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Aktuelles Life & Law kompakt hemmer! Life&Law 11/2014 841 Life &Law kompakt Examensreport Bayern, Termin 2014-II Hinweis : Die nachfolgenden Übersichten sind keine Musterlösungen. Insbesondere ist der hier verwendete Urteilsstil im ersten Examen nicht vertretbar und allein der knapperen Darstellung geschuldet. Die Lösungshinweise sollen nur zur besseren Orientierung in Ihrer Examensvorbe- reitung dienen. Nur wer die Anforderungen des Examens kennt, lernt richtig. A) Zivilrecht Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends : Schuldrecht, ZPO Grundschuldrecht mit ZPO endlich Arbeitsrecht (mit AGB-Kontrolle) Klausur Nr. 1 Problemstellung : Werkvertrag im Drei-Personen-Verhältnis; Gefahrtragung; Drittschadensliquida- tion; Zuständigkeitsprobleme; Zulässigkeit einer Widerklage Sachverhalt : Bauherr E beauftragt F mit Fliesenlegerarbeiten und T mit dem Einbau der Türen. Teil I : Nach Einbau der Tür, aber noch vor der Abnahme durch E, beschädigt F mit seiner Schubkarre den Türrahmen und verschweigt dies. Da E die Abnahme der beschädigten Tür verweigert, repariert T den Türrahmen in der Meinung, sein Mitarbeiter habe den Schaden verursacht. Nach der erfolgten Abnahme verlangt T von E den Werklohn zuzüglich 1.000,- für die Sanierung. Später erhält T einen anonymen Hinweis, dass F die Tür beschädigt hat. T verlangt von E die Abtretung von dessen Ansprüchen gegen F. Die Abtretung erfolgt daraufhin. Als T von F Schadensersatz verlangt, bestreitet F seine Verantwortlichkeit. Ein von T beauftragtes Sachverständigengutachten (Kosten 200,- ) ermittelt eindeutig die Verantwortlichkeit des F. Dieser bestreitet nach wie vor seine Ersatzpflicht. Zum einen hätte T selbst keinen Schaden erlitten. Außerdem hätte er den Schaden günstiger beheben können, wenn man ihn dazu aufgefordert hätte. Teil II : Als E die Fliesenlegerarbeiten abnehmen will, stellt er fest, dass F mangelhaft gearbeitet hat. E verweigert die Abnahme und setzt eine Monatsfrist zur Beseitigung der Mängel. Da F untätig bleibt, lässt E die Arbeiten von L zum Kostenaufwand von 2.800,- durchführen. Anschließend verklagt der in Mün- chen wohnhafte E den in Augsburg ansässigen F auf Zahlung beim AG München. In der mündlichen Ver- handlung beantragt F Klageabweisung und erklärt nach Gestattung des Vorsitzenden zu Protokoll, dass er Widerklage auf Werklohnzahlung i.H.v. 2.400,- erhebe. Teil I : Frage 1 : Hat T gegen E einen Anspruch auf Zahlung von 1.200,- ? Frage 2 : Hat T gegen F eigene oder abgetretene Ansprüche auf Zahlung von 1.200,- ? Teil II : Frage 1 : Ist das AG München für die Klage des E gegen F zuständig? Frage 2 : Ist die Widerklage zulässig? Hinweis : Auf die VOB/B ist nicht einzugehen. Skizzierung der inhaltlichen Probleme: Teil I : Frage 1 : Ansprüche des T gegen E Da T sowohl Ersatz der Sanierungskosten für die Tür als auch der Gutachterkosten verlangt, war es über- sichtlicher (wenn auch nicht zwingend), diese beiden Posten getrennt zu prüfen.

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Aktuelles Life & Law kompakt

hemmer! Life&Law 11/2014 841

Life & Law kompakt

Examensreport Bayern, Termin 2014-II Hinweis: Die nachfolgenden Übersichten sind keine Musterlösungen. Insbesondere ist der hier verwendete Urteilsstil im ersten Examen nicht vertretbar und allein der knapperen Darstellung geschuldet. Die Lösungshinweise sollen nur zur besseren Orientierung in Ihrer Examensvorbe-reitung dienen. Nur wer die Anforderungen des Examens kennt, lernt richtig.

A) Zivilrecht

Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends: Schuldrecht, ZPO Grundschuldrecht mit ZPO endlich Arbeitsrecht (mit AGB-Kontrolle)

Klausur Nr. 1

Problemstellung: Werkvertrag im Drei-Personen-Verhältnis; Gefahrtragung; Drittschadensliquida-tion; Zuständigkeitsprobleme; Zulässigkeit einer Widerklage

Sachverhalt: Bauherr E beauftragt F mit Fliesenlegerarbeiten und T mit dem Einbau der Türen.

Teil I: Nach Einbau der Tür, aber noch vor der Abnahme durch E, beschädigt F mit seiner Schubkarre den Türrahmen und verschweigt dies. Da E die Abnahme der beschädigten Tür verweigert, repariert T den Türrahmen in der Meinung, sein Mitarbeiter habe den Schaden verursacht. Nach der erfolgten Abnahme verlangt T von E den Werklohn zuzüglich 1.000,- € für die Sanierung.

Später erhält T einen anonymen Hinweis, dass F die Tür beschädigt hat. T verlangt von E die Abtretung von dessen Ansprüchen gegen F. Die Abtretung erfolgt daraufhin. Als T von F Schadensersatz verlangt, bestreitet F seine Verantwortlichkeit. Ein von T beauftragtes Sachverständigengutachten (Kosten 200,- €) ermittelt eindeutig die Verantwortlichkeit des F. Dieser bestreitet nach wie vor seine Ersatzpflicht. Zum einen hätte T selbst keinen Schaden erlitten. Außerdem hätte er den Schaden günstiger beheben können, wenn man ihn dazu aufgefordert hätte.

Teil II: Als E die Fliesenlegerarbeiten abnehmen will, stellt er fest, dass F mangelhaft gearbeitet hat. E verweigert die Abnahme und setzt eine Monatsfrist zur Beseitigung der Mängel. Da F untätig bleibt, lässt E die Arbeiten von L zum Kostenaufwand von 2.800,- € durchführen. Anschließend verklagt der in Mün-chen wohnhafte E den in Augsburg ansässigen F auf Zahlung beim AG München. In der mündlichen Ver-handlung beantragt F Klageabweisung und erklärt nach Gestattung des Vorsitzenden zu Protokoll, dass er Widerklage auf Werklohnzahlung i.H.v. 2.400,- € erhebe.

Teil I: Frage 1: Hat T gegen E einen Anspruch auf Zahlung von 1.200,- €?

Frage 2: Hat T gegen F eigene oder abgetretene Ansprüche auf Zahlung von 1.200,- €?

Teil II: Frage 1: Ist das AG München für die Klage des E gegen F zuständig?

Frage 2: Ist die Widerklage zulässig?

Hinweis: Auf die VOB/B ist nicht einzugehen.

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Teil I: Frage 1: Ansprüche des T gegen E

Da T sowohl Ersatz der Sanierungskosten für die Tür als auch der Gutachterkosten verlangt, war es über-sichtlicher (wenn auch nicht zwingend), diese beiden Posten getrennt zu prüfen.

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A) Anspruch auf Zahlung der Kosten für die Sanierung der Tür (1.000,- €)

I. Kein Anspruch aus §§ 631 I, 632 I BGB (ggf. i.V.m. § 645 BGB analog)

a) Ein Anspruch aus §§ 631 I, 632 I BGB entfällt, da bzgl. der Sanierung der Tür zwischen E und T kein Werkvertrag abgeschlossen wurde. T glaubte vielmehr, nach § 633 I BGB (nicht §§ 634 Nr. 1, 635 BGB, da noch keine Abnahme erfolgte) zur Sanierung verpflichtet zu sein.

b) Ein Vergütungsanspruch aus § 631 BGB i.V.m. § 645 BGB entfällt. Zwar erfolgte die Beschädigung der Tür vor der Abnahme, sie beruhte aber weder auf einem Mangel des von E gelieferten Stoffes noch auf dessen Anweisung.

c) Ein Vergütungsanspruch aus § 631 BGB i.V.m. § 645 BGB analog könnte in Betracht kommen, wenn sich E vor der Abnahme alle Leistungsstörungen, die aus seinem Gefahrenbereich resultieren, zurechnen lassen muss. Nach h.M. ist eine Analogie zu § 645 BGB nur zu bejahen, wenn die Leistungsstörung auf Umständen beruht, die in der Person des Bestellers liegen oder auf eine gefahrbegründende bzw. -erhöhende Handlung des Bestellers zurückgehen. § 645 BGB enthält aber keinen allgemeinen Sphären-gedanken, sodass eine analoge Anwendung entfällt, wenn zwei verschiedene Unternehmer gleichzeitig an einem Bauwerk tätig sind und einer der beiden Unternehmer das Werk des anderen beschädigt.

II. Kein Anspruch aus § 670 BGB i.V.m. § 662 BGB bzw. §§ 677, 683 BGB

Ein Aufwendungsersatz aus § 670 BGB entfällt, da zwischen E und T kein Auftrag zustande gekommen ist (Argumentation wie zu I.). Eine GoA scheitert daran, dass T kein Geschäft des E, sondern ein eigenes geführt hat, da er gem. § 633 I BGB zur Wiederherstellung der Tür verpflichtet war (s.o.).

III. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280, 241 II, 631 BGB (vgl. § 645 II BGB)

Ein Anspruch auf Schadensersatz entfällt, da sich E exkulpieren kann, § 280 I S. 2 BGB. Eine Zurechnung des Verschuldens des F gemäß § 278 S. 1 Alt. 2 BGB kommt nicht in Betracht, da F nicht Erfüllungsgehil-fe des E war. F wurde zwar mit Wissen und Wollen des E tätig, aber nicht bei der Erfüllung einer Verbind-lichkeit des E gegenüber T. Zu denken wäre allenfalls an eine Pflicht des Bauherrn E zur Bauaufsicht. Diese Pflicht ist als allgemeine Schutzpflicht sicher zu bejahen. Allerdings wurde F zur Erfüllung dieser Schutzpflicht nicht von E eingesetzt.

IV. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 823 I, 249 BGB

Ein deliktischer Anspruch aus § 823 I BGB scheidet unabhängig vom fehlenden Verschulden des E be-reits deshalb aus, weil kein Rechtsgut des T verletzt wurde. Das Eigentum an der Tür stand nach dem Einbau bereits dem E zu, da die Tür gem. § 94 II BGB wesentlicher Bestandteil des Hauses wurde und dieses gem. § 94 I S. 1 BGB wesentlicher Bestandteil des dem E gehörenden Grundstücks ist. Damit stand das Eigentum an der Tür gem. § 946 BGB dem E zu.

V. Anspruch auf Wertersatz gem. §§ 812 I S. 1 Alt. 1, 818 II BGB

Zwar hat E die Reparaturleistung bzgl. der in seinem Eigentum stehenden Tür durch eine Leistung des T erlangt. T war hierzu aber gegenüber E gem. § 633 I BGB vor der Abnahme verpflichtet, da T bis zur Ab-nahme die Gefahr von Leistungsstörungen trägt, § 644 I S. 1 BGB. Die Leistung des T erfolgte daher mit Rechtsgrund.

B) Anspruch auf Zahlung der Kosten für den Sachverständigen (200,- €)

Ansprüche auf Schadensersatz entfallen aus den zuvor genannten Gründen. Ein Bereicherungsanspruch entfällt, weil E durch die Beauftragung des Sachverständigen schon gar nichts erlangt hat.

Ergebnis zu Frage 1: T stehen gegen E keinerlei Ansprüche zu!

Teil I: Frage 2: Hat T gegen F eigene oder abgetretene Ansprüche auf Zahlung von 1.200,- €?

A) Eigene Ansprüche des T gegen F

I. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280, 241 II, 631 BGB i.V.m. VSD

Ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 241 II, 631 BGB i.V.m. den Grundsätzen zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte scheidet aus, da der Werkvertrag zwischen E und F keine Schutzwirkung für T hat. Bereits die Leistungsnähe ist zweifelhaft, da T mit den Fliesenlegerarbeiten nicht bestimmungsgemäß in Berührung kommt.

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hemmer! Life&Law 11/2014 843

Jedenfalls fehlt es aber an der erforderlichen Gläubigernähe. Zwischen E und T besteht kein Verhältnis mit personenrechtlichem Einschlag (Wohl und Wehe-Formel). Außerdem ist der Fliesenlegervertrag auch kein objektiv drittbezogener Vertrag.

II. Anspruch aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB

Auch ein Aufwendungsersatz aus GoA des T gegenüber F entfällt, da T zur Mängelbeseitigung gegenüber E selbst verpflichtet war. Selbst wenn F gegenüber E zur Reparatur verpflichtet gewesen wäre und damit ein sog. „Auch-fremdes Geschäft“ vorgelegen hätte, gelingt jedenfalls die Widerlegung des von der Rechtsprechung vermuteten Fremdgeschäftsführungswillens (§ 687 I BGB). T reparierte die Tür nämlich in der irrigen Annahme, sein Mitarbeiter habe die Türe beschädigt.

III. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 823 I, 249 BGB

Da E durch den Einbau der Tür deren Eigentümer wurde (s.o.), fehlt es an der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts des T. Auch eine Verletzung des Rechts zum Besitz scheidet aus, da die fertig-gestellte Tür auch schon vor der Abnahme als wesentlicher Bestandteil des Hauses im unmittelbaren Besitz des T stand (a.A. bei entsprechender Begründung vertretbar; dann müsste das Vorliegen eines kausalen Schadens problematisiert werden).

IV. Anspruch aus §§ 812 I S. 1 Alt. 2, 818 II BGB

Ein Anspruch auf Wertersatz aus Nichtleistungskondiktion scheitert daran, dass diese gegenüber der be-stehenden Leistungsbeziehung zwischen T und E (s.o.) subsidiär ist.

V. Ausgleichsanspruch gem. §§ 426 I S. 1, 254 I BGB hinsichtlich der Sanierungskosten

In Betracht kommt aber ein Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 I S. 1 BGB, wenn T und F gegenüber E Gesamtschuldner i.S.d. § 421 BGB wären.

1. Gesamtschuldner schulden „eine“ Leistung (vgl. § 421 I S. 1 BGB). Daraus wird gefolgert, dass beide Schuldner dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers befriedigen müssen (sog. „Gleichartigkeit“). T schuldet hier Mangelbeseitigung gem. § 633 I BGB, während F aufgrund der Beschädigung Schadenser-satz nach §§ 280 I, 241 II, 631 BGB schuldet. Aus der Sicht des Gläubigers betrachtet, richten sich beide Verpflichtungen darauf, dasselbe Interesse des E zu befriedigen, nämlich eine mangelfreie Türe zu erhal-ten.

2. Fraglich ist, ob die für die wechselseitige Tilgungswirkung nach § 422 I S. 1 BGB geforderte „innere Verbundenheit“ zwischen den Schuldnern gegeben ist. Inzwischen stimmen daher die Rspr. und Lit. darin überein, dass eine Gesamtschuld nur dann vorliegt, wenn die Schuldner gleichstufig verantwortlich sind und wechselseitig tilgen können (sog. Stufentheorie). Verschiedene Verantwortlichkeit besteht dann, wenn einer der Schuldner im Außenverhältnis „näher dran“ ist, den Schaden zu tragen. Eine Gesamtschuld ist danach in den Fällen einer „cessio legis“ (z.B. Bürge/Hauptschuldner, § 774 I BGB), der Ablehnung einer Vorteilsanrechnung (z.B. § 843 IV BGB) und im Falle des § 110 HGB abzulehnen, da in diesen Konstella-tionen die beiderseitige Tilgungswirkung keinen Sinn ergibt.

