MACH’S NOCH EINMAL, CHARLIE! - … · 8 9. F AMILIENBANDENKRIEGE 286 STAND BY ME – DAS...

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100 FILME FÜR KINOFANS (UND ALLE, DIE ES WERDEN WOLLEN) M A CH’ S NOCH E I NMA L, C H A R LIE! THOMAS BINOTTO bloomsbury k&j Taschenbuch THOMAS BINOTTO macht jungen Kinofans Lust auf 100 absolut sehenswerte Filme. Er verrät zahllose Geschichten, die sich dahin- ter verstecken, und erzählt von technischen Kniffen, lustigen Pan- nen und schillernden Kinokünstlern. Für die vorliegende, erwei- terte Ausgabe konnte er zudem zehn deutsche Filmschaffende ausführlich über ihre Arbeit befragen. Die Interviews (anzu- schauen auch unter www.vierundzwanzig.de, dem Filmportal der Deutschen Filmakademie) bieten einen spannenden Blick hinter die Kulissen. Thomas Binotto ist Journalist und Buchautor. Seit er zuhören kann, ist er geschichtensüchtig. Und weil er als Sechsjähriger im Kino THE KID von Charlie Chaplin gesehen hat, ist er auch noch kinosüchtig geworden. Er arbeitet deshalb als Filmkritiker für die NZZ, den filmdienst u. a. Er hat vier Kinder im kinofähigen Alter und lebt in Schaffhausen, Schweiz.

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100 FILME FÜR KINOFANS

(UND ALLE, DIE ES WERDEN WOLLEN)

MACH’S NOCH EINMAL,CHARLIE!

THOMAS BINOTTO

bloomsbury k&j Taschenbuch

T H OMAS B I N OT TO macht jungen Kinofans Lust auf 100 absolut sehenswerte Filme. Er verrät zahllose Geschichten, die sich dahin-ter verstecken, und erzählt von technischen Kniffen, lustigen Pan-nen und schillernden Kinokünstlern. Für die vorliegende, erwei-terte Ausgabe konnte er zudem zehn deutsche Filmschaf fende ausführlich über ihre Arbeit befragen. Die Interviews (anzu-schauen auch unter www.vierundzwanzig.de, dem Filmportal der Deutschen Filmakademie) bieten einen spannenden Blick hinter die Kulissen.

Thomas Binotto ist Journalist und Buchautor. Seit er zuhören kann, ist er geschichtensüchtig. Und weil er als Sechsjähriger im Kino THE KI D von Charlie Chaplin gesehen hat, ist er auch noch kinosüchtig geworden. Er arbeitet deshalb als Filmkritiker für die NZZ, den fi lmdienst u. a. Er hat vier Kinder im kinofähigen Alter und lebt in Schaffhausen, Schweiz.

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INHALT

VORWORT von Michael Ballhaus 7

VORSPANN 11

PROGRAMM

1. STUMM WAR DAS KINO NIE 1 4 G O L D R AU S C H von Charles Chaplin 18 AUSG ERECHNE T WO LKENKRATZER mit Harold Lloyd 21 D ER G ENERAL von Buster Keaton 23 KLAMOT TEN -

KI S TE – Slapstick-Kurzfi lme 25 D I E R E I S E ZU M MO N D von Georges Méliès 29 PANZERKRE UZER POTEMKI N von Sergej M. Eisenstein 31 M E T RO P O LI S von Fritz Lang 33 FAUS T – EI NE D E U TSCHE

VO LKSSAG E von Friedrich W. Murnau 36 Interview mit TOM

T YK WER, Regie 42

2. AUSGETRICKST 46 D I E A B E N T E U E R D E S P R I N Z E N AC H M E D von Lotte Reiniger 50 WA L L AC E U N D G ROMI T – AU F D E R JAG D NAC H

D EM RI ESENKAN I N CHEN von Nick Park 53 TOY S TO RY 2 von John Lasseter 56 DAS DSC H U N G E L B U CH von Wolfgang Reitherman 59

D O NA L D IM WA N D E L D E R Z E I T Zeichentrick-Kurzfi lm 62 DAS WAND ELND E SCHLOSS von Hayao Miyazaki 63 T IM B URTO N ’ S

N I G H T M A R E B EF O R E C H R I S T M A S von Henry Selick 65 LI ED D ER

PRÄRI E von Jiríˇ Trnka 68 DAS G ROSSE RENNEN VO N B ELLE VI LLE von Sylvain Chomet 71 Interview mit TH I LO G RAF ROTHKI RCH, Anima tionsfi lm 74

Februar 2009

© 2007 Berlin Verlag GmbH, Berlin

Bloomsbury Kinderbücher & Jugendbücher

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: e27, Berlin,

unter Verwendung einer Fotografi e von

Charlie Chaplin aus dem Film

T H E G O L D RUS H von © Sunset Boulevard / Corbis

Typografi e, Gestaltung und Satz: Manja Hellpap, Berlin

Gesetzt aus Granjon und Bulldog

Druck und Bindung: ggp Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany 2009

ISBN : 978-3-8333-5029-0

www.berlinverlage.de

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3. PASS DOCH AUF! 78 G EG E N D I E Z E I T von John Bad-ham 82 LO L A R E N N T von Tom Tykwer 85 D E R E I N Z I G E

Z E U G E von Peter Weir 87 MO R D IM O RI EN T- E X P R E SS von Sidney Lumet 91 MO RDSAC HE DÜNNER MANN von W. S. van Dyke 94

I N S I D E MAN von Spike Lee 96 CHARAD E von Stanley Donen 98 DAS HAUS I N D ER CARRO LL S TREE T von Peter Yates 100

A R S E N U N D S P I T Z E N H Ä U B C H E N von Frank Capra 104 D UELL von Steven Spielberg 106 D E R U N S I C H T BA R E D RI T T E von Alfred Hitchcock 109 D I E 39 S TUFEN von Alfred Hitchcock 113 Interview mit C LAUD I A FRÖHLI CH, Schnitt 116

4. ZUM SCHREIEN KOMISCH 120 D I E MARX B ROT HER S

I N D ER O P ER von Sam Wood 122 I N D E R H Ö L L E I S T D E R T E U F E L LOS von H. C. Potter 124 D I E S I T T E N S TRO LC H E von Hal Roach 127

S E I N O D E R N I C H T S E I N von Ernst Lubitsch 129 D I E FERI EN D E S

HERRN HULOT von Jacques Tati 133 D I E TO LLKÜHNEN MÄNNER I N

I HREN FLI EG END EN KIS TEN von Ken Annakin 136 KÄPTEN B LACK-

B E ARDS S P UKKASCHEMME von Robert Stevenson 138 D ER ROSA -

ROT E PAN T H E R K E H RT ZU R Ü C K von Blake Edwards 140 D I E AB EN -

TE UER D E S RAB B I JACO B von Gérard Oury 143 I S ’ WAS D O C ? von Peter Bogdanovich 145 Interview mit DAN I EL B RÜHL, Schau-spiel 148

5. HART AM WIND 152 D ER ROTE KO R SAR von Robert Siod-mak 154 FLU CH D ER KARI B I K von Gore Verbinski 157 D I E

A B E N T E U E R D E S RO B I N H OO D von Michael Curtiz 157 D I E MASKE

D E S ZO RRO von Martin Campbell 161 D I E D REI MUSKE TI ERE von Richard Lester 163 MUSKE TI ER MI T H I EB UND S T I CH von Jean-Paul Rappeneau 166 FANFAN , D ER HUSAR von Christian-Jaque 169

I ND I A NA J O N E S U N D D E R L E T Z T E K R E U ZZU G von Steven Spielberg 171 A F R I C A N Q U E E N von John Huston 175 20 000 MEI LEN

U N T E R D E M M E E R von Richard Fleischer 179 SOS F E U E R A N B O R D von Howard Hawks 180 Interview mit L I S Y C H R I S T L, Kostüm-bild 184

6. EINFACH MÄRCHENHAFT 188 D I E B RAU T D E S PRI N -

ZEN von Rob Reiner 190 D REI HASELNÜSSE FÜR ASCHENB RÖD EL von Václav Vorlícek 194 S TURM I N D EN WEI D EN von Terry Jones 197

MI L L I O N S von Danny Boyle 198 MR . D EEDS G EHT I N D I E

S TADT von Frank Capra 200 L Ö W E N AUS Z W E I T E R H A N D von Tim McCanlies 204 M E I N E F R AU , D I E H E X E von René Clair 207 D I E G E H E IM N I S VO L L E MI N U SCH von Vincent Bal 210 D ER G EHEIME

