Mammografie Screening - Bremen

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Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen Ärztekammer Bremen (Hrsg.) Was MultiplikatorInnen vor Ort wissen sollten Erfahrungen - Informationen - Tipps Mammografie Screening

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Institut für Public Health undPflegeforschung der Universität Bremen

Ärztekammer Bremen(Hrsg.)

Was MultiplikatorInnen vor Ort wissen sollten

Erfahrungen - Informationen - Tipps

MammografieScreening

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Inhalt

Editorial 3

Vorwort der Ärztekammer Bremen 6

Kapitel 1: Reihenuntersuchungen auf Brustkrebs 7Wie funktioniert das Mammografie-Screening-Programm? 8Die Modellprojekte: Bremen, Wiesbaden, Weser-Ems 10Die Kontroverse: Brustkrebs-Screening - Stigmatisierung oder Fürsorge? 12Was Sie vor Ort tun können 14

Kapitel 2: Fundiert aufklären und informiert entscheiden 15Aufklärung statt Propaganda 16Hohe Erwartungen - überschätzter Nutzen 18Anforderungen an fundierte Aufklärung 19Was raten Sie mir jetzt? 20Das Gespräch: „Frauenbeauftragte können den Ablauf des Screenings mitgestalten” 21

Kapitel 3: Öffentlicher Diskurs und unabhängige Beratung 23Öffentliche Fragen und stille Ängste 24Informationsveranstaltungen 24Beratung 24Was Sie vor Ort tun können 25Das Gespräch: „Eine persönliche Entscheidung braucht mehr als Zahlen” 26

Kapitel 4: Transparenz für mehr Qualität 29Der Bremer „Beirat” 30Braucht man eine Beschwerdestelle? 31Was Sie vor Ort tun können 31

Literatur & Links 32

Impressum 35

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EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser !

Derzeit wird in Deutschland ein flächendeckendes Mammografie-Screening vorbereitet. Frauen zwischen50 und 69 Jahren werden zukünftig alle zwei Jahre zu einer Röntgenuntersuchung der Brust, einerMammografie eingeladen. Bis 2007 sollen in allen deutschen Städten und Regionen wohnortnaheScreening-Zentren eingerichtet sein oder Röntgenbusse, so genannte Mammobile, übers Land fahren. Mit der Etablierung dieser Reihenuntersuchung stellen sich zahlreiche anspruchsvolle Aufgaben. Nichtnur müssen die Screening-Einheiten aufgebaut, die Geräte beschafft und das Personal geschult werden,auch das „Drumherum” muss stimmen: ein Informations- und Beratungsangebot muss aufgebaut wer-den, damit Frauen eine informierte Entscheidung treffen und, im Falle eines Befundes, beraten undunterstützt werden können. Dafür braucht es eine Struktur „vor Ort”, in der sich Multiplikatorinnen undMultiplikatoren austauschen und zusammen arbeiten können.

Aus Bremer Erfahrungen lernen

Diese Broschüre wendet sich an Akteurinnen und Akteure, die sich in unterschiedlicher Funktion - zumBeispiel als Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte, MitarbeiterIn im Gesundheitsamt oder Vertreterinvon Selbsthilfegruppen - an diesem Prozess vor Ort beteiligen wollen. Sie ist vor dem Hintergrund einesModellprojektes entstanden: Bremen war eine von drei Modellregionen, in der die Einführung desMammografie-Screenings von 2000 bis 2004 erprobt wurde. Auf der Grundlage der Bremer und andererErfahrungen sollte entschieden werden, ob und auf welche Weise das Mammografie-Screening alskostenlose Früherkennungsmaßnahme flächendeckend in Deutschland eingeführt werden soll. Die politi-schen Ereignisse haben die Modellversuche überholt: Noch ehe sie abgeschlossen und die Erfahrungenausgewertet waren, entschied am 22. Juni 2002 der Deutsche Bundestag, Reihenuntersuchungen zurFrüherkennung von Brustkrebs als Kassenleistung einzuführen. Dennoch: In Bremen wurden vieleErfahrungen gesammelt, die für andere Regionen eine Anregung sein können und die wir mit dieserBroschüre weitergeben wollen.

Die Einführung des Mammografie-Screenings ist eine späte Antwort auf die erheblichen Qualitätsmängel,die die Mammografiestudie in den 1990er-Jahren aufgedeckt hat. Ein organisiertes Screening, so wie esjetzt in Deutschland eingeführt wird, stellt hohe Anforderungen an die organisatorisch-technische Quali-tät und an die Befundung der Röntgenbilder. Trotzdem war und ist das Brustkrebs-Screening umstritten,

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da über den tatsächlichen Nutzen der Früherkennungsmammografie in der wissenschaftlichen Literaturkeine Einigkeit herrscht.