Im vorliegenden Fall verhält es sich so, dass F schuldhaft gehandelt hat und T ohne Verschulden gegen-über E verpflichtet ist. Im Innenverhältnis ist F gegenüber T gem. § 254 I S. 1 BGB, einer anderweitigen Bestimmung i.S.d. § 426 I S. 1 BGB, also allein verpflichtet. Wenn aber nur im Innenverhältnis einer der Schuldner in vollem Umfang regresspflichtig ist, liegt nach überwiegender Meinung dennoch eine Ge-samtschuld vor (strittig; a.A. vertretbar).

Ergebnis: T kann hinsichtlich der Sanierungskosten von F zu 100 % Ausgleich verlangen, §§ 426 I S. 1, 254 I BGB (a.A. vertretbar).

B) Ansprüche des T gegen F aus abgetretenem Recht

I. Wirksame Abtretung, § 398 BGB

Ein wirksamer Abtretungsvertrag i.S.d. § 398 S. 1 BGB zwischen E und T liegt vor.

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II. Abtretbarer Anspruch des E gegen F hinsichtlich der Sanierungskosten i.H.v. 1.000,- €

1. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 241 II, 249 BGB

a) F hat mit seiner Schubkarre den Türrahmen des E beschädigt und dadurch schuldhaft seine werkver-traglichen Schutzpflichten gem. § 241 II BGB verletzt, da er nicht angemessen auf das Rechtsgut des E (Eigentum an der Tür) Rücksicht genommen hat.

b) Allerdings ist E kein ersatzfähiger Schaden entstanden, da er gegen T gem. § 633 I BGB einen An-spruch auf Reparatur des Türrahmens hatte (s.o.). Den Schaden hat im vorliegenden Fall vielmehr T, da er zur Reparatur der Türe verpflichtet war.

c) Ein Fall der Drittschadensliquidation scheidet hinsichtlich der Sanierungskosten aber aus, wenn man – wie hier vertreten – einen Regressanspruch des T gegen F aus §§ 426 I S. 1, 254 I BGB bejaht. Insoweit fehlt es an einer Verlagerung von Schaden und Anspruch, sodass hinsichtlich der Sanierungskosten kein abtretbarer Anspruch besteht (wer das Vorliegen einer Gesamtschuld abgelehnt hat, musste bereits hier die Grundsätze der Drittschadensliquidation prüfen).

III. Abtretbarer Anspruch des E gegen F bzgl. der Sachverständigenkosten i.H.v. 200,- €

1. Hinsichtlich der Kosten für den Sachverständigen hat E keinen Schaden erlitten. Den Schaden hat vielmehr T, da dieser den Sachverständigen beauftragt hat und diesen damit auch bezahlen muss.

2. Hinsichtlich der Kosten für den Sachverständigen steht T gegen F aber keinerlei Ersatzanspruch zu (s.o.).

3. Diese Verlagerung von Schaden (bei T) und Anspruch (bei E) ist aus der Sicht des Schädigers (F) „ein Geschenk des Himmels“. Die Schadensverlagerung beruht unter anderem auch auf der Vorschrift des § 644 I S. 1 BGB, wonach der Unternehmer T bis zur Abnahme der Tür die Gefahr von Leistungsstörun-gen trägt. Da diese Gefahrtragungsregelungen E schützen, aber nicht F entlasten soll, entspricht es gefe-stigter Rechtsprechung, dass nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation auf den Schaden des T abgestellt werden muss. Dieser Schaden des T wird quasi zum Anspruch des E „gezogen“, sodass E den Schaden des T – also eines Dritten – bei F liquidieren kann. Im Verhältnis zu T muss E diesen An-spruch aber abtreten (§ 285 BGB analog bzw. Nebenpflicht aus dem Schuldverhältnis). Diese Abtretung der Ansprüche des E gegen F an den T ist erfolgt. Zur Ermittlung des Schadens des E ist daher auf die Person des Dritten – des T – abzustellen.

2. Dem T sind als Schaden die Kosten für das Sachverständigengutachten (200,- €) entstanden.

a) Fraglich ist allerdings, ob diese Kosten im Sinne des § 249 II S. 1 BGB erforderlich waren. Insbesonde-re macht F geltend, dass er nicht zuvor zur Beseitigung des Schadens aufgefordert wurde. Hierbei handelt es sich um ein Problem der haftungsausfüllenden Kausalität. Da F die Beschädigung der Tür zunächst verschwiegen hatte und später seine Ersatzpflicht vorsätzlich zu Unrecht bestritten hatte, durfte sich T zur Ermittlung der Verantwortlichkeit herausgefordert fühlen. Ein ersatzfähiger Schaden liegt daher vor.

b) Auch eine Kürzung des Anspruchs gem. § 254 I BGB kommt nicht in Betracht. Zum einen war T ge-genüber E zur Mängelbeseitigung verpflichtet. Zum anderen hat F seine Ersatzpflicht verschwiegen, so-dass kein Anhaltspunkt für T bestand, den F vorher zur Reparatur aufzufordern.

Ergebnis: Damit steht T gegen F aus abgetretenem Recht gem. §§ 398 S. 2, 280 I, 241 II, 631 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 200,- € zu.

Teil II: Frage 1: Ist das AG München für die Klage des E gegen F zuständig?

I. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts folgt aus § 1 ZPO i.V.m. § 23 Nr. 1 GVG. Da keine streitwertunab-hängige Zuständigkeit der Landgerichte nach § 71 II GVG besteht, bestimmt sich die sachliche Zuständig-keit nach dem Streitwert, wonach bis einschließlich 5.000,- € die Amtsgerichte zuständig sind, § 23 Nr. 1 GVG.

II. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach den §§ 12 ff. ZPO.

1. Der allgemeine Gerichtsstand bestimmt sich nach dem Wohnsitz des Beklagten (§§ 12, 13 ZPO) und wäre damit in Augsburg.

2. § 39 S. 1 ZPO greift vorliegend nicht ein. Zwar haben die Parteien durch die Stellung ihrer Anträge mündlich verhandelt (vgl. § 137 I ZPO), ohne die Unzuständigkeit des Amtsgerichts München zu rügen.

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Da sich aber dem Sachverhalt nicht entnehmen lässt, dass das Amtsgericht über seine etwaige Unzu-ständigkeit belehrt hat, kann die Zuständigkeit nicht durch rügelose Einlassung begründet worden sein, §§ 39 S. 2, 504 ZPO.

3. Evtl. greift aber der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes (= Leistungsort, § 269 BGB) ein, § 29 I ZPO. Beim gegenseitigen Vertrag ist der Leistungsort für jede Verpflichtung getrennt zu bestimmen. Da E gegen F auf Zahlung klagt, ist der Erfüllungsort gem. §§ 270 IV, 269 I BGB grds. der Wohnsitz des Schuldners, also wiederum Augsburg.

Zu beachten ist aber, dass der Anspruch des E gegen F auf Schadensersatz statt der Leistung gerichtet ist (vor der Abnahme wären die §§ 280 I, III, 281 BGB einschlägig). Dieser tritt an die Stelle des Mängel-beseitigungsanspruchs (vor Abnahme § 633 I BGB).

Da die Mängelbeseitigung aber unstreitig an dem Ort zu erfolgen hat, an dem das Werk zu erbringen ist (hier München), ist mit der h.M. davon auszugehen, dass dieser Erfüllungsort auch für den an die Stelle der Leistung tretenden Schadensersatzanspruch gilt (a.A. vertretbar).

Ergebnis: Das Amtsgericht München war demnach zuständig.

Teil II: Frage 2: Ist die Widerklage des F zulässig?

I. Die Widerklage kann, da die („Haupt“)Klage des E rechtshängig war, auch in der mündlichen Verhand-lung erhoben werden, §§ 495, 261 II ZPO. Üblicherweise bestimmt der Vorsitzende eine Frist, innerhalb derer der Widerkläger einen entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen hat. Da der Vorsitzende aber die Erklärung zu Protokoll gestattete, wurde der Antrag formwirksam gestellt, vgl. § 297 I S. 3 ZPO.

II. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts ist zu bejahen. Insbesondere liegt kein Fall des § 506 ZPO vor, da für den Zuständigkeitsstreitwert gem. § 5 HS 2 ZPO Streitwert von Klage (2.800,- €) und Wi-derklage (2.400,- €) nicht addiert werden.

III. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus §§ 12, 13 ZPO, da der widerbeklagte E in München seinen Wohn-sitz hat. Außerdem stehen Klage- und Widerklageanspruch im Zusammenhang, sodass aufgrund der sog. „Konnexität“ auch der besondere Gerichtsstand des § 33 I ZPO begründet ist.

IV. Ob es sich bei der Konnexität zusätzlich zu § 33 ZPO auch noch um eine besondere Zulässigkeitsvor-aussetzung für die Widerklage handelt (so der BGH), ist umstritten. Im Hinblick auf § 145 II ZPO, wonach bei fehlender Konnexität keine Abweisung erfolgt, sondern lediglich eine Abtrennung möglich ist, handelt es sich nach zutreffender Ansicht um keine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung. Letztlich kann diese Frage im Ergebnis dahinstehen, da die Konnexität vorliegend jedenfalls zu bejahen ist.

Ergebnis: Die Widerklage des F ist zulässig.

hemmer-Trainingsplan-Info: Der Auftakt des Examenstermins war für unsere Kursteilnehmer perfekt. Sämtliche (!) Probleme des Falles wurden im Hauptkurs behandelt. Die Gefahrtragung im Werkvertrags-recht und die Problematik der Drittschadensliquidation werden in Fall 5, Schuldrecht-AT behandelt. Die Zuständigkeitsprobleme wurden im ZPO-Programm in den Fällen 2, 5, 8, 10 und 12 ZPO I sowie in den Vertiefungsfragen behandelt. Die Zulässigkeit der Widerklage ist Gegenstand von Fall 9, ZPO I. Das Pro-blem der sachlichen Zuständigkeit (§ 5 HS 2 ZPO) wird in Fall 12, ZPO I sowie in den Vertiefungsfragen zu Fall 9, ZPO I besprochen. Die Probleme zur Gesamtschuld sind ausführlich in Fall 22, Schuldrecht-AT behandelt worden.

Klausur Nr. 2

Problemstellung: Grundschuldrecht; Abtretung von Grundschuld und Forderung an verschiedene Personen; Löschungsanspruch; Vormerkungswirkung; Klage auf Duldung der Zwangsvollstrec-kung aus der Grundschuld; Klage auf Abgabe der Löschungsbewilligung

Teil I: Kauffrau H aus Augsburg bewilligt in notarieller Urkunde der X-Bank (Augsburg) am 08.04.2009 eine Briefgrundschuld i.H.v. 800.000,- € an einem ebenfalls in Augsburg belegenen Grundstück, ohne sich jedoch der sofortigen Zwangsvollstreckung zu unterwerfen. Am 10.07.2009 wird im Grundbuch die Grund-schuld zu 800.000,- € eingetragen; eine Bezeichnung als Sicherungsgrundschuld unterbleibt.

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846 hemmer! Life&Law 11/2014

Die Übergabe des Briefes an X wird dadurch ersetzt, dass sich X den Brief vom Grundbuchamt aushändi-gen lassen darf. Der Sicherungsvertrag vom 08.04.2009 enthält keine Regelung zur Abtretung der Grund-schuld und Darlehensforderung.

Am 12.08.2013 tritt X mit schriftlichem Vertrag den noch nicht fälligen Darlehensrückzahlungsanspruch i.H.d. restlichen 50.000,- € an Y ab.

Am 13.09.2013 tritt X die Grundschuld mit schriftlicher Abtretungserklärung an Z ab. Der Brief wird über-geben. Eine Eintragung der Z im Grundbuch unterbleibt. Z tritt bei der Abtretung nicht in den Sicherungs-vertrag zwischen H und X ein.

Am 01.01.2014 wird der Darlehensrückzahlungsanspruch fällig.

Y verlangt von H Rückzahlung des offenen Darlehensbetrages i.H.v. 50.000,- €.

Z erhebt – anwaltlich vertreten – vor dem Landgericht Augsburg Klage gegen H auf Duldung der Zwangs-vollstreckung aus der Grundschuld in das Grundstück in Höhe von 50.000,- €.

Teil I: Frage 1: Hat Y gegen H einen durchsetzbaren Anspruch?

Frage 2: Wie wird das Landgericht entscheiden?

Teil II: E ist Eigentümer eines Grundstücks. Im Grundbuch von Regensburg ist für A eine erstrangige Buchgrundschuld i.H.v. 100.000,- € zur Sicherung eines Darlehens in gleicher Höhe eingetragen. An zwei-ter Rangstelle ist – ebenfalls zur Sicherung eines Darlehens – eine Briefgrundschuld zugunsten der B eingetragen. Der Grundschuldbrief wurde der B von E übergeben.

Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zahlt E an A mit deren Einwilligung 100.000,- € und zwar aus-drücklich sowohl auf die Darlehensforderung als auch auf die Grundschuld. Daraufhin bewilligt die A die Eintragung einer Eigentümergrundschuld für E i.H.v. 100.000,- €, die am 20.01.2014 im Grundbuch einge-tragen wird.

Danach tritt E diese Grundschuld in voller Höhe an die C ab, die auch im Grundbuch eingetragen wird.

B sucht daraufhin Rechtsanwalt K auf. B ist der Ansicht, diese Abtretung an C sei ihr gegenüber unwirk-sam. E hätte die Eigentümergrundschuld löschen lassen müssen, damit B auf die erste Rangstelle auf-rücken kann. Damit stünde ihr auch ein Grundbuchberichtigungsanspruch zu.

Teil II: Frage 1: Wie ist die Rechtslage nach Zahlung des E und Abtretung der Eigentümergrundschuld an C?

Frage 2: Welche gerichtlichen Schritte muss K unternehmen, um der B zu ihrem Recht zu verhelfen? Auf Zulässigkeitsfragen ist nicht einzugehen.

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Teil I: Frage 1: Hat Y gegen H einen durchsetzbaren Anspruch?

A) Anspruch auf Darlehensrückzahlung aus §§ 488 I S. 2, 398 S. 2 BGB

I. Wirksamer Abtretungsvertrag, § 398 BGB

Erforderlich wäre zunächst ein wirksamer Abtretungsvertrag, § 398 BGB.

1. Die Abtretung der Forderung erfolgte mit schriftlicher Erklärung, was im Hinblick auf § 1154 I BGB nicht erforderlich war. Zwar bedarf die Abtretung der hypothekarisch gesicherten Forderung der Form des § 1154 BGB, weil wegen § 1153 I BGB mit der Forderung auch zugleich die Hypothek übergeht. Aufgrund dieser Akzessorietätsbezogenheit des § 1154 BGB kommt diese Norm bei der Abtretung einer durch Grundschuld gesicherten Forderung nicht zur Anwendung, vgl. § 1192 I BGB.

2. Die Abtretung der Forderung könnte jedoch durch Vereinbarung zwischen H und X ausgeschlossen sein, § 399 Alt. 2 BGB.

Mangels ausdrücklicher Regelung hierzu im Sicherungsvertrag kommt lediglich eine stillschweigende Übereinkunft im Rahmen der Sicherungsabrede in Betracht, dass die Forderung nur zusammen mit der Grundschuld abgetreten werden kann.