GARTEN von Agnieszka Holland 212 D ER D I EB VO N BAGDAD von Michael Powell 214 KRIEG DER STERNE von George Lucas 217 Interview mit S U SA N N B I E L I N G, Szenenbild 220

7. T I ER ISCH GUT DRAUF 2 2 4 L A SS I E S H E I M W E H von Fred McLeod Wilcox 227 E I N SC H W E I N C H E N NA M E N S BAB E von Chris Noonan 229 S E A B I SC U I T von Gary Ross 231 AMY UND

D I E W I L D G Ä N S E von Carroll Ballard 235 R E N N SC H W E I N RUD I R Ü SS E L von Peter Timm 238 MÄUSEJAGD von Gore Verbinski 239 MO BY D I CK von John Huston 240 D I E H Ö H L E D E S G E L B E N H U N D E S von Byambasuren Davaa 244 Z A Ï NA – K Ö N I G I N D E R P F E R D E von Bourlem Guerdjou 247 MI KRO KOSMOS – DAS VO LK D ER G RÄSER von Claude Nuridsany, Marie Péren nou 250 Interview mit ULRI CH LIMMER, Drehbuch 252

8. SUPER IN FORM 256 L I E B E SG R Ü SS E AUS MOS K AU von Terence Young 258 FAN TOMAS von André Hunebelle 259 AB ENTE UER I N RI O von Philippe de Broca 262 TARZ AN , D ER AFFEN -

M E N SCH von W. S. van Dyke 264 P I P P I L A N GS T RU M P F von Olle Hellbom 268 S P I D ER-MAN von Sam Raimi 270 T I G E R & D RA -

G O N von Ang Lee 274 T H E MI G HT Y von Peter Chelsom 277 D I E U N G LAUB LI C H E N von Brad Bird 278 Interview mit D EN I S

B EHNKE, Visuelle Effekte 282

8

9. FAMILIENBANDENKRIEGE 286 S TAND BY ME – DAS

G E H E IM N I S E I N E S SOM M E R S von Rob Reiner 289 NACH FÜNF IM

URWALD von Hans-Christian Schmid 291 JENSEITS D ER S T I LLE von Caroline Link 294 D I E F LU C H T I N S U N G E W I SSE von Sidney Lumet 297 … D E N N S I E W I SS E N N I C H T, WAS S I E T U N von Nicholas Ray 300 WAS NÜTZT D I E LI EB E I N G EDANKEN von Achim von Bor-ries 303 D E R E I SS T U R M von Ang Lee 305 RAUS AUS AMAL von Lukas Moodysson 308 MEI N VATER , D ER HELD von Gérard Lau-zier 310 JE UNE H OMME von Christoph Schaub 313 Inter-view mit JAKO B CLAUSSEN, Produktion 316

10. HINTER DEN KULISSEN 320 D I E A M E R I K A N I S C H E

NAC HT von François Truffaut 323 B O U L E VA R D D E R D Ä M M E RU N G

von Billy Wilder 326 EI N I RRER T YP von Claude Zidi 329 JAGT D E N F U C H S ! von Vittorio de Sica 333 B OW F I N G E R S G ROSS E

NUM MER von Frank Oz 334 DAS F E N S T E R ZU M H O F von Alfred Hitchcock 336 T H E P U R P L E ROS E O F C A I RO von Woody Allen 339

JACK ALLEI N IM SERI EN WAHN von Tom Mankiewicz 341 D I E TRUMAN S H OW von Peter Weir 343 S I L E N T MOV I E von Mel Brooks 346 Interview mit B ENED I C T NE UENFELS, Kamera / Bild-gestaltung 350

ABSPANN 354

Dank 354 Bildnachweis 356

Filmregister 357

Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich mit achtzehn Jahren zum ersten Mal in einem Filmstudio stand. Der berühmte Regis-seur Max Ophüls drehte damals gerade LO LA MO NTEZ, und ich durfte bei der Arbeit zu einer spektakulären Zirkusszene hinter die Kulissen schauen. Ich war damals bereits ein leidenschaftlicher Fotograf. Aber jetzt war klar: Ich wollte Kameramann, genauer Bildregisseur werden.

Später wurde mein Traum Wirklichkeit, und ich durfte mit berühmten Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Martin Scorsese, Mike Nichols und Francis Ford Coppola drehen. Die Leidenschaft für das Kino ist in all den Jahren nie kleiner gewor-den – im Gegenteil.

Wenn man etwas so sehr liebt wie ich das Kino, will man andere daran teilhaben lassen. Deshalb habe ich vor vielen Jahren begonnen, meine Erfahrung und mein Wissen jungen Menschen an Filmhochschulen weiterzugeben. Das macht mir bis zum heu-tigen Tag großen Spaß und hält mich selbst jung. Leidenschaft für das Kino kommt auch in diesem Buch von Thomas Binotto zum Ausdruck, das uns am Beispiel von hundert Filmen ins Kino, seine Geschichte, seine Gestaltung und seine Technik einführt.

VORWORT

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Ich bin geschichtensüchtig. Wahrscheinlich, seit ich zuhören kann. Als Grundschüler habe ich deshalb Opern- und Schauspielführer gelesen. Nicht etwa weil ich Sänger oder Schauspieler werden wollte, sondern weil ich durch die kurzen Handlungsangaben in Windeseile mit unzähligen spannenden Geschichten versorgt wurde.

Ich war etwa sechs Jahre alt, als mich mein Vater zum ersten Mal mit ins Kino genommen hat. Dank Charlie Chaplin und T H E

KI D bin ich dann auch noch kinosüchtig geworden. Meine Eltern haben glücklicherweise nichts unternommen, um diese Begeiste-rung einzudämmen. Im Gegenteil, weil mein Vater Filmkunde unterrichtet hat und seine Schule über ein hauseigenes Kino verfügte, habe ich unzählige Klassiker schon früh im Kino gese-hen – und mich manchmal auch heimlich in den dunklen Saal geschlichen.

Irgendwann bin ich dann dahintergekommen, dass das Kino nicht nur Geschichten in Hülle und Fülle bietet, sondern auch Geschichte(n) schreibt. Und so habe ich begonnen, über Filme zu lesen. Darüber, wie sie gemacht werden und was sich die Filme-macher dabei gedacht haben. Das war fast ebenso spannend, wie

VOR SPAN NIch kenne Thomas schon lange und habe mit ihm und Tom Tyk-wer zusammen ein Interview-Buch über meine eigene Karriere geschrieben: »Das fl iegende Auge.« Auch Thomas will Menschen mit seiner Begeisterung fürs Kino anstecken. Und mit diesem spannenden Buch ist ihm das auf wunderbare Weise gelungen. Selbst ich habe darin neue Dinge entdeckt.

Auch als Vorstandsmitglied der »Deutschen Filmakademie« ist es mir ein Anliegen, junge Menschen fürs Kino zu gewinnen. Mit dem Kino eröffnen sich uns immer wieder neue Welten, viel-leicht sogar Berufswelten. Tolles Kino braucht junge Menschen, die sich ihm mit Haut und Haaren verschreiben.

In dieser Taschenbuchausgabe sind den hundert Filmen des-halb zehn Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern verschie-dener Filmberufe hinzugefügt. Und wer Lust hat, kann sich auf www.vierundzwanzig.de die gefi lmten Fassungen ansehen. Ich bin meinen Kolleginnen und Kollegen – alle Mitglieder der Deut-schen Filmakademie – dankbar, dass sie einen Eindruck ihres Berufes vermitteln und damit hoffentlich neben der Leidenschaft fürs Kino auch die Leidenschaft fürs Kino-Machen wecken.

MI CHAEL BALLHAUS

Vorstandsmitglied der Deutschen Filmakademie

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im Kino zu sitzen. Noch immer gehört das lange Interview, das der französische Regisseur François Truffaut mit Alfred Hitch-cock geführt hat, zu meinen Lieblingsbüchern. Jedes Mal, wenn ich in »Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht« nachschlage, bleibe ich viel länger hängen, als eigentlich geplant war.

Und schließlich habe ich angefangen, über das Kino zu schrei-ben. Es scheint ganz, als ob ich mit allen Mitteln das Kino-Virus verbreiten möchte, mit dem mich einst mein Vater angesteckt hat.

