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Bauwelt 41 | 2009 12 Thema Museum Leuven Bauwelt 41 | 2009 13 Auf dem Bahnhofsvorplatz von Leuven (dt.: Löwen) steht seit 1925 ein heroisches Mahnmal, das an die 248 Opfer vom Au- gust 1914 erinnert, ermordet von deutschen Soldaten, die die Stadt besetzt hielten. Bei den Brandschatzungen wenige Tage später wurde die ehrwürdige, gut zwanzig Kilometer östlich von Brüssel gelegene Universitätsstadt schwer zerstört. Kaum hatte sie sich davon erholt, erfuhr ihr ein Gleiches im Zweiten Weltkrieg. Die Bondgenotenlaan, eine schnurgerade quirlige Magistrale, verbindet den Bahnhof mit der nach den Zerstörun- gen wiederhergestellten Altstadt, und die Türme des berühm- ten Rathauses bilden schon von weitem einen spannungs- reichen point de vue. Kurz bevor man auf das touristische Epizentrum, den Alten Markt mit Dom und Rathaus, trifft, kreuzt schräg die Vanderkelenstraat den Weg. Bürgermeister Leopold Vanderke- len und seine Frau Maria Mertens vermachten 1917 ihr Wohn- haus der Stadt mit der Maßgabe, darin ein Stadtmuseum zu etablieren. Für die umfangreiche, heute etwa 46.000 Objekte umfassende Sammlung wurde das ehemalige Herrenhaus trotz diverser Anbauten bald zu klein. Mit dem im vorigen Monat Neubauten in bestehende Stadtstrukturen einzufügen, gehört zum Kerngeschäft von Architekten, geht aber zu oft über das Arrondieren nicht hinaus. Drei Beispiele für die Aufwertung öffentlichen Raums durch Eigenständigkeit. Der Portikus der Stadtbiblio- thek wurde zum Museumsein- gang, unter dem Plateau liegt das Auditorium. Das Dach soll ebenfalls für Ausstellungen genutzt werden. M für Museum Leuven Mit dem Erweiterungsbau von Stéphane Beel Architecten katapultiert sich das Städtische Museum in neue Sphären. Das künstlerische Erbe Leuvens kann endlich fachgerecht konserviert und einem größeren Publikum präsentiert werden. Im Inneren wird die Stadt weitergewebt. Kritik Nils Ballhausen Fotos Jan Kempenaers eingeweihten Erweiterungsbau hat sich die Ausstellungsflä- che des Museums schlagartig auf 13.500 Quadratmeter vervier- facht. Die Neuerfindung des Hauses, in die die Kommune und die Provinz Flämisch-Brabant rund zwanzig Millionen Euro investiert haben, formuliert kraftvolle Aussagen über Leuvens Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erstens ist dies ein Ort jahrhundertelanger Kunstproduktion von europäischem Rang; zweitens liegt im Schlagschatten Brüssels wirtschaftli- che Potenz; drittens will man im internationalen Museumsbe- trieb deutlicher wahrgenommen werden. Vom Stadtmuseum zum Zimmer in der Stadt Mehr Platz, mehr Präsenz, mehr Publikum – diese Ansprüche verknüpfen sich mit „M“, denn unter diesem Label wird das Museum Leuven nun vermarktet. Zum Glück ist man bei der Wahl des Architekten nicht den PR-Strategen gefolgt, denen ein Name aus dem internationalen Star-Zirkus vielleicht bes- ser gepasst hätte. Stattdessen gewann das in Gent beheimatete Büro von Stéphane Beel 2004 den beschränkten Wettbewerb; Beel gehört noch immer zu den stillen Größen, obwohl seine

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Bauwelt 41 | 200912 Thema Museum Leuven Bauwelt 41 | 2009 13

Auf dem Bahnhofsvorplatz von Leuven (dt.: Löwen) steht seit 1925 ein heroisches Mahnmal, das an die 248 Opfer vom Au-gust 1914 erinnert, ermordet von deutschen Soldaten, die die Stadt besetzt hielten. Bei den Brandschatzungen wenige Tage später wurde die ehrwürdige, gut zwanzig Kilometer östlich von Brüssel gelegene Universitätsstadt schwer zerstört. Kaum hatte sie sich davon erholt, erfuhr ihr ein Gleiches im Zweiten Weltkrieg. Die Bondgenotenlaan, eine schnurgerade quirlige Magistrale, verbindet den Bahnhof mit der nach den Zerstörun-gen wiederhergestellten Altstadt, und die Türme des berühm-ten Rathauses bilden schon von weitem einen spannungs-reichen point de vue.

