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Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen Der Zusammenschluss der hessischen Wohlfahrtsverbände Zum Wandel der Wohlfahrtsverbände Ein Beitrag zur sozialpolitischen Diskussion

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Liga der Freien Wohlfahrtspfl ege in HessenDer Zusammenschluss der hessischen Wohlfahrtsverbände

Zum Wandel der WohlfahrtsverbändeEin Beitrag zur sozialpolitischen Diskussion

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Liga der Freien Wohlfahrtspfl ege in Hessen e.V.

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Impressum

Herausgeber: LigaderFreienWohlfahrtspflegeinHessene.V. Friedrichstraße24,65185WiesbadenRedaktion: PetraKerz-GoertzundMatthiasFleschSatz: www.pixel-projekt.netDruck: Caritas-DruckereiMainz Mai2007 VisdP: LigaderFreienWohlfahrtspflegeHessen

Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort Seite 5

2. ZumWandelderWohlfahrtsverbände– Seite 6

EinBeitragzursozialpolitischenDiskussion

2.1.WohlfahrtsverbändeundsozialstaatlicherWandel Seite 6

2.2.DieFunktionenderWohlfahrtsverbände: Seite 9

Dienstleister,Anwalt,Solidaritätsstifter

2.3. DiestrategischenOptionenderLiga Seite 11

1.Dienstleistungsfunktion Seite 11

2.Anwaltsfunktion Seite 11

3.FunktionalsSolidaritätsstifter Seite 12

Anhang

DokumentationdesExpertengesprächs Seite 13

Programm Seite 14

BegrüßungGünterWoltering Seite 15

EinführungDr.KarlKoch Seite 18

Vortrag:AdrianOttnad Seite 21

Vortrag:Prof.Dr.NorbertWohlfahrt Seite 31

EsbildetsicheineneueStruktursozialstaatlichenHandelnsheraus.DurchdieEinführungvonWettbewerbselementenunterliegendiebisherigenPrin-zipien des Sozialstaats gravierenden Veränderungen und es haben sich somitfundamentalneueStrukturen imDienstleistungssektoretabliert.DiesbleibtnichtohneAuswirkungenaufdieWohlfahrtsverbändealsgrößtesozialeDienstleister.

WiesollensichdieWohlfahrtsverbändeangesichtsdieserVeränderungsprozesseverhalten?WelcheAuswirkungenaufdassozialeSelbstverständnishabendieseHerausforderungen, sich marktgerecht und wettbewerbsorientiert verhalten zumüssen?DieseEntwicklungsprozessewarenfürdieLigaderFreienWohlfahrts-pflege inHessenderAnlass,einenstrategischenBeitragzumSelbstverständnisundzursozialpolitischenPositionierungzuerarbeiten.NachintensivenAnalysenundDiskussionenentwickeltesichdeutlichdiePosition,dasssichdieWohlfahrts-verbändenichtaufdieRolleeinessozialenDienstleistersreduzierenlassen,son-dernsichauchweiterhinalssozialerAnwaltverstehen,derSolidaritätstiftet.

ErarbeitetwurdedervorliegendeBeitragfürdieLigaderFreienWohlfahrtspflegeinHessenvonderenArbeitskreis1:GrundsatzundSozialpolitik.BeieinemExper-tengesprächmitA.Ottnad,InstitutfürWirtschaftundGesellschaftBonne.V.undProf.Dr.N.Wohlfahrt,EvangelischeFachhochschuleBochum,hatdieLigadiesePositioneinerkritischenBewertungunterzogen.EineDokumentationdieserExper-tenanhörungfindenSieimAnschlussandenBeitrag.

DieVeröffentlichung„ZumWandelderWohlfahrtsverbände“zeigtdiestrategischenOptionen,mitdenendieLigaaufdieVeränderungsprozessenichtnurreagieren,sonderndieseauchgestaltenwill.DieWohlfahrtsverbändesindinderSozialwirt-schaftangekommen.Siewissenaberauch,dassdieserProzessnochlängstnichtabgeschlossenist.DieLigaderFreienWohlfahrtspflegeHessenzeigtmitdieser– Ihnenhiermitvorliegenden–Positionierung,woransiesich inderzukünftigenEntwicklungorientierenwillundlädtalleAkteurezurDiskussionhierüberein.

GünterWoltering

VorsitzenderderLigaderFreienWohlfahrtspflegeinHessene.V.

Vorwort

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2.1. Wohlfahrtsverbände und sozialstaatlicher WandelDieBundesrepublikDeutschlandisteindemokratischerundsozialerRechtsstaat.DasinArt.20GrundgesetzgeregelteSozialstaatsprinzipistunmittelbargeltendesRecht,esbedarfaberderKonkretisierung.EslässtdabeieinenpolitischenGestal-tungsspielraumzu;sohatsichinderGeschichtederBundesrepublikDeutschlandderSozialstaat,bedingtdurchdiesoziale,wirtschaftlicheundpolitischeEntwicklung,ständigverändert.

DieWohlfahrtsverbändesindTeildessozialstaatlichenSystems.Alssolchehabensie inderVergangenheitdiesesSystemaktivmitentwickelt,amkontinuierlichenVeränderungsprozess mitgewirkt und sich ihrerseits stattgefundenen Veränder-ungenangepasst.Sieagierensomit ineinemKontext,derdurchdiestaatlichenRahmenbedingungen, den verbandlichen Wertehintergrund, die Lebenslage derHilfedürftigenundderenVerhaltenunddurchdieprofessionellenStandardsundDebattenbestimmtwird.DieDynamikdiesesKontextesbeeinflusstauch immerwiederdasSelbstverständnis,dieStrukturenunddieInstrumentederWohlfahrts-verbändeunddersozialenArbeit.

DieWohlfahrtsverbändehabeneine30jährigeWachstumsphasehinter sich,diedurcheineengeVerflechtungzwischenStaatundVerbändenundeinefortschrei-tendeProfessionalisierunggekennzeichnetwar.IndiesemSystemhabendieVer-bändesozialeProblememitdefiniertundpolitischeEntscheidungenmitbeeinflusst.DiesführtezuhoherstaatlicherAbhängigkeitundzueinementsprechendenEin-fluss.Diesersogenannte„Korporatismus“warfürdieEntwicklungdesdeutschenSozialstaateslangeZeitprägend.

SeitAnfangder90erJahrewirdeinModernisierungsprozesspolitischvorangetrie-ben,derdasVerständnisvonSozialstaatlichkeitunddievorhandenenStrukturenund Instrumenteverändert.DieserVeränderungsprozess führtdazu,dassheutesowohl

• die bisherigen korporatistischen Strukturen und Verfahren •als auch neue wettbewerbliche und • neue vertraglich basierte Verflechtungen(Kommunalisierung) vorzufinden sind.

DieseStrukturenundVerfahrenexistierennebeneinanderunddurchdringensich.DieendgültigeGewichtungdieserdreiEntwicklungenistnochnichteindeutigsicht-bar.

2. Zum Wandel der Wohlfahrtsverbände

EinBeitragzursozialpolitischenDiskussion

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DieVeränderungen,diebundespolitischimGangesind,lassensichdurchdreisichergänzendeTrendsbeschreiben:

• DieEuropäischeUnionhatmitderLissabonnerErklärungvomMärz2000 die Modernisierung der Sozialsysteme zum europäischen Projekt erklärt, um hierdurch die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken. Sozialpolitik sollsogestaltetwerden,dasssiesichdemZielderWirtschafts-undWachs- tumsförderunganpasstoderauchunterordnet.Entsprechendhatsichdas Verständnis vom „aktivierenden“ und „investiven“ Sozialstaat politisch durchgesetzt.DieHilfebedürftigensollenaktiviert(„FordernundFördern“) undessollinsieinvestiertwerden,damitsichihreindividuellenMarktchan- cen erhöhen. Auch steht nicht mehr die konditionale soziale Arbeit zur Abdeckung von Leistungsansprüchen im Vordergrund (wenn Rechtsan- spruch,dannaufsozialeHilfen),sonderndieArbeitistnunvorwiegendfinal orientiert(wirkungsorientierteSteuerungüberZiele). MitdieserneuenAusrichtung istaucheineneueSichtdesSozialstaates verbunden. Sollte bisher der Sozialstaat das „Versagen des Marktes“ kompensieren,dieAbhängigkeitvomMarktreduzieren,sozialeRechteund den sozialen Status sichern, so wird nun der Sozialstaat selber für die wirtschaftlichenundsozialenProblemeverantwortlichgemacht.Soseidie Höhe der sozialstaatlichen Leistungen mitverantwortlich für die Arbeits- losigkeit („hohe Lohnnebenkosten“ beeinträchtigten die Wettbewerbs- fähigkeit; „hohe Sozialleistungen“ würden zur „Armutsfalle“). Moderne SozialpolitikhabesichderWirtschaftspolitikunterzuordnenunddazubeizu- tragen,dieLohnnebenkostenzusenken,dieSozialleistungenzukürzen, niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten durchzusetzen sowie die Beschäftigungsverhältnissezuflexibilisieren.

• Ein weiterer Trend ist das „Organisieren von Wettbewerb“. Durch einen organisiertenWettbewerbderLeistungserbringersolldieEffizienzgesteigert werden. Gleichzeitig sollen neue Instrumente (z.B. persönliches Budget) die Wahlmöglichkeiten der Hilfebedürftigen erhöhen und ihnen einen „Kundenstatus“verleihen. DerStaatsiehtsichindiesemWettbewerbsmodellnichtmehralssubsidiärer Leistungserbringer – die vorhandenen öffentlichen Einrichtungen werden privatisiertoderzueigenständigenUnternehmenumgewandelt–sondern alsGewährleisterfürdieErbringungderLeistung.DurchdieTrennungvon Gewährleistungs- und Durchführungsverantwortung verringert der Staat seineLeistungstiefeundnimmtalsAuftraggeberentscheidendenEinfluss aufdieLeistungserbringung.

• DerUmbaudesSozialstaatesführtzueinerneuenVerantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement von

BürgerinnenundBürgernwirdalsFaktorzurWohlfahrtsproduktiongefördert. Der aktivierende Sozialstaat fördert nicht nur die Eigeninitiative und die Eigenverantwortung,sondernauchdasEngagementderBürgerinnenund Bürger.ErermutigtzurSolidaritätundstärktdieBürgerinnenundBürger,im RahmenihrerMöglichkeitenfürsichundandereVerantwortungwahrzuneh- men.DieWohlfahrtsverbändewerdenaufdieGrenzeachtenmüssen,wo bürgerschaftlichesEngagementElementeinerdemokratischenVerantwor- tungsübernahme istundwobislangprofessionellerbrachtesozialeArbeit unter dem Vorwand der Stärkung der Bürgergesellschaft doch nur aus Kostengründengleichsam„privatisiert“wird.

NachdemModelldesGewährleistungsstaatessteuertderStaatalsAuftraggeberundKostenträgerüberZieleunddasKontraktmanagementdieAuftragnehmer.DerAuftraggeberistdabeiderjenige,derdieProblemedefiniert,dieMaßnahmenfest-legtund fürdieangezieltenWirkungenfinanziert.DasVerhältniszwischendemAuftraggeberunddemAuftragnehmerentsprichtdabeinichteinemMarktmodell(daderAuftraggeberMonopolistist),sonderneinemVersorgungsmodell(derStaatgarantiertdieVersorgung).Nichtauszuschließenist,dasseinerigideVergabepra-xisdazuführt,dasszukünftignurnochüberKostenverhandeltwirdundletztlichderkostengünstigsteAnbieterdenZuschlagerhält.

DerEinbauvonWettbewerbselementenimsozialrechtlichenDreieckbeidenLeis-tungserbringern und den Leistungsempfängern führt dazu, dass sich die Wohl-fahrtsverbände notwendigerweise zunehmend als sozialwirtschaftliche Akteurebegreifen,diesichdurchdieEinführungbetriebswirtschaftlicherInstrumentemo-dernisieren.DieUnterscheidungzwischenwettbewerbsfähigenundnicht-wettbe-werbsfähigen Leistungen der Verbände ist daher unausweichlich und führt zuunterschiedlichenStrategien(z.B.Ausgründungen,größereTrägerverbünde).

DiebeschriebenenTrendshabendenbisherigenKorporatismusinverschiedenenBereichenzurückgedrängt,ihnabernichtbeseitigt.Versuche,denKorporatismuszunegieren(z.B.beider„OperationSichereZukunft“oderinderAnfangsphasederKommunalisierung),habensichinHessenalspolitischnichterfolgreicherwiesen.

Die Wohlfahrtsverbände sind inzwischen in der Sozialwirtschaft angekommen.DennochistdieserProzessnochnichtabgeschlossen,dadieÜbernahmebetriebs-wirtschaftlicher Instrumente in Teilen erfolgt (Controlling, Qualitätsmanagement,Doppik),andereInstrumenteabernochweniggenutztwerden(z.B.strategischeSteuerung,Risikomanagement,Personalentwicklung,Marketing).

AuchhatsichdasbetriebswirtschaftlicheDenkennochnichtinallenEinrichtungendurchgesetzt.DiesistabereineVoraussetzungdafür,dassdieWohlfahrtsverbän-deimWettbewerbbestehenkönnen.