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hemmer! Life&Law 11/2014 847

Ein stillschweigendes Abtretungsverbot wird aber von der h.M. abgelehnt. Enthielte die Sicherungsabrede stets ein gegen Dritte wirkendes Verbot, die Forderung allein abzutreten, so würde die Grundschuld in unzulässiger Weise der Hypothek angenähert werden. Eine solche Annäherung kann nur aufgrund be-sonderer Vereinbarung erfolgen, sodass ein stillschweigendes Abtretungsverbot ausscheidet.

Die Abtretung war demnach wirksam.

II. Abtretbarer Anspruch auf Darlehensrückzahlung, § 488 I S. 2 BGB

Der X stand gegen H auch ein abtretbarer Anspruch auf Darlehensrückzahlung zu, welcher seit dem 01.01.2014 auch fällig war.

III. Einreden gegen die Geltendmachung der Forderung

Fraglich ist, ob der H aber Einreden aus ihrem Verhältnis zu X zustehen.

1. Möglicherweise könnte die Zahlung der Darlehensforderung von der Rückgabe der Grundschuld ab-hängig sein. Aus der zwischen H und X geschlossenen Sicherungsabrede ergibt sich, dass H entweder die Forderung geltend machen oder sich aus dem Grundstück befriedigen kann. Eine doppelte Befriedi-gung wäre unzulässig.

Gem. §§ 1192 I, 1161, 1160 BGB hätte H gegen Befriedigung der X das Recht gehabt, die Rückgabe des Grundschuldbriefs zu verlangen. Dadurch stünde der H gegen die Geltendmachung der Grundschuld gem. §§ 1192 I, 1160 BGB eine dauerhafte Einrede zu, da X nach der Übertragung der Grundschuld an Z und der dabei erfolgten Briefübergabe zur Rückgabe des Briefes an H nicht mehr in der Lage war. In die-ser Konsequenz hätte H von X gem. §§ 1192 I, 1169 BGB den Verzicht auf die Grundschuld verlangen können, wozu X nach der Übertragung der Grundschuld auf Z nicht mehr in der Lage ist. Alternativ hierzu hätte H bei Geltendmachung der Forderung von X aufgrund der Sicherungsabrede die Rückabtretung der Grundschuld verlangen können. Auch hierzu ist X nicht mehr in der Lage.

Gegenüber dem Darlehensrückzahlungsanspruch der X hätte der H daher ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB zugestanden, durch welches die Geltendmachung der Forderung dauernd ausge-schlossen wäre.

2. Nach der Abtretung kann H gegenüber Y gemäß § 404 BGB alle Einwendungen im weitesten Sinn (= Einreden und Einwendungen) geltend machen, die zur Zeit der Abtretung gegenüber dem ursprüngli-chen Gläubiger X begründet waren. Auch Y ist nicht im Besitz des Grundschuldbriefs, sodass auch ihr die Rückübertragung der Grundschuld nicht möglich ist. Damit steht H eine Einrede zu, durch welche die Gel-tendmachung der Darlehensrückzahlungsforderung dauerhaft ausgeschlossen ist.

Ergebnis: Y stehen gegen H keine durchsetzbaren Ansprüche zu.

Teil I: Frage 2: Wie wird das Landgericht entscheiden?

Das Landgericht Augsburg wird H auf Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilen, wenn die Klage der Z zulässig und begründet war.

A) Zulässigkeit der Klage

I. Da Z anwaltlich vertreten war, ist von einer wirksamen Klageerhebung gem. §§ 78 I S. 1, 130 Nr. 6 ZPO auszugehen.

II. Da sich H nicht der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat und somit kein Titel i.S.d. § 794 I Nr. 5 ZPO vorliegt, ist das für die Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen.

III. Die Partei- und Prozessfähigkeit der H ist gem. §§ 50, 51 ZPO problemlos zu bejahen. Da sich dem Sachverhalt die Rechtsform der Z nicht entnehmen lässt, muss von deren Parteifähigkeit und wirksamen Vertretung ausgegangen werden.

IV. Fraglich ist aber, ob das Landgericht Augsburg zuständig war.

1. Eine streitwertunabhängige Zuständigkeit der Amtsgerichte (vgl. § 1 ZPO, § 23 Nr. 2 GVG) besteht nicht. Daher kommt es auf den Streitwert an. Dieser bestimmt sich gem. § 6 S. 1 ZPO nach dem Betrag der gesicherten Forderung (50.000,- €). Der Wert der Grundschuld (800.000,- €) ist nicht maßgebend, da dieser höher ist als die Forderung, § 6 S. 2 ZPO. Damit ist gem. § 1 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG das Landgericht sachlich zuständig.

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848 hemmer! Life&Law 11/2014

2. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich vorliegend nicht nach §§ 12, 13 ZPO, da bei der Geltendma-chung einer dinglichen Belastung der ausschließliche dingliche Gerichtsstand des § 24 I Var. 2 ZPO ein-schlägig ist. Da das belastete Grundstück in Augsburg belegen ist, war das Landgericht Augsburg auch örtlich zuständig. Die Klage der Z ist demnach zulässig. B) Begründetheit der Klage Die Klage wäre begründet, wenn Z von H gem. §§1192 I, 1147 BGB die Duldung der Zwangsvollstrec-kung verlangen könnte. Voraussetzung wäre, dass Z von X die Grundschuld erworben hat.

I. Wirksamer Abtretungsvertrag, §§ 413, 398, 1192 I, 1154 I BGB

1. Da es sich hier um eine Briefgrundschuld handelt, erfolgt die Übertragung nach §§ 398, 413, 1192 I, 1154 I BGB. Die dingliche Einigung erfolgte nach §§ 398, 413 BGB in der Form des § 1154 BGB.

Die Grundschuld ist ein „sonstiges Recht“ i.S.d. § 413 BGB; eine Spezialvorschrift für die Abtretung ist nicht gegeben, weil § 1154 BGB alleine deren Form regelt und § 1153 BGB nicht anwendbar ist. Zwar ist § 1154 BGB auf die Übertragung der grundschuldgesicherten Forderung nicht anwendbar (s.o.). Auf die Übertragung der Grundschuld ist § 1154 BGB aber zur Wahrung des sachenrechtlichen Publizitätsprinzips anwendbar. Der Wortlaut des § 1154 BGB muss allerdings der Grundschuld angepasst werden. Statt „Forderung“ liest man „Grundschuld“.

2. Die Briefübergabe ist erfolgt (§§ 1192 I, 1154 I BGB). Die Abtretung wurde außerdem schriftlich erklärt, sodass eine Eintragung im Grundbuch nicht erforderlich war (Umkehrschluss aus §§ 1192 I, 1154 II BGB).

3. Die Abtretung der Grundschuld ohne die zu sichernde Forderung ist sachenrechtlich möglich, da die akzessorietätsbezogene Vorschrift des § 1153 II BGB auf die nicht akzessorische Grundschuld keine An-wendung findet, vgl. § 1192 I BGB.

Die Abtretung war demnach wirksam.

II. Abtretbare Grundschuld zugunsten der X

Der X müsste von H gemäß §§ 1191 I, 1192 I, 873, 1115, 1116 BGB durch Einigung und Eintragung ins Grundbuch eine wirksame Briefgrundschuld bestellt worden sein.

1. Die Valutierung des Darlehens war für die Entstehung der Grundschuld nicht erforderlich, da die akzes-sorietätsbezogene Norm des § 1163 I S. 1 BGB auf die nicht akzessorische Grundschuld nicht angewen-det werden kann, vgl. § 1192 I BGB.

2. Die grds. gem. §§ 1192 I, 1117 I BGB erforderliche Briefübergabe wurde vorliegend durch die Aushän-digungsabrede gem. §§ 1192 I, 1117 II BGB ersetzt. 3. Die Eintragung als „Grundschuld zu 800.000,- €“ war im Hinblick auf §§ 1191, 1192 I, 873, 1115 BGB nicht zu beanstanden. a) Eine Eintragung der Forderung, wie es § 1115 I BGB vorsieht, ist bei der nicht akzessorischen Grund-schuld nicht möglich. Allerdings ist das Wort Forderung in § 1115 I BGB (wie bei § 1154 I BGB) durch Grundschuld zu ersetzen. Der Grundschuldbetrag in Höhe von 800.000,- € wurde aber ins Grundbuch eingetragen. b) Eine Bezeichnung als Briefgrundschuld war nicht erforderlich, da es sich hierbei um den gesetzlichen Regelfall handelt (§§ 1192 I, 1116 I BGB). Lediglich bei der Buchgrundschuld müsste gem. §§ 1192 I, 1116 II S. 3 BGB der Ausschluss des Briefs eingetragen werden. c) Allerdings lag der Einigung und Eintragung eine Sicherungsabrede zu Grunde, da es sich hier um eine Sicherungsgrundschuld (§ 1192 Ia BGB) handelte. Dieser Charakter als Sicherungsgrundschuld wurde bei der Eintragung nicht deutlich gemacht. Dies ist für die Entstehung der Grundschuld aber unschädlich. Es entspricht der h.M., dass der Sicherungszweck („Sicherungsgrundschuld“) ebenso wie die Sicherungs-abrede und die Forderung nicht ins Grundbuch eintragbar sind. Auch aus § 1192 Ia BGB, der die Siche-rungsgrundschuld als zulässig anerkennt, ergibt sich nichts anderes. Im Gegenteil ist die Eintragung als „Sicherungsgrundschuld“ seit der Schaffung des § 1192 Ia BGB auch nicht mehr erforderlich, da ein gut-gläubiger „Wegerwerb“ von Einreden, die sich aus der Sicherungsabrede ergeben können, unabhängig von einer etwaigen Gutgläubigkeit nicht mehr möglich ist, da § 1157 S. 2 BGB nicht anwendbar ist, vgl. § 1192 Ia S. 1 HS 2 BGB. § 1192 Ia BGB gilt unabhängig davon, ob der Erwerber die Rechtsnatur als Sicherungsgrundschuld kannte, sodass die Nichteintragung als solche keinen gutgläubigen einredefreien Erwerb ermöglicht.

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hemmer! Life&Law 11/2014 849

X war demnach Inhaberin einer wirksam bestellten Briefgrundschuld.

III. Einrede der H gegen Z aus dem Sicherungsvertrag

Fraglich ist, ob H gegen Z aus dem Sicherungsvertrag gegen Z Einreden gegen die Geltendmachung der Grundschuld zustehen.

1. Dies könnte bereits deswegen ausscheiden, weil Z nicht in den Sicherungsvertrag zwischen H und X eingetreten ist.

Ein ausdrücklicher Eintritt in den Sicherungsvertrag ist aber nicht nötig. Mit der Übertragung der hypothe-karischen Forderung und dem damit verbundenen Übergang der Hypothek tritt der neue Hypothekar kraft Gesetzes gem. § 1157 S. 1 BGB in den Sicherungsvertrag ein. Diese Vorschrift kommt bei der Grund-schuld über § 1192 I BGB zur Anwendung, da es sich eine grundpfandrechtsbezogene Vorschrift handelt.

Für die Sicherungsgrundschuld regelt § 1192 Ia BGB zudem, dass alle Einreden, die dem Eigentümer aufgrund des Sicherungsvertrags mit dem bisherigen Gläubiger gegen die Grundschuld zustehen oder sich aus dem Sicherungsvertrag ergeben, auch jedem Erwerber der Grundschuld entgegengesetzt wer-den. Der Eintritt in den Sicherungsvertrag erfolgt also ipso iure. Er ist als dingliche Rechtsfolge des Grundpfandrechtserwerbs aufgrund des sachenrechtlichen Typenzwanges auch nicht abdingbar.

2. H könnte gegen die ursprüngliche Gläubigerin X aufgrund des Sicherungsvertrags eine Einrede gegen die Grundschuld haben.

a) Aus der schuldrechtlichen Sicherungsabrede ergibt sich, dass der Gläubiger die Grundschuld nur inso-weit geltend machen kann, als die Forderung besteht. Das Fehlen der zu sichernden Forderung hat auf das Bestehen der nicht akzessorischen Grundschuld zwar keinen unmittelbaren Einfluss, da die Folgen des Sicherungsvertrags schuldrechtlicher Natur sind. Entsteht jedoch die Forderung nicht oder erlischt sie später, so ist die Grundschuld aufgrund der Sicherungsabrede zurück zu gewähren.

Da X aufgrund der Abtretung der Forderung an Y kein Forderungsrecht zusteht, könnte H aus der Siche-rungsabrede von X die Rückübertragung der Grundschuld verlangen.

b) Diese Einrede kann H gemäß § 1192 Ia S. 1 HS 1 BGB auch der Dritterwerberin Z entgegenhalten.

c) Fraglich ist, ob dem Eigentümer auch dann eine Einrede zusteht, wenn die zu sichernde Forderung zwar besteht, aber ohne Grundschuld an einen Dritten abgetreten worden ist. Dabei ist auf den Sinn der Sicherungsabrede abzustellen. Durch die Vereinbarung soll der Schuldner vor einer doppelten Inan-spruchnahme geschützt werden. Dagegen darf die Sicherungsabrede nicht dazu führen, dass der Schuld-ner überhaupt keine Leistung zu erbringen hat. Im vorliegenden Fall kann sich H bereits gegenüber dem Darlehensrückzahlungsanspruch der Y zur Wehr setzen (s.o.). Stünde H auch gegen Z gem. § 1192 Ia S. 1 HS 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht zu, so müsste sie gar nicht leisten und stünde damit besser als vor der Abtretung.

Ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem Anspruch des Grundschuldinhabers kann der H hier also nicht zugestanden werden. Die Klage der Z ist demnach auch begründet.

Teil II: Frage 1: Wie ist die Rechtslage nach Zahlung des E und Abtretung der Eigentümergrundschuld an C?

A) Rechtsfolgen der Zahlung (auch) auf die Grundschuld

Die Leistung des E, die auch zur Tilgung der Grundschuldsumme erbracht wurde, stellt einen Fall der Grundschuldablösung dar. Die Fremdgrundschuld wird mit der Zahlung automatisch zur Eigentümer-grundschuld des E. Da die Fallkonstellation im Gesetz nicht geregelt ist, gibt es verschiedene Lösungs-versuche: Vertreten wird eine Analogie zu §§ 1143, 1142 BGB bzw. zu §§ 1168, 1170, 1177 BGB bzw. zu § 1163 I S. 2 BGB. Da alle zur Grundschuldablösung vorliegenden Meinungen zum selben Ergebnis füh-ren, kann im Ergebnis dahinstehen, welcher Auffassung zu folgen ist.

E konnte daher von A gem. § 894 BGB Grundbuchberichtigung verlangen, da zugunsten des E bereits eine Eigentümergrundschuld entstanden ist und damit die formelle und materielle Rechtslage auseinan-derfallen. Diese ist aufgrund der Bewilligung des A erfolgt.

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850 hemmer! Life&Law 11/2014

B) Übertragung der Eigentümergrundschuld von E auf C

Die Übertragung der Buchgrundschuld erfolgt gem. §§ 1192 I, 1154 III, 873 BGB durch Abtretung und Eintragung der Abtretung ins Grundbuch. Da E Berechtigter war, hat C die Grundschuld als Fremdgrund-schuld erworben.

C) Ansprüche des B gegen E und C auf Zustimmung zur Löschung der Grundschuld

B war Inhaber einer wirksam bestellten Briefgrundschuld an zweiter Rangstelle. Die an erster Rangstelle bestellte Fremdgrundschuld zugunsten der A verwandelte sich durch Zahlung des E zur Eigentümer-grundschuld (s.o.).

