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LINDA HOWARD Ein gefährlicher Liebhaber

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LINDA HOWARD

Ein gefährlicher Liebhaber

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Buch

Eine sagenumwobene versunkene Stadt im Amazonasgebiet soll einstvon Kriegerinnen bewohnt gewesen sein – und sie soll einen einzig-artigen Schatz beherbergen: den roten Diamanten. Das klingt wie imMärchen. Doch die junge Archäologin Jillian Sherwood glaubt festdaran, dass es diesen Ort wirklich gibt, und sie setzt alles daran, ihnzu finden. Dafür ist sie sogar bereit, sich von Ben Lewis – einem ver-wegenen Abenteurer mit zweifelhaftem Ruf, der die Flüsse Amazo-niens kennt wie kein Zweiter – durch den Dschungel führen zu las-sen. Ben ist groß, muskulös und er hat die verführerischsten blauenAugen, die Jillian je gesehen hat. Und dieser Ben geht fast in die Luft,als Jillian ihm nicht das genaue Ziel ihrer Expedition verraten will.Doch als sie erkennt, dass ihr Stiefbruder Rick äußerst zwielichtigeGestalten angeheuert hat, die in dem Schatz einen lukrativen Fangwittern, wird ihr allmählich klar, dass Ben vertrauenswürdiger ist, als

sie zunächst vermutete …

Autorin

Linda Howard hat sich mit ihren historischen und modernen Roma-nen, die mehrfach ausgezeichnet wurden, eine riesige Fangemeindeerobert, und weltweit mehr als fünf Millionen Exemplare verkauft.Sie lebt als freie Schriftstellerin mit ihrem Mann auf einer Farm bei

Alabama.

Als Blanvalet Taschenbuch von Linda Howard lieferbar:

Auch Engel mögen’s heiß (35779) – Gefährliche Begegnung (35731) –Mister Perfekt (35700) – Vor Jahr und Tag(35152) – Wie Tau auf mei-

ner Haut (35036) – Ein tödlicher Verehrer (35916)

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Linda HowardEin

gefährlicherLiebhaber

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Gertrud Wittich

BLANVALET

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Umwelthinweis:Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches

sind chlorfrei und umweltschonend.

Blanvalet Taschenbücher erscheinen imGoldmann Verlag, einem Unternehmen

der Verlagsgruppe Random House GmbH.

1. AuflageDeutsche Erstveröffentlichung März 2004

Copyright © der Originalausgabe 1993by Linda Howard

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2004by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team München

Umschlagfoto: Mauritius/ageLW · Redaktion: Petra Zimmermann

Satz: deutsch-türkischer fotosatz, BerlinDruck: GGP Media GmbH, Pößneck

Verlagsnummer: 36008Herstellung: Heidrun Nawrot

Made in GermanyISBN 978-3-442-36008-0www.blanvalet-verlag.de

Die Originalausgabe erschien 1993 unter dem Titel»Heart of Fire« bei Pocket Books, New York.

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Prolog

»Wer iss’n das da, Papa?« Jillians kleiner Zeigefinger tipptehartnäckig auf ein Bild in dem Buch, das ihr Vater aufgeschla-gen hatte. Sie saß, wie so oft, bei ihm auf dem Schoß, und ob-wohl sie erst fünf war, liebte sie Geschichten über alte Kultu-ren und fremde Länder über alles, eigentlich schon, seit siedenken konnte.

»Das ist eine Amazone.«»Un’ wie heißt sie?« Jillian konnte sehen, dass das dort auf

dem Bild eine Frau war. Als sie noch kleiner war, war sie im-mer durcheinander gekommen, weil sie gedacht hatte, dassnur Frauen lange Haare haben. Aber auf den Bildern in PapasBüchern hatten auch die meisten Männer lange Haare. Dochinzwischen hatte sie einen verlässlicheren Unterschied gefun-den: die Brust nämlich. Männer und Frauen sahen da andersaus.

»Ich weiß nicht, wie sie heißt. Ich weiß nicht einmal, ob siewirklich gelebt hat. Keiner weiß das.«

»Dann is’ sie also erfunden?«»Möglich.« Cyrus Sherwood streichelte sanft über den

Kopf seiner Tochter, fuhr mit der Hand unter ihre dicken, sei-digen dunklen Haare, hob sie ein wenig an und ließ sie wiederzurückfallen. Dieses Kind war ihm ein beständiger Quell derFreude. Er wusste, dass es falsch war, ein Kind dem anderenvorzuziehen, aber sie war so außergewöhnlich; ihr Verständ-

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nis des Abstrakten ging weit über ihr Alter hinaus. Sie liebteseine Archäologiebände. Eine seiner schönsten Erinnerungenwar die, als Jillian mit gerade drei Jahren einen seiner Wälzerhervorzerrte, der sicher fast so viel gewogen hatte wie sie, undwie sie dann den ganzen Nachmittag auf dem Teppichbodengelegen und vollkommen entrückt in dem Buch geblätterthatte. Dieses Kind besaß sowohl kindliche Unschuld als aucheine verblüffend stark ausgeprägte Logik. Nein, seine Süßewar alles andere als ein Wirrkopf. Und wenn ihr wesentlichs-ter Charakterzug Pragmatismus war, so war der zweite Stur-heit. O ja, er konnte sich gut vorstellen, dass seine geliebteTochter später mal ein harter Brocken für irgendeinen ah-nungslosen Kerl werden würde.

