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Lisa-Marie schreibt aus Bolivien
Dieser Rundbrief erreicht euch aus dem tropischem Santa Cruz de la Sierra (= hl. Kreuz der Berge)
wobei die Hauptstadt des gleichnamigen Departamentos auf nur 420 Metern liegt. Obwohl Bolivien
auf der Südamerikakarte relativ klein erscheint ist dieses Bundesland in etwa so groß wie
Deutschland und somit das größte des Landes.
Ausblick vom
Kirchturm der
Kathedrale in Santa
Cruz, San Lorenzo.
Kurz zum geschichtlichen bzw. politischen Hintergrund:
Santa Cruz war im 17. Jh. Die Basis der Jesuitenmissionare, die die Indígenas in der nordöstlichen
Region „Chiquitania“ christianisierten. Daraus entwickelten sich wirtschaftlich erfolgreiche
Missionen, die hervorragende Künstler und Handwerker hervorbrachten, deren Arbeiten und
Architektur bis heute erhalten sind. Bis Mitte des 20. Jhdt. führte die Stadt ein unbedeutendes
Dasein im fernen Osten des Landes. Erst die Entdeckung von riesigen Öl und Gasvorkommen weckte
das Interesse zahlreicher nationaler und internationaler Zuwanderer. So zählte die Stadt im Jahr 1955
57.000 Einwohner, 1975 mehr als 300.000, im Jahr 2000 eine Million und heute mehr als 1,5
Millionen EinwohnerInnen. Santa Cruz ist somit die größte Stadt Boliviens und ebenso die am
schnellsten wachsende Südamerikas. Allerdings hat sie sich nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch
als Drogenhauptstadt einen Namen gemacht. Ich habe den Eindruck, dass in dem steuerarmen Land
Bolivien durchaus Einiges durch die Drogenwirtschaft ermöglicht wird.
San Luis:
Das 2000 Einwohner Dorf liegt 55 km südwestlich der Hauptstadt und ist mit dem Mikro (Kleinbus) in
knapp 2 Stunden gut erreichbar. Durch den Ort führt eine asphaltierte Schnellstraße nach
Cochabamba, alle anderen davon ausgehenden Gassen sind erdige, steinige Wege. Mit Anbruch des
Sommers häufen sich ebenfalls die Regenfälle wodurch sich die sonst so staubig-trockenen Gassen in
schlammige Wege und Bäche wandeln. Entlang der Hauptstraße liegen Schulen jedes Niveaus, eine
große Kirche, ein Kindergarten, Werkstätten, Kioske und Restaurants.
Links die Hauptstraße und rechts meine Gasse
Meine Gastfamilie:
Meine Familie heißt Rivera Rivera. Hier trägt jede Person 2 Familiennamen, wobei sich diese jeweils
aus dem ersten Familiennamen des Vater und der Mutter ergeben. Meine verwitwete Gastmutter
heißt Paula, meine Geschwister sind Abimael (24), Naimalid Nazaria (22) Henry (17) und die kleine
Anai (bald 10). Die älteren Beiden studieren und arbeiten in der Stadt, jedoch darf ich mich jedes
Wochenende über ihren Besuch freuen. Nazaria steht kurz vor ihrem Psychologie Abschluss und
überlegt als Volontärin nach Deutschland zu gehen. (Die Josefsschwestern in San Luis stammen aus
Trier und pflegen gute Kontakte mit ihrem Ursprungsland.) Abimael ist ein wahrer Künstler, hat vor
kurzem eine Musikschule eröffnet, schreibt Lieder und Bücher. So verschieden wie sie auch sind kann
man mit ihnen gut plaudern. Oft verbleibe ich mit einem der Beiden bis spät in die Nacht oder einen
ganzen Vormittag am Küchentisch um über Gott und die Welt zu diskutieren.
Mein kleiner
Bruder Henry
(17) wurde im
November
gefirmt.
Den österreichischen
Nationalfeiertag
feierten wir mit
Schnitzel und
Kaiserschmarren.
Seitdem der Vater der Familie verstorben ist steht meine Gastmutter alleine vor den
Herausforderungen des täglichen Lebens. Umso dankbarer bin ich Teil ihrer Familie sein zu dürfen.
Wir wohnen in einfachen Verhältnissen. Das fließende, ausschließlich kalte Wasser befindet sich
draußen, die Wände sind nicht verputzt und wir haben keinen Fußboden. Dennoch fühle ich mich
sehr wohl und ich wüsste nicht woran es mir fehlen könnte. Andere Familien haben beispielsweise
keinen Kühlschrank oder essen steht stehend, da sie keine Sessel bzw. Tische besitzen.
