucht auch Licht, wenn manabends ein Buch lesen will, umsich weiterzubilden. Deshalb istdie Energiefrage für mich diewichtigste, um die Verhältnisse inder Welt zu verbessern.

Catarina Köchy: Die Regierungen inder Welt vernachlässigen aus mei-ner Sicht die ländlichen Gebieteund hier besonders die Arbeit undWeiterbildung von Frauen. Wie kön-nen diese besser gefördert werden? Die Rolle der Frau ist nicht zu un-terschätzen. Oft tragen Frauen dieHauptlast, wenn es um die tägli-che Versorgung der Familie geht.Sie zu entlasten, ist deshalb es-senziell. 1,2 Milliarden Menschenhaben weltweit keinen Zugang zuElektrizität, und 2,8 Milliardensind auf Holz oder andere Bio-masse angewiesen, um kochen undheizen zu können.Die Frauenministerin von Indienhat mir mal auf einer Tagung er-zählt, dass es dort Frauen gibt, dieam Tag acht Stunden damit ver-bringen, Holz zu sammeln, um ei-ne einzige Mahlzeit anzurichten.Das ist zu lang. Deshalb ist unserAnliegen, dass über andere For-men der Energiegewinnung – bei-spielsweise über effiziente Solar-und Biomasse-Kocher – die Zeitverkürzt und die Gesundheit derMenschen verbessert wird. Dennleider ist es auch so, dass derRauch bei der Holzverbrennungäußerst ungesund ist.

Catarina Köchy: Warum ist das einso langwieriger Prozess? Hätten Ih-re Forschungen nicht schon längstumgesetzt werden können?

Es fehlt noch immer das Bewusst-sein, dass Energie, Nahrungsmit-tel, Wasser sowie das Klima engmiteinander verbunden sind. Iso-lierte Lösungen sind nur Kosme-tik. Mein Grundsatz lautet: KeinBrot ohne Demokratie und keinBrot ohne Energie. Da, wo keineDemokratie herrscht, herrscht inder Regel Hunger, siehe Nordko-rea. Auch in dem System der Ost-block-Staaten gab es einen Nah-rungsmangel, nicht in der Formwie heute in Afrika, aber es gabeben einen Mangel an bestimmtenLebensmitteln.In den Debatten wird immer ver-nachlässigt, dass es eine Verant-wortung der nationalen Regierun-gen gibt. Die Ursachen der Armutund des Hungers sind vor allempolitischer, ökonomischer undstruktureller Natur. Aber auch dieUnfähigkeit einiger Machthaber,Prioritäten zu setzen sowie Kor-ruption, Kriege, Vertreibungenund mangelnde Ausbildung sinddafür verantwortlich.

Jürgen Hirschfeld: Es gibt einen Wi-derspruch zwischen weltweiter Er-nährung und der Gewinnung vonEnergie durch Biomasse. Wir haben

keinen Nahrungsmangel in derWelt. Im Gegenteil: Es gibt einenÜberschuss. Aber wir bekommen esnicht hin, dass davon auch die Men-schen in Afrika profitieren. Waskann die Politik tun, damit wir vondieser Fehldiskussion wieder zu ei-ner wissenschaftlich fundierten De-batte kommen? Sie haben Recht. Die Nahrungs-mittelproduktion beträgt zurzeit150 Prozent des Weltbedarfs, undtrotzdem leiden 800 MillionenMenschen an Hunger, und täglichverhungern 30 000 Kinder. Aberder Film „Taste the Waste“ hat jaeindrucksvoll gezeigt, dass50 Prozent der Lebensmittel inEuropa am Ende auf der Müllhal-de liegen, oftmals originalver-

packt. Das ist für mich die eigent-liche Sünde, die wir begehen, undnicht die Frage, ob wir über Bio-masse Energie erzeugen können.Zudem ist es erschreckend, wiesündhaft billig in DeutschlandNahrungsmittel angeboten wer-den. Man kann es den Menschennicht verübeln, weil sie sparenwollen, um etwas zum Leben zuhaben. Doch wenn wir den welt-weiten Hunger stoppen wollen,müssen wir bei uns anfangen. Erstdenken, dann kaufen, dann essen.