Dieses Buch soll deshalb ein Film-Verführer sein. Die Gelegenheit dazu ist günstig, denn dank des rasant wachsenden DVD-Markts gibt es heute viel zu sehen, was lange nur einem ausgewählten Publikum vorbehalten war. Ich habe ausschließlich Filme ausge-wählt, die auf DVD erhältlich sind, damit Eure Neugierde nicht nur geweckt, sondern auch gestillt werden kann. Lediglich zwei Mal habe ich diese Regel durchbrochen: Im Falle von A B E N T E U E R

I N RI O bin ich mir sicher, dass die Lücke bald geschlossen wird. Bei I N D E R H Ö L L E I S T D E R T E U F E L LOS scheint eine DVD in weiter Ferne, aber dieser Film musste einfach ins Buch.

In diesem Buch habe ich für Euch nicht die 100 besten und auch nicht die 100 wichtigsten Filme zusammengetragen, die je entstanden sind. Es sind nicht einmal jene 100, die mir am besten gefallen. Deshalb gleich vorneweg mein Eingeständnis: Ich konnte nur einen Bruchteil von dem aufnehmen, was das Kino zu bieten hat, und über meine Auswahl lässt sich selbstverständlich stun-denlang streiten.

Dennoch bin ich davon überzeugt, dass »meine« 100 Filme und ihre Geschichten es wert sind, dass Ihr Euch ihnen widmet. Ich kann Euch nämlich immerhin garantieren, dass Ihr mit diesem Buch und all den Kinoabenden, die sich daraus ergeben, nicht nur Eure Geschichtensucht befriedigen könnt, sondern nebenbei eine ganze Menge an Filmgeschichte(n) mitkriegen werdet.

Eine Botschaft an die lieben Eltern:

Obwohl Sie die Lektüre dieses Buches wahrscheinlich ohne wei-teres gestatten werden, muss ich Sie warnen: Die Folgen dürften nicht spurlos an Ihnen vorübergehen. Spätestens beim Gang ins Kino oder beim Einlegen einer DVD werden Sie nämlich Ihr Mit-bestimmungsrecht einfordern. Deshalb ist zu jedem Film, sofern vorhanden, die Altersfreigabe der FSK angegeben. Diese leistet als Richtlinie gute Dienste – aber ein absoluter Wert ist sie nicht. Einige Bewertungen sind nämlich so alt, dass sie längst überholt werden müssten. Filme, die vor fünfzig Jahren erst ab sechzehn Jahren freigegeben waren, würden heute mit Sicherheit ab zwölf oder sogar bereits ab sechs Jahren gestattet. Wenn Filme für die DVD neu bewertet werden, geschieht manchmal genau dies: FANFAN , D ER HUSAR und SOS F E U E R A N B O R D beispielsweise durfte man im Kino erst ab sechzehn Jahren sehen, die DVD ist schon ab sechs Jahren frei. Ich empfehle in diesem Buch deshalb auch einige Filme, die erst ab sechzehn freigegeben wurden, die ich aber meinem dreizehnjäh rigen Sohn dennoch zumuten würde. Ebenso habe ich Filme ausgewählt, bei denen auf der Hülle zwar FSK 6

steht, die ich meinen Töchtern in diesem Alter aber niemals zeigen würde.

Kurz und gut: Kinder und Jugendliche haben keine einheit-lichen Empfi ndlichkeiten – sie sind alle Individuen und so gesehen Spezialfälle. Altersempfehlungen allein können nicht garantieren, dass sie nur Bekömmliches zu sehen kriegen. Deshalb dürften fl exible und verantwortungsvolle Erwachsene ganz nützlich sein – erst recht, wenn sie sich zum Mitschauen verführen lassen.

Superhelden

258 259 Superhelden

Der langlebigste Superheld der Kinogeschichte ist Brite: Seit über vierzig Jahren rettet er die Welt – sportlich, cool, unwidersteh-lich. James Bond, Agent 007 im Geheimdienst Ihrer Majestät, ist unverwüstlich. Diese immerwährende Sportlichkeit hat bislang sechs Schauspieler verbraucht: Sean Connery, der coole Bond; Roger Moore, der selbstironische; Pierce Brosnan, der geschmei-dige; die eher drögen Intermezzi George Lazenby und Timothy Dalton; und nun Daniel Craig als »der Neue«.

Den unterschiedlichen Darstellern zum Trotz ähneln sich die Abenteuer wie ein Ei dem anderen, nur das Dekor bietet Abwechs-lung. Stets wird der Weltfrieden von neuem durch einen unbegreif-lich mächtigen Bösewicht bedroht, dem nur Bond das Handwerk legen kann. Dafür durchstreift 007 den ganzen schönen Globus auf der Suche nach spektakulären Kulissen, hübschen Girls, fi esen Schurken und raffi niertem technischem Spielzeug.

Bis in die Details erhalten wir jeweils dasselbe Menü serviert: Routinemäßig bestellt Bond einen Martini geschüttelt, nicht gerührt; fl irtet er mit der Sekretärin des Chefs, Miss Moneypenny; röhren die Motoren zur Autoverfolgungsjagd; präsentiert Q seine Technikbasteleien; räkeln sich weibliche Silhouetten im Vor-

spann – und jedes Mal fällt unweigerlich der Satz: »Mein Name ist Bond, James Bond.«

Die Abenteuer von Agent 007 sind im Grunde weder span-nend noch überraschend. Und genau das ist ihr Erfolgsrezept. Bei Bond weiß man, worauf man sich freuen darf. Die Nerven wer-den lediglich durch die Variation des ewig Gleichen gekitzelt. Ob sich Bond aus den misslichsten Situationen befreien kann, ist keine Frage; gespannt darf man aber sein, wie er das anstellt. Dass er uns unmögliche Stunts bietet, davon gehen wir aus, von der Ausfüh-rung dagegen lassen wir uns bereitwillig überraschen.

Mit Bond ist es wie mit allen guten Geschichten: Wir wollen sie immer und immer wieder hören. Und wehe, es wagt jemand, leichtsinnig eines dieser köstlichen Details wegzulassen. Es ist also eigentlich egal, auf welches Bond-Abenteuer wir uns einlas-sen. Das erste Abenteuer JA M E S B O N D – 0 0 7 JAGT D R . N O ist noch sehr brav und ernst. S T I RB AN EI NEM AND EREN TAG und LIZENZ ZUM TÖTEN sind übertrieben brutal und insgesamt misslungen. Der große Rest dagegen eine sichere Bank.

In seinem zweiten Abenteuer L I E B E SG R Ü SS E AUS MOS K AU wird James Bond nach Istanbul geschickt, um der Russin Tatiana Romanova zur Flucht zu verhelfen und bei dieser Gelegenheit die sagenhafte russische Dechiffriermaschine »Lektor« zu ergattern. Noch ahnt Bond nicht, dass die mächtige Verbrecherorganisation »Phantom« eine Falle ausgeheckt hat. Und schon geht eine wilde Jagd los, die erst in Venedig endet.

Eigentlich war FAN TOMAS als die französische Antwort auf den Briten James Bond gedacht. Star sollte der Schauspieler Jean Marais sein, der in den 1950er Jahren ein populärer französischer Actionheld gewesen war, dessen Stern aber allmählich zu verblas-sen drohte. Kein Wunder, immerhin war der »jugendliche« Held inzwischen bereits über fünfzig Jahre alt. Trotzdem wurde ihm

SUPER IN FORM

260 261 Superhelden

noch einmal eine attraktive Doppelrolle auf den Leib geschrieben. Diesmal durfte er gleich beides spielen: den Superschurken Fan-tomas und dessen Gegenspieler, den Superjournalisten Fandor. In einem Katz-und-Maus-Spiel sollte sich Marais durch die irrwit-zigsten Abenteuer turnen, ein Metier, das in Frankreich mittler-weile jedoch von Jean-Paul Belmondo beherrscht wurde.

Obwohl die Zeiger für Marais mindestens schon auf fünf nach zwölf standen, ging die Rechnung auf, und FAN TOMAS fei-erte riesige Erfolge, so dass daraus am Ende sogar eine Trilogie wurde. Der eigentliche Star der Serie war freilich nicht Marais, wie ursprünglich geplant, sondern ein zappeliger Giftzwerg mit seinen Grimassen: Louis de Funès. Als trotteliger Inspektor Juve war er ursprünglich nur für die witzigen Einlagen zwischen den spektakulären Actionszenen vorgesehen. Mit seiner Komik stahl de Funès dann aber Marais sehr schnell die Show, und aus FAN -

TOM AS wurde mehr und mehr eine Slapstick-Action-Komödie. Im Laufe der drei Filme spielte sich Kommissar Juve in die erste Reihe, während Fandor zur sportlichen, aber auch faden Begleit-erscheinung zurückgestuft wurde.