Kurz bevor man auf das touristische Epizentrum, den Alten Markt mit Dom und Rathaus, trifft, kreuzt schräg die Vanderkelenstraat den Weg. Bürgermeister Leopold Vanderke-len und seine Frau Maria Mertens vermachten 1917 ihr Wohn-haus der Stadt mit der Maßgabe, darin ein Stadtmuseum zu etablieren. Für die umfangreiche, heute etwa 46.000 Objekte umfassende Sammlung wurde das ehemalige Herrenhaus trotz diverser Anbauten bald zu klein. Mit dem im vorigen Monat

Neubauten in bestehende Stadtstrukturen einzufügen, gehört zum Kerngeschäft von Architekten, geht aber zu oft über das Arrondieren nicht hinaus. Drei Beispiele für die Aufwertung öffentlichen Raums durch Eigenständigkeit.

Der Portikus der Stadtbiblio-thek wurde zum Museumsein-gang, unter dem Plateau liegt das Auditorium. Das Dach soll ebenfalls für Ausstellungen genutzt werden.

M für Museum LeuvenMit dem Erweiterungsbau von Stéphane Beel Architecten katapultiert sich das Städtische Museum in neue Sphären. Das künstlerische Erbe Leuvens kann endlich fachgerecht konserviert und einem größeren Publikum präsentiert werden. Im Inneren wird die Stadt weitergewebt.

Kritik Nils Ballhausen Fotos Jan Kempenaers

eingeweihten Erweiterungsbau hat sich die Ausstellungsflä-che des Museums schlagartig auf 13.500 Quadratmeter vervier-facht. Die Neuerfindung des Hauses, in die die Kommune und die Provinz Flämisch-Brabant rund zwanzig Millionen Euro investiert haben, formuliert kraftvolle Aussagen über Leuvens Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erstens ist dies ein Ort jahrhundertelanger Kunstproduktion von europäischem Rang; zweitens liegt im Schlagschatten Brüssels wirtschaftli-che Potenz; drittens will man im internationalen Museumsbe-trieb deutlicher wahrgenommen werden.

Vom Stadtmuseum zum Zimmer in der StadtMehr Platz, mehr Präsenz, mehr Publikum – diese Ansprüche verknüpfen sich mit „M“, denn unter diesem Label wird das Museum Leuven nun vermarktet. Zum Glück ist man bei der Wahl des Architekten nicht den PR-Strategen gefolgt, denen ein Name aus dem internationalen Star-Zirkus vielleicht bes-ser gepasst hätte. Stattdessen gewann das in Gent beheimatete Büro von Stéphane Beel 2004 den beschränkten Wettbewerb; Beel gehört noch immer zu den stillen Größen, obwohl seine

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Bauwelt 41 | 200914 Thema Museum Leuven Bauwelt 41 | 2009 15

Das nüchtern gestaltete Ein-gangsgeschoss vollzieht das Geländegefälle von 1,50 Me-tern nach, die notwendigen Höhenversprünge unterteilen

sensiblen Museumsbauten seit langem über Belgien hinaus Beachtung finden (Heft 2.2000). „Zuerst war ich entsetzt“, erin-nert sich die Konservatorin Veronique Vandekerchove an den Plan des Architekten, die Erweiterungsbauten aus der Zwi-schenkriegszeit abzureißen. Schließlich seien das die einzigen Räume gewesen, die man überhaupt für Ausstellungen habe nutzen können. Das unter Denkmalschutz stehende Vander-kelen-Wohnhaus war selbst mehr Exponat als Schauraum. Doch da die benachbarte Stadtbibliothek umzog und ein Ge-bäude hinterließ, das sich für Ausstellungen kaum eignete, bot sich die Gelegenheit, den gesamten Blockraum tiefgreifend um-zugestalten. Der Architekt nennt sein Konzept „ein Stadtzim-mer mit Mobiliar“; damit sind die Baukörper gemeint, die um den Museumsgarten herum einen neuen, informellen öffent-lichen Raum bilden: das nun frei gestellte Herrenhaus als insti-tutioneller Nukleus, die östlich anschließende einstige Kunst-akademie und dazu zwei Neubauten als Verbindungsstücke.

Der Portikus ist alles, was von der Stadtbibliothek, Bau-jahr 1937, geblieben ist. Stéphane Beel hat ihn als erhabenes Signet in das neue Ensemble collagiert, darauf anspielend, dass

Museumsstandorte in Touristen-Stadtplänen zumeist mit ei-nem Portikus-Logo markiert werden. Über so viel Plakativität könnte man die Nase rümpfen, wäre der dahinter entstandene Raum nicht so meisterhaft gelungen. Denn nach dem Durch-schreiten der Säulenreihe finden sich die Besucher auf einem sanft abwärts zum eigentlichen Eingang hin geneigten Vor-platz wieder, der von dem weit auskragenden Obergeschoss-flügel überdacht wird. In diesem hervorragend proportionier-ten Zwischenraum sammeln sich fast intuitiv die Besucher-gruppen, von hier aus können sie auf das Plateau hinaufsteigen oder weiter in den rückwärtigen Museumsgarten gelangen – all dies noch ohne Eintrittskarte. Der „osmotischen Wirkung dieses Ortes“ (Beel) kann man sich schwer entziehen, so nied-rig ist seine Schwelle gehalten und so attraktiv sind die Durch-blicke organisiert, die sich von der Straße aus bieten.