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2.2. Die Funktionen der Wohlfahrtsverbände: Dienstleister, Anwalt, Solidaritätsstifter

Die oben beschriebenen Trends sind eindeutig. Sie führen zu einer deutlichenBetonungderDienstleistungsfunktionderVerbände.Darin liegtdieGefahreinersozialpolitischen Entwertung der Verbände. Indem die sozialunternehmerischeLogikdominiertunddieVerbändedieFunktionszuschreibungals instrumentellerLeistungserbringerakzeptieren,gerätdieFunktionalsAnwaltundSolidaritätsstifterunterDruck.DieWohlfahrtsverbändekönnensichjedochnichtaufdieDienstleis-tungsfunktionreduzierenlassen,dasiedannihrProfilverlierenundaustauschbarsind.AlsgemeinnützigeUnternehmenmüssensieeineklareAlternativezudengewinnorientiertenUnternehmenseinund ihreFunktionalsAnwaltundSolidari-tätsstifterebensodeutlichbetonen.

DieseEntwicklungverändertauchdieSubsidiarität.DieneueSubsidiaritätmeintzumeinendenRückzugdesStaates,denAbbauvonRegelungenundLeistungenundmehrEigenverantwortungderBürgerundzumanderendieIndienstnahmederWohlfahrtsverbändedurchdieKostenträgeralsaustauschbareundunselbständigeLeistungserbringer.DieTrägerpluralitätspiegeltdieHerkünfteausverschiedenenweltanschaulichenundpolitischenMilieus.AufderFoliederSubsidiaritätwirddiesewertgebundene Pluralität in einen Wettbewerb um den Preis der Dienstleistungumgeformt.

GewährtediealteSubsidiaritätdenVerbändenweitgehendeFreiheiteinschließlichstaatlichenZuwendungen,sobedeutetdieneueSubsidiaritäteineUnterordnungindasneueSteuerungsmodelldesKontraktmanagements.IndersozialpolitischenRealitätexistierenaberbeideFormenvonSubsidiaritätnebeneinander:dortwosichderGewährleistungsstaatundderorganisierteWettbewerbdurchsetzt,breitetsichauchdieneueSubsidiaritätaus.

DersozialwirtschaftlicheTransformationsprozessderTrägerundEinrichtungenderWohlfahrtsverbändeistbereitsweitvorangeschritten.ErbetrifftsowohldieTrägerundEinrichtungenalsauchdieBeschäftigten.DieEntwicklungderArbeits-undBeschäftigungsbedingungenimSozialsektorlässtsichalseinedoppelteDeregu-lierungverstehen,beideraufderBasisderschleichendenEntwertungdesSubsi-diaritätsprinzipsdiestaatlicheDeregulierungdurcheineträger-undeinrichtungs-spezifischeDeregulierungderLeistungsanbieterergänztwird.DiesführtzueinerAbwärtsspiralefürdieKlientenundBeschäftigten.SozialwirtschaftlicheUnterneh-menfordernindiesemSinneeineweitereFlexibilisierungderBeschäftigungsver-hältnisseunddieMöglichkeitzuorganisationsspezifischen„Lösungen“.Dabeige-rätdiesozialeArbeitnichtnurunterdenDruckzunehmendabgesenkterEntgelte,sondernauchihrfachlichesProfilunddieProfessionalisierungdersozialenArbeitwirdinFragegestellt.

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Im Konzept des Gewährleistungsstaates sind dieTräger und Einrichtungen So-zialunternehmen, die als Dienstleister in Anspruch genommen werden. DiesesKonzeptläuftaberaufeinesozialpolitischeEntwertungderVerbändehinaus.DieVerbändestehendahervorderHerausforderung,sichentwederfürdieAlternati-ve„Sozialunternehmen“(Wettbewerbsstrategie)oder„Gemeinwohlunternehmen“(Sozialwohlstrategie)zuentscheiden,oderdieMultifunktionalitätzuerhaltenundineinemVerbandzuintegrieren.

DieVerbändestehenvorderAufgabe,nichtnurdieModernisierungderDienstleis-tungsfunktion durch betriebswirtschaftliche Instrumente zu leisten, sondern sichauch im Hinblick auf ihre anwaltschaftliche und solidaritätsstiftende Funktion zumodernisieren.

DadieInteressenlagenvonTrägernundEinrichtungenundvonKlientenundBe-nachteiligtennicht immerdeckungsgleichsind,mussgeklärtwerden,obundwoeineorganisatorischeundinhaltlicheTrennungmöglichundnotwendigist.

ImKorporatismus–derweiterhinbestehtunddurchdieKommunalisierunginHes-sen nochmals eine neue Qualität erhält – haben die Verbände als Partner desStaateseinePraxisderAnwaltschaftlichkeitentwickelt,dieengmitderDienstleis-tungsfunktionverknüpftwar.IndemsiesichalsDienstleisterderNotderKlientenannahmen, ergab sichhierausundausderMitwirkung in den korporatistischenStrukturendieAnwaltschaft imSinnederVertretungeinersozialpolitischenPro-blemlösung.IndiesemModellvonAnwaltschaftlichkeitagiertendieVerbändefürdieKlienten.ImModelldesGewährleistungsstaatesgreifendiesekorporatischenStrukturennichtmehrbzw.werdenzurückgedrängt,sodasssichdieWohlfahrts-verbändeaufihreDienstleistungsfunktionreduziertsehenundsiesichneueWegefürdieVerwirklichungderAnwaltschaftlichkeiterarbeitenmüssen.

DieseneueAnwaltschaftlichkeitbedeutet:

• diestellvertretendeAnwaltschaftlichkeitdesfürdieKlientenHandelndenzu erweiterndurcheinHandelnmitdenKlienten,umderenInteressenzuver- treten.Anwaltschaftheißtdann,dieKlientenzuunterstützenundzubefähigen, ihreInteressenzuartikulierenundpolitischdurchzusetzen(PrinzipderHilfe zurpolitischenSelbsthilfe). • dasssienichtmehrnurinkorporatistischenStrukturenstattfindet,sondern auchaußerhalbdieserStrukturen.DieserfordertdieEntwicklungneuerIn- strumentederpolitischenEinflussnahme.DieInstrumentekönnenentwickelt werden,wenndieWohlfahrtsverbändesichnichtnur–wiebisher–als korporatischer Partner des Staates sehen, sondern auch als zivilgesell- schaftlicherAkteur.DasheißtdannauchüberBündnispolitik,Kampagnen u.ä.neueWegedersozialpolitischenInteressenvertretungzufinden.

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2.3. Die strategischen Optionen der Liga

Dersoziale,ökonomischeundpolitischeKontext,indemdieLigaderFreienWohl-fahrtspflegeinHessenagiert,hatsichverändertundwirdsichweiterverändern.AngesichtsderbeschriebenenTrendsmusssichdieLiganeustrukturierenundpositionieren.

2.3.1. Dienstleistungsfunktion

VieleEinrichtungenundDienstederinderLigazusammengeschlossenenVerbändesindheuteSozialunternehmen,diesichineinemvomKostenträgerorganisiertenWettbewerbbefinden.DerdadurchentstandeneKostendruckführtzueinerNeu-strukturierungderGeschäftsfeldermitalldenbekanntenFolgenfürdieLeistungs-erbringungunddieBeschäftigten.

AufgabederLigaistes,denRahmenfüreinenfairenWettbewerbmitzugestalten.Diessetztabervoraus,dassdieVerbände trotzderbestehendenWettbewerbs-situation ihre inhaltlichen und wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten definieren undvertreten.

DieKooperationsollz.B.folgendeFragenklären: • WiekannmanfaireWettbewerbsbedingungenherstellen? • Wie müsste ein fairer Wettbewerb zwischen den privaten und den frei- gemeinnützigenAnbieternaussehen? • Was gehört zu einem fairen Wettbewerb zwischen den Verbänden und Einrichtungen, wie z.B. zwischen den „tariftreuen“ Verbänden und den „Tarifflüchtern“?

DesWeiterensolldieKooperationinderFragegesuchtwerden,wiedieVerbändedurcheinestrategischeAllianz ihreMarktmachtnutzenkönnen.Esmüssenge-meinsam akzeptierte Mindestbedingungen der Verbände für die VerhandlungenmitdenKostenträgernformuliertwerden.AufgabederLigaistes,solcheinestra-tegischeAllianzzubilden.

AufgabederLigaistesauch,diePolitikderKostenträgeröffentlichzubewerten(z.B.einerigidePreispolitikderKostenträger).

2.3.2. Anwaltsfunktion

DieMitgliedsverbändeverstehensichalsAnwältederhilfebedürftigenMenschen.BisherwurdendieInteressenvorallemfachpolitischindenkorporatistischenStruk-turenvertreten.EntsprechendorganisiertesichdieLigainfachpolitischenArbeits-kreisen.

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Sozialunternehmen können jedoch schlecht die Interessen ihrer „Kunden“ ver-treten. Um die Interessen der Hilfebedürftigen zu vertreten, braucht die LiganeueInstrumente.EinwesentlichesInstrumentsolltederAufbaueinesSozialmo-nitoringsindenjeweiligenFachbereichenwerden.ZudenAufgabenderLigasollteesauchgehören,mitempirischfundiertemMaterialaufdieSituationderHilfebe-dürftigenunddieAuswirkungenpolitischerMaßnahmenhinzuweisen.

Zur Weiterentwicklung der Anwaltsfunktion gehört auch die offensive NutzungderdurchdieKommunalisierungangezieltenSozialplanungundSozialberichter-stattung.MitderKommunalisierungisteineneueFormderZusammenarbeitge-schaffen worden, die der Liga Mitwirkungsmöglichkeiten auf der Landes- undderkommunalenEbenegibt.DieSozialplanungistmitderSozialberichterstattungdaszentraleInstrument,umdieLebenslagederMenschenabzubildenunddenBe-darffestzustellen.

AnwaltschaftlichkeitkannsichnichtnurinderMitarbeitinStrukturenerschöpfen.HierzugehörtauchdieöffentlichkeitswirksameVertretungderInteressenderBe-nachteiligten.

2.3.3. Funktion als Solidaritätsstifter

Die veränderte Rolle der Wohlfahrtsverbände erfordert, dass diese neben derDienstleister-undAnwaltsfunktionauchdieFunktionalsSolidaritätsstifterausfüllt.Dasbedeutet, innovativeBeiträge inderSozialpolitikzuentwickeln,vorzuschla-genundggf.selbstumsetzen.Dieskannauchbedeuten,BündnissemitanderenOrganisationeneinzugehen,dieandemgemeinsamenZieleinerdemokratischen,solidarischenundnachhaltigenGesellschaftarbeiten.

IndiesemSinnemüssendieWohlfahrtsverbändeunddieLigakampagnenfähigwerdenundmitAnderenaneinerPolitikarbeiten,diedemMenschenzugewandtist.

DieWohlfahrtsverbändebefindensichaneinemScheidepunkt.WerdensiesichlediglichalsAkteureaufeinemdurchWettbewerborganisiertenDienstleistungs-sektor verstehenoderwerdensie sichauchweiterhinaktiv alsMitgestalter desdemokratischenundsozialenRechtsstaatesbeteiligen.

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AK1:GrundsatzundSozialpolitik

AutorendesBeitrages: Karl-HeinzFausel,AWOHessen-Süd, PeterFeldmann,DeutscherParitätischerWohlfahrtsverband, LandesverbandHessen Prof.Dr.FranzSegbers,DiakonischesWerkinHessenundNassau, Dr.KarlKoch,DiözesancaritasverbandLimburg.

„Wandel der Wohlfahrtsverbände“

10:00 Uhr Begrüßung: GünterWoltering VorsitzenderderLigaderFreien WohlfahrtspflegeinHessene.V. 10:10 Uhr – 10:20 Uhr Einführung: Dr.KarlKoch ReferentfürGrundsatzfragen CaritasverbandesfürdieDiözeseLimburg

10:20 Uhr – 10:50 Uhr Vortrag: Prof.Dr.NorbertWohlfahrt Ev.FachhochschuleRWLBochum

10:50 Uhr – 11:20 Uhr Vortrag: Diplom-VolkswirtAdrianOttnad InstitutfürWirtschaftundGesellschaftBonn

11:20 Uhr – 11:30 Uhr Pause

11:30 Uhr – 12:30 Uhr Diskussion Moderation:GerhardSündermann DirektordesCaritasverbandesfürdie DiözeseFulda

12:30 Uhr Resümee: Prof.Dr.FranzSegbers ReferentfürEthikundSozialpolitik DiakonischesWerkinHessenundNassau

Abschluss GünterWoltering VorsitzenderderLigaderFreien WohlfahrtspflegeinHessene.V.

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Programm

ExpertengesprächüberdasneueLiga-Grundsatzpapier

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Sehr geehrte Damen und Herren,ichmöchteSiesehrherzlichzum„Expertengespräch“überunserGrundsatzpapier„WandelderWohlfahrtsverbände“begrüßen.

Insbesonderemöchte ichmichbei unserenReferenten,HerrnProf.Dr.NorbertWohlfahrt vonderEvangelischenFachhochschule inBochumundHerrnAdrianOttnadvomInstitutfürWirtschaftundGesellschaft(IWG),BonnfürihreBereitschaftzurTeilnahmeunddiefreundschaftliche–aberauchkritischeWürdigungunseresPositionspapiersbedanken.

Verehrte Gäste,dasbisherigeLiga-GrundsatzpapierstammtausdenJahren1996/97.

WährenddasPapierdamalseinewichtigeRolleinderNeuformierungderLigainderEndphasederschwarz-gelbenKoalitiongespielthat,brauchenwirfürdieheutigenZeiteneineneuePlattform.

EsbedarfneuerAussagen,diedieHerausforderungenderheutigenWeltbesseranalysierenundtreffendzusammenfassen.

Hierzuistesnotwendig,dasswirsowohlausderpolitischen,derjuristischenundderethischenSichtweisedaszusammenfassen,wasunsereVerbändegemeinsamausmacht!