FAN TOMAS ist nicht nur deshalb ein Vergnügen, weil man hier zuschauen kann, wie ein neuer Star geboren wird. Ebenso attrak-tiv ist Fantomas, der Superschurke, der all das kann, was sonst den Helden vorbehalten bleibt: Superbegabt und superklug ist er; er weiß auf alles blitzschnell eine Antwort; bleibt stets ruhig und gelassen und ist ein Meister der Verkleidung.

Ein »guter« Schurke also. Und solche sind wichtig, wenn der Kampf zwischen Gut und Böse spannend sein soll. Je raffi nierter, verwegener, einfallsreicher der Schurke ist, desto großartiger steht der Held da, der ihn besiegt. Und im Übrigen haben wir es den Bösewichten zu verdanken, dass wir im Kino all jene Dinge mit anstellen dürfen, die im realen Leben streng verboten sind.

L I E B E SG R Ü SS E AUS MOS K AU in einem Satz: Eine Verbrecher- organisation will den britischen und den russischen Geheimdienst gegeneinander ausspielen, wird aber von James Bond und dem bildhübschen Lockvogel Tatiana Romanova eiskalt ausgekontert.

L I E B E SG R Ü SS E AUS MOS K AU (From Russia with Love). Großbritannien 1963. Regie: Terence Young. Besetzung: Sean Connery, Daniela Bianchi, Pedro Armendariz, Lotte Lenya, Bernard Lee, Robert Shaw u. a. 111 Minuten. FSK 12. DVD: MGM

Wem ein Film nicht genügt: D E R S P I O N , D ER MI C H LI EB TE Großbritannien 1977. Regie: Lewis Gilbert (FSK 12)G O L D F I N G E R Großbritannien 1964. Regie: Guy Hamilton (FSK 16) 00

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Liebesgrüßeaus MoskauKurzinformation

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Es gibt einige ganz unauffällige Superhelden, die eigentlich nur über eine besondere Fähigkeit verfügen: von einem Abenteuer ins nächste zu stolpern. Die Comicfi gur Tim des Belgiers Hergé gehört dazu. Eigentlich ist Tim ein farbloses Milchgesicht, das uns dennoch begeistert, weil es reihenweise haarsträubende Abenteu-er erlebt, ohne dabei selbst je Schaden zu nehmen. Und weil Tim ein Junge ohne Eigenschaften ist, kann sich jeder von uns in ihn hineinversetzen – sogar Mädchen.

Bis heute gibt es keine überzeugende Verfi lmung der Abenteu-er von Tim mit realen Schauspielern. Das überrascht nicht, denn jeder, dem Tims Haartolle verpasst wird, sieht damit unweigerlich lächerlich aus. Trotzdem haben viele Regisseure davon geträumt, der bekannteste darunter ist Steven Spielberg. Der Franzose Philippe de Broca ist der Verwirklichung des Traumes immerhin ziemlich nahe gekommen – wenn auch auf eigenwillige Weise.

A B E N T E U E R I N R I O hat mit den Comics von Hergé vordergründig rein gar nichts zu tun. Weder Tim noch Struppi kommen darin

vor, und schon gar keine Bienleins und Haddocks. Dafür ist es de Broca gelungen, das Wesentliche aus Tims Abenteuer zu über-nehmen: Adrien Dufourquet ist ein unscheinbarer kleiner Soldat, der für acht Tage nach Hause in Urlaub darf. Kaum ist er in Paris angekommen, wird vor seinen Augen die Verlobte entführt. Von nun an ist Adrien nur noch auf Verfolgungsjagd. Bis in den süd-amerikanischen Urwald geht die Hatz, wenn nötig auf dem Rad oder schwimmend. Adrien ist nicht besonders clever und kann sich nicht auf übermenschliche Kräfte verlassen. Seine einzige Stärke besteht darin, dass er nie aufgibt. Wir interessieren uns für ihn lediglich deshalb, weil er von einem Abenteuer ins nächste stolpert. Voilà: Der eine heißt Adrien, der andere Tim – und sie könnten abgesehen von ihrer Frisur Zwillinge sein. Am Schluss geht’s zurück in die Kaserne, und das Leben ist wieder genauso langweilig wie zuvor.

Philippe de Broca hat für seinen »Tim« mit Jean-Paul Bel-mondo genau den richtigen Schauspieler gefunden. Der sieht

FAN TOM AS in einem Satz: Ein Topjournalist – behindertvon einem vertrottelten Kommissar – jagt einem Superschurken hinterher, der sich hinter tausend Masken verbirgt.

FAN TOM AS . Frankreich 1964. Regie: André Hunebelle. Besetzung: Jean Marais, Louis de Funès, Mylène Demongeot u. a. 99 Minuten. FSK 12. DVD: Universum Film

Wem ein Film nicht genügt:D ER G ENDARM VO N SA I N T TRO P EZ

Frankreich 1964. Regie: Jean Girault (FSK 6)DAS S U P E R H I R N Frankreich 1968. Regie: Gérard Oury (FSK 6) 00

0073 Fantomas

Kurzinformation 0386

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264 265 Superhelden

nicht besonders gut aus, wirkt nicht besonders clever und gewinnt trotzdem all unsere Sympathien, weil er ein Stehaufmännchen ist, und weil er sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Die Verlobtenjagd scheint Belmondo irren Spaß bereitet zu haben. Angeblich soll er nicht nur in diesem Film all seine Stunts selbst gemacht haben. Auch wenn das doch eine Legende sein dürfte, so gehört Bel-mondo dennoch zu jenen Actiondarstellern, die sich wagemutig in Szene gesetzt haben. Dass Belmondo bei der ganzen Turnerei immer locker bleibt, stets sein etwas einfältiges Grinsen und eine lockere Pointe für uns bereit hat, das macht ihn bis heute zu einem der charmantesten Superhelden der Filmgeschichte.

In über 40 Filmen schwingt sich Tarzan von Liane zu Liane. Er ist einer der ältesten Superhelden der Kinogeschichte. Erfunden wurde Tarzan 1912 vom Amerikaner Edgar Rice Burroughs. Bereits 1918 kam der erste TARZ AN-Film in die Kinos und wurde sogleich ein Kassenschlager. Von da an verwaltete Burroughs sei-nen Erfolg überaus geschickt. 1922 gründete er eine Firma, die nichts anderes zu tun hatte, als mit der Marke »Tarzan« zu han-deln und darüber zu wachen, dass niemand damit unerlaubte Geschäfte machte. Tarzan wurde der erste Superheld, der nach Strich und Faden vermarktet wurde: Zunächst mit den Tarzan-Romanen – als Burroughs 1950 starb, waren es 26 –, ab 1929 wur-den Fotoromane und Comics auf den Markt gebracht, ehe Tarzan

schließlich Rundfunk und Werbung eroberte. Selbstverständlich wurde er auch zum Leinwandhelden, wobei die Filme im Laufe der Jahre nur noch am Rande etwas mit den Buchvorlagen zu tun hatten. TA R Z A N , D E R A F F E N M E N SCH, der bekannteste und beste TARZ AN-Film, entstand 1932 mit einem waschechten Olympia-sieger in der Hauptrolle. Johnny Weissmuller hatte bei den Spie-len von 1924 und 1928 insgesamt fünf Goldmedaillen im Schwim-men geholt, er hatte über 60 Weltrekorde aufgestellt und war als

AB ENTE UER I N RI O in einem Satz: Ein französischer Soldatverbringt den Urlaub damit, seiner entführten Verlobten bis nach Südamerika hinterher zu springen, zu hechten, zu schwimmen und zu radeln.

AB ENTE UER I N RI O (L’homme de Rio). Frankreich, Italien 1963.

Regie: Philippe de Broca. Besetzung: Jean-Paul Belmondo, Françoise Dorléac, Adolfo Celi u. a. 92 Minuten. FSK 12. DVD: MGM

Wem ein Film nicht genügt:D E R P U P P E N S P I E L E R Frankreich 1979. Regie: Georges Lautner (FSK 12)D I E TO L L E N A B E N T E U E R D E S MO N S I E U R L

Frankreich 1965. Regie: Philippe de Broca (FSK 12)

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Abenteuerin RioKurzinformation

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erster Mensch die 100 Meter unter einer Minute geschwommen. Für die Rolle des Tarzan wurde er nicht als Schauspieler, sondern als Athlet engagiert, wobei man fest damit rechnete, dass seine große Popularität die Zuschauer in Scharen in die Kinos locken würde.