Jillian beugte sich vor, um das Bild genauer in Augenscheinzu nehmen. Endlich fragte sie: »Wenn sie erfunden is’, wiesois’ sie dann hier drin?«

»Nun ja, Amazonen gehören zu den mythischen Gestal-ten.«

»Ach, du meinst so Menschen, über die andere MenschenGeschichten schreiben.«

»Ja, denn manchmal lassen sich Mythen auf wahre Ge-schichten zurückführen.« Er bemühte sich gewöhnlich, sicheinfach auszudrücken, wenn er mit Jillian redete, war aber nieherablassend. Wenn sein temperamentvoller kleiner Lieblingmal etwas nicht verstand, dann gab sie keine Ruhe, bis er es ihrerklärt hatte.

Sie zog die zarte Stupsnase kraus. »Erzähl mir was über die-se Zonen.« Sie lehnte sich zurück und kuschelte sich auf sei-nem Schoß zurecht.

Er lachte leise über ihren Ausdruck, küsste sie auf denScheitel und begann, von dem weiblichen Kriegervolk und sei-

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ner Königin Penthesilea zu berichten. Irgendwo im Haus wur-de eine Tür zugeknallt, doch die beiden achteten nicht darauf,so vertieft waren sie in ihr Lieblingsthema, alte Kulturen.

Rick Sherwood kam mit für ihn ungewöhnlicher Begeiste-rung ins Haus gestürmt. Seine übliche Verdrießlichkeit warwie weggeblasen. Die Nägel an den Sohlen seiner Baseball-schuhe klackten metallisch auf dem Holzfußboden. Wiedereinmal ignorierte er die dringende Bitte der Haushälterin, dieDinger auszuziehen, bevor er das Haus betrat. Menschens-kind, was für ein Spiel! Das bisher beste Spiel seines Lebens.Er wünschte, sein Vater wäre da gewesen, um es sich anzuse-hen, aber er hatte leider zu einer Sprechstunde mit seinendämlichen Studenten gemusst.

Er war fünfmal am Schlag gewesen, hatte ganze vier Hitsgelandet, darunter sogar einen Homerun! Das brachte seinenbatting average auf satte 800! Mathe war zwar nicht geradeseine Stärke, aber so viel Rechnerei brachte er zumindest zu-stande.

Er ging kurz in die Küche, um gierig ein Glas Leitungswas-ser hinunterzustürzen, wobei ihm in seiner Hast das Wasservom Kinn tropfte. Gerade als er ein zweites Glas trinken woll-te, hörte er Stimmen und hielt inne. Das klang nach seinemVater.

Ungebremst in seinem Enthusiasmus, trampelte er zur Bib-liothek, denn dort steckte der gute Oldie gewöhnlich. Er rissdie Tür auf und stürzte ins Zimmer. »Weißt du was, Paps? Ichhatte heute vier Hits, davon einen Homerun! Ich hatte siebenRBIs und hab ein double play gemacht. Das hättest du sehensollen!« Letzteres sagte er voller Begeisterung, keineswegsvorwurfsvoll.

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Professor Sherwood blickte auf und lächelte seinen Sohnan. »Ja, das hätte ich wirklich! Großartig, mein Junge!«

Rick ignorierte seine kleine Schwester. »Deine Sprechstun-de hat wohl doch nicht so lang gedauert, wie du dachtest,hm?«

»Sie wurde auf morgen verschoben«, erklärte der Professor.Rick stand da wie vom Donner gerührt; seine Freude ver-

flog. »Wieso bist du dann nicht zum Spiel gekommen?«Jillian hatte interessiert zugehört. Jetzt sagte sie: »Ich mag

Baseballspiele, Papa.«Er blickte lächelnd auf sie herab. »Tatsächlich? Na, dann

sollten wir wohl zum nächsten Spiel gehen, mein Schatz.«Das genügte ihr, und die Unterbrechung hatte lange genug

gedauert. Sie stocherte mit dem Finger auf das Bild, um seineAufmerksamkeit wieder in die richtige Richtung zu lenken.»Die Zonen«, forderte sie.

Gehorsam beugte sich der Professor diesem mit heller Stim-me hervorgebrachten Befehl, was ihm absolut nicht schwerfiel, waren die Amazonen doch sein ganz persönliches Ste-ckenpferd. Er war heilfroh, dass Jillian Mythen den Vorzugvor Märchen gab, denn sonst hätte er wohl kaum so viel Ge-duld aufgebracht.