Die verschiedenen Bundesregierungen haben durch die Einführung von immermehrWettbewerbselementen–beginnendbeiderPflegeversicherung–Strukturengeschaffen,diedieRahmenbedingungenfürdieArbeitderWohlfahrtsverbändeundderenMitgliedsorganisationenindenletztenJahrenstarkveränderten.

DieAnbieterwerdenteilweisenichtmehralsMitgestalterderSozialpolitik,sondernalsDienstleistungserbringergesehen.IhreAufgabeseies,ihreStruktureneffizientundtransparentzugestaltenundalsmehroderwenigerunselbstständigeundaus-tauschbareLeistungsträgersozialeDienstleistungenzuerbringen.

InderKonsequenzhabenesdieVerbändeimmermehrmitden„Kostenüberwa-chern“aufstaatlicherSeitezutunundimmerwenigermitdenGestalterninFrakti-onenundderPolitik–denSozialpolitikern.

Begrüßung Günter Woltering

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DasbisherigepartnerschaftlichegemeinsameWirkenzwischendenstaatlichenAkteurenunddenfreienVerbändenwirdmehrundmehrzueinemVerhältnisvonAuftraggebernundAuftragnehmernumgeformt.

DiePolitikwilldieVerbändeeinzig in ihrerFunktionalssozialeDienstleister inAnspruch nehmen. Durch diesen schon seit langem vorliegenden Trend wirdausdemVerständnisderSubsidiaritätein„Unterordnungsverhältnis“.

DasbisherigePrinzipderSubsidiarität,welchesdieEntwicklungendersozialenInfrastruktur nicht nur aus der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern definierte, sondern auch dem Prinzip einer bedarfs-orientiertenPlanungsozialer Infrastrukturverpflichtetwar,weichteinemprimärbetriebswirtschaftlichenDenken.

Umgekehrt verstehen sich aber auch weite Bereiche der frei gemeinnützigenVerbände und Leistungserbringer zunehmend als sozialwirtschaftlicheAkteure.InnerhalbderWohlfahrtsverbändekommteszueinerUmstrukturierungundneuenBetrachtung der verschiedenen Einrichtungstypen der Verbände und ihrerMitglieder.

InihrerneuenFunktionszuschreibungalsDienstleistungserbringerwerdenauchdie Verbände selbst „modernisiert“ und orientieren sich immer stärker auf sogenannte „marktfähige Einrichtungen“ als Umsatzbringer bzw. wesentlicheBeitragszahler an die Spitzenverbände. Diese „Beitragsbringer“ beansprucheneine entsprechende Aufmerksamkeit in den verbandlichen Strukturen.DieAusrichtungdersozialenArbeitanSolidaritätundGemeinwohlfolgtstärkersozialunternehmerischen Aktivitäten mit einer spezifischen sozialunternehme-rischenLogik.

Esgeht inderSubstanzdarum,obdiesozialunternehmerischeLogiksostarkwird, dass das traditionelle sozialpolitische Selbstverständnis verdrängt wird?Es stellt sich immer mehr die Frage, wie die „halbierte Modernisierung“ durcheineProfessionalisierungderAnwaltsfunktionunddurcheineigenständigesLob-byingfürBenachteiligteergänztwerdenkann?

Der „sozialschlanke Staat“ hat dazu geführt, dass Armut inmitten von wach-sendemReichtumentstandenist.

Es sind aber nicht nur die Leistungen gekürzt worden, sondern auch sozialeEinrichtungen–dieHilfen fürdiebetroffenenMenschen leisten–sindmitder„OperationsichereZukunft“inihrerFunktionstarkbeeinträchtigtworden.

Während auf Bundesebene Leistungen in den Bereichen „Arbeitslosenversi-cherung“ und „Rente“ sowie „Zumutbarkeits-Kriterien“ geschmälert wurden, hatsichHessenindenWettlaufdurcheinenspezifischenBeitragzumhartenAbbaudersozialenHilfesystemeeingereiht.

Nunfragtsich,obdieWohlfahrtsverbändeinihrerStrukturhieralleineinderLagesind,gegendieseTendenzenvorzugehen?

Hierzu gilt es, den Blick nach außen zu richten: Es ist festzustellen, dass sichdurcheinebreiteBewegungfürzivilrechtlichesundfreiwilligesEngagementsehrvieleMenschengefundenhaben,diesichfürSolidarität,ZivilgesellschaftundfürdieBegrenzungstaatlicherMachtundHerrschaftdurchRechtundvorallemdurchPartizipationengagieren.

Diese Zivilgesellschaft ist ein Raum, in dem neben den klassischen Akteurenwie Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Kirchen, zahlreiche Individuenund Bürgergruppen ihr Tätigkeitsfeld gefunden haben. Eine Gesellschaft steu-ertsichalsonichtnurdurchzentraleVorgaben„vonoben“.Auch„unten“gibtesMenschen,die sichalsAnwälte fürBenachteiligte verstehenundsichdamitalsBündnispartnerfürunsalsWohlfahrtsverbändegeradezuanbieten.

Eine professionalisierte Anwaltschaft für das Soziale verbündet sich mit derSelbstorganisation von Betroffenen, damit aus Betroffenen Beteiligte werden!

EsisteinsachgerechterWeg,dassWohlfahrtsverbändeimRahmenengagierterNetzwerke eine aktive Bürgergesellschaft fördern und auf zivilgesellschaftlichesEngagementsetzen.

WirwerdendieKräftestärken,diesichgegendenAbbauvonSozialstaatlichkeitunddie„ÖkonomisierungdesSozialen“zurWehrsetzen.

Gerade die Wohlfahrtsverbände, die in der Liga der Freien Wohlfahrtspflegetraditionell zusammenarbeiten, können sich als Motor im Rahmen einer stra-tegischen Allianz verstehen, die soziale Interessen wirksam vertreten undorganisieren.

VordiesemHintergrundsinddieAufgabenderLigafürdasJahr2007zudefinieren.

VielenDankfürIhreAufmerksamkeit.

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Wirhabenetwa11/2JahreinderLigaundteilweiseauchindenMitgliedsverbändenüberdasvorliegendePositionspapierdiskutiertundwollenesheuteeinerweiterenkritischenBewertungunterziehen.AmEndediesesDiskussionsprozesseswerdenwirdann–hoffentlich–einneuesLiga-Positionspapierhaben,dasdasPapiervon1996ersetzenwird.

Im Diskussionsprozess wurde deutlich, dass wir auch ein anderes Papier hät-tenerarbeitenkönnen,wennwireineanderePerspektivegewählthätten.Wäredas Papier z.B. von den Liga-Sozialrechtlern, die anfangs ebenfalls an derDiskussion beteiligt waren, verfasst worden, dann hätte man die Stellung derWohlfahrtsverbändeimSozialrechtanalysiertunddasSozialrechtalsBezugspunktgewählt.

Auchwäreesmöglichgewesenz.B.einPapierzuschreiben,dasszunächstein-malvondenLebenslagenderHilfebedürftigenausgeht.DieWohlfahrtsverbändewären dann daraufhin zu befragen, ob sie auf diese Lebenslagen angemessenreagieren.SohabenwirjaauchzuBeginndesLiga-Papiersdaraufhingewiesen,dassdieWohlfahrtsverbändeineinemKontextagieren,derdurchdieLebenslagenderHilfebedürftigen,diestaatlichenRahmenbedingungen,denverbandlichenWer-tehintergrundunddurchprofessionelleStandardsundDebattenbestimmtwird.

WirhabenunsindemPapieraberdafürentschiedeneineneindeutigenSchwer-punktaufdiestaatlichenRahmenbedingungenzulegen.Unddiesausfolgendem–wieichdenke–gutenGrund:LeibfriedundZürnweisenz.B.inihremneuenBuch„TransformationdesStaates“zuRechtdaraufhin,dassderEinflussdesStaates„aufdieLebensverläufeseinerEinwohnerschaft…nachwievorumfassenderunddurchschlagender istalsderjederanderensozialenOrganisation“(Leibfried/Zürn,TransformationdesStaates,Suhrkamp2006).D.h.auchdieLebenslagenderHilfebedürftigenwerdendurchstaatlichesHandelnentscheidendbeeinflusst.

DieseAussagevonLeibfriedundZürngilt natürlichauch fürdieWohlfahrtsver-bände.AuchfürdieVerbändeistderstaatlicheEinflussdurchdieRahmensetzungentscheidend.Es ist fürmichdeshalbkeinZufall,dassHerrWoltering inseinerBegrüßunginsbesondereaufdiesenstaatlichenEinflusseinging.

DieservonunsallenspürbareWandelvonStaatlichkeitwirdvondenBremerWis-senschaftlern in ihrem Buch in den verschiedenen zentralen Dimensionen vonStaatlichkeit analysiert: neben dem Recht, der Verfügbarkeit über Ressourcen

Einführung Dr. Karl Koch undderSchaffungvonLegitimitätnennensiealsweiterezentraleDimensionvonStaatlichkeitdieWohlfahrt.Dabeibeschreibensie,dasssichderbisherige„demo-kratischeRechts-und Interventionsstaat“der60erund70erJahrenichteinfachauflöst,sonderndassder„demokratischeRechts-undInterventionsstaat“vielmehrseitden80erJahrenzunehmend„zerfasert“,undwirunsnunineinerandauerndenZeitder„strukturellenUnsicherheit“befinden.

ÄhnlichesstelltenwirauchimLiga-Papierfest.Dortwirddavongesprochen,dass„unterschiedliche Strukturen und Verfahren nebeneinander existieren und sichdurchdringen“.DeshalbseieineendgültigeGewichtungderEntwicklungennochnichteindeutigmöglich.

DennochlässtsichdurchdiepolitischenVorgabeneineeindeutigeVeränderungs-richtung feststellen: bedingt durch die Dominanz kapitalistischer Verwertungs-interessenundneoliberalerDenkansätzesetztdiePolitikaufmehrWettbewerbundmehr Markt. Sozialpolitik soll wirtschaftspolitische Ziele unterstützen und in diesozialenSicherungssystemeundbeiderErbringungsozialerDienstesollenWett-bewerbselementeeingeführtwerden.

DiesisteineVeränderungsrichtung,diedieWohlfahrtsverbändezunehmendindieRichtungvonsozialwirtschaftlichenUnternehmenveränderteundverändert.Des-halbstellenwirimLiga-Papierfest,dassdieWohlfahrtsverbändeeinerseitsbereitsinderSozialwirtschaftangekommensind,dassdieserProzessaberandererseitsnochlängstnichtabgeschlossenist.

WiesollendieWohlfahrtsverbändesichangesichtsdieserVeränderungsprozesseverhalten?DiesistjadiezentraleFrage,diewirunsgestellthaben.ObwirmitdenstrategischenOptionen,diewirfürdieLigaaufzeigen,richtigliegen,diessolljadieheutigeDiskussionklärenhelfen.

DasbisherigeVerhaltenderWohlfahrtsverbändewirdjadurchausunterschiedlichgesehen. Während die Herrschenden in Staat und Gesellschaft mit der Koope-rationsbereitschaft der Verbände durchweg zufrieden sein können, werden dieVerbände z.B. von Arbeitsloseninitiativen – also Betroffenen, für die die Wohl-fahrtsverbändevorgeben,Anwaltseinzuwollen–geradewegendieserKooperati-onsbereitschaftbeiderHartzIV-Reformkritisiert.

UndvielleichtistandieserKritikjaauchetwasdran.JedenfallsmüssenwirunsdieFragestellen,waswirunterAnwaltschaftlichkeitverstehenundwiewirsieausübenwollen.AuchhierzugibteseinigeAussagenimLiga-Papier.

Auch der Sozialethiker Hengsbach kritisiert in einem kürzlich veröffentlichtenArtikeldiebeidenkirchlichenWohlfahrtsverbände.SeineKritiktrifftaberingleicher

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WeiseauchaufdieanderenWohlfahrtsverbändezu.DaseineKritikindasZentrumdesLiga-Papierstrifft,willichwesentlicheAussagenvonHengsbachzurAnregungfürdieDiskussionkurznennen.

HengsbachsiehtindenWohlfahrtsverbänden„KomplizenderpolitischenDeforma-tiondesSozialstaats“.Indemsiedie„wirtschaftsliberalenGlaubensbekenntnisse“widerstandslosübernommenhaben,befindensiesichheute ineiner „mikroöko-nomischenMarktfalle“.DabeikonkurrierendieEinrichtungenderVerbändenichtnurmitEinrichtungenderanderenVerbände,sondernmanchmalauchmitEinrich-tungendeseigenenVerbandes.DieseKostenkonkurrenz,indiesichdieVerbändeaktivmithineinbegebenhaben,führtdannzualldenbekanntenFolgenwieLohn-senkungen,Arbeitszeitverlängerungen,Outsourcingusw.

HengsbachmachtdenVerbändendenVorwurf,dasssieaufgrundihrerPolitikderaktiven Anpassung eine dreifache Solidarität verfehlt haben: die Solidarität mitdeneigenenMitarbeiterinnenundMitarbeitern,dieSolidaritätzwischendenWohl-fahrtsverbänden und die Solidarität mit den zivilgesellschaftlichen Bewegungen.DieHandlungsorientierungfürdieWohlfahrtsverbändesiehterfolglichdarin,dasssiezudieserdreifachenSolidaritätumkehren.

DiesedreifacheSolidaritätwirdauchimLiga-PapierunterdenstrategischenOp-tionenangesprochen.Die kritischeFragebleibt allerdings, obdieLigaverbändewirklichinderLagesind,solcheineSolidaritätzuerreichen.DassdieLigaverbändesolcheineSolidaritätwollen,wirdjaindemLiga-Papierausdrücklichfestgeschrieben.