Das war dann auch so, und aus Weissmuller wurde der Tarzan der Tarzane. Insgesamt zwölfmal spielte er bis 1948 den Affen-menschen, der seine Eltern im Dschungel verliert, danach vom Affenweibchen Kala großgezogen wird und dank seiner natür-lichen Intelligenz und seiner Kraft zum Herrscher des Dschungels aufsteigt. Seinen legendären Urschrei hat Weissmuller, der begeis-terte Jodler, selbst erfunden – und später bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit gerne vorgeführt. Als alter Mann soll er angeblich sogar aus einem Altersheim entlassen worden sein, weil das Geschrei den Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern zu sehr auf die Nerven ging. Schließlich konnte Johnny Weissmuller nicht mehr zwischen Filmrolle und wirklichem Leben unter-scheiden. Selbst auf seinem Grabstein steht: »Johnny Weissmuller, Tarzan.«

TA R Z A N , D E R A F F E N M E N SC H in einem Satz: Der Kraftprotz Tarzan, derunter Schimpansen groß geworden ist und deshalb als Affenmensch gilt, kämpft im Dschungel für seine angebetete Jane gegen sämtliche Gefahren.

TA R Z A N , D E R A F F E N M E N SC H (Tarzan the Ape Man). USA 1932. Regie: W. S. van Dyke. Besetzung: Johnny Weissmuller, Maureen O’Sullivan u. a. 99 Minuten. FSK 12. DVD: Warner

Wem ein Film nicht genügt:TA R Z A N S A B E N T E U E R I N N E W YO R K USA 1942. Regie: Richard Thorpe (FSK 6)G R E YS TO KE – D I E LEG END E VO N TARZ AN ,

H E RR D ER AFFEN USA 1984. Regie: Hugh Hudson (FSK 12)

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TarzanKurzinformation

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P I P P I L A N GS T RU M P F ist mindestens so stark wie Tarzan. Sie ist aber nicht nur unbesiegbar, wie sich das für eine anständige Super-heldin gehört, sondern auch eine Außenseiterin. Sie kann zwar locker ein Pferd stemmen, spielend Autos hochheben und wenn nötig auch zwei Polizisten, aber ihre übermenschliche Muskel-kraft und ihre laute Fröhlichkeit können nicht darüber hinweg-täuschen, dass Pippi einsam ist. So wie Pippi fühlen sich beinahe alle Superhelden: Gerade weil sie außer gewöhnlich sind, werden sie zu Außenseitern, im schlimmsten Fall sogar zu Ausgesto-ßenen. Sie passen in kein Schema und gehören deshalb nirgendwo wirklich dazu. Teil ihrer Heldenhaftig keit ist es deshalb, dass sie diese Einsamkeit aushalten.

Das gilt auch für Pippi, und doch ist bei Astrid Lindgren einiges anders als in amerikanischen Comics. Erstens ist Pippi ein Mäd-chen, und zweitens macht sie aus ihren Kräften kein Geheimnis. Die meisten Superhelden halten ihre Fähigkeiten nämlich streng geheim, weil sie sonst erst recht keine Ruhe mehr fi nden würden. Sie fl üchten sich in ein Doppelleben und hoffen, dadurch wenigs-tens teilweise wie normale Menschen leben zu können.

Pippi will kein Doppelleben, dafür ist sie zu geradeheraus. Und sie setzt ihre Kräfte auch nicht nur für die gute Sache ein, wie sich das eigentlich für eine wohlerzogene Superheldin gehört. Pippi reicht das pure Vergnügen locker als triftige Begründung für ihre Kraftakte. Besorgte Eltern und Lehrer haben über »Pippi Langstrumpf« deshalb geschimpft, als sie vor sechzig Jahren zur Welt kam. Das klang damals ganz ähnlich wie heute, wenn ängst-liche Erzieher vor »Harry Potter« warnen. Verwerfl ich seien diese Geschichten, weil bald kein Kind mehr seinen Eltern gehorchen würde und jeder Anstand fl öten ginge. Nach »Pippi Langstrumpf« und »Harry Potter« hätten Kinder nur noch Flausen im Kopf.

Das ist offensichtlicher Blödsinn. Erstens sind aus den ersten Leserinnen und Lesern von »Pippi Langstrumpf« inzwischen ganz

passable Eltern und sogar Großeltern geworden – wahrscheinlich fast ein wenig zu brav für Pippis Geschmack. Und zweitens kön-nen Kinder genauso gut wie Erwachsene zwischen Fantasie und Wirklichkeit unter schei den. Wer Pippi bewundert, der versucht noch lange nicht, Autos zu stemmen – und nur weil Superman fl iegen kann, springt niemand zum Fenster raus. Wir wissen, dass Pippi ein Wunschtraum ist: Wäre es nicht herrlich, jeden erdenk-lichen Unsinn zu unternehmen und dabei so zu tun, als gäbe es weder Eltern noch Erwachsene, die etwas dagegen haben könnten. Ausgerechnet dank Pippi fällt es uns schließlich sogar etwas leich-ter, im wirklichen Leben einigermaßen vernünftig zu bleiben.

Inger Nilsson, der Darstellerin von Pippi, ist es übrigens ganz ähnlich ergangen wie den meisten Superhelden: Sie wurde regel-recht zu einem Doppelleben gezwungen. Seit bald vierzig Jah-ren darf sie in der Öffentlichkeit nicht mehr Inger Nilsson sein. Überall, wo sie hingeht, wird sie noch heute als Pippi Langstrumpf gefeiert – oder zumindest als jene Frau, die einmal Pippi war.

Zum Schönen an den P I P P I L A N GS T RU M P F-Filmen gehört es, dass man sie mit gutem Gewissen genauso lieben darf wie die Bücher. Auch in dieser Hinsicht hat Astrid Lindgren den besorgten Besser-

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wissern ein Schnippchen geschlagen. Sie war nämlich immer der Ansicht, dass es zwischen Büchern und Filmen keine Feindschaft geben sollte. Deshalb hat sie eigenhändig dafür gesorgt, dass aus ihren Büchern gute Filme wurden. Meistens hat sie die Dreh-bücher selbst geschrieben. In einem Fall hat sie sogar alles »ganz verkehrt« gemacht: FERI EN AUF SALTKRO KAN war zuerst ein Film, bevor daraus doch noch ein Buch wurde.

Kaum ein Monat vergeht, ohne dass ein Comic-Superheld zum Kino-Superhelden wird – und der Vorrat für solche Verwand-lungen wird noch eine ganze Weile reichen. Dafür sorgen in erster Linie die beiden amerikanischen Comic-Verlage DC und Marvel. DC schickt S U P E R M A N und BATMAN ins Rennen – Marvel kontert mit den FAN TA S T I SC H E N V I E R, mit X-MEN und natürlich mit S P I D ER- MAN.

Lange galten Comics als praktisch unverfi lmbar. Vor allem fehlten die technischen Möglichkeiten, um die haarsträubende Action in überzeugende Filmbilder zu übersetzen. Alte BATMAN-Filme sind heute amüsante Lachnummern, aber keine packenden

Actionfi lme. Und in den S U P E R M A N-Verfi lmungen, die zwischen 1978 und 1986 entstanden, düst Superman wie eine lahme Ente durch die Luft.

Das ist dank moderner Tricktechnik ganz anders geworden. Heute hangelt sich Spider-Man derart rasant durch die Häuser-schluchten New Yorks, dass man für Momente tatsächlich glaubt, mit ihm zusammen abzuheben.

Die S P I D ER-MAN-Verfi lmungen bieten nicht nur erstklassige Action, ihnen gelingt es auch, ein Element zu bewahren, das Stan Lee, dem Erfi nder dieser Figur, immer äußerst wichtig war: Peter Parker ist nicht nur ein Superheld, sondern auch ein schüchterner junger Mann, der unter seiner besonderen Begabung leidet. Er ist überhaupt nicht begeistert, ein Superheld zu sein, das ewige Ver-steckspiel belastet ihn, und im Alltag helfen ihm seine besonderen Fähigkeiten herzlich wenig. Peter fühlt sich schuldig am Tod sei-nes Onkels, er kann sich dem Mädchen, das er liebt, nicht offen-baren, und er muss gegen Menschen kämpfen, die eigentlich seine Freunde sein sollten. Für Peter Parker ist es alles andere als super, ein Held zu sein.