Auch in Bremen kam es zu einer Kontroverse. Unabhängig von der wissenschaftlichen Bewertung undder Konflikte im Detail haben die Erfahrungen in Bremen aber auch gezeigt, wie wichtig es ist, denProzess der Etablierung des Screenings vor Ort aktiv und frauengerecht zu gestalten. Zu leicht konzen-triert sich die Diskussion auf die technisch-apparativen und logistischen Aspekte: Wer übernimmt dieWartung der Geräte? Wer übernimmt die Einladung der Frauen? Wie kann die Befundung der Röntgen-bilder effektiv ablaufen?

Frauen im Blick

Die Bedürfnisse der Frauen, für die ja eigentlich das Screening eingeführt wird, geraten dabei schnell ausdem Blick. Welche Informationen benötigen sie, um entscheiden zu können, ob sie das Screening in An-spruch nehmen wollen? Wo können sich Frauen vor oder nach dem Screening beraten lassen? Wie wirddie Würde der Frau im Screening geachtet? Wie kann der Datenschutz gesichert werden? An wen kannsich eine Frau wenden, wenn sie Kritik oder Beschwerden über den Ablauf der Reihenuntersuchung hat? In der Broschüre sind Fragen Bremer Frauen eingestreut. Es sind Fragen mit denen Sie als MultiplikatorInauch vermutlich konfrontiert werden.

In Bremen hat sich bereits in der Anfangsphase des Modellprojektes eine Gruppe von Frauen zusammen-geschlossen, die - aus unterschiedlicher fachwissenschaftlicher Perspektive und in unterschiedlichenberuflichen Positionen - diese Fragen bearbeitete. Die Präsidentin der Ärztekammer und die Landesbeauf-tragte für Frauen waren hieran ebenso beteiligt wie Vertreterinnen des Arbeitskreises Frauengesundheit(AKF), des Frauengesundheitszentrums und der Bremer Krebsgesellschaft. Auch die Universität Bremenhat sich mit dem Zentrum für Sozialpolitik, dem Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozial-medizin und dem Zentrum für Public Health (heute: Institut für Public Health und Pflegeforschung) ander öffentlichen Meinungsbildung beteiligt. Sie initiierte eine Veranstaltungsreihe, bei der das Für undWider des Brustkrebs-Screenings auf der Basis wissenschaftlicher Evidenz erörtert wurde. (Das Ergebnis liegt in

Buchform vor: Koppelin et al., 2001) Das Evaluationskonzept, das das Modellprojekt wissenschaftlich begleiten soll-te, wurde leider - angeblich aus Geldmangel - nicht umgesetzt.

Standards für das Screening

Die Broschüre fasst die Erfahrungen mit dem Modellprojekt „Mammografie-Screening” zusammen. Eswerden Standards formuliert, die bei der Einführung unbedingt zu beachten sind. Diese Standards sind:

• fundierte Aufklärung zur informierten Entscheidungsfindung• unabhängige Beratung• Beschwerdestelle• Transparenz

Die Richtlinien zur „Einführung eines bundesweiten Mammografie-Screenings”, auf deren Grundlage dieReihenuntersuchungen ein- und durchgeführt werden, berücksichtigen diese Aspekte zu wenig. Vielleichtregen Sie die vorliegenden Informationen und Erfahrungen an, in Ihrer Kommune eine Diskussion über

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das Mamma-Screening zu initiieren und für die Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse derbetroffenen Frauen einzutreten.

Die vorliegende Broschüre wird durch eine zweite ergänzt, die über Nutzen und Risiken des Screeningsinformiert - mit allen wissenschaftlichen Unsicherheiten und Widersprüchen. Ihr Titel: Brustkrebs-Früherkennung - Informationen zur Mammografie - Eine Entscheidungshilfe, herausgegeben vomNationalen Netzwerk Frauen und Gesundheit. Sie wendet sich an Sie als MultiplikatorIn, will aber auchder betroffenen Altersgruppe eine informierte Entscheidung ermöglichen. Ebenso finden jüngere Frauen,die von ihren Gynäkologinnen und Gynäkologen zur Früherkennungs-Mammografie geschickt werden,eine Orientierungshilfe. Wir hoffen, dass die Broschüren eine informierte Auseinandersetzung mit demMammografie-Screening ermöglichen.