DamitsinddiegroßenHerausforderungenbenannt,vordenendieLigasteht.WiehaltenwiresmitdemWettbewerbundderBildungvonstrategischenAllianzen?WiewirddieLigakampagnenfähig?Undsoweiter.

BeiderSuchenachAntwortenwerdenunsjaHerrProf.WohlfahrtundHerrOttnadhelfen. Ich bin daher gespannt auf deren Beiträge und auf die anschließendeDiskussion.

IchdankefürdieAufmerksamkeit.

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DasLiga-Diskussionspapier istderüberfälligeSchrittzueinerNeupositionierungderWohlfahrtsverbände.EineNeupositionierungwirftdreiFragenauf:

1. Was will die Freie Wohlfahrtspflege (FW), wofür steht sie, welche Ziele verfolgtsie? 2. WiesiehtderHandlungsrahmenderFWaus? 3. WassinddieMittel,WegeundInstrumente,umdieseZielezuerreichen?

DasPapierkonzentriertsichaufdiePunkte2und3.DasgreiftausmeinerSichtzu kurz; denn bereits auf der Zielebene besteht Klärungsbedarf. Bleibt dieserausgeblendet, haben die praktischen Schlussfolgerungen möglicherweise keinausreichendesFundament.DieAnalysevonHandlungsrahmenundMittelnenthält vielZutreffendesund istbemerkenswertnüchternundunprätentiös.DaswarinderVergangenheit–zumBeispielbeimThemaKorporatismus–nichtimmersoundistausdrücklichzube-grüßen.Ichschickedasvoraus,damitkeinfalscherEindruckentsteht.IchwerdemichimFolgendenvorallemaufdiePunktekonzentrieren,indenenichdieDingeandersoderergänzungsbedürftigsehe.DasbetrifftvorallemdieAnalysedessozi-alstaatlichenVeränderungsprozessesundderdahinterstehendenUrsachen.

Zur Analyse der Veränderungsprozesse des Sozialstaates

DiesozialstaatlichenRahmenbedingungenverändernsichgrundlegend:

• Der Staat zieht sich zunehmend auf Grundsicherungs- und Gewährleis- tungsfunktionenzurück. • IndenverbleibendenLeistungsbereichennutztderStaatzunehmendWett- bewerbundMarktzurAufgabenerfüllungundziehtsichvonderunmittel- barenLeistungserbringungweiterzurück. • KorporatistischeStrukturen rundumdassozialrechtlicheDreieckwerden vonWettbewerbundAustauschbeziehungenabgelöst.

DieswirdimDiskussionspapierzutreffendbeschrieben.Danebenverdienenaller-dingsauchandereAspekteBeachtung,dienichtodernuramRandethematisiertwerden:

• Im marktfähigen Bereich – namentlich im Gesundheitswesen und in der Altenpflege–steigtmitderzunehmendenprivatenVorsorgeauchderprivate Finanzierungsanteil.

Vortrag Adrian Ottnad

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• DersteigendeprivateFinanzierungsanteilunddieverstärkteHinwendung zu Geldleistungen verändern die Rolle der Klienten: An die Stelle des klassischen Leistungsempfängers im sozialrechtlichen Dreieck tritt der Kunde.DiesgiltfüreinzelneLeistungsbereicheinunterschiedlichemMaß, betrifftaberdurchausauchklassischeFälleeingeschränkter„Konsumenten- souveränität“(Beispiel:persönlichesBudgetfürBehinderte). • MarktfähigeLeistungensowienicht (unmittelbar)marktfähigeLeistungen, fürdiesichimWegewettbewerblicheAusschreibungenQuasimärktekons- tituieren lassen, werden vermehrt durch privat-gewerbliche Dienstleister angeboten. Damit verändert sich die Wettbewerbssituation. Die bedingte VorrangstellungderFWverliertweiteranBedeutung,auchwennsieinbe- stimmtenBereichennachwievornochbesteht.

WeitschwererfälltaberinsGewicht,dassdievorliegendeAnalysedieverändertenRahmenbedingungenderFWnurpartiell,nämlichmitBlickaufdassozialstaatlicheUmfeldabbildet.SieblendetdabeiwesentlicheFaktorenaus,diehinterdensozial-staatlichen Veränderungen stehen: den demographischen und wirtschaftlichenWandel,dieGlobalisierungunddiezunehmendeöffentlicheFinanznot.DieVerän-derungenwerdendamitquasials„politischesDiktat“wahrgenommen,alsUnter-werfungderSozialpolitikunterdieWirtschaftspolitik.DieKonsolidierungderöffent-lichenHaushaltewird–zumindest implizit–alswillkürlichundunnötiggesehen.DemStaatwirdgleichsamvorgehalten,erbedrohedieZivilgesellschaft,weilerihrMittelentzieheunddieseeinseitigfürKonsolidierungszeckeverwende.

DasbedarfeinigerKlarstellungenundErgänzungen,dieichindreiPunktenzusam-menfassenmöchte.

1. Die grundlegenden Probleme, die Gesellschaft, Staat und Wirtschaft zu be- wältigen haben, sind keine Erfindung der Politik, sondern das Ergebnis langfristiger Trends wie demographischer Wandel, Globalisierung, Wachs- tumsverlangsamung und anderen Strukturveränderungen – und nicht zuletzt auch Folge früherer Fehler.

DiePolitikstehtmitihrenAnpassungsbemühungenkeineswegsanderSpitzederBewegung.GanzimGegenteil:SiereagiertinallerRegelerstspätundunterDruck.DasVerhaltenderpolitischenAkteurefolgtseitJahrzehnteneinemimmerwiederzubeobachtetenMuster:SolangewiemöglichwerdenzusätzlicheLeistungenaufPump finanziert, danach folgen Abgabenerhöhungen bis die gesamtwirtschaft-lichen Kosten und die politischen Opportunitätskosten in Form von verlorenenWählerstimmenschmerzhaftwerden.KommtesschließlichzuAusgabenkürzun-gen,erfolgendiesezuerstiminvestivenBereichundzuletztimSozialbereich.Voneiner„einnahmeorientiertenAusgabenpolitik“kann–leider–nachwievornichtdieRedesein.

AlsFolgesolchenVerhaltenssindChancenfürrechtzeitigeundsozialverträglicheKorrekturenvonFehlentwicklungennichtgenutztworden.InzwischensinddieGe-staltungsspielräume stark eingeschränkt. Die notwendigen Korrekturen werdendeshalbbreiteBevölkerungsschichtenschmerzlichtreffen.BeispieledafürsinddieAlterssicherung,dasGesundheitswesenunddemnächstwahrscheinlichauchdiePflege.

DiePolitikwirdsichaufJahre,wahrscheinlichzweiJahrzehntehinaus,aufschmalemGratzwischensteigendenAbgabenundsinkendenLeistungenbewegen.DafürsorgtvorallemderUmstand,dasswirunsereDaseinsvorsorgeweitgehenddemStaatübertragenhabenundsie imUmlageverfahrenfinanzieren.DerStaatgibtheute(ohneZinszahlungen)imSchnittrund12.000EurojeEinwohneraus.DabeientfallenaberaufKinderundJugendlicheknapp11.000EuroundaufErwerbsfähigeledig-lich8.000Euro,aufdieüber60-Jährigendagegenrund21.000Euro.DieFolge:DiebloßeAlterungderBevölkerungführtbeiunverändertenLeistungsniveauszurEx-plosionderStaatsausgaben.GleichzeitigmüssendieerforderlichenAbgabenvoneinerabnehmendenErwerbstätigenzahlerbrachtwerden.SchondieFortsetzungderbisherigenPolitik,dievonmanchenalsmassiverSozialabbaukritisiertwird,führtraschandieGrenzenfinanziellerHandlungsfähigkeit.EinigewenigeZahlenmögendiesverdeutlichen:1

• Bis2025würdedieStaatsquote,d.h.dasVerhältnisderStaatsausgaben zumBruttoinlandsproduktvonheuteca.45Prozentbis2025aufbiszu52 Prozentsteigen. • ZurFinanzierungdieserAusgabenmüsstedieAbgabenquoteimgleichen Zeitraumvonknapp40aufbiszu49Prozentsteigen. • DerGesamtbeitrageinesDurchschnittsverdieners zurSozialversicherung würdevon41aufbiszuüber50ProzentdesBruttolohnssteigen,fürKranken- undPflegeversicherungalleinaufüber20Prozent.

EinesolcheEntwicklungistwederpolitischnochökonomischtragfähig.EineAus-weitungderVerschuldungwürdedaranlangfristignichtsändern,sonderndiePro-blemenochverschärfen.KonsolidierungundRückführungdesUmfangsundvorallemdesNiveausstaatlicherLeistungensindnichtzuvermeiden!

2. Die These von der Unterwerfung der Sozialpolitik unter die Wirtschaftspolitik ist irreführend.

Schonimmergalt:Wasausgegebenwird,musserwirtschaftetwerden.Daherunter-liegtauchdieSozialpolitik–wiejederBereichstaatlicherLeistungen–einerBudget-restriktion.DaswurdeinderVergangenheitallerdingsallzuoftverdrängt.

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1Quelle:Ottnad,Adrian,SteigendeAbgaben–sinkendeLeistungen.DiePolitikaufschmalemGratMünchen2006.

InzwischensinddieSpielräumefürmehrSchuldenundhöhereAbgabenausge-reizt und damit treten die Spannungen zwischen unterschiedlichen Wünschennun deutlich hervor. Es müssen Prioritäten gesetzt werden und dadurch ver-schärftsichzwangsläufigderWettbewerbumknappeMittel–undzwarnichtnurzwischen der Sozialpolitik und anderen Politikfeldern, sondern vor allem auchzwischenunterschiedlichensozialpolitischenAufgabenbereichen.DennaufdieseentfallenetwazweiDritteldervomStaateingesetztenMittel.DastrifftgeradedieFW,dieeinehohefinanzielleAbhängigkeitvomStaataufweistundbislangaufsehrvielensozialpolitischenFelderngleichzeitigtätigist.Natürlich haben wirtschafts- und sozialpolitisches Handeln auch jenseits derBudgetrestriktion wechselseitige Folgen füreinander.Auch dies ist keine neueErkenntnis. Allerdings wird den oft vernachlässigten wirtschaftlichen Folgenbestimmter sozialpolitischer Arrangements (z.B. Verteuerung der Arbeit durchlohnabhängigeFinanzierungsozialerSicherung,AnreizwirkungensozialerLeis-tungen für denArbeitsmarkt) angesichts der zuvor angesprochenen ProblemeinzwischenzuRechtvermehrtAufmerksamkeitgeschenkt.DasstelltandieSozi-alpolitikfraglosdeutlichhöhereAnforderungen.VoneinemgenerellenPrimatderWirtschaftspolitikkanndennochgerade inDeutschlandkeineRedesein.WohlabergibtessoetwaswieeinenPrimatderErwerbsarbeit.Erwerbsarbeitgenießtaus verschiedenen Gründen einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Zu-gleichknüpfengroßeTeiledersozialenSicherungfinanzierungs-,aberauchleis-tungsseitiganErwerbsarbeitan.DaherliegtesaufderHand,dassökonomischeAustauschprozesse–geradeauchimBereichsozialerDienstleistungen–immermehrumsichgreifenunddassdieSteigerungderBeschäftigungsquotefürdiePolitikeinezentraleZielgrößebildet.„Employability“alsLeitbildderArbeitsmarkt-politikistdahernichtnurwirtschaftpolitischenÜberlegungengeschuldet,sondernfolgtzutiefstderLogikunsererbislangbetriebenenSozialpolitik.

3. Die Chancen der Zivilgesellschaft dürfen nicht vernachlässigt werden.

ZuRechtwirddaraufverwiesen,dassmitdemstaatlichenRückzugaufGrund-sicherungs-undGewährleistungsfunktionenprivateEigenvorsorgeundzivilge-sellschaftlichesEngagementstärkergefordertsind.DieswirdvorallemalsRisikofürdiefreigemeinnützigeArbeitgesehen.ErstenswirddieSorgegeäußert,derStaatkonsolidieresichaufKostenderFW.ZweitenswirdvoreinerEntprofessi-onalisierungder sozialenArbeitgewarnt.Beides istnachvollziehbarundmussimEinzelfallkritischabgewogenwerden.DochsolltenauchdieChanceneinerRückbesinnungaufdenursprünglichenGehaltvonSubsidiaritätstärkerheraus-gestelltwerden.

KlassischeSubsidiaritätgehtvonderVorstellungaus,dassderStaatdanntätigwerdensoll,wennderMarktversagtundprivatebzw.zivilgesellschaftlichePro-blemlösungennichtausreichen.

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MitdemAusbauderöffentlichenDaseinsvorsorgehatsichSubsidiaritätjedochzunehmend darauf verengt, dass der Staat eine Vielzahl vonAufgaben über-nimmtundfinanziertundderenAusführungWirtschaftundGesellschaftüber-trägt.DashatbeiprivaterEigenvorsorgewiebeizivilgesellschaftlicherSolidari-tätihreSpurenhinterlassen.

