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Aktuelles Life & Law kompakt hemmer! Life&Law 05/2015 365 Life &Law kompakt Examensreport Bayern, Termin 2015-I Hinweis : Die nachfolgenden Übersichten sind keine Musterlösungen. Insbesondere ist der hier teilweise verwendete Urteilsstil im ersten Examen nicht vertretbar und allein der knapperen Darstellung in der Life & Law geschuldet. Die Lösungshinweise sollen nur zur besseren Orientierung in Ihrer Examensvorbereitung dienen. Nur wer die Anforderungen des Examens kennt, lernt richtig. A) Zivilrecht Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends : BGB-AT Schuldrecht (Kauf- /Mietrecht, Bürg- schaft) Sachenrecht und ZPO kein Gesellschaftsrecht / kein Arbeits- recht Klausur Nr. 1 Problemstellung : fehlendes Erklärungsbewusstsein; Anfechtung; Verbraucherdarlehen; Widerruf; Verzug; Gesamtfälligstellung; Einwendungsdurchgriff beim verbundenen Geschäft Sachverhalt Teil I : D bittet seinen Freund B darum, bei A ein bereits von D gekauftes Auto für ihn abzu- holen und bei A die an ihn erfolgte Übergabe zu quittieren. D werde A auch noch Bescheid sagen. Dem A erzählt D jedoch, dass B den - lediglich erst reservierten - Pkw selbst erwerben und den Kaufpreis durch die K-Bank AG (K) finanzieren lassen möchte, mit welcher A in ständigem Kontakt steht und zum Ab- schluss von Darlehensverträgen bevollmächtigt ist. D und A fügen alle relevanten Daten des B in das Kauf- und Darlehensformular, das allen gesetzlichen Vorgaben genügt, ein. Der Kaufpreis von 10.000,- soll von K an A ausgezahlt und von B in 36 Monatsraten zu 300,- (insgesamt 10.800,- ) ab dem 01.03.2010 zum jeweils Monatsersten an K gezahlt werden. Der ahnungslose B holt den Pkw ab, unterschreibt sämtliche von A gegengezeichnete Formulare, ohne diese vorher durchzulesen. A ist verwundert und fragt B, ob er nicht die Formulare vorher lesen wolle. B meint, dies sei nicht nötig, sein Freund D habe das doch alles schon geprüft. Daraufhin übergibt A den Pkw samt Schlüssel, Papieren und Vertragsformularen. Den Pkw stellt B vor der Wohnung des D ab und wirft Schlüssel, Papiere und Vertragsformulare in dessen Briefkasten. Erst im Juni 2010 stellt B fest, dass von seinem Konto die Raten eingezogen werden. Er beschwert sich bei seiner Bank. Die Abbuchungen werden daraufhin am 21.06.2010 rückgängig gemacht. Nachdem meh- rere Raten und insgesamt über 1.000,- des Darlehens nicht gezahlt wurden, setzt K dem B in einem Schreiben eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrags und droht die Gesamtfälligstel- lung des Darlehens an. Nach Ablauf der Frist kündigt K das Darlehen gegenüber B wegen Zahlungsver- zugs und verlangt Bezahlung von 10.000,- für das Darlehen und 800,- für entgangene Zinsen. Weder das erste noch das zweite Schreiben erreichen jedoch B, weil K versehentlich die Briefe an eine falsche Adresse geschickt hat. Am 24.08.2014 wird dem B dann ein Mahnbescheid über 10.800,- zugeschickt. B legt Widerspruch ein, woraufhin das Verfahren an das örtlich zuständige Landgericht abgegeben wird. Die Anspruchsbegrün- dung erreicht B am 18.09.2014. B sucht Rechtsanwältin R auf, die der Ansicht ist, die Sache habe keine Eile. Nach zweimalig von R beantragter Fristverlängerung reicht R erst Mitte Dezember 2014 die Klage- erwiderung (zugestellt am 18.12.2014) ein, in welcher erklärt wird, dass der Vertrag nicht gelten solle. Hilfsweise werde Verjährung geltend gemacht. Der Anwalt der K entgegnet, dass bei Verbraucherdarle- hensverträgen der Verzug den Eintritt der Verjährung hemmen würde.

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Aktuelles Life & Law kompakt

hemmer! Life&Law 05/2015 365

Life & Law kompakt

Examensreport Bayern, Termin 2015-I

Hinweis: Die nachfolgenden Übersichten sind keine Musterlösungen. Insbesondere ist der hier teilweise verwendete Urteilsstil im ersten Examen nicht vertretbar und allein der knapperen Darstellung in der Life & Law geschuldet. Die Lösungshinweise sollen nur zur besseren Orientierung in Ihrer Examensvorbereitung dienen. Nur wer die Anforderungen des Examens kennt, lernt richtig.

A) Zivilrecht

Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends: BGB-AT Schuldrecht (Kauf- /Mietrecht, Bürg-schaft) Sachenrecht und ZPO kein Gesellschaftsrecht / kein Arbeits-recht

Klausur Nr. 1

Problemstellung: fehlendes Erklärungsbewusstsein; Anfechtung; Verbraucherdarlehen; Widerruf; Verzug; Gesamtfälligstellung; Einwendungsdurchgriff beim verbundenen Geschäft

Sachverhalt Teil I: D bittet seinen Freund B darum, bei A ein bereits von D gekauftes Auto für ihn abzu-holen und bei A die an ihn erfolgte Übergabe zu quittieren. D werde A auch noch Bescheid sagen. Dem A erzählt D jedoch, dass B den - lediglich erst reservierten - Pkw selbst erwerben und den Kaufpreis durch die K-Bank AG (K) finanzieren lassen möchte, mit welcher A in ständigem Kontakt steht und zum Ab-schluss von Darlehensverträgen bevollmächtigt ist. D und A fügen alle relevanten Daten des B in das Kauf- und Darlehensformular, das allen gesetzlichen Vorgaben genügt, ein. Der Kaufpreis von 10.000,- € soll von K an A ausgezahlt und von B in 36 Monatsraten zu 300,- € (insgesamt 10.800,- €) ab dem 01.03.2010 zum jeweils Monatsersten an K gezahlt werden. Der ahnungslose B holt den Pkw ab, unterschreibt sämtliche von A gegengezeichnete Formulare, ohne

diese vorher durchzulesen. A ist verwundert und fragt B, ob er nicht die Formulare vorher lesen wolle. B meint, dies sei nicht nötig, sein Freund D habe das doch alles schon geprüft. Daraufhin übergibt A den Pkw samt Schlüssel, Papieren und Vertragsformularen. Den Pkw stellt B vor der Wohnung des D ab und wirft Schlüssel, Papiere und Vertragsformulare in dessen Briefkasten. Erst im Juni 2010 stellt B fest, dass von seinem Konto die Raten eingezogen werden. Er beschwert sich

bei seiner Bank. Die Abbuchungen werden daraufhin am 21.06.2010 rückgängig gemacht. Nachdem meh-rere Raten und insgesamt über 1.000,- € des Darlehens nicht gezahlt wurden, setzt K dem B in einem Schreiben eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrags und droht die Gesamtfälligstel-lung des Darlehens an. Nach Ablauf der Frist kündigt K das Darlehen gegenüber B wegen Zahlungsver-zugs und verlangt Bezahlung von 10.000,- € für das Darlehen und 800,- € für entgangene Zinsen. Weder das erste noch das zweite Schreiben erreichen jedoch B, weil K versehentlich die Briefe an eine falsche Adresse geschickt hat. Am 24.08.2014 wird dem B dann ein Mahnbescheid über 10.800,- € zugeschickt. B legt Widerspruch ein,

woraufhin das Verfahren an das örtlich zuständige Landgericht abgegeben wird. Die Anspruchsbegrün-dung erreicht B am 18.09.2014. B sucht Rechtsanwältin R auf, die der Ansicht ist, die Sache habe keine Eile. Nach zweimalig von R beantragter Fristverlängerung reicht R erst Mitte Dezember 2014 die Klage-erwiderung (zugestellt am 18.12.2014) ein, in welcher erklärt wird, dass der Vertrag nicht gelten solle. Hilfsweise werde Verjährung geltend gemacht. Der Anwalt der K entgegnet, dass bei Verbraucherdarle-hensverträgen der Verzug den Eintritt der Verjährung hemmen würde.

Life & Law kompakt Aktuelles

366 hemmer! Life&Law 05/2015

Sachverhalt Teil II (Abwandlung): Im Herbst 2014 meldet sich D bei B, entschuldigt sich und erzählt, dass er aufgrund eines anfänglichen nicht erkennbaren Defekts an der Vorderachse einen Unfall erlitten habe, bei welchem der Wagen völlig zerstört wurde. B beruft sich hierauf im Prozess mit K.

Teil I: Frage 1: Wird das Landgericht B zur Zahlung von 10.800,- € verurteilen? Die Zulässigkeit der Klage sowie die gesetzlichen Voraussetzungen des Mahnverfahrens sind nicht zu prüfen!

Frage 2: Könnte K Verzugszinsen aus den Darlehenszinsen (800,- €) verlangen, wenn die Verzugsvoraussetzungen vorliegen?

Teil II: Kann K unter diesen Umständen ihren Zahlungsanspruch durchsetzen?

Hinweis: Unabhängig von Übergangsvorschriften ist das geltende Recht anzuwenden. §§ 491a, 498 S. 2 BGB bleiben bei der Bearbeitung außer Betracht!

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Teil I:

Frage 1: Wird das Landgericht B zur Zahlung vom 10.800,- € verurteilen? Die Zulässigkeit der Kla-ge sowie die gesetzlichen Voraussetzungen des Mahnverfahrens sind nicht zu prüfen.

Das LG wird B zur Zahlung verurteilen, wenn die zulässige Klage der K begründet ist.

A) Anspruch auf Darlehensrückzahlung inklusive Zinsen gem. § 488 I S. 2 BGB i.H.v. 10.800,- €

I. Wirksamer Darlehensvertragsabschluss

1. Es müsste ein wirksames Angebot seitens der gem. § 1 I AktG rechtsfähigen K vorliegen. Das Angebot hat K, wirksam vertreten durch A, abgegeben (§ 164 I BGB).

2. Fraglich ist die Annahme durch B.

Problematisch ist, ob seiner Erklärung die Bedeutung einer Willenserklärung zukommt. Beim Unterzeich-nen des vermeintlichen Übergabeprotokolls wollte B lediglich eine Tatsachenerklärung abgeben, aber keine Rechtsfolge herbeiführen. B fehlte somit das aktuelle Erklärungsbewusstsein und damit subjektiv der Wille zur Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Erklärung. Für die Annahme einer Willenserklärung spricht aber der Umstand, dass das BGB das Vertrauen des Erklärungsempfängers schützt (vgl. z.B. §§ 116 S. 1, 157 BGB). Daher ist es überzeugend, das Verhalten als Willenserklärung zumindest dann zuzurechnen, wenn der Erklärende hätte erkennen können, dass er eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt (sog. potenzielles Erklärungsbewusstsein bzw. Erklärungsfahrlässigkeit) und der Empfänger schutzwürdig war (Gedanke des § 116 S. 2 BGB).

Da B beim Durchlesen hätte erkennen können, dass er nicht nur die Übergabe quittiert und K auch gut-gläubig war (vgl. § 166 I BGB), lag ein wirksamer Vertragsschluss vor.

II. Keine Formnichtigkeit, § 125 S. 1 BGB

K hat als Kaufmann kraft Rechtsform (§ 3 AktG, § 6 HGB) und damit als Unternehmer i.S.d. § 14 BGB dem Verbraucher B (§ 13 BGB) ein verzinsliches Darlehen gewährt. Dieser sog. Verbraucherdarlehens-vertrag i.S.d. § 491 I BGB bedurfte der qualifizierten Schriftform des § 492 BGB, deren Einhaltung auf-grund der Sachverhaltsangaben zu bejahen war.

III. Nichtigkeit infolge Anfechtung, § 142 I BGB?

1. B könnte sich möglicherweise durch Anfechtung rückwirkend (§ 142 I BGB) von den Rechtsfolgen sei-ner Erklärung befreien, wenn er aufgrund fehlenden Erklärungsbewusstseins nach § 119 I BGB anfechten könnte (die Arglistanfechtung scheitert an § 123 II S. 1 BGB). Zwar regelt § 119 I BGB den Fall des Irr-tums bei fehlendem Geschäftswillen. Die Norm setzt also voraus, dass der Erklärende rechtsgeschäftlich handeln wollte. Dennoch muss § 119 I BGB bei fehlendem Erklärungsbewusstsein erst recht gelten, da dem Erklärenden in diesem Fall noch mehr fehlt als der konkrete Geschäftswille. B wollte eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben, sondern lediglich die Übergabe quittieren. Ob der Fall des feh-lenden Erklärungsbewusstseins als ein dem Fall des Erklärungsirrtums oder des Inhaltsirrtums vergleich-

Aktuelles Life & Law kompakt

hemmer! Life&Law 05/2015 367

barer Irrtum eingestuft wird, kann dabei im Ergebnis dahinstehen, da die analoge Anwendung des § 119 I BGB a maiore ad minus auf jeden Fall zu bejahen ist.

2. B wurde durch seine Rechtsanwältin R bei der Abgabe der Anfechtungserklärung wirksam vertreten, §§ 143, 164 BGB. R erklärte, der Vertrag solle nicht gelten. Ob dadurch gem. § 133 BGB i.V.m. § 157 BGB analog (analog, da die Anfechtung kein Vertrag ist) deutlich wurde, dass dies aufgrund eines Wil-lensmangels geschah, ist fraglich. Jedenfalls bei einer Anwältin ist ein substantiierteres Vorbringen zu fordern.

3. Letztlich kann dies aber im Ergebnis dahinstehen, da die Anfechtungsfrist des § 121 I S. 1 BGB längst verstrichen war. Grds. beträgt die Anfechtungsfrist zehn Jahre, § 121 II BGB. Ab Kenntnis vom Irrtum muss aber die Erklärung gem. § 121 I S. 1 BGB unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, er-folgen. Die Kenntnis vom Anfechtungsgrund hatte B spätestens mit der Zustellung der Klageschrift am 18.09.2014. Die in der am 18.12.2014 zugestellten Klageerwiderung erstmals enthaltende Erklärung, dass der Vertrag nicht gelten solle, erfolgte damit drei Monate nach Kenntnis vom Irrtum und war daher jeden-falls verfristet.

IV. Kein Erlöschen des Anspruches durch Widerruf gem. § 355 I S. 1 BGB

Die Erklärung der R könnte auch als Widerruf gem. § 495 BGB i.V.m. § 355 I S. 1 BGB ausgelegt werden. Die vierzehntägige Widerrufsfrist (vgl. § 355 II S. 1 BGB), die entgegen § 355 II S. 2 BGB nicht mit Ver-tragsschluss, sondern erst mit Erfüllung der Informationspflichten nach §§ 356b II S. 1, 492 II BGB, Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB begann, war vorliegend schon längst abgelaufen, da diese Pflichtangaben laut Sachverhalt im Vertrag enthalten waren. Damit war auch ein etwaiger Widerruf verfristet.

