Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

64
Natürliche Ressourcen in der Schweiz umwelt Umweltgerechte Mobilität 3/2012 Ein Blick in die Zukunft > Keine grenzenlose Mobilität > Umweltschonend unterwegs > Die Vorteile des kombinierten Güterverkehrs Weitere Themen: > Immer mehr Waldreservate > Lokale Klimainitiativen

description

Ein Blick in die Zukunft - Keine grenzenlose Mobilität - Umweltschonend unterwegs - Die Vorteile des kombinierten Güterverkehrs; Weitere Themen: Immer mehr Waldreservate - Lokale Klimainitiativen

Transcript of Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

Page 1: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

Natürliche Ressourcen in der Schweiz

umwelt

Umweltgerechte Mobilität

3/2012

Ein Blick in die Zukunft > Keine grenzenlose Mobilität > Umweltschonendunterwegs > Die Vorteile des kombinierten GüterverkehrsWeitere Themen: > Immer mehr Waldreservate > Lokale Klimainitiativen

Page 2: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/20122

Inhalt

> DossierUmweltgerechte Mobilität

03 Editorial von BAFU-Vizedirektor Gérard Poffet

04 Der Verkehr der ZukunftEin Blick hinter die Labortüren

08 Mobilität unter der LupeZahlen und Fakten zum Alltagsverkehr in derSchweiz

12 Mit dem Tram an den StartIn ihrer Freizeit sind die Menschen am meistenunterwegs.

16 Keine grenzenlose MobilitätInterview mit dem BAV-Direktor Peter Füglistaler

20 Umweltgerecht unterwegs13 Vorzeigebeispiele aus der Praxis

30 Nachdenken über Autos und StädteInterview mit der Mobilitätsexpertin Saskia Sassen

33 Zwei Paletten auf ReisenDer kombinierte Gütertransport ist eine wegweisendeLösung.

> Weitere Themen

39 Waldreservate für 20 000 ArtenEin Gewinn für die Biodiversität im Wald

44 Grenzüberschreitende LuftschadstoffeVerschärfung des Göteborg-Protokolls

46 Klimaschutz beginnt im KleinenVorzeigebeispiele für lokale Klimainitiativen

50 Immer mehr Plastik im AbfallKnackpunkte des Kunststoffrecyclings

54 Reduktion der UmweltrisikenGefahrengüter im Schienenverkehr unter der Lupe

> Rubriken

36 Vor Ort Nachrichten aus den Kantonen

38 International57 Bildung58 Recht / Publikationen60 Tipps61 Impressum62 Intern63 Porträt

umwelt > gratis abonnieren/nachbestellen

umwelt, Swissprinters St.Gallen AGLeserservice, 9001 St.GallenTel. +41 (0)58 787 58 68Fax +41 (0)58 787 58 [email protected]/magazin

> Vorschau

Hierzulande leben rund drei Viertel der Menschen inStädten oder Agglomerationsgemeinden. Die nächsteAusgabe ist deshalb dem Thema Urbane Lebens-räume gewidmet und erscheint Ende November2012. Das BAFU setzt sich für eine nachhaltige Ge-staltung und Nutzung dieser Siedlungsräume ein, indenen auch vielfältige Naturerlebnisse und die Biodi-versität ihren Platz finden sollen.

> Zum Titelbild

Dynamisch unterwegs: Die hohe Mobilität führt hier-zulande vor allem in den Städten zu Beeinträchtigun-gen der Lebensqualität und der menschlichen Ge-sundheit. Hauptprobleme sind die primär von privatenMotorfahrzeugen verursachte Luftverschmutzung undder Lärm. Im Vergleich dazu belasten der Langsam-verkehr und der ÖV die Umwelt deutlich weniger.Bild: Keystone

> Gut zu wissen

Alle Artikel dieses Heftes – ausser den Rubriken –sind auch im Internet verfügbar:www.bafu.admin.ch/magazin2012-3Die meisten Beiträge enthalten weiterführende Linksund Literaturangaben.Das BAFU im Internet: www.bafu.admin.ch

Page 3: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

3umwelt 3/2012

Intelligent unterwegs

Noch nie war die Schweiz so mobil wie heute. Über

derart viel Bewegungsdrang würden frühere Genera-

tionen nur staunen: Wir wohnen im Kanton Schwyz und

pendeln nach Zürich zur Arbeit; wir leben in Nyon und

verbringen die Wochenenden im Val d’Anniviers; und

wir sind in Lyss zu Hause und frönen unserer Kletter-

leidenschaft im Jura. Nicht zu vergessen sind die

Ferien. 2010 unternahm die Schweizer Bevölkerung rund

10 Millionen Reisen ins Ausland. Ihre persönliche

Mobilität scheint grenzenlos. Gesellschaft und Wirt-

schaft profitieren entsprechend von mobilen Menschen

und leicht verschiebbaren Gütern.

Doch die grosse Bewegungsfreiheit hat ihren Preis.

2010 herrschte auf Schweizer Strassen 16 000 Stunden

Stau, das heisst im Schnitt fast 44 Stunden täglich –

ein neuer Rekord. Und auch beim CO2-Ausstoss lag der

Strassenverkehr nur unwesentlich unter der Rekordmar-

ke von 2008. Zudem leiden viele Menschen unter dem

Verkehrslärm, und die Infrastruktur für Auto und Zug

verbraucht Land – eine sehr begrenzte Ressource in

der Schweiz. Damit bedroht das ungebremste Verkehrs-

wachstum die Errungenschaften einer mobilen Gesell-

schaft. Gefragt sind also neue, zukunftsfähige Formen.

Deshalb wollen Bundesrat und Parlament unter anderem

den Langsamverkehr fördern.

In diesem Heft zeigen wir, dass umweltgerechte

Mobilität schon heute möglich ist, und wir präsentieren

nachahmenswerte Beispiele. Wir werfen zudem einen

Blick hinter die Türen von Forschungslabors und Firmen,

die an den möglichst energiesparenden Verkehrsmitteln

von morgen arbeiten.

Technische Verbesserungen und neue Technologien

werden viel zur Lösung unserer Mobilitätsprobleme bei-

tragen, doch ein Patentrezept gibt es nicht. Umweltge-

rechte Mobilität setzt sich aus vielen unterschiedlichen

Puzzleteilen zusammen – aus einer Kombination von

mehreren Fortbewegungsmitteln sowie dem Hinterfra-

gen von Gewohnheiten und Bedürfnissen.

Denn sicher ist: Auch umweltgerechte Mobilität

kann nicht grenzenlos sein. Selbst wenn wir unsere

Verkehrsmittel ausschliesslich mit erneuerbarer Energie

betreiben, wird immer eine bessere Ökobilanz aufwei-

sen, wer in der Nähe seines Arbeitsplatzes wohnt. Und

Wochenendausflüge mit dem Flugzeug werden die Um-

welt immer stärker belasten als eine Velotour ins Grüne

direkt vor der eigenen Haustür.

Gérard Poffet, Vizedirektor BAFU

Verkehrte Schweiz, in dersich die Berge im Mittel-land erheben: Je höherdie Spitze, desto besserist die Erschliessung einesOrtes mit dem öffentlichenVerkehr.Quelle: Bundesamt für Raumentwick-lung ARE

Page 4: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität4

ZUKUNFTSVERKEHR

Werden Brennstoffzellenautos die Benzinfahrzeuge ablösen? Wann sind auf unseren Strassendie ersten Leichtbau-Autos unterwegs? Reisen wir künftig mit der Magnetschwebebahn zurArbeit? Ein Blick in die Labors der Motoren- und Mobilitätsforschung.

Keine Science-Fictionauf der Strasse

Dann steht es plötzlich vor uns, das erste Brenn-stoffzellen-Postauto der Schweiz. Unsere Augenauf die Zeitung gerichtet, hatten wir den Bus andiesem frühen Morgen im Brugger Bahnhof garnicht kommen sehen, und zu hören war er auchnicht. Ansonsten aber unterscheidet er sichkaum von klassischen Postautos – nur das Dachist um einen halben Meter erhöht, und am Busprangt der stolze Slogan «Ein emissionsfreierAntrieb für unsere Umwelt».

Das Testfahrzeug verkehrt seit Dezember2011 auf den Postautolinien in Brugg (AG). Esist Teil des internationalen ForschungsprojektsCHIC (Clean Hydrogen in European Cities). FünfJahre lang wird in fünf europäischen Städtengetestet, wie sich Brennstoffzellen-Busse im All-tag bewähren. Betankt werden sie an einer fixenTankstelle mit lokal hergestelltem Wasserstoff.Dieser wird nicht wie üblich in einem chemi-schen Verfahren aus Erdgas oder Kohle gewon-nen, sondern mittels Stromelektrolyse aus Was-ser. Dazu dienen erneuerbare Energiequellenwie Wasserkraft, Solarstrom und Windkraft. Inden Brennstoffzellen auf dem Dach des Busseswird der Wasserstoff in elektrische Antriebsener-gie umgewandelt. Um die Leistungsfähigkeitzu steigern, verfügen die Fahrzeuge über eineLithium-Ionen-Batterie. Sie dient als Zwischen-speicher für die elektrische Energie. Bremst derBus, generiert der Elektromotor Strom, den er indie Batterie zurückspeist. Dies ist ein bedeuten-der Gewinn für Postautos, die häufig bremsen,anhalten und wieder beschleunigen müssen.

Die Schweizer Brennstoffzelle. Auf unserer Fahrtüber die hügelreiche Strecke von Brugg nachVilligen zeigt der Bus keinerlei Schwächen.Pannen gebe es nur sehr selten, erklärt uns derChauffeur. Er sei begeistert und stolz, bei diesemExperiment – «einem Projekt mit Zukunft» –mittun zu dürfen. Bald passieren wir den Elek-tronenbeschleuniger des Paul Scherrer Instituts(PSI), der wie ein gigantisches UFO auf einerWiese steht. Dann geht es zu Fuss über eine Brü-cke zum Hauptgebäude des PSI, wo uns PhilippDietrich, der Projektleiter für Brennstoffzellen-antriebe, empfängt. Er führt uns durch das La-bor zum Herzstück seiner Forschungstätigkeit –der «Schweizer Brennstoffzelle». Zusammen mitNick Hayeks Belenos AG entwickelt das PSI einBrennstoffzellensystem für einen Kleinwagen.Das Ziel lautet: Die Fahrleistung und die Kosten(Fahrzeugkauf plus Betrieb) des Brennstoffzel-lenautos sollen über die ganze Lebenszeit vonrund zehn Jahren mit herkömmlichen Perso-nenwagen vergleichbar sein. Noch ist man nichtso weit: «Die Kosten und die Lebensdauer derBrennstoffzellen weisen noch viel Optimierungs-potenzial auf», sagt Dietrich. Doch man sei aufgutem Weg. Dies hat jüngst auch das Bundes-amt für Energie (BFE) erkannt: Es zeichnete dieBelenos AG und das PSI mit dem Preis Watt d’Or2011 aus.

Hayeks Antriebssystem bekommen wir andiesem Vormittag aus Geheimhaltungsgrün-den nicht zu sehen, dafür ein ähnlich kon-zipiertes Brennstoffzellensystem zum Antrieb

Page 5: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

5Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

Sollen Autos undElektromobile entschei-dend weniger Energieverbrauchen, müssensie leichter werden.Die Firma ESORO inFällanden (ZH) ist unteranderem auf die Ent-wicklung von Leichtbau-fahrzeugen spezialisiert.Weniger Gewicht giltnicht nur für den Bauder Karosserie, sondernfür die Konstruktionaller Fahrzeugkom-ponenten – wie zumBeispiel der Sitze. Siemüssen leicht, aber vorallem auch sicher sein.Die Stabilität ist bereitsbeim Entwurf das zen-

trale Thema und wird am Computer getestet (oben). Die Herstellung derLeichtbausitze erfolgt aus rezyklierbarem Faserverbundkunststoff (Mittelinks). Ein Industrieroboter sorgt für die Positionierung der Materialien inder Produktionspresse (Mitte rechts). Gegenüber herkömmlichen Sitzen

(unten links im Hintergrund) lassen sich durch die Leichtbautechnologiebis zu 30 Prozent Gewicht einsparen. Ein Kleinwagen wie der Proto-typ ESORO H301 (unten rechts) wiegt in Leichtbauweise rund ein Viertelweniger als gängige Autos. Bilder: Hans Schürmann

Page 6: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität6

eines Schiffsmotors. Daran ist eine Vielzahl vonMessgeräten angeschlossen. «Das Prinzip einerBrennstoffzelle ist einfach», erklärt der Forscherund reicht uns eine Zelle, klein wie eine Streich-holzschachtel. Eine Membran in der Mitte derZelle lässt die Wasserstoffmoleküle kontrolliertausströmen. Diese treffen auf der anderen Sei-te auf Sauerstoff; daraus entsteht elektrischerStrom. Im Prinzip könne sich jedes Schulkindeine Brennstoffzelle bauen, sagt der Projektlei-ter. Die Vorgänge im Nano- und Mikrobereichzu verstehen und zu optimieren ist die Aufgabeder Forscher. Wann ist mit dem Durchbruch zurechnen? «Bei der Leistungsdichte sind wir nahdran», sagt Philipp Dietrich. Wasserstoff sei zwarteurer als Benzin, aber im Fahrzeug doppelt soeffizient. Der hohe Preis ist eine Folge der auf-wändigen Herstellung und der vergleichsweiseschlechten Energiebilanz: Um Wasserstoff mitdem Energiegehalt eines Liters Benzin zu pro-duzieren, muss man die Energie von rund dreiLitern Benzin einsetzen. Zudem, so räumt Diet-rich ein, fehle in der Schweiz ein Grundversor-gungsnetz mit Wasserstoff-Tankstellen, wie esderzeit in Deutschland gebaut werde. Erst dannfolgten die Autokäufer. Einfacher sei der Ein-stieg für Stadtbusse und Postautos: Wie im Test-betrieb in Brugg können die Fahrer stets dieselbeTankstelle ansteuern.

Erdgas mit grossem Potenzial. Ähnliches hören wirein paar Tage später von Christian Bach, Moto-renentwickler an der Eidgenössischen Material-prüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dü-bendorf (ZH). Er beschäftigt sich seit Jahren mitder Entwicklung eines verbrauchsarmen Erdgas-fahrzeugs. «Erdgas und Biogas sind attraktive

Treibstoffe mit deutlich geringeren CO2-Emissio-nen als Benzin oder Diesel», erklärt er und führtuns ins Motorenlabor. Dort hantiert ein Mecha-niker an einem grünen VW Touran. Auf den ers-ten Blick unscheinbar, beherbergt das Auto einkomplexes Erdgas-Elektrohybrid-Antriebssystem.Es ist im Rahmen des Projekts «CLEVER» (Cleanand Efficient Vehicle Research) entwickelt undvon Bosch, VW sowie den Bundesämtern BFEund BAFU mitfinanziert worden. Jüngst konntendie Forscher zeigen, dass der Erdgas-Elektrohy-brid-Motor 35 Prozent CO2 einspart, mit Biogas-beimischung nimmt die CO2-Belastung nochmehr ab. Erstaunlicherweise kostet ein Erdgas-Elektrohybrid-Auto über die ganze Lebensdauernicht mehr als ein Benziner. Gehört ihm also dieZukunft? «Die Knacknuss ist das Versorgungs-netz», sagt Christian Bach. Noch stehen den Erd-gasfahrern in der Schweiz bloss 132 Tankstellenzur Verfügung, in ganz Frankreich sind es ledig-lich 25, was die Reiseplanung erschwert. Dochdas werde sich ändern, ist der Entwickler über-zeugt. «Erdgasmotoren haben noch viel Effizi-enzsteigerungspotenzial. Die tiefen Erdgaspreiseund die neuen CO2-Vorschriften ab 2015 werdenzu einer deutlichen Zunahme der Erdgasfahr-zeuge führen. Dann folgen die Tankstellen.»

An ein baldiges Ende des Verbrennungs-motors glaubt auch der Maschinenbauer LinoGuzzella von der ETH Zürich nicht: «Auch in Zu-kunft werden die meisten Autos mit Otto- oderDieselmotoren ausgerüstet sein», sagt der neueRektor der Hochschule. Im Unterschied zumöffentlichen Bahn- und Stadtverkehr, der weit-gehend von Stromleitungen abhängig sei, müsseder Individualverkehr seine Energie selber mit-führen. Aus der Schublade seines Schreibtischs

Bild links: AutomatisierteSicherheitssysteme sollenkünftig Unfälle auf derStrasse verhindern – bei-spielsweise durch Kom-munikationsmöglichkeitender Autos untereinander.Die Car2Car-Technologiebasiert auf Nachrichten,welche sich die Fahrzeu-ge gegenseitig senden.Sie dienen als Grundlagezum Erkennen von kriti-schen Situationen.

Bild rechts: Das Funk-system für die Car2Car-Kommunikation basiertauf dem drahtlosenlokalen Netzwerk (WLAN)und hat einen Radius vonwenigen hundert Metern.Sobald zwei oder mehrereFahrzeuge in Funkdistanzsind, bauen sie einAd-hoc-Netzwerk auf.Bilder: car2car

Page 7: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

7Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

KONTAKTGiovanni D’UrbanoSektionschef Verkehr, BAFU031 322 93 [email protected]

kramt er Schokolade hervor und fragt: «WennSie auf eine Wanderung gehen, packen Sie danneine Tafel Schoggi ein oder gut zwei KilogrammBrokkoli mit dem gleichen Energiegehalt?» DieAntwort gibt er gleich selbst: «Mit dem Treibstoffist es dasselbe: Benzin und Diesel haben fantas-tische Energiewerte, viel höhere als Batterien.»Dazu komme der sehr günstige Preis von Benzin,das pro Liter kaum teurer sei als Mineralwasser.Dieser finanzielle Fehlanreiz habe allerdingszum Bau von zu schweren und zu leistungsstar-ken Autos geführt.

Computergesteuerte Fahrzeuge. Lino Guzzellawünscht sich leichtere und sparsamere Autos.Dabei setzt er auf kleine, turbogeladene Motorenund pneumatische Hybriden mit einer Kombi-nation aus Druckluft- und Verbrennungsmotor,wie sie im Keller des Instituts erprobt werden.Nötig sei zudem ein radikaler Leichtbau ausAluminium, Kohlefasern oder Magnesium, wieihn etwa die Schweizer Firmen Georg Fischer,Esoro oder Horlacher, aber auch Industriegrös-sen wie Audi und BMW vorantreiben. «Das Ge-wicht des Fahrzeugs wird zur zentralen Grösse»,prophezeit Lino Guzzella. Als Konsequenz darfdas Auto der Zukunft keine Zusammenstössemehr erleiden. Weil an den allermeisten Unfäl-len die Fahrer schuld sind, braucht es automati-sierte Sicherheitssysteme.

Das Feld der diskutierten Hilfsmittel ist gross:Bordcomputer, Satellitennavigation, vorpro-grammierte Strassenprofile, Steuerhilfen, Kom-munikation der Autos untereinander (Car2Car)und mit Verkehrssignalen. Der InternetkonzernGoogle testet gar ein Hightech-Auto, das aufeinen autonomen Betrieb umschalten kann.

Jüngst hat das US-Patentamt ein entsprechendesPatent gewährt. Damit liessen sich nicht nurUnfälle, sondern auch Staus vermeiden, sinddie Google-Techniker überzeugt. Sie rechnenvor, unsere Strassen könnten doppelt so vielecomputergesteuerte Autos aufnehmen wie vonMenschenhand gelenkte. «Technisch ist das al-les machbar», sagt Lino Guzzella. «Der grosseWiderstand sitzt in den Köpfen, denn die Leutekönnten dann nicht mehr nach Herzenslustbeschleunigen.»

Führerlose Systeme im Test. Auch GiovanniD’Urbano, Maschineningenieur und Leiter derBAFU-Sektion Verkehr, kann sich eine Koppe-lung der Fahrzeuge auf viel befahrenen Streckenwie Autobahnen vorstellen. In dichten Ballungs-zentren schwebt ihm der Einsatz von Personal-Rapid-Transit-Systemen (PRT) vor, wie sie derFlughafen Heathrow in London testet. In einemPilotversuch werden hier Passagiere mit kleinen,führerlosen Elektrowagen von einem Parkplatzzum gewünschten Terminal befördert.

Wie also wird der Individualverkehr in 20 bis30 Jahren aussehen, fragen wir den Fachmannauf einer Zugfahrt zwischen Bern und Zürich?Giovanni D’Urbano sieht einen Mix aus ver-schiedenen Antriebssystemen und Treibstoffen:saubere Diesel, kleine Benzinautos, Hybridfahr-zeuge, Erdgasautos, reine Elektromobile, E-Bikesund Velos. Entscheidend seien auch die Ent-wicklung der Treibstoffkosten und gesetzlicheRahmenbedingungen wie CO2-Gesetz, Abgas-vorschriften oder finanzielle Lenkungsabgaben.«Es ist anzunehmen, dass die fossilen Treibstoffekünftig teurer werden. Deshalb dürften sich diesparsamen Modelle durchsetzen», sagt GiovanniD’Urbano und greift nach seinem Abonnement,das er dem Zugführer entgegenstreckt. Und wiewird sich der öffentliche Verkehr entwickeln?Werden wir dereinst mit Magnetschwebebahnendas Mittelland queren, wie es die Projekte «SwissMetro» (unterirdisch) oder «SwissRapid Express»skizzieren? «Es sind noch zu viele Fragen offen»,erklärt der BAFU-Verkehrsspezialist. «Die For-schung muss zuerst zeigen, was technisch undfinanziell überhaupt machbar ist.»

Die Züge der Zukunft werden sich also nichtgrundsätzlich von den heutigen unterscheiden.Doch immerhin will uns die SBB künftig geräu-migere Wagen und auf den Hauptverkehrsach-sen zusätzliche Fahrten im Viertelstundentaktbieten.

Nicolas Gattlen

Weiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-01

Das Gewicht des Fahrzeugswird zur zentralen Grösse. AlsKonsequenz darf das Autoder Zukunft keine Zusammen-stösse mehr erleiden. Weil anden allermeisten Unfällen dieFahrer schuld sind, brauchtes automatisierte Sicherheits-systeme.

Page 8: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität8

Mobilität unter der Lupebjo. Millionen von Menschen sind in der Schweiz täglich auf dem Strassen- undSchienennetz unterwegs. Die hohe Mobilität ist ein zentrales Merkmal unsererGesellschaft und Teil der persönlichen Lebensqualität. Sie verschafft uns wirt-schaftliche Vorteile, verursacht andererseits aber auch vielfältige Umwelt- undGesundheitsprobleme.

Vor allem entlang von viel befahrenen Strassen leiden Hunderttausendevon Anwohnern unter dem gesundheitsschädigenden Lärm der Motorfahr-zeuge und ihrem Abgasausstoss. Die Verkehrsadern mit der grössten Trans-portleistung sind praktisch deckungsgleich mit den Immissionskarten, dieübermässige Lärm- und Luftbelastungen anzeigen – so etwa mit dem ReizgasStickstoffdioxid (NO2).

Bedingt durch die dynamische Entwicklung der Transportbedürfnisse imPersonen- und Güterverkehr haben in den letzten Jahrzehnten auch die ent-sprechenden Treibhausgasemissionen, der Flächenverbrauch und damit dieLandschaftszerstörung und Zerschneidung von Lebensräumen stark zugenom-men. Die Verkehrsinfrastruktur belegt heute rund einen Drittel der Siedlungs-flächen oder umgerechnet etwa 130 Quadratmeter pro Person, was ungefährdem Dreifachen der Wohnfläche entspricht. Dabei nehmen allein die Strassen-areale fast 90 Prozent in Beschlag.

Neben den Hochleistungsachsen existiert aber auch ein gut ausgebautesNetz für den umweltschonenden Langsamverkehr in Form von Wanderwegen,Gebirgspfaden und Velorouten (Seiten 10 und 11).

ANZAHL DER MOTORFAHRZEUGE MIT CH-NUMMERNSCHILD, 2011

4 163 003 348 553 60 324 665 870

Tagsüber leiden

1200 000Personen unter Strassenlärm

70 000unter Bahnlärm

65 000unter Fluglärm

Nachts leiden

700 000Personen unter Strassenlärm

140 000unter Bahnlärm

95 000unter Fluglärm

Länge des Strassennetzes:71 452 km Länge des Schienennetzes: 5124 kmSTRASSENLäRMBELASTUNG, 2008

stark gesundheitsgefährdend (> 55 dBA)gesundheitsgefährdend (40 – 44,9 dBA)mässig störend (30 – 39,9 dBA)gesundheitlich unbedenklich (< 30 dBA)Bewertung nach WHO

Page 9: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

9Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

15 000

30 000

45 000

60 000

75 000

90 000

bis 5000

25 000

50 000

100 000

15

22

29

23

12

10

9

120 000 22 910 504

4 095 626

11 845 379

30 074

Flughafen undAnzahl Passagiere pro Jahr

Passagierzahlen (Durchschnittpro Tag) der grössten Bahnhöfe

Gebirgslandeplatz

Anzahl Passagierschiffe aufden grössten Seen

300 000

JäHRLICHER CO2-AUSSTOSS DES VERKEHRS IN MILLIONEN TONNEN

HOCHLEISTUNGSNETZ FÜR DEN STRASSEN- UND BAHNVERKEHR

1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010

STICKSTOFFDIOXID-BELASTUNG (NO2), 2010

125 000

120 000

150 000

85 000

81 113

18 697

100 704

69 336

Anzahl Motorfahrzeuge pro Tag

Anzahl Zugreisende pro Tag

1716151413121110

987654321 > 36

33–3630–3325–3020–2515–2010–15≤ 10

169 082

Mikrogramm NO2/m3

Page 10: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität10

Die Schweizer Bevölkerung legt im Jahr pro Kopf zurück – rund die Hälfte des Erdumfangs.

40% auf die Freizeit,

18%36%Von den im Inland zurückgelegten Distanzen entfallen

auf Arbeit und Ausbildung und auf Einkäufe und Begleitgänge.

10 m2

FLäCHENBEDARF UNTERSCHIEDLICHERVERKEHRSMITTEL, PRO PERSON(in Bewegung, inklusive Abstände)

115 m2

7 m2

3 m2

DIE SCHWEIZER HAUSHALTE BESITZEN FOLGENDE TRANSPORTMITTEL

20,5 %

22,6 %

25,5 %

und mehr...

31,4 %

48,7 %

24,8 %

5,7 %und mehr...

20,8 %

11%

2 %und mehr...

87 %

20500 km

ZURÜCKGELEGTE DISTANZEN PRO FORTBEWEGUNGSMITTEL, IN PROZENT

3,7 %

49,6 %

25,6 %

18,7 %

Quellen: ARE, ASTRA, BAFU, BAV, BAZL, BFS, SBB, Stadt Zürich

Page 11: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

11Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

66 000 km Wanderwege vernetzen die ganze Schweiz. Es gibt in der Schweiz9 nationale, 53 regionale

und 59 lokale Velorouten mit über100 Velomietstationen.

DURCHSCHNITTLICHES REISETEMPO (in Stundenkilometern):

4,9 km 13,4 km 33,5 km 38,6 km 61,4 km

ÖV

UNTERWEGS VERBRACHTE ZEIT (in Minuten pro Tag):

Grün: nationale VeloroutenGrüner Punkt: VelomietstationGelb: WanderwegeRot: BergwanderwegeBlau: Alpinwanderwege

DICHT GEWOBENES NETZ FÜR DEN LANGSAMVERKEHR

Weiterführende Links unter www.bafu.admin.ch/magazin2012-3-02

Page 12: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität12

Der Berner Frauenlauf ist ein sportliches Ereig-nis, das mehr Menschen bewegt als hochkarä-tige Fussballspiele im Stade de Suisse. «Bewegt»im Wortsinn: Nicht nur, dass 14000 LäuferinnenStrecken von 0,5 bis 15 Kilometern rennendoder walkend hinter sich bringen. Über viel wei-tere Distanzen bewegt werden die Aktiven unddas noch zahlreichere Publikum auf dem Wegan den Ort des Geschehens und abends wiederzurück nach Hause.

Bahnbillett im Startgeld inbegriffen. Um diesen Ver-kehr möglichst umweltverträglich abzuwickeln,haben sich die Organisatoren einiges einfallenlassen. Im Startgeld inbegriffen ist ein Bahnbil-lett für die Hin- und Rückfahrt ab Wohnort inder ganzen Schweiz. Mit der SBB ist dafür einPauschalpreis ausgehandelt worden. Wer ein Ge-neralabonnement besitzt, bezahlt ein reduzier-tes Startgeld, desgleichen Läuferinnen aus Bernund den nächstgelegenen Aussengemeinden, diebloss eine Fahrkarte für das Nahverkehrsnetzbenötigen. Zudem steht in den Startunterlagendeutlich, dass keine Parkplätze angeboten wer-den. Die Kombination der beiden Massnahmenwirkt: «Unsere Umfragen zeigen, dass 95 Prozentder Läuferinnen mit öffentlichen Verkehrsmit-teln anreisen», sagt Catherine Imhof vom Orga-nisationskomitee.