Ricks Glücksgefühl war erloschen, stattdessen loderte hei-ße Wut in ihm auf. Wieder einmal war er ausgeschlossen, wie-der einmal nur wegen dieses Satansbratens. Na und, dann warer eben nicht so schlau wie sie. Aber ein double play brachtesie nicht zustande. Wütend und frustriert stapfte er aus demZimmer, bevor er womöglich die Beherrschung verlor und daskleine Biest vom Schoß seines Vaters katapultierte. Der Pro-fessor hätte kein Verständnis dafür; sein Sonnenscheinchenwar in seinen Augen unfehlbar.

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Sonnenscheinchen, von wegen, dachte Rick zornig. Er hass-te und verabscheute Jillian seit dem Tage ihrer Geburt, eben-so, wie er ihre Mutter gehasst hatte. Die Mutter war Gott seiDank vor wenigen Jahren gestorben, aber das kleine Biest warimmer noch da.

Alle machten einen Riesenwirbel um sie, weil sie ja sooschlau war. Und ihn behandelten sie wie einen dahergelaufe-nen Dummkopf, bloß weil er einmal sitzen geblieben war. Naund, dann war er eben siebzehn und würde kurz nach Beginnseines Junior Year an der Highschool achtzehn werden. Er wardoch nicht blöd, er hatte sich lediglich nie richtig angestrengt.Wozu auch? Egal, wie viel Mühe er sich gab, alles drehte sichausschließlich um dieses verwöhnte Balg.

Er trampelte die Treppe hinauf in sein Zimmer, wo er sichdie Baseballschuhe runterriss und gegen die Wand schleuder-te. Jetzt hatte sie ihm sogar das beste Spiel seines Lebens ver-dorben. Die Sprechstunde war verschoben worden, der Oldiehätte also eigentlich zum Spiel kommen können, aber nein, erwar heimgegangen, um der Nervensäge Geschichten zu er-zählen. Das war so ungerecht, dass er am liebsten irgendwaskurz und klein geschlagen hätte. Dieses dämliche kleine Biestzum Beispiel, ja, die hätte er nur zu gerne windelweich geprü-gelt. Er wollte ihr wehtun, so wie sie ihm wehgetan hatte. Siehatte ihm seinen Vater gestohlen, sie und ihre blöde Mutter,und das würde er ihr nie verzeihen.

Impulsiv sprang er auf. Geräuschlos – da er nun Socken an-hatte – schlich er aus seinem Zimmer und durch den Gang inJillians Zimmer. Dort stand er erst mal und schaute sich auf-merksam um. Wie alle Kinder hatte sie all ihre Schätze um sichversammelt. Das Zimmer war voll mit ihren Lieblingsbüchernund Puppen und anderen Sachen, deren Wert allein sie kann-

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te. Rick beachtete den Ramsch nicht, er suchte nur eins: ihreLieblingspuppe, die, die sie mehr mochte als alle anderen, eineabgegriffene Plastikpuppe namens Violet. Ohne die konntesie normalerweise nicht einschlafen.

Da war sie ja. Rick schnappte sich die Puppe und schlüpftein sein Zimmer zurück. Dann überlegte er, was er jetzt tunsollte. Am liebsten hätte er die Puppe zertrümmert und dieTrümmer auf Jillians Bett verteilt, aber ein Instinkt riet ihmdavon ab. Nein, dann würde man ihn beschuldigen, dennsonst käme im Haus ja niemand in Frage. Und dennoch: DiePuppe vor ihr zu verstecken genügte ihm nicht. Seine Miss-gunst verlangte nach mehr, verlangte nach Zerstörung. Ja, ermusste und wollte etwas zerstören, das ihr sehr am Herzenlag, selbst wenn er der Einzige war, der es wusste.

Verzerrt lächelnd holte er sein Taschenmesser von derKommode und öffnete es. Dann setzte er sich aufs Bett undschnitt der Puppe sorgfältig alle Gliedmaßen ab. Jillian würdenicht erfahren, was er getan hatte; sie würde heulen, weil ihreLieblingspuppe weg war, aber ihm könnte man nichts vorwer-fen. Er würde sein Wissen wie einen Schatz hüten, und jedesMal, wenn er sie ansah, würde er sich ins Fäustchen lachen,weil er es wusste und sie nicht.

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Mit zornig zusammengepressten Lippen betrat Jillian Sher-wood ihre Apartmentwohnung. Die Wohnung war ganz neu,kaum zwei Jahre alt, und normalerweise empfand sie jedesMal Stolz und ein tiefes Glücksgefühl, sobald sie über dieSchwelle trat, denn die Wohnung sah nicht nur umwerfendaus, sie gehörte ihr auch noch. Doch heute war kein normalerTag, und sie würdigte das kühle, entspannende Interieur kei-nes Blickes. Sie hängte ihre Schultertasche ans Foyertischchenund stapfte hinaus auf den Balkon. Sie war so wütend, dass siedas Gefühl hatte, gleich platzen zu müssen, wenn sie sich nocheine Sekunde länger in einem geschlossenen Raum aufhielte.