V. Fälligkeit des Rückzahlungsanspruches

1. B schuldete die Rückzahlung des Darlehens in 36 Raten beginnend ab dem 01.03.2010.

2. Allerdings könnte der gesamte Darlehensbetrag aufgrund der am 15.12.2010 abgesendeten Gesamtfäl-ligstellung des Darlehens, also der außerordentlichen Kündigung gem. § 498 BGB (lex specialis zu § 490 BGB), bereits vorzeitig fällig geworden sein.

a) Nach § 498 S. 1 Nr. 1 BGB müsste B mit mindestens zwei aufeinander folgenden Raten und 10 % des Nennbetrags des Darlehens in Verzug gewesen sein. Da für die Fälligkeit der Raten eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war („jeweils zum Monatsersten“), kam B ohne Mahnung in Verzug. Da B auch mit mehreren Raten über 1.000,- € im Verzug war, lagen die Voraussetzungen des § 498 S. 1 Nr. 1 BGB vor.

b) Allerdings hat B die von K gesetzte zweiwöchige Frist zur Zahlung des Fehlbetrags mit Androhung der Gesamtfälligstellung (§ 498 S. 1 Nr. 2 BGB) nicht erreicht. Als geschäftsähnliche Handlung wird diese analog § 130 I S. 1 BGB aber erst mit dem Zugang wirksam, an welchem es aufgrund der Falschadressie-rung aber gefehlt hat.

c) Außerdem ging dem B aufgrund der Falschadressierung auch die erklärte außerordentliche Kündigung nicht wirksam zu, sodass auch die Kündigung nicht wirksam war, § 130 I S. 1 BGB (direkt).

3. Die Unwirksamkeit der Gesamtfälligstellung ändert aber nichts an der Fälligkeit der Raten, da der Ra-tenzahlungsplan am 01.03.2010 begann und mit Ablauf des 01.02.2013 die 36 Monate verstrichen sind, sodass jede einzelne Rate fällig war.

VI. Auch keine (teilweise) Einrede der Verjährung, § 214 I BGB

1. Die von R als Vertreterin des B erhobene Verjährungseinrede könnte aufgrund der Unwirksamkeit der Gesamtfälligstellung und der damit erst ab 01.03.2010 monatlichen Fälligkeit lediglich für die im Jahre 2010 fällig gewordenen Raten von März bis Dezember 2010 in Betracht kommen. Nur diese wären am 01.01.2014 verjährt, vgl. §§ 195, 199 I BGB.

2. Für die ab 01.01.2011 fällig gewordenen Raten wurde die Verjährung rechtzeitig durch Zustellung des Mahnbescheids gehemmt, § 204 I Nr. 3 BGB.

3. Aber auch die im Jahr 2010 fällig gewordenen Raten sind nicht verjährt, da B im Schuldnerverzug war (s.o.) und damit gem. § 497 III S. 3 BGB die Verjährung gehemmt war.

B) Ergebnis: K kann von B Rückzahlung des Darlehens inkl. Zinsen gem. § 488 I S. 2 BGB verlangen.

Frage 2: Könnte K Verzugszinsen aus den Darlehenszinsen (800,- €) verlangen, wenn die Voraus-setzungen vorliegen?

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368 hemmer! Life&Law 05/2015

Gem. § 289 BGB besteht grundsätzlich ein sog. Zinseszinsverbot.

Da der Darlehenszins neben den Tilgungsraten allerdings Teil der Gegenleistung ist, macht § 497 I S. 1 BGB davon eine Ausnahme, da danach für sämtliche aufgrund des Verbraucherdarlehensvertrags ge-schuldeten Zahlungen Verzugszinsen zu zahlen sind, § 288 I BGB. Dazu gehören neben Tilgungsraten und Kosten nach allgemeiner Meinung auch die vereinbarten Darlehenszinsen. K könnte daher Verzugs-zinsen aus den Darlehenszinsen verlangen!

Teil II: Kann K unter diesen Umständen ihren Zahlungsanspruch durchsetzen?

A) Einwendungsdurchgriff gem. § 359 S. 1 BGB i.V.m. § 438 IV S. 2 BGB

I. Der Anspruch der K ist grds. entstanden (vgl. Teil 1, Frage 1).

II. Allerdings könnte B gem. § 359 S. 1 BGB berechtigt sein, die Rückzahlung des Darlehens zu verwei-gern, soweit er einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen hätte, der mit dem Darlehensvertrag verbunden wäre (§ 358 III BGB) und dem B „Einwendungen“ gegen den Kaufpreisanspruch zugestanden hätten, wenn dieser nicht durch K finanziert worden wäre.

1. Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen B und A ist zustande gekommen, da das fehlende Erklärungsbe-wusstsein des B zu seinen Lasten geht und eine Anfechtung aufgrund Verfristung nicht mehr in Betracht kommt (s.o.).

2. Verbundenes Geschäft, § 358 III BGB

Der Kaufvertrag bildet mit dem Verbraucherdarlehen ein verbundenes Geschäft i.S.d. § 358 III BGB, weil das Darlehen der Finanzierung des Kaufvertrags dient (S. 1) und beide Verträge eine wirtschaftliche Ein-heit bilden, da sich die K bei der Vorbereitung und beim Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags der Mitwirkung des A bediente (S. 2).

3. Bestehen einer „Einwendung“ gegen den Kaufpreiszahlungsanspruch

Da der Kaufpreis durch die K bereits bezahlt wurde, steht B gegen den Kaufpreisanspruch keine Verteidi-gungsmöglichkeit mehr zu. Beim verbundenen Geschäft ist der Verbraucher aber so zu stellen, als wenn er nur den Kaufvertrag geschlossen hätte und der Kaufpreis noch nicht bezahlt worden wäre. Fraglich ist, ob für diesen Fall B zur Kaufpreiszahlung berechtigt wäre.

a) Kein Erlöschen des Kaufpreisanspruches, § 326 I S. 2 BGB

Da der gekaufte Pkw mangelhaft war (§ 434 I S. 2 Nr. 2 BGB) und inzwischen völlig zerstört ist, könnte man über die Unmöglichkeit der Nacherfüllung nachdenken, § 275 I BGB. Allerdings käme eine Nachliefe-rung in Betracht, die bei gebrauchten Sachen dann nicht ausgeschlossen ist, wenn diese Sache aus-tauschbar ist. Gegen die Austauschbarkeit spricht aber, dass gerade der Gebrauchtwagenkauf auf einer individuellen Kaufentscheidung des Käufers beruht und die Sache daher nicht ohne weiteres „ersetzbar“ ist. Letztlich kann die Frage der Unmöglichkeit der Nacherfüllung im Ergebnis dahinstehen, da in diesem Fall der Kaufpreiszahlungsanspruch nicht ipso iure erlöschen würde, vgl. § 326 I S. 2 BGB.

b) Mängeleinrede, § 438 IV S. 2 BGB

aa) Zwar spricht § 359 S. 1 BGB von „Einwendung“. Nach allgemeiner Meinung fallen aufgrund des Schutzzwecks der Norm aber alle Leistungsverweigerungsrechte darunter und damit nicht nur die rechts-hindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen, sondern auch die rechtshemmenden Einreden.

bb) Der gekaufte Pkw war mangelhaft. Allerdings ist der Nacherfüllungsanspruch bereits verjährt, da seit der Übergabe mehr als zwei Jahre verstrichen sind, § 438 I Nr. 3, II BGB. Für diesen Fall regeln §§ 438 IV S. 1, 218 I S. 1 BGB, dass der Rücktritt ausgeschlossen ist. Dennoch bestimmt § 438 IV S. 2 BGB, dass auch nach Verjährung der Mängelrechte dem Käufer gegen den noch nicht verjährten Kaufpreisanspruch aus Gründen der Waffengleichheit die Mängeleinrede zusteht. A könnte zwar dann seinerseits vom Ver-trag zurücktreten, § 438 IV S. 3 BGB. Außer der Rückgabe des Pkw würde B aber nichts schulden, da er die Zerstörung des Pkw nicht zu vertreten hat und damit die Wertersatzpflicht nach §§ 346 III S. 1 Nr. 3, 277 BGB ausgeschlossen ist.

Ergebnis: Da B gegen den Kaufpreiszahlungsanspruch die Mängeleinrede zustünde und er nicht zum Wertersatz verpflichtet wäre, kann er die Rückzahlung des Darlehens verweigern, § 359 S. 1 BGB.

hemmer-Trainingsplan-Info: Gutes Material zahlt sich aus. Der Auftakt des Examenstermins war sehr gut machbar. Sämtliche Probleme des Falles wurden im Hauptkurs mehrfach behandelt. Das Problem des

Aktuelles Life & Law kompakt

hemmer! Life&Law 05/2015 369

fehlenden Erklärungsbewusstseins wird in den Fällen 1 und 16, BGB-AT besprochen. Die Gesamtfällig-stellung des Verbraucherdarlehens im Kontext zu einem Abzahlungskauf ist Gegenstand von Fall 10, SchuldR-BT. Das Problem der Mängeleinrede ist Gegenstand von Fall 6, SchuldR-BT. Das Problem der Nachlieferung beim Gebrauchtwagenkauf ist ein Schwerpunkt von Fall 20, SchuldR-AT. Der Widerruf von Finanzierungsgeschäften sowie das Problem des Einwendungsdurchgriffs (hier sogar nur in der klassi-schen Variante des § 359 BGB!) beim verbundenen Geschäft sind in den Fällen 11 und 12, SchuldR-BT ausführlich behandelt worden.

Klausur Nr. 2

Problemstellung: Geschäftsraummiete; Bürgschaft; Vertragsübernahme; Erlöschen der Bürg-schaft; Herausgabe der Bürgschaftsurkunde

Sachverhalt: Hauseigentümerin V vermietet mit Individualvertrag vom 20.06.2012 an M Räume zum Be-trieb einer Computerwerkstatt. Die Miete beträgt monatlich 2.000,- € zzgl. Nebenkostenpauschale von 500,- €. Der Vertrag beginnt am 01.07.2012 und ist bis 30.06.2017 befristet. Vereinbart ist zudem, dass für Änderungen und Ergänzungen des Vertrags die Schriftform erforderlich ist. Da M erst am 01.07.2012 volljährig wird, wurde der Vertrag zusätzlich auch von den Eltern des M unterschrieben.

M ist verpflichtet, zur Sicherung aller Forderungen aus dem Mietverhältnis eine Bankbürgschaft über 10.000,- € zu stellen. M übergibt V am 28.06.2012 eine entsprechende Bürgschaftserklärung der B-Bank, welche eingescannte Unterschriften der vertretungsberechtigten Mitarbeiter der B-Bank trägt.

In der Folge zahlt M die Miete. Da sich das Geschäft nicht richtig entwickelt, sucht M im Frühjahr 2013 einen Nachmieter. N will in dem Laden einen Elektrogerätehandel eröffnen. Daher treffen M und N folgen-de Vereinbarung: „N tritt zum 01.07.2013 schuldbefreiend an Stelle des M in den Mietvertrag zwischen M und V ein.“

Der Mietvertrag zwischen M und V ist dieser Vereinbarung nicht beigefügt. Das Mietobjekt wurde aber in der Urkunde zwischen N und M genau beschrieben und der Vertrag in Kopie dem N übersandt.

V nimmt in der Folgezeit die Miete von N entgegen und richtet auch die Nebenkostenabrechnung vom 01.07.2013 bis 30.06.2014 an N, die dieser auch begleicht.

Auch die Geschäfte des N entwickeln sich schlecht. Er kündigt mit Schreiben vom 02.10.2014, welches der V am 04.10.2014 (Samstag) zuging, das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich. Das Geschäft sei nicht rentabel, eine Weiterführung daher unzumutbar. Jedenfalls sei die ordentliche Kündigung möglich, da zwischen ihm und V kein schriftlicher Mietvertrag existiere.

V weist die Kündigung insgesamt als unberechtigt zurück. N zahlt ab November keine Miete mehr. Dar-aufhin wendet sich V an die B-Bank. Diese erklärt, dass sie für die Schulden des N nicht einstehen werde. V fordert daher den N auf, umgehend eine Bankbürgschaft über 10.000,- € beizubringen.

M wiederum verlangt von V die Bürgschaftsurkunde zurück, da niemals ein wirksamer Bürgschaftsvertrag zustande gekommen bzw. die Bürgschaft inzwischen erloschen sei.

Frage 1: Besteht zwischen N und V ein Mietverhältnis?

Frage 2: Unterstellt, es besteht ein Mietverhältnis: Kann V von N die Beibringung einer Bankbürgschaft über 10.000 € verlangen?

Frage 3: Ist V verpflichtet, die Bürgschaftsurkunde an M zurückzugeben?

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Frage 1: Besteht zwischen N und V ein Mietverhältnis?

Da V mit N keinen Mietvertrag abgeschlossen hat, müsste zwischen V und M ein wirksamer Mietvertrag zustande gekommen sein und N müsste in diesen wirksam eingetreten sein. Außerdem dürfte der Miet-vertrag nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des N beendet worden sein.

A) Ursprünglich wirksamer Mietvertrag zwischen M und V

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370 hemmer! Life&Law 05/2015

I. Ein Vertragsschluss zwischen M und V liegt vor. Der erst siebzehnjährige und damit beschränkt ge-schäftsfähige M (§§ 2, 106 BGB) wurde aber beim Abschluss des Mietvertrags von seinen Eltern vertre-ten, §§ 107, 1629 I S. 2 HS 1, 1626 I BGB.

II. Da der Vertrag auf fünf Jahre befristet wurde und dieser damit länger als ein Jahr nach Eintritt der Voll-jährigkeit fortdauern soll, wäre gem. §§ 1643 I, 1822 Nr. 5 BGB die Genehmigung des Familiengerichts nötig gewesen. Deren Fehlen macht den Mietvertrag aber nicht nichtig. Rechtsfolge ist lediglich die schwebende Unwirk-

samkeit des Mietvertrags, §§ 1643 III, 1829 I BGB. Da M aber nach Eintritt der Volljährigkeit die Miete zahlte, hat er den Mietvertrag konkludent genehmigt, sodass dieser gem. §§ 1643 III, 1829 III, 184 I BGB ex-tunc wirksam wurde.

B) Wirksamer Vertragseintritt des N

I. N könnte in den Mietvertrag eingetreten sein. N sollte nicht nur die Forderungen (§§ 398 ff. BGB) und Verbindlichkeiten (§§ 414 ff. BGB) übernehmen, sondern vollständig in den Vertrag eintreten.

1. Die gewillkürte Vertragsübernahme ist im BGB nicht ausdrücklich geregelt. Dennoch wird eine solche vereinbarte Vertragsübernahme allgemein zugelassen, und zwar in Rechtsfortbildung der Sonderregelun-gen gemäß §§ 563, 563a, 566, 581 II, 593b, 613a, 1251 BGB. Dabei wird die Übernahme von der wohl h.M. als einheitliches Rechtsgeschäft angesehen, also nicht als Kombination von Abtretung (§§ 398 ff. BGB) und Schuldübernahme (§§ 414 ff. BGB). Entscheidend und unstreitig ist letztlich nur, dass alle Be-teiligten mitwirken müssen. Entweder wird ein dreiseitiger Vertrag geschlossen oder ein Vertrag zwischen ausscheidender und eintretender Partei unter Zustimmung des anderen Teils.