Das ist ein Traumwert für den Freizeitver-kehr. Gemäss der Erhebung der Bundesämter fürStatistik (BFS) und Raumentwicklung (ARE) überdie Mobilität in der Schweiz aus dem Jahr 2012wird insgesamt zwar fast die Hälfte aller Weg-etappen zu Fuss zurückgelegt. Doch für 67 Pro-zent der Distanzen im Freizeitverkehr kommen

Auto oder Motorrad zum Einsatz. Und währendder Anteil des motorisierten Individualverkehrsinsgesamt leicht gesunken ist, bleibt das Autounbestritten das wichtigste Gefährt in der Frei-zeit. Zur Arbeit geht es zunehmend per Bahnoder Bus − doch nach Feierabend setzt man sichnach wie vor am liebsten ins eigene Gefährt.

Frei im eigenen Auto. Befragungen zeigen klar,weshalb das Auto in der Freizeit so populär ist:kürzere Fahrzeit einerseits, ungenügende Er-schliessung des Reiseziels durch Bus und Bahnanderseits. Die Kosten hingegen spielen eine un-tergeordnete Rolle. Tatsächlich lassen sich Frei-zeitziele mit dem öffentlichen Verkehr oft nichtso gut erreichen wie der Arbeitsplatz, und nachFeierabend und an Feiertagen sind die Fahr-pläne weniger dicht als zu den werktäglichenStosszeiten.

Andreas Blumenstein vom Büro für Mobili-tät in Bern sieht noch einen anderen Grund fürdie geringe Beliebtheit des ÖV nach Feierabend.«Die Verkehrsmittelwahl hat auch einen emotio-nalen Aspekt», sagt er. «Pendeln ist Alltagsrouti-ne, Freizeit ist Ausbruch aus dieser Routine. Wirmöchten dann spontan entscheiden können,wann und wohin die Fahrt geht. Das eigeneAuto entspricht dieser Befindlichkeit eher alsder ÖV, dessen Nutzung eine gewisse Planung er-fordert.» Freizeit ist Freiheit, und diese will mansich nicht durch Fahrpläne beschneiden lassen.

Freizeitverkehr dominiert. Unsere Gesellschaft istso mobil wie nie zuvor. Im Durchschnitt sinddie Menschen in der Schweiz 37 Kilometer proTag unterwegs, davon 40 Prozent in der Freizeit

FREIZEITVERKEHR

Die verstopften Strassen und überfüllten Züge vor Arbeitsbeginn und nach Büroschluss täuschendarüber hinweg: Am mobilsten sind die Menschen in der Schweiz nicht als Pendler, sondern in ihrerFreizeit. Die grössten Distanzen legen sie im Auto und während der Ferien im Flugzeug zurück.

Mit Bahn und Traman den Start

Page 13: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

13Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

und bloss 24 Prozent im Arbeitsverkehr. Unbe-rücksichtigt bleiben in diesen Zahlen längereTagesausflüge und Reisen, die pro Person undJahr 6700 Kilometer ausmachen – davon sindvier Fünftel Freizeitverkehr. Mehr als die Hälftedieser Distanzen legen wir im Flugzeug zurück.Auf 3 Tonnen CO2-Emissionen im gesamtenmotorisierten Individualverkehr kommt heutebereits mehr als 1 Tonne, die wir im interna-tionalen Flugverkehr freisetzen. Die Bedeutungder Flugreisen wird laut Tourismusexperten wei-ter zunehmen. So hat etwa die Studie ReisemarktSchweiz des Instituts für Öffentliche Dienstleis-tungen und Tourismus der Universität St.Gallenaus dem Jahr 2008 gezeigt, dass kürzere Reisenund Billigflüge besonders im Trend liegen.

Wie lässt sich dieser Mobilitätshunger inder Freizeit umweltgerecht stillen? Eine schwie-rige Frage: «Bisherige verkehrspolitische undverkehrsplanerische Strategien waren in ersterLinie auf den Arbeitspendlerverkehr sowie aufden Fernverkehr ausgerichtet», schreibt der Bun-desrat in seiner 2009 veröffentlichten «StrategieFreizeitverkehr». «Die spezifischen Aspekte desFreizeitverkehrs wurden zu wenig intensiv in dieÜberlegungen zu einer nachhaltigen Verkehrs-politik einbezogen. Entsprechend gross sindheute der Handlungsbedarf und das Handlungs-potenzial.» Die Strategie hat zum Ziel, den pri-vaten Freizeitverkehr mit Auto und Motorrad biszum Jahr 2020 zu stabilisieren. Die Anteile desÖV und des Langsamverkehrs sollen erhöht, dieWege verkürzt werden.

Die Ziele also sind klar – wie sie sich errei-chen lassen, weniger. Einer der Gründe liegtdarin, dass sich das Verhalten der Menschen in

Der Berner Frauenlauf setztals sportliche Grossveran-staltung voll auf den öffent-lichen Verkehr. 95 Prozentder Teilnehmerinnen reisenper Bahn, Tram und Buszum Start im Stadtzentrum.Alle Bilder: Ruben Wyttenbach

Page 14: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität14

der Freizeit nicht über einen Leisten schlagenlässt, der Freizeitverkehr ist ein überaus he-terogenes Gebilde. Deshalb gibt es auch keinePatentlösungen, um ihn zu beeinflussen. Wases braucht, ist ein Paket von verschiedenstenaufeinander abgestimmten Massnahmen.

Freizeitverkehr ist Nahverkehr. Fast zwei Drittelder täglichen Freizeitwege liegen innerhalb vonAgglomerationen. Man fährt zu Besuch, gehtauswärts essen, saust ins Training oder zumnächsten Waldrand. Ein Drittel bis die Hälftedieser Wege misst weniger als 2 Kilometer. Dasheisst: Durch ein ausgebautes ÖV-Angebot undattraktive Wege für Velofahrende und Fussgän-ger könnte es durchaus gelingen, die Freizeit-mobilität vom Auto weg zu verlagern. Dies giltvorab für Bereiche, in denen der Anteil des In-dividualverkehrs besonders hoch ist, wie zumBeispiel für den Sportverkehr. Kein Wunder,versuchen viele Umsteigeprojekte, den Sportle-rinnen und Sportlern den ÖV schmackhaft zumachen.

Fussballnachwuchs per ÖV zum Match. Eltern vonfussballspielenden Kindern werden am Wo-chenende vielfach zu Chauffeuren im Neben-amt. Sie fahren ihren Nachwuchs zum Match.Weit sind die Wege beispielsweise bei den Tur-nieren, die manche Fussballclubs im KantonZürich im Frühsommer und Spätherbst orga-nisieren. Um die Eltern von ihrem Fahrdienstund die Umwelt von den Auswirkungen desAutoverkehrs zu entlasten, hat das Beratungs-büro Synergo mit Unterstützung des BAFU undweiteren Partnern das Projekt Soccermobileentwickelt. Synergo stellt für Veranstalter undClubs Informationen zur Anreise mit dem öf-fentlichen Verkehr zusammen. Zudem gibt esfür die Clubs ein kostenloses, für das gesamteGebiet des Zürcher Verkehrsverbundes gültigesGruppenbillett.

Die Ergebnisse eines Tests an fünf Turnie-ren waren vielversprechend: Jedes dritte Teamnutzte das ÖV-Angebot. Im Juni 2012 lief dasProjekt aus. Noch ist ungewiss, ob und in wel-cher Form es weitergeführt werden soll. Kos-tenlose Gruppenbillette könne es aber auf dieDauer nicht geben, sagt Projektleiter DominikOetterli von Synergo. Ob die Vereine dem ÖVtreu bleiben, wenn sie das Kollektivbillett sel-ber berappen müssen, ist offen.

Lücken im touristischen ÖV-Netz schliessen. Wersich in seiner Freizeit gerne in der Natur be-wegt, fährt oft im Auto in die Berge oder Hügel.Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, ohneeigenes Fahrzeug in abgelegene Gebiete zu

reisen. Diese Alternative will der Verein moun-tain wilderness besser bekannt machen. Unterwww.alpentaxi.ch bietet er einen Überblicküber lokale Taxiunternehmen im SchweizerAlpenraum. Die Idee: Das Alpentaxi überbrücktdie letzten Kilometer von der Bus- oder Bahn-endstation bis zu Ausgangs- und Endpunkt ei-ner Wanderung oder Skitour.

Lücken im touristischen ÖV-Netz schliessenwill auch der Verein Busalpin. Dazu wurden2005 und 2006 in vier Pilotregionen – Gan-trisch (BE), Binntal (VS), Greina (GR/TI) undMoosalp (VS) – neue Angebote entwickelt,zum Beispiel ein Rufbus, der die Ausflügler zurLanglaufloipe oder zum Ausgangspunkt einerWanderung bringt. Mehr als 25 000 Fahrgästehaben diese Möglichkeit in den beiden Ver-suchsjahren genutzt. Inzwischen sind weitereRegionen beigetreten. Der Verein berät sie beimAufbau vonÖV-Angeboten und vermarktet dieseüber seine Internetplattform www.busalpin.ch.Sowohl das Alpentaxi wie auch Busalpin wer-den vom BAFU finanziell unterstützt.

Gefördert wird auch das Projekt «Mobi-les Entlebuch». Es bietet Besucherinnen undBesuchern des UNESCO-BiosphärengebietsAlternativen zum Privatauto: Verkehrsange-bote wie zum Beispiel Kleinbusse für Winter-sporttreibende oder Rail Bons für die Anreisezu Exkursionen. Die Angebote werden genutzt,wenn auch in eher bescheidenem Umfang.Eine Erfolgskontrolle durch das Institut fürTourismuswirtschaft an der Hochschule Luzernhat ergeben, dass im Laufe eines Jahres rund1200 automobile Gäste aufgrund dieser Alter-nativen auf den ÖV und den Langsamverkehrumgestiegen sind.

Warum in die Ferne schweifen? UmweltgerechteFreizeitmobilität lässt sich nicht nur durch bes-sere ÖV-Angebote schaffen. Viel Verkehr liessesich zum Beispiel vermeiden, wenn wir nichtbis in die Alpen oder den Jura fahren müssten,um uns der Natur nahe zu fühlen. Anders ge-sagt: Gut erschlossene und attraktive Naherho-lungsgebiete machen lange Fahrten ins Grüneüberflüssig. Eine wichtige Rolle können hierwiederbelebte Flusslandschaften spielen. Diesgilt etwa für die Birspark-Landschaft, ein Auf-wertungsprojekt im Kanton Baselland, das vonder Stiftung Landschaftsschutz zur Landschaftdes Jahres 2012 gewählt worden ist. Früher gal-ten die Uferzonen als vernachlässigte Hinter-höfe der Gemeinden an der Birs, heute werdensie von der Bevölkerung als Naturoasen und Er-holungsgebiete geschätzt.

Auch in der Hunzigenau an der Aare ober-halb von Bern herrscht an sonnigen Tagen

Page 15: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

15Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

reger Betrieb. Man badet, brät Würste und ge-niesst die Sonne. Das war nicht immer so: Zueiner viel besuchten Wasserwelt entwickeltesich die Hunzigenau erst 2006. Als Hochwas-serschutzmassnahme wurde damals das Fluss-bett verbreitert. Ein neuer Seitenarm liess zweiInseln entstehen, wovon die eine mit einemSteg erschlossen ist. Die wilde Flusslandschaftim Kleinformat liegt in Fusswegdistanz zu denAgglomerationsgemeinden Rubigen und Mün-singen.

Ähnliche Renaturierungsmassnahmen wer-den auch an anderen Abschnitten der Aare zwi-schen Thun und Bern umgesetzt oder sind ge-plant. Übrigens: 68 Prozent der Leute, die sichheute in dieser Landschaft erholen, wohnen inden anliegenden Gemeinden. Dies ergab un-längst eine Besuchererhebung. 65 Prozent kom-men per ÖV, Velo oder zu Fuss. Ob die Aufwer-tungen insgesamt zu weniger Autofahrten

führen werden, ist hingegen fraglich. Weil dasGebiet immer mehr Leute anziehe, sei «miteiner Zunahme des motorisierten Individualver-kehrs zu rechnen», heisst es im Bericht zum Er-holungs- und Besucherinformationskonzept fürdie gesamte Aarestrecke zwischen Thun undBern.

Ob Farniente am Wasser, Outdoor-Aktivitä-ten in den Bergen, Grossveranstaltungen oderKinderfussball: Der Weg zu einer umweltge-rechten Mobilität in der Freizeit ist lang. Und esbraucht noch viele sprühende Ideen und weg-weisende Projekte, bis wir das Gefühl von Frei-heit und Ungebundenheit nicht mehr mit demLosfahren im Auto gleichsetzen.

Hansjakob Baumgartner

Weiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-03

KONTAKTDoris Ochsner TannerSektion VerkehrBAFU031 322 96 [email protected]

Rund 14 000 Läuferinnen bestreiten Jahr für Jahr den Berner Frauenlauf. Im Start-geld inbegriffen ist das Bahnbillett ab dem Wohnort nach Bern. Das Ticket ist vier Tagegültig. Öffentliche Parkplätze werden keine angeboten, dafür zahlreiche Extrazüge.

Page 16: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität16

Der vorbildlich ausgebaute öffentliche Verkehr gehört für Peter Füglistaler zu den wichtigsten wirtschaftlichen Standort-vorteilen der Schweiz. Im Interview mit umwelt erklärt der Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV), wie das an-haltende Wachstum der Mobilität bewältigt werden soll – und weshalb der Staat in diesem Bereich Grenzen setzen muss.

VERKEHRSPOLITIK

umwelt: Herr Füglistaler, ist es erstrebenswert, künftigmit dem Zug in einer halben Stunde von Bern nachZürich fahren zu können?Peter Füglistaler: Jede Beschleunigung schafftmehr Mobilität. Unser Ziel ist aber nicht, die Mo-bilität zu erhöhen, sondern sie zu bewältigen,– und zwar möglichst ökologisch verträglich.Darum richten wir den Ausbau auf die Kapazitätmit besseren und bequemeren Angeboten ausund nicht auf die Beschleunigung. Das ist eineklare Absage an eine Schnellbahn Zürich–Bern.Das sieht die SBB-Chefetage etwas anders. Dort heisstes: «Wir erfüllen die Bedürfnisse unserer Kunden und

machen, was der Markt will.»Der von uns geplante Kapazitätsausbau richtetsich voll nach dem Markt. Aber wir wollen nichtmit Fahrzeitverkürzungen neue Märkte schaf-fen. Eine zusätzliche Beschleunigung würde zueinem zusätzlichen Landverschleiss führen unddamit dem Raumkonzept Schweiz und der Ver-kehrs- sowie der Raumplanungspolitik des Bun-des widersprechen.

Welchen Nutzen verdanken wir der gestiegenenMobilität?Wir profitieren in jeder Phase unseres Lebens

«Wir wollen keinegrenzenlose Mobilität»

Page 17: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

17Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

«Vor allem erweitert die gestiegene Mobilität unserenErlebnisraum, und sie bedeutet ein Stück persönlicheFreiheit, die vielen Menschen neben der gedanklichenFreiheit sehr wichtig ist.» Peter Füglistaler, Direktor BAV

davon: während der Schul- und Ausbildungs-zeit, später bei der Suche nach einer interessan-ten Arbeit und immer wieder auch zur Erholungin der Freizeit. Vor allem aber erweitert die ge-stiegene Mobilität unseren Erlebnisraum, undsie bedeutet ein Stück persönliche Freiheit, dievielen Menschen neben der gedanklichen Frei-heit sehr wichtig ist.

Wie viel Mobilität braucht es, damit sich die Schweizwirtschaftlich erfolgreich weiterentwickeln kann?Man geht allgemein davon aus, dass ein Zu-sammenhang zwischen Wohlstand und Ver-kehrswachstum besteht. Ein ökonomischerAufschwung führt zu einer Verkehrszunahme.Unsere Abschätzungen zeigen, dass für die wirt-schaftliche Entwicklung der Schweiz bis 2030ein beträchtliches Verkehrswachstum nötig seinwird. Beim Personenverkehr rechnen wir mit

einem Plus in der Grössenordnung von 60 Pro-zent und beim Gütertransport mit 70 Prozent.Als stark exportorientiertes Land müssen wirunsere Märkte effizient erschliessen, den Pend-lerverkehr zu den Wirtschaftszentren ermögli-chen und als Tourismusland auch den Freizeit-verkehr attraktiv organisieren.

Kann die Schweiz eine derartige Verkehrszunahmeverkraften?Tatsächlich spüren wir die Nachteile des Ver-kehrswachstums immer deutlicher. Ich denkean die Zersiedlung des Landes oder an die Belas-tungen durch Lärm und Luftschadstoffe. Zudemnehmen die Verkehrsanlagen immer grössereFlächen in Anspruch. Wir müssen den Verkehrdeshalb möglichst ökologisch bewältigen. Ermuss gebündelt und in sensiblen Räumen –wie etwa in dicht bevölkerten Gebieten oder im

Bilder: Hansueli Trachsel

Page 18: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität18

Alpenraum – in seinem Wachstum beschränktoder auf umweltgerechte Verkehrsträger verla-gert werden.

Gibt es Grenzen der persönlichen Mobilität?Selbstverständlich, überall wo die persönlicheFreiheit die Gemeinschaft zu stark belastet,braucht es Einschränkungen. Das gilt längstauch beim Verkehr. Wir sperren Durchgangs-strassen und stellen so in Wohnquartierenden Schutz der Anwohner über das Recht auffreie Mobilität. Oder wir befreien die Stadtzen-tren vom Verkehr. Auch mit dem Nacht- undSonntagsfahrverbot für Lastwagen kennt dieSchweiz eine gesetzliche Einschränkung, wel-che die öffentlichen Interessen über die unein-geschränkte Mobilität stellt. Wir wollen keinegrenzenlose Mobilität, der Verkehr muss fürMensch und Umwelt verträglich sein.

Der Staat schränkt die Mobilität also ein?Ja, und unsere neue Vorlage zur Finanzierungund zum Ausbau der Bahninfrastruktur siehtauch vor, dass die Nutzer mehr an die Infra-struktur bezahlen müssen, weshalb die Preiseauf Ende 2012 um gut 5 Prozent erhöht wer-den. Der Benutzer soll spüren, dass die Mobi-lität etwas kostet. Teil der Vorlage ist auch dieBeschränkung des Pendlerabzugs bei der direk-ten Bundessteuer auf 3000 Franken im Jahr. Esgibt Autopendler, die bis anhin 70000 Frankenabgezogen haben. Die Botschaft ans Parlamentist klar: Es braucht die Mobilität – vor allemim Berufsleben, aber sie soll nur noch im Ag-

glomerationsgebiet steuerlich begünstigt wer-den. Wer über grössere Distanzen pendelt, sollvom Staat nicht mehr dafür belohnt werden.

Zu Spitzenzeiten sind viele Züge bereits heute bre-chend voll. Ist eine weitere Verlagerung des Verkehrsvon der Strasse auf die Schiene überhaupt nochmöglich?Sie muss möglich sein. In den letzten 10 Jahrenist der Anteil des ÖV am gesamten Verkehrs-aufkommen gestiegen, und dieser Trend wirdsich weiter fortsetzen müssen. Wenn wir denVerkehr möglichst ökologisch bewältigen wol-len, sind die entscheidenden Kriterien hoheEffizienz und geringe Umweltbelastung. Hier

schneiden Massenverkehrsmittel wie die Bahndeutlich besser ab als der motorisierte Indivi-dualverkehr. Die Stossrichtung ist deshalb klar:Das künftige Verkehrswachstum soll weitge-hend vom ÖV bewältigt werden.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sind wir imJahr 2050 geschäftlich und privat unterwegs?Es fällt mir schwer zu sagen, ob wir uns in Zu-kunft mit Magnetbahnen bewegen oder mitdem Leichtflugzeug umherschwirren. Ich binkein Technikfreak. Sehr wahrscheinlich aberwerden wir weiterhin mit Zug und Auto un-terwegs sein. Doch das Entscheidende sind fürmich nicht die Verkehrsmittel. Meine Visionist, dass es 2050 eine persönliche Mobilitäts-karte gibt. Sie wird die Fahrkosten aufgrundder Distanz und der Tageszeit belasten, denVerkehr in empfindlichen Räumen wie in Städ-ten oder Erholungszonen extra verrechnen,Rabatte für ökologische Transportarten gewäh-ren und einen Zuschlag für Leute erheben, dieimmer noch mit der Benzinkutsche unterwegssind.

Hat ein immer besser ausgebautes öffentlichesVerkehrsnetz nicht auch Kehrseiten? Es hält dieMenschen davon ab, sich zu Fuss oder mit dem Velofortzubewegen.Öffentlicher Verkehr und Langsamverkehrmüssen sich ergänzen. Der Langsamverkehrhat sicher noch Potenzial. Bei den Elektrobikeserleben wir im Moment ja fast eine Art Revo-lution. Sie schliessen eine Lücke, da es vielenLeuten zu aufwendig ist, Distanzen ab einergewissen Länge mit dem Velo zurückzulegen.Aber man darf nicht vergessen, dass die Be-völkerung älter wird und trotzdem mobil seinwill. Durch die Angebote im öffentlichen Ver-kehr stellen wir sicher, dass sich auch dieseLeute bequem und weitgehend CO2-frei bewe-gen können.

Der Langsamverkehr wird vom Staat benachteiligt.Ausgerechnet Fussgänger und Velofahrende, welchedie Umwelt und das Verkehrssystem am wenigstenbelasten, erhalten keine Steuervorteile.Eine gewisse Ungerechtigkeit wird ja nundurch die erwähnte Beschränkung des Pendler-abzugs beseitigt. Um weiter zu gehen, bräuchtees ein eigentliches «Mobility Pricing», also eineviel stärker differenzierte Tarifierung als heute.Für den öffentlichen Verkehr würde dies aller-dings auch bedeuten, das Generalabonnementzu hinterfragen. Dieses Angebot für unlimitierteFahrten zu einem Fixpreis von knapp 3400 Fran-ken ist natürlich nicht im Sinn einer benutzer-gerechten Tarifierung. Dies alles wird noch viel

«Wenn wir Geld sparen wollen, holen wir imdicht belasteten Netz mehr heraus, als wenn wirin den Randgebieten Kahlschlag betreiben.»

Page 19: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

19Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

zu reden geben. Deshalb müssen sich Velofahren-de und Fussgänger wohl noch einige Jahre miteinem guten Gewissen selber belohnen.

Wie lange können wir uns den gut ausgebauten ÖVnoch leisten?Gegenfrage: Kann es sich die Schweiz leisten,auf einen ihrer wichtigsten Standortvorteile zuverzichten?

Denkt man an die Postautos, die oft kaum besetzt bisins hinterste Bergtal fahren, kann schon das Gefühlaufkommen, die Schweiz leiste sich mit dem flächen-deckenden ÖV-Angebot einen Luxus.Dies ist ein grosser Irrtum. Wer schlecht ausge-lastete Busse sieht, denkt, dieses Angebot brau-che es doch nicht. Doch im Vergleich mit derS-Bahn, die auch im Raum Zürich ihre Kostennicht deckt, geht es dabei um relativ kleine Be-träge. Wenn wir Geld sparen wollen, holen wirim dicht belasteten Netz mehr heraus, als wennwir in den Randgebieten Kahlschlag betreiben.Beim letzten Sparprogramm des Bundes zeig-te sich, welch grosser Teil des Angebots in denRandgebieten gestrichen werden müsste, umnur schon eine kleine Einsparung zu erzielen.Wir haben schliesslich auch einen Versorgungs-auftrag. Es gehört zur Schweiz, dass sich mitdem öffentlichen Verkehr auch die meistenBergdörfer erreichen lassen. Das müssen wiruns leisten, denn es trägt auch zum gesellschaft-lichen Zusammenhalt bei!

Sie haben schon angetönt, dass die ÖV-Benutzendenkünftig mehr für die Mobilität bezahlen sollen.Ja, davon bin ich überzeugt. Man darf sich kei-nen Illusionen hingeben – wir kommen immerfür die Kosten der Mobilität auf, wenn nichtüber die Tarife, dann eben über die Steuern.Deshalb soll etwas mehr bezahlen, wer den un-mittelbaren Nutzen hat. Heute tragen die ÖV-Nutzer nur etwa die Hälfte der Kosten, währenddie Steuerzahler den Rest übernehmen. DiesesVerhältnis wird sich in den nächsten Jahren gra-duell verschieben. Doch eigentlich müssten dieNutzer einen deutlich grösseren Kostenanteiltragen.

Wie soll die Kostenverteilung denn künftig aussehen?Es geht um eine schrittweise Verteuerung. Miteinem Preisanstieg von über 5 Prozent Ende2012 bewegen wir uns sicher am oberen Endedes Möglichen. Es braucht höhere Preise, damitwir die Infrastrukturkosten decken können. DasBAV geht davon aus, dass es wegen dieser Ver-teuerung nicht zu einer Rückverlagerung desVerkehrs auf die Strasse kommt. Möglich ist einegewisse Abschwächung des Wachstums – und

das ist gar nicht schlecht. Der ÖV hat in denvergangenen Jahren Wachstumsraten von bis zu8 Prozent erlebt, was auch zu Problemen geführthat.

Warum wird ausgerechnet der öffentliche Verkehr sostark gefördert? Aus Umweltsicht liessen sich dieseöffentlichen Mittel effizienter ausgeben, oder mankönnte damit auch andere Bereiche wie die Gesundheitstärker subventionieren.Zu diesen Fragen findet eine permanente Dis-kussion in Bundesrat und Parlament statt, wennes um Budgetentscheide geht und Vorlagen dis-

kutiert werden. Da steht der ÖV im dauerndenVerteilkampf mit anderen Ausgabenbereichen.Die Schweiz kennt bei der Zuteilung der staat-lichen Mittel einen relativ einfachen Mechanis-mus: Es gilt, Abstimmungen zu gewinnen – seies im Parlament oder an der Urne.

Ihr Vorgänger Max Friedli hat einmal von einer «bei-nahe irrationalen Begeisterung» der Schweiz für denöffentlichen Verkehr gesprochen. Sehen Sie dasauch so?Meiner Meinung nach sind es sehr rationaleÜberlegungen, die uns dazu veranlassen, denöffentlichen Verkehr zu fördern. Bei allen Um-fragen zur Wettbewerbsfähigkeit der Schweizsteht die Qualität des ÖV an prominenter Stelle.Es zieht ausländische Firmen nicht zuletzt in dieSchweiz, weil es uns gelingt, die Verkehrsproble-me vorbildlich zu lösen.

Interview: Kaspar MeuliWeiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-04

Peter Füglistaler. Der 1959 geborene Peter Füglis-taler ist seit 2010 Direktor des Bundesamtes für Ver-kehr (BAV) und gestaltet in dieser Funktion die schwei-zerische Verkehrspolitik entscheidend mit. Nach einerBanklehre holte er in einem Fernstudium die Maturanach, studierte an der Hochschule St. Gallen Volkswirt-schaft und doktorierte über Massnahmen gegen dieArmut. Danach arbeitete er bei der EidgenössischenFinanzverwaltung und war während 14 Jahren in ver-schiedenen leitenden Funktionen bei der SBB tätig.Peter Füglistaler ist verheiratet und hat zwei Töchter. Erlebt in Binningen (BL).

«Bei allen Umfragen zur Wettbewerbsfähigkeitder Schweiz steht die Qualität des ÖV anprominenter Stelle.»

Page 20: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität20

PRAXISBEISPIELE

Beispiele aus der Schweiz und aus dem Ausland zeigen: Umweltgerechte Mobilität ist keine Zukunftsmu-sik, sondern schon heute möglich. umwelt stellt 13 erprobte, originelle oder besonders innovative Ansätzevor – von den Schweizer Erfolgsgeschichten «Mobility» und «Umweltabo» bis zum Mobilitätsmanagementin Firmen und bei der Stadtentwicklung.

