LV DieDrogeRisiko

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Quelle: Wochenende, 07.11.2008 http://www.derwesten.de/nachrichten/nachrichten/waz/wochenende/2008/11/7/news-89045362/detail.html Die Droge Risiko von Simone Andersen Manche Menschen suchen den Kitzel, das Abenteuer. Sie brauchen starke Reize, um sich wohl zu fühlen. Wissenschaftler sprechen von "Stimulations-Suchern" und erforschen die neurochemischen Vorgänge. Eine Ursache der Krise an den Finanzmärkten ist eine zu hohe Risikobereitschaft von Bankern und Börsenhändlern. Manche sehen Zocker am Werk, sprechen von Kasino-Mentalität. Die Krise hat 5 aber nicht nur eine wirtschaftliche, sie hat auch eine psychologische Seite. Bei der psychologischen Erforschung von Risikobereitschaft spielt es eine entscheidende Rolle, ob jemand mögliche Gefahren überhaupt erkennt. Brutal ausgedrückt: Mut kann durchaus ein Zeichen für Dummheit sein. Die Bereitschaft, etwas zu wagen, was auch schief gehen kann, hängt aber noch von weiteren Faktoren ab. 10 Der am meisten diskutierte Forschungsansatz zur Risikobereitschaft stammt von Marvin Zuckerman (Universität Delaware). Er entdeckte einen Zusammenhang zwischen Risikofreude und einer Unterversorgung an bestimmten Neurotransmittern im Gehirn. Die Idee kam ihm, als er unter seinen Testpersonen einen besonderen Typ ausmachte: Personen, die gefährliche Sportarten wie Free Climbing, Tiefseetauchen oder Fallschirmspringen zum Hobby 15 hatten. Diese Leute liebten auch schnelle Autos, hörten gern laute Musik und mochten scharfes Essen - kurz: Sie suchten überall die extreme Stimulation. Zuckerman nannte sie "Sensation Seeker" (Stimulations-Sucher). Bei Sensation Seekern zeigt sich in Blutproben ein auffallend niedriger Spiegel des Enzyms Monoamin-Oxidase (MAO) Typ B. Es regelt das Zusammenspiel der Neurotransmitter 20 Noradrenalin und Dopamin (mit Adrenalin und Serotonin zusammengefasst als Monoamine) in einer tief sitzenden Region des Gehirns, dem Limbischen System. Hier befindet sich das Belohnungszentrum - ein interessantes Grüppchen von Nervenzellen. Werden sie gereizt, kommt Freude auf. Beim Essen, beim Sex, bei Musik und Tanz: für die meisten reicht das für einen angenehmen Kick, aber nicht für alle. 25 Ein bestimmter Pegel an Dopamin muss in den Zellen enthalten sein, damit eine Stimulation als angenehm erlebt wird und der Mensch sich richtig wohl fühlt. Wie viel Adrenalin man dazu braucht, ist unterschiedlich. Ist zu wenig da, fühlt sich das an wie Langeweile oder sogar Depression. Bei zu hohem Adrenalinspiegel aber erlebt man Panik, die manchmal in aggressives Verhalten oder ziellose Überaktivität umschlägt. Optimal ist ein mittlerer Grad, und den strebt der 30 Organismus an. Zuckerman nimmt an, dass Menschen unterschiedlich starke Stimulation suchen, weil bei ihnen die Kommunikation zwischen Adrenalin und Dopamin unterschiedlich arbeitet: sensibel - oder eher stumpf. Wer ein hochgradig aktives Monoamin-System besitzt, in dem die Neurotransmitter nur so sprudeln, ist ganz schnell überstimuliert. Er fühlt sich eigentlich nur in der Badewanne oder beim 35 Fernsehen entspannt, Kabriofahren ist schon fast zu aufregend. Andere dagegen brauchen die volle Dröhnung: Sex and Drugs and Rock'n'Roll. Das sind die Sensation Seeker. Ihr Blut zeigt an, dass eine chronisch zu niedrige Monoamin-Aktivität im Limbischen System stattfindet, ihr Belohnungszentrum scheint unempfindlicher und schlechter erregbar zu sein. Deshalb drängt es sie, dies durch besonders starke Reize, riskante Tätigkeiten und 40 Aufregung zu kompensieren, um wenigstens zeitweise in den Wohlfühlbereich zu kommen. Wenn sie Gefahr wahrnehmen, löst das bei ihnen eine wohlige Kaskade von Empfindungen aus, sie gehen daher Risiken ein, die andere Menschen nur als irre empfinden - was man derzeit wohl auch über die Börse sagen kann.