Unbeweglich stand sie in der schwülen Hitze des Spätfrüh-lings von Los Angeles, die Hände auf die hüfthohe steinerneBalkonbrüstung gestützt. Von hier aus hatte man einen wun-derschönen Blick über die Stadt, den sie normalerweise ge-noss, doch heute war sie so wütend, dass sie nichts um sichherum wahrnahm.

Zur Hölle mit diesen engstirnigen Arschlöchern!Sie hatte alles getan, was sie konnte, hatte es sich verdient,

an der Ouosalla-Ausgrabung in Ostafrika teilzunehmen; eswar der wichtigste und größte Fund seit Jahrzehnten, und ihrlief buchstäblich das Wasser im Mund zusammen, wenn sienur daran dachte, dabei zu sein. Nie hatte sie sich etwas mehrgewünscht, als die alte Stadt, die erst kürzlich an der afrikani-

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schen Küste des Roten Meers entdeckt worden war, mit aus-graben zu helfen. Das Projekt wurde von der Frost Founda-tion finanziert, der Stiftung also, für die sie arbeitete. Sie hat-te sich kaum bezähmen können vor Freude, als sie das schrift-liche Ersuchen um Teilnahme einreichte.

Und wieso hätte sie auch nicht erwarten sollen, als Mit-glied des Ausgrabungsteams ausgewählt zu werden? Ihre Ar-beiten waren bis über den grünen Klee gelobt worden, eben-so ihre Ausgrabungsberichte, die in mehreren renommiertenFachblättern veröffentlicht worden waren. Sie besaß einenDoktor in Archäologie und hatte bereits an mehreren kleine-ren Ausgrabungen in Afrika teilgenommen; ihre Vorkennt-nisse wären für eine so wichtige Fundstätte wie die in Ouo-salla von unschätzbarem Wert. Nur die Besten kämen dafür inFrage, und sie wusste, dass sie zu den Besten zählte. Sie besaßErfahrung, Enthusiasmus und war ein wahres Arbeitspferd.Außerdem verfügte sie über jenen flinken, praktischen Ver-stand, der es Archäologen ermöglichte, aus winzigen Frag-menten das Leben in einer längst zurückliegenden Vergangen-heit zusammenzupuzzeln. Es gab keinen Grund, sie nichtauszuwählen.

Aber sie war trotzdem übergangen worden, übergangenvon jenen Vollidioten, jenen Dünnbrettbohrern, die an derSpitze der Stiftung saßen, denn für diese Leute gab es einentriftigen Grund, sie zu übergehen: Ihr Name war Sherwood.

Der Leiter der Abteilung hatte kein Blatt vor den Mund ge-nommen: Die Tochter vom »Spinner« Cyrus Sherwood wärekein Prestigeobjekt, egal für welches Ausgrabungsteam. DerRuf ihres Vaters, wilden Theorien nachzujagen, überschatteteihre solide Leistung und bekannte Zuverlässigkeit.

Es war, als würde sie mit dem Kopf gegen eine Wand anren-

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nen, es war so ungerecht, so scheißungerecht. Ihr Vater war derMeinung gewesen, sie hätte genug Dickköpfigkeit für drei,aber in diesem Fall kam selbst sie nicht weiter. Sie liebte dieArchäologie, hatte nie etwas anderes gedacht und gemacht –und würde sich nie mit etwas anderem beschäftigen wollen.Aber die oberen Ränge der von ihr gewählten Karriere bliebenihr aufgrund ihres Namens verschlossen. Ausgrabungen ver-schlangen gewöhnlich sehr viel Geld, und Sponsoren fielennicht gerade von den Bäumen. Die Schlacht um die vorhande-nen Gelder war mörderisch. Daher konnte es sich kein acht-bares Team leisten, sie auf eine größere Ausgrabung mitzu-nehmen. Schon ihre Anwesenheit genügte, den Wert der Fun-de in Zweifel zu ziehen, was zum Verlust der Sponsorengeldergeführt hätte.

Selbst wenn sie ihren Namen ändern würde, würde ihr dasnichts helfen; die Welt der Archäologie war ein Dorf, in demsie zu viele Leute kannten. Wenn doch nicht alles immer nurPolitik wäre! Nur wer bekannt war und einen großen Namenhatte, bekam die Knete. Nein, keiner würde eine schlechtePresse riskieren, indem er sie ins Team aufnahm. Sie war schonauf zahlreichen kleineren Ausgrabungen gewesen, aber allewirklich wichtigen blieben ihr verschlossen.