Umweltgerecht hier und heute

Rote Flotte auf dem Vormarsch

Warum ein eigenes Auto besitzen, wenn es oftungebraucht herumsteht? Weshalb einen PWnicht mit anderen teilen und erst dann nutzen,wenn man ihn wirklich braucht? Diese Fragegab in den 1980er-Jahren den Anstoss zum Mo-dell des «Autoteilens». Sie führte 1997 zur Grün-dung von Mobility Carsharing und leitete einengesellschaftlichen Wandel ein: Immer mehrMenschen verzichten auf das eigene Auto alsStatussymbol – eine Mobility-Mitgliedkarte istnicht nur für junge Menschen attraktiver. Sie er-laubt den Zugang zu 2600 Fahrzeugen an 1300Standorten in der ganzen Schweiz – vom Klein-wagen bis zum Cabriolet und Transporter. JedenMonat eröffnet Mobility bis zu 10 neue Stand-orte. Dadurch können ständig mehr Benutzerein Auto in wenigen Minuten zu Fuss oder mitdem Velo erreichen.

Die roten Fahrzeuge der Mobility-Flotte gehö-ren in der Schweiz mittlerweile zum vertrautenStrassenbild. Der Durchbruch zum hochprofes-sionellen, kundenorientierten Unternehmenerfolgte 2002 dank der Kooperation mit der SBBund dem Konzept der kombinierten Mobilität.Es steht für ein nahtloses Umsteigen vom Zugauf das Auto am Bahnhof. Heute zählt Mobili-ty über 100000 Mitglieder – das theoretischePotenzial wird gar auf eine halbe Million Kun-den geschätzt.

Mobility-Kunden buchen pro Jahr zwischen10 und 15 Fahrten, auf denen sie durchschnitt-lich je 40 Kilometer zurücklegen. Ist das wirk-lich weniger als mit dem eigenen Auto? «Das

Modell ist ökologisch nachhaltig», erklärt Her-mann Scherrer vom Bundesamt für Energie.«Ein Durchschnittskunde senkt seinen CO2-Ausstoss um etwa 200 Kilogramm pro Jahr. To-tal sind das 20000 Tonnen CO2.» Jeder fünfteMobility-Nutzer hatte zuvor ein eigenes Auto.Dank Carsharing sind auf den Schweizer Stras-sen also 20000 Autos weniger unterwegs – tat-sächlich eine Erfolgsgeschichte. Stefan Hartmann

o

Die Schweiz ist die Wiege des Carsharings. Die Erfindung der kombiniertenMobilität von Auto und öffentlichem Verkehr ist eine Erfolgsgeschichte.

Page 21: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

21Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

Umfassender MobilitätsplanDie neue Genfer Industriezone Plan-les-Ouates boomt. Doch der Verkehr auf den Zufahrtenstaut sich, und Parkplätze werden immer knapper. Abhilfe schafft ein unternehmensüber-greifender Mobilitätsplan, an dem sich zahlreiche Partner beteiligen.

Die Industriezone Plan-les-Ouates (ZIPLO) beiGenf beherbergt 330 Unternehmen mit insge-samt knapp 8000 Mitarbeitenden. Die meistenvon ihnen kommen motorisiert zur Arbeit. Bis2015 sollen hier rund 2000 zusätzliche Arbeits-plätze entstehen.

Um das Verkehrsaufkommen einzudämmenund dennoch eine gute Erschliessung der Zonezu gewährleisten, galt es, einen breiten Konsensunter allen Akteuren zu finden. Deshalb habendie Gemeinde Plan-les-Ouates, die Vereinigungder ansässigen Firmen sowie die Fondationpour les terrains industriels und die kantonaleVerkehrsdirektion einen umfassenden Mobili-tätsplan beschlossen. «Noch nie sind in einemderart grossen Rahmen Ressourcen zusammen-gelegt und Hilfsmittel bereitgestellt worden»,bestätigt Sandra Brazzini, Projektverantwort-liche bei der ZIPLO. «Je höher die Zahl der be-teiligten Unternehmen und je vielfältiger diePartner, desto günstiger und bedarfsgerechterdie angebotenen Dienstleistungen.»

Herzstück des Plans ist die seit Mitte 2010 be-triebene Mobilitätszentrale. Sie bietet weit mehrals eine herkömmliche Auskunftsstelle: Betreute

Dienstleistungen, persönliche Beratung, einepeppige Website und Merkblätter sollen die Be-schäftigten von sanfteren Mobilitätslösungenüberzeugen. Als Alternative zum allein benutz-ten Privatauto fördert die Zentrale namentlichdas Carpooling: Anbieter von Mitfahrgelegen-heiten und Interessenten werden unkomplizierttelefonisch vermittelt. Der persönliche Kontakterlaubt es, gezielt auf spezifische Anfrageneinzugehen. Weitere aktive Massnahmen sind«Grand Compte Unireso» – ein Vorzugstarif fürÖV-Jahresabonnemente – sowie in Zukunft eineVeloflotte und direkte Shuttleverbindungen.

Um die Unternehmen moralisch in diePflicht zu nehmen, hat die ZIPLO eine Chartaerarbeitet. 19 Betriebe, die zusammen knapp80 Prozent der Beschäftigten in der Zone stellen,haben sich bereits dazu verpflichtet und zurErleichterung der Kommunikation interne Mo-bilitätsverantwortliche ernannt. «In einer erstenPhase wollen wir erreichen, dass die grösstenUnternehmen mitmachen und eine Vorreiterrol-le spielen», erklärt Sandra Brazzini. Langfristigsollen alle Unternehmen eingebunden werden.

Cornélia Mühlberger de Preux

my

Alle Illustrationen: Anna Luchs

Page 22: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität22

Das Homeoffice verringert den Pendlerstrom

Laptop und Internetanschluss machendas Arbeiten für immer mehr Men-schen praktisch überall möglich – un-ter anderem daheim. Das Potenzialfür diese moderne Form von Heimar-beit ist gross. «In der Schweiz könn-ten rund 450 000 Arbeitnehmendeeinen Tag pro Woche von zu Hauseaus arbeiten», weiss Norbert Egli vonder Sektion Konsum und Produktedes BAFU. «So liessen sich pro Jahr67 000 Tonnen CO2 einsparen.» ZumVergleich: In einem Unternehmen mit150 Angestellten entspricht das Sparpo-tenzial eines wöchentlichen HomeofficeDay der CO2-Belastung von fünfeinhalbFlugreisen rund um die Welt. «Home-office ist nicht nur ökologisch sinnvoll,sondern auch volkswirtschaftlich inter-essant», betont Norbert Egli. «Durch dasArbeiten von zu Hause aus lässt sichdie Mobilitätsnachfrage in Stosszeitendämpfen.» Allein bei der SBB, so zeigenderen Berechnungen, liessen sich jedesJahr Dutzende von Millionen Frankenfür Kapazitätserweiterungen einsparen,wenn jeder fünfte Pendler einen Tagpro Woche daheim arbeiten würde.

Zahlreiche Arbeitgeber setzen sichdenn auch aktiv für die Heimarbeit ih-rer Angestellten ein – so zum Beispielder WWF mit seinen rund 120 Beschäf-tigten. «Es gibt kaum einen anderenBereich, in dem mit vergleichsweise ge-ringem Aufwand so grosse Einsparun-gen bei den CO2-Emissionen möglichsind», sagt Thomas Vellacott, CEO desWWF Schweiz. «Deshalb verfügen beiuns praktisch alle Mitarbeitenden überdie technischen Hilfsmittel, um von zuHause aus auf alle Server zuzugreifen.»

Das Angebot der Telearbeit stosse auf«sehr positive Resonanz».

Am meisten Erfahrung mit der Ar-beit im Homeoffice hat Microsoft. BeimUmbau des Schweizer Hauptsitzes inZürich-Wollishofen wagte das Unter-nehmen 2011 einen Versuch: Baube-dingt konnten die 500 Angestelltendamals während dreier Monate nichtim Büro arbeiten. «Die Mitarbeitendenfanden es grundsätzlich toll, ihren Ar-beitsort frei zu wählen», sagt Microsoft-Mediensprecherin Barbara Josef. «ZurNot hatten wir ein Gemeinschaftsbüroin Wollishofen bereitgestellt.»

Bereichernd fanden die Microsoft-Leutevor allem, dass sich Arbeit und Familiebesser unter einen Hut bringen liessen.Durch die Arbeit daheim fühlten sichmanche Mitarbeitende jedoch auch be-ruflich und sozial isoliert. Doch insge-samt scheint das Fazit des Experimentspositiv: Die Microsoft-Beschäftigtenarbeiten heute deutlich öfter freiwilligvon zu Hause aus als vor dem Umbau.

«Es gilt, das gute Mass zu finden»,sagt Norbert Egli. «Das Ziel kann nichtsein, die Arbeit im Büro abzuschaffen.»Sonst gehe der soziale Zusammenhangam Arbeitsplatz verloren und auch derinhaltliche Austausch leide. «Doch dieSuche nach der richtigen Balance lohntsich, denn als ökologischer Gewinnwinkt weniger Mobilität – ohne zu-sätzliche Einrichtungen.»

Vera Bueller

Ein Viertel der in der Schweiz gefahrenen Kilometer wird auf dem Weg zur Arbeit zurückgelegt. Esgeht aber auch anders. Regelmässige Heimarbeit reduziert den Mobilitätsbedarf im Berufsalltag.

Page 23: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

23Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

Per Velo ins UnispitalDer von Pro Velo Schweiz verliehene Prix Velozeichnet Betriebe aus, die anderen in Sachen Fahr-radförderung eine Nasenlänge voraus sind. Er wirdvom BAFU sowie von Biketek, Vélosuisse und Velo-pa unterstützt. Das Genfer Universitätsspital ge-hört zweifellos zu den Vorbildern. Es bemüht sichnach Kräften, den Verkehr zu verflüssigen, die Um-welt zu schonen und die rund 12000 Mitarbeiten-den zu mehr Bewegung zu ermutigen. «Seit 2008ist der Mobilitätsplan fest im institutionellen Um-weltmanagement des Spitals verankert», erläutertdie Verantwortliche Mouna Asal. Drei Kernmass-nahmen sollen die Nutzung des Fahrrads fördern:Vergünstigungen beim Kauf von Velos, kostenloseTests von E-Bikes und zinslose Darlehen. Eine Er-höhung der Abstellplätze auf 1300, optimierte

«In Schweizer Firmen liesse sich eine von siebenGeschäftsreisen einsparen, das sind rund 15 Prozentder gefahrenen oder geflogenen Kilometer», sagt derÖkonom Peter Masciadri. Er leitet beim Berner Bürofür Mobilität das Projekt Switch. Dieses will Firmendavon überzeugen, vermehrt auf Online-Meeting-Systeme zu setzen und so Verkehr zu vermeiden.Die dazu nötige Technik ist längst vorhanden: Einbreites Angebot von Videokonferenzsystemen wieWebex, Skype oder Lync erlaubt virtuelle Treffenvon Mitarbeitenden, Kunden und Partnern mit biszu 25 Teilnehmenden. Die Systeme funktionierenwebgestützt und ermöglichen zum Beispiel auchden Austausch von Dokumenten. «Diese Lösungenbrauchen keine spezielle Infrastruktur, sind kosten-günstig und auch innerhalb der Schweiz sinnvoll»,erklärt Peter Masciadri.

Skypen statt reisen: Diese Devise drängt sichnicht nur aus Umweltsicht auf. Die Firma Contecaus Uetendorf bei Thun (BE) etwa hat erlebt, dasssich dank neuster Technologie und individuellerBeratung mit Switch jährlich rund 4000 Frankenpro mobilen Mitarbeiter einsparen lassen. Das Un-ternehmen stellt Gummiabdichtungen für Flachdä-cher und Teiche her und beschäftigt rund 50 An-gestellte an vier Standorten in der ganzen Schweiz.«Unsere Mitarbeiter verbringen unterwegs zu Aus-

Videokonferenzen statt Geschäftsreisen: Virtuelle Meetings können auchinnerhalb der Schweiz erheblich zur Verkehrsvermeidung beitragen.

Skypen statt reisen

2011 ist das Genfer Universitätsspital zu Recht mit dem «Prix Velofür velofreundliche Betriebe» ausgezeichnet worden.

senstellen oder Kunden drei volle Monate pro Jahr im Auto», sagtder Geschäftsinhaber Erwin Gyger, «etwas Ineffizienteres gibt esgar nicht!» Auch Thomas Bucheli, wissenschaftlicher Mitarbeiterin der Sektion Klimapolitik des BAFU, sieht für Videokonferenzenein grosses Potenzial. «Sie können persönliche Kontakte zwar nichtvollständig ersetzen, sind aber im Geschäftsalltag viel häufiger einesinnvolle Alternative, als man denkt.» Drei wichtige Pluspunktesind tiefere Kosten, geringere Schadstoffemissionen und der erheb-liche Zeitgewinn. Vera Bueller

Parkmöglichkeiten und eine neu eröffnete Selbstbedienungs-Repa-raturwerkstatt bieten weitere Anreize. Zudem stehen 368 Fahr-räder bereit, um durch Unterführungen von einem Gebäude zumanderen zu gelangen, sowie weitere 32 Räder für Fahrten ausser-halb des Areals. Versuchsweise besteht auch das Angebot einerVelothek für die Ausleihe von Klappfahrrädern. «Das Engagementdes Genfer Universitätsspitals zugunsten des Velos ist beispielhaft»,lobt Harald Jenk von der Sektion Verkehr beim BAFU.

Damit nicht genug: Das Team von Mouna Asal ermutigt dieAngestellten, sich an der immer beliebteren Aktion «Bike to work»zu beteiligen. Nach dem Vorbild von «Green Monkeys» ist in Genfausserdem eine Mitfahrzentrale entstanden, die sich besonders anBeschäftigte mit unregelmässigen Arbeitszeiten richtet. Mouna Asalist von ihrem Konzept überzeugt: «Der Schlüssel zum Erfolg einesMobilitätsplans ist die interne Dynamik.» Das Genfer Universitäts-spital ist der beste Beweis dafür. Cornélia Mühlberger de Preux

Page 24: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

24

Orange mobilDie Firma Orange hat den Neubau ihres Hauptsitzes in Renens(VD) zum Anlass genommen, um die Arbeitsorganisation undMobilität an allen Standorten umzugestalten. Insbesonderedas Parkplatzmanagement ist neu konzipiert worden.

Die meisten Angestellten von Orange Schweiz verfügen überkeinen festen Arbeitsplatz mehr. Am Hauptsitz in Renenslassen sich die Mitarbeitenden mit ihren mobilen Büros –ein Trolleykoffer oder Rucksack und ein Laptop – an einerfreien Docking-Station in ihrer Abteilung nieder. Auch inSachen Mobilität lautet das Motto mittlerweile «Flexibilität»:Den Arbeitsweg zu den Firmenstandorten Renens, Biel undZürich bewältigen die Beschäftigten mit unterschiedlichenVerkehrsmitteln. Die früher kostenlosen Parkplätze sindneuerdings zahlungspflichtig. Ursprünglich wollte Orangebeim neuen Hauptsitz in Renens zahlreiche Parkmöglichkei-ten einrichten. Anfang 2009 aber entschloss man sich mitUnterstützung des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) zur Er-arbeitung eines Mobilitätskonzepts.

Der für alle drei Standorte in der Schweiz verbindlichePlan sah als Erstes eine Art Versteigerung der Parkplätzevor. Damit wollte man die Beschäftigten dazu bewegen, ihreMobilität zu überdenken. Dieser Prozess ermöglichte es, diePlätze einvernehmlich zuzuteilen und die Parkplatzmie-te festzulegen – in Renens sind es derzeit 70 Franken proMonat. Die Einnahmen fliessen in einen gemeinsamen Topfund werden zweimal pro Jahr an das Personal verteilt. Eineweitere originelle Massnahme ist der «Mobility Jackpot», eineArt Verlosung, die besonders engagierte Angestellte belohnt.

Darüber hinaus informiert Orange intern aktiv über mo-bilitätsbezogene Themen. So werden die Mitarbeitenden bei-spielsweise eingeladen, ihr Mobilitätsverhalten mithilfe vonwww.mobilitaetsdurchblick.ch zu überprüfen. Weiter kön-nen sie einen Pool von Firmenautos für berufliche Zweckenutzen – und so auf ein eigenes Auto verzichten. Zudemwerden Eco-Drive-Kurse angeboten, und die Infrastruktur fürVelofahrende ist optimiert worden. «Orange setzt viel-versprechende Anreize, um die Angestellten zueiner Änderung ihres Mobilitätsverhaltenszu ermuntern», meint Iris Oberauner vonder Sektion Ökonomie beim BAFU. «Obsich die negativen Auswirkungendes Strassenverkehrs dadurchreduzieren lassen, hängt aberdavon ab, ob diese Massnah-men tatsächlich greifen undgenutzt werden. Eine Eva-luierung ihrer Wirkungwäre daher wünschens-wert.»Cornélia Mühlberger de Preux

Das Mietautoim Take-away

Auch Automobilgiganten wie der deut-sche Daimler-Konzern denken überneue Formen von Mobilität nach – undlancieren sie mit geballter Marktkraft.2009 startete Daimler das Projekt Car-2go mit Pilotversuchen in Ulm undAustin (USA). Drei Jahre später ist es inelf Städten Nordamerikas und EuropasRealität und soll schnell weiterwach-sen. Das Konzept nimmt den Gedankendes Carsharings auf und will ihn dankviel Flexibilität weiter popularisieren.Und das geht so: Die Car2go-Autos– ausschliesslich zweisitzige Smarts –stehen nicht an fixen Verleihstationen,sondern sind frei über die ganze Stadtverteilt. Eine Flotte umfasst typischer-weise 300 Wagen. Car2go zielt auf dieinnerstädtische Mobilität ab und richtetsich vor allem an Kurzentschlossene.Sie können das nächstliegende Fahr-zeug über eine Smartphone-App, eineTelefon-Hotline oder via Internet lokali-sieren, buchen und sofort damit losfah-ren. Im Gegensatz zum klassischen Car-sharing – wie bei Mobility – müssensich die Nutzer weder auf eine Rück-gabezeit noch auf einen Rückgabeortfestlegen. Nach Gebrauch können siedas Fahrzeug auf irgendeinem städtischverwalteten Parkplatz abstellen.

Der Idee der Kürzestmiete entsprichtauch das Bezahlsystem: Die Abrech-nung erfolgt auf Minutenbasis. EineMinute kostet 29 Cents, ein ganzer Tag39 Euro. Zusätzlich wird für jeden ge-fahrenen Kilometer bezahlt. Versiche-rung, Benzin und Parkgebühren sindinbegriffen.

Doch ist das ohne Zweifel attraktiveAngebot auch umweltfreundlich? «Ent-scheidend ist, wie viele Autofahrendedank Car2go auf ihr eigenes Auto ver-zichten», meint Harald Jenk von derSektion Verkehr beim BAFU. Und Mo-bilitätsberater Andreas Blumensteinvom Büro für Mobilität in Bern gibt zu

8 7 6 5 4 3 2 1

Car2go nennt sich eine neue Formvon kurzer Automiete in Grossstädten.Ihre Stärken sind unkompliziertesBuchen und eine hohe Flexibilität.

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität

Page 25: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

25

Die E-Bikes erobern unsere Strassen im Sturm. ImJahr 2008 machten sie erst 4 Prozent der in derSchweiz verkauften Fahrräder aus, 2010 waren esdreimal so viel: 40000 Stück – Tendenz steigend.Wie eine Studie in der Stadt Basel ermittelte, stei-gen vor allem reifere Semester auf Elektrofahr-räder um. Ihr Durchschnittsalter beträgt 49 Jahre;die allermeisten von ihnen verfügen über einenFührerausweis. Ist dies ein Indiz dafür, dass E-Bikes zumindest für kürzere Strecken das Autoersetzen? «Ja», meint Urs Schwegler, «es gilt dieFaustregel, dass ein Drittel der mit E-Bikes gefah-renen Kilometer sonst auf normalen Fahrrädernzurückgelegt worden wäre, ein Drittel mit denöffentlichen Verkehrsmitteln und ein Drittel mitdem Auto oder Motorrad.» Urs Schwegler ist Mit-glied der Geschäftsleitung von NewRide, einerOrganisation, welche die Verbreitung von Elektro-fahrrädern und -scootern fördert – und ihre Nut-zung kritisch unter die Lupe nimmt. Sie wird vomBAFU und vom Bundesamt für Energie (BFE) un-terstützt und hat unter anderem die Basler Studiezur E-Bike-Kundschaft in Auftrag gegeben. Diesebestätigt, dass Elektrofahrräder andere Verkehrs-mittel ersetzen.

Gross im Kommen sind auch Elektroroller.Sie verbrauchen laut NewRide 8 KilowattstundenStrom für 100 Kilometer, was umgerechnet 0,8 Li-tern Benzin entspricht. Vor allem auf kurzen Stre-cken mit häufigen Stopps sind die elektrifiziertenFlitzer beim Energiesparen kaum zu schlagen.Diesen Vorteil hat die Post erkannt: Seit 2008setzt sie solche Roller für die Briefzustellung ein.Während man ein Motorrad bei jedem Halt ab-stellen und neu starten muss, genügt es beimE-Roller, anzuhalten und wieder Gas zu geben.

Das auffälligste Unterscheidungsmerkmal derE-Scooter gegenüber herkömmlichen Rollern istallerdings ihr nahezu geräuschloser Auftritt. «Beider Lärmbelastung ist der Unterschied zwischeneinem elektrischen und einem herkömmlichenRoller grösser als jener zwischen einem Elektro-und einem Benzinauto», bestätigt DominiqueSchneuwly von der BAFU-Sektion Strassen undFahrzeuge. Aus Sicht des Lärmschutzes wärees also dringend erwünscht, dass sich die Elek-troroller im Verkehr durchsetzen – unter der

Bedingung, dass sie dabei konventionelleMotorräder ersetzen und nicht etwa Velos.

Lucienne Rey

Zweirädrig unter Strom

bedenken: «Innerhalb von Städten sindsolche Modelle nur bedingt sinnvoll.Angebote wie Car2go könnten sich garals Konkurrenz zum öffentlichen Ver-kehr erweisen und Autofahrende vomUmsteigen abhalten.»

Der Daimler-Konzern hingegen istvon seinem Konzept überzeugt. Car-2go expandiert rasch und weltweit. ImHerbst 2011 ging Car2go zum Beispielmit 500 Smarts in Wien an den Startund eröffnete Ableger in Amsterdamund San Diego (USA) mit Flotten von je300 Elektro-Smarts. Das Konzept findetdenn auch bereits Nachahmer. Anfang2012 haben BMW, Mini und Sixt in Düs-seldorf das Konkurrenzangebot Drive-Now mit 150 Kleinwagen lanciert.

Stefan Hartmann

Elektrovelos und Elektroroller sind im Aufwind.Sie tragen dazu bei, dass unsere Mobilität Lun-gen und Ohren weniger belastet.

umwelt 3/2012

Page 26: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität26

Veloverleih rollt an

Sie sind schon von Weitem erkennbar:die knallroten velospot-Velos mit ih-rem schwarzen Korb am Lenker. Nacheiner Testphase und mehreren Opti-mierungen zählt die Seelandmetropoleinzwischen 40 Verleihstationen undeine Flotte von 250 Rädern. Wer einesder leuchtend roten Vehikel ausleihenmöchte, muss sich lediglich onlineunter www.velospot.ch registrieren.Danach erhält man eine Chipkartezugeschickt, mit der sich das Fahrrad-schloss entriegeln lässt – und schonist man unterwegs. Ein nicht mehr be-nötigtes Fahrrad wird an einer beliebi-gen Verleihstation wieder abgegeben.«Das System ist einfach, flexibel undkommt ohne besondere Infrastrukturaus», erklärt Jonas Schmid, Sprecherdes Projekts velospot.

Damit der Veloverleih im Nahver-kehr aber eine Rolle spielen kann, zurVerkehrsverlagerung beiträgt und neueNutzergruppen mobilisiert, braucht esein dichtes Netz, das die ganze Stadtabdeckt. velospot wird vom Dienstleis-tungszentrum für innovative Mobilitätdes Eidgenössischen Departements fürUmwelt, Verkehr, Energie und Kom-munikation (UVEK) unterstützt. Umden Unterhalt der Fahrräder kümmertsich ein Sozialbetrieb. Ein Jahresabon-nement kostet 50 Franken und berech-tigt zu einer unbegrenzten AnzahlFahrten von bis zu 30 Minuten Dauer.«Für längere Fahrten wird ein beschei-dener Zuschlag erhoben. Ausserdemsind auch Tageskarten verfügbar», prä-zisiert Jonas Schmid.

Auch in anderen Teilen der Schweizgewinnt der technologisch aufgerüs-tete Zweiradverleih an Terrain: ImFrühjahr 2012 hat die PostAutoSchweiz AG mit velopass den bislanggrössten Bikesharing-Anbieter imInland übernommen. Das bestehen-de Netz zur Selbstausleihe in über20 Städten der Romandie sowie im Tes-sin wird weitergeführt. Zusammen mit

der SBB und Rent a Bike hat PostAutobereits 2011 ein ähnliches Angebotnamens PubliBike lanciert, das zahl-reiche Nahverkehrsnetze in der ganzenSchweiz abdeckt. Luzern, Brig, Solo-thurn, Basel, Frauenfeld, Winterthurund Kreuzlingen sind schon mit anBord. Im Lauf des Jahres sollen auchDelsberg, Rapperswil und Zürich dazu-kommen. Das aus Deutschland stam-mende System nextbike ist vor allemin der Ostschweiz vertreten.

In Zusammenarbeit mit den städti-schen Verkehrsbetrieben sollen dem-nächst auch in Genf 150 Selbstbedie-nungs-Verleihstationen für Fahrräder

In der Schweiz verzeichnet der Veloverleih einen regelrechten Boom: Angebote wie velopass,PubliBike und nextbike sind in immer mehr Landesteilen verfügbar. Mit velospot hat die StadtBiel eine eigene überzeugende Lösung lanciert.

errichtet werden. Die Grundidee ist,eine Ergänzung zu den öffentlichenVerkehrsmitteln und zum Individual-verkehr anzubieten.

Auch das Bundesamt für Strassen(ASTRA) verfolgt die Entwicklungmit Interesse: «Wir möchten heraus-finden, ob die Benutzerinnen undBenutzer anderer Verkehrsmittel mitBikesharing-Angeboten neu für dasVelofahren gewonnen werden könnenund ob sich damit die Zahl der seltenbenutzten Velos reduzieren lässt, dieParkplätze an zentralen Lagen blo-ckieren», erklärt Niklaus Schranz vomASTRA.

Cornélia Mühlberger de Preux

Page 27: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

27Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

Blitzschnell elektrisch aufgetankt

Viele Hoffnungen werden in die Elektro-mobilität gesetzt: Mit Strom angetriebeneFahrzeuge sollen den Verkehr umwelt-freundlicher machen und insbesonderedie Belastung durch Lärm, Feinstaub undCO2 mindern. Gemäss Berechnungen desEnergieunternehmens Alpiq könnten biszum Jahr 2020 15 Prozent der schweizeri-schen Fahrzeugflotte elektrisch betriebensein und dazu beitragen, einen namhaf-ten Teil der Schweizer Klimaziele zu er-reichen. Das entspräche 720000 Elektro-fahrzeugen. Etwas konservativer ist diePrognose des Bundesamtes für Energie– es rechnet mit gegen 300000 E-Autos.

Sollen Elektrofahrzeuge die Benzinautos ablösen, braucht es ein dichtesNetz an Ladestationen. Doch eine grosse Frage bleibt offen: Wie öko-logisch wird der Strom für die Hunderttausenden von E-Mobilen erzeugt?

Damit solche Visionen Realität werden,braucht es allerdings die entsprechendeInfrastruktur. Insgesamt 753 000 Lade-stationen in Wohnhäusern, bei Firmenund im öffentlichen Raum wären nötig,um den Betrieb der von Alpiq erwartetenElektrofahrzeuge sicherzustellen. Zudembräuchte es 250 Schnellladestationen anstrategischen Punkten des Strassennet-zes. Und selbst wenn diese Voraussetzun-gen erfüllt sind, ist die Umweltverträg-lichkeit keineswegs garantiert. Denn nurwenn die Autos erneuerbaren Strom tan-ken, fällt die Ökobilanz während ihrerLebensdauer ähnlich aus wie diejenigeeines modernen Diesel-Kleinwagens.

Der genaue Vergleich der Umwelt-belastung von Benzinfahrzeugen undElektroautos ist komplex. Neben derStromherkunft spielen zum Beispielauch die bei der Herstellung der PW undder Batterien entstehenden Emissioneneine wichtige Rolle. Im mehrjährigenProjekt THELMA arbeiten die Eidgenös-sische technische Hochschule (ETH) unddas Paul Scherrer Institut deshalb zurzeitan einer umfassenden Gegenüberstellungder beiden Antriebsformen – inklusiveihrer gesellschaftlichen Auswirkungen.