I. Anspruch des B gegen E auf Zustimmung zur Löschung, §§ 1192 I, 1179a I S. 1 BGB

1. Nach § 1179a I S. 1 BGB kann der Gläubiger einer Hypothek vom Eigentümer verlangen, dass dieser eine vorrangige oder gleichrangige Hypothek löschen lässt, wenn sie im Zeitpunkt der Eintragung der Hypothek des Gläubigers mit dem Eigentum in einer Person vereinigt ist oder eine solche Vereinigung später eintritt. Diese nicht auf dem Grundsatz der Akzessorietät beruhende Vorschrift kommt über §1192 I BGB auch für die Grundschuld zur Anwendung.

B konnte daher von E die Zustimmung zur Löschung, d.h. der Aufhebung der Eigentümergrundschuld gem. § 875 BGB verlangen.

2. Diese Verpflichtung des E ist nach der Übertragung der Grundschuld auf C nicht gem. § 275 I BGB erloschen. E hat die Berechtigung zur Aufhebung der Grundschuld hierdurch nicht verloren, da die Über-tragung der Grundschuld auf C dem B gegenüber relativ unwirksam war (§ 883 II BGB) und damit Unmög-lichkeit ausscheidet. Der Löschungsanspruch nach §§ 1192 I, 1179a I S. 3 BGB ist in gleicher Weise ge-sichert, als wenn zu seiner Sicherung gleichzeitig mit der begünstigten Grundschuld eine Vormerkung in das Grundbuch eingetragen worden wäre.

II. Anspruch des B gegen C auf Bewilligung der Löschung, § 888 I BGB, § 19 GBO

Für die Löschung benötigt B die öffentlich beglaubigte Bewilligung (§§ 19, 29 GBO) des voreingetragenen C (§ 39 GBO). Den Anspruch hierauf gewährt B § 888 I BGB, da die Übertragung der Grundschuld auf C dem B gegenüber relativ unwirksam war, § 883 II BGB (s.o.). Ein Anspruch aus § 894 BGB entfällt, da C wegen der nur relativen Unwirksamkeit materiell-rechtlich Inhaber der Grundschuld ist und damit materiel-le und formelle Rechtslage nicht auseinander fallen.

Teil II: Frage 2: Welche gerichtlichen Schritte muss K unternehmen, um der B zu ihrem Recht zu verhelfen? Auf Zulässigkeitsfragen ist nicht einzugehen.

RA K muss im Namen des B sowohl Klage gegen E auf Abgabe der materiell-rechtlichen Aufhebungser-klärung nach § 875 BGB als auch gegen C auf Abgabe der Löschungsbewilligung nach § 888 I BGB, § 19 GBO erheben. Auf Beklagtenseite sind E und C einfache Streitgenossen, da sie wegen §§ 1192 I, 1179a I S. 1, 3, 883 II, 888 BGB aus demselben rechtlichen Grund verpflichtet sind, § 59 Alt. 2 ZPO.

Mit Erlangung der Rechtskraft des Urteils gilt die materiell-rechtliche Aufhebungserklärung des E gem. § 875 BGB als abgegeben, § 894 ZPO. Da die Löschungsbewilligung des C keine Willenserklärung, son-dern eine Verfahrenshandlung darstellt, wird aufgrund der bestehenden Regelungslücke in der ZPO deren Abgabe analog § 894 ZPO mit der Rechtskraft des Urteils fingiert.

hemmer-Trainingsplan-Info: Teil I der Klausur entspricht „1:1“ unserem Fall 20, Sachenrecht, in wel-chem selbst die Beteiligten weitgehend dieselben Namen hatten. Teil II ist Gegenstand der Vertiefungs-frage 20 zu Fall 15, Sachenrecht. Die Vormerkungswirkung gem. §§ 883 II, 888 I BGB wird in Fall 9, BGB-AT, Fall 6, ZPO I sowie den Fällen 15 bis 17, Sachenrecht besprochen. Wer das Hauptkurspro-gramm durchgearbeitet und wiederholt hat, für den war diese Klausur nicht nur machbar, sondern „ein Geschenk des Himmels“. Wer hingegen bei der Grundschuld - entgegen den Erfahrungen im Bayerischen Examen in vielen Terminen zuvor - gemeint hat, hier könne man auf Lücke setzen, wurde bitter bestraft.

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Aktuelles Life & Law kompakt

hemmer! Life&Law 11/2014 851

Klausur Nr. 3:

Problemstellung: Arbeitsrecht; Formulararbeitsvertrag; AGB-Kontrolle; Ausschlussfrist

Sachverhalt: Fußballtrainer T ist seit 2010 beim FCB eV als Fußballtrainer der Zweitligamannschaft als Arbeitnehmer angestellt. Der Formulararbeitsvertrag, den FCB inhaltsgleich bei allen Trainern verwendet, enthält folgende Regelungen:

Nach § 3 Nr. 1 beträgt das monatliche Grundgehalt 15.000,- €. Nach § 3 Nr. 2 erhält der Trainer für jeden Meisterschaftspunkt eine Prämie von 2.000,- €, der unter seiner tatsächlichen Mitwirkung erzielt wird. Die Prämie wird mit dem jeweils nächsten Monatsgehalt ausgezahlt und beträgt bei 34 Meisterschaftsspielen pro Saison maximal 204.000,- €.

Nach § 6 Nr. 1 ist der Vertrag bis 30.06.2013 auflösend befristet. Nach § 6 Nr. 2 hat der FCB das jederzei-tige Recht, T von seiner Arbeitspflicht freizustellen. Während der Freistellung erhält T das Grundgehalt (§ 6 Nr. 3 S. 1), aber nicht mehr die Punkteprämie (§ 6 Nr. 3 S. 2).

§ 7 enthält eine Verfallklausel, wonach alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erlö-schen, wenn diese nicht innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

In der Saison 2012/2013 steht der FCB nach mehreren deutlichen Niederlagen auf einem Abstiegsplatz. T wird daher ab dem 15.10.2012 mit sofortiger Wirkung freigestellt. T erhält weiterhin sein Gehalt, aber nicht mehr die nach seiner Freistellung unter dem neuen Trainer erzielten Prämien für weitere 40 Meister-schaftspunkte in dieser Saison (80.000,- €).

Am 20.12.2013 fordert T vom FCB die Zahlung von 80.000,- €. Da der FCB die Zahlung verweigert, be-auftragt T die RAin R mit der Klageerhebung. Das zuständige Arbeitsgericht weist die am 22.01.2014 erhobene Klage im Hinblick auf §§ 6 Nr. 3 S. 2, 7 des Arbeitsvertrags als unbegründet ab. Das Urteil wur-de mit Rechtsbehelfsbelehrung am 10.06.2014 zugestellt.

RAin R hält das Urteil für falsch, was sie unter ausführlicher Schilderung ihrer Rechtsansicht auch dem Mandanten mitteilt. In diesem Schreiben an T empfiehlt R, gegen das Urteil Berufung einzulegen und um Mitteilung, ob sie dies veranlassen solle.

Da sich T bis zum 07.07.2014 nicht gemeldet hat, bittet R ihre jahrelang zuverlässige Sekretärin S, bei T telefonisch nachzufragen. T meint, es solle auf jeden Fall Berufung eingelegt werden. Da S an diesem Tag aus privaten Gründen unkonzentriert ist, notiert sie in einem Telefonvermerk, dass keine Berufung eingelegt werden soll.

Das Versehen wird erst bemerkt, als T am 15.07.2014 nachfragt, ob nun Berufung eingelegt wurde. R legt noch am selben Tag Berufung ein und beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das LAG lehnt die Wiedereinsetzung ab, da sich R nicht auf den Telefonvermerk von S habe verlassen dürfen, und ver-wirft die Berufung als unzulässig.

T verlangt daraufhin von R Schadensersatz i.H.v. 80.000,- € wegen anwaltlicher Pflichtverletzung.

Vermerk für den Bearbeiter: Steht T der geltend gemachte Anspruch zu?

Hinweis: Auf §§ 64 I, II, VI, 66 I ArbGG wurde hingewiesen.

Vom Abdruck der Rechtsansichten wurde im Examensreport abgesehen, da diese Ausführungen der Lö-sung vorbehalten bleiben. Die Bearbeiter bekamen aber dadurch genügend Argumentationshilfen.

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

In Betracht kommt ein Anspruch des T gegen R auf Schadensersatz neben der Leistung gem. §§ 280 I, 675, 611 BGB. Ein Anspruch auf Schadensersatz gegen R steht dem T nur dann zu, wenn T gegen den FCB ein durch-setzbarer Anspruch auf Zahlung der Punkteprämien in Höhe von 80.000,- € zugestanden hätte, der infol-ge der Nachlässigkeit der R nun nicht mehr geltend gemacht werden kann.

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852 hemmer! Life&Law 11/2014

A) Schuldverhältnis: §§ 675 I, 611 BGB

Der Anwaltsvertrag ist ein Dienstvertrag in Form der Geschäftsbesorgung, §§ 675 I, 611 BGB. Insbeson-dere schuldet der Rechtsanwalt in der Regel für die Fälligkeit der Vergütung keinen Erfolg, sodass kein Werkvertrag vorliegt.

B) Pflichtverletzung

Auch wenn in den §§ 611 BGB ff. keine speziellen Leistungspflichten geregelt sind, ist R gem. § 241 I BGB verpflichtet, für ihren Mandanten alle Maßnahmen zu ergreifen, damit dieser den Prozess gewinnt. Hierzu gehört die fristgemäße Einlegung von Rechtsmitteln. Gegen das am 10.06.2014 zugestellte Urteil hätte gem. §§ 66 I, 64 VI ArbGG, § 222 I ZPO, §§ 187 I, 188 II BGB bis 10.07.2014 Berufung eingelegt werden müssen. Da R die Berufung erst am 15.07.2014 eingelegt hat und vom LAG der Antrag auf Wie-dereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt wurde, war die Berufung als unzulässig zu verwerfen, § 64 VI ArbGG, § 522 I S. 2 ZPO.

C) Keine Widerlegung des vermuteten Vertretenmüssens, § 280 I S. 2 BGB

Fraglich ist, ob R die Widerlegung des vermuteten Vertretenmüssens gelingt.

I. Ein eigenes Verschulden der R gem. § 276 I S. 1 BGB wäre zu bejahen, wenn die Frage an den Man-danten, ob Berufung eingelegt werden soll, nicht auf das Sekretariat übertragen werden durfte. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn dem Büropersonal der gesamte Vorgang übertragen wurde. R hat aber dem T bereits umfassend die Rechtslage erläutert und diesen um Mitteilung gebeten, ob Berufung einge-legt werden soll. Die Nachfrage bei T diente also nur der letzten Absicherung der R, sodass die Klärung der Berufungseinlegungsfrage nicht allein der Bürokraft übertragen wurde. Ein eigenes Verschulden der R könnte daher abzulehnen sein (hier war beides vertretbar).

II. Ob R ein eigenes Verschulden trifft, kann im Ergebnis aber dahinstehen, da die Nachlässigkeit der S gem. § 278 S. 1 Alt. 2 BGB zugerechnet wird. Im Verhältnis zum Mandanten T wurde S mit Wissen und Wollen der R in deren Pflichtenkreis gegenüber T als deren Erfüllungsgehilfin tätig.

Anmerkung: Im Verhältnis zum Gericht ist das Verschulden des Büropersonals nicht nach § 278 BGB zurechenbar, da zwischen Rechtsanwalt und Gericht kein Schuldverhältnis besteht, innerhalb dessen das Büropersonal tätig wird. Wenn man ein eigenes Verschulden der R verneint, hätte also das LAG dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattgeben müssen. Dass dies das LAG – unter Umständen fehlerhaft – nicht getan hat, beruht aber im Verhältnis zum Mandanten auf einem Verschulden der R, weil in diesem Verhältnis § 278 BGB zur Anwendung kommt.

D) Vorliegen eines kausalen Schadens (neben der Leistung)

Ein Anspruch gegen R besteht allerdings nur dann, wenn die schuldhafte Pflichtverletzung zu einem kau-salen Schaden des T geführt hat. Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn bei rechtzeitiger (hypothetischer) Einlegung der Berufung das erstinstanzliche Urteil aufgehoben worden und der FCB zur Zahlung von 80.000,- € verurteilt worden wäre. In diesem Fall läge ein kausaler Schaden neben der Leistung vor, weil dieser endgültig eingetreten wäre und durch eine – jetzt pflichtgemäße – Leistung der R nicht mehr beho-ben werden könnte.

An dieser Stelle musste nun inzident die Erfolgsaussicht einer rechtzeitig erhobenen Berufung geprüft werden.

I. Zulässigkeit der Berufung

Wäre die Berufung rechtzeitig eingelegt worden, wäre diese zulässig gewesen, da gegen das Urteil des Arbeitsgerichts die Berufung statthaft ist (§ 64 I ArbGG) und der Beschwerdegegenstand 600,- € über-steigt (§ 64 II b ArbGG).

Anmerkung: Dies war unproblematisch. Wenn im Bearbeitervermerk aber auf § 64 I, II ArbGG hingewie-sen wird, müssen sich diese Normen irgendwo in der Lösung wiederfinden.

II. Begründetheit der Berufung

Die Berufung wäre zulässig gewesen, wenn das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts falsch, die zulässige Klage des T also begründet gewesen wäre. Dies wäre der Fall, wenn dem T ein Anspruch auf Zahlung der Punkteprämie i.H.v. 80.000,- € zugestanden hätte.

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hemmer! Life&Law 11/2014 853

Anmerkung: Jetzt erst beginnt das eigentliche materielle Gutachten. Diese verschachtelte Inzidentprü-fung im Rahmen einer Anwaltshaftung war aber im Ersten Staatsexamen schon häufiger Prüfungsgegen-stand (vgl. z.B. Bayern, 1. Examen 2010/I, 2. Klausur, Life & Law 05/2010, 339 ff.).

1. Anspruch auf Zahlung der Prämie gem. § 611 I BGB

Ein Anspruch aus § 611 I BGB scheidet aus, da der Lohnanspruch mangels Arbeitsleistung ab dem 15.10.2012 nicht fällig werden konnte, § 614 S. 1 BGB.

2. Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn gem. §§ 611 I, 615 S. 1 BGB

Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Gläubigerverzug, so kann der Arbeitneh-mer für die infolge des Verzugs nicht geleistete Arbeit die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, § 615 S. 1 BGB. Anspruchsgrundlage ist weiterhin § 611 I BGB, da § 615 S. 1 BGB lediglich eine Ausnahme zu § 614 BGB darstellt. Obwohl die Arbeitsleistung eine absolute Fixschuld ist und eine Nachholung dem T nicht möglich ist (§ 275 I BGB), stellt § 615 S. 1 BGB eine spe-zielle Anspruchserhaltungsnorm dar, die nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BAG gegen-über § 326 II S. 1 Alt. 2 BGB vorrangig ist.

a) Gläubigerverzug des FCB, §§ 293 ff. BGB

Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Ein tatsächliches Angebot des T gem. § 294 BGB lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Auch ein wörtliches Ange-bot, welches gem. § 295 BGB ausreichend gewesen wäre, weil der FCB durch die Freistellung erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde, lag nicht vor.