2. Hier war offensichtlich die zweite Variante beabsichtigt. Eine Einigung zwischen M und N (§§ 145 ff. BGB) liegt jedenfalls vor. Da aber die vorherige Zustimmung des V fehlte, war der Vertragsein-tritt zunächst schwebend unwirksam (vgl. § 415 BGB analog). Durch die Zusendung der Nebenkostenab-rechnung an N hat V aber nachträglich seine konkludente Zustimmung (= Genehmigung) erteilt, die keiner besondere Form bedurfte (§ 182 II BGB). Dadurch wurde der Vertragseintritt rückwirkend (§ 184 I BGB) wirksam.

II. Im Vertrag zwischen M und V wurde aber vereinbart, dass für Änderungen und Ergänzungen des Ver-trags die Schriftform erforderlich ist. Daran hat es vorliegend gefehlt, sodass gem. § 125 S. 2 BGB die Vertragsübernahme formunwirksam sein könnte.

Es entspricht aber allgemeiner Meinung, dass eine gewillkürte Schriftform jederzeit formlos aufgehoben werden kann, auch wenn die Parteien an die Schriftform nicht gedacht haben. Hier entspricht der Ver-tragseintritt dem erkennbaren Willen aller drei Parteien, sodass dieser nicht an der im Vertrag vereinbar-ten gewillkürten Schriftform scheitert.

C) Beendigung des Mietvertrags durch Kündigung?

I. Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung

Eine außerordentliche Kündigung des Geschäftsraummietvertrags, die mangels Verweisung des § 578 II, I BGB auf § 568 I BGB auch formlos wirksam wäre, scheitert offensichtlich daran, dass kein wichtiger Grund i.S.d. § 543 I S. 1 BGB vorlag. Die Unwirtschaftlichkeit des von N betriebenen Geschäfts ist allein dessen Risiko.

II. Wirksamkeit der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung

Die Kündigung könnte aber als ordentliche Kündigung wirksam sein.

1. Wirksame Kündigungserklärung

N hat die ordentliche Kündigung hilfsweise, also unter der Bedingung der Unwirksamkeit der außerordent-lichen Kündigung, erklärt. Gestaltungsrechte sind aber grds. aus Gründen der Rechtssicherheit bedin-gungsfeindlich. Handelt es sich aber wie vorliegend um eine Bedingung, deren Eintritt von einer Rechts-frage abhängig gemacht wird (sog. Rechtsbedingung), entsteht keine Rechtsunsicherheit, da im Streitfall hierüber das Gericht eine verbindliche Entscheidung trifft.

2. Ordentliche Kündigungsfrist, § 580a II BGB

Die Kündigung eines Mietverhältnisses über Geschäftsräume kann gemäß § 580a II BGB nur spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres erfolgen. Der Tag des Zugangs der Kündigung (04.10.2014) war der vierte Werktag dieses Monats, sodass dieser

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hemmer! Life&Law 05/2015 371

Monat nicht mehr mitgerechnet werden kann. Daher würde eine ordentliche Kündigung das Mietverhältnis erst zum 31.03.2015 beenden.

3. Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit aufgrund wirksamer Befristung, § 542 II BGB

Im Umkehrschluss aus § 542 II BGB kann ein wirksam befristeter Mietvertrag ordentlich nicht gekündigt werden. Geschäftsraummietverträge können sachgrundlos befristet werden, weil § 578 II S. 1, I BGB nicht auf die Vorschrift des § 575 BGB verweist. Fraglich war aber, ob die gem. §§ 578 II S. 1, I, 550 BGB vor-gesehene Schriftform bei Befristungen von mehr als einem Jahr gewahrt wurde.

a) Der ursprüngliche Mietvertrag wurde auf fünf Jahre geschlossen. Die Schriftform wurde gewahrt, da alle Beteiligten den Vertrag unterschrieben haben. Daran ändert die zunächst fehlende Zustimmung des Familiengerichts nichts, da die spätere Genehmi-

gung durch M (§§ 1643 III, 1829 III BGB) nach § 182 II BGB formlos möglich war.

b) Auch die Vertragsübernahme durch einen neuen Mieter bedarf der Schriftform. Fraglich ist, ob diese im Hinblick auf § 550 BGB gewahrt wurde. Die frühere Rechtsprechung war bei Zusätzen, Nachtragsverein-barungen und Mietparteiwechseln sehr streng und forderte eine körperliche feste Verbindung mit dem Originalvertrag. Der BGH hat diese als übertrieben empfundenen Anforderungen zwischenzeitlich gelockert. Dass der

Mietvertrag nicht beigefügt war, ist nach inzwischen h.M. unschädlich, solange das Mietobjekt genau be-schrieben ist. Dass die Zustimmung des V nur konkludent erfolgte, ist im Hinblick auf die Formfreiheit der Genehmigung wiederum unschädlich, § 182 II BGB (s.o.). Die Befristung und damit feste Laufzeit blieb daher nach der Vertragsübernahme erhalten.

Ergebnis: Damit war auch die ordentliche Kündigung unwirksam, sodass zwischen N und V ein wirksa-mes Mietverhältnis besteht.

Frage 2: Unterstellt, es besteht ein Mietverhältnis: Kann V von N die Beibringung einer Bankbürg-schaft über 10.000,- € verlangen?

1. Zwischen M und V wurde vereinbart, dass der Mieter eine Bürgschaft über 10.000,- € zu stellen hat.

Diese Vereinbarung scheitert nicht an § 551 IV BGB, weil die Bürgschaft drei Monatskaltmieten und damit den maximalen Sicherungsbetrag gem. § 551 I BGB übersteigt. Diese - den Wohnraummieter schützende - Vorschrift gilt bei der Geschäftsraummiete gerade nicht, weil § 578 II, I BGB hierauf nicht verweist.

2. Dieser Anspruch des V wurde aber dadurch erfüllt, dass M eine Bankbürgschaft der B-Bank beige-bracht hat. Diese war auch ohne Originalunterschrift wirksam. Gem. § 350 HGB muss eine Bürgschaft nicht nach § 766 S. 1 BGB schriftlich erteilt werden, wenn die Bürgschaft auf Seiten des Bürgen ein Han-delsgeschäft ist. Die B-Bank betreibt unabhängig von ihrer Rechtsform jedenfalls ein Handelsgewerbe und war damit Kaufmann (§ 1 I, II HGB). Damit ist der Anspruch erloschen, § 362 I BGB.

3. Allerdings ist im Wege der Vertragsübernahme ein Mieterwechsel erfolgt. Bei der befreienden Schuld-übernahme bestimmt § 418 I S. 1 BGB, dass infolge der Schuldübernahme die für die Forderung bestell-ten Bürgschaften erlöschen. Diese Vorschrift zur Schuldübernahme ist auf die Vertragsübernahme analog anwendbar, da es dem Bürgen nicht zugemutet werden kann, für einen neuen, ihm unbekannten Schuld-ner zu haften. Das Erlöschen tritt nur dann nicht ein, wenn die B-Bank in die Vertragsübernahme eingewil-ligt hätte, § 418 I S. 3 BGB. Eine solche Einwilligung lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, sodass die Bürgschaft erloschen ist. Da N in den Mietvertrag eingetreten ist, muss dieser die Bürgschaft erneut stellen: N hat die Verpflichtung

zur Zahlung der Miete übernommen. Damit ergibt sich durch (ergänzende) Auslegung des Mietvertrags und der Vertragsübernahme, dass N grds. verpflichtet ist, für seine Verbindlichkeiten die mietvertraglich vereinbarte Sicherheit zu stellen. Hiergegen könnte sprechen, dass sich V bei der Vertragsübernahme auch das Recht hätte vorbehalten können, auf die erneute Stellung einer Sicherheit zu bestehen und zur Zeit der Vertragsübernahme der Anspruch auf Stellung der Bankbürgschaft schon im Wege der Erfüllung gem. § 362 I BGB erloschen war und eine erloschene Verpflichtung nicht ohne weiteres wieder auflebt. So lebt auch bei der Hingabe an Erfüllungs Statt im Falle des § 365 BGB die erloschene Forderung bei

Geltendmachung von Mängelrechten nicht wieder von selbst auf, sondern muss neu begründet werden. Die besseren Argumente sprechen aber für einen direkten Schutz des V und die mietvertragliche Ver-pflichtung des neuen Mieters zur Stellung einer erneuten Bankbürgschaft. Zum gleichen Ergebnis kommt man aber auch, wenn diese erloschene Verpflichtung zunächst neu begründet werden müsste, wozu der N verpflichtet wäre.

Ergebnis: N muss dem V eine Bankbürgschaft über 10.000,- € beibringen (a.A. vertretbar).

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372 hemmer! Life&Law 05/2015

Frage 3: Ist V verpflichtet, die Bürgschaftsurkunde an M zurückzugeben?

Aufgrund der Vertragsübernahme ist die Bürgschaft erloschen, § 418 I S. 1 BGB analog (s.o.). Fraglich ist aber, ob dem Mieter ein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde zusteht.

I. Anspruch aus der Sicherungsabrede, §§ 311 I, 241 I BGB

Ein Anspruch aus der Sicherungsabrede besteht nicht, da die Sicherungsabrede immer nur zwischen dem Sicherungsgeber und dem Gläubiger besteht. Daher steht aus der Sicherungsabrede lediglich der B-Bank ein entsprechender Anspruch zu.

II. Anspruch aus § 371 S. 1 BGB

Ist über die Forderung ein Schuldschein ausgestellt worden, so kann der Schuldner neben der Quittung gem. § 371 S. 1 BGB auch die Rückgabe des Schuldscheins verlangen. Hierunter fallen nicht nur die Schuldanerkenntnisse, sondern auch Bürgschaftserklärungen und Vollstreckungstitel.

Allerdings steht auch dieser Anspruch lediglich dem Schuldner, also der B-Bank zu.

III. Anspruch aus § 985 BGB

Ein Anspruch aus § 985 BGB setzt voraus, dass M Eigentümer der Bürgschaftsurkunde ist. Nach § 952 I S. 1 BGB steht das Eigentum an dem über eine Forderung ausgestellten Schuldschein dem

Gläubiger zu. Dies gilt nach § 952 II BGB auch für Urkunden über andere Rechte, kraft deren eine Lei-stung gefordert werden kann. Die Urkunde, in welcher ein Bürgschaftsversprechen erklärt wird, fällt unstreitig unter § 952 II BGB (vgl. Vieweg in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 952, Rn. 5 = = jurisbyhemmer). Damit war ursprünglicher Eigentümer der Bürgschaftsurkunde der Gläubiger V. Fraglich ist, was mit dem Eigentum nach dem Erlöschen der Bürgschaftsforderung gem. § 418 I S. 1 BGB

geschah. Einigkeit besteht letztlich dahingehend, dass die Bürgschaftsurkunde nicht herrenlos wird. Nach h.M. besteht das Eigentum an der Urkunde beim bisherigen Gläubiger fort, wenn das verbriefte Recht mit Wirkung nur für die Zukunft (ex nunc) – wie im Fall des § 418 I S. 1 BGB – erlischt. Nach a.A. fällt das Eigentum an der Urkunde analog § 952 BGB automatisch an den bisherigen Schuldner zurück, der die Urkunde daher auch nach § 985 BGB herausverlangen kann (vgl. Vieweg in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 952, Rn. 5 = jurisbyhemmer). Letztlich kann diese Frage im Ergebnis dahinstehen, da ein Anspruch aus § 985 BGB jedenfalls daran

scheitert, dass jedenfalls M zu keiner Zeit Eigentümer der Bürgschaftsurkunde wurde.

Ergebnis: M steht kein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde an sich zu. Lediglich die B-Bank kann nach e.A. Herausgabe nach § 985 BGB bzw. nach h.M. Übereignung nach § 371 S. 1 BGB verlangen.

Anmerkung: Da M aber nach einer (ungerechtfertigten) Inanspruchnahme der B-Bank durch V Gefahr läuft, von dieser im Wege des Regresses nach §§ 662, 670 BGB bzw. nach §§ 774 I S. 1, 535 II BGB zu Unrecht (wegen § 418 I BGB war die Bürgschaft erloschen) in Anspruch genommen zu werden, wäre es vertretbar, um Ärger zu vermeiden, zumindest aus mietvertraglicher Nebenpflicht einen Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde an die B-Bank zu bejahen.

hemmer-Trainingsplan-Info: Wieder einmal der Geschäftsraummietvertrag. Das Problem der Minderjäh-rigkeit und der Genehmigungspflicht des Familiengerichts beim Abschluss eines auf fünf Jahre befristeten Mietvertrages ist „1:1“ identisch mit Fall 9, BGB-AT. Auch in unserem Fall hat dann der inzwischen Voll-jährige konkludent den Vertrag nach §§ 1643 III, 1829 III BGB genehmigt. So ein Einstieg in die Klausur verschafft einem natürlich die notwendige Sicherheit und Ruhe. Die Systematik des Mietrechts (nur teil-weise Anwendbarkeit von Wohnraumvorschriften auf die Geschäftsraummiete) wird ausführlich in unse-rem Hauptkurs besprochen und ist ein Dauerbrenner in der Life & Law. Die ordentliche Unkündbarkeit eines wirksam befristeten Mietvertrages wird in Fall 1, SchuldR-BT behandelt und war unmittelbar vor dem Examen Gegenstand der Klausur 1624 in unserem Klausurenkurs. Auch in den vorangegangenen Examensterminen in Bayern war diese Frage mehrfach in Klausuren dran. Arbeiten Sie die Examensre-porte der letzten Jahre durch. Die Probleme des Vertragseintritts und der analogen Anwendung der Vor-schriften zur befreienden Schuldübernahme ist Gegenstand unseres Falles 7, SchuldR-AT. Fragen zur Herausgabe von Urkunden und die Eigentumsverhältnisse nach § 952 BGB werden besprochen in Fall 16, SchuldR-BT und Fall 10, SachenR. Es gilt: Wer den Hafen nicht kennt, für den ist kein Wind günstig! (Seneca)!

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hemmer! Life&Law 05/2015 373

Klausur Nr. 3:

Problemstellung: „Schweinehundvariante“ +++ Beschränkung und Missbrauch der Prokura +++ Schadensersatz und Erlösherausgabe +++ ZPO

Teil I: Rechtsanwalt R aus Würzburg züchtet hobbymäßig Wasserbüffel, wozu er seinen geerbten Traktor einsetzen möchte. Diesen gibt er C, dem Geschäftsführer der L-GmbH, einem Händler und Reparaturbe-trieb von Landmaschinen in Würzburg, zum Zwecke der Reparatur.