Unabhängig davon, wie der Strom fürElektrofahrzeuge hergestellt wird, habenihre Besitzerinnen und Besitzer bislangmit praktischen Problemen zu kämpfen:Eine Batterie ganz aufzuladen dauert biszu acht Stunden. «Es gibt zwar auch Sys-teme, mit denen die Batterie innerhalbvon ein bis zwei Stunden auf 80 Prozentgeladen wird», erklärt Felix Reutimannvon der BAFU-Sektion Verkehr. Doch derschnelle Ladevorgang senkt die Lebens-dauer der teuren Akkus. Zudem kann eszu einer Überlastung des lokalen Netzeskommen, wenn viele Fahrzeuge gleich-zeitig Strom brauchen.

«Möchte man die Batterien so raschladen, wie man heute Benzin tankt,müsste man sie tauschen», sagt FelixReutimann. Genau diesen Weg begehtdie kalifornische Firma Better Place. IhrGeschäftsprinzip: Die E-Mobil-Besitzerkaufen nur das Auto, die Batterien mie-ten sie. An ultraschnellen Ladestationenkönnen sie innerhalb von fünf Minuteneine vollgeladene Batterie eintauschen –computergesteuert und vollautomatisch.Bereits sind Better-Place-Tauschstationenin Israel und Dänemark in Betrieb.

Lucienne Rey

Page 28: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

Viele historische Stadtkerne inHolland sind eng – zu eng fürLieferwagen, die sich durch schmaleGassen zwängen, die Luft belasten undden Fussgängern das Leben erschweren.Vor diesem Hintergrund entstand 2009in Nijmegen der «Binnenstadservice».Ziel des neuen Logistikmodells ist einenachhaltige Warenverteilung in Innen-städten. Dazu werden die Güter amStadtrand in dezentrale Logistikzentrenangeliefert und dann mittels E-Bikes,Erdgas- oder Elektrofahrzeugen zu denKundinnen in der Innenstadt feinver-teilt. Die Versorgung der Läden undRestaurants erfolgt «just in time» ansieben Tagen pro Woche. Der Start desinnovativen Lieferdienstes erfolgte mit-hilfe der öffentlichen Hand. Inzwischenist er kostendeckend – und so erfolg-reich, dass er nach dem Franchising-System bereits auf zehn weitere Städteausgeweitet werden konnte. Laut Fach-leuten liesse sich das Modell durchausauch in der Schweiz anwenden.

Doch auch bei uns gibt es Pionierefür die umweltgerechte Feinverteilungvon Gütern. Vor 15 Jahren startete in

Burgdorf der erste Velohauslieferdienst.Er spediert den Kunden die im Ladeneingekauften Güter nach Hause. Im Un-terschied zum Online-Einkauf könnendie Konsumentinnen Früchte, Gemüseund weitere Produkte zwar im Ladenbegutachten, müssen sich aber nichtums Heimschleppen kümmern. Mitt-lerweile hat das Angebot in 16 Städtenund Gemeinden Schule gemacht. «DieZahl der so vermiedenen Autofahrtenist beträchtlich», sagt Martin Wälti,Initiator des Dienstes und Geschäfts-leitungsmitglied des Büros für Mobili-tät, einer 2002 gegründeten Firma fürmassgeschneiderte Mobilitätslösungen.In Langnau (BE) zum Beispiel, so Wäl-ti, habe der Dienst bereits im viertenBetriebsjahr rund 20000 Aufträge aus-geführt. Zum Erfolg tragen auch diemoderaten Kosten von 3 Franken proEinzellieferung und von 150 Frankenfür ein Jahresabo bei.

Schwieriger als im Kleinenhaben es Projekte zur umweltge-

rechten Gütermobilität im Grossen.Die im Rahmen der Alpen-Initiativeentwickelte Alpentransitbörse etwastrebt eine bessere Steuerung des alpen-querenden Güterverkehrs an. Die Ideebasiert auf einer begrenzten Anzahlvon Durchfahrtsrechten für Lastwagenauf den Alpentransitstrecken. Dabeiwürden diese Rechte an die Meistbie-tenden versteigert. Der Preis hängt vonder Nachfrage ab und soll ungefährder Differenz der Transportkosten aufStrasse und Schiene entsprechen. So-bald der Preis höher steigt, wird es fürTransporteure günstiger, die Bahn zubenutzen. «Ein länderübergreifendesModell wie die Alpentransitbörse wür-de die grossen Transitstrecken durchdie Alpen massiv vom Strassengüterver-kehr entlasten», verspricht sich KlausKammer von der Sektion Umweltbeob-achtung im BAFU. Allerdings brauchtes dazu eine breite Akzeptanz in allenAlpenländern – und entsprechend vielÜberzeugungsarbeit.

Stefan Hartmann

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität28

Umweltgerecht bis vor die HaustürBeim Gütertransport scheinen es umweltgerechte Lösungen schwer zu haben.Doch es gibt sie. Zum Beispiel in Burgdorf (BE) oder in den Niederlanden.

Page 29: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

29Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

Pioniertat Umweltabo Umsteigen bei Mondschein

«Passepartout», «Libero» oder «Ostwind»: DieNamen verheissen Freiheit und Beweglichkeit. Siestehen für verschiedene regionale Tarifverbün-de in der Schweiz. Pionier unter ihnen war 1984der Tarifverbund Nordwestschweiz (TNW). Sein«Umweltabo» – europaweit die erste Monatskar-te zur Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmitteleiner Region – ist ein durchschlagender Erfolg.Die Verkaufszahlen haben kontinuierlich auf heu-te über 2 Millionen Abos zugenommen. Drei vonvier Fahrgästen besitzen ein U-Abo, das dem TNWmehr als zwei Drittel seiner jährlichen Einnahmenvon über 200 Millionen Franken einbringt.

Tarifverbünde haben erwiesenermassen vieleBerufspendlerinnen und -pendler dazu bewogen,vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umzustei-gen. Allerdings trägt die auch in der Freizeit regeNutzung der praktischen Abos zu einer problema-tischen Erhöhung des Verkehrsaufkommens bei.Doch auch auf dem Sonntagsausflug sind öffent-liche Transportmittel aus Umweltsicht sinnvoll:«In den meisten Fällen schneiden Fahrten mit demÖV in der Ökobilanz besser ab als der motorisier-te Individualverkehr», bestätigt Doris Ochsner vonder BAFU-Sektion Verkehr.

Die Förderung einer umweltfreundlicherenMobilität hat allerdings ihren Preis: Der öffent-liche Regionalverkehr deckt seine Kosten nirgendsin der Schweiz, er braucht überall Finanzspritzen.In Zeiten leerer Kassen gerät dieses Modell in Be-drängnis. Sogar beim revolutionären Basler U-Abowird erwogen, diverse Zonen mit unterschied-lichen Tarifen einzuführen. Wer weiter fährt,würde damit auch stärker zur Kasse gebeten – einSchritt in Richtung Verursacherprinzip also, derauch aus ökologischer Sicht sinnvoll erscheint.«Allerdings sollten die Preise in tragbaren Schrittenerhöht werden, um möglichst wenig ÖV-Passagiereans Privatauto zu verlieren», sagt Iris Oberaunervon der BAFU-Sektion Ökonomie. «Mehr Kos-tenwahrheit würde aber auch höhere Preise imStrassenverkehr zur Deckung der Umweltkostenerfordern.»

Praktische und kostengünstige Abos, um dieÖV-Kundschaft bei der Stange zu halten? Oder teu-rere Ticketpreise, welche die effektiven Kosten un-serer Mobilität widerspiegeln? Beide Strategien ber-gen Gefahren. Welcher von ihnen man den Vorzuggibt, ist letztlich eine politische Frage. Lucienne Rey

Nachtbusse sorgen für umweltverträgliche Mobilität. «Vor allemin grösseren Städten mit zahlreichen Linien, die nicht nur dasStadtgebiet, sondern praktisch die gesamte Agglomeration ab-decken, hat dieses Angebot wesentlich zur Verkehrs- und Lärm-entlastung in den frühen Morgenstunden beigetragen», sagtPeter Schild, Sachbearbeiter Verkehrspolitik beim Bundesamtfür Raumentwicklung (ARE). Das lässt sich auch im Tessin fest-stellen. Obwohl es hier besonders schwierig ist, die vorwiegendjugendlichen Nachtschwärmer zum Umsteigen auf den öffent-lichen Verkehr zu bewegen: Getunte Scooter gelten als cool, ur-alte Vespas aus Italien als totaler Kult. Zudem sind die TessinerDörfer und Täler durch den öffentlichen Verkehr nur schlechterschlossen – vor allem abends und nachts fahren kaum mehrBusse.

2003 allerdings führte die PostAuto Schweiz AG im RaumLugano den «Capriasca Night Express» ein, der sich bei Jugend-lichen als grosser Erfolg erwies: Die Nachfrage stieg innert kur-zer Zeit derart an, dass man das Angebot 2005 auf das GebietCollina d’Oro bei Lugano ausgebaut hat. «Wir haben bisher nurpositive Erfahrungen gemacht», bestätigt Paolo Solari, Leiter derPostAuto-Region Tessin. Wie gross der Umsteigeeffekt vom Autozur Nutzung des ÖV sei, lässt sich allerdings noch nicht sagen,da der Nachtbus vor allem von Jugendlichen genutzt wird, dienoch gar kein Auto besitzen. Dank dem Nachtbusangebot sindimmerhin einige Eltern weniger als Chauffeure unterwegs. Aus-serdem ist Paolo Solari überzeugt: «Die Nachtbusse haben denEffekt, dass Jugendliche positiv an das ÖV-Angebot herangeführtwerden – vorausgesetzt, die Verbindungen sind gut und be-quem.» Zudem komme der Nachwuchs im Bus sicher nach Hau-se. «Das gibt den Eltern ein beruhigendes Gefühl.» Vera Bueller

Günstige und benutzerfreundliche Abonnementshaben viele Pendler zum Umsteigen auf denöffentlichen Verkehr bewogen. Doch dieser Erfolghat seinen Preis.

ÖV-Angebote für Nachtschwärmer haben in der ganzenSchweiz Erfolg. Auch das Tessin verspricht sich einen deut-lichen Umsteigeeffekt vom Auto auf den «Night Express».

KONTAKTHarald Jenk, siehe Seite 35Doris Ochsner, siehe Seite 15

Weiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-05

Page 30: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität30

MOBILITäTSFORSCHUNG

«Den urbanen Raum betrachten,als ob wir selbst Städte wären»

umwelt: Frau Sassen, ist das Bedürfnis nach Mobilitäteine Konstante in der menschlichen Entwicklung?Saskia Sassen: Ja, das scheint so. Aber es gibt einäusserst unterschiedliches Verständnis von Mo-bilität. Es liesse sich sagen, dass unser Begriffvon Mobilität mit der digitalen Technologienoch einmal eine andere Phase konzeptionellerNeuerfindung erfahren hat. Weltweites, simulta-nes Kommunizieren, während der eigene Körperan Ort bleibt, ist auch eine Art von Mobilität.

Wenn sich unsere Stimme, unsere Rede bewegt,tut es nichts zur Sache, dass der Körper stationärbleibt.

Bis in die 1960er-Jahre besassen nur vermögendeLeute Autos und reisten ins Ausland. Ist die individuelleMobilität eine Errungenschaft der demokratischenGesellschaft?Ja und nein. Ein grosser Teil der Mobilität in derindustrialisierten Phase der Entwicklung wird

Die Soziologin und Ökonomin Saskia Sassen ist eine der scharfsinnigsten und bekanntesten Sozialforscherinnenunserer Zeit. Im Interview mit umwelt spricht sie über die Grenzen der Mobilität, die Urbanisierung des Autos undüber das Schreiben in Zug und Flugzeug.

Bild: Dukas Presseagentur

Die Ansichten der renom-mierten Soziologin SaskiaSassen sind von ganzunterschiedlichen Seitengefragt: Sie tritt sowohl amParteitag der deutschenGrünen auf wie an Kon-gressen der Autoindustrie.

Page 31: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

31Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

durch ökonomische Bedürfnisse angetrieben.Die Systeme des öffentlichen Verkehrs dienenim Grunde den Arbeitgebern, sind aber durchSteuergelder finanziert.

Ist das nicht etwas gar vereinfacht?Natürlich ist der öffentliche Verkehr viel mehrals das, aber trotzdem erweist sich der Arbeits-markt in vielen Ländern als ein Schlüsselele-ment für seinen Ausbau. Was wir als individuel-le Mobilität empfinden, ist in Tat und Wahrheitein strukturell getriebenes Bedürfnis.

Ist die Mobilität eine Art von Grundrecht?In mancher Hinsicht ja, aber wie gesagt, dasRecht auf Mobilität ist mit einer Einschränkungverbunden: Sie besteht dort, wo die Jobs sind.

Was ist mit den Menschen im Süden, die bei derMobilität aufholen wollen? Hat jeder Mensch aufdiesem Planeten das Recht auf ein eigenes Auto?Ich würde eher von einem Recht auf Mobilitätsprechen.

Ein eigenes Auto scheint überall auf der Welt einSymbol für persönliche Freiheit zu sein. Könnte sichdas möglicherweise ändern? In den Schweizer Städtenbesitzen heute weniger Menschen ein Auto als nochvor ein paar Jahren.Das ist gut für die Schweizer. Mein Mann undich leben in zwei Städten – New York und Lon-don. Wir haben kein Auto, und das funktioniertprima. Wir nehmen Taxis, benutzen den öffent-lichen Verkehr, und ich gehe viel zu Fuss. Leute,die mit dem Auto in der Stadt unterwegs sind,sagen mir oft: Das ist doch viel zu weit, solcheDistanzen kann man unmöglich zu Fuss gehen!Und dann entgegne ich: Klar geht das – ach die-ser bourgeoise Heroismus.

Autos stehen nicht nur für persönliche Freiheit,sondern auch für den sozialen Status. Wie konnte dasAuto in dieser Hinsicht eine derart universelle Rolleeinnehmen?Ja, das ist erstaunlich. Doch Autos sind höchstsichtbare Objekte – und sie werden mit sehreffizienten Marketingstrategien beworben. Zu-dem kann ein Auto auch ein sehr schönes Ob-jekt sein, das man gerne anschaut, berührt undnatürlich auch fährt. Es steckt viel Genuss ineinem schönen Objekt, und obendrein kann einAuto sehr nützlich sein.

Was halten Sie von der Forderung, wir sollten unserLeben entschleunigen – von der Slow-Food-Bewegungzum Beispiel?Dies ist von grosser Bedeutung. Ich entwickleein vergleichbares Projekt, das sich so umschrei-

ben liesse: Was würde es brauchen, um einenmöglichst grossen Teil unserer Wirtschaft wie-der zurückzubringen – in eine Region, in eineStadt –, statt weiter Outsourcing zu betreibenund Waren von weit entfernten Orten zu be-schaffen.

Wann wird die Mobilität vom Bedürfnis zur Last?In dieser Hinsicht verhält es sich bei der Mobili-tät gleich wie mit vielen anderen Dingen. Bis zueinem gewissen Grad ist alles gut und wünsch-bar, und dann wird es problematisch. Die grosse

Ausdehnung der Vorstädte in den USA halte ichfür einen problematischen Teil der Mobilitäts-kurve. Warum bauen wir nicht verdichtete Vor-städte, in denen die Leute mehr zu Fuss unter-wegs sein können!

Sie sind beruflich ständig rund um den Globusunterwegs. Empfinden Sie diese extreme Mobilitätals persönliche Freiheit oder als Last?Lästig sind die kurzen Flugreisen – reine Trans-aktionskosten. Ich mag lange Reisen im Zugoder im Flugzeug, aber sie müssen sehr kom-fortabel sein. Dann erlebe ich das Reisen alsFreiheitsraum, weil ich mich dabei in einfachenRäumen aufhalte. Hier kann ich so vieles nichttun, das getan werden müsste, wenn ich imBüro oder zuhause in meinem Arbeitszimmerwäre. Das Resultat dieser fundamentalen Quali-tät? Ich kann schreiben, Stunde um Stunde. Dasfühlt sich an wie Zeit stehlen.

Die individuelle Mobilität bringt Kosten für die Gesell-schaft mit sich: von Umweltschäden über Unfallopferbis zu der in Staus vergeudeten Zeit. Lassen sich dieseProbleme mit technologischem Fortschritt lösen, oderbraucht es dazu gesellschaftliche Veränderungen?Diese Probleme lassen sich lösen, und sie müs-sen gelöst werden. Mein Projekt, so viel wirt-schaftliche Aktivität wie möglich zurückzu-bringen, geht in diese Richtung. Warum sollenwir die Herstellung von Tischen oder Puppen inweit entfernte Länder auslagern und dann damitum die halbe Welt reisen, wenn viele Menschenbei uns diese Arbeiten verrichten könnten? AlsVolkswirtschaft sparen wir durch das Ausla-gern kein Geld ein, denn die externen Kostendurch Umweltschäden wie die Verschmutzungvon Luft und Ozeanen oder den Ressourcenver-

«Warum bauen wir nicht verdichtete Vorstädte,in denen die Leute mehr zu Fuss unterwegssein können!»

Page 32: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität32

brauch als Folge der Transporte trägt die Allge-meinheit. Zudem müssen auch all die Arbeitslo-sen in den Industrieländern von der Gesellschaftunterstützt werden – es sind nicht die Firmen,welche dafür aufkommen. Wir müssen dieseArt von ökonomischen Berechnungen ernst neh-men, sie bilden nämlich die Grundlage einerökologischen Wirtschaft.

Haben Regierungen das Recht, die individuelle Mobili-tät zu beschränken, um Umweltprobleme zu lösen –durch Quoten zum Beispiel?Ja, aber es muss so geschehen, dass Leute mitMacht und Geld nicht privilegiert werden. Eskann nicht sein, dass die Armen nur mit demöffentlichen Verkehr unterwegs sein dürfen,während die Mitglieder reicher Familien alle ihreigenes Auto fahren.

Ihre Ansichten sind von ganz unterschiedlichen Seitengefragt: Sie treten sowohl am Parteitag der deutschenGrünen auf wie an Kongressen der Autoindustrie.Werden die ideologischen Scheuklappen in der Mobili-tätsdiskussion abgelegt?Da bin ich mir nicht so sicher. Es könnte eherein Zeichen dafür sein, dass ich Dinge auf unge-wohnte Weise zusammenbringe.

In einem Ihrer Essays sprechen Sie von der «Urbani-sierung des Autos». Was meinen Sie damit?Ich forsche mit einem Stipendium von Audi. DieFirma betreibt eine Denkfabrik für Fragen zurStadtentwicklung. Hier arbeiten Fachleute mitinteressanten Ansichten über neue Autokonzep-te zusammen. Dabei geht es auch um das Autound die Stadt. Mein Ausgangspunkt ist, dassStädte auf die Technologie zurückwirken. EinBeispiel dieser Urbanisierung sind die neuen fürStadtzentren bestimmten, sehr kleinen Autos.Spannend finde ich auch, dass die eigentlichfür hohe Geschwindigkeiten und lange Streckenkonzipierten Fahrzeuge im dichten Stadtzen-trum aufs Kriechen reduziert werden. Die Stadtist eine Art Lupe, mit deren Hilfe sich erfolgrei-che technische Innovationen für urbane Syste-

me besser erkennen lassen. Noch gibt es bei derUrbanisierung des Autos mehr Fragen als Ant-worten. Eine Richtung ist, neue fortschrittlicheMobilitätsräume zu schaffen.

Was müssen wir uns darunter vorstellen?Es geht um die Idee, dass Mobilitätsangeboteeher in Räumen eingebettet sein werden als insich bewegenden Fahrzeugen. Es existiert bereitseine ganze Palette von neuen Technologien, wel-che die Entwicklung von solchen Räumen för-dern und die Rolle des Autos verändern könn-ten. Um zum Kern dieser Frage vorzustossen,müssen wir den urbanen Raum so betrachten,als ob wir selbst Städte wären. Es gilt, mit denverschiedenen Elementen zu jonglieren, die denurbanen Raum ausmachen, und ihn aus mehre-ren Perspektiven zu betrachten. Diese Art vonAnalyse bewahrt uns davor, nur den technologi-schen Ansatz im Auge zu behalten.

Interview und Übersetzung: Kaspar Meuli

Weiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-06

Saskia Sassen. Die 1949 in Den Haag (NL) gebore-ne Saskia Sassen studierte Politikwissenschaften,Soziologie und Ökonomie. Sie ist Professorin an derColumbia University in New York und unterrichtetauch an der London School of Economics. Als For-scherin befasst sie sich unter anderem mit Fragender Globalisierung und deren Auswirkungen auf dieEntwicklung von Städten. Saskia Sassen ist Mitglieddes Club of Rome. Sie ist mit dem bekannten So-ziologen Richard Sennet verheiratet. AusgewähltePublikationen: Das Paradox des Nationalen. Territori-um, Autorität und Rechte im globalen Zeitalter (Suhr-kamp, 2008), Metropolen des Weltmarkts (Campus,2006), The Global City (Princeton University Press,1991) > www.saskiasassen.com

«Es kann nicht sein, dass dieArmen nur mit dem öffentlichenVerkehr unterwegs sein dürfen,während die Mitglieder reicherFamilien alle ihr eigenes Autofahren.»

Page 33: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

33Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

Zwei Palettenauf Schweizer ReiseDer Gütertransport gilt als Sorgenkind der umweltverträglichen Mobilität. Aber immer mehrUnternehmen verfolgen bei der Logistik auch Klimaziele. Der Handlungsspielraum ist allerdingsbeschränkt, wie die Reise von zwei Transportpaletten aus der Ost- in die Westschweiz zeigt.

Rasend schnell sausen die bunt bedruckten Kar-tons durch die Falzmaschine. Wo Verpackun-gen für Medikamente gefaltet und geklebt wer-den, kommt das Auge nicht mehr mit. Dabei isthöchste Präzision gefragt: «Man stelle sich eineVerwechslung der Angaben für die Dosierungenvor», gibt Urs Metzler, stellvertretender Direktorder Druckerei K +D in St. Gallen, zu bedenken.«Das darf niemals passieren!» Die Kunden vonK+D – zu 80 Prozent Pharmafirmen – verlangennicht nur Zuverlässigkeit, auch ihre logistischenAnsprüche sind hoch: Die Ware muss «just in time»verfügbar sein. Die Kundschaft will ihre Verpa-ckungen genau dann vor Ort, wenn sie gebrauchtwerden. Entsprechend kurzfristig treffen die Be-stellungen ein. Speditionsleiter Maher Ben Hediweiss oft erst um die Mittagszeit, welche Mengenan Kartons es noch am selben Tag zu transportie-ren gibt. Umgehend liefert er die Aufträge deshalban den Transporteur der Druckerei weiter.

Die Erben von Cargo Domizil. Das Familienunterneh-men Camion Transport aus Schwarzenbach (SG)zählt mit seinen 500 Lastwagen und einem Jahres-umsatz von knapp 200 Millionen Franken zu denganz Grossen der Transportbranche. Hauptgeschäftist die Spedition von Stückgut. So heissen Sendun-

GÜTERTRANSPORT

gen, die keinen ganzen Lastwagen füllen, sondernim Durchschnitt nur eine halbe Tonne wiegen –im Schweizer Güterverkehr die mit Abstand wich-tigste Kategorie. Die Camion Transport verfolgtehrgeizige Ziele, nicht zuletzt im Umweltbereich.Im Jahr 2010 hat sie sich vorgenommen, SchweizerMarktführer in der Transportökologie zu werden.Bis 2015 will sie ihren CO2-Ausstoss um 5 Prozentsenken. Das klingt nach wenig, doch Vizedirek-tor Franz Meienhofer relativiert. «Wir starten voneinem sehr hohen Niveau aus. Unsere Emissionenliegen schon heute um rund ein Viertel tiefer alsbei den meisten Konkurrenten.»

Franz Meienhofers Ökorezept ist das «duale Sys-tem». Einst war es unter dem Namen Cargo DomizilHerzstück des Stückguttransports bei der SBB. Dochnachdem Cargo Domizil jahrelang zweistelligeMillionenverluste schrieb, wurde dieser Geschäfts-bereich 1996 an die drei SpeditionsunternehmenCamion Transport, Galliker und Planzer verkauft.Diese haben daraus eine Perle moderner Logistikgeformt. Im 2003 eröffneten Logistikzentrum derCamion Transport in Schwarzenbach werden heutetäglich bis zu 30 Bahnwaggons beladen, zusammenverladen die drei Unternehmen 250 Waggons proTag – 80 mehr als zu den besten Zeiten von CargoDomizil. Von der Druckerei

zum Bahnverlad …Bilder: Stefan Bohrer

Page 34: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Dossier Umweltgerechte Mobilität34

Umweltgerecht mobil

Wer als Firma oder als Privatperson die Nachhaltigkeit der eigenen Mobi­lität unter die Lupe nehmen will, findet im Internet diverse Hilfsmittel:

www.mobitool.ch: Das mit Unterstützung des BFE entwickelte Arbeitsins­trument für Unternehmen bietet vom raschen Überblick bis zur vertieftenAnalyse durch Fachleute alles für den Mobilitätscheck.www.ecotransit.org: Das von verschiedenen europäischen Bahnen entwickel­te umfassende Tool ermöglicht Disponenten einen detaillierten Vergleichder Umweltbelastungen verschiedener Verkehrsmittel auf einer bestimm­ten Transportroute.www.ecopassenger.org: Dieses ausgezeichnete Hilfsmittel für Private kombi­niert Fahrplan, Reisezeit und CO2­Belastung für jede beliebige Route. Da­bei ist die eine oder andere Überraschung möglich: Auf langen Streckengewinnt nicht immer der Zug – vollbesetzte Ökoautos halten bei der Um­weltbilanz durchaus gegen einen ICE mit.www.mobilitaetsdurchblick.ch: Der Onlinecheck für die private Mobilität er­laubt den Vergleich verschiedener Transportmittel und zeigt das Verbesse­rungspotenzial auf.

Die Grossverteiler als Vorreiter. Der Gütertransportmit der Bahn spielt unter anderem bei Coopund Migros eine wichtige Rolle. Drei Viertel derMigros-Transporte von den nationalen in die re-gionalen Verteilzentren erfolgen auf der Schiene,bei Coop sind es zwei Drittel. Mehr Bahn, da sindsich Logistiker einig, ist kaum möglich, denn dieBelieferung der Verkaufsstellen erfolgt notgedrun-gen praktisch ausschliesslich per Lastwagen. BeideGrossverteiler haben in den vergangenen Jahrenbei der umweltgerechten Logistik einiges erreicht.Nun, so sagen sie, seien grosse Sprünge nicht mehrmöglich, nur noch Optimierungen. Auch der Leis-tungsausweis der Post kann sich sehen lassen: Pake-te und Briefe werden zwischen den Logistikzentrenausschliesslich per Bahn transportiert. Die Briefzu-stellung erfolgt in der Schweiz dank dem Kauf vonEmissionszertifikaten CO2-neutral, und bis 2016sollen im Zustelldienst nur noch Elektromopedsunterwegs sein. Laut Postchef Jürg Bucher rechnensich diese Massnahmen auch ökonomisch.

In einem Grossraumbüro der Camion Trans-port in Schwarzenbach dirigieren Disponen-tinnen und Disponenten die Lastwagenflottedes Unternehmens. Dabei lotsen sie jedes Fahr-zeug so, dass es möglichst effizient unterwegsist. Dafür sind drei Kriterien ausschlaggebend:freie Ladekapazität, Nähe zum Kunden und zeit-liche Verfügbarkeit. Aus diesen Überlegungenwird beispielsweise Eraldo Braun zur DruckereiK+D in St.Gallen beordert. Um 13.30 Uhr trifftder Chauffeur mit seinem Anhängerzug dort ein.Seit 6 Uhr morgens ist er unterwegs und hat schondrei Destinationen angefahren. Sein 36-Tönnererfüllt die neue Abgasnorm Euro V. Trotzdem ver-braucht der LKW mit durchschnittlich 31 Liternnicht viel weniger Diesel als die Fahrzeuge, mitdenen Eraldo Braun zu Beginn seiner Karriere vor40 Jahren unterwegs war.