Unter Umständen war das Angebot des T aber gem. § 296 BGB entbehrlich. Zur Bewirkung der Leistung des Arbeitnehmers ist nämlich eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers i.S.d. § 296 BGB erforderlich. Der Arbeitnehmer kann nur arbeiten, wenn ihm der Arbeitgeber einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt und ihm Arbeit zuweist. Diese Mitwirkungshandlung ist auch kalendermäßig bestimmt, da sich aus dem Ar-beitsvertrag ergibt, dass die Arbeitsleistungspflicht grundsätzlich an allen Arbeitstagen besteht.

Die Entbehrlichkeit des Angebots bejaht das BAG in gefestigter Rechtsprechung dann, wenn eine unwirk-same Arbeitgeberkündigung vorliegt. In der Kündigung liegt nach Ansicht des BAG zugleich die Erklärung des Arbeitgebers, er werde die Leistung nicht annehmen. Außer im Fall einer unwirksamen Arbeitgeber-kündigung ist das Angebot des Arbeitnehmers nur noch dann entbehrlich, wenn der Arbeitgeber den Ar-beitnehmer von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung einseitig freigestellt hat. Denn in der einsei-tigen Freistellung von der Arbeitspflicht liegt ein Verzicht auf das Angebot der Arbeitsleistung (BAG, Li-fe & Law 12/2013, 888 ff.).

Der FCB befand sich somit im Annahmeverzug.

b) Rechtsfolge: §§ 611 I, 615 S. 1 BGB

§ 615 S. 1 BGB regelt dabei ein sog. „reines Lohnausfallprinzip“. Zum Annahmeverzugslohn gehören alle Lohnbestandteile, die sich der Arbeitnehmer verdient hätte, wenn der Arbeitgeber die Annahme der Lei-stung des Arbeitnehmers nicht verweigert hätte. Mangelt es bei schwankender Vergütung an Vereinba-rungen oder an festen Anhaltspunkten für die Frage des mutmaßlichen Entgelts, so ist gem. § 287 ZPO zu schätzen. Dabei kann die vom Arbeitnehmer bis zum Eintritt des Annahmeverzugs bzw. die von einem anderen Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs erzielte Vergütung einen Anhaltspunkt liefern (Hemmer/Wüst, Arbeitsrecht, Rn. 445). Damit kann T die vom neuen Trainer erzielten Meisterschafts-punkte für die Bemessung seines Annahmeverzugslohnes zugrunde legen.

c) Ausschluss nach § 6 III S. 2 des Formulararbeitsvertrags gem. § 308 Nr. 4 BGB unwirksam

Der Anspruch wäre aber ausgeschlossen, wenn die Regelung in § 6 III S. 2 des Formulararbeitsvertrags, wonach die Punkteprämien nach der Freistellung nicht mehr bezahlt werden, wirksam wäre. Bei dem Formulararbeitsvertrag handelt es sich um AGBen i.S.d. § 305 I BGB. Bei der AGB-Kontrolle von Formu-lararbeitsverträgen ist aber auf die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen Rücksicht zu nehmen. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Klausel als unzumutbarer Änderungsvorbehalt nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.

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854 hemmer! Life&Law 11/2014

aa) Das Gesetz verbietet es nicht vollständig, die Vergütungsbestandteile als widerruflich auszugestalten, wenn wirtschaftliche Gründe für einen Widerruf vorliegen. Die Vereinbarung des Widerrufsrechts ist ge-mäß § 308 Nr. 4 BGB zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsi-cheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist (sog. „Flexibilisierung des Arbeitslohns“). Ein formularvertraglicher Widerrufsvorbehalt ist nach gefestigter Rechtsprechung des BAG gem. § 308 Nr. 4 BGB aber dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber das Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer abwälzen will. Dies wird bejaht, sobald der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst 25 % überschreitet. Diese Grenze ist hier bei weitem überschritten, da die Punkteprämien mehr als die Hälfte der Gesamtvergütung ausmachen.

Auch die Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten kann diesen Ausschluss nicht rechtfertigen, § 310 IV S. 2 BGB. Zwar mag ein Trainerwechsel einen gewissen emotionalen Impuls ge-ben und die Leistung der Mannschaft kurzfristig oder sogar dauerhaft steigern. Die Arbeit des bisherigen Trainers ist aber – zumindest im vorliegenden Fall – mangels anderweitiger Angaben im Sachverhalt nicht wertlos geworden, sondern mit kausal für die später erzielten Punkte.

bb) Selbst wenn man der Meinung sein sollte, der Änderungsvorbehalt sei aufgrund der arbeitsrechtlichen Besonderheiten des Profifußballgeschäfts gerechtfertigt, wäre der Änderungsvorbehalt wegen Intranspa-renz gem. § 307 I S. 2 BGB unwirksam. Nach Ansicht des BAG muss die Bestimmung klar und verständ-lich sein. Die Bestimmung muss daher die Angemessenheit und Zumutbarkeit erkennen lassen. Es muss sich aus der Regelung selbst ergeben, dass der Widerruf nicht ohne Grund erfolgen darf. Voraussetzun-gen und Umfang der vorbehaltenen Änderungen müssen möglichst konkretisiert werden, damit der Ar-beitnehmer erkennen kann, „warum“ „was“ gegebenenfalls „auf ihn zukommt“. Die vorliegende Klausel würde den FCB aber auch bei einer willkürlichen Freistellung dazu berechtigen, die Punkteprämie nicht weiter zu bezahlen.

Damit ist § 6 III S. 2 BGB nach §§ 308 Nr. 4, 307 I S. 2 BGB unwirksam.

d) Verfall des Anspruchs wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung gem. § 7 des Formularar-beitsvertrags

Der Anspruch könnte aber ausgeschlossen sein, weil er nicht innerhalb von drei Monaten seit Fälligkeit gem. § 7 S. 1 des Formulararbeitsvertrags schriftlich geltend gemacht wurde. Nach § 7 S. 2 wäre der An-spruch erloschen, wenn diese sog. „einstufige Verfallfrist“ wirksam vereinbart wurde.

aa) Nach Ansicht des BAG ist die Klausel nicht nach §§ 134, 202 I BGB nichtig. Nach § 202 I BGB kann die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. Ob die Haftung wegen Vorsatzes nach dem Willen der Parteien von einer Ausschlussfrist umfasst sein sollte, erscheint äußerst zweifelhaft. Aber selbst wenn § 7 auch diese Ansprüche erfassen würde, wäre sie inso-weit teilnichtig. In diesem Falle bewirkte die Ausschlussklausel eine gesetzwidrige Erleichterung der Ver-jährung allein für die in § 202 I BGB genannten Ansprüche.

bb) Die Verfallklausel ist angesichts der äußeren Gestaltung des § 7 und der Üblichkeit von Ausschluss-klauseln im Arbeitsleben weder überraschend noch ungewöhnlich i.S.d. § 305c I BGB.

cc) Verfallfristen, die von der Regelverjährung abweichen, können als unangemessene Benachteiligung nach § 307 I BGB unwirksam sein. So wurde von der Rechtsprechung eine Gültigkeitsbefristung von Gut-scheinen auf ein Jahr als unwirksam angesehen (OLG München, Life & Law 11/2008, 732 ff.).

Nach Ansicht des BAG sind Verfallfristen aber als Besonderheit des Arbeitsrechts zulässig, da z.B. in §§ 4, 7 KSchG, § 9 MuSchG, § 626 II BGB, § 15 IV AGG, § 61b ArbGG auch das Gesetz sehr kurze Aus-schlussfristen regelt. Allerdings ist eine Verfallfrist von mindestens drei Monaten erforderlich. Eine kürzere Frist stellt eine unangemessene und damit gem. § 307 I BGB unwirksame Benachteiligung des Arbeit-nehmers dar (BAG, Life & Law 01/2006, 20 ff.; BAG, Life & Law 08/2008, 524 ff.). Damit ist die Verfall-frist im vorliegenden Fall nach Ansicht des BAG nicht zu kurz.

dd) Die Bestimmung verstößt auch nicht gegen § 309 Nr. 13 BGB, da mit der 1. Stufe keine strengere Form als die Schriftform vereinbart wurde.

ee) Da die Frist für beide Vertragspartner gilt, liegt auch kein Verstoß gegen den Grundgedanken der „Waffengleichheit“ vor, wie er im Arbeitsrecht häufig aus dem Rechtsgedanken des § 622 VI BGB herge-leitet wird und in § 307 I BGB zu verankern ist.

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hemmer! Life&Law 11/2014 855

ff) Da die Ausschlussfrist aber Ansprüche auf Schadensersatz nicht ausdrücklich vom Verfall ausklam-mert, könnte ein Verstoß gegen § 309 Nr. 7 BGB vorliegen.

Nach Ansicht des BAG soll eine Klausel, wonach „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag und solche, die mit dem Arbeitsvertrag in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist geltend gemacht werden“, Ansprüche auf Schadensersatz nicht erfassen. Die Parteien hätten die in § 309 Nr. 7 BGB genannten Schadensersatzansprüche nicht eigens erwähnt und offenbar auch nicht bedacht. Daher bleibe die Ausschlussklausel wirksam, auch wenn die Parteien die Ansprüche des § 309 Nr. 7 BGB nicht ausdrücklich ausgenommen haben (BAG, Life & Law 01/2006, 20 ff.).

Diese Entscheidung ist mehr als bedenklich, da sie der gefestigten Rechtsprechung des BGH zum Aus-schluss von Mängelansprüchen völlig widerspricht. Wenn ein formularvertraglicher Ausschluss der Ge-währleistungsansprüche Schadensersatzansprüche nicht ausdrücklich ausklammert, so sind diese im Zweifel (vgl. § 305c II BGB) auch ausgeschlossen (so übrigens auch das BAG, NZA 2007, 1154, 1158 in der „Mobbing-Entscheidung“ sowie das LAG Hamm, Life & Law 08/2012, 612 f.).

Damit verstößt die Klausel gegen § 309 Nr. 7 BGB. Da die Rechtsprechung eine geltungserhaltende Re-duktion von AGB-Klauseln ablehnt, würde die ganze Klausel unwirksam werden.

III. Ergebnis: Nach der hier vertretenen Ansicht wäre die Berufung begründet gewesen, da der Anspruch wegen Unwirksamkeit des § 7 nicht verfallen wäre und damit das erstinstanzliche Urteil fehlerhaft war. T kann daher von R gem. §§ 280 I, 675 I, 611 BGB Schadensersatz i.H.v. 80.000,- € verlangen (a.A. ge-nauso gut vertretbar).

hemmer-Trainingsplan-Info: Arbeitsrecht war als heiß „angekündigt“. Der Fall ist der „Pavel-Dotchev-Entscheidung“ (ehemaliger Trainer des SC Paderborn) nachgebildet (LAG Hamm, Life & Law 08/2012, 612 f.). Der Fall wurde im Crashkurs Arbeitsrecht ausführlich im Kapitel AGB-Kontrolle, Ausschlussfrist und Lohnflexibilisierung besprochen. Sämtliche im Fall enthaltenen Urteile standen zum Download als Lern-Tipp gekennzeichnet im Internet. Eine Kenntnis der Urteile war hilfreich, aber nicht nötig, da die entsprechenden Stichworte sowie die Norm des § 308 Nr. 4 BGB im Sachverhalt in den Rechtsansichten der R genannt waren. Der Klassiker zum Anspruch auf Annahmeverzugslohn und die Abgrenzung zur Unmöglichkeit wird im Hauptkurs in Fall 1, Arbeitsrecht besprochen. Auch dieser Fall war also gut machbar.

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856 hemmer! Life&Law 11/2014

B) Strafrecht: Allgemeines / Auffälligkeiten / Trends:

thematisch atypische Klausur, da kaum klassische Problemstellungen kein eigener StPO-Teil

Klausur Nr. 4: Problemstellungen: Aussagedelikte, §§ 153 ff. StGB; § 30 StGB; versuchte Strafvereitelung, §§ 258 I, 22, 23 I StGB; Vortäuschen einer Straftat, § 145d StGB; Rücktritt gem. § 24 StGB bzw. § 31 StGB; versuchte Nötigung, §§ 240 I, 22, 23 I StGB; Anstiftung, § 26 StGB; Beleidigung, §§ 185 ff. StGB; Verwertbarkeit eines Zufallsfundes unter Berücksichtigung insbesondere von §§ 97, 148 stop

Sachverhalt: Rechtsanwalt R vertritt Mandant M, der wegen dringenden Tatverdachts des schweren Rau-bes in Untersuchungshaft sitzt. R weiß, dass M die Tat tatsächlich begangen hat, will aber um jeden Preis einen Freispruch erzielen. Daher besucht er den Hauptbelastungszeugen Z, auf dessen Aussage bei der polizeilichen Vernehmung sich der Tatverdacht gegen M ganz wesentlich stützt. Zufällig weiß R, dass Z vor kurzem einen Ladendiebstahl begangen hat, der nicht entdeckt wurde. Er droht Z daher mit einer entsprechenden Strafanzeige, wenn er vor Gericht nicht zugunsten des M aussagen werde, erfor-derlichenfalls auch unter Eid.

Obwohl Z – wie er und R wissen – wegen des Ladendiebstahls allenfalls eine geringe Geldstrafe droht, erklärt er sich zu einer falschen Aussage zugunsten des M, auch unter Eid, bereit, weil ihm ein Strafver-fahren wegen des Diebstahls sehr peinlich wäre.

Kurz darauf leitet die Staatsanwaltschaft gegen R ein Ermittlungsverfahren ein wegen des Verdachts, R habe in strafbarer Weise auf Z eingewirkt. Im Rahmen dieses Verfahrens werden die Kanzlei des R sowie der Haftraum des M in der Justizvollzugsanstalt in formell und materiell rechtmäßiger Weise durchsucht. Im Haftraum des M wird dabei ein Brief des R entdeckt und beschlagnahmt, den dieser an M geschickt hatte. R bezeichnet darin den zuständigen Ermittlungsrichter E als „unfähigen Richter, an dessen Verstand man mit Fug und Recht zweifeln muss“; ohnehin sei ganz generell und unabhängig vom konkre-ten Fall „die gesamte Richterschaft ein inkompetenter und fauler Haufen“. Beweise für die Abmachung zwischen R und Z werden dagegen nicht gefunden.

In der späteren Hauptverhandlung gegen M vor dem Landgericht beginnt Z, dessen Vernehmung das Gericht von Amts wegen und ohne Antrag des R angeordnet hat, absprachegemäß mit seiner falschen Aussage. Er behauptet bewusst wahrheitswidrig, er habe den Täter nur von hinten gesehen und könne daher nicht sagen, ob M die Tat begangen habe. Der Vorsitzende Richter äußert sofort und noch während der laufenden Vernehmung Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage und weist Z auf die Bedeutung der Aussage sowie die Möglichkeit seiner nachträglichen Vereidigung hin. Z überkommt daraufhin Reue. Er korrigiert deshalb seine Angaben und sagt wahrheitsgemäß zu Lasten des M aus. Eine Vereidigung des Z unterbleibt. M wird sodann zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, obwohl R in seinem Plädoyer, ohne dabei falsche Tatsachen vorzutragen, Freispruch wegen nicht erwiesener Schuld seines Mandanten be-antragt hat.

Vermerk für die Bearbeiter:

In einem Gutachten, das auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, ist zu prüfen, wie sich Z und R nach dem StGB strafbar gemacht haben. Auf § 130 StGB ist nicht einzugehen. Der von Z begangene Ladendiebstahl bleibt dabei außer Betracht. Eventuell erforderliche Strafanträge sind gestellt.