Nicht, dass sie ihren Namen geändert hätte, selbst wenn eswas genützt hätte. Ihr Vater war ein wundervoller Mann ge-wesen, ein brillanter Archäologe. Sie hatte ihn von ganzemHerzen geliebt und vermisste ihn selbst jetzt noch, obwohl erschon die Hälfte ihrer achtundzwanzig Jahre tot war. Esmachte sie zornig, dass seine zahllosen unschätzbaren Beiträ-ge zur Archäologie ignoriert wurden, bloß weil er ein paarTheorien entwickelt hatte, die er nie hatte beweisen können.Er war während einer Forschungsreise durch den Amazonas-

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dschungel umgekommen, einer Reise, bei der er gehofft hatte,unwiderlegbare Beweise für eine seiner kühnsten Theorien zufinden. Als Scharlatan und Narr war er beschimpft worden,doch nach seinem Tod bezeichneten ihn die mitfühlenderenSeelen lediglich als einen »Irregeleiteten«.

Cyrus Sherwoods Ruf verfolgte Jillian seit dem Studium.Sie hatte daher das Gefühl, fleißiger, gewissenhafter und här-ter arbeiten zu müssen als jeder andere und es sich nicht leis-ten zu können, irgendwelchen Träumen nachzuhängen, sowie ihr Vater. Sie hatte ihr Leben der Archäologie verschrie-ben, hatte sich nie einen Urlaub gegönnt, hatte alle Zeit undWillenskraft auf die Verfolgung ihres Ziels verwandt.

Und alles umsonst.Die Tochter des »Spinners« Sherwood war nun mal auf kei-

ner bedeutenderen Ausgrabung willkommen.Sie schlug mit der flachen Hand gegen die Wand. Er war

kein Spinner, dachte sie zornig. Er war vielleicht ein Träumergewesen, ein wenig exzentrisch, aber wenn er zu Hause war,war er ein wundervoller Vater gewesen. Obendrein war er einverdammt guter Archäologe gewesen. Davon war sie absolutüberzeugt.

Bei dem Gedanken an ihn fielen Jillian wieder die Schach-teln ein, die Schachteln mit seinen Papieren, die sie nie geord-net hatte. Nach seinem Tod waren die Unterlagen des Profes-sors verpackt und das Haus verkauft worden. Ihr HalbbruderRick hatte die Schachteln mit in sein schäbiges Apartment ge-nommen, und dort verstaubten sie in irgendeiner Ecke. Erhatte keinerlei Interesse an den Sachen und hatte sie ihresWissens auch nie angerührt. Als Jillian mit dem Studium fer-tig war und in eine eigene Wohnung zog, hatte sie ihm ange-boten, die Schachteln zu sich zu nehmen, aber Rick hatte ab-

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gelehnt – eher deshalb, weil sie sie wollte, so vermutete sie, alsaus einem echten Interesse an den Sachen ihres Vaters.

Doch auch hier irrte sich Rick, wie so oft. Natürlich hättesie die Sachen ihres Vaters nie weggeworfen oder verkommenlassen, doch unbedingt erpicht auf sie war sie ebenso weniggewesen. Eher im Gegenteil. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jil-lian den schlechten Ruf ihres Vaters schon leidvoll und un-missverständlich zu spüren bekommen, und sie wollte nichtslesen, das sie möglicherweise selbst glauben ließe, er wäre derSpinner gewesen, als den ihn seine Kollegen regelmäßig hin-stellten. Da war es besser, ihn so in Erinnerung zu behalten,wie sie ihn gekannt hatte.

Doch nun überkam sie auf einmal eine brennende Neugier,ein starkes Bedürfnis, ihm wieder näher zu sein. Er war keinNarr! Einige seiner Theorien waren zwar unkonventionell,aber vor fünfhundert Jahren war der Gedanke, die Erde seirund, schließlich ebenso närrisch gewesen. Ihr Vater hattezahllose Stunden über Landkarten und Reiseberichten gebrü-tet, hatte zahllose Spuren verfolgt, um seine Theorien zu un-termauern. Und draußen, bei Ausgrabungen, war er superbgewesen, ein Genie, wenn es darum ging, aus den wenigennoch übrigen Scherben eine alte Welt erstehen zu lassen.

Sie wünschte, sie hätte diese Schachteln jetzt hier. Ihr Vaterhatte sie von klein auf ermutigt, und genau das fehlte ihr jetzt.Er selbst war nicht mehr da, aber diese alten Unterlagen wa-ren mehr er selbst als die paar Erinnerungsstücke, meist Fo-tos, von ihm, die sie besaß.

Ein paar Minuten lang war sie unschlüssig. Dies war derschwärzeste Moment ihrer Karriere, so wütend und traurigwar sie nicht mehr gewesen, seit sie vom Tod des Professors er-fahren hatte. Sie war von Natur aus eine unabhängige Person,

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aber selbst die unabhängigsten Menschen brauchen manchmalTrost, und dies war ein solcher Moment. Sie brauchte die Nähezu ihrem Vater, die Auffrischung ihrer Erinnerungen an ihn.