Umladen im Morgengrauen. Um 14.30 Uhr sinddie frisch gedruckten Medikamentenverpackun-gen verladen und bereit für die Reise vonSt.Gallen zu einem Pharmaunternehmen in derWestschweiz. Erste Station ist das Logistikzent-rum der Camion Transport in Schwarzenbach.Dort manövriert Eraldo Braun seinen Laster ineine Verladebucht. Ein Hubstapler verfrach-tet die beiden Paletten der Druckerei K +D ineinen mit Codes gekennzeichneten Bahnwag-gon. Dessen Ziel ist das Cargo-UmschlagcenterCTL in Lausanne. Um 21.45 Uhr fährt der Gü-terzug in Schwarzenbach ab. Von nun an ist dieSBB für den Transport zuständig. Die Reise führtnach Olten (SO). Dort treffen sich die aus den14 Schweizer Logistikzentren angereisten Loko-motivführer zu einem gemeinsamen Mitternachts-kaffee. In dieser Zeit werden die Güterwaggonsneu zusammengestellt, worauf die frisch bela-denen Züge wieder an ihren Ursprungsort zu-rückfahren – zum Beispiel nach Lausanne. Dortbeginnt in den frühen Morgenstunden das Umla-den auf Lastwagen. Die Pharmaverpackungen ausSt. Gallen sind für eine Fabrik in Nyon (VD) be-stimmt – aus logistischer Sicht ein Katzensprung.Um 6.15 Uhr belädt ein Chauffeur sein Fahrzeug

Page 35: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

35Dossier Umweltgerechte Mobilität > umwelt 3/2012

mit mehreren für Nyon bestimmten Sendungen.Um 8.30 Uhr sind die zwei Paletten von K+D anihrem Ziel.

Insgesamt hat die kombinierte Reise auf Stras-se und Schiene 18 Stunden gedauert. Dies ist einMehrfaches der direkten Lastwagenfahrt von derOst- in die Westschweiz, doch die Klimabilanz lässtsich sehen. So beträgt die CO2-Belastung der beidentransportierten Paletten mit Medikamentenkartons16,2 Kilogramm, wie die Disponenten der CamionTransport mit ihrer EcoBalance-Software berech-net haben. Dank der Bahn sind es 19,6 KilogrammCO2 weniger als bei einer Fahrt ausschliesslich mitdem Lastwagen. Zählt man alle von Camion Trans-port gelieferten Güter zusammen, hat das Unter-nehmen seinen CO2-Ausstoss mit dem dualen Sys-tem um 25 Prozent reduziert. «Damit stossen wiran die Grenzen unserer Möglichkeiten», sagt FranzMeienhofer. Aus diesem Grund sind die aktuellenReduktionsziele der Firma eher bescheiden. Dochmittelfristig existiere durchaus Sparpotenzial –vor allem dank energieeffizienteren Fahrzeugen.Bei einer Umstellung auf Hybrid- oder Erdgas-Last-wagen rechnet Franz Meienhofer mit einer zusätz-lichen CO2-Reduktion um 20 bis 30 Prozent. Nochsei die dazu nötige umweltschonende Antriebs-technologie aber nicht serienreif.

Ökobilanzrechner schaffen Transparenz. Die Firma Ca-mion Transport gibt Öko-Informationen direkt anihre Kunden weiter. Mithilfe des EcoBalance-Sys-tems werden sie über die Umweltbelastung jedereinzelnen Sendung informiert und erhalten EndeJahr eine detaillierte Bilanz der verursachten CO2-Emissionen. «So transparent soll es für den Kun-den sein», lobt Harald Jenk von der BAFU-SektionVerkehr. Tatsächlich ist Transparenz nicht immereinfach zu gewährleisten. Das Bundesamt für Um-welt arbeitet deshalb an europaweit geltendenÖkobilanznormen für den Verkehr mit. Immerhinlassen sich die Umweltbelastungen verschiedenerVerkehrsmittel im Personen- und Güterverkehrdank einer Reihe von Ökobilanzrechnern be-reits heute einfach miteinander vergleichen. DieSt.Galler Druckerei K+D, welche ihren Gütertrans-

KONTAKTHarald JenkSektion VerkehrBAFU031 322 93 [email protected]

port ganz ausgelagert hat, konnte die CO2-Emissio-nen mit dem dualen Systems im Jahr 2011 um 19Prozent oder 18,5 Tonnen reduzieren. Diese be-achtliche Einsparung entspricht dem CO2-Ausstosseines Mittelklasseautos auf einer Strecke von rund120000 Kilometern. Trotz der umweltfreundliche-ren Logistik haben sich die Transportkosten fürK+D nicht verteuert.

Die Strasse holt auf. Noch gilt für die umweltgerech-te Mobilität von Gütern die Devise: Möglichst vielSchiene, möglichst wenig Strasse! Künftig könntesich dies – zumindest tendenziell – ändern. Dievom Bundesamt für Verkehr (BAV) in Auftrag ge-gebene Studie «ÖV und Umwelt. Herausforderun-gen und Handlungsbedarf» kommt zum Schluss,dass der Gütertransport auf der Strasse seinenUmweltnachteil gegenüber der Schiene in denkommenden zwei Jahrzehnten wettmachen dürfte– sei es auf freiwilliger Basis oder als Folge neuerVorschriften. Dies gilt insbesondere für die Reduk-tion der Stickoxide (NOX) und Russrückstände (PM)in den Abgasen. «Beim CO2 sind allerdings keineWunder zu erwarten», erklärt VerkehrsspezialistHarald Jenk. «Wächst das Transportvolumen wieerwartet weiter, ist beim Güterverkehr schon dieStabilisierung der heutigen CO2-Emissionen einErfolg.»

Die Firma K+D hat sich nicht etwa bewusst fürden kombinierten Gütertransport entschieden: Beider Wahl der Speditionsfirma zählte vor allem diePünktlichkeit, wie der stellvertretende Direktor UrsMetzler erklärt. Allein aufgrund der umweltgerech-teren Logistik liessen sich keine zusätzlichen Auf-träge an Land ziehen. Doch wie Beispiele aus an-deren Wirtschaftszweigen zeigen, achtet nicht nurdie Kundschaft vermehrt auf die Ökobilanz, auchimmer mehr Unternehmen sind bemüht, sich öko-logisch vorbildlich zu verhalten. Unter ihnen gibtes viele potenzielle Kunden für die Vorreiter einerumweltfreundlichen Gütermobilität.

Urs Fitze

Weiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-07

Page 36: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/201236

ZG

Intelligente LeuchtenSeit Anfang 2012 testet die Gemeinde Baar

(ZG) eine intelligente Strassenbeleuchtung.

Auf einem rund 600 Meter langen Fuss- und

Radweg haben die Verantwortlichen 20 LED-

Leuchten mit einer Leistung von je 29 Watt

installiert. Im Normalzustand sind die Lampen

auf 10 Prozent der Leistung gedimmt. Ihre

volle Leuchtkraft entfalten sie erst, wenn sich

ein Velofahrer oder eine Fussgängerin nähert.

Mit Kontrasterkennung operierende Sensoren

können Tiere von Menschen, Velos oder Autos

unterscheiden. Sie registrieren den Verkehrs-

teilnehmer und geben das Signal per Funkver-

bindung an die nächste Leuchte weiter. So be-

wegen sich Radfahrerinnen oder Spaziergänger

auf einem vorauseilenden Lichtteppich. Stellen

die Sensoren keine Bewegung mehr fest, fah-

ren die Leuchten ihre Leistung zurück. Damit

soll bei der Strassenbeleuchtung eine Ener-

gieeinsparung von rund 60 Prozent möglich

sein, und gleichzeitig fallen die unerwünschten

Lichtimmissionen geringer aus.

> Paul Langenegger, Bauvorsteher, Baar,

041 769 04 30, [email protected]

ZH

Mit Pilzen gegen Zecken

Bei der Bekämpfung von Zecken kommen kon-

ventionelle Methoden – etwa der Einsatz von

Pestiziden – im empfindlichen Ökosystem des

Waldes nicht in Frage. Erschwert wird die Su-

che nach biologischen Massnahmen dadurch,

dass Zecken erstaunliche Überlebenskünstler

sind – eine einzige Blutmahlzeit reicht ihnen

für mehrere Monate. Zudem haben sie kaum

natürliche Feinde. Nun haben Forschende der

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen-

schaften (ZHAW) eine Zecke mit einem tödli-

chen Pilzbefall entdeckt. Interessant dabei ist,

dass Pilze aus derselben Gattung (Beauveria

bassiana) bereits zur Bekämpfung von Maikä-

fern und Kirschfruchtfliegen eingesetzt werden.

Im Rahmen eines dreijährigen Forschungspro-

jekts will man die biologische Zeckenbekämp-

fung mittels Pilzen nun weiter untersuchen.

> Thomas Hufschmid, Life Sciences und Facility

Management, ZHAW, 058 934 56 77,

[email protected], www.zhaw.ch

BE

Neue Aareinsel

Im Berner Seeland ist bei Niederried und Ra-

delfingen eine neue Gewässerlandschaft ent-

standen. Auf einer 6,5 Hektaren grossen Flä-

che, die 13 Fussballfeldern entspricht, hat man

eine Insel und einen neuen Seitenarm der Aare

gebaut. Die 221 Meter lange und 40 Meter

breite Aareinsel sowie das 370 Meter lange

Seitengerinne haben den vormals gleichför-

migen, strukturarmen Flusslauf verändert. Mit

der Zeit soll hier ein vielfältiger Lebensraum

für Tiere wie Äschen, Eisvögel oder Biber und

für Pflanzen wie Schwarzpappeln entstehen.

Für die Baukosten von 2,7 Millionen Franken

kamen der Kanton Bern, der kantonale Renatu-

rierungsfonds und der Ökofonds der BKW FMB

Energie AG auf.

> Peter Hässig, Präsident des Ökofonds der BKW,

031 330 51 11, [email protected]

AG

Naturstreifzug durch BadenEine originelle Führung durch die Wälder und

das Siedlungsgrün von Baden (AG) bietet der

vom Stadtforstamt und der Stadtökologie lan-

cierte Audioguide «Ohren auf – Natur erzählt!».

Während eines Spaziergangs – von der Bal-

degg durch den Wald hinein in die Stadt und

danach aufwärts zu den Reben am Ennetbade-

ner Geissberg – passiert man 19 Posten, wo

über eine Gratisnummer per Handy zu erfahren

ist, was es vor Ort zu sehen und zu hören gibt.

Thematisiert werden die Arbeit des Försters,

Waldlebewesen, wichtige Waldbäume, die

Forstwirtschaft in früheren Zeiten, aber auch

die Stadtnatur, die Vielfalt der Trockenwiesen

im Gebiet Schartenfels und die illustren Gäste

des Kurhauses Baden im 19. Jahrhundert. Der

Spaziergang dauert knapp vier Stunden.

> www.wald.baden.ch/audioguide

LU

Erste Anlage «frisst»Schwemmholz

Ein Hochwasser hat 2005 in den Gebieten der

Kleinen Emme und der Reuss Schäden von

Vor Ort

zVg

Page 37: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

37umwelt 3/2012

rund 345 Millionen Franken angerichtet. Als

Reaktion darauf initiierte der Kanton Luzern

das Projekt «Hochwasserschutz und Renatu-

rierung Kleine Emme und Reuss». Zusammen

mit den Kantonen Aargau, Zürich und Zug rea-

lisierte er dabei unter anderem an der Kleinen

Emme in Ettisbühl auf dem Gemeindegebiet

von Malters (LU) die schweizweit erste Gross-

anlage zur Schwemmholzentfernung. Sie kann

einem Hochwasser führenden Fluss bis zu zwei

Drittel des Schwemmholzes entnehmen. Dazu

ist das Flussbett der Kleinen Emme in Ettisbühl

um 60 Meter verbreitert worden. Das anfallen-

de Schwemmholz wird damit aus dem Haupt-

gerinne zur Holzrückhalteanlage getrieben. Ab

einem Hochwasser von rund 250 Kubikmetern

pro Sekunde wird die Stauklappe des Ausleit-

bauwerks geöffnet und so ein Teil des Hoch-

wassers mit dem mitgeführten Schwemm-

holz in den Holzrückhalteraum abgeleitet. Dort

fangen Rechen das Holz auf. Die Anlage ist

mit einem neuen Kleinwasserkraftwerk gekop-

pelt, das jährlich 4,5 Millionen Kilowattstunden

Strom produzieren soll.

> Albin Schmidhauser, Verkehr und Infrastruktur,

[email protected],

www.hochwasserschutz-emme-reuss.lu.ch

CH

Der ÖSL-CheckOb in Form von sauberem Trinkwasser, als

Schutz vor Naturgefahren, als Grundlage für

die landwirtschaftliche Produktion oder zur

Erholung im Freien: Alle profitieren von den

Leistungen unserer Umwelt und ihrer Ökosys-

teme. Doch nicht jeder, der diese Ökosystem-

leistungen in Anspruch nimmt, ist sich dessen

bewusst. Dies liegt auch daran, dass sie oft

kostenlos sind. In den verschiedenen Prozes-

sen der räumlichen Planung hat es bisher an

einer systematischen Berücksichtigung der

Ökosystemleistungen gemangelt. Dies soll sich

nun ändern: Eine gemeinsam vom BAFU und

der Eidgenössischen Technischen Hochschu-

le (ETH) Zürich konzipierte Arbeitshilfe zeigt

auf, wie solche Leistungen in der Planung von

Projekten und Prozessen in der Landschaft be-

rücksichtigt und geschützt werden können. Das

Online-Instrument eignet sich etwa für die Er-

arbeitung von Leitbildern, Landschaftsentwick-

lungskonzepten (LEK) oder Umweltverträglich-

keitsprüfungen (UVP).

> Roger Keller, Abteilung Arten, Ökosysteme,

Landschaften, BAFU, 031 322 15 16,

[email protected];

http://oesl-check.ethz.ch

ZH

Intelligente Fassaden

Forschende der Eidgenössischen Technischen

Hochschule Zürich (ETHZ) entwickeln eine mo-

dulare, adaptive Fassade, die sich automatisch

an Energie, Licht- und Temperaturbedürfnisse

anpasst und daneben auch einen architekto-

nischen Gestaltungsspielraum ermöglicht. Je

nach äusseren Bedingungen und vorgegebe-

nen Zielen kann die Fassade Energie gewin-

nen, beschatten oder die Lichtverhältnisse im

Raum anpassen. Voraussetzung dafür ist ein

komplexes Zusammenspiel von Sensoren und

Informationstechnik.

> Prof. Dr. Arno Schlüter, ETH Zürich,

[email protected], www.suat.arch.ethz.ch

BS/SG/BE/GE

Fahren mit Wasserstoff

Von 2009 bis Anfang 2012 ist auf Basels Stras-

sen ein wasserstoffbetriebenes Kehrfahrzeug

erprobt worden. Das unter anderem von der

Eidgenössischen Materialprüfungs- und For-

schungsanstalt (Empa) sowie vom Paul Scherrer

Institut (PSI) konzipierte Pilotfahrzeug soll den

Wasserstoffantrieb «vom Labor auf die Stras-

se» bringen. Wie der Versuch zeigt, spart Was-

serstoff als Treibstoff für Kommunalfahrzeuge

Energie, schont die Umwelt, und der Betrieb

ist auch technisch machbar. Gegenüber Die-

selfahrzeugen wird der Energieverbrauch um

mehr als die Hälfte reduziert, und bei den CO2-

Emissionen schneidet das Fahrzeug – selbst bei

einer fossilen Produktion des Wasserstoffs – um

rund 40 Prozent besser ab. Um rentabel zu sein,

müssen Brennstoffzelle, Druckspeichertank und

Elektroantrieb allerdings noch deutlich günstiger

werden. Das Fahrzeug ist nun noch bis Septem-

ber 2012 auf St.Gallens Strassen unterwegs.

Danach folgen weitere Praxistests in Bern und

Onex (GE).

> Christian Bach, Abteilung Verbrennungsmotoren,

Empa, 058 765 41 37, [email protected]

zVg

zVg

zVg

Page 38: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/201238

International

21 Aufgaben für das 21. Jahrhundert

Der fünfte, globale UNO-Bericht über den Zustand der Um-

welt (www.unep.org/geo), an dessen Erarbeitung auch die

Schweiz beteiligt war, schlägt Alarm: Laut GEO-5 sind die

derzeit beobachteten Umweltveränderungen beispiellos in

der Geschichte der Menschheit. Massnahmen für den Klima-

schutz oder zur Steigerung der Ressourceneffizienz hätten

wohl Verbesserungen gebracht, doch seien weitere Schritte

nötig. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Klimawandel

und Biodiversität sowie für Massnahmen zur Entschärfung

der Wasser-, Abfall- und Chemikalienproblematik. Ansons-

ten entstünden unumkehrbare Schäden an den globalen

Ökosystemen. Aufgrund der aktuellen Bestandesaufnahme

formuliert der Bericht die wichtigsten «21 Aufgaben für das

21. Jahrhundert».

Gemäss GEO-5 ist das heute unübersichtliche System der

internationalen Umweltpolitik zu wenig effizient, um die an-

stehenden Probleme zu lösen. Zudem fehle es der internatio-

nalen Umweltpolitik an Transparenz und vielerorts auch an

demokratischer Abstützung. Die zweite grosse Herausforde-

rung betrifft die Grüne Wirtschaft. Um sie umsetzen zu kön-

nen, müsse unter anderem in die Aus- und Weiterbildung

investiert werden. Die dritte grosse Aufgabe sei die Lebens-

mittel- und Ernährungssicherung für 9 Milliarden Menschen.

Dazu bedürfe es umfassender Frühwarnsysteme, einer effi-

zienteren landwirtschaftlichen Produktion, der Unterstüt-

zung von Kleinbauern und einer Reduktion der Verschwen-

dung von Nahrungsmitteln.

Wertvolle Feuchtgebiete schützen

Feuchtgebiete wie Mangroven, Korallenriffe, Moore, See-

und Flusslandschaften sind unverzichtbar für die Erhaltung

der Biodiversität, die Versorgung mit Trinkwasser und die

Dämpfung von Hochwasserspitzen. Ihr weltweiter Schutz ist

im Ramsar-Übereinkommen von 1975 geregelt. Hauptzweck

dieser Konvention ist die Bezeichnung der international be-

deutenden Feuchtgebiete – und die damit verbundene Ver-

pflichtung der jeweiligen Regierungen zu einer nachhaltigen

Bewirtschaftung. Inzwischen sind 2040 solche Schutzgebiete

mit einer Gesamtfläche von über 193 Millionen Hektaren

anerkannt.

In der ersten Julihälfte 2012 haben sich 115 der insgesamt

162 Mitgliedstaaten in der rumänischen Hauptstadt Bukarest

zur 11.Vertragsparteienkonferenz getroffen. Bei den Ver-

handlungen ging es unter anderem um die Entwicklung von

Synergien mit weiteren internationalen Abkommen, um die

Verhinderung und Kompensation von Verlusten an Feucht-

gebieten sowie um die Auswirkungen des Klimawandels

auf diese Ökosysteme. Die Schweizer Delegation hat einen

Vorschlag eingebracht, der in solchen Schutzzonen mög-

lichst verantwortungsvolle Investitionen fördern soll. Ziel

ist, dass mit öffentlichen oder privaten Geldern finanzierte

Projekte die Feuchtgebiete weder ökologisch beeinträchtigen

noch die Lebensbedingungen der dort vorkommenden Arten

verschlechtern dürfen.

Nicolas PerritazSektion Europa, Handel undEntwicklungszusammenarbeit, BAFU031 325 81 [email protected]

3.–7. September 2012:Treffen des zwischenstaatlichenVerhandlungsausschusses füreine europäische Waldkonvention(INC2) in Bonn (Deutschland)

17.–21. September 2012:Sitzung der Konferenz fürein internationales Chemi-kalien-Management (SAICM)in Nairobi (Kenia)

24.–28. September 2012:Treffen des internationalenAusschusses für Forstwirt-schaft der FAO in Rom (Italien)

1.–12. Oktober 2012:Vertragsparteienkonferenzendes Protokolls von Cartagenaund der Biodiversitäts-Konventionin Hyderabad (Indien)

Wichtige Termine der internationalen Umweltpolitik

Sibylle VermontSektion GlobalesBAFU031 322 85 [email protected]

Page 39: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

39Artenvielfalt > umwelt 3/2012

Bis 2030 wollen Bund und Kantone auf 10 Prozent der Schweizer Waldfläche Reservate einrichten.Da viele Kantone entsprechende Anstrengungen unternehmen, wird dieses Ziel wohl erreicht, wie eineZwischenbilanz zeigt. Vor allem in tieferen Lagen besteht allerdings noch ein Nachholbedarf angrösseren Reservaten.

Waldreservate für 20 000 ArtenWALDBIODIVERSITäT

Viele Amerikareisende schwärmen vonden riesigen Waldreservaten wie Red-wood, Sequoia oder Yellowstone in dengleichnamigen Nationalpärken der USA.Mit Ausnahme der naturbelassenenBergwälder im Engadiner Nationalparkfinden sie hierzulande nichts Vergleich-bares. Die Idee, grosse Waldschutzgebie-te zu schaffen, setzte sich bei uns nurzögerlich durch. Noch in den 1990er-Jahren waren erst magere 1,5 Prozentder Schweizer Waldfläche als Reservate

ausgewiesen. Mehr sei nicht nötig, fan-den damals viele Waldbesitzende undPolitiker. Allgemein herrschte die Mei-nung vor, mit den Jagdbanngebietenund der Erholung der Wildbestände seieines der Hauptziele im Naturschutzbereits erreicht. Im Vergleich zu denoft naturfremden Forstbeständen imAusland erachtete man den SchweizerWald dank seiner naturnahen Bewirt-schaftung ohnehin als ein einzigesGrossreservat.

Umso überraschter reagierten Wald-eigentümer und Behörden, als Forde-rungen nach zusätzlichen Waldschutz-gebieten laut wurden: 10 Prozentverlangte der WWF, 18 Prozent dieSchutzorganisation Pro Natura undgar 50 Prozent ein junger Umweltakti-vist vor dem Bundeshaus. Den Anstossdazu hatte der erste Erdgipfel in Riovon 1992 gegeben. Damals verpflichte-ten sich die Unterzeichnerstaaten derBiodiversitätskonvention, zu denen

Dank seiner steilen und schwer zugänglichen Lage blieb der Blockfichtenwald Scatlè bei Brigels(GR) in der Surselva am Vorderrhein während Jahrhunderten von menschlichen Eingriffen ver-schont. Aus diesem Grund findet sich im ersten Waldreservat der Schweiz einer der letzten echtenFichtenurwälder in den Alpen.

Page 40: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Artenvielfalt40

auch die Schweiz gehört, grosszügigbemessene Waldreservate einzurichten.In diesen Schutzgebieten soll die Bio-diversität Vorrang haben vor anderenWaldfunktionen wie Holznutzung oderErholung. In den Reservaten will manauch die wirtschaftlich uninteressanten,aber ökologisch wertvollen Zerfalls- undPionierphasen zulassen und so vielfäl-tige Lebensräume für seltene Tier- undPflanzenarten schaffen.

Konzept Waldreservate Schweiz. Der Bundlässt in der Folge ein Basispapier füreine schweizerische Waldreservatspoli-tik erarbeiten, deren Gestaltung undUmsetzung freilich den Kantonenüberlassen bleibt. Das 1998 publizierte«Konzept Waldreservate Schweiz» zeigtdas Potenzial auf und gibt Hinweisefür die Planung und Einrichtung vonWaldreservaten. Im Anhang enthält

es Karten, auf denen die potenziell ge-eigneten Gebiete eingezeichnet sind.Sie bieten den Betroffenen reichlichDiskussionsstoff. 2001 einigen sich dasBundesamt für Umwelt und die kanto-nalen Forstdirektoren in den «Leitsätzeneiner schweizerischen Waldreservatspo-litik» auf konkrete nationale Ziele.

Demnach sollen bis zum Jahr 203010 Prozent der Schweizer Waldflächeals Reservate ausgewiesen sein. Aufetwa der Hälfte aller geplanten Reser-vatsgebiete will man die natürlicheWaldentwicklung wieder zulassen. Insolchen Naturwaldreservaten (NWR)wird ganz oder weitgehend auf Eingrif-fe verzichtet. Je nach Status sind eineRegulation der Wildtierbestände mittelsJagd sowie Sicherheitsschläge an Stras-sen und die Waldbrandbekämpfungmöglich. Ansonsten lässt man der na-türlichen Entwicklung freien Lauf und

stärkt damit vor allem Organismen, dieim Wirtschaftswald zu kurz kommen,wie beispielsweise im Holz lebende In-sekten und Pilze. Etwa ein Fünftel al-ler Tiere und Pflanzen im Wald – alsoüber 6000 Arten – sind auf Totholz alsLebensraum und Nahrungsquelle ange-wiesen.

Die restlichen 5 Prozent der gesam-ten Waldfläche sollen als Sonderwald-reservate (SWR) dienen. Um die öko-logische Qualität bestimmter Biotopezu erhalten sowie ausgewählte Pflan-zen- und Tierarten zu fördern, sindhier gezielte Eingriffe möglich und oftsogar nötig. Dazu zählen etwa die Ent-buschung von Felsen und Geröllhaldenmit Reptilienpopulationen oder dieFreihaltung von Waldlichtungen fürTagfalter, Orchideen oder das Auer-wild. Ein weiteres Beispiel sind die vomBAFU unterstützten Eichenförderungs-

Für Mittelland-Verhältnisse ist das Waldreservat «Mettlenrein-Höchi» (links oben) in Wynau (BE) mit 168 Hektarenrelativ gross. Im «Leihubelwald» (links unten) bei Giswil (OW) dokumentieren bis zu 42 Meter hohe Tannenund Fichten die Rückentwicklung zum Naturwald. Höhere Pilze, wie der Rotrandige Baumschwamm (Fomitopsispinicola) im jurassischen Naturwaldreservat «Bois Banal», sind die wichtigste Organismengruppe zum Abbauvon Totholz.

Page 41: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

41Artenvielfalt > umwelt 3/2012

Im Naturwaldreservat«Bois Banal» auf demGebiet der GemeindeClos du Doubs (JU)wird die Tanne zuneh-mend von der Bucheverdrängt. Das Totholzbietet Lebensraum fürTausende von Insekten,Pilzen und Flechten-arten.

Page 42: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Artenvielfalt42

programme. Damit will der Bund unteranderem den Mittelspecht sowie denHirschkäfer erhalten und deren Aus-breitung fördern.

Zudem besteht die Absicht, inner-halb der geplanten Reservatsfläche30 Grossreservate von mindestens500 Hektaren einzurichten – und zwarbei einer angemessenen Verteilung aufdie Regionen. Neben diesem quantita-tiven Ziel formuliert das Konzept auchqualitative Ziele. Angestrebt werdeneine repräsentative Vertretung der über120 bei uns vorkommenden Waldgesell-schaften sowie die besondere Berück-sichtigung der seltenen und gefährdetenWaldtypen, für die unser Land auch eineinternationale Verantwortung trägt –beispielsweise die Lärchen-Arvenwälderder Zentralalpen oder die Alpenrosen-und Torfmoos-Bergföhrenwälder.

Zwischenbilanz des BAFU. Nach den ers-ten 10 von 30 Jahren haben die Kan-tone bei allen quantitativen Zielen

bereits gut die Hälfte der Vorgaben er-reicht, wie eine erste Zwischenbilanz desBAFU zeigt. Insgesamt sind heute auf4,6 Prozent der Waldflächen Reservateausgeschieden, davon 2,5 Prozent alsNWR und 2,1 Prozent als SWR. Aller-dings variiert der Wert in den verschie-denen Regionen. «Die vorliegendenZahlen aus den Kantonen stimmen unsinsofern optimistisch, als wir das quan-titative Ziel bereits fast zur Hälfte er-reicht haben», stellt Markus Bolliger vonder BAFU-Sektion Jagd, Wildtiere undWaldbiodiversität fest. Für eine tiefereAnalyse der qualitativen Aspekte benö-tigt der Bund aber die genauen geogra-fischen Daten jedes einzelnen Reservats.Dazu erarbeitet das BAFU eine umfas-sende Statistik, die Ende 2012 vorliegensollte. Laut Markus Bolliger «wird es in

Die ökologisch wertvollen Zerfalls- und Pionier-phasen in den Waldreservaten schaffen vielfältigeLebensräume für seltene Tier- und Pflanzenarten.

ANTEIL DER WALDRESERVATE AN DER WALDFLäCHE IN PROZENT UND IHRE FLäCHE IN HA (SäULEN)

%10,1 – 135,1 – 103,1 – 5,02,0 – 3,01,6 – 2,01,0 – 1,5

den nächsten Jahren wohl schwieriger,weitere und vor allem grössere zusam-menhängende Flächen als Reservateauszuweisen. Es sind nämlich immer

weniger Waldbesitzer bereit, langfristigauf die Holznutzung in ihrem Wald zuverzichten.» Dafür gibt es vermutlichverschiedene Gründe. So sind die Eigen-tümer zum Beispiel emotional an ihrenWald gebunden, wollen sich für die Zu-kunft nichts vergeben oder empfindendie finanzielle Unterstützung durch dieöffentliche Hand als ungenügend.