Skizzierung der wesentlichen inhaltlichen Probleme:

Sinnvoll erscheint es, das anzufertigende Gutachten orientiert an der zu prüfenden Strafbarkeit von Z und R einzuteilen. Zu beginnen ist mit dem „Tatnächsten“, Z.

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hemmer! Life&Law 11/2014 857

Strafbarkeit des Z

Z könnte sich wegen uneidlicher Falschaussage gem. § 153 StGB strafbar gemacht haben, indem er be-wusst wahrheitswidrig in der Hauptverhandlung behauptete, er habe den Täter nur von hinten gesehen. Z befand sich „vor Gericht“ im Sinne des § 153 StGB und damit in einer tauglichen Tatsituation. Er müsste zur Bejahung des Tatbestandes überdies uneidlich falsch ausgesagt haben. „Falsch“ war die Aussage des Z nach allen Auffassungen (objektive/subjektive Theorie sowie Pflichttheorie, vgl. Fischer, § 153 StGB, Rn. 4 - 6). Fraglich ist allerdings, ob die Tathandlung bereits vollendet ist. Dies ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift erst mit Abschluss der Aussage anzunehmen, also sobald der Aussagende nichts mehr bekunden und kein Verfahrensbeteiligter mehr Fragen an ihn stellen will. Dieser Zeitpunkt war vorliegend nicht überschritten, sodass die Tathandlung noch nicht vollendet war. Eine Strafbarkeit des Z gem. § 153 StGB scheidet somit ebenso aus wie eine Strafbarkeit wegen versuchter uneidlicher Falschaussage, da letztere im Versuch gar nicht strafbar ist (vgl. § 23 I StGB). In Betracht käme, ebenfalls anknüpfend an die falschen Angaben in der Hauptverhandlung, eine Strafbarkeit des Z wegen versuchten Meineids, §§ 154, 22, 23 I StGB. Angesichts des Verbrechenscharakters ist der Versuch grundsätzlich strafbar. Jedoch be-ginnt die Versuchsstrafbarkeit beim „Nacheid“ erst mit dem Beginn der Eidesleistung, sodass auch dieser Strafvorwurf vorliegend ausscheidet. Allerdings hatte Z sich im Vorfeld gegenüber R bereit erklärt, falsche Angaben, erforderlichenfalls auch unter Eid, zu machen. Dies ist – aufgrund des Verbrechenscharakters von § 154 StGB – grundsätzlich strafbares Handeln gem. § 30 II Var. 1 StGB. Ein die Rechtswidrigkeit ausschließender Nötigungsnotstand gem. § 34 StGB scheitert jedenfalls daran, dass die Interessen des Z („Ladendiebstahl peinlich“) nicht wesentlich gegenüber der Effektivität der Rechtspflege überwiegen. Ein entschuldigender Notstand gem. § 35 I StGB scheitert schon an einer Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit des Z, sodass die Tat auch schuldhaft geschah. Jedoch könnte Z von der Tat strafbefreiend gem. § 31 I Nr. 2 StGB zurückgetreten sein. Z gab sein Vorhaben in diesem Sinne auf. Überdies müsste er diesbe-züglich freiwillig gehandelt haben.

Dies ist dann anzunehmen, wenn am Aufgeben der Tat weder durch eine äußere Zwangslage, noch durch einen seelischen Druck an der Vollendung gehindert wurde, mithin aus autonomen Motiven heraus ge-handelt wurde. Vorliegend könnte dem entgegenstehen, dass der Vorsitzende Richter sofort Zweifel an der Richtigkeit der Aussage äußerte.

Dies allein genügt jedoch noch nicht, um eine hinreichende äußere Zwangslage annehmen zu können. Z handelte vielmehr „aus Reue“ und somit freiwillig. § 31 I Nr. 2 StGB steht somit einer Bestrafung gem. § 30 II Alt. 1 StGB entgegen.

Z könnte sich jedoch wegen einer versuchten Strafvereitelung gem. §§ 258 I, 22, 23 I StGB strafbar ge-macht haben. Ein entsprechender Tatentschluss ist ebenso zu bejahen wie ein unmittelbares Ansetzen zur Tat, indem Z mit seiner falschen Aussage begann. Eine Rechtfertigung gem. § 34 StGB bzw. Schuldausschluss aufgrund von § 35 I StGB scheitert aus den bereits genannten Gründen. Allerdings handelte Z, um durch die Tat zugleich zu verhindern, selbst bestraft zu werden. Nach vorzugswürdiger Auffassung greift § 258 V StGB als persönlicher Strafausschließungsgrund auch dann, wenn die Hand-lung zugunsten eines anderen und zugunsten des falsch Aussagenden verschiedene Vortaten treffen. Folgt man diesem Ansatz, ist § 258 V StGB einschlägig. Da Z freiwillig handelte (s.o.), greift jedenfalls auch § 24 I S. 1 StGB ein. Eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung scheidet demzufolge eben-falls aus. Z könnte sich jedoch aufgrund seiner falschen Angaben gem. § 145d II Nr. 1 StGB strafbar ge-macht haben. Hierzu müsste er wider besseres Wissen eine der in § 145 I StGB bezeichneten Stellen über den Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat zu täuschen versucht haben. Fraglich ist, ob es sich beim LG um eine solche zuständige Stelle handelt. Darunter fallen alle Behörden, welche dafür zuständig sind, Anzeigen entgegenzunehmen. Unter den Begriff „Behörde“ fallen dabei gem. § 11 Nr. 7 StGB grundsätz-lich alle Gerichte, also auch ein LG. Allerdings werden in § 158 I S. 1 StPO (anders als in § 158 II StPO) explizit die Amtsgerichte erwähnt, sodass es vorzugswürdig erscheint, die Landgerichte nicht über den Behördenbegriff in § 158 I StPO als tauglichen Adressaten anzusehen (a.A. vertretbar). Mangels eines zuständigen Adressaten scheidet somit auch eine Strafbarkeit des Z gem. § 145d II Nr. 1 StGB aus. Eine mögliche Strafbarkeit gem. § 271 StGB (aufgrund einer Aufnahme der ursprünglich falschen Angaben des Z in das Gerichtsprotokoll) scheitert bereits daran, dass es sich insoweit gar nicht um eine „Falschbeur-kundung“ in diesem Sinne handeln würde: Zwar schützt § 271 I StGB die inhaltliche Richtigkeit des Ge-richtsprotokolls. Jedoch wäre das Gerichtsprotokoll auch bei einer Aufnahme der falschen Angaben trotz-dem richtig in diesem Sinne, da gerade dokumentiert werden soll, was der Zeuge in der Hauptverhand-lung von sich gegeben hat. Z bleibt nach alledem vorliegend straflos.

Strafbarkeit des R

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858 hemmer! Life&Law 11/2014

Indem R dem Z mit einer Strafanzeige wegen eines vor kurzem begangenen Ladendiebstahls drohte, um „um jeden Preis“ einen Freispruch seines Mandanten zu erzielen, könnte er sich wegen versuchter Nöti-gung gem. §§ 240 I, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben (eine Strafbarkeit gem. § 343 StGB scheitert an der tauglichen Täterqualität des R sowie einer tauglichen Tathandlung, ebenso wie eine Strafbarkeit gem. §§ 253 I, 22, 23 I StGB wegen Nichtvorliegens eines anvisierten Vermögensschadens bei Z aus-scheidet). Ein entsprechender Tatentschluss ist zu bejahen. Auch setzte R unmittelbar zur Tat an, indem er auf Z einwirkte. Mangels des Vorliegens von Rechtfertigungsgründen und aufgrund der Verwerflichkeit von Zweck („Fehlurteil“) und Mittel ist die Tat auch rechtswidrig. Mangels Entschuldigungsgründen handel-te R zudem schuldhaft. Ein möglicher Rücktritt beurteilt sich bei R nach § 24 II StGB. Da R die Tatvollen-dung nicht verhindert hat, scheidet ein Rücktritt aber aus, sodass sich R gem. §§ 240 I, 22, 23 I StGB strafbar gemacht hat. Überdies könnte sich R wegen Anstiftung zur versuchten Strafvereitelung gem. §§ 258 I, 22, 23 I, 26 StGB strafbar gemacht haben (§ 258a I StGB über § 28 II StGB scheitert an der fehlenden Amtsträgerschaft des R; mittelbare Täterschaft scheitert im Ergebnis an der fehlenden „Werk-zeug-Qualität“ des Z). Eine vorsätzliche rechtswidrige Vortat des Z liegt vor (s.o.). R hatte Z auch hierzu „bestimmt“ im Sinne von § 26 StGB. Vorsatz, Rechtswidrigkeit und Schuld liegen ebenfalls vor. Ein mögli-cher Rücktritt gem. § 24 II StGB erfolgte nicht, sodass sich R auch gem. §§ 258 I, 22, 23 I, 26 StGB straf-bar gemacht hat (eine denkbare (Neben-)Täterschaft des R scheitert jedenfalls daran, dass Z ohne Antrag des R vernommen wurde). Mangels einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat scheidet eine Strafbar-keit des R gem. §§ 153, 26 StGB von vornherein aus. Allerdings hatte R versucht, Z zu einem Meineid anzustiften, sodass er sich gem. § 30 I S. 1 Alt. 1 StGB in Verbindung mit § 154 StGB strafbar gemacht hat. Ein strafbefreiender Rücktritt gem. § 31 I Nr. 1 StGB liegt nicht vor. Die Strafbarkeit gem. § 159 StGB tritt dahinter zurück. Schließlich könnte sich R aufgrund seiner Äußerung in dem an Z gerichteten Brief, der Ermittlungsrichter E sei ein „unfähiger Richter, an dessen Verstand man mit Fug und Recht zweifeln muss“, gem. § 185 StGB strafbar gemacht haben.

Einer solchen Strafbarkeit könnte gegebenenfalls entgegenstehen, dass das Schriftstück gar nicht (im Sinne eines Zufallsfundes, vgl. § 108 StPO) hätte beschlagnahmt werden dürfen. Der Regelungsgehalt von § 97 I Nr. 1 StPO („beschlagnahmefreie Gegenstände“) greift vorliegend allerdings nicht ein: Die Vor-schrift ist schon nicht anwendbar, da im vorliegenden Fall der Zeugnisverweigerungsberechtigte selbst Beschuldigter einer Straftat ist.

Dies ergibt sich auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift: Berufsgeheimnisträger werden nur geschützt, soweit ihr Zeugnisverweigerungsrecht im Verfahren gegen den Beschuldigten reicht, nicht aber soweit ihr Individualinteresse als selbst beschuldigte Personen betroffen ist. Gleiches gilt für die Vorschrift § 97 II S. 3 StPO. Ein über § 97 I StPO hinausgehendes Beschlagnahmeverbot kann schließlich auch nicht § 148 StPO entnommen werden. Auch § 160a StPO ist schon nach seinem Wortlaut nicht auf selbst beschuldig-te Berufsgeheimnisträger anwendbar (zu den Einzelheiten hierzu ausführlich vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2009 – BGHSt 2 StR 302/08; an dieses Urteil ist der Fall stark angelehnt). Mithin liegt kein Verfah-rensfehler vor, welcher einer materiellen Strafbarkeit entgegenstehen könnte. Tatbestandlich müsste es sich bei der Äußerung von R um eine Kundgabe der Missachtung des E handeln. Zwar macht § 43a III S. 2 BRAO deutlich, dass ein „offenes Wort“ mit dem Mandanten möglich ist. Jedoch wird diese Grenze bei persönlichen Schmähungen sowie Formalbeleidigungen wie der vorliegenden überschritten. An dieser Bewertung ändert auch nichts die Ansicht, das Mandatsverhältnis begründe einen „beleidigungsfreien Raum“. Jedenfalls besteht kein schutzwürdiges Interesse, in einem Mandatsverhältnis beleidigende Äuße-rungen des Rechtsanwalts (!) stets straffrei zu stellen. Aus denselben Gründen kommt auch keine Recht-fertigung gem. § 193 StGB („Wahrnehmung berechtigter Interessen“) in Betracht, sodass sich R insoweit gem. § 185 StGB strafbar gemacht hat (auch hierzu ausführlich das oben zitierte Urteil des BGH a.a.O.). Schließlich könnte sich R auch wegen Beleidigung strafbar gemacht haben, indem er sich in dem Brief an seinen Mandanten M dahingehend äußerte, dass die gesamte Richterschaft „ein inkompetenter und fauler Haufen“ sei. Eine grundsätzlich mögliche Kollektivbeleidigung scheitert jedenfalls daran, dass die Richter-schaft als solche nicht fähig ist, einen einheitlichen Willen zu bilden. Denkbar bleibt somit allein eine Straf-barkeit gem. § 185 StGB im Sinne einer Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung (beleidigt werden hier die einzelnen Personen des Kollektivs). Jedoch ist hierfür ein hinreichender Bezug zu den einzelnen Mitgliedern des Kollektivs erforderlich, was vorliegend richtigerweise zu verneinen ist.

Ergebnis

Z bleibt straffrei. R ist strafbar gem. § 30 I StGB i.V.m. §§ 154; 258 I, 22, 23 I, 26; 240 I, 22, 23 I StGB, jeweils in Tateinheit. Hierzu steht die Strafbarkeit gem. § 185 StGB in Tatmehrheit, § 53 StGB.

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hemmer! Life&Law 11/2014 859

hemmer-Trainingsplan-Info: Der Fall weist in inhaltlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten auf mit der Ausnahme der Frage nach der Verwertbarkeit des beschlagnahmten Briefes. Trotzdem dürften viele Bearbeiter von der ungewohnten Thematik und dem weitgehenden Fehlen von sog. „Standard-Problemen“ irritiert gewesen sein. Gerade in solchen Klausuren kommt es darauf an, mit solide erworbe-nem Verständnis den Fall einer sachgerechten Lösung zuzuführen. Studenten, die Strafrecht nicht auf „auswendig lernen“ reduziert haben, fahren in solchen (scheinbar unangenehmen) Klausuren regelmäßig besonders gut.

C) Öffentliches Recht:

Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends:

Schwerpunkt im Kommunalrecht und Baurecht wieder kein Europarecht, kaum Verfassungsrecht

Klausur Nr. 5:

Problemstellung: Der Schwerpunkt der ersten öffentlich-rechtlichen Klausur lag eindeutig im kommuna-len Aufsichtsrecht.