Redaktion: Jetzt sprechen wir aberüber Missverhältnisse in Deutsch-land. Haben andere Länder nichtganz andere Probleme? Natürlich. Aber wenn die Subven-

tionen für Nahrungsmittel in denIndustriestaaten laut OECD eineMilliarde Dollar pro Tag betragen,dann können sie die Produkte sehrpreiswert absetzen. So lohnt essich auch nicht, beispielsweiseTomaten aus Afrika zu kaufen,sondern da wird die subventio-nierte Tomate aus Holland be-stellt. Das ist doch die Misere derarmen Länder, dass sie ihre Pro-dukte nicht exportieren könnenund auf ihnen sitzenbleiben.Ganz schlimm finde ich die Spe-kulationen an den Börsen. Da sit-zen die Banker in ihren klimati-sierten Räumen und bestimmendie Nahrungsmittelpreise. An die-sem Punkt werden die Debatteüber Lebensmittel und die Hilfefür die Dritte Welt scheinheilig.

Hans Coswig Clemen: Die landloseBevölkerung in Brasilien versuchtgewaltfrei, sich dort wieder anzu-siedeln, von wo sie einst vertriebenwurde. Bei der Frage der Energiege-winnung ist es aber doch oft so,dass, sobald etwas funktioniert,große Firmen das Projekt mit Hilfeder Politik an sich reißen. Wie kanndas verhindert werden? Oft fehlt es in diesen Ländern anOrganisationsgrad, dem Zusam-menschluss in Vereinen oder Ge-nossenschaften. Was hier inDeutschland geht – mit drei Per-sonen kann man einen Vereingründen – funktioniert woandersnicht. Die Leute müssen sich zu-sammentun, denn als Einzelner istman verloren. Man braucht auchdie Solidarität von Vereinen ausLändern, die diese Infrastrukturbereits besitzen. Und man darfsich nicht nur an Gewinnmaximie-rung orientieren.

Hans Coswig Clemen: Wie könntedie Hilfe konkret aussehen? Oft mangelt es nicht an Land oderWasser in diesen Ländern. Länderwie China oder Saudi-Arabien ha-ben in Afrika Millionen von Hek-tar gepachtet, um vom Auslandaus ihre eigene Bevölkerung mitNahrungsmitteln zu versorgen. Esgeht, weil sie Kapital haben undEnergie einsetzen können. Und ichfrage mich, warum die Entwick-lungshilfe in Deutschland nicht indiese Richtung geht. Das Ministe-rium pachtet in einem Dorf einStück Land, setzt das Konzeptder Integrierten Energiefarmenum und versetzt die Menschen indie Lage, sich vor Ort selbst zuversorgen und Verdienstmöglich-keiten zu schaffen.

Jürgen Hirschfeld: Ich bin da ande-rer Meinung: Wir können nicht un-sere Technik auf die Dritte Weltübertragen. Wir müssen die Ver-hältnisse berücksichtigen, sonstbauen wir an den Bedürfnissen derBevölkerung vorbei. Die Technik muss den Verhältnis-sen angepasst sein. Das stimmt.Dennoch dürfen wir nicht auf denEinsatz von Technologien, die dieNachhaltigkeit fördern, verzich-ten. Wie kann man nur glauben,dass wir den Afrikanern helfen, in-dem wir ihnen Spaten schicken,um ihre Felder zu beackern.Leider steht man bei der Entwick-lungshilfe oft auf verlorenem Pos-ten. Nicht, weil keiner helfen will.Ganz im Gegenteil. Es wurdenjüngst in Deutschland 50 Fahrrä-der für Ghana gespendet. Ein Ver-ein setzte sich dafür ein. Am Endestanden sie über Monate am Flug-hafen, weil die dortigen BehördenZoll dafür verlangten. Einfach nurzu helfen, ist manchmal gar nichtso einfach.

Unseren Lesern erklärte der gebürtige Iraker, warum weltweite Hungersnot und Energiegewinnung zusammengehören.

„Auch jede warme Mahlzeit kostet Energie“

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Jahrgang 1938, geboren in Bas-ra (Irak), Studium und Promotionan der Universität Bonn.

Von 1971 bis 2003 in der Bun-desforschungsanstalt für Land-

wirtschaft Braunschweig tätig.

Seit 1999 ehrenamtlicher Leiterdes Internationalen Forschungs-zentrums für Erneuerbare Ener-gien (IFEED).

Nasir El Bassam organisiert am6. und 7. September 2013 die in-ternationale Tagung „Nachhalti-ge Landwirtschaft für Nahrungs-mittel, Energie und Industrie“ imBürgerzentrum in Vechelde.

NASIR EL BASSAM

Professor Nasir El Bassam

„Mein Grundsatz lautet:Kein Brot ohneDemokratie und keinBrot ohne Energie.“

Redaktion: Dirk BreyvogelFotos: Rudolf Flentje

Nasir El Bassam leitet das Internationale Forschungszentrum für erneuerbare Energien (IFEED).

Montag, 5. August 2013 03