Es braucht mehr Grossreservate. Schwach-punkte ortet Markus Bolliger auch beider regionalen Verteilung der Reser-vate, bei ihrer Grösse und hinsichtlichder Repräsentativität der Waldtypen.Untervertreten seien beispielsweise dielandschaftsprägenden Buchenwälder,Ahorn- und Tannen-Buchenwälder,Fichten-Tannenwälder sowie Föhren-und Auenwälder. Immerhin gibt es in-

zwischen schon 18 Grossreservate miteiner Waldfläche von je mindestens500 Hektaren, die sich allerdings vor-wiegend auf wenige Gebiete konzen-trieren. «Die Schaffung von weiterenGrossreservaten in allen Regionen istnur möglich, wenn die Kantone engzusammenarbeiten», stellt die ETH-Forscherin Jasmin Bernasconi fest.Ihre im Rahmen einer Bachelorarbeitvorgenommene Zwischenbilanz über10 Jahre gemeinsame Waldreservats-politik von Bund und Kantonen zeigtauf, dass mehr als die Hälfte der Ständenoch nicht mit den Nachbarkantonenzusammengearbeitet haben, um Gross-reservate auszuscheiden. Die Forstäm-ter müssten dafür unbedingt mehr in-vestieren, denn die Grösse sei sehr wohlwichtig. «Viele Naturwaldreservate sindzu klein, um die gewünschten ökologi-schen Funktionen erfüllen zu können»,sagt Markus Bolliger. «Damit sich alleEntwicklungsphasen auf einer Flächeausbilden können, muss ein Reservateine gewisse Mindestfläche haben –das heisst im Minimum 40, aber besser100 Hektaren und mehr.»

Relikte eines Mittelwaldes. Nicht immerist die Baumartenvielfalt in Reservatenreicher als in naturnah bewirtschafte-

4000 ha

Quelle: BAFU

Page 43: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

43Artenvielfalt > umwelt 3/2012

KONTAKTMarkus BolligerSektion Jagd, Wildtiere undWaldbiodiversität, BAFU031 324 77 [email protected]

ten Wäldern. Im NWR «Bois de Chê-nes» bei Nyon (VD) beispielsweisestehen viele Eichenbäume, wie derName erraten lässt. Allerdings sind sienicht das Resultat einer natürlichenWalddynamik, sondern ein Produktder früheren Waldbewirtschaftung,deren Spuren noch heute gut sichtbarsind. Abgeschnittene Eichenstrünkeund Bestände mit hohem Eichenan-teil weisen darauf hin, dass der «Boisde Chênes» früher als Mittelwald be-wirtschaftet wurde. Man liess einzelneEichenbäume älter werden und fälltesie erst, wenn sie einen nutzholzfähi-gen Durchmesser erreicht hatten. Der-weil wurde aus der Unterschicht alle30 Jahre flächig das Brennholz geern-tet. Auch andere Gehölzarten im «Boisde Chênes» sind wohl Kulturrelikte,darunter Sträucher wie Goldregen undKornelkirsche sowie Nadelbäume wieFichten, Tannen, Lärchen und Doug-lasien. Für eine nahe gelegene Streich-holzfabrik wurden sogar nordameri-kanische Pappeln angepflanzt.

Mehr Totholz und Baumriesen. Im Jahr1961 trat die Waadtländer Gemein-de Grenolier die Nutzungsrechte fürden «Bois de Chênes» an den Kantonab, der 1966 eine Schutzverordnungfür eine Fläche von 160 HektarenWald und Waldwiesen erliess. Seit-dem sind im «Bois de Chênes» dieBuchen auf dem Vormarsch, wie über-all in den tieferen Lagen der Schweiz.Peter Brang, Mitarbeiter der Eidge-nössischen Forschungsanstalt fürWald, Schnee und Landschaft (WSL)und Co-Autor des Buchs Waldreservate.50 Jahre natürliche Waldentwicklung in derSchweiz (Haupt Verlag, 2011), weist aufdie langfristige Entwicklung hin: «Dadie Buche eine dichte Krone hat undsehr viel Schatten wirft, kommen vieleandere Baumarten unter Druck, wes-halb die Baumartenvielfalt langsam zu-rückgeht. Dafür nimmt die Menge anTotholz und damit die Zahl an Insek-ten-, Vogel- und Pilzarten, die auf abge-storbenes Holz angewiesen sind, starkzu. Längerfristig, wenn die derzeit he-

ranwachsende und älter werdende Bu-chengeneration abgelöst wird, dürftedie Baumartendiversität wieder zuneh-men, ganz besonders nach Störungs-ereignissen wie Windwurf.»

Die zu einem bestimmten Zeit-punkt beobachtete Artenvielfalt ineinem Naturwald ist also nur eine Mo-mentaufnahme aus einem endlosenFilm, der lange ein Zeitlupentempoeinhält, um plötzlich wie im Zeitrafferabzulaufen, wenn sich die Ereignissenach einem Sturm oder Waldbrandüberstürzen. Anders ist es im Wirt-schaftswald – hier endet der Film,noch bevor alle Protagonisten auftre-ten konnten.

Nicolas GattlenWeiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-08

Ein Waldmeister-Buchenwald im Reservat «Schlossflue» oberhalb von Twann (BE) am Bielersee. Neben dieser auch im Mittelland weit verbreite-ten Waldgesellschaft prägen diverse wärmeliebende und für den Jurasüdfuss typische Laubmischwälder das 68 Hektaren grosse Schutzgebiet.Forstliche Pflegeingriffe erfolgen hier nur noch, um die Verbuschung und Wiederbewaldung von artenreichen Lichtungen und Trockenwiesen zuverhindern.

Alle Bilder: Markus Bolliger, BAFU

Page 44: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Luftreinhaltung44

Die Schadstoffbelastung der Luft in Europa hat seit den frühen 1990er-Jahren stark ab-genommen. Die bisherigen Fortschritte auf internationaler Ebene genügen aber nicht,um die menschliche Gesundheit und empfindliche Ökosysteme ausreichend zu schützen.Deshalb sollen neue Etappenziele für das Jahr 2020 und eine entsprechende Verschärfungdes Göteborg-Protokolls die Luftqualität nun weiter verbessern.

Luftschadstoffe respektierenkeine Grenzen

GÖTEBORG-PROTOKOLL

Belastete Luft kennt keine Grenzen.Selbst auf dem Grund scheinbar unbe-rührter Seen in der Arktis stiess ein For-scherteam der University of Washingtonim nordamerikanischen Seattle jüngstauf erhöhte Stickstoffgehalte. Wie dieFachleute Ende 2011 im Wissenschafts-magazin «Science» berichteten, liefernihre Sedimentanalysen in 36 Seen etwaab 1895 erste Hinweise auf einen stei-genden Stickstoffeintrag aus der Atmo-sphäre. Seit Mitte des 20. Jahrhundertshat die unerwünschte Düngung (Eutro-phierung) der untersuchten Gewässerin Skandinavien, Kanada und den USAmarkant zugenommen. Dies gilt fürentlegene Bergseen in den gemässigtenBreiten ebenso wie für die Polargebiete.

Die vor allem in den Gebirgsregio-nen und im hohen Norden von Naturaus nährstoffarmen Gewässer sind beiWeitem nicht die einzigen Ökosysteme,denen die chronische Überdüngung ausder Luft sowie die allmähliche Versaue-rung zusetzen. Auch Wälder, Weiden,Magerwiesen, Moore und Sümpfe die-nen als Lebensraum für eine speziali-sierte Vegetation. Sie hat sich im Laufder Evolution optimal auf die Nährstoff-armut eingestellt. Bei einer schleichen-den Eutrophierung, welche sich überJahrzehnte hinziehen kann, werden

diese Hungerkünstler allmählich vonnährstoffliebenden Pflanzen verdrängt,was sich auch negativ auf die Artenviel-falt der lokalen Fauna auswirkt.

Weit transportierte Schadstoffe. Je nachWindströmung werden umwelt- undgesundheitsschädigende Luftschadstof-fe wie Stickoxide (NOx), Schwefeldioxid(SO2) und Feinstaub über Hunderte vonKilometern verfrachtet. Damit könnenbeispielsweise Emissionen in Italien,Frankreich und Deutschland auch beiuns die Hintergrundbelastung der Luftbeeinflussen. Umgekehrt werden Luft-schadstoffe aus Schweizer Quellen auchin die Nachbarländer verweht.

Im Rahmen der UN-Wirtschaftskom-mission für Europa (UNECE) haben sichdie Mitgliedsstaaten bereits 1979 aufein internationales Übereinkommenzur Bekämpfung dieser weiträumigengrenzüberschreitenden Luftverunreini-gung geeinigt. «Das mittlerweile vonrund 50 Ländern ratifizierte Abkommenist die älteste Umweltschutz-Konven-tion», erläutert Richard Ballaman, Chefder Sektion Luftqualität beim BAFU.«Dank der regelmässigen Erarbeitungvon Zusatzprotokollen, die Lösungenfür gegenwärtige und künftige Proble-me im Bereich der Luftreinhaltung vor-

schlagen, gilt das UNECE-Abkommenaber nach wie vor als sehr modern.»

Das Göteborg-Protokoll als Meilenstein.Eine wichtige Wegmarke war ins-besondere das 1999 verabschiedeteGöteborg-Protokoll zur Verringerungvon Versauerung, Eutrophierung undbodennahem Ozon. Es begrenzt dieaus Sicht der Ökosysteme und dermenschlichen Gesundheit besondersproblematischen Schadstoffe SO2, NOx,Ammoniak (NH3) sowie die flüchti-gen organischen Verbindungen (VOC).In einer ersten Etappe mit dem Ziel-jahr 2010 hatten sich die inzwischen26 Unterzeichnerstaaten des Protokolls– darunter die Schweiz, die Europäi-sche Union sowie die USA – zu länder-spezifischen Reduktionszielen für diesevier relevanten Luftschadstoffe verpflich-tet. Die entsprechenden Vorgaben rich-ten sich nach einer Bewertungsmethodefür eine möglichst wirkungsorientierteund kosteneffiziente Verminderung derLuftverunreinigungen.

Im Vergleich zum Bezugsjahr 1990machen die in Europa angestrebtenEmissionsreduktionen je nach Schad-stoff rund 40 bis gut 60 Prozent aus.Im Gegensatz zur Schweiz, welche alleentsprechenden Verpflichtungen er-

Page 45: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

füllt hat und die internationalen Vor-gaben für SO2 und VOC sogar deutlichübertreffen konnte, haben 10 Länderihre Emissionsziele für NOx verfehlt,wie eine Auswertung der EuropäischenUmweltagentur (EUA) zeigt. «Die bis-herigen Anstrengungen zur Reduktionder Luftverunreinigungen reichen aberohnehin nicht aus, um die kritischenEintragsraten in empfindliche Ökosys-teme und die noch tragbare Ozonbelas-tung zu unterschreiten», stellt RichardBallaman fest. «Dazu braucht es auf pan-europäischer Ebene weitere Emissions-minderungen.» Als Vorsitzender derArbeitsgruppe «Strategies and Review»leitete der BAFU-Luftexperte in denletzten Jahren denn auch die interna-tionalen Verhandlungen über eine Wei-terentwicklung des Göteborg-Protokollsfür die Verpflichtungsperiode bis 2020.Es geht dabei um einen zusätzlichenwichtigen Schritt, der freilich nicht allelufthygienischen Probleme lösen wird.Neu soll das revidierte Protokoll auchdie Belastung der Atemluft mit lun-

gengängigem Feinstaub vermindern.Wissenschaftliche Erkenntnisse weisennämlich nach, dass die heutige Expo-sition der Bevölkerung eine deutlichgeringere Lebenserwartung bewirkt. Diebisherigen Regelungen erfassten ledig-lich die Vorläufer der sekundären Fein-partikel, ohne jedoch den besonders ge-sundheitsschädigenden Russausstoss zulimitieren.

«Aufgrund ihrer Lage mitten in Eu-ropa wird die Schweiz unmittelbar vonweiteren Verbesserungen der Luftquali-tät in den EU-Staaten profitieren», sagtRichard Ballaman. «Trotzdem werdenuns die lufthygienischen Dauerbrenner– wie der Sommersmog durch zu hoheOzongehalte, umweltschädigende Stick-stoffeinträge oder die übermässige Fein-staubbelastung – in ganz Europa nochlange beschäftigen.»

Verschärfte Grenzwerte. Mit strengerenLimiten für den Schadstoffausstoss ausVerbrennungsanlagen, schärferen Ab-gasnormen für neue Fahrzeuge oder

technischen Vorschriften zur Min-derung der diffusen Emissionen vonLösungsmitteln aus Industrie- und Ge-werbebetrieben ist die Marschrichtungim revidierten Göteborg-Protokoll vor-gegeben. Eher bescheiden muten hin-gegen die lufthygienischen Ziele in derLandwirtschaft an, da sich die Staaten-gemeinschaft hier nicht auf ehrgeizigeVorgaben für eine Reduktion der Am-moniakemissionen aus der Nutztierhal-tung einigen konnte.

Damit die Schweiz die gestecktenZiele der zweiten Verpflichtungsperiodeerreichen kann, sind bei einzelnen An-lagenkategorien kleinere Anpassungenan den Stand der Technik erforderlich,die das Luftreinhaltekonzept des Bun-desrates von 2009 ohnehin vorsieht.

Beat JordiWeiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-09

45Luftreinhaltung > umwelt 3/2012

KONTAKTRichard BallamanSektionschef LuftqualitätBAFU031 322 64 [email protected]

«Aufgrund ihrer Lage mitten in Europa wird dieSchweiz unmittelbar von weiteren Verbesserungen derLuftqualität in den EU-Staaten profitieren.»

Richard Ballaman, BAFU

Oberhalb von St. Peter imSchanfigg (GR) trübt dieverschmutzte Luft über demChurer Rheintal den Weit-blick auf die Gebirgszügedes Bündner Oberlandes.Bild: Keystone, Arno Balzarini

Page 46: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Klimaschutz46

Die internationalen Verhandlungen zum Schutz des Weltklimas kommen seit Jahrzehnten nur schleppend voran.Viele Stadtbehörden und umweltbewusste Unternehmen wollen nicht auf die Ergebnisse warten. Sie denken schonheute global und handeln lokal. Dabei können sie auf eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung und ihreKundschaft zählen.

Klimaschutz beginnt im KleinenLOKALE KLIMAINITIATIVEN

Ende 2012 läuft die erste Verpflichtungs-periode der Staatengemeinschaft zurweltweiten Reduktion der Treibhausgaseaus. Die internationalen Verhandlungenfür das im Rahmen der Klimakonven-tion beschlossene Kyoto-Protokoll dauer-ten damals 6 Jahre. Zwischen demDurchbruch an der Klimakonferenz inJapan und der formellen Inkraftsetzungdes Protokolls im Jahr 2005 verstrichen

dann nochmals gut 7 Jahre. Trotz inten-siver Bemühungen konnten sich dieStaaten bis heute nicht auf einen ver-bindlichen Zeitplan und auf konkreteReduktionsziele für eine weitere Ver-pflichtungsperiode einigen. Die kom-menden Klimakonferenzen sollen dies-bezüglich mehr Klarheit bringen undneu auch bisher abseits stehende Gross-emittenten wie die USA, China oder In-

dien einbeziehen. Doch gerade beimKlimaschutz ist der Faktor Zeit entschei-dend. Um eine gefährliche Störung desKlimasystems zu verhindern, soll dieglobale Erwärmung auf höchstens 2 °Cgegenüber der vorindustriellen Zeit be-grenzt werden. Der Weltklimarat IPCCrechnet vor, dass dazu eine Halbierungder weltweiten Treibhausgasemissionenbis 2050 notwendig ist.

Page 47: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

47Klimaschutz > umwelt 3/2012

Erfolgreiche Kampagne in Grossbritannien.Inzwischen sind sich weite Teile derBevölkerung der Tragweite dieses Prob-lems bewusst und entsprechend bereit,freiwillig etwas für den Klimaschutzzu tun. Dies belegt etwa die ursprüng-lich in Grossbritannien lancierte Kam-pagne «10:10». Die Unterzeichnendenverpflichten sich, ihren CO2-Ausstossjährlich um 10 Prozent zu reduzieren.Nur 3 Tage nach Lancierung des Pro-jekts im Jahr 2009 hatten sich bereits10000 Privatpersonen, Schulen, Firmenund Organisationen angemeldet. BisEnde April 2012 ist ihre Zahl auf rund120000 Anhänger in mehreren Ländernangewachsen. Die Kampagne basiert aufder einfachen Idee, dass kontinuierlicheOptimierungen einfacher zu realisierensind als ehrgeizige Reduktionsziele inferner Zukunft. So wirken 10 Prozentpro Jahr für viele greif barer als etwa50 Prozent bis 2050, wobei das schritt-

weise Vorgehen erst noch viel rascherzum Ziel führt.

Klimabündnisse in der Schweiz. In derSchweiz stützt sich die Klimapolitik vorallem auf das CO2-Gesetz. Für die Zeitnach Inkrafttreten der Revision ab 2013hat das Parlament den Bundesbehördeneine aktivere Rolle beim lokalen Klima-schutz übertragen. Demnach sollen sieGemeinden, Unternehmen sowie Kon-sumentinnen und Konsumenten überwirksame Massnahmen informierenund beraten. «Ich bin überzeugt, dasshier noch ein grosses Potenzial brach-liegt», sagt Andrea Burkhardt, die Leite-rin der Abteilung Klima beim BAFU.

Schon heute werden auch hierzu-lande zahlreiche effektive Massnahmenfreiwillig umgesetzt. So haben sich21 grössere Gemeinden im «KlimaBünd-nis-Städte Schweiz» zusammengeschlos-sen. Sie verfolgen gemeinsam lokale

Klimaschutzprojekte, setzen auf einenachhaltige kommunale Energie- undVerkehrspolitik, fördern klimafreund-liche Bauten sowie ein umweltverträg-liches Beschaffungswesen und sensibi-lisieren ihre Bevölkerung.

Zudem tragen mittlerweile fast300 Schweizer Gemeinden das Label«Energiestadt». Dieser Leistungsaus-weis bescheinigt ihnen unter anderem,dass sie eine nachhaltige kommunaleEnergiepolitik betreiben, erneuerbareEnergien fördern, auf eine umweltver-trägliche Mobilität setzen und die Res-sourcen effizient nutzen. Gemäss derVision der 2000-Watt-Gesellschaft sindsie bereit, ihren Energieverbrauch kon-tinuierlich auf 2000 Watt oder 1 TonneCO2 pro Person und Jahr zu senken.

Leuchtturmprojekte in Genf und Zürich. AlsVorbild gilt beispielsweise der KantonGenf. Seit er das 2000-Watt-Ziel vor

Ein Bekenntnis zur klima-schonenden 2000-Watt-Gesellschaft an der Fassadeeines neuen Wohngebäudesim Zürcher Kreis 4. Dashauptsächlich verwendeteBaumaterial aus SchweizerWäldern ist der Hauptgrundfür die gute Energie- undKlimabilanz des Miethauses.Bilder: BAFU / AURA, E. Ammon

Page 48: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Klimaschutz48

einigen Jahren in sein Energiekonzeptaufgenommen hat, treibt er die konkre-te Umsetzung mit Leuchtturmprojektenvoran. So entsteht etwa auf der Indus-triebrache eines ehemaligen Gaswerksam Quai du Rhône, mitten in der In-nenstadt bis 2014 das erste Ökoquartier«Carré Vert» mit 300 Wohnungen. Vor-gängig müssen allerdings noch der mitSchwermetallen, Kohlenwasserstoffenund Zyanid belastete Boden sowie dasGrundwasser saniert werden.

An der Fassade eines sechsstöckigenHolzhauses an der Badenerstrasse mit-ten im dicht besiedelten Zürcher Kreis 4prangt das Klimaversprechen direkt ander Fassade: «Die Bewohnerinnen undBewohner dieses Gebäudes verpflichtensich, ihren gesamten, stetigen Ener-gieverbrauch auf maximal 2000 Wattpro Person zu reduzieren. Bei Vertrags-bruch hat der Rest der Welt Anspruchauf sozialen Ausgleich oder Schaden-ersatz», steht hier geschrieben.

«Das ist Kunst am Bau und rechtlichnatürlich nicht durchsetzbar, aber die2000-Watt-Gesellschaft gehört bei unszum Konzept», erklärt Rolf Hefti, Ge-schäftsführer der verantwortlichen Bau-genossenschaft Zurlinden. Zürich liessals erste Schweizer Stadt über die Zieleder 2000-Watt-Gesellschaft abstimmen.Drei von vier Stimmen votierten dabeifür eine Aufnahme in die Gemeinde-ordnung. «Für uns war dies ein Grund,um künftig auf nachhaltiges Bauen zusetzen», sagt Rolf Hefti. «Wir wollen zei-gen, dass diese Ziele schon heute reali-sierbar sind.»

Der Hauptgrund für die gute Klima-und Energiebilanz des Gebäudes ander Badenerstrasse ist der verbauteRohstoff. Er stammt aus SchweizerWäldern, ist CO2-neutral und lässt sichbei einem späteren Abbruch erst nochals Brennstoff nutzen. Für die einstigenSchwächen von Holzbauten – wie denBrand- und Schallschutz – hat maninnovative Lösungen gefunden, etwain Form einer lärmdämpfenden Splitt-schüttung in den Holzdecken.

Im Interesse einer Reduktion dergrauen Energie setzt die Baugenossen-schaft auch in Sachen Mobilität aufeine klimaverträgliche Strategie. In denMietpreisen ihres neusten Projekts amSihlbogen im Zürcher Kreis 2 ist einAbonnement für den Zürcher Verkehrs-verbund enthalten. Parkplätze stehenpraktisch keine zur Verfügung. Hin-gegen wird die Genossenschaft Mobili-ty-Fahrzeuge oder eigene Elektroautos

zur gemeinsamen Nutzung bereitstel-len. «Die zentrale Lage erleichtert denVerzicht auf ein eigenes Auto», stelltRolf Hefti fest.

Nachhaltigkeit zahlt sich aus. Im Gegen-satz zur Baugenossenschaft Zurlinden,in der sich mehrheitlich kleine undmittlere Unternehmen (KMU) aus derBaubranche zusammengeschlossen ha-ben, sind in der Familienheimgenos-senschaft Zürich (FGZ) die jeweiligenMietparteien vertreten. 2011 stimmtensie fast einhellig einem Kredit von rund16 Millionen Franken für den Bau einesNetzes zur Versorgung der 2200 Haus-halte mit Abwärme (Anergie) zu. Da-mit soll der Energiebedarf bis 2050 vonheute 35 auf 15 Gigawattstunden redu-ziert werden. Durch den weitgehendenErsatz der fossilen Brennstoffe Öl undGas durch Abwärme und Sonnenener-gie nimmt der jährliche CO2-Ausstoss

Ein Leuchtturmprojekt für die internationaleUmweltstadt Genf: Mitten im Zentrum unddirekt an der Rhone soll auf einem ehemaligenIndustriegelände bis 2014 das erste Ökoquartier«Carré Vert» mit 300 energieeffizienten Woh-nungen entstehen.Bilder: «Carré Vert»; Dreier Frenzel, Lausanne

Page 49: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

jedoch viel stärker ab. «Beim Bau desFernwärmenetzes kommt uns das kom-pakte Siedlungsgebiet entgegen», stelltder FGZ-Geschäftsführer Josef Köpflifest. Kurzfristig dürfte die Investitiondie monatlichen Mietkosten pro Woh-nung um 10 bis 15 Franken erhöhen,längerfristig werde sie sich jedoch aus-zahlen.

Insbesondere bei steigenden Energie-preisen schont der sparsame Umgangmit fossilen Brennstoffen nicht nur dasKlima, sondern bringt zusätzlich finan-zielle Einsparungen. Dies macht sichauch die Klimastiftung Schweiz zunut-ze, indem sie KMU beim Energiesparenunterstützt. Die Finanzierung folgt demPrinzip «Die Grossen helfen den Klei-nen». So stammt das Geld von 21 Dienst-leistungsunternehmen wie Banken undVersicherungen, die dafür Mittel ausder Rückverteilung der CO2-Abgabe zurVerfügung stellen. Gefördert werdenunter anderem innovative Projekte wiebeispielsweise die Kühlung von Lager-räumen mit Regenwasser statt mitKaltluft. Gelder fliessen auch in die Ent-wicklung eines Vakuum-Wäschetrock-ners, der bei gleicher Leistung nur halbso viel Energie braucht wie herkömm-liche Modelle.

Mehr Umsatz – weniger CO2. Das stärkereKlimabewusstsein zeigt sich auch imKonsumverhalten. «Die Nachfrage nachsozialethischen und nachhaltigen Pro-dukten steigt ungebremst», konstatiertJürg Peritz, Marketingleiter von Coop.So konnte der Grossverteiler etwa sei-nen Umsatz mit den vollständig CO2-neutralen Naturaline-Textilien seit denfrühen 1990er-Jahren von 3 auf rund60 Millionen Franken steigern. Bereitssind etwa 60 Prozent der Baumwolltex-tilien in Coop-Supermärkten Natura-line-Produkte. «Wir wollen zeigen, dassFashion Fairness nicht ausschliesst»,sagt Jürg Peritz.

Beim Stromverbrauch setzt Coopinzwischen voll auf die Wasserkraft.Seit 2008 sind die firmeneigenen CO2-Emissionen um 9500 Tonnen oder 7 Pro-zent gesunken. Als Mitglied der WWFClimate Group hat sich das Unterneh-men unter anderem zu konkreten Re-duktionszielen verpflichtet. Neben Coopbeteiligen sich weitere Grossfirmen wieMigros, Ikea, Swisscom oder die Post.Trotz steigender Umsätze haben die 11beteiligten Unternehmen ihre CO2-Emis-sionen zwischen 2005 und 2010 um ins-gesamt 150000 Tonnen oder 21 Prozentverringert.

Aufklärung über den Klimawandel. Szenen-wechsel: Auf dem grossen Parkplatzvor dem Hotel Wetterhorn in Grindel-wald (BE) ist die Sicht auf den OberenGrindelwaldgletscher beeindruckend.Doch eine Stimme im Ohr sagt: «In den1980er-Jahren reichte der Gletschernoch bis in die bewaldete Fläche hin-unter. Diese Landschaft wird sich inden kommenden Jahrzehnten mit demKlimawandel verändern.» Die Stimmestammt aus einem zuvor im Bergdorfgemieteten iPhone, das über die Aus-wirkungen des Klimawandels vor Ortaufklärt. Mit dem Smartphone in derHand begeben sich die interessiertenGäste auf einen von sieben Lehrpfaden.

Mit diesem Angebot machen die Ver-antwortlichen der Tourismusdestina-tion Jungfrau-Region auf die gut ersicht-lichen Folgen der Klimaerwärmung imAlpenraum aufmerksam. Zudem versu-chen sie, die Treibhausgasemissionen inder Region zu senken und damit selbereinen Beitrag zum Klimaschutz zu leis-ten. Nach dem eindrücklichen Besuchim Berner Oberland werden sich wohlauch einige Feriengäste diesem Anlie-gen anschliessen.

Andres EberhardWeiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-10

Insbesondere bei steigenden Energiepreisen schontder sparsame Umgang mit fossilen Brennstoffen nichtnur das Klima, sondern bringt zusätzlich finanzielleEinsparungen.

49Klimaschutz > umwelt 3/2012

KONTAKTAndrea BurkhardtChefin der Abteilung KlimaBAFU031 322 64 [email protected]

Page 50: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Abfallwirtschaft50

Bald ein Einwurfloch mehr?KUNSTSTOFFRECYCLING

Der Anteil von Kunststoffen am Haushaltkehricht steigt kontinuierlich an. Wie die neustenBewertungen zeigen, eignen sich einzelne Kunststoffprodukte im Abfall durchausfür eine Verwertung. Knackpunkte eines erweiterten Recyclings bleiben jedoch dieFinanzierung und die Standorte der Sammelsysteme.

Das Verstauen des Wochenendeinkaufsim Kühlschrank und auf dem Küchen-regal macht es augenfällig: Der Stapelleerer Plastiktragtaschen wird nochgrösser, und Multipackungen müssenmeist von einer Kunststofffolie befreitwerden, die umgehend im Abfall lan-det. Auch immer mehr Lebensmittel,die früher in Gebinden aus Glas, Metalloder Karton verkauft wurden, sind heu-te in Verpackungen aus Polyethylen,Polystyrol, PET und weiteren Kunststof-fen abgefüllt. Bei steigender Tendenzmachen sie im Kehrichtsack inzwischenbereits 15 Gewichtsprozente aus.