Trotzdem wird er zum Heldentum gezwungen, als sein Onkel ihm als Lebensmotto folgende Weisheit mit auf den Weg gibt: »Aus großer Stärke folgt große Verantwortung.« Bei so viel Bürde kann man verstehen, dass Peter Parker sein Kostüm schon mal wutentbrannt in den Mülleimer schmeißt.

Comics dienen zwar in erster Linie der Unterhaltung und nicht der düsteren Grübelei. Dennoch wird bei S P I D ER-MAN immer wieder die dunkle und belastende Seite des Superhelden-Daseins sichtbar, ohne dass uns dabei das Vergnügen vermiest würde. Das haben wir vor allem dem Schauspieler Tobey Maguire in der Hauptrolle zu verdanken. Gerade weil er eigentlich nichts von einem Actionhelden an sich hat, ist er als Spider-Man so überzeu-gend. Ihm glauben wir, dass Peter Parker ein ganz gewöhnlicher junger Mann sein möchte, der Händchen haltend mit seiner Mary Jane spazieren geht und sorgenlos sein Leben genießt. Spider-Man

P I P P I L A N GS T RU M P F in einem Satz: Eine bärenstarke Piraten-tochter sorgt in einem kleinen schwedischen Städtchen für Auf-regung und bei zwei braven Kindern für grenzenlosen Spaß.

P I P P I L A N GS T RU M P F (Pippi Langstrump). Schweden, Deutschland 1969. Regie: Olle Hellbom. Besetzung: Inger Nilsson u. a. 100 Minuten. FSK 6. DVD: Edel Records

Wem ein Film nicht genügt:FERI EN AUF SALTKRO KAN Schweden, Deutschland 1962–67. Regie: Olle Hellbom(FSK o. A.)RO NJA , D I E RÄUB ERTOCHTER Schweden, Norwegen 1984. Regie: Tage Danielsson (FSK 6)

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Pippi

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ist einsam, verletzlich und unsicher – und damit ein Superheld, der uns nicht völlig fremd ist.

In den vergangenen Jahren haben sich Actionfi lme immer stärker dem Comic und dem Zeichentrickfi lm angenähert. Bei S P I D ER- MAN entstand nur noch ein kleiner Teil in einer herkömm-lichen Kulisse. Die meiste Zeit standen die Schauspieler vor blauen Wänden, sogenannten Blue Screens. Dort, wo die Bilder blau sind, werden nachträglich mit Computer die noch fehlenden Bildinfor-mationen hinzugefügt. Könnten wir bei Dreharbeiten dabei sein, wir wären enttäuscht, wie wenig – vor allem, wie wenig Action – wir zu sehen bekämen.

Filme wie S P I D ER- MAN sind ein Puzzle, das im Computer zusam-mengesetzt wird und erst dort allmählich so auszusehen beginnt wie am Schluss auf der Leinwand. Für die Schauspieler sind sol-che Filme meist ziemlich langweilig und für den Regisseur ziem-lich kniffl ig, weil sie immer Dinge vor Augen haben müssen, die gar nicht zu sehen sind. Fast noch wichtiger als das Drehbuch ist in solchen Fällen deshalb das Storyboard. Hier wird Szene für Szene aufgezeichnet, damit man sich genau vorstellen kann, wie das komplett zusammengesetzte Puzzle aussehen soll. Wer nun

S P I D ER- M AN in einem Satz: Im einen Leben ist Peter Parkerein schüchterner, unbeholfener Teenager – im anderen Leben ist er Spider-Man, ein Superheld, der sich auf der Jagd nach Verbrechern durch die Schluchten New Yorks schwingt.

S P I D ER- M AN & S P I D ER- MAN 2 . USA 2002 /2004. Regie: SamRaimi. Besetzung: Tobey Maguire, Kirsten Dunst, James Franco, Willem Dafoe (Spider-Man 1), Alfred Molina (Spider-Man 2) u. a. 116 /122 Minuten. FSK 12. DVD: Columbia Tri-Star

Wem ein Film nicht genügt:DARED E VI L USA 2003. Regie: Mark Steven Johnson (FSK 12)H U L K USA 2003. Regie: Ang Lee (FSK 12)

denkt, da entstehe ja im Grunde ein Comic, nach dem dann der Film gedreht wird, der hat vollkommen recht. Storyboards sind nichts anderes als Drehbücher in Comicform.

Der Regisseur Kerry Conran ist diesen Weg noch weiter gegan-gen. In seinem 2004 entstandenen Abenteuerfi lm S K Y C A P TA I N A N D

T H E WO R L D O F TOMO R ROW sind nur noch die Schauspieler »echt« – praktisch alles andere wurde mittels Computer in den Film einge-fügt. Das Fliegeras Joe Sullivan und die Reporterin Polly Perkins kämpfen in luftigen Höhen, auf dem Meeresgrund und an exo-tischen Schauplätzen gegen den Superschurken Dr. Totenkopf – die Schauspieler Jude Law und Gwyneth Paltrow hingegen haben sich während der Dreharbeiten ausschließlich in blau eingefärbten Studioräumen bewegt. Am weitesten vorgewagt hat sich Kerry Conran mit Dr. Totenkopf: Dieser wird von Laurence Olivier gespielt, einem der größten britischen Schauspieler. Der Haken an der Sache ist bloß, dass Olivier bereits 1989 gestorben ist. Er wurde deshalb mittels digitaler Tricktechnik zu neuem Leinwandleben erweckt. Man könnte frech behaupten: Mit S K Y C A P TA I N A N D T H E

WO RLD O F TOMO RROW wurde aus einem Film ein Comic.

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Leichtfüßig auf dem Ast eines Bambusbaumes balancieren, die Wände hoch und über Dächer rennen, durch die Luft fl iegen – für die Helden in T I G ER & D R AG O N scheint die Schwerkraft nicht zu existieren. Im Gegensatz zu amerikanischen Superhelden sieht das bei Li Mu Bai, Yu Shu Lien und Jen nicht so aus, als müsste dafür jedes Mal der Raketenantrieb gezündet werden. In China überwindet man die Naturgesetze mit Grazie und Eleganz, und wenn man den Boden berührt, dann wird er sanft gestreichelt. Diese Helden sind zauberhafte Akrobaten und nicht übermensch-liche Kraftpakete. Und so ist T I G ER & D R AG O N nicht nur ein rasanter Actionfi lm geworden, sondern auch ein poetisches Märchen.

Kampfsportfi lme aus China und Hongkong sind ausgeklügelt choreographiert – Action wird zum Ballett. Manchmal fl ießt zwar dennoch ziemlich viel Blut, aber Eleganz und Akrobatik bleiben stets wichtiger als der Ausgang eines Kampfes. Zu siegen oder gar zu töten ist nicht das Entscheidende, sondern spektakulär und ele-gant zu kämpfen. T I G ER & D R AG O N ist ein besonders schönes Beispiel dafür, wie man Brutalitäten und blutige Szenen auf ein Minimum beschränken und trotzdem faszinierende Action bieten kann.

Es ist für das sogenannte Hongkong-Kino übrigens ungeheu er wichtig, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Kampf-szenen selbst spielen. Männliche Stars wie Chow Yun-Fat, Jackie Chan und Jet Li, aber auch weibliche Heldinnen wie Michelle Yeoh und Maggie Cheung sind überragende Akrobaten. Weil sie sich nicht doubeln lassen, kann die Kamera sogar bei aufwendigen Kampfszenen ganz nah herangehen und ihre Gesichter zeigen. So können wir Zuschauer uns gemeinsam mit der Kamera mit-ten ins Getümmel stürzen und hautnah dabei sein. Und wenn sie fl iegen? Das wird ja wohl nicht auch noch »echt« sein? – Selbst-verständlich wird auch im Hongkong-Kino getrickst, aber nor-malerweise nicht mit dem Computer, sondern mit Drahtseilen. Die Schauspieler innen und Schauspieler werden an unsichtbare

Seile gehängt und heben mit deren Hilfe zu den unglaublichsten Luftsprüngen und Flugfi guren ab.