Wie ein SchwammDas Portal an der Savoyestraat, durch das man früher zum Haupteingang der Villa gelangte, blieb als Zugang erhalten, al-lerdings nur noch in den Museumsgarten, um die Durchque-

die Fläche in Foyer, Kasse, Shop und Café. Linke Seite: der Vorplatz hinter dem Por-tikus, der vom Neubau nicht touchiert wird.

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Bauwelt 41 | 200916 Thema Museum Leuven Bauwelt 41 | 2009 17

Die Axonometrien zeigen den abgerissenen Bestand (oben, gestrichelt), die Neuordnung des Ortes durch zwei neue Baukörper (Mitte) und die er- forderlichen Additionen für das „Sehen und Gesehen wer- den“.

Grundrisse im Maßstab 1:750

1 Haupteingang 2 Foyer 3 Shop 4 Café 5 Antichambre 6 Auditorium 7 Kinderatelier 8 Patio 9 Technik10 öffentliche Plattform11 Ausstellung12 Bibliothek13 Verwaltung14 Workshop15 Dachterrasse

ArchitektenStéphane Beel Architecten, Gent

ProjektleiterRaf De Preter

MitarbeiterBert Bultereys, Charlotte Vandamme, Maarten Baeye, Patricia Ferreira De Sousa, Vasco Correia, Deborah BaillyChristopher Paesbrugghe, Stijn Poelmans, Bruno Ver-meersch, Bert Joostens, Peter Vanderhoydonck

TragwerksplanungMarcel Lavreysen, Heverlee

HaustechnikRCR-Studiebureau, Herent

GeneralunternehmerCEI-Demeyer, Brüssel

BauherrAutonoom Gemeentebedrijf Leuven

Herstellerindexwww.bauwelt.de/hersteller-index

Ebene -1

1Vanderkelenstraat

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Das Verbindungsstück zwi-schen Villa und Akademie-bau; die Loggia gehört zum Atelier für Gastkünstler.

rung des Geländes zu ermöglichen; die Verwaltung im ehema-ligen Akademiegebäude hat ihren eigenen Eingang, einen eigenen haben auch die Gastkünstler, die ihre Ateliers über die etwas heruntergekommene Sackgasse Hanengang erreichen, wobei sie, nolens volens, an einer Bierkneipe namens „The Seven Oaks“ vorbeikommen. So ist das vielgestaltige Muse-umsquartier nicht zuletzt dank seiner hierarchisch – und vor allem atmosphärisch – gegliederten Zugänge in seine Nach-barschaft eingebunden und strahlt in sie aus. Ein Schwamm hat schließlich auch keine Rückseite.

Mit der Freilegung der beiden alten und der passgenauen Einfügung der zwei neuen Gebäude entstand ein Geflecht voll-kommen heterogener Raumangebote, das auf den ersten Blick verwirrt. Hier die parkettknarzenden Kabinette des 19. Jahr-hunderts, dort die lichten ehemaligen Ateliers mit großzügi-gen Nordfenstern. Wie behält man angesichts derart unter-schiedlicher Bauten die Orientierung? Die travertinverkleide-ten Passstücke leisten die Vertikalerschließung und vermitteln horizontal zwischen den verschiedenen Niveaus, was relativ viel Fläche raubt. Verglaste Brücken verbinden Alt- und Neu-

bau, unterbinden jedoch auch das Raumkontinuum. Immer wieder können sich die Besucher durch gelenkte Ausblicke in den Museumsgarten den eigenen Standort vergegenwärtigen. Man bewegt sich im Inneren ähnlich wie in einer Stadt, der richtige Weg will gefunden werden, und wie könnte man sich besser orientieren als anhand der ausgestellten Kunstwerke?

Den Kuratoren ist diese Mischung unterschiedlicher Ty-po logien höchst willkommen. Beels Konzept, der horizontale Schnitt durch die Zeiten, bietet ihnen die Möglichkeit, die Ex-ponate mal im Kontrast, mal im Zusammenspiel mit der je-weiligen Architektur zu präsentieren, auch sind die Epochen nicht an bestimmte Bauteile gebunden. Die Flexibilität und die abschnittsweise Nutzung der Flächen spielen heute im Betrieb eines Museums eine immer größere Rolle. Drei Wechselaus-stellungen will das Museum Leuven künftig pro Jahr zeigen, und nicht alle werden solche Zugnummern sein wie die über Meister Rogier van der Weyden (bis 6. Dezember). Stéphane Beel versteht seine fast archäologische Ausbreitung von Räu-men als eine Metapher für das Stadtgewebe, das mit Neugier und wachen Augen durchwandert sein will.

Den Museumsgarten kann man durchqueren, auch ohne das Museum zu betreten. Der „Antichambre“ genannte Bereich im Eingangsgeschoss dient zur inhaltlichen Ein-stimmung der Besucher. Das „Belvedere“ an der Savoye- straat richtet die Blicke auf wichtige Bauten der Stadt.