Mit Ausnahme von PET-Flaschen,für die ein feinmaschiges Sammelnetzmit einer hohen Verwertungsquote von80 Prozent besteht, landen die meistenVerpackungsabfälle aus Plastik im Keh-richt. Doch weshalb werden nicht auchandere Kunststofffraktionen aus denHaushalten separat erfasst und rezyk-liert? «Eine Sammlung und Verwertungvon vermischten Plastikrückständenwäre für die Herstellung von neuen Pro-dukten unbrauchbar», erklärt MichelMonteil, Chef der Sektion Abfallverwer-tung und -behandlung beim BAFU. «Be-vor man solche Abfälle einschmelzenkann, müssen sie sorgfältig sortiert, zer-

kleinert und gewaschen werden. DieseAufbereitung verursacht vor allem beistark verschmutzten Kunststoffen einenbeträchtlichen Aufwand.»

Kein zwingender Handlungsbedarf. Zudemverteuert das beträchtliche Volumenvieler Verpackungen die Rücknahmeund den Transport. Es sind denn auchprimär die vergleichsweise hohenKosten, welche bisher weitere Sepa-ratsammlungen von Plastikgebindenverhindert haben. Dazu kommt, dasshierzulande aus ökologischer Sichtkein dringender Handlungsbedarf be-steht, weil bei uns die meisten Kunst-stoffrückstände in den Siedlungsabfallgelangen – und damit in Kehrichtver-brennungsanlagen (KVA) energetischgenutzt werden. Anders verhält es sichin Ländern wie Grossbritannien oderItalien, wo nach wie vor grosse Mengenan Siedlungsabfällen auf Deponien lan-den. Dadurch werden die Plastikrück-stände zum Teil weiträumig verweht,was die Landschaft verunstaltet und dieGewässer belastet.

Ökoeffizientes Recycling. Eine neue Stu-die zeigt nun aber, dass die stofflicheVerwertung bestimmter Plastikabfälle

auch bei uns durchaus ökoeffizient seinkann. «Dies gilt zum Beispiel für dasRecycling von Hohlkörpern und grossenFolien», stellt Michel Monteil fest. «Eskönnte die Umwelt entlasten und wäreauch volkswirtschaftlich sinnvoll, weildadurch wertvolle Rohstoffe wie insbe-sondere Erdöl eingespart würden.»

Seit dem Frühjahr 2010 treffen sichFachleute von Bund, Kantonen, Ge-meinden, des Detailhandels und derBranche regelmässig am «Runden TischKunststoffrecycling». Dieses Gremiumerarbeitet Entscheidungsgrundlagenund dient der gemeinsamen Lösungssu-che zur Ausschöpfung der Verwertungs-potenziale. In seinem Auftrag soll eineStudie unter anderem klären, welchezusätzlichen Kunststofffraktionen sichfür eine separate Verwertung eignen.Danach muss sich zeigen, ob einzelnePartner – wie etwa Gemeinden, der De-tailhandel oder private Organisationen– bereit sind, solche Abfälle zurück-zunehmen. Die Frage der Finanzierungdürfte dabei eine Schlüsselrolle spielen.Die Interessengemeinschaft Detailhan-del Schweiz (IG DHS) hat die Mach-barkeit einer kombinierten Hohlkör-persammlung für Kunststoffflaschen,PE-Milchflaschen und Getränkekartons

Page 51: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

51Abfallwirtschaft > umwelt 3/2012

PRODUKTIONGranulate, Halb- und

Fertigfabrikate

VERBRAUCHin der Schweiz pro Jahr

1 000 000 t

ABFALLschweizweit (aus

Verbrauch, Zwischenlagerund Produktion)

780 000 t

ZWISCHENLAGERje nach Verweildauer

PRODUKTIONS-ABFäLLE

SORTIERUNGAUFBEREITUNG

145 000 t

STOFFLICHES RECYCLING80 000 t Rezyklat

ENERGETISCHEVERWERTUNG

50 000 t

KEHRICHTVERBRENNUNG650 000 t

635 000 t

10 000 t

5000 t5000 t

90 000 t

110 000 t

80 000 t

570 000 t

320 000 t

430 000 t

30 000 t

VERPACKUNG 37 %

BAU 25 %

SONSTIGES 24 %

FAHRZEUGE9 %

ELEKTRO-GERäTE 5 %

Das Zwischenlager an Kunststoffen in Form von langlebigen Gütern wie Bauteilen oder Fahrzeugennimmt jährlich um rund 255 000 Tonnen zu. Derzeit werden etwa 70 Prozent des Jahresverbrauchsan Plastik energetisch genutzt. Produktströme = blaue Pfeile; Abfallflüsse = grüne Pfeile; industrielleProzesse im In- und Ausland = gelb.

45 000 t

Kunststoffflüsse in der Schweiz für das Jahr 2010

Grafik: Redilo GmbH / BAFU / Ruth Schürmann

Page 52: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Abfallwirtschaft52

in ihren Verkaufsstellen 2011 bereitsauf eigene Initiative geprüft. Aufgrundder besonders in kleinen Filialen knap-pen Platzverhältnisse und der erforder-lichen Investitionen in die Rücknah-melogistik hat sie jedoch entschieden,keine f lächendeckende Sammlunganzubieten. Dies schliesst jedoch nichtaus, dass einzelne grössere Verkaufs-stellen oder Detailhändler trotzdemeine Rücknahme der Kunststoffflaschenanbieten, wie dies etwa in der RegionLuzern bereits der Fall ist.

«Gemeinden, die versuchsweise solcheSammlungen einführen wollen, ratenwir, die erwünschten Abfälle genau zudefinieren», sagt Michel Monteil. «Da-durch können sie vermeiden, dass starkverschmutzte Folien, Joghurtbecheroder Verbundpackungen in den Contai-nern landen, die aufgrund der Verun-reinigungen schliesslich doch in KVAsverbrannt werden müssen.» Gestütztauf die geltenden gesetzlichen Grund-lagen liegt es schon heute in der Kom-petenz der Kantone zu entscheiden, obdie Gemeinden auf ihrem Gebiet Sepa-ratsammlungen von Kunststoffabfällenanbieten dürfen oder gar sollen.

Weniger Probleme bereiten die rela-tiv einheitlichen Plastikfraktionen ausIndustrie- und Gewerbebetrieben. Soeignen sich etwa Polyethylenfolien ausder Distribution sowie Abschnitte oderdickwandige Kanister sehr gut für das

Recycling und erzielen teilweise hoheErlöse.

Thermische Verwertung. Wird eine ther-mische Verwertung angestrebt, beste-hen grundsätzlich zwei Möglichkeiten.Entweder belässt man die Kunststoffein den Siedlungsabfällen, womit sie inKehrichtverbrennungsanlagen zu Stromund Wärme umgewandelt werden, odersie dienen als alternativer Brennstoff inZementwerken. Die Schweizer Zement-industrie setzt bereits heute beträcht-

liche Mengen an Kunststoffen ein, diemeistens aus Produktionsrückständenvon Industrie- und Gewerbebetriebenbestehen. Ein nachträgliches Aussor-tieren der Plastikbestandteile aus dengemischten Siedlungsabfällen ist nachdem geltenden Umweltrecht nicht zu-lässig.

Möglichkeiten der Finanzierung. Zur ver-ursachergerechten Finanzierung derVerwertungskosten kommt einerseitsein vorgezogener Recyclingbeitrag(VRB) auf privatwirtschaftlicher Basis inFrage, wie er im Inland bereits für diestoffliche Verwertung von PET-Geträn-keflaschen und Aluminiumdosen exis-tiert. «Ein solches System müsste selbstbei einem stark schwankenden Erdöl-preis stabil bleiben, denn die langfristi-ge Entsorgungssicherheit hat auch beimRecycling oberste Priorität», sagt Michel

Monteil. Kann sich die betroffene Bran-che nicht auf eine solche Lösung eini-gen, wäre andererseits auch eine vomBund vorgeschriebene vorgezogeneEntsorgungsgebühr (VEG) möglich, wiesie hierzulande für Glasflaschen undBatterien gilt. Gegenwärtig evaluiertder Runde Tisch Kunststoffrecycling dieMachbarkeit einzelner Sammel- und Re-cyclingsysteme. Sofern sich die Betrof-fenen nicht auf eine freiwillige Lösungeinigen können, müsste vor einer allfäl-ligen Umsetzung zuerst ein Konsens aufpolitischer Ebene gefunden werden.

Stoffflüsse unter der Lupe. Als wichtigeEntscheidungsgrundlage hat das Fach-gremium zuerst eine genaue Erhebungder aktuellen Mengenströme und Ver-wertungskanäle erarbeitet. Demnachsind in der Schweiz 2010 insgesamtrund 1 Million Tonnen oder 125 Kilo-gramm Kunststoff pro Kopf in denWirtschaftskreislauf gelangt. Davonentfallen unter anderem 26 Prozent aufPolyethylen, 16 Prozent auf Polypro-pylen und 15 Prozent auf PVC – vorallem Bauteile. 37 Prozent des Kunst-stoffverbrauchs gehen auf das Kontovon Verpackungen, und ein Viertel be-ansprucht die Baubranche. Ebenfallsbedeutend sind die Kunststoffabfälleaus der Landwirtschaft, welche immermehr Wickelfolien einsetzt.

Überraschend ist die Tatsache, dassnur 430 000 Tonnen oder umgerech-net 43 Prozent des jeweiligen Jahres-verbrauchs an Kunststoffen direkt imAbfall landen. Mehr als die Hälfte ver-bleibt in Zwischenlagern, zum Beispielin Form von Kunststoff-Fensterrahmenoder Sportartikeln, die teils erst nachJahrzehnten entsorgt werden und dann

«Eine Sammlung und Verwertung von vermischtenPlastikrückständen wäre für die Herstellung vonneuen Produkten unbrauchbar.» Michel Monteil, BAFU

Page 53: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

53Abfallwirtschaft > umwelt 3/2012

wieder in den Abfallstrom fliessen. Da-mit werden pro Jahr insgesamt rund650000 Tonnen in KVAs thermisch ver-wertet. 2010 gelangten von den insge-samt 780000 Tonnen an ausgedientenKunststoffrückständen 145000 Tonnenin die Sortierung und Aufbereitung.Davon sind 35000 Tonnen in SchweizerZementwerken als Alternativbrennstoffeingesetzt und weitere 10000 Tonnenin Wirbelschichtöfen für die Energie-gewinnung genutzt worden. Auf diestoffliche Verwertung entfallen 90000Tonnen, also 9 Prozent der in Verkehrgebrachten Menge. Die zu 80000 Ton-nen Rezyklat verarbeiteten Chargenstammen überwiegend aus Industrieund Gewerbe, wo Produktionsabfällezum Teil in reiner Form anfallen.

Brachliegendes Verwertungspotenzial. «Ei-nige unserer Nachbarstaaten wie etwaDeutschland haben Verwertungsquo-ten von bis zu 40 Prozent, währenddie Schweiz bei weniger als 10 Prozentliegt», gibt Martin Model, Geschäftsfüh-rer der Innoplastics AG in Eschlikon(TG) zu bedenken. Das Potenzial seigross, und zwar in Industrie- und Ge-werbebetrieben, in Landwirtschaft undGartenbau, aber auch bei Spülmittel-und Kosmetikaflaschen aus den Haus-halten. «Solche Abfälle gehören gene-rell nicht in die Kehrichtverbrennung.»

Das brachliegende Potenzial fürein stoffliches Recycling ist in der Tatbeträchtlich. Auch die Betreiber derZementwerke melden ihr Interesse an.«Schon heute decken Alternativbrenn-stoffe die Hälfte unseres Energiebedarfsab, doch wir könnten noch wesentlichmehr Kunststoffe nutzen», erklärt Hei-ner Widmer, der beim Branchenver-

band cemsuisse die Bereiche Technikund Umwelt betreut. Bereits seit Mitteder 1980er-Jahre setzt die SchweizerZementindustrie verschiedene Alterna-tivbrennstoffe wie Altöl, Lösungsmittel,

Klärschlamm, Altreifen und Tiermehlein – und vermindert dadurch ihrenBedarf an Kohle. «Diese Strategie ermög-licht es unserer Branche, CO2-Emissio-nen zu reduzieren, inländische Ener-gieressourcen zu nutzen und damit dieAuslandabhängigkeit zu vermindern»,sagt Heiner Widmer. Doch die Beschaf-fung solcher Brennstoffe ist zunehmendschwieriger. Entweder nutzt die produ-zierende Industrie kalorienreiche Ab-fälle wie Lösungsmittel vermehrt selbstthermisch, oder es treten Firmen aufden Plan, die das Material stofflich ver-werten wollen, wie dies bei den Kunst-stoffen der Fall ist.

Massnahmenbündel für mehr Ökologie. Un-abhängig vom möglichen Ausbau derKunststoffverwertung empfiehlt dasBAFU ein Bündel von Massnahmen,um die ökologischen Auswirkungendes Plastikkonsums möglichst tief zuhalten. An erster Stelle sind die Ver-packungsproduzenten gefordert. Siehaben es in der Hand, dünnere Folienund leichtere Behälter zu konstruierenoder Nachfüllbeutel anzubieten und da-mit den Verbrauch zu minimieren. DieKundschaft wiederum ist gehalten, auf

unnötige Verpackungen zu verzichtenund Nachfüllsysteme, wie sie etwa fürWaschmittel und das breite Sortimentan Cerealien bestehen, auch zu nut-zen. An die Verwerter appelliert das

BAFU, die Effizienz der vorhandenenVerbrennungs- und Recyclinglösungenzu optimieren. «So könnten noch etli-che KVA-Betreiber den Wirkungsgradihrer Anlagen und die Wärmenutzungverbessern», sagt Michel Monteil. «Einehöhere Ausbeute an Wärme und Stromträgt nämlich unter anderem dazu bei,primäre fossile Energieträger zu scho-nen.»

Pieter PoldervaartWeiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-11

KONTAKTMichel MonteilSektionschef Abfallverwertungund -behandlungBAFU031 325 91 [email protected]

2010 sind in der Schweiz insgesamt rund 1 MillionTonnen oder 125 Kilogramm Kunststoff pro Kopf in denWirtschaftskreislauf gelangt.

Page 54: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Störfallvorsorge54

Vorbeugen heisst mit dem denkbar Schlimmsten rechnen und dafür sorgen, dass es nach Möglichkeitnicht eintritt. Nach der Ermittlung der Personenrisiken beim Transport gefährlicher Güter mit der Bahnwerden nun die methodischen Grundlagen zur Beurteilung der Umweltrisiken erarbeitet.

Risikoanalysen als guter Zuggegen Störfälle

UMWELTRISIKEN BEIM BAHNTRANSPORT

In unmittelbarer Umgebung der grünglitzernden Aare durchströmt ein nichtweniger eindrücklicher Wasserlauf dasFlusstal zwischen Thun und Bern. ImUntergrund fliesst ein mächtiger Grund-wasserstrom durch die einst von derAare abgelagerten Kies- und Schotter-schichten. Für die Bevölkerung der Re-gion ist diese unsichtbare Ressource eineeigentliche Lebensader. Aus insgesamtvier Trinkwasserbrunnen in der Nähe

von Kiesen schöpft der WasserverbundRegion Bern 55000 Liter pro Minute. Da-mit lässt sich der Bedarf der Stadt Bernund von acht weiteren Gemeinden de-cken. Sowohl die Konstanz der Schüt-tung als auch die Qualität des geförder-ten Grundwassers sind bemerkenswert.Der Sand und das feine Geröll im Unter-grund wirken dabei als effizienter Fil-ter. «Dadurch können wir hier bestesTrinkwasser gewinnen, das keine weite-

re Aufbereitung mehr benötigt», erklärtBernhard Gyger, Geschäftsführer desWasserverbunds Region Bern AG.

Potenziell gefährdete Ressource. Wie inpraktisch allen grösseren Flusstälern derSchweiz bestehen freilich auch hier ver-schiedene Nutzungsansprüche an denbegrenzten Raum, die zu Konflikten füh-ren. So verläuft in unmittelbarer Näheder Grundwasserschutzzone die auch

Technische Massnahmen wie verstärkte Tankumhüllungen bei Kesselwagen für den Bahn-transport besonders gefährlicher Güter – zum Beispiel von Chlorgas – haben entscheidendzur netzweiten Reduktion der Personenrisiken beigetragen. Nun werden auch die Umwelt-risiken vertieft analysiert. Bilder: SBB

Page 55: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

55Störfallvorsorge > umwelt 3/2012

von Lastwagen genutzte NationalstrasseA6. Und im Fall der viel befahrenen Ei-senbahnstrecke zwischen Thun undBern wird die Schutzzone sogar vomTrassee gequert. Dies ist insofern mit Ri-siken verbunden, als Güterzüge undLastwagen grössere Mengen an wasserge-fährdenden Stoffen transportieren. Beieinem gravierenden Störfall in Kiesenkönnten deshalb Flüssigkeiten wie Ben-zin und Heizöl oder Chemikalien in dieUmwelt gelangen und dadurch auch diewichtige Grundwasserressource akut ge-fährden.

«Als effizientes Transportsystemweist die Bahn gegenüber der Strasseeinige Umwelt- und Sicherheitsvorteileauf», stellt Daniel Bonomi von der Sek-tion Störfall- und Erdbebenvorsorgebeim BAFU fest. «Kommt es beim Trans-port von gefährlichen Gütern jedoch zueinem Unfall, können die deutlich grös-seren Ladekapazitäten das Schadenaus-mass verschlimmern.» Zwar wäre esmöglich, den Trinkwasserbedarf derBundeshauptstadt auch bei einer unfall-bedingten Stilllegung der Wasserfassun-gen in Kiesen vorübergehend zu decken.«Kurzfristig könnten wir genügend Was-ser aus dem Emmental und aus derBelpau beziehen», erläutert BernhardGyger. Allerdings wären in einem sol-chen Fall Qualitätseinbussen in Kauf zunehmen, und ausserdem fielen Zusatz-kosten an. Während das Wasser ausKiesen dank dem natürlichen Grundwas-sergefälle mit Fallhebern ohne zusätz-lichen Energieaufwand nach Bern beför-dert wird, sind bei der WasserfassungBelpau Pumpen erforderlich. Doch nichtin erster Linie dieser Mehraufwand be-reitet Bernhard Gyger Sorgen. «Käme esin Kiesen zu einer Kontamination, müss-ten wir alle verfügbaren Wasserreservenausschöpfen. Dies wäre eine sehrschwierige Situation.»

Berücksichtigung der Risiken im Umwelt-recht. Seit 1991 ist der Umgang mit Risi-

ken durch den Einsatz und Transportvon gesundheits- und umweltgefährden-den Stoffen in der Störfallverordnung(StFV) geregelt. Die Anlagenbetreibersind im Sinne der Vorsorge verpflichtet,alle geeigneten Massnahmen zur Risiko-reduktion zu treffen. Zur Beurteilungder Risiken kann die Behörde für Betrie-be oder Verkehrswege bei Bedarf Risiko-ermittlungen verlangen. Ihr Zweck be-steht darin, die möglichen Schädigungenund deren Eintretenswahrscheinlichkeitabzuschätzen.

1998 haben Fachleute eine erste Pilot-risikoanalyse für die Personenrisiken derBahntransporte gefährlicher Güterdurchgeführt. Im Zentrum standen me-thodische Fragen: «Was könnte alles ge-schehen, wie passiert es, und wer kannauf welche Art davon betroffen sein?»,erläutert Daniel Bonomi. «Dabei ging esdarum, dass sich alle Beteiligten auf dieAnnahmen und Schätzungen als Grund-lagen der Analyse einigen, damit die Er-gebnisse breit anerkannt sind.» Ziel derPilotstudie war die Entwicklung einertragfähigen Methode, um die Bahnrisi-ken darstellen und anhand von Kriterienbeurteilen zu können. Auf dieser Basissind seitdem vier netzweite, vereinfach-te Abschätzungen der Personenrisikenaus dem Gefahrguttransport mit derBahn vorgenommen worden. Dabei istes gelungen, die Datengrundlagen undBerechnungsmethoden laufend zu ver-bessern.

Netzweite Reduktion der Personenrisi-ken. Die erste Abschätzung ermittelte135 Schienenkilometer mit untragbarhohen Risiken. Das Ergebnis rüttelte auf

und bewog die Bahnunternehmen, dieverantwortlichen Bundesstellen sowiedie Industrie, ein Massnahmenkonzeptzu entwickeln und die Berechnungenzu überprüfen. Unter Berücksichtigungpräziserer Daten ging die 2002 durch-geführte Analyse noch für 34 Schie-nenkilometer von nicht akzeptablenRisiken aus. Sie betrafen hauptsächlichStreckenabschnitte in dicht besiedel-tem Gebiet, wo ein Unfall entsprechendviele Menschenleben hätte gefährdenkönnen.

Dank verschiedener Massnahmenzur Risikoreduktion konnten die Behör-den jedoch bereits 2006 Entwarnunggeben. «Von Bedeutung sind in diesemZusammenhang vor allem die neu ins-tallierten Ortungsanlagen für blockierteWagenbremsen und heiss gelaufene Rä-der», erklärt der Störfallexperte MarkusAmmann von der Sektion Umwelt beimBundesamt für Verkehr (BAV). Ein weite-res Potenzial besteht – insbesondere beibesonders gefährlichen Ladungen wieChlorgas – im Bereich der Detektorenfür entgleiste Wagenachsen. Ziel solchertechnischen Nachrüstungen ist es, be-troffene Züge anzuhalten, bevor sichgravierende Unglücksfälle ereignen.

Konkreten Anschauungsunterrichtliefern frühere Störfälle in der Schweizwie etwa die Entgleisung eines mit350000 Litern Kerosin beladenen Güter-zugs bei Au im St.Galler Rheintal von1988. Bei diesem Transportunfall gingein Teil des Flugbenzins in Flammenauf, während fast 260000 Liter Kerosinim Boden versickerten und das Grund-wasser verschmutzten, was jahrelangeSanierungsarbeiten erforderte. 1994

«Als effizientes Transportsystem weist die Bahngegenüber der Strasse einige Umwelt- und Sicherheits-vorteile auf.» Daniel Bonomi, BAFU

Page 56: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/2012 > Störfallvorsorge56

sprangen Güterwagen eines Benzinzugsbei Zürich-Affoltern aus den Schienenund wurden noch kilometerweit mitge-zogen, bevor sie mit einem Fahrleitungs-mast kollidierten, kippten und ebenfallsin Brand gerieten.

Neben den netzweit wirksamenMassnahmen – wie verstärkten Tank-umhüllungen von Kesselwagen – wer-den lokal aber auch organisatorischeVorkehrungen zur Risikoreduktion ge-troffen. So dürfen beispielsweise in derRangieranlage La Praille (GE) währendeines Spiels in der nahe gelegenen Fuss-ballarena Stade de Genève keine Güter-wagen mit gefährlicher Ladung manöv-riert werden.

Solide methodische Grundlage. Die letzteAbschätzung von 2011 widerspiegeltdenn auch die positiven Auswirkungender in den vergangenen Jahren getroffe-nen Sicherheitsmassnahmen. So bestä-tigt die jüngste Analyse, dass auf demSchweizer Bahnnetz keine nicht akzep-tablen Risiken mehr bestehen. Auch dieLänge der Strecken im Übergangsbereichmit knapp vertretbaren Risiken hat seit2006 markant von 579 auf 68 Kilometerabgenommen, was noch rund 2 Prozentdes Streckennetzes entspricht. Wesent-liche Gründe dafür sind die gesenktenEntgleisungsraten und die geringere Ein-tretenswahrscheinlichkeit einer Freiset-zung von gefährlichen Stoffen.

Zudem hat die SBB inzwischen Zu-griff auf einen vergrösserten Bestandan Anlagen- und Betriebsdaten. Dies er-möglicht es, die effektiv vorhandenen

Weichen genauer in die Berechnungeneinzubeziehen und auch die Belegungs-zahlen der Züge zu präzisieren. «Damitlassen sich die Ergebnisse immer stärkerder Realität angleichen, sodass wir zu-nehmend von vorsorglich pessimisti-schen Annahmen abweichen können»,erläutert Daniel Bonomi vom BAFU.

Die vorliegenden soliden methodi-schen Grundlagen für die Abschätzungder Personenrisiken erleichtern nunauch die netzweite Ermittlung der po-tenziellen Umweltrisiken. Die Annah-men über Streckenführung, Transport-mengen, Anzahl der Weichen proStrecke wie auch die Schätzungen derausgelaufenen Stoffmengen bleiben sichnämlich gleich.

Schwer berechenbare Umwelt. Im Unter-schied zu den Personenrisiken, welchesich nach der Opferzahl bemessen, wirftdie Beurteilung der Umweltrisiken aller-dings grössere methodische Problemeauf. «Die unterschiedlichen Verschmut-zungen der Umwelt sind tatsächlichschwer zu quantifizieren», stellt DanielBonomi fest. Zudem lassen sich die Pro-zesse bei störfallbedingten Umweltbelas-tungen schlecht verallgemeinern. «Somüsste man für jeden denkbaren Unfall-standort wissen, wohin etwa auslaufen-des Benzin fliesst. Aber schon eine klei-ne Mauer oder ein Entwässerungsgrabenkönnen die Situation total verändern.»

Die schlechte Fassbarkeit des Unter-suchungsgegenstandes legt ein pragma-tisches Vorgehen nahe. Von vitaler Be-deutung sind dabei in erster Liniegrössere Grundwasserfassungen. An-

hand des Pilotstandortes Kiesen unter-sucht das BAFU – in Zusammenarbeitmit dem BAV und der SBB – deshalb diewesentlichen Parameter zur Abschät-zung der Umweltrisiken bei einemEisenbahnunfall mit Gefahrengüternsowie den Aufwand für präventive Si-cherheitsmassnahmen.

Bernhard Gyger beziffert die Kostenfür einen Tagesausfall der Grundwasser-fassungen in Kiesen auf 50000 Franken.Nach dem Kerosinunfall bei Au imSt.Galler Rheintal dauerte es damals al-lerdings zwei Jahre, bis allein das konta-minierte Erdreich vom versickerten Flug-benzin gereinigt war. Im Rahmen desProjekts «Aarewasser» hat der KantonBern die Folgekosten für einen vollstän-digen Ersatz der Trinkwassernutzung inKiesen abgeschätzt und kam dabei auf100 Millionen Franken. Angesichts sol-cher Zahlen lohnt es sich also, die Um-weltrisiken beim Transport gefährlicherGüter und mögliche vorsorgliche Mass-nahmen fundiert abzuklären.

Lucienne Rey

Weiterführende Links unterwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-12

KONTAKTDaniel BonomiSektion Störfall- und ErdbebenvorsorgeBAFU031 322 93 [email protected]

Im Unterschied zu den Personenrisiken, welche sichnach der Opferzahl bemessen, wirft die Beurteilungder Umweltrisiken grössere methodische Problemeauf.

Page 57: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

57umwelt 3/2012

Bildung

Auf der Plattform www.umweltbildung.ch stehen vielfältige Un-

terrichtsmaterialien zur Verfügung, die den Lehrplänen und Zie-

len der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) entsprechen.

Neben den evaluierten Unterrichtsmedien unterstützen neu The-

mendossiers die Lehrpersonen bei der Unterrichtsgestaltung zur

Umweltbildung. Das erste fertiggestellte Dossier behandelt den

Wald. Weitere Dossiers zu den Themen Energie und Klima sind

in Vorbereitung. Zudem finden sich auf der Plattform gute Bei-

spiele von Projekten, die von Lehrpersonen realisiert wurden, mit

genauen Angaben zu Lernzielen, Umsetzung, Kosten usw. Sie

sollen zur Nachahmung anregen. So profitieren weitere Lehrper-

sonen von bereits gemachten Erfahrungen.