Dass T I G ER & D R AG O N nur selten blutig und brutal ist, passt zur Geschichte, die uns der Regisseur Ang Lee erzählen will. Sie han-delt nämlich von Menschen, die gelernt haben oder lernen müs-sen, wie man seine Wut zügeln und seine Fähigkeiten beherrschen kann. Li Mu Bai, der Meisterkämpfer, gibt zu Beginn sogar sein berühmtes Schwert aus der Hand, mit dem er jahrelang Jagd auf den Mörder seines Lehrmeisters gemacht hat. Li Mu Bai will das Rachegeschäft aufgeben, will zur Ruhe kommen und vielleicht sogar endlich seine geheime Liebe zu Yu Shu Lien offenbaren. Obwohl ihm all das nicht gelingt – wie immer in solchen Fällen –, so bleibt Li Mu Bai doch in den gefährlichsten Situationen ein gelassener Kämpfer. Wenn er kämpft, dann scheint er gleichzeitig zu meditieren – und just das tut der Zögling des Wutan-Klosters genau genommen auch.

Li Mu Bai nimmt sich so sehr zurück, dass nicht einmal seine unerschütterliche Liebe zu Yu Shu Lien an die Oberfl äche dringt.

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Beide halten sie sich eisern an die Regeln der chinesischen Gesell-schaft, und so kann aus ihnen nie ein Paar werden. Ganz anders hält es dagegen die rebellische Gouverneurstochter Jen. Sie will aus der streng geregelten Welt ihrer Eltern ausbrechen und hat die geheimen Kampftechniken ohne die nötige Erlaubnis gelernt.

»Aus großer Kraft folgt große Verantwortung« – Spider-Mans Motto passt genauso gut zu T I G ER & D R AG O N: Wer die Kampfkunst beherrscht, muss damit sorgsam umgehen. Das ist es, was Jen nur widerwillig lernt. Durch die Luft zu fl iegen ist einfach; damit das Richtige anzustellen dagegen schwer. So widersprüchlich es klin-gen mag, das Lebensziel des Kämpfers ist der innere und äußere Friede. Erst dank der vollkommenen Selbstbeherrschung wird es endlich gelingen, das zu tun, was Li Mu Bai schon immer wollte: Das Schwert aus der Hand zu legen.

Als sich Ang Lee nach dem gewaltigen Erfolg von T I G ER & D R AG O N einem amerikanischen Superhelden zuwandte, hat er damit viele verblüfft. HULK scheint das pure Gegenteil von T I G ER & D R AG O N: Die Geschichte eines jungen Mannes, der als Versuchskaninchen für die Experimente seines Vaters herhalten muss. Das Resultat ist Hulk, ein grober Klotz, der ebenso rabiat wie ungelenk ist: Wenn Bruce Banner wütend wird, verwandelt er sich in einen grünen Riesen, der die Kontrolle über sich verliert und wild um sich schlägt. Nichts bleibt da übrig vom leichtfüßigen Ballett aus T I G ER & D R AG O N. Hulk ist ein primitives, bleischweres Erdmonster, das sich nur durch Zerstörung wehren kann. Und doch sind Hulk und Li Mu Bai enger verwandt als erwartet. Beide sind sie Außenseiter, eigent-lich sanfte, in sich gekehrte Wesen, die aber über gewaltige Kräfte verfügen. Beide möchten nichts anderes als Ruhe und Frieden und werden zum Kampf gezwungen. Und beide stehen ständig vor der Herausforderung, ihre Kräfte zu kontrollieren.

Die wenigsten von uns sind Superhelden. Oft fühlen wir uns sogar als klägliche Versager. Besonders schlimm trifft es den 13-jährigen Kevin. Er ist zwar größer und stärker als seine Klassenkollegen, aber auch dicker und vor allem ängstlicher. Sein Aussehen, seine Schüchternheit und seine Ängstlichkeit machen ihn zum beliebten Opfer – er wird gehänselt und geärgert. Zu Hause läuft es nicht viel besser. Seit sein Vater im Gefängnis sitzt, weil er angeblich Kevins Mutter getötet hat, lebt der Junge bei den Großeltern, die auch nicht gerade üppig Sonnenschein in sein Leben lassen.

Kevins neuer Nachbar Maxwell ist genauso einsam. Er ist zwar superklug, leidet aber unter einer schlimmen Rückgratverkrüm-mung und weiß, dass er wahrscheinlich nicht lange zu leben hat. Maxwell ist genauso ein Außenseiter, obwohl er eine Mutter hat, die sich liebevoll um ihn kümmert.

Ausgerechnet diese beiden ungleichen Jungen tun sich zusam-men. Kevin nimmt Maxwell Huckepack, und so werden sie T H E

MI G HT Y, ein seltsames, aber unschlagbares Reitergespann. Dank Maxwells Fantasie werden sie zum Ritter in einer fantastischen

T I G E R & D RAGO N in einem Satz: Ein chinesischer Schwert-kämpfer, der eigentlich das Kämpfen aufgeben will, versucht einer ungestümen jungen Kriegerin den verantwortungsvollen Umgang mit ihren Fähigkeiten beizubringen.

T I G E R & D RAGO N (Crouching Tiger, Hidden Dragon). Hong-kong, Taiwan, USA 2000. Regie: Ang Lee. Besetzung: Chow Yun-Fat, Michelle Yeoh, Zhang Ziyi u. a. 115 Minuten. FSK 12. DVD: Kinowelt

Wem ein Film nicht genügt:S H A N G H A I N OO N USA 2000. Regie: Tom Dey (FSK 12)H O U S E O F F LY I N G DAG G E R S

Hongkong 2004. Regie: Zhang Yimou (FSK 12) 00

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Welt und sind von nun an den einfältigen Mitschülern in jeder Hinsicht weit überlegen.

Die Botschaft ist klar: Der größte Trumpf für klägliche Versa-ger wie uns, ist gegenseitige Solidarität. Wenn wir füreinander da sind, wenn wir uns auch in aussichtslosen Situationen beistehen, dann können selbst graue Mäuse wie wir zu Superhelden werden.

Wieder ganz anders sieht es bei Familie Parr aus. In ihrem Fall sol-len aus Superhelden graue Mäuse werden, denn dort, wo sie leben, geht’s den Superhelden an den Kragen: Schürfungen, Verstau-

chungen, demolierte Häuser und Autos – den Geretteten reicht’s! Aus Mr Incredible und Elastigirl werden gezwungener maßen Bob und Helen Parr, ein stinknormales Ehepaar mit einem stink-langweiligen Leben. Bob muss als Versicherungsvertreter in einer winzigen Bürokabine genau das Gegenteil von dem tun, wofür er eigentlich geboren ist: Er soll Menschen für dumm verkaufen, die sich von der Versicherung Hilfe erwarten. Und Elastigirl kann ihre Fähigkeiten nur noch hinter verschlossenen Türen nutzen, beim Versuch, ihre Rasselbande im Zaum zu halten. Erschwert wird das Versteckspiel, weil sich das Superheldenblut natürlich vererbt hat: Violet kann sich unsichtbar machen und Kraftfelder erzeugen. Flash rennt schneller als ein Blitz und lässt sich partout nicht an die Leine legen. Nur Baby Jack-Jack ist normal – bis jetzt zumindest.

Für ein solches Leben ist ein Superheld wie Mr Incredible nicht geschaffen. Wenn er vorgibt, mit Lucius Best, ehemals Frozone, zum Bowling zu gehen, sitzen die beiden in Wahrheit in ihrem Auto und hören den Polizeifunk ab. Bis das Jucken in den Muskeln unerträglich wird und der Retterzwang ausbricht, allerdings nicht im strahlenden Superheldenkostüm, sondern mit einer Maske über dem Kopf – schließlich ist es ein Verbrechen, ein Superheld zu sein.

Eines Tages erhält Bob wieder einen Auftrag als Mr Incredible, einen ganz geheimen, selbstredend, derart geheim, dass sogar seine Frau nichts davon erfahren darf. Leider sind Superhelden nicht zwangsläufi g superklug: Mr Incredible stürzt sich ahnungs-los ins mörderische Gefecht mit einer raffi nierten und eigens für ihn angelegten Falle. Ein Glück, dass Elastigirl mehr Grips hat als ihr Gemahl und gemeinsam mit Flash und Violet eingreift.

1986 hielten viele den vollständig am Computer gezeichneten Kurzfi lm LUXO JR . für eine Spielerei. Heute taucht die hüpfende Tischlampe aus dieser Fingerübung in jedem Vorspann der Pixar-Filme auf, dem erfolgreichsten Animationsfi lmstudio aller Zeiten. Von TOY S TO RY bis zu den U N G LAUB LI C H E N hat die Perfektion der

T H E MI G H T Y in einem Satz: Zwei jugendliche Außenseiter tunsich zusammen und werden dank Solidarität und Fantasie zum unschlagbaren Superritter.