C hält den Traktor für wertvoll und lässt ohne Wissen des R vom Sachverständigen S für 3.500,- € im Namen der L-GmbH ein Wertgutachten erstellen, um R den Traktor später abzukaufen.

S ermittelt einen derzeitigen Verkehrswert von 100.000,- €. Das Gutachten legt C in seine Postablage.

M, der stets zuverlässige Prokurist, der über den Reparaturauftrag des R Bescheid weiß, findet das Gut-achten und veräußert ohne Rücksprache mit C im Namen der L-GmbH den Traktor für 120.000,- € an den in Fulda wohnhaften B. B weiß, dass die L-GmbH nicht Eigentümerin ist, glaubt aber, dass die L-GmbH – wie in der Vergangenheit schon öfter – im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes zur Weiterveräußerung er-mächtigt ist. Den an M gezahlten Kaufpreis verbucht M auf dem Konto der L-GmbH.

R verlangt nun nach Kenntnis vom Sachverhalt von B Herausgabe des Traktors. B wendet ein, er habe diesen von der L-GmbH erworben. B lehnt auch einen Rückkauf ab. Er habe mehr bezahlt als den derzei-tigen Wert.

R verlangt daher von der L-GmbH die Zahlung von 120.000,- €. C meint, der Traktor sei nur 100.000,- € wert. Der Gewinn stehe der L-GmbH aufgrund der Tüchtigkeit des M zu. Außerdem sei im Arbeitsvertrag des M geregelt, dass die Einzelprokura des M auf Geschäfte bis 50.000,- € beschränkt und darüber hin-aus die Zustimmung des C erforderlich sei. Diese Vereinbarung müsse auch im Außenverhältnis gelten.

R bittet seine Praktikantin A, ein Gutachten zu erstellen, ob er Ansprüche gegen B notfalls gerichtlich in Würzburg geltend machen kann. Außerdem will er sich selbst vertreten, um Kosten zu sparen. Außerdem sollen Zahlungsansprüche gegen die L-GmbH geprüft werden. Gegen C und M möchte R keine Ansprü-che geltend machen.

Teil I: Frage 1: Hat eine in Würzburg erhobene Klage des R gegen B auf Herausgabe Aussicht auf Erfolg?

Frage 2: Kann R gegen die L-GmbH Zahlungsansprüche geltend machen?

Frage 3: Besteht ein aufrechenbarer Gegenanspruch der L-GmbH auf Erstattung der Gutachterkosten?

Teil II: R ist außerdem Eigentümer des passenden Anhängers, dessen Einzelwert 60.000,- € beträgt. Im Gespann sind Traktor und Anhänger allerdings als seltene Originale aus dem Jahre 1960 200.000,- € wert.

Teil II: Frage 1: In welcher Höhe bestehen Zahlungsansprüche gegen die L-GmbH aufgrund der Trennung des Gespanns von Traktor und Anhänger?

Frage 2: Erhöht sich ein Zahlungsanspruch des R, weil es sich um ein Erbstück gehandelt hat, an welchem R ein besonderes emotionales Interesse hat?

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Teil I:

Frage 1: Hat eine in Würzburg erhobene Klage des R gegen B auf Herausgabe Aussicht auf Erfolg?

I. Zulässigkeit der Klage

1. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus § 1 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG, da keine streitwertunabhängige Zuständigkeit der Amtsgerichte gegeben ist und der Streitwert bei der Herausgabeklage (§ 6 S. 1 ZPO) mehr als 5.000,- € beträgt.

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374 hemmer! Life&Law 05/2015

2. Problematisch ist die örtliche Zuständigkeit des LG Würzburg, da der allg. Gerichtsstand in Fulda wäre (§§ 12, 13 ZPO i.V.m. § 7 BGB). Der dingliche Gerichtsstand des § 24 ZPO gilt nur für Herausgabe-klagen bei unbeweglichen Sachen. Würzburg wäre nur dann zuständig, wenn R den besonderen Ge-richtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) wählen könnte (§ 35 ZPO). Voraussetzung wäre der schlüssige Vortag einer unerlaubten Handlung, deren Bestehen als sog. „doppelt relevante Tatsache“ lediglich möglich sein muss. Da ein Erwerb einer fremden Sache eine Eigentumsverletzung darstellt und der etwaige gutgläubige Erwerb des B als möglicher Rechtfertigungsgrund eine diffizile Rechtsfrage dar-stellt, ist die Zuständigkeit nach § 32 ZPO wegen des möglichen Delikts zu bejahen (a.A. mit entspre-chender Begründung vertretbar). Aufgrund Sachzusammenhangs darf das Gericht dann auch über kon-kurrierende Anspruchsgrundlagen mit entscheiden.

3. R ist als natürliche Person parteifähig (§ 1 BGB, § 50 I ZPO), prozessfähig (§ 51 I ZPO, §§ 2, 104 ff. BGB) und als zugelassener Rechtsanwalt auch postulationsfähig, da gem. § 78 IV ZPO ein sog. Selbstvertretungsrecht besteht.

II. Begründetheit der Klage

1. Vertragliche Ansprüche auf Herausgabe bestehen nicht, da zwischen R und B kein Vertrag besteht. Die in Ausnahme zur Relativität des Schuldrechts geregelten §§ 546 II, 604 IV BGB sind grds. nicht ana-logiefähig. Im Übrigen wäre eine Veräußerung auch keine Gebrauchsüberlassung im Sinne dieser Vor-schriften.

2. Anspruch aus § 985 BGB

Ein Anspruch aus § 985 BGB bestünde, wenn R das Eigentum am Traktor (vgl. § 1922 BGB) nicht durch gutgläubigen Erwerb des B von der L-GmbH verloren hätte.

a) Ein gutgläubiger Erwerb gem. §§ 929 S. 1, 932 I S. 1, II BGB setzt zunächst eine wirksame dingliche Einigung zwischen B und der L-GmbH voraus. Dazu müsste die L-GmbH von M wirksam vertreten worden sein. Dies erscheint im Hinblick auf die Vertretungsmacht des M fraglich, da dessen Prokura im Arbeits-vertrag auf Geschäfte bis 50.000,- € beschränkt wurde. Diese Beschränkung des rechtlichen Dürfens wirkt sich aber nur im Innenverhältnis aus, da die Prokura im Außenverhältnis nicht wirksam beschränkt werden kann (vgl. § 50 I HGB). M hatte somit mit Vollmacht im Namen der L-GmbH eine dingliche Einigung abge-geben, aber dabei seine Vertretungsmacht missbraucht. Dieser Missbrauch ginge nur dann nicht zu La-sten der L-GmbH, wenn ein sog. Kollusionsfall vorliegt (Vertreter und Dritter wirken zum Nachteil des Vertretenen zusammen) oder der Dritte den Missbrauch der Vertretungsmacht erkennt oder erkennen muss (sog. Evidenzfälle). Da weder ein Fall der Kollusion noch der Evidenz vorliegt, wurde die L-GmbH wirksam von M vertreten, § 164 I BGB.

Eine Übergabe lag zwar vor, allerdings war B hinsichtlich der Eigentümerstellung der L-GmbH nicht in gutem Glauben, § 932 I S. 1, II BGB.

b) In Betracht kommt aber ein gutgläubiger Erwerb gem. § 366 I HGB i.V.m. § 932 BGB. Die L-GmbH war als Veräußerer Kaufmann kraft Rechtsform, § 13 III GmbHG, § 6 I, II HGB. Die Veräußerung gehörte auch zu deren Geschäftsbetrieb. § 366 I HGB regelt für diesen Fall, dass der gute Glaube an die Befugnis der L-GmbH, für den Eigentümer zu verfügen (regelmäßig der Fall beim verlängerten Eigentumsvorbe-halt), geschützt wird. Diesbezüglich war B gutgläubig.

An § 935 I S. 1 BGB scheitert der gutgläubige Erwerb nicht, da R den unmittelbaren Besitz freiwillig auf-gegeben hat. Auch § 935 I S. 2 BGB steht nicht entgegen, da der L-GmbH nicht der durch das Organ C ausgeübte unmittelbare Besitz abhandengekommen ist. Zwar hat M als Angestellter der L-GmbH und damit als Besitzdiener (§ 855 BGB) den Besitz gegen den Willen der L-GmbH aufgegeben. Da M aber als Prokurist Vertreterbefugnisse hatte, wird der Wille der L-GmbH zur Besitzaufgabe durch den Willen des M ersetzt. Dies lässt sich mit einer analogen Anwendung des § 164 I BGB begründen. Analog deshalb, weil es sich beim Besitzaufgabewillen um einen natürlichen Willen und nicht um eine Willenserklärung handelt. Damit liegt kein Abhandenkommen vor.

Ein Anspruch aus § 985 BGB entfällt.

3. Ein Anspruch aus §§ 869, 861 I BGB scheitert daran, dass der Besitz weder dem R noch der L-GmbH durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde und außerdem B nicht fehlerhaft besitzt.

4. Abzulehnen war auch ein Anspruch auf Herausgabe gem. § 1007 I BGB, da B gutgläubig war. § 1007 II BGB entfällt, weil der Traktor dem R nicht abhandengekommen ist (s.o).

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hemmer! Life&Law 05/2015 375

5. Ein Anspruch auf Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gem. §§ 823 I, 249 I BGB war abzu-lehnen, weil der gutgläubige Erwerb ein Rechtfertigungsgrund für die Eigentumsverletzung ist.

6. In Betracht kam damit nur ein Anspruch aus Nichtleistungskondiktion (NLK) gem. § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB. Dieser Anspruch scheitert aber am Vorrang der Leistungsbeziehung zwischen der L-GmbH und B. Die NLK ist subsidiär, da ansonsten der gutgläubige Erwerb des B unterlaufen würde. Der Durchgriff wird vom Gesetz aber nur im Fall des unentgeltlichen gutgläubigen Erwerbs zugelassen, vgl. § 816 I S. 2 BGB.

Ergebnis: Die zulässige Klage des R wäre unbegründet und hätte damit keine Aussicht auf Erfolg.

Frage 2: Kann R gegen die L-GmbH Zahlungsansprüche geltend machen?

I. Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises gem. §§ 275 IV, 285 BGB i.V.m. §§ 631, 275 I BGB

1. Unmöglichkeit der Herausgabe aus Werkvertrag a) In Betracht kommt ein Anspruch auf Herausgabe aus dem Reparaturvertrag, der als Werkvertrag i.S.d. § 631 BGB zu qualifizieren ist. Zwar ist ein Herausgabeanspruch des Bestellers in den §§ 631 ff. BGB nicht ausdrücklich normiert. Ein solcher ist aber nach allg. Meinung zu bejahen. Strittig ist lediglich, ob es sich beim Herausgabeanspruch des Bestellers gegen den Werkunternehmer um eine Nebenleistungs-pflicht oder eine synallagmatische Hauptleistungspflicht (Umkehrschluss aus § 640 BGB) handelt. Dies kann aber für die Frage der Unmöglichkeit der Herausgabepflicht im Ergebnis dahinstehen.

b) Durch die Übereignung und den gutgläubigen Erwerb des B könnte der L-GmbH die Herausgabe des Traktors subjektiv unmöglich geworden sein, § 275 I BGB. Zwar ist in den Fällen, in denen ein Heraus-gabeschuldner den Gegenstand an einen Dritten übereignet hat, dem Schuldner die Übereignung an den Gläubiger nicht schon deswegen unmöglich, weil er über ihn nicht mehr verfügen kann und auf ihn auch keinen Anspruch hat. Unmöglichkeit liegt vielmehr erst dann vor, wenn feststeht, dass der Schuldner die Verfügungsmacht nicht mehr erlangen und zur Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs nicht mehr auf die Sache einwirken kann. Ist die Unmöglichkeit anspruchsbegründende Voraussetzung, nimmt der BGH jedoch, um die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Gläubigers nicht zu über-spannen, in ständiger Rechtsprechung an, dass die Weiterveräußerung die Unmöglichkeit indiziert, solan-ge der Schuldner nicht darlegt, dass er zur Erfüllung willens und in der Lage ist. Da B nicht zu einer Rück-übereignung des Traktors bereit ist, liegt Unmöglichkeit vor. 2. Beim erhaltenen Kaufpreis handelt es sich um ein rechtsgeschäftliches Surrogat, welches nach in-zwischen allgemeiner Ansicht entgegen dem Wortlaut des § 285 I BGB als sog. commodum ex negotia-tione grds. ebenfalls gem. § 285 I BGB herauszugeben ist. 3. Ein Anspruch auf Herausgabe des rechtsgeschäftlichen Surrogats gem. § 285 I BGB setzt beim com-modum ex negotiatione allerdings voraus, dass zwischen der unmöglich gewordenen Verpflichtung und dem rechtsgeschäftlichen Surrogat eine „wirtschaftliche Identität“ bestehen muss. Das Surrogat muss also gerade für die unmöglich gewordene Verpflichtung erlangt worden sein.

Vorliegend fehlt es an dieser wirtschaftlichen Identität. Der rechtsgeschäftliche Erlös war der Kaufpreis, den B für die Eigentumsverschaffung am Traktor gezahlt hat. Die Verpflichtung zur Eigentumsverschaf-fung wurde der L-GmbH aber nicht unmöglich. Diese hat die L-GmbH gegenüber R gar nicht geschuldet. Unmöglich wurde durch den gutgläubigen Eigentumserwerb des B lediglich die Verpflichtung der L-GmbH zur Herausgabe des Besitzes am Traktor.

Ein Anspruch aus § 285 I BGB scheidet damit aus (a.A. bei entsprechender Begründung vertretbar).

II. Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 275 IV, 280 I, III, 283 BGB

Da B gutgläubig den Traktor erworben hat, ist der L-GmbH die werkvertraglich geschuldete Herausgabe des Traktors unmöglich geworden, § 275 I BGB. Gemäß §§ 275 IV, 280 I, III, 283 BGB schuldet die L-GmbH daher Schadensersatz statt der Leistung, da dieser eine Exkulpation gem. § 280 I S. 2 BGB nicht gelingt. Die L-GmbH muss sich nämlich das vorsätzliche Handeln des M gem. § 278 S. 1 Alt. 2 BGB zu-rechnen lassen, da dieser als Prokurist und damit leitender Angestellter eine Person ist, derer sich die L-GmbH bei der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten bedient („Erfüllungsgehilfe“).

Nach der in § 249 I BGB geregelten Differenzhypothese ist R so zu stellen, wie er ohne den zum Scha-densersatz verpflichtenden Umstand stünde. Dieser Umstand ist hier die unmöglich gewordene Heraus-gabe. Hätte R den Traktor zurück erhalten, hätte er einen Vermögenswert von 100.000,- € erhalten. Sein Schaden beträgt daher 100.000,- €.

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376 hemmer! Life&Law 05/2015

Hinweis: Wer einen Anspruch aus § 285 I BGB bejaht hat, musste erkennen, dass der Erlös auf den Schadensersatz angerechnet wird (§ 285 II BGB) und dieser somit entfallen ist.