Die von der FW seit langem beklagte zunehmende Einengung der eigenenHandlungsspielräumedurchdenStaat istdieKehrseitedesUmstandes,dassfaktischmehrals90ProzentallervonihrverwendetenFinanzmittelüberöffent-licheAbgaben aufgebracht werden. Gelänge es der Wohlfahrtspflege, künftigstärkerzivilgesellschaftlicheGratisressourcen (Geld-undSachspenen,ehren-amtlichesEngagement)zuerschließen,würdeihrdiesauchgrößereautonomeGestaltungsräumeverschaffen.Daswirft–impositivenSinn–Fragenauf,diegeradeausVerbandsperspektivebeantwortetwerdenmüssten:

• wiegroßsind tatsächlichdiePotentialederZivilgesellschaft,Solidarität zuorganisierenundLeistungenfürBedürftigebereitzustellen? • wielassensichvorhandenePotentialebessererschließenundeinbringen? • welcheRollespielenkünftigHaupt-undEhrenamtliche?WirdzumBeispiel ehrenamtlicheTätigkeitalsunprofessionellabgelehnt?

VondenAntwortenaufdieseFragen,dievondenWohlfahrtsverbändenselbstgegebenwerdenmüssen,hängtentscheidendab,welcheRollesiekünftigspie-lenundüberwelchestrategischenOptionensieverfügen.

Analyse der Veränderungen bei den Wohlfahrtsverbänden

DieAnalysederVeränderungenbeiderFW,diebesondersdenseitEndederneunziger Jahre zu beobachtenden „halbierten Modernisierungsprozess“ her-vorhebt,teileichinweitenTeilen.AufderbetrieblichenEbenesinddieAnpas-sungsprozesseheuteschonsehrweitgediehen.Dabeihatsichgezeigt,dassvielefreigemeinnützigeAnbieterimWettbewerbdurchausgutmithalten,ihnteil-weisesogarbestimmen.MancheBefürchtungen–icherinneremichnochandieDiskussionenEndederneunzigerJahre,alsdasIWG-GutachtenfürdieBundes-arbeitsgemeinschaftderFWentstand–habensichinzwischenalsunbegründetherausgestellt.Auchistfestzustellen,dassdurchdenWettbewerbdasStrebennachmehrQualitätundEffizienzinvielenEinrichtungengestärktwurde.

Mit diesenVeränderungenhabendieVerbände, hat dieWohlfahrtspflege ins-gesamt,nichtSchrittgehalten.Angesichts ihrerhistorischgewachsenenhete-rogenenStrukturenistdiesnachvollziehbar.AnpassungenaufderbetrieblichenEbeneundbeieinzelnenTrägernlassensichleichtervollziehen,woZieleundAufgabenmeistklardefiniertunddieStrukturennochvergleichsweisehomogensind.

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VorallemsehensichdieWohlfahrtsverbändeinsgesamtvielstärkermitdeninne-renSpannungenkonfrontiert,dieindemverändertenUmfeldmitneuerSchärfehervortreten.SolcheSpannungenbesteheninsbesondere:

• zwischenmarkt-undnichtmarktfähigenBereichen, • zwischenderDienstleistungs-undderSozialanwaltsfunktionsowohlmit BlickaufsozialpolitischeZiele(z.B.LohnnebenkostenalsKostenfaktorfür diesozialenDienstleisterundalsFinanzierungsgrundlagesozialerLeist- ungen)alsauchaufdieKlienteninteressen, • zwischenkorporatistischerRollealsAgentstaatlicherSozialpolitikundzivil- gesellschaftlicherInstitution(Gemeinwohlagentur), • zwischendenInteressenunterschiedlichergesellschaftlicherGruppen,für diedieFWeintretenmöchte.

AusdiesenSpannungenleitetdasLiga-PapiervorallemfolgendeGefahrenab:

• sozialpolitische Entwertung der Verbände durch Reduktion auf Sozial- unternehmen, • ErosiondeskorporatistischenEinfluss-undGestaltungsmöglichkeiten, • Verlustder(normativen)TrägerpluralitätimKostenwettbewerb, • SozialabbaufürKlientenundBeschäftigte(auchaufgrundeigenerBemü- hungenumWettbewerbsfähigkeit).

DieseDiagnosetrifftinvielemzu,betontaberwiederumvorallemdieRollealsHandlungsgehilfedesSozialstaates.Dieschonangesprochenezivilgesellschaft-licheDimensionkommtauchhierzukurz.SokönntedasZiel,dieTrägerpluralitätenzuwahren,ebenauchalsHerausforderungverstandenwerden,stärkerzivilge-sellschaftlichePotentialeeinzubringen.

AuchbeidenwichtigenVeränderungenimVerhältniszudenKlientenkonzentriertsichdasPapieraufdieSozialstaatsperspektive,genaueraufdieFrage,wiesichindividuelle oder kollektiveAnsprüche an den Sozialstaat am wirkungsvollstendurchsetzenlassen.UnterdenverändertenBedingungenseidiebisherigestell-vertretendesozialeAnwaltsfunktionfürdieKlientenkünftigdurchHandelnmitdenKlientenzuersetzen.DiesetaktischenÜberlegungengreifenallerdingszukurz.Siesetzenvoraus,dasszwischendenWohlfahrtsverbändenundihrenKlientenInter-essengleichheitbesteht.DieseAnnahmeistwenigertrivial,alssieaufdenerstenBlickerscheint.

Wieeingangserwähnt, tretendieKlientenwegenderErosiondessozialrecht-lichenDreiecksauchgegenüberdenfreigemeinnützigenAnbieternverstärktalsNachfragerundKundenundnichtmehralsreineLeistungsempfängerinErschei-nung.DabeisindInteressenkonfliktenichtausgeschlossen.

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Sichtbarer als bisher zeichnet sich hier ein Dilemma ab, das wir auch aus an-deren Bereichen kennen: Wie unabhängig und kundenorientiert können Bera-tungsleistungenundsozialanwaltschaftlicheInteressenvertretungsein,wennmangleichzeitigalsLeistungsanbietertätigist?DieFeststellungimPapier,hierseieninhaltlicheundorganisatorischeKlärungsprozessenotwendig,möchte ichdahermitNachdruckunterstreichen.DieserPunktverdientauchdeshalbbesondereAuf-merksamkeit,weileinerseitsvieletraditionelleDienstleistungenderFWinzwischenauchvonanderenprivatenAnbieternerbrachtwerdenundandererseitsderBedarfanBeratungund„anwaltlicher“Unterstützungstarkwächst.

DarüberhinaussindauchdieInteressenderKlientenderFWkeineswegshomogen.Wiestehtesz.B.umdenAusgleichzwischenheuteAlten-undPflegebedürftigenunddenJungen,diefürdieentsprechendenSozialleistungenaufkommen,selbstaberimAlternichtmehrmitentsprechendenLeistungenrechnenkönnenunddiewachsendenSchuldenlastentragenmüssen?WiestehtesumdenAusgleichderInteressenzwischenHartzIV-EmpfängernunddurchschnittlichverdienendenAr-beitnehmern,dieheutenachca.27BeitragsjahreneinenRentenanspruchinHöhedersozialenGrundsicherungerreichenundkünftigdafürmöglicherweise35oder40Beitragsjahrebenötigen?DieseBeispiele,diesich fastbeliebigergänzen lie-ßen,verdeutlichen:VerteilungsproblemeundsozialpolitischeHerausforderungensindheutesehrvielschichtig.PartikularinteressenengumrissenerGruppenlassensich relativ leicht formulieren.WereingrößeresSpektrumunterschiedlicherBe-langeabdeckenmöchte,kommtdagegennichtumdieFrageherum,wowelchePrioritätenzusetzensind.

SpätestenshierlässtsichdieeingangsthematisierteGrundfragenachdenkünf-tigen Zielen undAufgaben nicht länger ausblenden. Die Verbände und die FWinsgesamtmüssenletztlichdreiKernfragenbeantworten:

• AufwelchenGebietensolldieFWkünftigüberhaupttätigsein? • WelcheLeistungenundFunktionensollsiefürwelcheZielgruppenerbrin- genundwenvertrittsieeigentlich? • LassensichunterschiedlicheZieleundFunktionenüberhaupt–undwennja wie–miteinanderverbinden?

DieDiskussiondarüberistbislangnichtkonsequentgeführtwordenundwirdwieerwähntauch imvorliegendenDiskussionspapierweitgehendausgespart–viel-leichtauch,weildieAnalysedersozialstaatlichenVeränderungendiedahinterlie-gendenUrsachenkaumthematisiert.

DasIWGBONNhatdieseZielfrageninseinemschonerwähntenGutachtenvon2000bewusstandenAnfanggestelltundistzudemErgebnisgelangt,dasssichdieFWkünftigzwischeneinerWettbewerbs-undeinerSozialwohlstrategieentscheidenmuss.

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DieWettbewerbsstrategiebeinhaltetdie(weitgehende)Beibehaltungderbishe-rigenmarkt-undnichtmarktfähigenFunktionen.SieimpliziertalsowohlgemerktnichtdenVerzichtaufdiesozialwohlorientiertenAktivitäten,wohlabereinewett-bewerbsrechtlichundordnungspolitischklareTrennungbeiderBereiche.

DieSozialwohlstrategiestelltdagegeneinenRückzugaufdenNichtmarktbereichdar. InbeidenFällenwäre fortlaufendeineÜberprüfungdesAufgabenkatalogsgeboten.

KeinetragfähigenOptionenwäreneinFesthaltenamStatusquooderdieAufga-bedersozialwohlorientiertenAufgabenzugunsteneinerreinenKommerzialisie-rung(Identitätsverlust).

DieSozialwohlstrategieist,politischgesehen,dieeinfachereStrategie,weilmansichaufden„nichtmarktfähigenBereich“beschränkenkannundmöglicherweisedasProfilhomogenerschärfenkann.FaktischhabensichdieWohlfahrtsverbän-debzw.derenTrägerundEinrichtungenbislang inRichtungWettbewerbsstra-tegiebewegt,ohnediesallerdingsklarzuhinterfragen.DasgeschiehtauchimvorliegendenPapiernicht.VielmehrsuchtesnachWegen,„dieMultifunktionalitätzuerhaltenundineinemVerbandzuintegrieren“.ImVordergrundstehendabeiÜberlegungen,wiesichderWettbewerbbegrenzenlässt.DiesführtmichzudenHandlungsstrategien.

Schlussfolgerungen zu den strategischen Optionen

DadievorangestellteAnalysedensozialstaatlichenVeränderungsprozessimWe-sentlichenalspolitischgesetztesDatumwahrnimmt,fokussierendieimDiskus-sionspapierentwickeltenHandlungsstrategienaufMöglichkeiten,denpolitischenEntscheidungsprozesszubeeinflussen.DaichdieAnalyseindiesemPunktfürzukurzgeratenerachte,binichskeptisch,obdiesdenWohlfahrtverbändenundnamentlichihrenDachorganisationendauerhafteinetragfähigeBasiseröffnet.Esreichtnichtaus,dieInstrumentarienzurBeeinflussungdespolitischenEntschei-dungsprozesseszuverbessern.ZuklärenistvielmehrinnerhalbderVerbände,welcheZieleverfolgtwerdensollen.HiersindinzentralenFragen–icherinnereandieArbeitsmarktreformen–durchausunterschiedlichePositionenerkennbar.

DiegängigeStrategievonInteressenbündnissen,einzelneForderungenzuad-dierenundgemeinsameBudgetmaximierungzubetreiben,wirdunterdenverän-dertenBedingungenabnehmendfunktionieren.Staat,GesellschaftundWirtschaftmüssensichgrundlegendverändertenBedingungenanpassen.Gelingtdiesnicht,entstehenhohesozialeFolgekosten.NehmendieWohlfahrtsverbändeihrenso-zialwohlorientierten Anspruch ernst, müssen sie sich dieser Herausforderungstellen.

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Abgesehen von diesem generellen Vorbehalt sind die im DiskussionspapiererwogenenHandlungsoptionendifferenziertzubewerten.DieBündelungvonIn-teressenunddie(verstärkte)öffentlicheEinflussnahmeaufdenpolitischenEnt-scheidungsprozess sollen den Verlust korporatistischer Einflussmöglichkeitenausgleichen.UnterTransparenzgesichtspunktenistdiesdurchauszubegrüßen.AllerdingstretendieWohlfahrtsverbändedamitsehrvieldeutlicheralsInteressen-verbändeinErscheinungundinKonkurrenzzuanderenorganisiertenInteressen,diesichinderRegelauchaufdasGemeinwohlundsozialeBelangeberufen.

DiepolitischeEinflussnahmesollEntscheidungenimSinnederNachfragerbzw.EmpfängersozialerLeistungen,aberauch imSinnder freigemeinnützigenAn-bieterbeeinflussen.Obesgelingenkann,beidesimmerschlüssigmiteinanderzuvereinbaren,musssichinderPraxiszeigen.Einesorgfältigfundierte,durchwis-senschaftlicheExpertisegestützteBegründungeigenerForderungenundPositi-onenistdafüreinenotwendigeMindestvoraussetzung.ObsichdafürderAufbaueineseigenenSozialmonitoringeignet,solltedagegensorgfältiggeprüftwerden–sowohlmitBlickaufdiedamitverbundeneInanspruchnahmevonRessourcenderFWalsauchunterdemAspektderUnabhängigkeitderExpertise.