T H E MI G H T Y (The Mighty). USA 1998. Regie: Peter Chelsom. Besetzung: Sharon Stone, Gena Rowlands, Elden Henson, Kieran Culkin u. a. 100 Minuten. FSK 6. DVD: Star Collection

Wem ein Film nicht genügt:H O D D ER RE T TE T D I E WELT Dänemark 2002. Regie: Henrik Ruben Genz (FSK o. A.)WHALE RI D ER Neuseeland, Deutschland 2002. Regie: Niki Caro (FSK 6) 00

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digitalen Zeichentrickfi lme rasant zugenommen. Ein fl auschiges Fell wie in MO N S T E R AG, wo sich jedes Härchen einzeln im Winde bewegt, das sieht zwar ganz einfach und unspektakulär aus, ist aber nur dank des sagenhaften Leistungsvermögens von Software und Computer möglich. Damit, dank scheinbar grenzenlosem Einfallsreichtum und einem originellen Drehbuch, wurde aus D I E

U N G LAUB LI C H E N einer der coolsten Actionfi lme der letzten Jahre, gegen den die letzten James-Bond-Abenteuer fast schon alt aus-sehen.

D I E U N G LAUB LI C H E N in einem Satz: Eine Familie von Super-helden kämpft um ihr Überleben – und darum, dass Superhelden endlich wieder Superhelden sein dürfen.

D I E U N G LAUB LI C H E N (The Incredibles). USA 2004. Regie: Brad Bird. Zeichentrickfi lm. 115 Minuten. FSK 6. DVD: Buena Vista Home Entertainment

Wem ein Film nicht genügt:S HREK USA 2001. Regie: Andrew Adamson, Victoria Jenson (FSK o. A.)D I E MO N S T E R AG USA 2001. Regie: Pete Docter, David Silverman, Lee Unkrich (FSK 6)

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Die

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AUS DER TRICK-KISTE GEPLAUDERTDenis Behnke, Visuelle Effekte

Denis Behnke, welches ist Ihr kinomagischer Moment?Als Kind habe ich E . T. gesehen. Der hat mich unglaublich gefes-selt. Und schon damals haben mich vor allem Dinge fasziniert, die ich so noch nie zuvor gesehen hatte: ein außerirdisches Wesen; Kinder, die auf ihren Rädern durch die Luft fl iegen. Erst recht hat mich dann später TERMI NATO R beeindruckt. Ich kann mich noch genau erinnern, wie erstaunt ich über die digitalen Morph-Effekte war. Da war für mich klar: Das will ich auch machen.

Wie wird man Visual-Effects-Supervisor?Es gibt dazu keinen direkten Ausbildungsweg. Wie bei so vielen Berufen im Film ist entscheidend, dass man unbedingt kreativ sein will. Als Jugendlicher habe ich angefangen, selbst Filme zu machen. Schnell fand ich dann vor allem den technischen Aspekt spannend, also die Möglichkeit, Welten zu erschaffen. Später hat-te ich das Glück, dass es in Ludwigsburg eine Filmakademie gab, die sehr früh gemerkt hat, welches Potenzial in der Computer-animation steckt. Das war genau das, was ich gesucht hatte.

Beginnt Ihre Arbeit eigentlich erst nach den Dreharbeiten?Der Job eines Visual-Effects-Supervisors fängt schon im Dreh-buchstadium an. Oft schicken mir Produzenten Bücher, weil darin visuelle Ideen auftauchen, von denen sie nicht wissen, wie

sie realisiert werden können. Ich setze mich also hin und über-lege, mit welchem technischem Aufwand ich die gewünschten Effekte und Szenen realistisch umsetzen könnte. Dazu entwerfe ich Skizzen, wir nennen das Layouts, um einen bildlichen Ein-druck zu vermitteln. Man muss sich vorstellen, dass später für die meisten dieser visuellen Effekte vor einer Blue- oder Green-screen gedreht werden muss. Dank der Layouts kann sich der Regisseur vorstellen, wie es später ungefähr aussehen wird, wenn Filmmaterial und digitale Effekte zusammengefügt werden. In dieser Vorbereitungsphase werden ganze Szenen mit sogenann-ten Story boards dargestellt.

Ein paar Computer und die passende Software – weshalb sind Visual-Effects so teuer?

Was sie so teuer macht, ist der Faktor Zeit. Wenn man einen Film dreht, hat man ein Team von 30 bis 120 Leuten an einem Set, die vielleicht über einen Zeitraum von 30 Tagen drehen. Dass das ein enormer Aufwand ist, der auch sehr viel Geld kostet, wird auch einem Laien sofort klar. In der Postproduktion, wo unsere Arbeit hauptsächlich stattfi ndet, bekommt man nicht mehr so augenfäl-lig mit, was da geschieht. An den Visual Effects für Filme wie D I E

S TURMFLU T oder D RE SD EN haben um die 15 Leute ein halbes Jahr

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Oft müssen Schauspieler in Szenen auf Dinge reagieren, die beim Drehen noch gar nicht zu sehen sind, weil sie später als Visual-Effects eingebaut werden.

Wenn eine Schauspielerin, wie beispielsweise in B I B I B LOCKSB ERG , auf einem Besen durch die Luft reitet, dreht man das vor einer Bluescreen und fügt den Flugeffekt erst später digital ins Bild ein. Damit das überzeugend gelingen kann, muss man der Schau-spielerin exakt erklären, wie die Szene später aussehen soll. Sie muss sich ja am Set vorstellen, wie sie reagieren und wohin sie schauen muss. Besonders schwierig wird das, wenn ein Darstel-ler mit einer digitalen Figur spielen soll. Dann müssen seine Bli-cke genau festgelegt werden, damit später wirklich der Eindruck entsteht, dass sich hier zwei Figuren anschauen und beispielswei-se miteinander sprechen.

Auf den Punkt gebracht: Was ist für Sie Kino?Kino ist ein Ort, an dem ich in andere Welten eintauchen kann.

lang gearbeitet. Wenn man das hochrechnet, dann wird klar, dass auch dieser Aufwand riesig ist. Es ist eben nicht die Hard- oder Software, durch die große Kosten entstehen. Ausschlaggebend sind vielmehr Anzahl der Beschäftigten und die Zeit, die sie für ihre Arbeit brauchen.

Als Visual-Effects-Supervisor, sind Sie da eine Art Regisseur der Computeranimatoren?

So ähnlich. Ich spreche mich zum Beispiel mit Szenenbild und Kamera ab. Wir müssen uns ja dem Stil des Films anpassen. Wenn beispielsweise sehr viel mit Handkamera gedreht wird, muss ich das auch bei den digitalen Effekten berücksichtigen. Wenn ich mich über diese Fragen mit dem Regisseur verständigt habe, liegt es an mir, unsere Aufgaben zu planen und voranzu-treiben. Je nach Komplexität einer Szene erstellen wir auch soge-nannte Animatics, grobe erste Computeranimationen. Das ver-langt viel Kreativität, ein gutes Auge und ein gutes Empfi nden für Formen und Farben, weil wir ja zum Teil aus dem Nichts heraus Bilder schaffen müssen, die dem Zuschauer eine Realität überzeugend vorgaukeln.

Man hört immer wieder davon, dass Wasser besonders schwer zu animieren sei. Stimmt das?

Eine ruhige Wasseroberfl äche ist kein Problem mehr. Aber was jeden Computer tatsächlich schnell an seine Leistungsgrenze bringt, ist die sehr ausgefallene Dynamik, die entsteht, wenn Wasser mit anderen Körpern interagiert, wenn also beispielswei-se eine Flutwelle durch eine Straße schießt und auf Objekte wie Häuser und Autos prallt. Das ist unglaublich aufwendig. Und wenn es um Wasser geht, ist das so alltäglich, dass jeder Zuschau-er sehr genau weiß, wie das realistisch aussehen muss.

Denis Behnke wurde 1972 in Lich geboren. 1991 bis 1993 Ausbildung zum Werbekaufmann. Er hat von 1995 bis 2001 an der Filmakademie in Lud-wigsburg am Institut für Visual-Effects, Postproduktion und Animation studiert. Er hat in den letzten zehn Jahren an über 30 Filmen mitgewirkt, darunter P H A N TOMSC H M E R Z , S TURMFLU T und D I E JAGD NACH D EM

SC H AT Z D E R N I B ELUN G E N .

Eine ausführlichere Film- und Textfassung dieses Gesprächs fi ndet sich auf www.vierundzwanzig.de, dem Wissensportal der Deutschen Filmakademie, unter der Rubrik »Spezialeffekte / Animation«.