Einmal entschieden, ging sie festen Schritts zurück insWohnzimmer und schlug Ricks Telefonnummer in ihremAdressbuch nach. Es warf schon ein trauriges, aber nichtsdes-totrotz akkurates Licht auf ihre Beziehung, dass sie seineNummer nicht auswendig wusste. Aber von einer Beziehungkonnte sowieso nie die Rede sein, zumindest nicht in einemguten, emotionalen Sinn. Er pumpte sie ab und zu um Geldan, aber gewöhnlich sahen sie sich höchstens einmal im Jahr,was ihnen beiden absolut reichte.

Sie ließ es eine volle Minute lang klingeln, bevor sie aufleg-te. Sie war Realistin und machte sich nichts vor. Sie wusste,dass es ein paar Tage dauern konnte, bis sie ihn erwischte, alsozügelte sie ihre Ungeduld und schlüpfte in ihre Sportsachen.Ein bisschen Sport war gut gegen Stress, und sie liebte einegute körperliche Kondition. Dreimal pro Woche ins Fitness-studio, dazu Joggen, das hielt sie fit.

Dennoch griff sie, als sie wenige Stunden später wiedernach Hause kam, erneut zum Hörer und drückte auf dieWahlwiederholungstaste. Zu ihrer Überraschung klingelte esnur einmal, bevor eine brüske, leicht lallende Stimme ein »Jabitte?« in den Hörer bellte.

»Rick, ich bin’s, Jillian. Bist du heute Abend zu Hause?«»Wieso?« Nun klang er misstrauisch, ja wachsam.»Ich würde mir gern mal die Schachteln mit Papas alten Sa-

chen anschauen.«»Wozu das denn?«»Ich will sie nur mal durchschauen. Das haben wir nie ge-

macht, weißt du. Wir wissen nicht mal, was drin ist.«

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»Und wieso ausgerechnet jetzt?«»Es gibt keinen triftigen Grund. Ich bin bloß neugierig.«

Instinktiv ließ sie Rick nicht wissen, wie schlecht es ihr gingund wie sehr sie gerade jetzt diese Verbindung zu ihrem Vaterbrauchte.

»Ich hab nich’ die Zeit, hier rumzuhocken und dir zuzuse-hen, wie du in Erinnerungen schwelgst«, sagte er grob undüberging dabei völlig die Möglichkeit, ihr die Kisten mitzuge-ben, damit sie sie zu Hause in Ruhe anschauen könnte. Rickgab nie einen vermeintlichen Vorteil über Jillian auf.

»Na gut«, sagte sie wegwerfend, »dann eben nicht. Warbloß so eine Idee. Tschüss.«

»Jetzt warte mal«, sagte er hastig. Sie konnte ihn förmlichvor sich sehen, wie die Rädchen in seinem Gehirn ratterten.»Äh … na ja, dann komm halt rüber. Ach, glaubst du, dukönntest mir ein paar Scheinchen leihen? Bin im Moment einbisschen knapp.«

»Tja, ich weiß nicht«, sagte sie zögernd, denn sie wollte kei-nen zu eifrigen Eindruck machen, damit er seine Meinungnicht wieder änderte. »Wie viel brauchst du denn?«

»Nicht viel. Ein Hunderter würde reichen.«»Hundert Dollar!«»Gut, gut, dann eben bloß fünfzig.«»Ich weiß nicht«, sagte sie noch einmal. »Muss erst mal se-

hen, wie viel ich dahabe.«»Also kommst du jetzt vorbei oder nicht?«, fragte er brüsk.»Ja, ja, ich komme. Wenn du da bist?«»Sicher bin ich da.« Er knallte den Hörer auf, dass es in ih-

rem Ohr klingelte. Schulterzuckend legte Jillian auf. So war esüblicherweise mit Rick. Manchmal fragte sie sich, ob er jemerken würde, wie wenig sie seine Mätzchen kratzten.

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Sie schaute in ihre Brieftasche, um sicherzugehen, dass sienoch einen Fünfziger hatte, was der Fall war. Doch es war ihrletzter Schein, sodass sie dann ohne Bares wäre, bis sie wiederzum Automaten käme, also frühestens morgen, denn nachEinbruch der Dunkelheit riskierte sie so etwas nicht. Aber ihrWagen hatte noch genügend Benzin, also würde sie heuteAbend auch kein Geld mehr brauchen. Der Einblick in die Pa-piere ihres Vaters war ihr den Fünfziger wert. Eine derartigeAufmunterung hatte sie bitter nötig. Zum Glück kam sie nurselten in so eine Lage, da sie mit beiden Beinen fest auf derErde stand, doch manchmal lässt selbst das widerstandsfä-higste Pflänzchen den Kopf hängen. Welk war allerdings einharmloser Ausdruck für ihren Zustand.

Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Sportsachen zuwechseln, da das Auspacken der vierzehn Jahre alten Schach-teln sicher eine ziemlich staubige Angelegenheit werden wür-de. Sie brauchte eine Dreiviertelstunde bis zu Ricks Wohn-block, einem von drei zweistöckigen, in verblasstem Lachs ge-strichenen Gebäuden, bei denen schon der Stuck abblätterte.Rick wohnte im Erdgeschoss des linken Blocks. Der Parkplatzwar voller mehr oder weniger reparaturbedürftiger Vehikel,deren überwiegende Farbe aus Rostschutzmittel bestand. DieBewohner dieses Viertels machten, bis auf die Rostschutzfar-be, einen ähnlichen Eindruck.