Sachverhalt: A betreibt seit Frühjahr 2011 eine Kfz-Werkstatt in einem davor als Garage genutzten Gebäude im Innen-stadtbereich der Großen Kreisstadt G (Landkreis Rosenheim, Regierungsbezirk Oberbayern). Seit Herbst 2013 wenden sich zahlreiche Nachbarn wegen erheblicher Lärmbelästigungen an G. Nachdem eine Überprüfung ergibt, dass A keine Baugenehmigung für die Nutzung der Garage als Werkstatt besitzt, er-geht durch G am 15. Januar 2014 ein Bescheid an A, einen Genehmigungsantrag zu stellen und alle er-forderlichen Unterlagen für dessen Beurteilung und Bearbeitung vorzulegen. Anton legt gegen den Be-scheid keine Rechtsmittel ein, kommt ihm aber auch nicht nach. Aufgrund weiterer Beschwerden droht G dem A mit formlosem Schreiben vom 25. April 2014 bei Nichter-füllung des Bescheids vom 15. Januar 2014 eine Nutzungsuntersagung an. A bleibt dennoch weiterhin untätig. Im Juni 2014 wenden sich mehrere Nachbarn an die Regierung von Oberbayern. Diese fordert G mit Schreiben vom 19. August 2014 nach vorheriger Anhörung zu einer für sofort vollziehbar erklärten Nut-zungsuntersagung gegen A auf. Andere Maßnahmen versprächen keinen Erfolg. Die Umgebung des Be-triebs sei zwar unbeplant, entspräche ihrer tatsächlichen Bebauung nach aber einem reinen Wohngebiet. Betriebe wie eine Kfz-Werkstatt, von denen erhebliche Lärmbelästigungen ausgehen, seien dort nicht zulässig; die Werkstatt stelle einen Fremdkörper im Gebiet dar. Die Oberbürgermeisterin von G schlägt entsprechend der Anweisung der Regierung in der Stadtratssit-zung am 27. August 2014 aufgrund einer entsprechenden Sitzungsvorlage vor, eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung gegen A zu erlassen. Die Stadtratsmehrheit ist jedoch der Ansicht, man müsse A nochmal eine viermonatige Frist zur Beantragung einer Baugenehmigung einräumen, bevor man mit so gravierenden Mitteln vorgehe. Letzteres wird dann vom Stadtrat beschlossen; der Vorschlag der Oberbür-germeisterin wird durch Beschluss abgelehnt. Die Oberbürgermeisterin hält diesen Beschluss für rechtswidrig; dies erklärt sie noch in derselben Stadt-ratssitzung, jedoch ohne Begründung. Sie vollzieht den Stadtratsbeschluss nicht, sondern ruft am folgen-den Tag die Regierung von Oberbayern um Entscheidung an. Der Vorsitzende der Mehrheitsfraktion im Stadtrat, F, ist der Ansicht, das Vorgehen der Oberbürgermei-sterin sei undemokratisch, da es den Mehrheitswillen im Stadtrat missachte. Dies müsse auch die Regie-rung von Oberbayern erkennen und folglich die Oberbürgermeisterin anweisen, den Beschluss vom 27. August 2014 zu vollziehen, wozu diese verpflichtet sei. A erfährt von dem Stadtratsbeschluss und dessen Beanstandung durch die Oberbürgermeisterin aus der Zeitung. Er beantragt am 15. September 2014 schriftlich bei G, die Nichtigkeit der Beanstandung des Be-schlusses vom 27. August 2014 durch die Oberbürgermeisterin festzustellen, und gleichzeitig solle G fest-stellen, dass die Nutzung des Gebäudes als Kfz-Werkstatt nicht genehmigungspflichtig sei.

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860 hemmer! Life&Law 11/2014

1. Durfte die Regierung von Oberbayern die Große Kreisstadt G auffordern, gegen A mit einer so-fort vollziehbaren Nutzungsuntersagung vorzugehen?

2. Wie wird die Regierung von Oberbayern die Vorlage der Oberbürgermeisterin beantworten?

3. Kann F von der Regierung von Oberbayern verlangen, die Oberbürgermeisterin zum Vollzug des Stadtratsbeschlusses anzuweisen?

4. Kann A von der Großen Kreisstadt G die Feststellung der Nichtigkeit der Beanstandung des Beschlusses vom 27. August 2014 durch die Oberbürgermeisterin sowie die Feststellung der feh-lenden Genehmigungspflicht verlangen?

Von der Richtigkeit der tatsächlichen Angaben im Schreiben der Regierung von Oberbayern vom 19. August 2014 ist auszugehen. Vorschriften des BImSchG bleiben außer Betracht.

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Frage 1:

Da die Große Kreisstadt G nach Art. 9 II GO, § 1 Nr. 1 GrKrV die Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbe-hörde im übertragenen Wirkungskreis wahrnimmt, vgl. auch Art. 54 I BayBO, steht der Regierung grund-sätzlich das Weisungsrecht nach Art. 116 I S. 2 GO zu. Die Zuständigkeit der Regierung ergibt sich aus Art. 115 I S. 1 GO i.V.m. Art. 53 I BayBO bzw. Art. 115 II GO i.V.m. Art. 115 I S. 2, 110 S. 2 GO.

Eine Weisung setzt weiter die Rechtmäßigkeit der angewiesenen Handlung, hier der sofort vollziehbaren Nutzungsuntersagung, voraus. Rechtsgrundlage der Nutzungsuntersagung ist Art. 76 S. 2 BayBO, der die Baurechtswidrigkeit der Nutzung der Anlage des A voraussetzt. Diese Baurechtswidrigkeit kann sich zum einen aus der sog. formellen Illegalität ergeben, wenn also ein Vorhaben ohne die erforderliche Bauge-nehmigung begonnen wird, vgl. Art. 68 V BayBO. Die Änderung der Nutzung von Garage zu einer Kfz-Reparaturwerkstatt ist nach Art. 55 I BayBO genehmigungspflichtig. Eine Ausnahme nach Art. 57 IV Bay-BO ist nicht einschlägig, insbesondere nicht Art. 57 IV Nr. 1 BayBO, da an die neue Nutzung als Werkstät-te andere, v.a. nachbarschützende Anforderungen als an die bisherige Nutzung zu stellen sind.

Auch Art. 57 IV Nr. 2 BayBOi.V.m. Art 57 I Nr. 1b BayBO greift nicht ein, da verfahrensfrei eben nur die Errichtung einer Garage und nicht einer Werkstatt ist. Unter den Begriff Garage kann eine Werkstattnut-zung aber allenfalls dann subsumiert werden, wenn sich die Reparaturtätigkeiten auf gelegentliche Repa-raturen des eigenen Fahrzeuges beschränken würden.

Nach h.M. genügt diese formelle Baurechtswidrigkeit für die Tatbestandsmäßigkeit einer Nutzungsunter-sagung nach Art. 76 S. 2 BayBO, da diese wie die Baueinstellung nur eine vorübergehende Maßnahme ist und in Art. 76 S. 2 BayBO sich der zweite Halbsatz von Art. 76 S. 1 BayBO gerade nicht wiederfindet. Allenfalls dann, wenn das Vorhaben eindeutig materiell rechtmäßig ist, kann eine andere Entscheidung angezeigt sein. Maßstab für die materielle Rechtmäßigkeit ist dabei zwar nicht der beschränkte Prü-fungsmaßstab des Art. 59 BayBO, sondern das komplette Baurecht, vgl. Art. 55 II BayBO; der Sachverhalt wirft aber nur bauplanungsrechtliche Fragen auf. Die Nutzungsänderung durch A stellt ein Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB dar. Sie weist insbesondere die erforderliche planungsrechtliche Relevanz auf, da der Belang des gesunden Wohnens, § 1 VI Nr. 1 BauGB, durch eine Nutzung als Werkstätte anders in Frage gestellt wird als durch die bisherige Garagennutzung. Da für das Grundstück des A kein Bebauungsplan existiert, richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit aufgrund der vorhandenen Bebauung in der Nachbarschaft nach § 34 BauGB. Die Art der baulichen Nutzung – und nur diese ist nach dem Sachverhalt problematisch – bestimmt sich nach § 34 II BauGB, da die umgebende Bebauung einem reinen Wohngebiet entspricht. In einem solchen ist nach § 3 III Nr. 1 BauGB eine Werkstatt nur zulässig, wenn diese zum einen nicht „stört“ und zum anderen der Deckung des Bedarfs der Gebietsbewohner dient. Ob letzteres der Fall ist, kann dem Sachverhalt nicht entnommen werden, jedenfalls gehen von dem Vorhaben derzeit Lärmbelä-stigungen für die Nachbarschaft aus. Diese können zwar eventuell über Auflagen nachbarverträglich be-schränkt werden. Die entsprechende Prüfung ist aber gerade die Aufgabe des Baugenehmigungsverfah-rens, sodass jedenfalls derzeit nicht von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit gesprochen wer-den kann, die der Baunutzungsuntersagung entgegenstehen könnte.

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Aktuelles Life & Law kompakt

hemmer! Life&Law 11/2014 861

Eine Nutzungsuntersagung ist auch ermessensfehlerfrei, insbesondere verhältnismäßig. Ein weiteres Abwarten ist nicht geboten, da A bereits angehört war und er nicht auf entsprechende Aufforderungen durch die Baubehörde reagiert hat. Die angewiesene Nutzungsuntersagung ist damit rechtmäßig. Das gilt auch für die ebenfalls angewiesene Erklärung der sofortigen Vollziehbarkeit, da das Interesse an dem Sofortvollzug das Suspensivinteresse des A überwiegt, § 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO. Zum einen gehen von seiner Werkstatt erhebliche Belästigungen für die Nachbarn aus, zum anderen hat er auf mehrere Auffor-derungen, Genehmigungsunterlagen einzureichen, nicht reagiert.

Die Rechtmäßigkeit der angewiesenen Handlung genügt allerdings nicht für eine Weisung nach Art. 116 I S. 2 GO. Weitere Voraussetzung ist, dass die Aufsichtsbehörde ihr Ermessen an die Stelle des Ermes-sens der Gemeinde setzen und dieser eine entsprechende Weisung erteilen durfte.

Dies ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 109 II S. 2 GO möglich. Hier könnte Nr. 1 einschlägig sein, soweit öffentlich-rechtliche Ansprüche Einzelner die Weisung fordern. Insoweit kommen nur Ansprü-che der Nachbarn auf ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen A in Betracht. Ob solche Ansprüche be-stehen, erscheint fraglich, da die Nachbarn auch die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Vorgehens nach §§ 823 II, 1004 BGB haben. Soweit man mit diesen Argumenten einen Anspruch der Nachbarn verneint, ist die Weisung trotz der Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung rechtswidrig. Zu einem anderen Er-gebnis gelangt man, wenn man davon ausgeht, dass das Ermessen im Rahmen des Art. 76 S. 2 BayBO auf Null reduziert ist, weil jedes weiteres Abwarten der Baubehörde angesichts der langen Untätigkeit des A nicht hinnehmbar ist.

Frage 2:

Die Vorlage der Oberbürgermeisterin wird die Regierung mit einem Rechtsgutachten nach Art. 59 II GO beantworten. Die Regierung ist hierfür zuständig. Zwar ist Rechtsaufsichtsbehörde bei einer großen Kreisstadt eigentlich das Landratsamt, Art. 110 S. 1 GO. Hier ist aber Art. 115 II GO i.V.m. Art. 110 S. 2 GO als lex specialis einschlägig.

Der Beschluss des Gemeinderats verstößt nur dann gegen Art. 76 S. 2 BayBO, wenn man in Frage 1 von einer Ermessensreduktion auf Null ausgeht. Andernfalls ist die Gemeinde gerade nicht zum Erlass einer Nutzungsuntersagung verpflichtet, sodass das vom Gemeinderat beschlossene Abwarten genauso rechtmäßig wäre wie eine Nutzungsuntersagung.

Die Rechtswidrigkeit des Gemeinderatsbeschlusses könnte sich aber daraus ergeben, dass die Gemein-de sich in Widerspruch zu einer Weisung der Fachaufsichtsbehörde setzt. Diese Weisung ist nach h.M. ein Verwaltungsakt, sodass sie auch dann wirksam ist, wenn man in Frage 1 von einer rechtswidrigen Weisung ausgeht. Indem die Gemeinde einen Beschluss fasst, der der Weisung zuwiderläuft, ohne diese Weisung mit Suspensivwirkung anzufechten, verletzt sie Art. 116 I S. 2 GO und handelt damit rechtswid-rig.

Frage 3:

F müsste ein Anspruch auf eine Weisung nach Art. 116 I S. 2 GO zustehen. Soweit man in Frage 2 von einem rechtswidrigen Gemeinderatsbeschluss ausgeht, ergibt sich bereits hieraus, dass F einen solchen Anspruch nicht hat, da es keinen Anspruch auf Vollziehung eines rechtswidrigen Beschlusses geben kann. Auch wenn man in Frage 2 von einem rechtmäßigen Gemeinderatsbeschluss ausgeht, begründet dies nur ein Recht der Regierung zu einer entsprechenden Weisung nach Art. 116 I S. 2 GO und keine Pflicht. Das Ermessen der Regierung könnte aber auf Null reduziert sein, weil es keinen Grund gibt, war-um die Oberbürgermeisterin sich weigern sollte, einen rechtmäßigen Gemeinderatsbeschluss zu vollzie-hen.

Letztlich kann dies offenbleiben, wenn F kein subjektives Recht zusteht, eine etwaige Pflicht der Auf-sichtsbehörde einzufordern. Art. 108 GO stellt insoweit klar, dass jedenfalls einem „bloßen“ Gemeindean-gehörigen ein solches Recht nicht zusteht. Fraglich ist, ob dies bei einer Fraktion bzw. einem Fraktions-vorsitzenden anders zu beurteilen ist. Dies ist zu verneinen. Ein Anspruch auf Vollziehung eines Gemein-deratsbeschlusses steht allenfalls dem Gemeinderat als Kollegialorgan und nicht einer Fraktion zu.

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862 hemmer! Life&Law 11/2014

Frage 4:

Die Feststellung der Nichtigkeit der Beanstandung kann A bereits deshalb nicht von der Gemeinde ver-langen, weil es sich um ein reines Internum handelt, das A nicht unmittelbar in Rechten berührt. Die Fest-stellung der fehlenden Genehmigungspflichtigkeit kommt hingegen grundsätzlich in Betracht. Grundsätz-lich kann A auch nicht darauf verwiesen werden, eine Verpflichtungsklage auf Baugenehmig zu erheben, da diese gerade unbegründet ist, wenn A im Recht ist und das Vorhaben nicht genehmigungspflichtig ist. Allerdings ist der Bescheid vom 15.01., in dem A verpflichtet wird, einen Genehmigungsantrag zu stellen, bestandskräftig und damit für A verbindlich geworden. In seinem Feststellungsbegehren setzt sich A in Widerspruch zu dieser Bindungswirkung, sodass ihm ein entsprechender Anspruch nicht zusteht. Über-dies ist das Vorhaben nach den Ausführungen zu Frage 1 tatsächlich genehmigungspflichtig, sodass je-denfalls hieran der von A geltend gemachte Anspruch scheitert.

hemmer-Trainingsplan-Info: Eine ungewöhnliche Klausur nahezu ohne Prozessrecht. Die Frage 1 als Schwerpunkt der Arbeit war dabei noch das „Normalste“ an der Klausur. Art. 116 I S. 2 GO muss einem Examenskandidaten genauso bekannt sein wie die Prüfung der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 I, II BauGB. Mit unserem Kursprogramm waren die Examenskandidaten insoweit gut vorbereitet. Das kommunale Aufsichtsrecht wird in den Fällen 4, 5, 8, Kommunalrecht behandelt. Konkret das Weisungsrecht der Fachaufsichtsbehörde ist Gegenstand des Fall 4. Die Zulässigkeit eines Innenbereichsvorhabens wird in Fall 1, Baurecht ausführlich behandelt. Die Fragen 2 bis 4 waren sicher-lich ungewöhnlich – aber insoweit für alle Bearbeiter gleich ungewöhnlich. Hier waren keine Detailkennt-nisse gefragt, sondern sauberes Arbeiten auf der Grundlage soliden Basiswissens. Dieses wird Ihnen in unserem Hauptkurs vermittelt. So wird der Anspruch auf ein aufsichtliches Einschreiten in Fall 5, Kom-munalrecht behandelt. Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten ist bspw. Gegenstand von Fall 7, Verwaltungsrecht AT.