III. Die Veräußerung an B könnte eine angemaßte Eigengeschäftsführung darstellen, sodass die L-GmbH gem. §§ 687 II S. 1, 678 BGB Schadensersatz i.H.v. 100.000,- € schulden würde bzw. gem. §§ 687 II S. 1, 681 S. 2, 667 Alt. 2 BGB zur Herausgabe des Erlöses in Höhe von 120.000,- € verpflichtet wäre. Problematisch ist vorliegend lediglich die Kenntnis der L-GmbH von der Fremdheit des Geschäfts. Dies

wäre der Fall, wenn man der L-GmbH die Kenntnis des M zurechnen würde. Da es sich bei der Veräuße-rung um ein Rechtsgeschäft handelt, ist die Kenntnis des M, dass es sich um ein für die L-GmbH fremdes Geschäft handelt, in direkter Anwendung des § 166 I BGB zuzurechnen, da es sich bei § 687 II BGB zu-mindest im vorliegenden Fall um eine rechtliche Folge einer Willenserklärung handelt. Damit besteht ein Anspruch aus § 687 II S. 1 BGB i.V.m. §§ 681 S. 2, 667 Alt. 2 BGB bzw. § 678 BGB.

IV. Eine Erlösherausgabe aus §§ 985, 285 BGB ist nicht geschuldet, da § 285 BGB auf § 985 BGB nicht anwendbar ist. Die Bejahung des von Bösgläubigkeit und/oder Rechtshängigkeit unabhängigen An-spruchs aus § 285 BGB passt nicht in das Regelungskonzept des EBV, nach welchem grds. nur die „schwarzen Schafe“ haften sollen. Die §§ 987 ff. BGB sind daher leges speciales.

V. Ansprüche aus EBV gem. §§ 989, 990 I BGB entfallen, da der Werkvertrag der L-GmbH ein Recht zum Besitz gab. Strittig ist, ob die Umwandlung des berechtigten Fremd- in Eigenbesitz (hier zur Veräuße-rung) eine Vindikationslage begründet. Dies wurde wegen der Wesensverschiedenheit von Fremd- und Eigenbesitz früher teilweise bejaht. Wegen des Vorrangs des Vertragsverhältnisses ist dies aber mit der h.M. abzulehnen. Es liegt lediglich ein Fall des „nicht so berechtigten Besitzers“ vor, der keinen unrecht-mäßigen Besitz begründet.

VI. Da keine Vindikationslage vorlag und damit die Sperrwirkung des § 993 I HS 2 BGB nicht greift, kom-men deliktische Ansprüche in Betracht.

1. Ein Anspruch aus § 823 I BGB scheitert daran, dass keine unerlaubte Handlung des Geschäftsführers C vorlag, welche der GmbH gem. § 31 BGB zugerechnet werden könnte. Dass C das Gutachten anferti-gen ließ und dieses in seiner Postablage liegen ließ, ist keine für die Rechtsgutsverletzung kausale Hand-lung des C (a.A. bei entsprechender Begründung vertretbar). Die deliktische Handlung des M ist der L-GmbH nicht nach § 278 BGB zurechenbar, da § 278 BGB auf

die Begründung eines deliktischen Anspruches nicht anwendbar ist. Vertretbar wäre es, § 31 BGB auf den Prokuristen analog anzuwenden, da diese Vorschrift extensiv ausgelegt wird und nicht nur auf Organe, sondern auf alle Repräsentanten einer Gesellschaft anwendbar ist. Ob dies bei M der Fall ist, lässt sich dem Sachverhalt nicht mit Sicherheit entnehmen (a.A. vertretbar). 2. Damit scheidet auch ein Anspruch aus §§ 823 II BGB, 246 StGB und aus § 826 BGB aus, da die Un-terschlagung und die sittenwidrige Schädigung durch M der L-GmbH nicht zugerechnet werden kann, wenn man eine analoge Anwendung des § 31 BGB ablehnt.

3. Als Angestellter war M Verrichtungsgehilfe i.S.d. § 831 I S. 1 BGB. Allerdings war M bislang stets zu-verlässig und sorgfältig, sodass der L-GmbH die Führung des Entlastungsbeweises durch Exkulpation gem. § 831 I S. 2 Alt. 1 BGB gelingt.

VII. In Betracht kommt schließlich noch ein Anspruch aus § 816 I S. 1 BGB.

1. Der Tatbestand des § 816 I S. 1 BGB liegt vor, da die L-GmbH – durch M vertreten – als Nichtberech-tigte wirksam gem. §§ 366 I, 929, 932 BGB über den Traktor des R verfügt hat.

2. Fraglich ist allerdings, was „durch die Verfügung erlangt“ wurde. Nach dem strikten Wortlaut wurde durch die Verfügung lediglich gem. § 362 I BGB die Befreiung der L-GmbH von deren Verbindlichkeit aus § 433 I S. 1 BGB zur Übereignung erlangt. Da eine Herausgabe einer Verbindlichkeit nicht möglich ist, wäre gem. § 818 II BGB lediglich Wertersatz i.H.v. 100.000,- € geschuldet. Gegen diese Lösung spricht aber ein Vergleich zu § 816 I S. 2 BGB. Der Gesetzgeber geht selbst davon aus, dass bei der schenkwei-sen Verfügung eines Nichtberechtigten „nichts“ erlangt wurde. Ansonsten hätte er keinen Direktanspruch gegen den Beschenkten auf Rückübertragung des gutgläubig Erlangten geregelt. Damit muss das Erlang-te der Erlös aus der „causa“, sprich der erzielte Kaufpreis in Höhe von 120.000,- € sein. Dies überzeugt, da nicht einzusehen ist, dass ein Nichtberechtigter den Mehrerlös behalten darf, den der Eigentümer bei geschicktem Verkaufsverhalten genauso gut hätte erzielen können. 3. Ein Abzug der 3.500,- € über § 818 III BGB als Entreicherung kommt vorliegend nicht in Betracht, da die L-GmbH gem. § 166 I BGB i.V.m. § 819 I BGB bösgläubig war und daher nur unter den Vorausset-zungen der allgemeinen Vorschriften ein Abzug einer Entreicherung möglich wäre, § 818 IV BGB.

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hemmer! Life&Law 05/2015 377

Bei der Verpflichtung zur Herausgabe eines Gegenstandes ist die allgemeine Vorschrift § 292 BGB, der in Absatz 2 einen Ersatzanspruch nur nach den Vorschriften des EBV gewährt. Da die Erstellung des Gut-achtens aber keine notwendige Verwendung i.S.d. §§ 292 II, 994 II BGB darstellt, ist ein Abzug der Gut-achterkosten als Entreicherung nicht möglich. Ergebnis: R kann daher die Herausgabe des Erlöses in Höhe von 120.000,- € verlangen.

Frage 3: Besteht ein aufrechenbarer Gegenanspruch der L-GmbH auf Erstattung der Gutachterkosten?

I. Anspruch aus GoA gem. §§ 683 S. 1, 670 BGB Ein Anspruch aus GoA scheitert daran, dass der L-GmbH die Kenntnis des M von der Fremdheit des Ge-schäfts zuzurechnen (s.o.) ist und es damit am Fremdgeschäftsführungswillen fehlt, § 687 I BGB. II. Gegenanspruch bei angemaßter Eigengeschäftsführung, §§ 687 II S. 2, 684 S. 1, 818 BGB

Nach §§ 687 II S. 2, 684 S. 1 (Rechtsfolgeverweisung), 818 II BGB steht dem angemaßten Eigenge-schäftsführer ein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen zu. Eine Aufwendung im Sinne eines freiwilli-gen Vermögensopfers lässt sich grds. bejahen. Da R aber den Traktor gar nicht verkaufen wollte, ist ein Ersatzanspruch aufgrund der Figur der sog. aufgedrängten Bereicherung zu verneinen (a.A. vertretbar). Es wird dann der Wert des Erlangten schon bei § 818 II BGB nach einem subjektiven Maßstab begrenzt oder man wendet § 818 III BGB an, wenn das Erlangte für den Empfänger schon anfangs keinen Nutzen bringt und nicht erst später nutzlos wird.

Teil II:

Frage 1: In welcher Höhe bestehen Zahlungsansprüche gegen die L-GmbH aufgrund der Trennung des Gespanns von Traktor und Anhänger? Nachdem bereits in Teil I Frage 2 das grds. Bestehen von Schadensersatzansprüchen (§§ 280 I, III, 283 BGB und §§ 687 II, 678 BGB) bejaht wurde, geht es in dieser Frage lediglich um die Höhe des ersatzfähi-gen Schadens. Hätte die L-GmbH den Traktor herausgegeben, hätte R aufgrund des Gespannes einen Vermögenswert von 200.000,- €. Aufgrund der Unmöglichkeit der Herausgabe hat der Anhänger lediglich einen Einzelwert von 60.000,- €. Unklar ist, wie sich der Mehrwert des Gespannes von 40.000,- € zusam-mensetzt, insbesondere wie viel dieses Mehrwerts auf den Anhänger und wie viel auf den Traktor entfällt. Eine prozentuale Kürzung des Mehrwerts ist aber dennoch nicht vorzunehmen, da der Wertverlust kausal durch die Unmöglichkeit der Herausgabe des Traktors eingetreten ist. Damit kann R in der Abwandlung Schadensersatz in Höhe von 140.000,- € verlangen.

Frage 2: Erhöht sich ein Zahlungsanspruch des R, weil es sich um ein Erbstück gehandelt hat, an welchem R ein besonderes emotionales Interesse hat? Ein emotionaler Mehrwert stellt als sog. „Affektionsinteresse“ lediglich einen ideellen, immateriellen Scha-den dar. Für immaterielle Schäden ist Schadensersatz in Geld gem. § 253 I BGB grds. nicht geschuldet. Da auch kein gesetzlicher Ausnahmefall (z.B. §§ 253 II, 651f II BGB, §§ 15 II, 21 II S. 3 AGG) ersichtlich ist, scheidet ein diesbezüglicher Schadensersatz aus. hemmer-Trainingsplan-Info: Das Beste kommt zum Schluss! Ein toller Fall, der viele klassische Proble-me beinhaltete, die in unserem Kursprogramm mehrfach besprochen wurden. Die sog. „Schweinehundva-riante“ (Veräußerung durch Nichtberechtigten), in welcher alle in dieser Klausur relevanten Anspruchs-grundlagen abgehandelt werden, wird schon im BGB-AT in den Fällen 14, 16 und 17 besprochen. Exakt diese Konstellation, ist u.a. auch Gegenstand von Fall 22, SchuldR-AT und Fall 1, Sachenrecht. Der Missbrauch der im Außenverhältnis unbeschränkbaren Prokura wird in Fall 2, BGB-AT behandelt. Der Anspruch des Bestellers auf Herausgabe des Besitzes ist Gegenstand von Fall 10, SchuldR-BT. Die übrigen schadensersatzrechtlichen Fragen werden ebenfalls im Hauptkurs in vielen Fällen besprochen. Zur Reichweite des deliktischen Gerichtsstandes des § 32 ZPO vgl. Arbeitsanleitung zu Fall 2, ZPO I. Viel besser kann eine Examensklausur nicht laufen. Dieser nicht nur für das Bayerische Examen absolut typi-sche Fall beweist mal wieder, dass sich klassische Problemfelder laufend wiederholen. Sehen Sie sich doch einfach mal den Examensreport 2010/I, 1. Klausur in Life & Law 05/2010, 339 ff. an. Frage 1 und 2 dieser Klausur waren identisch zu Teil 1 der Klausur aus dem Jahre 2010. Bearbeiten Sie – egal in wel-chem Bundesland Sie Ihr Examen schreiben – neben dem Hauptkursprogramm auch die jeweils in Heft 5 (Frühjahrstermin) und Heft 11 (Herbsttermin) abgedruckten Examensreporte. Es wird sich auch für Ihr Examen lohnen! Wenn Sie hingegen universitäre Meinungsstreitigkeiten lernen, werden Sie in einem solch umfangreichen Fall wie diesem gar nicht fertig werden. Vertrauen Sie uns und unserer Erfahrung!

Zusammenfassend lässt sich zum Zivilrecht in diesem Termin sagen: Jeder Schuss ein Treffer!

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378 hemmer! Life&Law · 05/2015

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Examensreport Bayern, Termin 2015/1

B) Strafrecht: Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends:

thematisch und vom Umfang her faire Klausurstellung wieder eigenständiger StPO-Teil

Klausur Nr. 4: Wichtigste Problemstellungen: schwerer Raub in mittelbarer Täterschaft, §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 25 I Alt. 2 StGB; Beteiligung, §§ 25 ff. StGB; Freiheitsberaubung, § 239 StGB; gefährliche Körperverletzung, §§ 223 I, 224 I StGB; versuchte Nötigung, §§ 240 I, 22, 23 I StGB; Hausfriedensbruch, § 123 I StGB; Missbrauch von Ausweispapieren, § 281 StGB; Urkundenfälschung, § 267 StGB; falsche Verdächtigung, § 164 StGB; Trun-kenheit im Verkehr, § 316 II StGB; Fahren ohne Fahrerlaubnis, § 21 StVG

Teil I: M ist ein Geschäftsmann, der sich auf die Sanierung alter Häuser spezialisiert hat. Nachdem er gün-stig ein Haus erworben hat, sorgt er sodann dafür, dass die alten Mieter ausziehen, um die Wohnungen luxuriös sanieren und teuer verkaufen zu können. Im Dachgeschoss eines dieser Häuser lebt aber seit 26 Jahren O, ein Rentner, der immer pünktlich seine Miete zahlt und gar nicht daran denkt, seine günstige Wohnung aufzugeben. M beschließt deshalb, O einzuschüchtern zu lassen. Er beauftragt die beiden Tür-steher G und H, den O in seiner Wohnung zu überfallen, ihn zu verletzen und schließlich gefesselt im Bade-zimmer abzulegen. Alles läuft genau wie von M, G und H besprochen: Um in die Wohnung von O zu gelan-gen, geben sich G und H zunächst als Mitarbeiter einer Firma aus, der vom Vermieter das Ablesen der Heizkostenverteiler übertragen wurde. Kaum hat sie der gutgläubige O hereingelassen, legt G ihm von hin-ten plötzlich einen Arm um den Oberkörper und droht ihm gleichzeitig – wie vereinbart – zur Einschüchte-rung mit einem Dolch und den Worten: „Eine falsche Bewegung und du bist tot!“. Während O von G fest-gehalten wird, schlägt ihm H sodann absprachegemäß mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht, wodurch O´s Oberlippe schmerzhaft anschwillt und seine Nase zu bluten beginnt. Nachdem G und H den einge-schüchterten O unmittelbar darauffolgend gefesselt und ins Bad gebracht haben, öffnen sie M wie bespro-chen die Tür und dieser betritt die Wohnung. Unter Ausnutzung der Situation steckt er das auf dem Tisch liegende und O gehörende Portemonnaie ein, in dem sich ein Benutzerausweis der Stadtbibliothek und 200,- € in bar befinden, um alles dauerhaft zu behalten. M hatte von Anfang an geplant, O nach den Schlä-gen und dessen Fesselung auch Wertsachen wegzunehmen. G und H gegenüber hatte er dies jedoch ver-heimlicht und diese bemerken hiervon auch tatsächlich nichts. Schließlich verlassen M, G und H gemeinsam die Wohnung. O kann sich kurz darauf selbst befreien. Nach einem Umtrunk mit G und H in einem Wirts-haus macht M sich mit seinem Auto auf den Heimweg, wissend, dass ihm wegen eines verhängten Fahrver-bots nach § 44 StGB derzeit nicht erlaubt ist, ein Kfz im Straßenverkehr zu führen. Außerdem ist er alkohol-bedingt fahruntüchtig, was er hätte erkennen können; er geht aber davon aus, noch fahrtüchtig zu sein. Tat-sächlich hat er bei der Fahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,2 Promille. Als M zufällig in eine Polizeikon-trolle gerät, behauptet er gegenüber dem Polizeibeamten, O zu heißen, gibt also den Namen seines Mieters an. O ist im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis und hat kein Fahrverbot, was M auch weiß. M gibt den Namen von O nur an, um sich selbst vor Strafverfolgung wegen des Fahrens trotz Fahrverbots zu schützen. Zur Bekräftigung legt er O´s Bibliotheksausweis vor, der nur dessen Namen und Unterschrift, nicht aber ein Lichtbild enthält. Das polizeiliche Vernehmungsprotokoll, das M´s Schilderung der Tatumstände enthält, unterschreibt er sodann mit dem Namen von O, indem er dessen Unterschrift täuschend echt nachahmt. Die Polizei ermittelt daraufhin gegen O, wovon M aber nichts mitbekommt. Als die Polizei den Führerschein von O beschlagnahmen will, klärt sich der gesamte Sachverhalt auf.