DieÜberlegungenzurWettbewerbsregulierunghalteichfürsehrproblematisch.DieoffenerwogenenAbsprachenvonPreisenundKonditionenfürVerhandlungenmitdenFinanzierungsträgern,beidenendieVerbändeeineArtClearing-Funktionübernehmensollen,sindunterwettbewerbspolitischenund-rechtlichenAspektenfragwürdig.Allerdingsisteinzuräumen,dassgeradeimGesundheitsbereichderWettbewerbdurchdenStaatstarkeingeschränktundverzerrtwird.DiejüngstenGesundheitsreformenhabendengesetzlichenKrankenkassenwettbewerbswid-rigeSonderrechteeingeräumt,dieu.a.durchdiejüngsteEuGH-Rechtsprechungin ihrer fehlsteuerndenWirkungnochverschärftwordensind.Es istdaherver-ständlich,dassdieLeistungsanbieterdemetwasentgegensetzenwollen.EineKartellbildungwärejedochderfalscheWeg.VielmehristdiePolitikgefordert,fürmehrKonkurrenzbeidenFinanzierungsträgernzusorgen.AllerdingsgehtdasebennichtbeireinstaatlichenAusschreibungen.DeshalbsolltensichdieWohl-fahrtsverbändesorgfältigdieordnungspolitischeFragestellen,welchesFinanzie-rungsmodellsiekünftigfürGesundheitundPflegebefürworten.

ImÜbrigenbleibteseinzelnenEinrichtungenundVerbänden,solangesiekeinemarktbeherrschendeStellungerreichen,natürlichunbelassen,durchKonzernbil-dungusw.betriebswirtschaftlicheSynergienzunutzenunddieeigeneMarktpo-sitionzustärken.

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FazitZusammenfassendkommeichzufolgenderBewertung:

1.DieGrundfrage,wasdieFWfürwentunwill,mussnochbeantwortetwerden.2.Die bisherige Tendenz, die bestehenden Einrichtungen und Aufgaben bei- zubehaltenundsichdenVeränderungenbestmöglichanzupassenistfürdie VerbändekeinedauerhafttragfähigeStrategie.

3.Die im Diskussionspapier diskutierten Veränderungen bilden gegenüber denbisherigenVorgehensweisenkeinenParadigmenwechsel,sonderneher eineAkzentverschiebung.

4.Insgesamt orientieren sich die Überlegungen weiterhin stark an der bis- herigenRollealsHandlungsgehilfedesSozialstaates.Dasdürftesich lang- fristig als Sackgasse erweisen. Zumindest sollten die Nutzer/Empfänger sozialer Dienstleistungen in ihrer wachsenden Bedeutung als Kunde und Zahler stärker in den Blick genommen und neben den Risiken auch die ChancenZivilgesellschaftberücksichtigtwerden.

5.Die organisatorische Trennung bestimmter Funktionen und vielleicht auch dieAufgabe des einen oder anderen Handlungsfeldes sind wahrscheinlich nichtzuvermeiden.

VielenDank.

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Thesen zur strategischen Entwicklung der Freien Wohlfahrtspflege1.DasSystemsozialerDienstleistungserbringunginderBundesrepublikweistim europäischenund internationalenVergleicheinigeBesonderheitenauf,deren VerständnissubstantielleVoraussetzung fürdieModernisierungbestrebungen derletztenJahreist.VonBedeutungistvorallemdervomBundesverfassungs- gericht geprägte Begriff der „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“, ein zur KlärungdesSubsidiaritätsstreiteszwischenKommunenundkirchlichenWohl- fahrtsverbändenEndeder1960erJahrebemühterBegriff,derklarstellensollte, dass der Sozialgesetzgeber mit dem im BSHG und im JWG formulierten Subsidiaritätsprinzip eine Finanzierungspflicht des öffentlichen Trägers für sozialeDienste in freierTrägerschaft festgeschrieben,gleichzeitigaberauch einen Vorrang freierTräger bei der Erbringung dieser Dienste intendiert hat. DasBundesverfassungsgerichtinterpretiertedasSubsidiaritätsprinzipinseiner damaligenFassungalsbedingtenVorrangfreierTrägerbeiderErstellungund ErbringungsozialerDiensteundals„Funktionssperre“fürdenöffentlichenTräger. DievomBundesverfassungsgerichtintendiertepartnerschaftlicheZusammen- arbeitmarkiert-rückblickendbetrachtet-nichtdenBeginneinerZusammen- arbeit auf Augenhöhe von öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege als viel- mehr den schleichenden Beginn einer zunehmenden „Verstaatlichung von Sozial- und Jugendhilfe“, d.h. einer seitdem beobachtbaren wachsenden Einbindung der freien Träger in einen immer umfassender werdenden öffentlichenPlanungsprozess. „Verstaatlichung“meint,dassent- gegenderAuslegungdesSubsidiaritätsprinzipsdurchdasBundesverfassungs- gericht Betrieb und Förderung von Einrichtungen und Diensten zunehmend vonöffentlichenVorgabenabhängigundderGestaltungsspielraumder freien TrägerdurchbürokratischeRegelungeneingeschränktwurden.Daswohlfahrts- staatlicheOrganisationsprinzip derSubsidiarität ist seitdemdurcheineViel- zahl gesetzlicher (Neu-)Regelungen weiter entwickelt worden, und zwar zugunstendervomBundesverfassungsgerichtdenKommunenzugestandenen Gewährleistungsfunktion, die als Gesamtverantwortung beschrieben wurde und sich von der Planungs- bis zur Letztverantwortung erstreckt. Die vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene öffentliche Gesamtverantwortung erwiessichletztlichalsEinfallstorfürzunehmendeVerstaatlichungstendenzen inderWohlfahrtspflege. DiegesetzlichenRegelungenseitBeginnder1970erJahreverdeutlichen,dass das Subsidiaritätsprinzip schrittweise seiner originären (berufs-)ständischen Ordnungsfunktion zur Absicherung der Eigenständigkeit und der Selbstbe- stimmungsrechte freier Träger und der von ihnen beschäftigten Fachkräfte

Vortrag Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt

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verlustigging,zugunstenderStärkungstaatlicherPlanungs-undSteuerungs- rechte.

2.Fasst man die Entwicklungen in den europäischen Wohlfahrtsstaaten ins Auge,dannlassensichseiteinigenJahrenKontureneinesneuenLeitbildes seiner„Modernisierung“erkennen.InEuropahatsichseitBeginnder1990er Jahre unter sozialdemokratischer Federführung eine „Politik des Dritten Weges“ (Giddens) zur Reform des Wohlfahrtsstaates herausgebildet, der darin besteht, den Wohlfahrtsstaat mittels neoliberaler Marktvorstellungen umzubauen. InStaatundGesellschaftwerdenzwecksEffizienzsteigerung aufdenverschiedenstenEbenenMarkt-undWettbewerbselementeeinge- baut,wasvonmassivenRückbauarbeitendesSozialstaatesbegleitetwird. DieserUm-undRückbaudesSozialstaatesfindetunterderLosungstatt,dass inZeitenderGlobalisierungbzw.Europäisierung,derSozialstaatauchwei- terhinzurSicherungdesgesellschaftlichenZusammenhaltsgebrauchtwird. Aus Wettbewerbsgründen mit anderen Wirtschaftsstandorten dieser Welt müssten aber Leistungstiefe und Finanzierung neu organisiert werden (Dahme/Trube/Otto/Wohlfahrt2003). Unter Globalisierungsbedingungen wird der Sozialstaat damit heute vor- nehmlich hinsichtlich seines Beitrages zur Steigerung nationaler Wettbe- werbsfähigkeit beurteilt: Nur was der Förderung der Weltmarkttauglichkeit dient, erscheint noch (sozial) gerechtfertigt und alle aus Sicht der Welt- marktfähigkeitnichtproduktivenAusgabensindfolglichzureduzieren.Da- mitstehtdieklassischeTransfersozialpolitikinsgesamtunterdemVerdacht „unproduktiver Kosten“, weshalb der Sozialstaat „produktivistisch“ umge- bautwerdemüsse(vgl.zurProgrammatikdiesesUmbausundseinerFolgen für die sozialeArbeit Dahme/Wohlfahrt 2005). Die auf dieserAnalyse ba- sierendeneueSozialpolitikder„Aktivierung“undder„Sozialinvestition“be- fördertzugleichunterdemDiktumeinerverbessertenNutzungder„Human- ressourcen“ die gegenüberstellende Betrachtung von produktiven und unproduktivenTeilenderBevölkerungundführtdazu,dassdieGewährung sozialstaatlicher Leistungen primär unter dem Gesichtspunkt der interna- tionalen Kostenkonkurrenz (Standort- und Lohnvergleich) betrachtet wird. AktivierendeundinvestiveSozialpolitikbemessensichfolglichamKriterium dessen,inwieferndurchsieNutzen-undd.h.KostenvorteileindiesemKon- kurrenzkampf realisiert werden können. Im Zentrum steht immer weniger die über Sozialversicherungspflicht und sozialstaatliche Umverteilung organisierteAbsicherungdesständigen(und inZeitenderMassenarbeits- losigkeitbesondersausgeprägten)Arbeitnehmerrisikos,umzeitweiseoder dauerhaft ohne selbständiges Erwerbseinkommen überleben zu können. VielmehrwirddieFörderungderpersönlichenErwerbsfähigkeit,Produkti- vitätundWettbewerbsfähigkeitinderArbeitsmarktkonkurrenzzumKriterium der Gewährung sozialstaatlicher Unterstützungsleistungen erhoben.

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SozialpolitikzieltsoaufdieunbedingteFörderungderBeschäftigungsfähikeit (employability)undzugleichaufVermeidungvonSozialleistungsbezug,d.h.auf VerringerungdesAufwandesfürSozialpolitik imtraditionellenSinneab(Null- meier2004,S.55f).

Investive Sozialpolitik, das neue sozialstaatliche Leitbild, ist notwendiger- weise selektiv: da Investitionen immer zielführend sein müssen (also nicht nachdemGießkannenprinzipverteiltwerden),musssozialpolitischentscheid- bar gemacht werden, in welche gesellschaftlichen Gruppen investiert wer- den soll und in welche nicht. Wenn sich zukünftig der Status des Bürgers (citizenship) vor allem über dessen „Vollmitgliedschaft in vom Markt dis- ziplinierten ... Produktionsgemeinschaften“ (Streeck 1998, S. 46) definieren soll,verwundertesnicht,wenndieGesellschaft inproduktiveundunproduk- tive Gruppen eingeteilt wird und diese Unterscheidung zur Entscheidungs- grundlage für die selektive Vergabe dieser Investitionen wird: gefördert bzw. investiert wird dann vorrangig in produktive und potenziell produktive Grup- pen, während für aus dem Wirtschaftsleben Ausscheidende nur die Exis- tenzsicherungoderGrundversorgungbleibt.EineDenkfigur,dieandieame- rikanische Armutsdebatte erinnert, in deren Rahmen „würdige von unwürdigenArmen“(Gans1992)unterschiedenwerden. Die neue Sozialpolitik tritt damit an als ein auf Inklusion gerichtetes Projekt, basiert aber vor allem auf einer Vielzahl exkludierender Mechanismen (Strafen, Ausschluss von Leistungen, Verkürzung der Bezugsdauer, Abbau protektiver Mechanismen), was im Folgenden kurz umschrieben werden soll:

• Aufgrund der fiskalischen Orientierung der neuen Sozialpolitik werden viele laufende Projekte und Programme kurzfristig gekürzt oder ganz eingestellt. Senkungen der Sozialausgaben und Haushaltskonsolidie- rung gehen nicht nur zu Lasten der Leistungsempfänger, sondern auch der Leistungserbringer, die sich angesichts der angeblichen Bedeutung der investiven Sozialpolitik fragen, warum ihr Engagement nicht als In- vestition verstanden wird und warum ihre Arbeit im Sozial-, Bildungs- und Erziehungsbereich (also dem eigentlichen Kernbereich investiver Sozialpolitik) nicht mehr benötigt wird und dem Staat auch zunehmend weniger wert ist. Der Abbau sozialer Dienste und Einrichtungen erfolgt auchhier–demSprachduktusderneuenSozialstaatlichkeit folgend– in „emanzipatorischer“Absicht und wird als Kommunalisierung oder Sozial- raumorientierungverkauft.Dabeigehtes–wiedieBeispielederKommun- alisierung von Förderstrukturen in Hessen oder die kommunalen So- zialraumbudgetszeigen–inersterLinieumStrategienderBudgetkontrolle imRahmeneineröffentlichenSparpolitik,diesogarKonfliktemitdemgel- tenden Sozialrecht bewusst in Kauf nimmt (vgl.Tornow 2001; Krölls 2002).