Sie klopfte an Ricks Tür. Drinnen lief der Fernseher; sonstwar nichts zu hören. Sie klopfte noch einmal.

»Is’ ja gut, is’ ja gut«, brummte jetzt jemand, und kurzdarauf riss Rick die Tür auf.

Es überraschte sie immer, wie attraktiv und jungenhaftRicks Züge noch wirkten, trotz Zigaretten, Alkohol und ei-nem insgesamt recht ungesunden Lebenswandel. Doch so

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langsam merkte man es ihm jetzt an, obwohl er immer nochdurchaus gut aussah.

»Hallo«, sagte er. »Hast du das Geld?«»Ich habe selber nur noch einen Fünfziger, aber den kann

ich dir geben, wenn du ihn wirklich brauchst«, sagte sie, wäh-rend sie dachte: Hallo, mir geht’s gut, wie geht’s dir? Sie konn-te seine Fahne riechen. Rick war, selbst wenn nüchtern, nichtgerade ein manierlicher Zeitgenosse, aber wenn er getrunkenhatte, fehlte ihm jeder Benimm. Leider war das meistens derFall.

»Klar brauch ich ihn«, fauchte er. »Hätte wohl kaum nach’nem Hunderter gefragt, wenn ich das Geld nich’ brauchenwürde.«

Sie zuckte mit den Schultern und kramte ihre Brieftascheheraus, die sie so hielt, dass er sehen konnte, dass sie ihm ihreletzten Kröten gab. Siebenundfünfzig Dollar. Die würde sienie wieder sehen, aber das erwartete sie auch nicht. Sie gabihm das Geld und fragte: »Wo sind die Schachteln?«

»Da hinten. Im zweiten Schlafzimmer.«Das zweite »Schlafzimmer« war die reinste Rumpelkam-

mer und hatte garantiert noch nie ein Bett gesehen. Rick be-nutzte es als Abstellraum für alles, was er aus dem Weg habenwollte, einschließlich, wie es schien, seiner Schmutzwäsche.Die Schachteln standen übereinander gestapelt in einer Ecke.Sie kämpfte sich zu ihnen durch und begann, sich ein wenigPlatz zum Auspacken zu schaffen.

»Was suchst du eigentlich?«, wollte Rick wissen. Er klangmisstrauisch, als würde er ihren vorherigen Worten nichtglauben.

»Nichts. Ich will die Sachen bloß lesen. Komm, hol zweiStühle, dann sehen wir uns das Ganze zusammen an, ja?«

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»Nee, danke«, sagte er, und sein Blick verriet unmissver-ständlich, was er von der Idee hielt. »Da hock ich mich dochlieber mit ’nem Bier vor die Glotze.«

»Wie du willst«, sagte sie und griff nach der ersten Schach-tel. Es waren fünf; voller Wasserflecken und total verstaubt,was irgendwie passte, da das meiste, was der Professor geliebthatte, verstaubt gewesen war. Sie setzte sich auf den Bodenund begann das braune Paketband abzureißen, mit dem dieSchachteln verschlossen worden waren.

Vieles davon waren wissenschaftliche Bücher, die sie nachThemen geordnet um sich herum aufstapelte. Es waren einpaar seltene Ausgaben darunter, und mit diesen ging sie be-sonders behutsam um.

Es gab Berichte von unterschiedlichen Ausgrabungen, Ar-tikel, die ihn interessiert hatten und die er deshalb aufbewahrthatte, Karten verschiedenen Alters und mehrere Spiralblöcke,in denen er seine eigenen Aufzeichnungen niedergeschriebenhatte. Diese öffnete sie mit einem leichten Lächeln, denn dasschmale Gekrakel ihres Vaters rief wehmütige Erinnerungenwach. Wie viel Freude ihm seine Arbeit immer gemacht hatte!Mit welcher Begeisterung er alte Kulturen neu erstehen ließ!Er hatte seiner Fantasie nie Zügel angelegt, hatte stets in demBewusstsein gehandelt, dass sie ihn schließlich zur Wahrheitführen würde, welche für ihn von jeher viel fantastischer ge-wesen war als die cleverste Lüge.

Seine Leidenschaft für seine Arbeit hatte dazu geführt, dasser den verschiedensten Legenden nachspürte, deren jeder erein eigenes Kapitel in seinen Notizbüchern widmete. Wie ofthatte sie abends noch zu seinen Füßen oder auf seinem Schoßgesessen und seinen spannenden Erzählungen gelauscht. Siewar nicht mit Märchen groß geworden, oder vielleicht ja doch,

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bloß dass es Märchen über längst vergangene Kulturen gewe-sen waren und Schätze, die auf geheimnisvolle Weise ver-schwanden … Hatte es sie wirklich gegeben, oder waren siedoch nur ein Produkt der menschlichen Fantasie? Für ihrenVater war selbst die leiseste Aussicht, dass etwas wahr seinkönnte, unwiderstehlich gewesen; er war den unwahrschein-lichsten Spuren nachgegangen – wenn auch nur, um seine ei-gene Neugier zu befriedigen.