Teil II: Im anschließenden Strafprozess werden M, G und H zu Freiheitsstrafen verurteilt. Mit seiner Revi-sion beanstandet M´s Verteidiger V, das LG habe – was zutreffend ist – auch die Aussage von G verwer-tet, der im Ermittlungsverfahren gegenüber dem Ermittlungsrichter E eine die Mitbeschuldigten belastende Aussage gemacht hatte. M´s Verteidiger sei jedoch trotz fehlenden gesetzlichen Ausschlussgrunds nicht von dem Vernehmungstermin vor dem Ermittlungsrichter benachrichtigt worden.

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hemmer! Life&Law · 05/2015 379

In der Hauptverhandlung hatten sowohl M als auch G und H von ihrem Aussageverweigerungsrecht Ge-brauch gemacht und der Vernehmung des Ermittlungsrichters als Zeugen widersprochen. Dieser war je-doch gleichwohl vernommen worden. M´s Verteidiger sieht hierin einen Verstoß gegen die StPO und die Garantien der EMRK.

Vermerk für die Bearbeiter: Beide Teile der Aufgabe sind zu bearbeiten. In einem Gutachten, das auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, sind in der vorgegebenen Reihenfolge folgende Fragen zu beantworten:

Zu Teil I: Wie haben sich G, H und M nach dem StGB strafbar gemacht? Eventuell erforderliche Strafan-träge sind gestellt. Auf § 21 I Nr. 1 StVG wird hingewiesen. Andere Normen des StGB bleiben bei der Bearbeitung außer Betracht.

Zu Teil II: Ist die von M´s Verteidiger ordnungsgemäß eingelegte und zulässige Revision begründet?

Skizzierung der wesentlichen inhaltlichen Probleme:

Zu Teil I:

1. Tatkomplex: Der Überfall auf O

Sinnvoll erscheint es, zunächst die Strafbarkeit von G und H zusammen zu prüfen und sodann die Straf-barkeit von M. Der Sachverhalt ist angelehnt an BGH, Beschluss vom 31.07.2012 – 3 StR 231/12.

A) Strafbarkeit von G und H

Zu prüfen und zu bejahen ist zunächst eine Strafbarkeit gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 3 und 4, 25 II StGB. Auf-grund des gemeinsamen Tatplans sowie des arbeitsteiligen Vorgehens erfolgt zwischen G und H eine wechselseitige Zurechnung der einzelnen Tatbeiträge, § 25 II StGB. Verwirklicht sind ebenfalls eine Frei-heitsberaubung (§ 239 StGB) sowie eine Bedrohung (§ 241 StGB), jeweils in Mittäterschaft. Bezüglich der geplanten aber nicht erfolgreichen Einschüchterung ist zudem an eine Strafbarkeit wegen versuchter Nö-tigung in Mittäterschaft zu denken, §§ 240 I, III, 22, 23 I StGB. Gedacht werden könnte auch an eine Prü-fung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Allerdings fehlt es jedenfalls an der Stoff-gleichheit zwischen erstrebter Bereicherung und dem (möglichen) Vermögensschaden des O durch den intendierten Auszug. Die §§ 239a, 239b StGB scheitern an einer fehlenden hinreichenden stabilen Be-mächtigungslage bezüglich des anvisierten Nötigungserfolgs (Auszug). Kurz angeprüft werden kann schließlich noch der Hausfriedensbruch, § 123 I Alt. 1 StGB. Nach h.M. fehlt es jedoch am Merkmal „Ein-dringen“, da O die beiden Türsteher irrtumsbedingt in seine Wohnung einließ (tatbestandsausschließen-des Einverständnis). Eine Strafbarkeit wegen Aussetzung, § 221 StGB, scheitert an der hierfür erforderli-chen konkreten Gefährdungssituation.

B) Strafbarkeit des M Als einer der Hauptschwerpunkte zu erkennen und zu diskutieren ist zunächst eine Strafbarkeit des M wegen eines schweren Raubes in mittelbarer Täterschaft bezüglich des Portemonnaies von O samt Inhalt, §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 25 I Alt. 2 StGB. Indem M gegenüber G und H verheimlichte, dass er die Wegnah-me von Gegenständen beabsichtigte, weisen diese bezüglich einer Wegnahme sowie der finalen Ver-knüpfung des Gewalteinsatzes mit der Wegnahme keinen Vorsatz auf. M instrumentalisierte insoweit G und H bewusst. Aufgrund dessen hielt M das Geschehen steuernd in den Händen („Tatherrschaft“), so-dass ihm der Einsatz der Raubmittel von G und H als sein eigenes Werk gem. § 25 I Alt. 2 StGB zuge-rechnet werden kann. Selbiges gilt für den Einsatz des Dolches als Drohmittel, sodass auch §§ 250 II Nr. 1, 25 I Alt. 2 StGB verwirklicht sind. Die ebenfalls verwirklichten §§ 242 ff. StGB treten hierzu in Ge-setzeskonkurrenz zurück. Daneben ist zu erörtern, ob M als Mittäter oder Anstifter bezüglich der von G und H verwirklichten Tatbe-

stände (s.o.) anzusehen ist. Letzteres dürfte nach umfassender Abwägung überzeugen. Schließlich macht sich M wegen Hausfriedensbruchs strafbar, § 123 I StGB. Durch das Öffnen der Tür seitens G und H ist ein Betreten gegen den Willen des bereits gefesselten O hinreichend manifestiert. Anzumerken ist, dass sich G und H diesbezüglich wegen Beihilfe zu § 123 I StGB strafbar gemacht haben. Insgesamt stehendie verwirklichen Delikte sowohl bei G und H, als auch M aufgrund des jeweils einheitlichen Geschehensab-laufs zueinander in Tateinheit, § 52 StGB.

2. Tatkomplex: Polizeikontrolle / Strafbarkeit des M

Indem M ein Fahrzeug führt, obwohl er absolut fahruntüchtig ist und insoweit fahrlässig handelt, macht er sich gem. § 316 II StGB strafbar (§ 21 I Nr. 1 StVG ist nicht zu erwähnen, da nach der Strafbarkeit nach dem StGB gefragt ist).

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380 hemmer! Life&Law · 05/2015

Indem er O´s Bibliotheksausweis dem Polizeibeamten vorhielt, könnte M sich wegen Missbrauchs von Ausweispapieren strafbar gemacht haben, § 281 StGB. Hierfür müsste es sich um ein Ausweispapier in diesem Sinne gehandelt haben. Nach dem Schutzzweck der Vorschrift sind hiervon Urkunden erfasst, die dem Nachweis der Identität oder der persönlichen Verhältnisse dienen und von einer Behörde oder einer sonstigen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, ausgestellt wurden. Gleichgestellt werden gem. § 281 II StGB amtliche Dokumente, die zwar primär nicht zum Nachweis der Personenidentität bestimmt sind, denen aber eine ausweisgleiche Funktion zukommen kann. Vorliegend könnte erwogen wer-den, ein taugliches Tatobjekt anzunehmen, weil der Polizeibeamte anscheinend den Bibliotheksausweis als Dokument akzeptierte. Dagegen spricht allerdings, dass § 281 StGB das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die besondere Autorität gerade des staatlichen Urhebers schützen will und dies bei einem bloßen Biblio-theksauweis nicht vorliegt. Zudem spricht für eine Ablehnung von § 281 StGB, dass der Ausweis kein Licht-bild enthält. Erfüllt hat M hingegen § 267 I StGB: Indem er das polizeiliche Vernehmungsprotokoll mit dem Namen des O unterschrieb, hat er über die Ausstelleridentität getäuscht, mithin eine unechte Urkunde her-gestellt, § 267 I Var. 1 StGB. Mit Rückgabe an den Polizeibeamten hat er diese auch gebraucht, § 267 I Var. 3 StGB. Nach der Rechtsprechung besteht insoweit eine tatbestandliche Handlungseinheit, so dass nur eine Urkundenfälschung anzunehmen ist (a.A.: mitbestrafte Vor- bzw. Nachtat). Überdies könnte sich M wegen einer falschen Verdächtigung gem. § 164 I StGB strafbar gemacht haben,

indem er O´s Namen gegenüber dem Polizeibeamten angab bzw. mit dessen Namen das Vernehmungs-protokoll unterschrieb. Eine taugliche Tatsituation liegt vor. M müsste jedoch in der Absicht – und zwar im Sinne eines Wissens und Wollens – gehandelt haben, ein behördliches Verfahren gegen O herbeizufüh-ren. Laut Sachverhaltsangaben gab M den Namen von O nur an, um sich selbst vor Strafverfolgung zu schützen. Überdies wusste M, dass O über eine Fahrberechtigung verfügte und ging fahrlässig davon aus, fahrtauglich zu sein. Die besseren Argumente sprechen somit dafür, eine Strafbarkeit gem. § 164 I StGB zu verneinen. Auch eine Strafbarkeit wegen eines Fortdauern-Lassens von behördlichen Maßnah-men gem. § 164 I StGB gegen O ist richtigerweise zu verneinen, da M nichts davon mitbekam, dass die Polizei gegen O ermittelte. Zu prüfen ist dann als subsidiäre Strafvorschrift § 145d I bzw. II StGB. Je nach Argumentation kann eine entsprechende Strafbarkeit bejaht oder verneint werden. Geprüft werden kann schließlich noch eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung, §§ 258 I, 22,

23 I StGB (scheitert bereits an einem „anderen“ i.S.d. Vorschrift bzw. Abs. 5), eine Strafbarkeit wegen uneidlicher Falschaussage gem. § 153 StGB (scheitert an einer tauglichen Tatsituation). Bezüglich des Strafvorwurfs eines Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB fehlt es ersichtlich an einer tauglichen Tathandlung. Bezüglich der §§ 186, 187 StGB fehlt es jedenfalls am Vorsatz, da M denkt, nicht betrunken zu sein, also keine ehrenrührige Tatsachenbehauptung äußern möchte. Aufgrund eines fehlenden einheitlichen natürlichen Willens sprechen die besseren Argumente dafür, eine Strafbarkeit des M wegen § 267 I StGB in Tatmehrheit mit § 316 II StGB anzunehmen.

Zu Teil II:

Die von M´s Verteidiger eingelegte Revision ist begründet, wenn eine Gesetzesverletzung vorliegt und das Urteil darauf beruht, § 337 StPO. Eine Gesetzesverletzung könnte darin liegen, dass der Ermittlungs-richter als Zeuge vom Hörensagen in der Hauptverhandlung vernommen wurde (Folge wäre ein Verstoß gegen § 261 StPO). Aufgrund des erfolgten Widerspruchs wäre ein möglicher Verfahrensfehler jedenfalls nicht geheilt. Ein Verstoß gegen § 250 S. 2 StPO (Unmittelbarkeitsgrundsatz) liegt nicht vor. Jedoch könn-te ein unselbstständiges Beweisverwertungsverbot vorliegen, wenn der Verteidiger des M über die Ver-nehmung des mitbeschuldigten G durch den Ermittlungsrichter hätte benachrichtigt werden müssen. Dies ist strittig. Die wohl h.L. bejaht ein Anwesenheitsrecht in Analogie zu § 168c II StPO, u.a. mit Hinweis auf die Gewährleistung einer effektiven Verteidigung (vgl. Wertung des Art. 6 IIId EMRK). Anders die Recht-sprechung, welche weder eine Regelungslücke sieht noch die Veranlassung zu einer sinnentsprechenden Anwendung (= Überwiegen des Interesses an der Wahrheitsfindung; vgl. BGHSt. 32, 391 m.w.N.). Folgt man der Rechtsprechung, ist die Revision unbegründet.

hemmer-Trainingsplan-Info: Der Fall weist in inhaltlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten auf, mit der Ausnahme der mittelbaren Täterschaft bezüglich der Verwirklichung des schweren Raubes seitens des M. Im Übrigen ging es vor allem um BT-Probleme. Besonderes Wissen war hier nicht gefragt, son-dern eine präzise argumentative Auseinandersetzung bei einzelnen Subsumtionsproblemen. Die Frage-stellung in Teil II ist weniger klassisch, war allerdings wenige Monate vor dem Termin „eins zu eins“ Ge-genstand unseres Klausurenkurses (Nr. 1605).

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hemmer! Life&Law 05/2015 381

C) Öffentliches Recht:

Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends:

Schwerpunkte im Verfassungsrecht, Baurecht und Kommunalrecht zum wiederholten Male kein vertieftes Europarecht

Klausur Nr. 5:

Problemstellung: In einer rein verfassungsrechtlichen Klausur waren zwei Verfassungsbeschwerden auf Erfolgsaussichten zu prüfen. Während die erste eine relativ aktuelle Entscheidung des BVerfG als Aufhänger hat, ist mit der Auslegung von Äußerungen ein absoluter Klassiker des Verfassungsrechts Schwerpunkt der zweiten Beschwerde gewesen.

Sachverhalt: Die niederbayerische Gemeinde B lädt am Volkstrauertag zu einer Feierstunde am Kriegerdenkmal auf dem Gelände des gemeindlichen Friedhofs öffentlich ein. Das Motto lautet: „Für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt“ zum Gedenken an gefallene Soldaten und zivile Kriegsopfer. Die Friedhofsbenutzung ist als Nutzung einer öffentlichen Einrichtung durch Satzung geregelt.