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• Wirtschafts-undsozialpolitischesHandelnistzunehmenddavonbestimmt, dass eine bereits feststehende politischeAgenda durchgesetzt werden muss. Früher übliche Formen des Aushandelns mit gesellschaftlichen Organisationen werden als „Konsenssoße“ verteufelt und die Durchset- zung eines manageriellen Politikstils gefordert, der in Nachahmung unternehmerischer Führungsmethoden sich durch Rücksichtslosigkeit gegenüber zivilgesellschaftlichen Partikularinteressen auszeichnet. Die Basta-Rhetorik eines vormaligen Kanzlers verdeutlicht dies symbolisch. Betrachtet man die gegenwärtige Praxis auf Länder- und kommunaler Ebene, dann lässt sich dieser managerielle Politikstil am Beispiel der immerwiedererneuertenFormenkorporatistischerZusammenarbeitgut verdeutlichen.SowurdenimZugederEinführungdesorganisiertenWett- bewerbs und des Kontraktmanagements durch den Sozialgesetzgeber AufgabenfestgeschriebenundaufdieEbenederBundesländerverlagert, die das Fortbestehen korporativer Strukturen geradezu befördern (vgl. Hofmann 2004). So werden vielfach zwingend Entgeltvereinbarungen, Leistungsbeschreibungen und Qualitätssicherungsmaßnahmen vorge- schrieben, für deren Umsetzung jedoch Rahmenregelungen auszuhan- deln sind und derenAusarbeitung formalen Gremien auf Landesebene unterBeteiligungderLeistungserbringerundKostenträgerobliegt.Dabei liegtdasVertretungsrechtseitensderLeistungserbringerbeiderenVer- bänden (der freien Wohlfahrtspflege wie der privatgewerblichen Anbie- ter). Und unter diesen stellen die Wohlfahrtsverbände nach wie vor die größteundeinflussreichsteGruppe.ZumFortbestanddesKorporatismus trägtauchbei,dassLänderregierungenundWohlfahrtsverbändedieZu- sammenarbeitinkorporatistischenStrukturenimmerwiederneuinitiieren. AlsProblemerweistsichallerdingsdabei,dass–imUnterschiedzuHoch- zeitendesKorporatismus–dieMitwirkung inkorporatistischenGremien denVerbändenkaumnochMöglichkeitenzurProfilierunggegenüberihren Mitgliedern und Beschäftigten bietet. Durch die rigorose Sparpolitik der öffentlichenHandbzw.derKassen(fürdiediegewachsenenStrukturender Personalkosten bei den Trägern und Einrichtungen in ihrer Preispolitik keine Rolle spielen) stehen alle zu treffenden Vereinbarungen unter einemenormenKostendruck,sodassderKorporatismusheuteals Ins- trument der Haushaltskonsolidierung dient und nur so lange aufrecht- erhaltenwird,wiediebeteiligtenSozialpartnerdiestaatlichenVorgaben inihreneigenenReihendurchsetzen.

• Die neuen Verhandlungs- und Kooperationsarenen dienen auch nicht – wasangesichtsdesorganisiertenWettbewerbsnaheliegendwäre–der RegulierungeinheitlicherAusgangs-undWettbewerbsbedingungen(ein- schließlich der Tariffragen). Sie dienen vor allem der Durchsetzung staatlicher Interessen bzw. der Kostensenkungsstrategie der Kassen;

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dieVerbändelassensicheinbindenundhoffendarauf,durchVerhandlungen „Schlimmeres“ verhindern zu können. Die Kostenträger orientieren ihre Preispolitik an der politisch erwarteten Senkung der Lohnnebenkosten und gestalten diese entsprechend rücksichtslos gegenüber den über- kommenen Personalkosten bei den Trägern und Einrichtungen. Das gegenwärtig zentrale Feld für diese Art von interessengesteuerter Ko- operation ist damit die Absenkung des Lohnniveaus der Beschäftigten. Die Verwandlung des sozialen Dienstleistungssektors in einen Niedrig- lohnsektor dient dem Zweck, die Kosten des Sozialstaats zu senken. HierzubedarfesderkooperativenUnterstützungdurchdieVerbändeder FreienWohlfahrtspflegeundihrerSozialunternehmen.

3.Das für das deutsche Sozialstaatsmodell so fundamentale Subsidiaritäts- prinzip mit seiner bedingten Vorrangigkeit freigemeinnütziger Träger verliert auf diese Art und Weise seine sozialpolitische Ordnungsfunktion, die sich vor allem auch darin äußerte, dass die Fortentwicklung der sozialen Infra- struktur nicht nur als partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen öffent- lichen und freigemeinnützigen Trägern vonstatten ging, sondern darüber hinaus dem Prinzip der bedarfsorientierten Planung sozialer Infrastruktur verpflichtet war. Subsidiarität, obwohl weiterhin im Sozialgesetzbuch veran- kert, wird dieser Bedeutung zunehmend entkleidet und in wachsendem Maße zu einer Folie für Privatisierungsprozesse und für die Deregulierung sozialerDienste.SubsidiaritätwirdnurnochalsEigenverantwortunggelesen und indemMaßewiedieSozialpolitikdieEigenverantwortung inderSozial- gesetzgebung verankert, werden auch unterstützende, beratende und be- gleitende soziale Hilfen und Dienste für den zum Fall gewordenen Bürger ausdemLeistungskataloggestrichen(wiez.B.jüngstimSGBIII). FürdiefreigemeinnützigenTrägersozialerDienstezeichnetsicheinerasante Fahrt in eine immer ungewissere Zukunft ab und die Planungsrisiken für Träger wie für Beschäftigte werden insbesondere im Zusammenhang mit vermehrten, europaweiten Ausschreibungsverfahren noch deutlich zuneh- men. Die aktuell laufende Modernisierung des sozialen Dienstleistungssek- tors ist für alle Beteiligten mit hohen Risiken verbunden: Die freien Träger verlieren auf dem Weg in die sich immer dynamischer entwickelnde Sozial- wirtschaft ihre ursprüngliche zivilgesellschaftliche Identität oder tragen das Risiko der Insolvenz; die Kommunen als Gewährleister sozialer Dienste und HilfenvorOrt könntensich– trotzallerSparabsichten–künftigmit höheren Kosten für die Dienstleistungserstellung konfrontiert sehen, wenn die ehe- maligen Sozialpartner vom Markt verschwinden und durch transnationale Sozialkonzerne ersetzt werden; für die Nutzer sozialer Dienste, den Bürger, ist noch völlig offen, wie sich die Qualität der zukünftig sozialwirtschaftlich erstellten sozialen Dienste entwickeln wird. Lediglich für die Bediensteten ist der Weg in die Dienstleistungsgesellschaft mittlerweile einigermaßen klar:

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Der international zu beobachtende Trend von stetig steigenden Anforde- rungenandiesozialeDienstleistungserbringung (bishinzurAkademisierung der sozialen Berufe) und kontinuierlich sinkendem Einkommen der Beschäf- tigten, kennzeichnetauchdendeutschenEntwicklungspfad indieSozialwirt- schaft. Der Effizienzstaat, auf dessen Agenda die Konsolidierungspolitik ganz weit oben angesiedelt ist, bedroht die Zivilgesellschaft, die er lautstark fordert und einklagt, mehrfach. Durch den neuen mangerialistischen Politikstil wird der Bürger (aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen) in den demo- kratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeschränkt bzw. durch den Zwang befristeter wie beschleunigter Entscheidungs- bzw. Zustimmungspro- zeduren auf Konsens verpflichtet (daran ändert auch nichts der Tatbestand, dass viele zivilgesellschaftliche Organisationen die ihnen abverlangten Än- derungen freiwillig nachvollziehen, weil sie auf Grund ihrer Staatsabhän- gigkeit in der „Sozialpartnerschaft“ die einzige Überlebenschance sehen). Die Indienstnahme zivilgesellschaftlicher Organisationen (wie z.B. die der Freien Wohlfahrtspflege im sozialen Dienstleistungssektor) zur Erfüllung staatlicher Konsolidierungsziele zwingt diesen nicht nur eine effizienzorien- tierte Organisationspolitik auf, die die Arbeit der dort Beschäftigten depro- fessionalisiert und prekär werden lässt (vgl. Dahme/Trube/Wohlfahrt 2007); zivilgesellschaftliche Organisationen verlieren durch diese ihnen aufge- zwungene Effizienzpolitik vor allem ihren zivilgesellschaftlichen Charakter, werden ebenfalls ökonomisiert und wandeln sich letztlich (wie das Beispiel der Wohlfahrtsverbände zeigt) zu Sozialbetrieben, werden Teil des (Sozial) Wirtschaftssystems.DiegegenwärtigePolitikzerstörteherdas,wassievorgibt zubefördern:dieZivilgesellschaft.

4.Betrachtet man die sozialwirtschaftliche Bedeutung der Freien Wohlfahrts- pflege (einschließlich der neuen privatgewerblichen Leistungserbringer), dann steht außer Frage: Das System sozialer Dienste hat mittlerweile eine außerordentlich große wirtschaftliche, vor allem aber auch arbeitsmarkt- politische Bedeutung erlangt. Betrachtet man hingegen die Organisations- undArbeitstrukturen, in denen sich die Freie Wohlfahrtspflege bislang über- wiegend bewegt hat, dann erkennt man schnell eine Diskrepanz zwischen gesellschaftlichwirtschaftlicher Bedeutung einerseits und Organisations- formendersozialenDiensteandererseits. Der sozialwirtschaftliche Transformationsprozess stellt sich im Wesent- lichen als exogen verursacht, nicht aber als Resultat interner Klärungspro- zesse dar. Dabei spielt die europäische Wettbewerbsordnung ebenso eine RollewiedernationalstaatlichorganisierteWettbewerb.DievonderMonopol- kommission (1997) geforderte wettbewerbliche Rahmenordnung für die Ge- sundheits- und sonstigen sozialen Dienste ist insofern mittlerweile in fast allenFelderndersozialenDiensteRealität.

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Im Rahmen der bundesrepublikanischen, föderalistischen Struktur und des starkausgebautenkommunalenSelbstverwaltungssystems,kannderGesetz- geberallerdingsnureineInitialfunktionfürTransformationsprozesseimsozialen Dienstleistungsbereich übernehmen. Die Implementierung der wettbe- werblichen Rahmenordnung und der Umbau der institutionalisierten Bezie- hungenzwischenöffentlichenKostenträgernundprivatenLeistungserbringern obliegen imWesentlichenderkommunalenEbene.DieKommunenverfügen übervielErmessensspielraumimUmsetzungsprozess.Vondaherstellensich diefunktionalenUmbauarbeitenimlokalenSozialstaatunddieNeupositionie- rungderlokalensozialpolitischenAkteurealsrelativvielschichtigundunüber- sichtlichdar.Dasheißt,sachlichbetrachtetkönnendieUmbauprozesseganz unterschiedliche Schwerpunkte und Prioritätensetzungen haben und zeitlich betrachtetweisendieUmbauprozesseeineGleichzeitigkeitderUngleichzeitig- keitauf. DieUmprogrammierung„LeistungsvereinbarungenstattSubventionierung“ ist mittlerweileüberallvollzogen,auchwennesmitderLeistungs-bzw.Ergebnis- steuerungundmitVerfahrenderLeistungsmessungund-kontrolleindensozi- alenDienstenörtlichnochsehrunterschiedlichbestellt ist.Es istaberdavon auszugehen,dassessichhierbeieherumeinzeitlichesalseinstrukturelles Phänomenhandelt.

5.Die Wohlfahrtsverbände haben in den vergangenen Jahren einen intensiven Modernisierungsprozessinitiiertundvollzogen,derkeineswegsnursozialwirt- schaftlich motiviert war. Die Verbände haben sich zum Teil, wie die AWO, grundsätzlichneupositioniertundeineEntkoppelungvonVerbandundUnter- nehmenvollzogen.Statutenwurdenneuformuliert,dieAufsichtüberdiesozial- wirtschaftlichenEinrichtungenneujustiertundQualitätsmanagementundMar- kenpolitiketabliert.BlicktmanaufdieDiskussioninnerhalbderVerbände,dann zeigt sichallerdings,dassdieseModernisierungweitgehendals reaktiveAn- passunganverändertesozialpolitischeRahmenbedingungenwahrgenommen wirdunddieGefahreinerstrategischenOrientierungslosigkeitderVerbands- politiksichtbarwird. Dies liegt u.a. daran, dass ausformulierte und diskutierte verbandspolitische StrategienzurBewältigungderneuenHerausforderungenweitgehendfehlen. DieAktivitätensinddaherkeinResultateinerverbandspolitischkommunizierten undvereinheitlichtenModernisierungsstrategiebzw.einerStärken-Schwächen- AnalysedurchdieVerbändeundihreMitgliedsorganisationen,sondernsiere- agieren lediglich auf externe, sozialrechtlich erzwungene Veränderungspro- zesse.WirsprechenvordemHintergrunddiesesBefundesvoneinerhalbierten Modernisierung,diesichlediglichaufdieeingesetztenMittel,nichtaberaufge- meinsamdefinierteZielsetzungenbezieht.DiestrifftfürdieOrganisationspolitik derFreienWohlfahrtspflegeebensozuwiefürdiePersonalpolitik.Auchdieper- sonal-,beschäftigungs-undtarifpolitischenMaßnahmenweisencharakteristische

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konzeptionelleMängelaufunderschöpfensichmeistaufMaßnahmenzurkurz- fristigenEinsparungvonPersonalkosten.Dieserweistsichvorallemdeshalb alsfatal,weilderBereichderpersonenbezogenenDienstleistungeninbeson- derem Maße darauf angewiesen ist, dass „intelligente“, also einvernehmlich entwickelteundgetragenePersonaleinsatz-undVergütungsmodellegefunden werden.

6.BeschäftigtmansichmitderZukunftderFreienWohlfahrtspflege,derenGe- genwartnochzwischenSubsidiaritätundWettbewerbverortetwerdenmuss, dannstelltsichdieOrganisationsfragealsKernderaktuellenHerausforderung allerWohlfahrtsverbände.DieOrganisationsfragewirddarübermitentscheiden, wiesichdieWohlfahrtsverbände inZukunftdarstellenwerden.DieOrganisa- tionsfrage istnichtnurein technischinstrumentellesProblem.DieOrganisati- onsfragewirdentscheidenddafürsein,obdie(bislang)halbierteModernisie- rung überwunden werden kann, um auch die Organisationsziele mit in den Modernisierungsdiskursmiteinzubeziehen.MitderOrganisationsfrageundihrer Beantwortungwird sichentscheiden,wie zukunftsfähigdieFreieWohlfahrts- pflegeist.