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Quelle: Wochenende, 07.11.2008

http://www.derwesten.de/nachrichten/nachrichten/waz/wochenende/2008/11/7/news-89045362/detail.html  

Die Droge Risiko von Simone Andersen

Manche Menschen suchen den Kitzel, das Abenteuer. Sie brauchen starke Reize, um sich wohl zu fühlen. Wissenschaftler sprechen von "Stimulations-Suchern" und erforschen die neurochemischen Vorgänge. Eine Ursache der Krise an den Finanzmärkten ist eine zu hohe Risikobereitschaft von Bankern und Börsenhändlern. Manche sehen Zocker am Werk, sprechen von Kasino-Mentalität. Die Krise hat 5 aber nicht nur eine wirtschaftliche, sie hat auch eine psychologische Seite. Bei der psychologischen Erforschung von Risikobereitschaft spielt es eine entscheidende Rolle, ob jemand mögliche Gefahren überhaupt erkennt. Brutal ausgedrückt: Mut kann durchaus ein Zeichen für Dummheit sein. Die Bereitschaft, etwas zu wagen, was auch schief gehen kann, hängt aber noch von weiteren Faktoren ab. 10 Der am meisten diskutierte Forschungsansatz zur Risikobereitschaft stammt von Marvin Zuckerman (Universität Delaware). Er entdeckte einen Zusammenhang zwischen Risikofreude und einer Unterversorgung an bestimmten Neurotransmittern im Gehirn. Die Idee kam ihm, als er unter seinen Testpersonen einen besonderen Typ ausmachte: Personen, die gefährliche Sportarten wie Free Climbing, Tiefseetauchen oder Fallschirmspringen zum Hobby 15 hatten. Diese Leute liebten auch schnelle Autos, hörten gern laute Musik und mochten scharfes Essen - kurz: Sie suchten überall die extreme Stimulation. Zuckerman nannte sie "Sensation Seeker" (Stimulations-Sucher). Bei Sensation Seekern zeigt sich in Blutproben ein auffallend niedriger Spiegel des Enzyms Monoamin-Oxidase (MAO) Typ B. Es regelt das Zusammenspiel der Neurotransmitter 20 Noradrenalin und Dopamin (mit Adrenalin und Serotonin zusammengefasst als Monoamine) in einer tief sitzenden Region des Gehirns, dem Limbischen System. Hier befindet sich das Belohnungszentrum - ein interessantes Grüppchen von Nervenzellen. Werden sie gereizt, kommt Freude auf. Beim Essen, beim Sex, bei Musik und Tanz: für die meisten reicht das für einen angenehmen Kick, aber nicht für alle. 25 Ein bestimmter Pegel an Dopamin muss in den Zellen enthalten sein, damit eine Stimulation als angenehm erlebt wird und der Mensch sich richtig wohl fühlt. Wie viel Adrenalin man dazu braucht, ist unterschiedlich. Ist zu wenig da, fühlt sich das an wie Langeweile oder sogar Depression. Bei zu hohem Adrenalinspiegel aber erlebt man Panik, die manchmal in aggressives Verhalten oder ziellose Überaktivität umschlägt. Optimal ist ein mittlerer Grad, und den strebt der 30 Organismus an. Zuckerman nimmt an, dass Menschen unterschiedlich starke Stimulation suchen, weil bei ihnen die Kommunikation zwischen Adrenalin und Dopamin unterschiedlich arbeitet: sensibel - oder eher stumpf. Wer ein hochgradig aktives Monoamin-System besitzt, in dem die Neurotransmitter nur so sprudeln, ist ganz schnell überstimuliert. Er fühlt sich eigentlich nur in der Badewanne oder beim 35 Fernsehen entspannt, Kabriofahren ist schon fast zu aufregend. Andere dagegen brauchen die volle Dröhnung: Sex and Drugs and Rock'n'Roll. Das sind die Sensation Seeker. Ihr Blut zeigt an, dass eine chronisch zu niedrige Monoamin-Aktivität im Limbischen System stattfindet, ihr Belohnungszentrum scheint unempfindlicher und schlechter erregbar zu sein. Deshalb drängt es sie, dies durch besonders starke Reize, riskante Tätigkeiten und 40 Aufregung zu kompensieren, um wenigstens zeitweise in den Wohlfühlbereich zu kommen. Wenn sie Gefahr wahrnehmen, löst das bei ihnen eine wohlige Kaskade von Empfindungen aus, sie gehen daher Risiken ein, die andere Menschen nur als irre empfinden - was man derzeit wohl auch über die Börse sagen kann.