Die Pazifisten M, F und W wollen gegen die Feierstunde demonstrieren. W ist österreichischer Staatsbürger und lebt wie M und F seit Jahren in B. Während der Feierstunde stellen sie sich auf den Friedhof. M und F rufen während der Rede des Bürgermeisters „Frieden, Frieden“, W hält ein Transparent mit der Aufschrift „Es gibt nichts zu trauern - nur zu verhindern. Den deutschen Gedenkzirkus verhindern.“ hoch. Die örtliche Polizei fordert sie daraufhin zum Verlassen des Friedhofs auf; sie kommen dem nach, jedoch sagt M für alle gut hörbar zu Polizist H: „Traurig, dass die Polizei das Andenken von Mördern schützt.“

W erhält von der zuständigen Behörde einen Bußgeldbescheid über 300,- €. Auf seinen Einspruch hin wird er vom zuständigen Amtsgericht zu einer Geldbuße i.H.v. 300,- € verurteilt. Zur Begründung wird ausgeführt, W habe durch Teilnahme am Protest und Ausrollen des Transparents eine grob ungehörige Handlung i.S.d. § 118 I OWiG begangen; auf die Aussage auf dem Transparent käme es nicht an. Er habe objektiv das Minimum an Regeln grob verletzt, welches für das Zusammenleben von Menschen in einer offenen Gesellschaft unabdingbar sei. Ein Friedhof als Rückzugsort für Trauernde, die ein Recht auf Bestattung und Erinnerung haben, könne nicht zum Gegenstand von Auseinandersetzungen gemacht werden. Er habe die Menschenwürde, die über den Tod hinausginge verletzt, was nicht durch sein Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt sei. Zudem habe er unterlassen, seinen Protest zu melden, was nach § 5 der Friedhofssatzung („Zusammenkünfte, Aufzüge und Versammlungen auf dem Friedhof müssen eine Woche vorher bei der Gemeinde angemeldet werden“) vorgeschrieben sei. Er könne sich auch nicht auf die ordnungsgemäße Anmeldung der Feierstunde selbst berufen. Zudem sei der Friedhof alleine zum Zweck privater Trauer und des Gedenkens Verstorbener für die Allgemeinheit zugänglich.

Das Rechtsmittel des W zum letztinstanzlichen OLG bleibt erfolglos, da das amtsgerichtliche Urteil keine Rechtsfehler aufweise.

M wird wegen seiner Äußerung gegenüber Polizist H in einem Strafverfahren wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe i.H.v. 500,- € verurteilt, da diese nur als Missachtung H gegenüber verstanden werden könne und er ihn sinngemäß der Unterstützung von Mördern bezichtigt habe.

Auch hier blieben alle Rechtsmittel ohne Erfolg.

W ist der Meinung, die öffentliche Ordnung i.S.d. § 118 OWiG könne die Versammlungsfreiheit nicht beschränken; die Norm sei zu unbestimmt und unverhältnismäßig. Sein Recht auf Versammlungsfreiheit sei verletzt, da bei der Entscheidung über das Vorliegen einer OWi nicht berücksichtigt wurde, dass er Versammlungsteilnehmer gewesen war.

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382 hemmer! Life&Law · 05/2015

M sieht sich in seiner Meinungsfreiheit verletzt, da seiner Verurteilung eine nur einseitige Auslegung seiner Äußerung zugrunde lag.

Laut Bearbeitervermerk ist das Gutachten der von M und W beauftragten Rechtsanwältin S zu erstellen, in welchem ggf. hilfsgutachtlich die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu prüfen sind. Auf die Annahme der Beschwerde ist dabei nicht einzugehen. Von der Wirksamkeit des § 185 StGB sowie der Friedhofssatzung ist auszugehen. Das BayVersG ist bei der Bearbeitung außer Betracht zu lassen.

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Die Verfassungsbeschwerden zum BVerfG nach Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG sind erfolgreich, soweit sie zulässig und begründet sind.

I. In der Zulässigkeit ist hinsichtlich des W zunächst festzuhalten, dass er auch als Ausländer Grundrechtsträger und damit beschwerdeberechtigter „Jedermann“ ist. Beide Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen die jeweilige Ausgangsentscheidung in Gestalt des jeweils letztinstanzlichen Urteils und damit gegen Akte der öffentlichen Gewalt i.S.d. Art. 93 I Nr. 4a GG.

Beide Beschwerdeführer sind auch beschwerdebefugt, da sie zumindest möglicherweise selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem ihrer Grundrechte verletzt sind. Bei M ist hier eine Verletzung seiner Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 I S. 1 GG möglich. Bei W ist auf Art. 8 I GG abzustellen. Auf dieses Grundrecht kann er sich auch als österreichischer Staatsbürger berufen. Zwar handelt es sich seinem Wortlaut nach um ein Deutschengrundrecht, nach mittlerweile ganz h.M. ist Art. 8 I GG aber auch auf EU-Bürger anwendbar, da andernfalls ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV vorläge. Das Deutschengrundrecht aus Art. 8 I GG ist insoweit europarechtskonform als Recht der EU-Bürger auszulegen.

Da der Rechtsweg jeweils erschöpft wurde und weitere Möglichkeiten, die behaupteten Grundrechtsverletzungen aus der Welt zu schaffen, nicht ersichtlich sind, stehen auch das Gebot der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden nicht entgegen.

II. In der Begründetheit der Verfassungsbeschwerden ist zu beachten, dass Prüfungsmaßstab bei Urteilsverfassungsbeschwerden nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts, nicht die Verletzung einfachen Rechts ist. Ein „nur rechtswidriges“ Urteil bleibt beim BVerfG bestehen, eine Verfassungsbeschwerde hiergegen ist erfolglos.

1. W könnte durch den Bußgeldbescheid und die ihn bestätigenden Gerichtsurteile in seinem Grundrecht aus Art. 8 I GG verletzt sein.

a) Der persönliche Schutzbereich dieses Grundrechts ist eröffnet, s.o. In sachlicher Hinsicht schützt Art. 8 I GG das Recht, sich ohne Anmeldung friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Eine Versammlung ist dabei eine örtliche Zusammenkunft mehrerer - mindestens aber zweier - Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung und umfasst auch provokative Äußerungen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit umfasst grundsätzlich die Wahl des Versammlungsortes. Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Gemessen an diesen Vorgaben handelt es sich bei der Zusammenkunft, an der W teilgenommen hat, um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 I GG. Die Zusammenkunft hatte den Zweck, gegen das Gedenken Stellung zu nehmen und mit einem Transparent gemeinsam Position gegen die Gedenkveranstaltung zu beziehen; hierbei handelte es sich um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Fraglich ist alleine, ob Art. 8 I GG auch das Recht umfasst, diese Versammlung gerade auf einem Friedhof abzuhalten. Bei einem Friedhof handelt es sich jedenfalls in der Regel um einen Ort, der sowohl nach seiner Widmung als auch den äußeren Umständen nach nur für begrenzte Zwecke zugänglich ist und nicht als Stätte des allgemeinen öffentlichen Verkehrs und Ort allgemeiner Kommunikation anzusehen ist. Entscheidend ist aber, wieweit der Friedhof tatsächlich für die allgemeine Kommunikation geöffnet ist oder nicht. Danach war in der vorliegenden Situation auf dem

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hemmer! Life&Law 05/2015 383

Friedhof ein kommunikativer Verkehr eröffnet. Durch die Veranstaltung der Gemeinde wird der Friedhof jedenfalls am fraglichen Tag zu einem Ort allgemeiner öffentlicher Kommunikation. Der Gedenkzug diente nach der Ankündigung auch zu einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlich bedeutsamen Themen. Daher kann sich W jedenfalls an diesem Tage für seine Zusammenkunft auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen, zumal sein Protest konkret auf das Anliegen der Veranstaltung der Gemeinde bezogen ist.

b) Mit der strafgerichtlichen Verurteilung, die an das Abhalten der Versammlung auf dem Friedhof anknüpft, wird in den Schutzbereich des Art. 8 I GG eingegriffen.

c) Der Eingriff durch die Verurteilung wäre gerechtfertigt, soweit er auf einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage beruht und diese auch verfassungsgemäß angewendet wurde.

Die Verurteilung des W wird auf § 118 OWiG gestützt, sodass auch diese Vorschrift selbst verfassungsgemäß sein muss. Fraglich ist insoweit die Bestimmtheit der Norm. Maßstab ist das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG. Diese Vorschrift fordert, dass die Strafbarkeit „gesetzlich bestimmt“ ist. Jedermann soll vorhersehen können, welches Handeln mit welcher Strafe bedroht ist, und sein Verhalten entsprechend einrichten können. Welches Verhalten mit Strafe bedroht ist, lässt sich aber dann nicht vorhersehen, wenn das Gesetz einen Straftatbestand zu unbestimmt fasst. Allerdings kann das Strafrecht nicht völlig darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die nicht eindeutig allgemeingültig umschrieben werden können und die in besonderem Maße der Auslegung durch den Richter bedürfen. Art. 103 II GG verlangt daher nur innerhalb eines bestimmten Rahmens eine gesetzliche Umschreibung der Strafbarkeit. Welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muss, lässt sich nicht allgemein sagen. Die erforderliche Gesetzesbestimmtheit hängt von der Besonderheit des jeweiligen Straftatbestandes und von den Umständen ab, die zu der gesetzlichen Regelung führen. Jedenfalls muss das Gesetz die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso präziser bestimmen, je schwerer die angedrohte Strafe ist. Hieran gemessen ist § 118 OWiG hinreichend bestimmt. Zum einen handelt es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit und nicht um eine schwere Strafe, zum anderen kann der Bürger im Allgemeinen voraussehen, in welchen Fällen die Gerichte § 118 OWiG anwenden werden, da hier auf eine fast 200 Jahre alte gefestigte Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann.

Da die der Verurteilung zugrundeliegenden Normen verfassungsgemäß sind, kommt es auf die verfassungsgemäße Anwendung im Einzelfall an. Das Amtsgericht geht hier davon aus, dass es deswegen an einer Versammlung fehle, weil diese nicht angemeldet worden war und überhaupt eine Versammlung auf einem Friedhof nicht zulässig sei. Diese Auffassung ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 8 I GG nicht zu vereinbaren und verkennt den Schutzbereich dieses Grundrechts grundlegend. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 I GG hängt nicht von einer Genehmigung oder Anmeldung ab.

Das Amtsgericht hat damit zu Unrecht Art. 8 I GG nicht in seine Überlegungen eingestellt. Folglich hat das Amtsgericht auch nicht die gebotene Abwägung mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit vorgenommen. Die Verfassungsbeschwerde des W ist somit begründet, da Art. 8 I GG verletzt ist.

2. Die Verurteilung des M greift in dessen Meinungsäußerungsrecht aus Art. 5 I S. 1 GG ein, da Anknüpfungspunkt der Verurteilung eine Äußerung des M war, wobei es für den Eingriff in den Schutzbereich noch nicht darauf ankommt, ob diese Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung i.e.S. ist, da grundsätzlich beides in den Schutzbereich des Art. 5 I S. 1 GG fällt. Im Rahmen der Rechtfertigung kommt es allein auf die Einzelfallanwendung an, da hier von der Verfassungsgemäßheit der zugrundeliegenden Norm, dem § 185 StGB, auszugehen ist. Maßgeblich ist damit, ob der Richter bei der Verurteilung des M dessen Meinungsäußerungsfreiheit und das widerstreitende Recht der persönlichen Ehre vertretbar abgewogen hat.

Voraussetzung für eine fehlerfreie Abwägung ist aber immer, dass der Sinn der Äußerungen zutreffend erfasst wurde. Urteile, die den Sinn der umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben.

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384 hemmer! Life&Law · 05/2015

Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben wird das Strafurteil hier nicht gerecht, wenn es die Äußerung des M eindeutig als Kundgabe der Missachtung des Polizisten H bewertet. Zum einen ist bereits fraglich, ob die Äußerung des M überhaupt individuell auf H gemünzt war, da M sich gerade nicht ausdrücklich auf H, sondern „die Polizei“ bezog. Zum anderen musste das Gericht – gerade vor dem Hintergrund der Gedenkversammlung und der Kritik an dieser – auch Auslegungen der Äußerung des M in Betracht ziehen, die in die Richtung einer Kritik an den allgemeinen politischen Verhältnissen gehen.

Damit ist auch die Verfassungsbeschwerde des M begründet, da dessen Rechte aus Art. 5 I S. 1 GG bei der Verurteilung verletzt wurden.

hemmer-Trainingsplan-Info: Eine dankbare Klausur – wenn man nicht den typischen Fehler vieler Examenskandidaten begeht und Verfassungsrecht als Examensthema ausblendet. Tatsächlich ist Verfassungsrecht immer wieder Schwerpunkt von Examensklausuren und dürfte eines der am häufigsten geprüften Gebiete sein. Dementsprechend gewichten wir Verfassungsrecht sowohl in unserem Hauptkurs als auch in der Life & Law. Die „Versammlung auf einem Friedhof“ wurde ausführlich dargestellt in der Entscheidung des BVerfG, Beschluss vom 20.06.2014, 1 BvR 980/13 = Life & Law 10/2014, sodass für fleißige Leser dieser Zeitung ein Großteil der Klausur ein „gefundenes Fressen“ war. Der zweite Teil der Klausur ist dem Klassiker „Soldaten sind Mörder“ nachgebildet, der auch Gegenstand unseres Falles 3 im Hauptkurs Verfassungsrecht ist. Kurz gesagt in den Worten unserer Zivilrechtler: Für Hemmer-Kursteilnehmer ein absoluter Volltreffer….

Klausur Nr. 6:

Problemstellung: Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung, bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Anlage, Vorhaben im Außenbereich, gemeindliches Einvernehmen

Sachverhalt:

Auf einem Grundstück in der kreisangehörigen Gemeinde Taching, Landkreis Traunstein, Regierungsbezirk Oberbayern will die e-GmbH eine Windkraftanlage mit einer Gesamthöhe von 35 m errichten. Das Grundstück, im Eigentum der Frau H stehend, ist für 20 Jahre an die GmbH verpachtet, die ein gewerblicher Stromanbieter ist und mehrere Windkraftanlagen betreibt. Es liegt im Außenbereich auf einem Höhenrücken in der Nähe des Tachinger Sees in einem Bereich hoher Windstärken. In der Nähe befinden sich Hochspannungsleitungen, die nächste Wohnbebauung im Ortsteil Tengling ist ca. 1,7 km entfernt. Zu dem Grundstück führt nur ein ca. 2,7 m breiter, nicht asphaltierter öffentlicher Feldweg. Die Gemeinde Taching am See, 1920 Einwohner, ist Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Waging, bestehend aus den Gemeinden Taching am See, Wonneberg und dem Markt Waging am See, wo sich der Sitz der Verwaltungsgemeinschaft befindet.