EineMöglichkeitderLösungderOrganisationsfragekönntedarinliegen,dass manOrganisationsformenentwickelnmuss,dieaufKontextsteuerungberuhen: KontextsteuerungisteineSteuerungsformfürnetzwerkartigaufgebauteOrga- nisationen,indenendieeinzelnenTeilesichdurchgroßeAutonomieauszeichnen (vgl.Dahme/Wohlfahrt2000).Analytischbetrachtetsteuernfastallezukunfts- trächtigen Organisationsmodelle, über die gegenwärtig in den Verbänden nachgedachtwird,mehroderwenigerindieseRichtung.Kontextsteuerungbe- deutet,kooperativeunddiskursiveStrukturenzuentwickeln,diegewährleisten, dassallenOrganisationseinheiten(denBetrieben,denregionalenundlokalen Trägerstrukturen,demsozialpolitischenLobbying,demadvokatorischenHan- deln)einGroßmaßanEigensteuerungeingeräumtwird;verbindlichsicherge- stellt werden muss allerdings auch, dass bei aller organisatorischen Eigen- ständigkeit der Teile im Netzwerk, die Teile im Rahmen eines strategischen Managementszusammenwirkenundnichtgegeneinanderarbeiten.Diegegen- wärtige Entwicklung in den Verbänden scheinen auf eine solche Organisati- onsform hinauszulaufen, in der Verbandsaufgaben und Betriebsaufgaben, VerbandsinteressenundBetriebsinteressen,eigenständigorganisiertwerden, jedoch durch ein übergreifendes Monitoring und strategisches Management verbundenundzusammengehaltenwerden.

7.BlicktmanaufdieinderwissenschaftlichenLiteraturaktuelldiskutiertenEmp- fehlungenfürdiezukünftigeVerbandsentwicklungderWohlfahrtsverbände,so entfaltetsicheinbunterBlumenstrauß.DieMiegelstudieempfiehlteineDiffe- renzierungzwischeneinerSozialwohl-undeinerWettbewerbsstrategie,wobei

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letzteredieEntkoppelungvonDienstleistungundVerbandspolitikbeinhaltet.Die StudiedesInstitutsderDeutschenWirtschaftbspw.empfiehltnebenmehrWett- bewerbundSubjektförderungeinenGovernance-KodexderFreienWohlfahrts- pflege mit dem Ziel einer Trennung von Verband und Einrichtung, um den Interessenkonflikt zwischen der Interessenvertretung und dem Angebot an Dienstleistungenaufzulösen(vg.Enste2004).AuchdieFusionvonVerbänden wirdempfohlen.Anderesehen inderOrientierungaufbürgerschaftlichesEn- gagementunddieMobilisierungvonSozialkapitaldieZukunftderVerbändein einemSozialstaat,deraufEigenverantwortungsetztunddieseauchdurchsetzt. DieVerbändesollenihrProfilals„advocacygroups“stärkenundsichalsThe- menanwälte profilieren (vgl. Zimmer 2005). Es ist unverkennbar, dass unter demDruckdesSozialmarktsdie innereEinheit derVerbändeaufdemSpiel steht.DennwennimmermehrOrganisationsbereichesichwettbewerbsstrate- gischverhaltenwirddieGefahr,dassdassozialpolitischeoderadvokatorische Motiv–alseinKerndesLeitbildsallerVerbände–ausgeklammertwird (vgl. Eurich2005).EsistdeshalbvonstrategischerBedeutung,dassdiesesAnlie- genindenOrganisationsstrukturenverankertwirdunddortsichtbarbleibt.Denn ansonstenkämeeszuderalszynischzukennzeichnendenEntwicklung,dass dieErfüllungvonInklusionsanforderungenbenachteiligterMenschenabhängig wirdvonderStärkebürgerschaftlichenEngagementsoderderMoralitätphilan- thropischmotivierterAktivitätenbzw.vondenselektivenDienstleistungsange- boteneinessich immerstärkeranzahlungsfähigerNachfrageorientierenden Gesundheits-undSozialmarkts. Praktische inklusionsstrategischeWirkungkanndasMotivdesEintretens für dieHilfebedürftigenabernurerhalten,wennesdieEbenederTrägerundEin- richtungen nicht ausschließt, sondern auch dort operationalisiert und organi- satorischsichtbarverankertwird.Dieszeigtsichnichtnur inderÜbernahme vonDiensten,diederMarktnichtsicherstellenwürde,sonderninderpolitischen Interessenvertretung und organisationspolitisch realisierten Teilhabestrategie alleramLebeninderGemeinschaftunddamitauchderVerhinderungvonAr- mut und Ausgrenzung (so die Stellungnahme des Rates der EKD und des DW). WennmandenobenentwickeltenBegriffderKontextsteuerungaufgreift,dann könnte dies in der Konsequenz bedeuten, dass die verbandliche Ebene des Diakonischen Werks organisationsstrategisch auf die Funktion eines sozial- politischenMonitoringundManagementsorientiertwird,währendalleweiteren Funktionen auf die Träger- und Unternehmensebene übergehen. Sozialpoli- tische Kontextsteuerung wäre dann gleichbedeutend mit einem Wissensma- nagement,dasskonsequentandenausdemWertebezugabgeleitetenEintre- ten für die Hilfebedürftigen orientiert ist und gleichzeitig die von der Freien Wohlfahrtspflege behaupteten ordnungspolitischen Grundsätze der Gemein- nützigkeit, der zivilgesellschaftlichen Verantwortung, der Durchsetzung einer gesellschaftlichverbindlichenTeilhabestrategie,derFörderungdesfreiwilligen

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EngagementsalspermanentekritischeHinterfragungdesOrganisationszwecks operationalisiert. Versteht man in diesem Sinne den Wohlfahrtsverband als einen Interessenverband, der als wesentlicheAufgabe die „Organisation der Selbstorganisation“betreibt,dannstelltsichauchdieFragederWerteorientie- rung neu: diese muss sich im Kontext der sozialpolitischen Praxis und der sozialenArbeitderTrägerundEinrichtungenjeweilsneudefinierenundmateriell realisieren.SozialanwaltschaftkannsichdeshalbüberdiekonkreteDienstleis- tungsarbeitderDiensteundEinrichtungenebensorealisieren(wenndieseihre eigenen Inklusions- und Exklusionsschranken bewusst wahrnehmen) wie in deraufdieHerstellungvonÖffentlichkeitzielendenOrganisationvonPartikula- ritätdurchdieVerbandsebene.Wichtigisthierfür,dasszwischenbeidenEbenen Kommunikationsformen etabliert werden bzw. existieren, die gewährleisten, dassüberdiezumTeildurchauswidersprüchlichenodergegensätzlichen In- teressen der verschiedenen Ebenen einAustausch stattfindet und systema- tischalternativeStrategien insSpiel gebrachtwerdenkönnen.Einevollkom- meneEntkoppelungvonBetriebenundVerbandwürdeletztlichdieVerbände auf die Funktion einer Agentur für freiwilliges Engagement reduzieren und damitgesellschaftspolitischvollendsmarginalisieren.

8.Im Konzept des Gewährleistungsstaates sind die Verbände auf ihre Träger undEinrichtungenreduziert,diealsDienstleisterinAnspruchgenommenwer- den. Dieses Konzept läuft – wie das Liga-Papier völlig zutreffend feststellt – inderKonsequenzaufeinesozialpolitischeEntwertungderVerbändehinaus. ImsubsidiärenKorporatismus–derweiterhinbestehtunddurchdieabsehbare KommunalisierungswellenochmalseineneueQualitäterhaltenwird–haben dieVerbändealsPartnerdesSozialstaatseinePraxisderAnwaltschaftlichkeit entwickelt,diesichausdieserPartnerschaftbegründeteunddeshalbengmit derDienstleistungsfunktionverknüpftwar.IndiesemModellvonSozialanwalt- schaftagiertendieVerbändefürdieKlienten.ImneosozialenSozialstaatgreift diesesModell vonAnwaltschaft zukurz: zumEinengehtesdarum,wiedas Liga-Papierrichtigbeschreibt,diestellvertretendeAnwaltschaftlichkeitdes„für“ dieKlientenHandelndenzuerweiterndurcheinHandeln„mit“denKlienten,um derenInteressenzuvertreten.Anwaltschafthießedann,dieKlientenzuunter- stützenundzubefähigen,ihreInteressenzuartikulierenundpolitischdurchzu- setzen.ZumAnderenfindetdieneueAnwaltschaftlichkeitnichtnur innerhalb, sondern auch außerhalb korporatistischer Strukturen statt. Dies erfordert die Entwicklungneuer InstrumentederpolitischenEinflussnahmeundneuestra- tegischeAllianzen.BislangfehltesdenVerbändeninsgesamtundalsEinzel- organisationenaneinerstrategischensozialpolitischenPositionierung,diesie in die Lage versetzen würde, auf die immer rascher werdenden sozialrecht- lichen Veränderungen anhand eines organisatorisch abgestimmten Kriterien- katalogszureagieren.StattdessenübtmansichinderfachpolitischenBewer- tungimmerneuersozialpolitischerInstrumente,derenVerfallszeitenallerdings

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manchmalschnellersindalsdiedaraufreagierendenverbandspolitischen Stellungnahmen. Die Verbände benötigen deshalb aus meiner Sicht auf DauereinestrategischeEntkoppelungvomPrinzipderSozialanwaltschaft und deren Ersetzung durch eine sozialpolitische Expertise bis hinunter auf die lokale Ebene. Dies wird auch entsprechende Konsequenzen für die Organisation des Lobbying haben (müssen), da ein erfolgreiches sozialanwaltschaftliches oder sozialpolitisches Lobbying ja nicht nur mit Blick auf die eigenen Unternehmen durchgesetzt werden muss (was schon schwierig genug ist), sondern auch sozialpolitisch erhebliche Ressourcen erfordert. Schon aus dieser Überlegung heraus ergibt sich die Notwendigkeit neuer strategischer Partnerschaften (mit Gewerk- schaften, mit Verbraucherschutzorganisationen, mit Patienten- und Selbsthilfeorganisationen etc.), um sozialpolitisch artikulationsfähig zu werden. Die gegenwärtige Praxis ist davon gekennzeichnet, die Ver- bände auf ihre Rolle als zivilgesellschaftliche Akteure festzulegen, um sie damit sozialpolitisch zu entkernen. Eine Funktionsreduzierung aufdieAktivierungundPflegedessog.bürgerschaftlichenEngagements würdenichtnurdazuführen,dassdieVerbände(zahnlose)Papiertigerdes sich um- und abbauenden Sozialstaats würden, es würde auch den strategischen Bezug zu den eigenen jeweiligen soziokulturellen Milieusendgültigobsoletmachen.

AlsNonprofit-OrganisationensindWohlfahrtsverbändeAkteuredes„Dritten Sektors“, die aber durch ihre korporatistische Beziehungen zum staat- lichenInstitutionensystem auch immer mit einem Bein im Prozess der Politikformulierungprominentvertretenwaren(undz.T.auchnochsind); als Dienstleistende sind Wohlfahrtsverbände auch ein sehr wichtiger arbeitsmarktpolitischer Akteur, deren Einbindung in das Wirtschafts- system durch den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft erfolgte, was durchdensozialwirtschaftlichenTransformationsprozessnochverstärken wird. Würden Wohlfahrtsverbände den Empfehlungen der Wirtschafts- wissenschaftler folgen, müssten sie zwangsläufig ihre multiple Identität preisgeben und sich einiger ihrer Aufgaben und Aktionsfelder ent- ledigen.DasLiga-PapierinHessengehtdagegenvonderrichtigenstrate- gischenOptionaus,dassdieWohlfahrtsverbändeineinemwettbewerblichen Sozialsystem in ihrer korporatistschen (sozialpartnerschaftlichen) Funk- tionen geschwächt werden, dies aber nicht zu einem Rückzug aus eineraktivenpolitischenEinmischungspolitikführendarf.

Diesbedeutetauch,dassdieVerbändeeineWächterfunktiongegenüberder sozialen Dienstleistungspolitik einnehmen müssten. Diese ist gegenwärtig durch einen unkontrollierten Deregulierungsprozess gekennzeichnet, an dem auch die Träger und Einrichtungen des Sozialsektors aktiv mitwirken.

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AufDaueruntergräbtdieseEntwicklungdasgesamtewohlfahrtsverbandliche SysteminderBRD.EineaktiveregulierendePolitikbedarfgemeinschaftlicher AktionenderVerbände,um:

• AngebotundNachfrageineinerRegionabzustimmen(bspw.Gesundheits- undSozialkonferenzen), • VerbindlichePersonal-undQualitätsvorgabenfüralleAnbieter; • VernetztesAuftreten undAgieren der Verbände gegenüber den Kosten- trägern, • Identifizierenvon„Schwachstellen“(besondersnegativeTarif-undBeschäf- tigungspolitik)undHerstellenvonÖffentlichkeit, • Hinwirken auf einheitliche Wettbewerbsbedingungen (z.B. durch einen einheitlichenTarifvertragfürdensozialenDienstleistungsbereich).

IchsehedasPapierderLigainHessenalseinenhoffnungsvollenAuftaktfüreineDiskussion,diesichnichtverzweifeltandieErrungenschaftenaltersozialstaatli-cherSystemeklammert,sondernversucht,nüchternzubilanzierenundsichorga-nisationspolitischaufdieVeränderungeneinzustellen.Wichtigdaranist,dassdieVerbändesichwiederalsVertretergesellschaftlicherInteressenbegreifen,denenesumdieOrganisationvonPartikularitätgeht.

FüreineeffizienteDienstleistungsproduktionbrauchteskeineWohlfahrtsverbände.

VielenDank.

Liga der Freien Wohlfahrtspfl ege in HessenDer Zusammenschluss der hessischen Wohlfahrtsverbände

Zum Wandel der WohlfahrtsverbändeEin Beitrag zur sozialpolitischen Diskussion

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