> Stiftung Umweltbildung Schweiz, Bern, 031 370 17 70, info@

sub-fee.ch, www.umweltbildung.ch > Themendossiers bzw. > Gute

Schulprojekte

Kreative SeilspielgeräteMit nur wenigen Seilen und den entspre­chenden Knoten lassen sich im Waldinnert Kürze unbegrenzte Spielmög­lichkeiten selber realisieren. Die Sozial­pädagogin Alexandra Schwarzer bietetdazu Kurse in der Deutschschweiz undin der Romandie an und hat ein Buch mitAnleitungen herausgegeben (schaukel-fee & klettermax).> 055 266 14 55,www.naturundbewegung.de

Klimawerkstatt für LernendeDie Klimawerkstatt will Jugendliche fürden Themenkomplex «Energie – Klima– Beruf» sensibilisieren. Der von my­climate lancierte Wettbewerb ist für alleLernenden vom 1. bis zum 4. Lehrjahroffen. Sie können mit ihren selbst entwi­ckelten Projekten rund ums Energiespa­ren teilnehmen und dadurch einen wich­tigen Einblick in die spätere Berufspraxiserhalten.> www.klimawerkstatt.ch

Wegweiser im BildungsbereichDer Bildungsführer Umwelt und Nach-haltige Entwicklung ist auf Leute zuge­schnitten, die sich professionell in diesenbeiden Bereichen engagieren möch­ten. Die Neuauflage 2012 enthält rund200 aktuelle Bildungs­ und Weiterbil­dungsangebote und lässt sich zum Preisvon CHF 35.– (zzgl. Versand und MwSt.)direkt über die Website bestellen.> www.sanu.ch > Dienstleistungen >Bildungsführer

Die grosse WaldarenaDer Naturpark Gantrisch bietet unterdem Namen Waldarena verschiedeneExkursionen für Schulklassen, Firmenund Vereine an. Die Themen reichenvon «Nacht der Vögel» über «WildwasserGürbe» bis zu «Klettern mit Köpfchen».Auch Vorschläge für ganze Projektwo­chen sind online verfügbar.> Naturpark Gantrisch / Waldarena,031 808 00 20, [email protected],www.waldarena.ch

NOTIZBLOCK

Das Naturama Aargau stellt ein Online-Biofotoquiz zur Verfügung. Nach dem Grundsatz, dass Artenkennt-

nis den Grundstein zur Erhaltung der biologischen Vielfalt legt, soll das Wissen mit der Methode «üben im

Internet – erkennen im Feld» ausgebaut werden. Im Biofotoquiz finden sich 16 000 Bilder von über 1600

Arten. Sie sind in die Gruppen Pflanzen, Heuschrecken, Amphibien, Reptilien und Vögel unterteilt. Dazu

gibt es Übungen in vier verschiedenen Quizformen. Lehrpersonen oder Kursleitende haben die Möglich-

keit, auf der Plattform aus bestehenden Serien auszuwählen oder individuelle Lernserien zu erstellen und

mit den dazugehörenden Arbeitsblättern und Quizfragen zu ergänzen.

> Naturama Aargau, Aarau, 062 832 72 00, [email protected], www.biofotoquiz.ch

Grosser Fundus an Schulmaterialien

Wer findet die Ringelnatter?

Am 10. November 2012 findet in Luzern die 3. Tagung über

«Ausserschulische Lernorte» statt. Das Programm setzt sich

aus zwei Plenarvorträgen sowie individuell wählbaren Ateliers

und Kurzvorträgen zusammen. Praxisbeispiele zeigen, wie sich

der Unterricht ausserhalb der Schulgebäude am effektivsten

umsetzen lässt. Das Angebot richtet sich an Lehrpersonen aller

Stufen, an Dozierende von Hochschulen und Universitäten sowie

an weitere Interessierte und kostet CHF 80.– (Lehrpersonen)

bzw. CHF 120.– (Übrige). Die Anmeldung ist direkt auf der Web-

site möglich.

> Pädagogische Hochschule Zentralschweiz, Luzern, 041 228 45 15,

[email protected], www.lernwelten.luzern.phz.ch >

Ausserschulische Lernorte > Tagungen

Lernen ausserhalb der Schulgebäude

zVg

zVg

Page 58: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/201258

Hoher Schutz für MoorlandschaftenDie Zürichsee-Insel Ufenau ist Teil der Moorlandschaft«Frauenwinkel». In diesem Gebiet von besondererSchönheit und nationaler Bedeutung hatte das KlosterEinsiedeln (SZ) insgesamt vier Baugesuche für Ände-rungsvorhaben eingereicht. Kernstück des Konzepts warder Neubau eines blattförmigen Sommerrestaurantsdurch den Stararchitekten Peter Zumthor. Das Verwal-tungsgericht des Kantons Schwyz wies eine Einsprachevon Aqua Viva dagegen ab, worauf die Naturschutz-Ver-einigung Beschwerde beim Bundesgericht einreichte.

Dieses hat die Baubewilligung für das Sommerrestau-rant inzwischen aufgehoben, weil Artikel 78 der Bun-desverfassung Moorlandschaften grundsätzlich unterSchutz stellt. Das verfassungsrechtliche Veränderungs-verbot wird im Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG)konkretisiert. Demnach seien Eingriffe in Moorland-schaften zwar nicht absolut ausgeschlossen, argumen-tiert das Bundesgericht. Ein Neubau, der nicht mit einerschutzzielkonformen Nutzung in Zusammenhang stehe,sprenge diesen Rahmen aber bei Weitem.Christoph Fisch, Abteilung Recht, BAFU, 031 324 78 35,[email protected], Bundesgericht: Urteil BGE 138 II 23

Verursacher zahlen für LitteringSeit dem 1. Mai 2007 gilt in der Stadt Bern ein neuesAbfallreglement. Demnach wird die öffentliche Entsor-gung von Litteringabfall sowie von Kehricht in den städ-tischen Mülleimern durch Grundgebühren finanziert,die alle Liegenschaftsbesitzer entrichten müssen. Dage-gen setzten sich verschiedene Berner Verkaufsgeschäfteerfolgreich vor dem kantonalen Verwaltungsgericht zurWehr.

Das Bundesgericht wies die nachfolgende Beschwerdeder Stadt Bern zwar ab, doch widersprach es dem BernerVerwaltungsgericht in wesentlichen Punkten. So kamendie Lausanner Richter zum Schluss, dass Litteringkostenüber verursachergerechte Gebühren – im Sinne vonArtikel 32a des Umweltschutzgesetzes – zu finanzierensind. Als Abfallverursacher gelten gemäss dem Bundes-gericht nicht nur Personen, die Abfälle direkt im öffent-lichen Raum liegen lassen, sondern zum Beispiel auchTake-away-Betriebe. Sie verkaufen nämlich Produkte miteinem zumeist hohen Abfallanteil, welcher in der Regelim öffentlichen Raum entsorgt wird. Somit können Ge-meinden Littering verursachende Betriebe künftig finan-ziell belangen.Berenice Iten, Abteilung Recht, BAFU, 031 322 93 53,[email protected], Bundesgericht: Urteil 2C_239/2011

Recht

Publikationen

Page 59: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

59umwelt 3/2012

AbfallVerkehr mit Sonderabfällen und anderen kontrollpflichtigen Abfäl-len in der Schweiz. Vollzugshilfe. D, F; keine gedruckte Ausgabe;Download: www.bafu.admin.ch/uv-1215-d

BiodiversitätRote Liste Weichtiere (Schnecken und Muscheln). Gefährde-te Arten der Schweiz, Stand 2010. Hrsg. BAFU und Schweizer Zen-trum für die Kartografie der Fauna (SZKF/CSCF); 148 S.; D, F; kostenlos;Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.admin.ch, Art.-Nr.810.100.095d; Download: www.bafu.admin.ch/uv-1216-d

Kurzporträt Strategie Biodiversität Schweiz. Gemeinsam die Viel-falt des Lebens erhalten und nachhaltig nutzen. Faltblatt; D, F, I;kostenlos; Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.admin.ch, Art.-Nr. 810.400.067d; Download: www.bafu.admin.ch/ud-1056-d

ElektrosmogElektromagnetische Hypersensibilität. Bewertung von wissen-schaftlichen Studien. Stand Ende 2011. 103 S.; D (F nur als Zusam-menfassung); keine gedruckte Ausgabe;Download: www.bafu.admin.ch/uw-1218-d

HydrologieAuswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Ge-wässer. Synthesebericht zum Projekt «Klimaänderung und Hydro-logie in der Schweiz» (CCHydro). 76 S.; D, F in Vorbereitung; CHF 7.50;Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.admin.ch, Art.-Nr.810.300.127d; Download: www.bafu.admin.ch/uw-1217-d

LuftWeniger Russ aus Dieselmotoren. Erfolge der Schweiz bei derEmissionsreduktion. 28 S.; D, F, I, E; kostenlos; Bestellung der gedruck-ten Ausgabe: www.bundespublikationen.admin.ch, Art.-Nr. 810.400.068d;Download: www.bafu.admin.ch/ud-1057-d

Wald und HolzForstwirtschaftliches Testbetriebsnetz der Schweiz. Ergebnisseder Jahre 2008 – 2010. Hrsg. BAFU und Bundesamt für Statistik (BFS);32 S.; D, F; kostenlos;Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bfs.admin.ch;Download: www.bafu.admin.ch/ud-1059-d

Edelkastaniengallwespe (Dryocosmus kuriphilus). Besonders ge-fährlicher Schädling – helfen Sie mit! 4 S.; D, F, I; kostenlos; Bestel-lung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.admin.ch, Art.-Nr.810.400.073d; Download: www.bafu.admin.ch/ud-1061-d

WasserGrundwasserschutzzonen bei Lockergesteinen. Ein Modul derVollzugshilfe Grundwasserschutz. 58 S.; D, F; kostenlos; Bestel-lung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.admin.ch, Art.-Nr.810.100.094d; Download: www.bafu.admin.ch/uv-1207-d

Mikroverunreinigungen aus kommunalem Abwasser. Verfahrenzur weitergehenden Elimination auf Kläranlagen. 210 S.; D, F, (I undE nur als Zusammenfassung); keine gedruckte Ausgabe;Download: www.bafu.admin.ch/uw-1214-d

Merkblatt-Sammlung Wasserbau und Ökologie. Erkenntnisseaus dem Projekt Integrales Flussgebietsmanagement. 58 S.; D, F;CHF 12.–; Bestellung der gedruckten Ausgabe: www.bundespublikationen.admin.ch, Art.-Nr. 810.300.126d; Download: www.bafu.admin.ch/uw-1211-d

Umwelt allgemeinUmweltstatistik Schweiz in der Tasche 2012. Publikumsbroschüre.Hrsg. Bundesamt für Statistik (BFS); 36 S.; D, F, I, E; kostenlos; Bezug: BFS,2010 Neuchâtel, Tel. 032 713 60 60, Fax 032 713 60 61, [email protected],www.bfs.admin.ch; Bestellnummer D: 521-1200. Anhand von Kennzahlen, Gra-fiken und Kurztexten bietet diese kleine Broschüre einen schnellen Überblicküber Zusammenhänge und Entwicklungen im Umweltbereich.Die Broschüre liegt diesem Heft bei.

Sämtliche BAFU­Publikationen sind elektronisch verfügbar undlassen sich als PDF kostenlos herunterladen unter:www.bafu.admin.ch/publikationen

Einzelne Veröffentlichungen sind zudem in gedruckter Formerhältlich und können bestellt werden bei:BBL, Vertrieb Bundespublikationen, CH­3003 BernTel.: +41 (0)31 325 50 50, Fax +41 (0)31 325 50 58E­Mail: [email protected](bitte Artikelnummer angeben)

Eine Bestellkarte ist in diesem Magazin eingeheftet. Bei kosten­pflichtigen Publikationen wird ein Versandkostenbeitrag erhoben.Ein Newsletter oder RSS­Feed für alle Neuerscheinungen kann aufder BAFU­Website unter www.bafu.admin.ch/newsletter abonniertwerden.

Schlüssel zu den bibliografischen Angaben:Titel. Untertitel. Herausgeber (wenn nicht BAFU). Seitenzahl; erhältlicheSprachen; Preis (sofern gedruckte Ausgabe); Bezug und Artikelnummer(sofern gedruckte Ausgabe); Link für den Download.

Herunterladen oder bestellen

Page 60: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/201260

Genussvolles Strampeln

Auf der «Herzroute» lässt sich die Voralpen-

schweiz im gehobenen Fahrradtempo entde-

cken: Die Velowanderroute führt von Lausanne

via Romont, Laupen, Thun, Langnau, Burgdorf,

Willisau nach Zug. An den Etappenorten beste-

hen Mietmöglichkeiten für Flyer-E-Bikes. Für

Gepäcktransport und Übernachtungen gibt es

spezielle Angebote.

> www.herzroute.ch

Natürlicher Tourismusfür AnfängerDas Handbuch Tourismus – ganz natürlich ist

ein Arbeitsinstrument für alle, die mehr über

den natur- und kulturnahen Tourismus erfahren

und ein entsprechendes Angebot entwickeln

möchten. Es enthält Informationen zum poten-

ziellen Markt und zu den Trends sowie eine An-

leitung zur Angebotsentwicklung.

> Kostenloser Download unter:

www.naturkultur-erlebnis.ch

Erlebnis KanufahrenKanufahren ist nicht nur etwas für ambitionier-

te Sportlerinnen und Sportler, sondern kann

auch ein Erlebnis für die ganze Familie sein.

Die Website www.kanuland.ch gibt nützliche

Tipps – so etwa eine Übersicht zu geführten

Touren in der ganzen Schweiz.

> www.kanuland.ch

ästhetik des UnsichtbarenSchöne, überraschende, bisweilen auch «ekli-

ge» Natur: Mit einem Rasterelektronenmikros-

kop und hunderttausendfacher Vergrösserung

werden Würmer zu veritablen Horrorwesen,

und Milben erinnern an futuristische Ufos. Auf

www.fei.com oder auf der micronaut-Website

des Schweizer Wissenschaftsfotografen Martin

Oeggerli kann man in eine verborgene Welt

eintauchen.

> www.fei.com > resources > image gallery

(nur E); www.micronaut.ch > Gallery

Riesen mit Geschichte

Im Buch Baumriesen der Schweiz porträtiert

der Fotograf und Baumkenner Michel Brunner

die schönsten, ältesten und eindrücklichsten

Bäume unseres Landes. Auf 240 Seiten do-

kumentiert er deren Geschichte, Mythen und

Biologie. Dazu gibt es einen Wanderführer mit

20 Routen zu alten Bäumen in der Schweiz.

> Baumriesen der Schweiz, Michel Brunner,

CHF 59.–, Werd-Verlag, ISBN: 978-3-85932-629-3;

Wege zu Baumriesen, Michel Brunner, CHF 34.90,

Werd-Verlag, ISBN: 978-3-85932-654-5

«Sonne bewegt»

Eine Sonderausstellung im Verkehrshaus Lu-

zern widmet sich dem Thema nachhaltige

Mobilität und zeigt, wie die Sonne in diesem

Bereich eine vielseitige Energiespenderin sein

kann. Anhand physikalischer Experimente, bei

Testfahrten und in einer Infozone erfährt man

mehr zum Thema Sonne und Energie. Die Aus-

stellung dauert bis zum 21. Oktober 2012.

> www.verkehrshaus.ch > Sonne bewegt

Ferien nach MassFeriengestaltung nach den eigenen Wünschen

im Unesco-Welterbe-Gebiet Jungfrau-Aletsch:

Bei der individuellen Planung hilft die Web-

site www.mySwissalps.ch mit ausführlichen

Wandertipps und Hinweisen zum Leben in der

Region.

> Unesco-Welterbe Schweizer Alpen

Jungfrau-Aletsch, Naters, 027 924 52 76,

www.mySwissalps.ch

Kleinode der NaturMoore spielen eine wichtige Rolle im Wasser-

haushalt und sind ganz besondere Lebens-

räume sowie wichtige Naturarchive. Doch sie

stehen in verschiedener Hinsicht unter Druck.

Tipps

zVg

zVg

zVg

Page 61: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

61umwelt 3/2012

Das Naturmuseum St.Gallen zeigt eine Wander-

ausstellung zum Thema Moorschutz unter dem

Titel «Moore – Kleinode unserer Landschaft».

Sie ist bis Oktober 2012 in St.Gallen sowie in

weiteren Orten der Ostschweiz zu sehen.

> Naturmuseum St.Gallen, 071 242 06 70,

www.naturmuseumsg.ch

Ökostrom verkaufenDie Ökostrombörse ist eine Plattform zur Ver-

steigerung des Mehrwerts von zertifiziertem

Strom aus erneuerbaren Quellen. Produzenten

solcher Energie, die keine Förderung vom Bund

erhalten, können hier ihren Strom anbieten und

direkt den verschiedenen Energieversorgern im

Kanton Aargau verkaufen, welche die Strom-

börse betreiben.

> www.oekostromboerse.ch, 062 834 27 00

Berner Wanderwegemachen mobilAusgewählte Tourenvorschläge der Berner

Wanderwege sind neu auch auf mobilen Gerä-

ten wie Smartphones und Tablets zugänglich.

Zu jeder Route lassen sich eine Beschreibung,

Fotos und ein Höhenprofil anzeigen. Die dazu-

gehörige Strecke kann direkt in der integrierten

Karte abgebildet werden.

> www.bernerwanderwege.ch,

www.gps-tracks.com

Unheimliche Eroberer

Invasive Pflanzen und Tiere wie Ambrosia, Tiger-

mücke oder Marderhund siedeln erst seit jüngs-

ter Zeit in der Schweiz und bedrängen zum Teil

die einheimische Flora und Fauna. Das Buch

Unheimliche Eroberer porträtiert 24 Arten aus

der Tier- und Pflanzenwelt, die in Europa Prob-

leme verursachen und deren Bekämpfung eine

grosse Herausforderung ist.

> Unheimliche Eroberer: Invasive Pflanzen und

Tiere in Europa, Wolfgang Nentwig (Hrsg.), CHF

53.90, Haupt Verlag, ISBN: 978-3-258-07660-7

Ruhe-Insel im AlltagDie vom BAFU unterstützte interaktive Ausstel-

lung «Ruhe-Insel» bietet Informationen und Be-

ratung zum Thema Lärm und sorgt für sinnliche

Hörerlebnisse. Besucherinnen und Besucher

können zudem ihr eigenes Lärmprofil erstellen

oder auf einer regionalen Karte ihre persönli-

che Ruhe-Insel eintragen. Die Ausstellung kann

auch für eigene Anlässe gemietet werden.

> Aktuelle Ausstellungsstandorte unter:

www.ruhe-insel.ch

Der Klang-SpaziergangDas Amt für Umwelt und Energie Basel-Stadt

hat akustisch spezielle Orte ausgewählt, die

sich auf einem Spaziergang durch Basel be-

liebig miteinander verbinden lassen. Einerseits

trifft man dabei auf Ruhe-Inseln, andererseits

auf Klangphänomene, die leicht zu überhören

sind, es aber verdienen, wahrgenommen zu

werden.

> www.aue.bs.ch/hoerenswerte_orte_in_basel.

pdf, 061 639 22 22

Wer wird Bio-Millionär?Anlässlich des Natur Festivals 2012 in Basel

fand auch eine Biomillionen-Show statt. Bei

dem vom BAFU unterstützten Quiz konnten die

Teilnehmenden ihr Naturwissen unter Beweis

stellen. Wer möchte, kann jetzt seine Kenntnis-

se auch online testen.

> www.biomillionenshow.ch

Impressum 3/12 August 2012 | Das Magazin umwelt des BAFU erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden; ISSN 1424-7186

Herausgeber: Bundesamt für Umwelt BAFU. Das BAFU ist ein Amt des Eidg. Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK | Projektoberleitung:

Bruno Oberle, Thomas Göttin | Konzept, Redaktion, Produktion: Georg Ledergerber (Gesamtleitung), Charlotte Schläpfer (Stellvertretung); Doris Ochsner, Harald Jenk

und Kaspar Meuli (Dossier «Mobilität»); Beat Jordi (Weitere Themen), Luc Hutter (online), Cornélia Mühlberger de Preux (Redaktorin Romandie), Valérie Fries (Redak-

tionssekretariat) | Externe journalistische Mitarbeit: Hansjakob Baumgartner, Vera Bueller, Andres Eberhard, Urs Fitze, Nicolas Gattlen, Oliver Graf, Stefan Hartmann,

Pieter Poldervaart, Lucienne Rey; Peter Bader – textatelier.ch (Rubriken); Jacqueline Dougoud (Lektorat, Korrektorat), Rolf Geiser (Übersetzung) | Visuelle Umsetzung:

Atelier Ruth Schürmann, Luzern | Redaktionsschluss: 30. Juni 2012 | Redaktionsadresse: BAFU, Kommunikation, Redaktion umwelt, 3003 Bern, Tel. 031 323 03 34,

Fax 031 322 70 54, [email protected] | Sprachen: Deutsch, Französisch; Italienisch in Auszügen ausschliesslich im Internet | Online: Der Inhalt des Magazins

(ohne Rubriken) ist abrufbar unter www.bafu.admin.ch/magazin | Papier: Cyclus Print, 100 % Altpapier aus sortierten Druckerei- und Büroabfällen | Auflage dieser

Nummer: 47 500 Expl. Deutsch, 18 500 Expl. Französisch / Druck und Versand: Swissprinters AG, 4800 Zofingen, www.swissprinters.ch | Gratisabonnemente,

Nachbestellungen einzelner Nummern und Adressänderungen: umwelt, Swissprinters St. Gallen AG, Leserservice, 9001 St. Gallen, Tel. 058 787 58 68,

Fax 058 787 58 15, [email protected], www.bafu.admin.ch/magazin | Copyright: Nachdruck der Texte und Grafiken erwünscht mit Quellenangabe und Be-

legexemplar an die Redaktion.

Page 62: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

umwelt 3/201262

Intern

Heute getroffene Entscheidungen wirken sich auch in ferner Zukunft auf den Umweltzu-stand und die natürlichen Ressourcen aus. Mit dem Ziel einer möglichst nachhaltigenRessourcennutzung haben Fachleute aus vier BAFU-Abteilungen im Rahmen des Projekts«Ausblick 2050» Umweltziele, Visionen und Handlungsoptionen entwickelt. Die in denPilotbereichen Klima, Biodiversität und Rohstoffe erarbeiteten Langzeitperspektiven sollenes erlauben, ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen besser abzu-schätzen und zu steuern. Zur Verhinderung eines gefährlichen Klimawandels sieht ein Zielbis zum Jahr 2050 beispielsweise die Reduktion der inländischen Treibhausgasemissionenum 80 Prozent im Vergleich zu 1990 vor.

Zur Umsetzung der Visionen braucht es politische Weichenstellungen, die mehrheitlichim Zeitraum bis 2020 erfolgen müssen. Wie die Ergebnisse der Pilotprojekte zeigen, lassensich dabei gemeinsame Handlungsschwerpunkte wie etwa eine deutliche Effizienzsteige-rung und Veränderungen des Konsumverhaltens ableiten. Um den Energie- und Ressourcen-verbrauch im erforderlichen Ausmass zu reduzieren, drängen sich stärkere ökonomischeAnreize auf. Dazu zählt auch eine ökologische Steuerreform, die vermehrt Energie und Roh-stoffe anstelle von Arbeit und Kapital besteuert.

Die am Projekt «Ausblick 2050» beteiligten BAFU-Abteilungen werden die Ergebnisse nunin ihre laufenden Aktivitäten einfliessen lassen. Zudem will man auch für weitere Themen-bereiche des Amtes längerfristige Perspektiven entwickeln.

Nachhaltige Ressourcennutzung als Ziel

Mitte Mai hat die Jury der Schweizerischen Umweltstiftung den JuristenFranz-Sepp Stulz für seine jahrzehntelangen Bemühungen zur Erhaltung derNatur- und Landschaftsvielfalt im Inland mit dem Umweltpreis 2012 ausge-zeichnet.

Nach der überraschenden Annahme der Rothenthurm-Initiative zumSchutz der Moore erhielt das Bundesamt für Umwelt 1987 den Verfassungs-

auftrag, solche Naturlandschaften vor zerstörerischen Eingriffen zu bewahren. In einemkonstruktiven Dialog ist es Franz-Sepp Stulz – dem früheren Leiter der BAFU-AbteilungNatur und Landschaft und heutigen Berater der Direktion – mit viel Pragmatismus undÜberzeugungskraft gelungen, einen Ausgleich der Schutz- und Nutzinteressen zu erreichen.Zu seinen beruflichen Verdiensten gehören etwa das Inventar der Moorlandschaften von na-tionaler Bedeutung sowie entsprechende Schutzverzeichnisse für Auenlandschaften, Amphi-bienlaichgewässer, Trockenwiesen, Flachmoore und Hochmoore.

Als Vizepräsident der Eidgenössischen Nationalparkkommission engagierte sich derPreisträger für die Weiterentwicklung des Nationalparks. Mit Geduld und diplomatischem Ge-schick trieb er zudem die Pläne für weitere nationale Schutzgebiete, das Unesco-Biosphären-reservat Entlebuch (LU) sowie die mittlerweile 15 Regionalen Naturpärke voran, in welchenNaturschutzanliegen und wirtschaftliche Interessen Hand in Hand gehen. Das zum Teil gegenvielerlei Widerstände durchgesetzte Lebenswerk von Franz-Sepp Stulz werde noch manche Ge-nerationen nach uns erfreuen, führte Reto Locher von der Schweizerischen Umweltstiftung inseiner Laudatio aus. Er erwähnte dabei auch das Engagement des Preisgekrönten beim FondsLandschaft Schweiz, bei der Basler NATUR Messe, als Mitglied der Eidgenössischen Natur- undHeimatschutzkommission sowie als Stiftungsrat der Stiftung Natur & Wirtschaft, die seit demGründungsjahr 1995 über 300 naturnahe Firmenparks zertifiziert hat.

Umweltpreis für Franz-Sepp Stulz

Page 63: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

63umwelt 3/2012

Der amerikanische Rinderzüchter und Milch-farmer Tom Kestell aus Wisconsin hält mit sei-ner Holstein-Kuh «Ever-Green-View My 1326-ET»seit 2010 den Weltrekord. In einem Jahr konn-te die Melkmaschine dem prallen Euter seinesRindviehs mehr als 32700 Kilo Milch entziehen.Der Organismus von Kühen ist von Natur ausnicht auf solche Höchstleistungen ausgelegt,sondern auf den Milchbedarf eines Kalbes, unddafür reichen Milchleistungen von 6 bis 8 Kilopro Tag locker aus. Noch um 1900 wogen dieSchweizer Kühe ausserhalb des Berggebiets imMittel etwa 250 Kilo und gaben in einem Jahrselten mehr als 2000 Kilo Milch. Inzwischenstehen die speziell auf hohe Milcherträge ge-züchteten Hochleistungsrassen Holstein undBrown-Suisse mit dem dreifachen Gewicht amFuttertrog und trumpfen – bei konsequenterStallhaltung – auch hierzulande vereinzelt mitJahresleistungen von über 12000 Kilo Milch auf.

Der Preis dafür ist eine vom Menschen er-zwungene Dauerschwangerschaft der Milchkühe,die oft schon wenige Tage nach der Geburt vonihren Kälbern getrennt werden. Eine normaleMilchabgabeperiode dauert rund 10 Monate, wo-

bei die Kuh lediglich 3 Monate nach dem Abkal-ben bereits wieder geschwängert wird – in derRegel nicht von einem Stier, sondern vom Besa-mungstechniker. Auch während der Trächtigkeithängen die geduldigen Wiederkäuer bis zu drei-mal täglich an der Melkmaschine und stehenjeweils nur 2 Monate vor der nächsten Geburttrocken.

Nach der vierten oder fünften Laktations-phase erreicht die Milchleistung mit bis zu50 Kilo am Tag ihren Höhepunkt. Dann sind dieMilchproduzentinnen – trotz Hochleistungs-nahrung in Form von Mais, Soja und weiteremeiweissreichem Kraftfutter – in der Regel aus-gepowert. So beträgt die durchschnittliche Nut-zungsdauer einer Milchkuh von 4 bis 5 Jahrenheute noch etwa 20 Prozent ihrer natürlichenLebenserwartung. Auch im Grasland Schweiz,das geradezu für die Milchproduktion prädes-tiniert ist, wächst der Druck auf die 565000Milchkühe, sich gefälligst den Anforderungender industriellen Nahrungsmittelproduktion an-zupassen.

Beat Jordiwww.bafu.admin.ch/magazin2012-3-13

Die Milchkuh der Nation

Porträt

Immer mehr Hochleis-tungskühe verbringen ihrLeben nur noch im Stall.Weil sie sich kaum be-wegen können, lässt sichdas Futter fast ganz für dieMilchproduktion nutzen.Wikipedia commons

Page 64: Magazin «umwelt» 3/2012 - Umweltgerechte Mobilität

> Die Artikel dieses Heftes sind auch im Internet verfügbar –mit weiterführenden Links und Literaturangaben:www.bafu.admin.ch/magazin2012-3

> Besuchen Sie das BAFU im Internet:www.bafu.admin.ch