Was das Obst anbelangt, bin ich im Paradies angekommen. Am Eingang unseres Hauses steht ein
Mangobaum unter der Kokospalme. In unserem Garten findet man reichlich Mandarinen, Orangen,
Bananen, einige Papaya und unzählige Avocados. Um 5 Bolivianos (ca. 0,60 Euro) kann man eine
Wassermelone, 12 Bananen oder 15 Mangos kaufen.
Die Josefsschwestern:
In San Luis wohnen drei Schwestern:
Hna. Gladis, Hna. Emma und Hna. Adela.
Sie arbeiten in San Luis sowie in den
umliegenden Dörfern in der Pfarrei und
in den schulischen Einrichtungen. Die
älteste Schwester, Hermana Emma, hat
in ihren jüngeren Jahren 10 Jahre in
Deutschland verbracht und ist immer
noch Hals über Kopf in diese Kultur
verliebt. Deswegen werden Clara (eine
Volontärin aus Deutschland die
ebenfalls in San Luis lebt und arbeitet)
und ich fast jeden Sonntag zu Kaffee
und Kuchen gebeten. Ein Stück Heimat
im tiefsten Bolivien.
Die Pfarre:
Noch unter der Führung meines
Gastvaters Ramón Rivera, ein in
Bolivien bekannter Katechist, sowie
durch die finanzielle Unterstützung
wohlhabender Familien aus der Stadt,
wurde in San Luis eine riesige,
wunderschöne Kirche konstruiert.
Diese ist von Wiesen, Palmen,
Mangobäumen, Kaffee und
Maracujapflanzen umgeben. Auf der
paradiesischen Anlage befinden sich
außerdem ein Naturheilkundehaus,
eine Kerzenkapelle, ein großzügiges
Pfarrhaus und ein Veranstaltungsraum
der meinem Gastvater gewidmet wurde.
Der „Herr des Hauses“ ist Padre Thomas der, gleichfalls wie Clara, aus Würzburg stammt. Er
verbrachte 20 Jahre in Potosí (ein der 9 Provinzhauptstädte) und ist nun seit zwei Jahren in San Luis.
Padre Thomas ist zwar sehr vergesslich, nimmt sich jedoch gerne allen Fragen, bitten und Problemen
an.
Meine Arbeit:
Vormittags unterrichte ich in der Primaria (1.-6. Schulstufe) Englisch. Je nach Klasse und Thema ist
das schwieriger oder einfacher. Ich bin auf mich alleine gestellt, da für dieses Unterrichtsfach keine
Bücher vorgesehen sind und die Lehrer kein Englisch sprechen. Meine SchülerInnen lernen ebenfalls
Quechua (neben Aymara eine der am häufigsten gesprochenen indigenen Sprachen des Landes), was
manchmal zu Verwirrung sorgt.
Joel und Franz sind Brüder und Schüler die mir besonders ans Herz gewachsen sind
Montag, Dienstag und Donnerstag nachmittags arbeite ich gemeinsam mit Hna. Gladis in der
Hausaufgabennachhilfe der Pfarre. Mittwochs und freitagnachmittags sind meine freien Tage. Diese
Zeit wird genützt, um Santa Cruz zu erkunden, Wäsche zu waschen, Unterricht vorzubereiten, E-
Mails zu beantworten, Hausarbeiten zu erledigen oder auch ab und zu an einem Rundbrief zu
schreiben ;).
Samstag und Sonntag nehme ich an den Jugendgruppen (JOMIS – Jóvenes Misioneros) eines
Nachbarortes und in San Luis teil. Es gibt kein Treffen, bei dem nicht ausgiebig gelacht und gescherzt
wird. Sonntagnachmittag gebe ich den jungen Erwachsenen in der Pfarre Englisch-Unterricht.
Wir JOMIS aus San Luis bei einem Ausflug zum nahegelegenen Fluss Piray.
Zukunftsausblick:
Nun haben die großen Sommerferien begonnen und auch ich
darf die Vorzüge des Lehrerinseins genießen. Die freie Zeit
nützen wir, um uns auf Weihnachten vorzubereiten und um
Ausflüge für die Kinder zu gestalten. Außerdem sind Clara und
ich fleißig am Planen: Ende Dezember, Anfang Jänner möchten wir etwas mehr dieses so vielfältigen
Landes erkunden – sprich der nächste Rundbrief wird womöglich etwas abenteuerlich ;)
Ich hoffe ihr könnt in der oftmals so stressigen Zeit vor Weihnachten auch mal zur Ruhe kommen und
wünsche euch einen schönen, gesegneten Advent.
Viele liebe Grüße aus dem Herzen Südamerikas,
Lisa