Unterschrieben von der Geschäftsführerin B geht der Bauantrag der GmbH am 08.10.2014 bei der Verwaltungsgemeinschaft ein, die ihn an die Gemeinde Taching weiterleitet, wo er am 10.10.2014 eingeht. Die Bausache wird dort am 30.10.2014 nach ordnungsgemäßer Ladung im Gemeinderat behandelt. Da man sich mehrheitlich über die planungsrechtliche Zulässigkeit am vorgesehenen Standort unsicher ist, wird mehrheitlich der Beschluss gefasst, sich zunächst vom zuständigen Referenten des Bayerischen Gemeindetages beraten zu lassen.

In der Sitzung am 08.12.2014, ordnungsgemäß ortsüblich bekannt gemacht, ist die Bausache auf der Tagesordnung. Versehentlich wird die Tagesordnung nicht mit der Ladung an die Gemeinderatsmitglieder versandt; in der Sitzung erklären sich aber alle anwesenden Mitglieder bereit, über die Bausache zu beraten. Nicht anwesend ist der entschuldigte Gemeinderat P, von der anstehenden Beschlussfassung über das gemeindliche Einvernehmen ausgeschlossen wird Herr H, der geschiedene Ehemann der Eigentümerin und Verpächterin des Grundstücks. Der Gemeinderat beschließt im Anschluss einstimmig die Verweigerung des Einvernehmens. Begründet wird dies damit, dass eine gewerbliche Nutzung die Privilegierung im Außenbereich fraglich mache, zumal – da der Flächennutzungsplan eine landwirtschaftliche Fläche vorsehe – nach § 35 III BauGB öffentliche Belange betroffen seien. Die GmbH könne sich, da sie nicht Eigentümerin sei, nicht auf Art. 14 GG berufen. Auch sei die wegemäßige

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Erschließung nicht sichergestellt, woran auch das Vertragsangebot der GmbH nichts ändere, wonach man die Erschließung auf eigene Kosten zusichere. Zu einem solchen Vertragsabschluss könne die Gemeinde wegen Art. 28 II GG nicht gezwungen werden. Zudem spreche die Prägung der Gemeinde als Fremdenverkehrsgebiet gegen die Erteilung. Die Verweigerung des Einvernehmens geht dem LRA Traunstein am 11.12.2014 zu.

Mit Bescheid vom 17.12.2014, mit einfachem Brief am selben Tag zur Post gegeben, wird der Bauantrag abgelehnt; der Ablehnungsbescheid mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung geht der GmbH am 19.12.2014 zu.

RAin V erhebt im Namen der GmbH Klage zum VG München, dort eingegangen am 20.01.2015, gegen den Ablehnungsbescheid und beantragt dessen Aufhebung sowie die Verurteilung des LRA zur Erteilung der Baugenehmigung. Zur Begründung wird vorgetragen, das Bauvorhaben sei unabhängig von der gewerblichen Nutzung im Außenbereich privilegiert – öffentliche Belange änderten daran nichts. Die Eigentumsstellung sei irrelevant, wenn man eine Baugenehmigung wolle. Die Prägung durch den Fremdenverkehr sei kein Umstand, der im Rahmen von § 35 BauGB von Bedeutung wäre, eine dahingehende Planung läge nicht vor. Die Gemeinde könne das Angebot der GmbH hinsichtlich des konkreten Erschließungsangebots nicht ablehnen, an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gäbe es keine Zweifel. Zuletzt könne die Gemeinde als Mitglied einer Verwaltungsgemeinschaft wohl gar nicht eigenständig entscheiden.

Mit Beschluss des VG München vom 05.02.2015 wird die Gemeinde Taching beigeladen. Für diese nimmt RA D mit Schreiben vom 18.02.2015 Stellung und beantragt Klageabweisung. Er verweist auf die Gründe, die zur Ablehnung des Bauantrags geführt haben und führt ergänzend aus, dass der Gemeinderat mit Beschluss vom 03.02.2015 formell ordnungsgemäß die Aufstellung eines Bebauungsplans und daran anschließend eine Veränderungssperre beschlossen hat, welche bereits ordnungsgemäß ortsüblich bekanntgemacht wurden. Ziel der Bauleitplanung sei die Erhaltung der fremdenverkehrlichen Prägung, weshalb für den gesamten Außenbereich ein Sondergebiet „Fremdenverkehr“ unter Ausschluss besonderer emissionsträchtiger Nutzungen nach § 35 I Nr. 3 und 5 BauGB festgelegt werde. Dies müsse in vorliegendem Verfahren Berücksichtigung finden, sodass die planungsrechtliche Unzulässigkeit feststehe.

RAin V erwidert mit Schriftsatz vom 27.02.2015, dass die gemeindliche Planung eines Sondergebietes für den gesamten Außenbereich vor § 35 I BauGB keinen Bestand haben könne.

In einem Gutachten ist auf sämtliche aufgeworfenen Rechtsfragen einzugehen und sind die Erfolgsaussichten der Klage der GmbH zu prüfen. Nicht einzugehen ist auf Immissions- und Naturschutzrecht, da von einer Zustimmung der Naturschutzbehörde zu dem Vorhaben auszugehen ist.

Skizzierung der inhaltlichen Probleme: In der Zulässigkeit der Klage ist das Klagebegehren auszulegen. Statthaft ist demnach nur eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage. Die Klage gegen den Ablehnungsbescheid ist hier inbegriffen und stellt keine weitere eigenständige Klage dar. Der für die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO mögliche Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt ist unabhängig von der fehlenden Eigentümerstellung der Klägerin. Art. 64 IV S. 2, 68 IV BayBO ist klar zu entnehmen, dass der Bauantragsteller nicht Eigentümer des Baugrundstücks sein muss. Die Klage ist noch fristgerecht erhoben. Das am 17.12.2014 als einfaches Schreiben zur Post gegebene Schriftstück gilt nach Art. 41 II S. 1 BayVwVfG am 20.12.2014 als bekanntgegeben, der frühere tatsächliche Zugang ist irrelevant. Die Klagefrist des § 74 II, I S. 2 VwGO läuft somit nach § 57 II VwGO, § 222 ZPO, §§ 187 f. BGB vom 21.12.2014 bis 20.01.2015.

Richtiger Beklagter ist der Freistaat Bayern als Rechtsträger der für die Erteilung der Baugenehmigung zuständigen Behörde Landratsamt, Art. 53 I, 54 I BayBO, Art. 37 I S. 2 LKrO, § 78 I Nr. 1 VwGO. Die Verpflichtungsklage ist im Weiteren begründet, soweit ein Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung besteht, was v.a. die Genehmigungspflichtigkeit und Genehmigungsfähigkeit der Anlage voraussetzt. Die Genehmigungspflichtigkeit nach Art. 55 I BayBO ist hier unproblematisch zu bejahen.

Der Genehmigungsfähigkeit könnte zunächst die Veränderungssperre nach § 14 BauGB entgegenstehen, da eine wirksame Veränderungssperre nach § 14 I BauGB ein Genehmigungsverbot beinhaltet. Irrelevant

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ist insoweit, dass die Veränderungssperre erst nach Stellung des Bauantrags beschlossen wurde. Im Rahmen einer Verpflichtungsklage kommt es auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an und außerdem stellt § 14 III BauGB klar, dass nur bereits genehmigte Vorhaben von einer Veränderungssperre nicht mehr berührt werden. Allerdings ist die Veränderungssperre nicht wirksam beschlossen worden. Es liegt zwar ein formell ordnungsgemäßer Planaufstellungsbeschluss vor, die beabsichtigte Planung könnte aber zum einen eine unzulässige Negativplanung sein, da es offenbar nur um die Verhinderung des klägerischen Vorhabens und nicht um die Realisierung tatsächlicher planerischer Ziele geht. Zum anderen ist die Festsetzung „Fremdenverkehr“ für den gesamten Außenbereich jedenfalls zu unbestimmt. Für eine wirksame Veränderungssperre müssen aber die Grundzüge der künftigen Planung jedenfalls in einem solchen Maße bestimmt sein, dass auch Ausnahmen nach § 14 II BauGB erteilt werden können.

Die Genehmigungsfähigkeit beurteilt sich im Weiteren nach Art. 68 I S. 1 HS 1 BayBO i.V.m. Art. 60 BayBO, da die Anlage nach Art. 2 IV Nr. 2 BayBO einen Sonderbau darstellt. Bauordnungsrechtliche Bedenken sind nach dem Sachverhalt nicht ersichtlich, insbesondere fehlen Angaben, um die Abstandsfläche nach Art. 6 I BayBO bestimmen zu können.

Die planungsrechtliche Zulässigkeit bestimmt sich nach § 35 BauGB. Das klägerische Vorhaben ist nach § 35 I Nr. 5 BauGB privilegiert, da es der Nutzung der Windenergie dient. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Nutzung wie hier gewerblichen Zwecken dient oder nicht. Das Gesetz differenziert hier nicht. Ein privilegiertes Vorhaben ist nur dann unzulässig, wenn öffentliche Belange entgegenstehen, was im Rahmen einer Einzelfallabwägung festzustellen ist. Die Belange des § 35 III S. 1 BauGB können hierzu grundsätzlich als Ausgangspunkt einer Abwägung herangezogen werden. Eine Besonderheit gilt allerdings für die Darstellungen des Flächennutzungsplans, § 35 III S. 1 Nr. 1 BauGB. Diese können aufgrund der Planersatzfunktion des § 35 I BauGB nur dann herangezogen werden, wenn sie qualifizierte Standortaussagen enthalten, was hier mit der vagen Darstellung „landwirtschaftliche Fläche“ gerade nicht der Fall ist. Auch für schädliche Umwelteinwirkungen nach § 35 III S. 1 Nr. 3 BauGB ist hier nichts ersichtlich, da die nächste Wohnbebauung ca. 1,7 km entfernt ist. Die von der Gemeinde angeführten Belange des Fremdenverkehrs sind im § 35 III S. 1 BauGB zwar nicht ausdrücklich genannt. Diese Aufzählung ist aber zum einen nicht abschließend, zum anderen lässt sich der Aspekt des Fremdenverkehrs unter § 35 III S. 1 Nr. 5 BauGB, insbesondere den Schutz des Erholungswertes subsumieren. Für ein Entgegenstehen dieser Belange i.S.d. § 35 I BauGB genügt aber gerade nicht, dass dieser Aspekt durch das klägerische Vorhaben berührt wird. Dies dürfte bei nahezu allen Windrädern der Fall sein. Erforderlich ist ein besonders qualifiziertes Betroffensein, das hier gerade nicht gegeben ist. In der Umgebung der geplanten Anlage findet sich bereits eine Hochspannungsleitung, sodass nicht von einer besonders schutzwürdigen Umgebung auszugehen ist.

Für ein privilegiertes Vorhaben nach § 35 I BauGB genügt eine ausreichende Erschließung. Diese ist bei einem Windrad auch bei einem unbefestigten Feldweg zu bejahen, da hier nur in der Bauphase mit An- und Abfahrtsverkehr zu rechnen ist. Außerdem ist in diesem Kontext das Angebot der Klägerin zu beachten, die erforderlichen Erschließungsmaßnahmen auf ihre Kosten vornehmen zu lassen. Hierdurch wird auch nicht unzulässig in die Rechte der Gemeinde aus Art. 28 II GG eingegriffen. Diese wird nicht zum Abschluss eines bestimmten Vertrages oder einer bestimmten Planung gezwungen.

Das klägerische Vorhaben erweist sich deshalb als planungsrechtlich zulässig – abgesehen von der Problematik des gemeindlichen Einvernehmens, das nach § 36 I BauGB erforderlich ist. Zuständig für die Erteilung des Einvernehmens ist trotz der Mitgliedschaft in der Verwaltungsgemeinschaft die Gemeinde selbst, da es sich um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises handelt, Art. 4 II VGemO. Im vorliegenden Fall gilt das Einvernehmen der Gemeinde aber nach § 36 II S. 2 BauGB als erteilt, da es nicht binnen zweier Monate seit Eingang des Bauantrags wirksam verweigert wurde. Der Bauantrag ging am 08.10.2014 bei der Verwaltungsgemeinschaft ein, die insoweit nach Art. 4 II S. 2 VGemO als Behörde der Gemeinde handelt. Der Zeitpunkt der internen Weiterleitung an die Gemeinde ist irrelevant. Verweigert wurde das Einvernehmen zwar mit einem Beschluss vom 08.12.2014, maßgeblich ist aber nicht das Datum der Beschlussfassung, sondern der Zugang beim Landratsamt am 17.12.2014, vgl. § 130 I BGB.

Selbst wenn man auf das Datum der Beschlussfassung abstellen würde, ergäbe sich aber kein anderes Ergebnis, da kein wirksamer Beschluss gefasst wurde. Der Beschluss vom 08.12.2014 ist bereits aus formellen Gründen unwirksam. Zum einen wurde der Gemeinderat nicht ordnungsgemäß i.S.d. Art. 47 II,

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46 II S. 2 GO geladen, da das Thema nicht auf der mit der Ladung versandten Tagesordnung stand. Eine Heilung dieses Mangels ist nicht möglich, da nicht alle Gemeinderatsmitglieder anwesend waren. Außerdem wurde das Gemeinderatsmitglied H zu Unrecht von der Beschlussfassung ausgeschlossen und so in seinem Teilnahmerecht aus Art. 48 I S. 1 GO verletzt. Eine persönliche Beteiligung i.S.d. Art. 49 I GO lag gerade nicht vor, da H nicht mehr mit der Eigentümerin des Grundstücks, der die Baugenehmigung evtl. einen unmittelbaren Vorteil bringen würde, verheiratet ist.

Somit greift die Fiktion des Einvernehmens nach § 36 II S. 2 BauGB. Dieses fingierte Einvernehmen kann auch nicht widerrufen werden – etwa durch den Gemeinderatsbeschluss vom Februar 2015 –, da dies Sinn und Zweck der Fiktion unterlaufen würde.

Das klägerische Vorhaben stellt sich im Ergebnis als genehmigungsfähig da. Die Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet.

hemmer-Trainingsplan-Info: Eine umfangreiche, aber auch dankbare Klausur zum Abschluss des Termins 2015-I. Die Zulässigkeit einer Versagungsgegenklage, die Berechnung der Klagefrist, der Anspruch auf eine Baugenehmigung, insbesondere die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 35 BauGB, das Einvernehmen der Gemeinde sowie die Probleme in der Beschlussfassung des Gemeinderats sind allesamt Examensklassiker, die dementsprechend häufig in unserem Hauptkurs behandelt werden. Durch die Vielzahl der Probleme sollten hier gerade auch die etwas schwächeren Bearbeiter genügend Gelegenheit zum „Punkten“ gehabt haben. Zugleich findet sich mit der Frage der unzulässigen Negativplanung und der unwirksamen Veränderungssperre auch ein Problem, bei dem die besseren Bearbeiter glänzen konnten. Auch diese Frage wird selbstverständlich in unserem Hauptkurs dargestellt. Betrachtet man beide Klausuren zum öffentlichen Recht, sollte dieses Examen für Teilnehmer des hemmer-Hauptkurses und fleißige Leser dieser Zeitschrift jedenfalls im öffentlichen Recht kein unüberwindbares Hindernis dargestellt haben!