Klausur Nr. 6:

Problemstellung: Auch die zweite öffentlich-rechtliche Klausur stellte den Bearbeiter vor Fragen des kommunalen Aufsichtsrechts, kombiniert mit sicherheitsrechtlichen Problemen.

Sachverhalt: Auf dem Gebiet der kreisangehörigen Gemeinde G (12.500 Einwohner, Landkreis Miesbach, Regierungs-bezirk Oberbayern) befindet sich der Schlundsee, ein stark frequentierter Badesee. Auf der Ostseite des Sees treten gelegentlich und unvorhersehbar gefährliche Strömungen auf. Ursache hierfür ist nach der Feststellung von Geologen ein unterirdischer Bach, der je nach Wasserstand Sogwirkung auf den See entfalten kann. Diese Wirkung beschränkt sich auf 10 % der Seeoberfläche. In den letzten Jahren ist es infolge der Strömung immer wieder zu Badeunfällen gekommen. Die Ostseite des Sees ist aufgrund dich-ten Bewuchses für Badegäste unzugänglich. Jedoch kommt es vor, dass Badende von dem einzigen Ba-dezugang an der Westseite den See durchschwimmen und mangels Absperrungen ins Gefahrengebiet gelangen. Im Juni 2014 ertranken auf diese Weise zwei geübte Schwimmer im gefährlichen Bereich. Wegen dieser Vorfälle wird in der Gemeinde lebhaft über ein Badeverbot diskutiert. Die erste Bürgermei-sterin B lädt deshalb ordnungsgemäß sämtliche Gemeinderatsmitglieder zu einer Gemeinderatssitzung für den 15. Juli 2014. Auf der Tagesordnung befindet sich auch der Punkt „Badeverbot Schlundsee“. In der Gemeinderatssitzung am 15. Juli 2014, zu der alle Gemeinderatsmitglieder erschienen sind, spre-chen sich die meisten Gemeinderatsmitglieder für ein Badeverbot im gesamten See aus, da man nur durch ein totales Badeverbot mit der Gefahr und zusätzlich mit dem Problem der Fülle an Badegästen aus anderen Gemeinden und Landkreisen fertig werde. Letzteres verursache im Sommer teilweise lange Staus im Gemeindegebiet. Gemeinderatsmitglied K spricht sich als einer der wenigen gegen ein totales Badeverbot aus. K betreibt in Nähe des Sees einen Kiosk, an dem er Badegäste mit Essen und Geträn-ken versorgt. K meint, ein auf den gefährlichen Bereich beschränktes Badeverbot und eine Absperrung dessen durch Bojen und Netze sei genügend. Badende, die diese Absperrung absichtlich durchbrächen, seien für eine Gefährdung selbst verantwortlich. Ein in der Sitzung angehörter Sachverständiger bestätigt, dass eine solche Absperrung ohne große Kosten möglich sei.

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hemmer! Life&Law 11/2014 863

Der Gemeinderat beschließt mit siebzehn Ja-Stimmen, vier Nein-Stimmen (darunter K) und vier Enthal-tungen den Text folgender

„Verordnung über ein Badeverbot für den Schlundsee“

„Die Gemeinde G erlässt folgende Verordnung:

§ 1 Das Baden ist im gesamten Schlundsee verboten.

§ 2 Zuwiderhandlungen gegen § 1 können mit Geldbuße belegt werden.

§ 3 Diese Verordnung tritt am 1. August 2014 in Kraft.

In der Begründung, die mit derselben Mehrheit vom Gemeinderat beschlossen wird, heißt es: „Zur effekti-ven Verhinderung von Gefahren für Leben und Gesundheit durch die an der Ostseite des Schlundsees auftretenden Strömungen ist die Verhängung eines Badeverbots für den gesamten See notwendig.

Zwar wäre nach Auffassung des in der Gemeinderatssitzung angehörten Sachverständigen auch eine hinreichend stabile und nur schwer überwindbare Absperrung des gefährlichen Bereichs durch Bojen und Netze zur Gefahrenabwehr realisierbar. Die Kosten dafür würden die Gemeindekassen auch nur unwe-sentlich belasten. Ein totales Badeverbot hat jedoch den entscheidenden Vorteil, dass in den Sommermo-naten der Ansturm gemeindefremder Personen auf den See verhindert wird.“ B fertigt den Verordnungstext am 22. Juli 2014 aus und macht ihn ordnungsgemäß im Amtsblatt der Ge-meinde am 23. Juli 2014 bekannt. Entsprechende Hinweisschilder werden noch am selben Tag am See aufgestellt. K fürchtet um sein Geschäft und wendet sich folglich am 24. Juli 2014 an das Landratsamt Miesbach mit der Bitte um Aufhebung der Verordnung. Nach Anhörung der G richtet das LRA am 21. August 2014 ein Schreiben an B, in dem es heißt: „Die vom Gemeinderat beschlossene Verordnung über ein Badeverbot wird als rechtswidrig beanstandet. G wird aufgefordert, die Verordnung unverzüglich aufzuheben.“ Zur Begründung wird angeführt, dass die Verordnung formell rechtswidrig sei und inhaltlich gegen höherran-giges Recht verstoße. B beruft wegen des Schreibens eine Sondersitzung am 8. September 2014 ein. In der Sitzung beschließt der Gemeinderat ordnungsgemäß, dass B für die Gemeinde gegen das Schreiben gerichtlich vorgehen solle. B erhebt am 16. September im Namen der Gemeinde G ordnungsgemäß Klage vor dem VG München mit dem Antrag, „die Rechtswidrigkeit des Schreibens des LRA festzustellen“.

1. Hat die Klage der G Aussicht auf Erfolg?

2. Mit welchen Rechtsbehelfen könnte K unmittelbar gegen die Verordnung gerichtlich vorgehen? Es ist nur auf Statthaftigkeit der Rechtsbehelfe, das jeweils zuständige Gericht sowie auf den Prü-fungsmaßstab einzugehen.

Normen des Wasserrechts, des Naturschutzrechts, des Straßen- und Straßenverkehrsrechts sowie des Gaststätten- und Gewerberechts bleiben außer Betracht. Auf Art. 141 BV, auf EU-Recht sowie auf EMRK ist nicht einzugehen. Von der Vereinbarkeit der Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der Verordnung mit höherrangigem Recht ist auszugehen.

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Frage 1:

Der Verwaltungsrechtsweg ist für die Klage der Gemeinde gegen die Beanstandung eröffnet. Problema-tisch ist allerdings bereits die statthafte Klageart, da für fachaufsichtliche Maßnahmen nach Art. 116 GO zum Teil die Außenwirkung und damit die VA-Qualität verneint wird. Die Bezeichnung „Beanstandung“ weist zwar auf eine rechtsaufsichtliche Maßnahme nach Art. 112 GO hin.

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864 hemmer! Life&Law 11/2014

Allerdings geht es um den Erlass einer Verordnung, also einer vom Staat abgeleiteten Rechtssetzung, was für den übertragenen Wirkungskreis und damit für eine fachaufsichtliche Weisung spricht. Hierfür spricht auch die Bußgeldregelung in § 2 der Verordnung, da grundsätzlich nur der Staat die Strafgewalt hat. Außerdem findet sich die Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung in Art. 27 LStVG und Sicher-heitsrecht ist nur ganz ausnahmsweise, bei örtlich eng begrenzten Gefahren, dem eigenen Wirkungskreis zuzuordnen. Die Beanstandung ist somit eine falsch bezeichnete Weisung nach Art. 116 I S. 2 GO, bei der zum Teil die Außenwirkung mit dem Argument verneint wird, dass hier die Gemeinde nur als verlän-gerter Arm des Staates betroffen sei. Dies ist unzutreffend. Auch Aufgaben des übertragenen Wirkungs-kreises sind nach Art. 6 II GO Gemeindeaufgaben. In der GO findet sich keine Art. 37 I S. 2 LKrO ver-gleichbare Regelung der Organleihe. Außerdem geht auch Art. 120 GO von der Außenwirkung fachauf-sichtlicher Maßnahmen aus. Somit hat auch eine fachaufsichtliche Weisung VA-Qualität. Statthafte Kla-geart ist mithin die Anfechtungsklage nach § 42 I Alt. 1 VwGO. Das Feststellungsbegehren der Gemeinde ist entsprechend auszulegen, § 88 VwGO. Die Klagebefugnis der Gemeinde ergibt sich weder aus der auf Art. 2 I GG beruhenden Adressatentheorie noch aus Art. 11 II BV. Allerdings erscheint eine Verletzung des Art. 109 II S. 2 GO möglich. Die Klage wurde fristgerecht erhoben. Die erste Bürgermeisterin hat durch den Gemeinderatsbeschluss vom 08.09.14 auch die erforderliche Vertretungsmacht, um die Klage im Namen der Gemeinde erheben zu können.

Die gegen den Freistaat Bayern als Rechtsträger der Aufsichtsbehörde gerichtete Klage ist begründet, soweit die Weisung rechtswidrig ist, § 113 I S. 1 VwGO. Formell ist die Weisung nicht zu beanstanden. Das Landratsamt ist nach Art. 115 I S. 2, 110 S. 1 GO sachlich und nach Art. 3 I Nr. 1 BayVwVfG örtlich zuständig. Die Gemeinde wurde vor Erlass des ordnungsgemäß begründeten Bescheides angehört. Ma-teriell ist die Weisung zur Aufhebung eines Gemeinderatsbeschlusses von Art. 116 I S. 2 GO gedeckt, wenn dieser Beschluss entweder rechtswidrig oder in den Grenzen des Art. 109 II S. 2 GO unzweckmäßig ist. Für letzteres ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich.

Der Verordnungsbeschluss ist formell rechtmäßig: Problematisch ist allerdings die Mitwirkung des K an dem Beschluss, da er als Inhaber des Kioskes ein besonderes Interesse an dem Badebetrieb hat. Ob dies für ein unmittelbares, individuelles Sonderinteresse genügt, erscheint fraglich. Im Ergebnis kann dies offen bleiben, da ein eventueller Fehler nach Art. 49 IV GO ohnehin irrelevant wäre. Die vier Enthaltungen bei der Abstimmung verstoßen zwar gegen Art. 48 I S. 2 GO, führen aber nicht zur Rechtswidrigkeit des Be-schlusses, da andernfalls dem einzelnen Mitglied eine Sperrminorität zustünde. In der Verordnung wird entgegen Art. 45 II LStVG zwar nicht die Ermächtigungsgrundlage zitiert. Allerdings handelt es sich dabei nur um eine Soll-Vorschrift, die auch nicht über Art. 28 I, 80 I GG als Muss-Vorschrift auszulegen ist.

Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage in Art. 27 I LStVG ist gegeben, da aufgrund der Strömungen im See eine Gefahr für Leib und Leben der Schwimmer besteht, was angesichts der Toten in jüngerer Vergangenheit zwingend ist. Dabei handelt es sich auch nicht um eine bloße eigenverantwortliche Selbst-gefährdung, die u.U. nicht als Gefahr i.S.d. Art. 27 LStVG zu werten wäre. Zum einen drohen Nachahmer, zum anderen vor allen Dingen aber auch mögliche Retter gefährdet zu werden. Art. 27 LStVG deckt auch den Erlass einer Bußgeldvorschrift ab, vgl. Art. 27 IV LStVG.

Problematisch ist allerdings die Verhältnismäßigkeit des Verbots. Da sich die Gefahr auf nur 10 % des Sees beschränkt, ist ein vollständiges Badeverbot auf dem ganzen See u.U. nicht erforderlich. Es würde als milderes Mittel ein örtlich beschränktes Verbot kombiniert mit Absperrungen aus Bojen und Netzen ausreichen. Allerdings ist dieses örtlich beschränkte Verbot nicht gleich effektiv wie ein vollständiges Ver-bot, da die Absperrungen letztendlich doch überwindbar sind. Hier scheinen beide Ansichten vertretbar. Man kann insoweit auch die Angemessenheit des Totalverbots verneinen. Allerdings liegt nur ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der „Badewilligen“ vor. In Rechte des K aus bspw. eingerichtetem und ausgeübtem Gewerbebetrieb wird nicht eingegriffen, da die günstige Lage in Seenähe und das von die-sem See ausgehende Kundenpotential keine geschützten Rechtspositionen des K sind.

Der Gemeinderatsbeschluss beruht aber jedenfalls auf sachfremden Erwägungen. Art. 27 LStVG ist als sicherheitsrechtliche Vorschrift nicht dafür geschaffen, Tourismuspolitik zu betreiben. Diese mag zwar bei örtlich beschränkten Fragestellungen von dem Selbstverwaltungsrecht des Art. 11 II BV gedeckt sein, es fehlt der Gemeinde aber eine Ermächtigungsgrundlage, um eine dazu dienende Verbotsverordnung zu erlassen. Diese Erwägungen der Gemeinde betreffen auch nicht nur unbedeutende Randerscheinungen, sondern waren gerade das Leitmotiv dafür, das Verbot auf den ganzen See zu erstrecken. Insoweit ist der Verordnungsbeschluss materiell rechtswidrig.

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hemmer! Life&Law 11/2014 865

Frage 2:

Für eine unmittelbare Kontrolle der Verordnung steht zum einen die Normenkontrolle nach § 47 VwGO beim BayVGH zur Verfügung. Der Normenkontrollantrag ist nach § 47 I Nr. 2 VwGO i.V.m. Art. 5 I AGVwGO statthaft, beschränkt sich aber auf §§ 1, 3 der Verordnung. Der Ordnungswidrigkeitentatbestand in § 2 fällt nicht in den Rahmen der Gerichtsbarkeit des BayVGH, da hierfür die ordentlichen Gerichte zuständig sind, vgl. § 68 OWiG. Prüfungsmaßstab ist im Rahmen der Normenkontrolle das komplette höherrangige Recht mit Ausnahme der Grundrechte der Bayerischen Verfassung. Deren Verletzung prüft allein der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Wege der Popularklage, vgl. § 47 III VwGO.

Diese Popularklage nach Art. 98 S. 4 BV, Art. 55 BayVerfGHG ist das zweite statthafte Verfahren. Hier wird alleine die Vereinbarkeit der Verordnung mit der Bayerischen Verfassung geprüft, hier in erster Linie die Vereinbarkeit mit der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 101 BV.

Zuletzt wäre noch eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG nach Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG statthaft. Prüfungsmaßstab wären alleine die Grundrechte des Grundgesetzes. Die Verfas-sungsbeschwerde ist allerdings erst nach Erschöpfung des Rechtswegs zulässig, § 90 II S. 1 BVerfGG, sodass die Normenkontrolle nach § 47 VwGO vorrangig ist.

hemmer-Trainingsplan-Info: Ein dankbarer Abschluss des Examenstermins 2014/II. Unser Fall 4, Kommunalrecht erfasst das Gerüst der ersten Frage perfekt: Die Gemeinde klagt gegen die „Beanstan-dung einer sicherheitsrechtlichen Maßnahme“ ihrerseits. Die Schwerpunkte Abgrenzung Rechts- und Fachaufsicht, statthafte Klageart gegen eine fachaufsichtliche Maßnahme sowie Klagebefugnis werden in diesem Fall umfassend dargestellt. (U.a.)

In diesem Fall sind auch die Probleme der persönlichen Beteiligung nach Art. 49 I GO sowie der rechts-widrigen Enthaltung dargestellt. Die Möglichkeiten, unmittelbar gegen Rechtsakte vorzugehen, werden in verschiedenen Fällen des Hauptkursprogramms erörtert, sodass die letzte Klausur für Teilnehmer des Hemmer-Hauptkurses mehr als nur gut machbar war!