Träumerisch blätterte sie in den Notizbüchern und dachtedabei an die Geschichten, die er ihr über jede dieser Legendenerzählt hatte. Ihr fiel dabei auf, dass er die meisten davon alspure Mythen abgetan hatte, denen jede tatsächliche Basis fehl-te. Einige wenige Legenden, so schloss er, bargen zumindestdie Möglichkeit eines wahren Kerns, obwohl noch mehr For-schung vonnöten wäre und die Wahrheit wahrscheinlich nieans Licht käme. Das machte sie abermals wütend; wie konnteman ihn als Spinner bezeichnen, wo er doch die Tatsachensorgsam abgewägt und sich nicht vom Glanz und vom mythi-schen Potenzial seiner Forschungsobjekte hatte blenden las-sen? Aber alles, wovon die Leute redeten, war seine Besessen-heit für die Anzar, sein spektakulärster Fehlschlag, und dassdie Jagd danach ihn in den Tod geführt hatte.

Die Anzar. Sie hatte lange nicht mehr an diese Legende ge-dacht, weil sie ihn das Leben gekostet hatte. Er war so begeis-tert davon gewesen. Als sie ihn das letzte Mal sah, an jenemMorgen, bevor er zum Amazonas aufbrach, um der Legendeüber die Anzar nachzuspüren, war er so selig gewesen, so op-timistisch. Sie war eine ungelenke, aufgeschossene Dreizehn-jährige gewesen, fast vierzehn und böse, weil er ihr nicht er-laubt hatte mitzukommen und weil er ihren Geburtstag ver-passen würde, aber er hatte sie liebevoll umarmt und geküsst.

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»Nicht böse sein, Schätzchen«, hatte er gesagt und ihr überden Kopf gestreichelt. »In ein paar Monaten bin ich ja wiederda. Ein halbes Jahr höchstens.«

»Du bist doch nicht gezwungen zu gehen«, hatte sie trotzigerwidert.

»Das ist aber meine Chance, die Kaiserin zu finden und einfür alle Mal zu beweisen, dass es die Anzar wirklich gab. Duweißt doch, was das bedeuten würde, nicht?«

Sie war mit ihren dreizehn schon erschreckend realistischgewesen. »Geld«, hatte sie gesagt, und er hatte gelacht.

»Na ja, das sicher auch. Aber bedenke doch, was es bedeu-tet, zu beweisen, dass die Legende wahr ist, das Herz der Kai-serin in Händen zu halten, seine Schönheit der Welt zu schen-ken.«

Sie hatte nur finster die Stirn gerunzelt. »Pass bloß auf«,hatte sie gesagt und ihm mit dem Finger gedroht. »Der Ama-zonas ist kein Spielplatz, das weißt du.«

»Ich weiß. Ich werde gut aufpassen, versprochen.«Aber das hatte er nicht. An diesem Vormittag hatte sie ihn

zum letzten Mal gesehen. Die Nachricht erreichte sie drei Mo-nate später, und es dauerte weitere zwei Monate, bis seine Lei-che geborgen und zur Beisetzung überführt worden war.Großtante Ruby war gekommen, um sich während der Abwe-senheit des Professors um Jillian zu kümmern, damit sie wei-ter auf ihre Schule gehen konnte. Doch als sein Tod bekanntwar, wurde sein Haus schnellstens verkauft, und sie selbstmusste in Tante Rubys kleinen Bungalow ziehen. Rick, ihrnächster Verwandter, hatte selbstverständlich keine Lust ge-habt, sich einen Teenager aufzuhalsen. Außerdem hatte er sei-nem Vater nie verziehen, nach dem Tod seiner, Ricks, Mutternoch einmal geheiratet zu haben, und war ausgezogen, sobald

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Linda Howard

Ein gefährlicher LiebhaberRoman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 416 Seiten, 11,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-442-36008-6

Blanvalet

Erscheinungstermin: März 2004

Die attraktive Archäologin Jillian Sherwood bricht zu einer Expedition in den Dschungel auf,um einen sagenumwobenen roten Diamanten zu finden. Doch auf dieser Reise befindet siesich nicht in bester Gesellschaft: Ihr Stiefbruder Rick hat eine Hand voll zwielichtiger Gestaltenangeheuert, die das Projekt finanzieren. Einzig Ben Lewis, ein Abenteurer mit zweifelhaftemRuf, der das Team an den Amazonas führt, erweist sich für Jillian als loyaler Beschützer - undleidenschaftlicher Liebhaber ...