Beide Publikationen wurden von der Bremer Wissenschaftsjournalistin Dr. Eva Schindele in enger Abstim-mung mit den beteiligten Akteurinnen geschrieben. Wir danken für die fruchtbaren Diskussionen undAnregungen insbesondere Dr. Edith Bauer, Iris Bleyer-Rex, Ulrike Hauffe, Colette Mergeay, Ilse Scheinhardtsowie Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser für die wissenschaftliche Beratung. Ein Dankeschön auch an dieGmünder Ersatzkasse. Sie hat die Broschüren finanziell ermöglicht, ohne Einfluss auf den Inhalt zu nehmen.

Bremen, im April 2005

Prof. Dr. Petra Kolip(Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen)

Sind meine Daten

geschützt?

Wo kann ich mich beraten

lassen, ob ich zum Screening

gehen soll?

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Vorwort der Ärztekammer Bremen

Der Bremer Modellversuch zum Mammografie-Screening wurde von Anbeginn an auch unter Berücksich-tigung der kontroversen Diskussionen von der Ärztekammer engagiert und kritisch begleitet. DieKammerpräsidentin Frau Dr. Auerswald war Vorsitzende des interdisziplinären „Beirats”, einem Gremium,das die Einführung des Modellversuchs begleitete. Gemeinsam mit engagierten Bremer Frauen zeigte sieviele Unzulänglichkeiten auf und schlug Verbesserungsmöglichkeiten vor. Insbesondere ging es umBeratung und organisatorische Fragen, aber auch um Vertraulichkeit und eine verständliche Informationfür die betroffenen Frauen.

Im Vordergrund stand und steht für die Ärztekammer Bremen das Interesse der Patientinnen. Sie müssenin der Lage sein, eine höchst individuelle Entscheidung auf der Grundlage einer möglichst umfassendenund wahrheitsgemäßen Information für sich zu fällen. Die in Bremen gewonnenen Erkenntnisse habenauch die Modalitäten der bundesweiten Einführung des Screenings positiv beeinflusst.

Die Ärztekammer begrüßt deshalb das Erscheinen dieser Broschüre. Es ist gut, dass die in Bremengemachten Erfahrungen mit dem Mammografie-Screening jetzt auch in gedruckter Form vorliegen undeine möglichst weite Verbreitung finden. Ich bedanke mich bei den vielen Unterstützerinnen undAutorinnen, die zu dem Gelingen dieses Vorhabens beigetragen haben.

Dr. med. Klaus-Dieter WurchePräsident der Ärztekammer Bremen

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Trotz der Einschätzung des Sachverständigenratesforcierten PolitikerInnen aller Parteien, Brustkrebs-patientinnen und MedizinerInnen die Einführungeines Brustkrebs-Screenings in Deutschland. Am22. Juni 2002 beschloss der Deutsche Bundestag,eine flächendeckende Reihenuntersuchung fürFrauen zwischen 50 und 69 Jahren auf Grundlageder europäischen Leitlinien einzuführen. DasAngebot wurde auf diese Altersgruppe beschränkt,da eine ausreichende wissenschaftliche Evidenzfehlt, dass die Früherkennungsmammografie auchfür jüngere Frauen sinnvoll ist. Die Ausführungs-bestimmungen für das Mammografie-Screening-Programm sind vom Bundessausschuss der Ärzteund Krankenkassen im Dezember 2003 verabschie-det worden. (Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2004)

Derzeit wird Deutschland in 85 Screening-Regionen mit jeweils etwa einer Million Einwohnerunterteilt. Für jede Screening-Einheit ist ein/e pro-grammverantwortliche/r Radiologe/Radiologinoder Gynäkologe/Gynäkologin zuständig. Sie sol-len den Ablauf der Reihenuntersuchung zentral

planen, deren Durchführung organisieren und dieQualität sichern. Bezahlt wird der programmver-antwortliche Arzt oder die Ärztin pro durchgeführ-te Mammografie. Die Kontrolle und Koordinationliegt bei der zentralen „KooperationsgemeinschaftMammografie in der ambulanten vertragsärzt-lichen Versorgung” in Köln und den fünf „Referenz-zentren” in Berlin, Münster, München, Wiesbadenund Bremen. Sie organisieren die Fortbildung derÄrztInnen und Röntgenassistentinnen und dieQualitätssicherung des Screening-Programms. DieKooperationsgemeinschaft Mammografie wirdgetragen von der Kassenärztlichen Bundesvereini-gung und den Krankenkassen.

Das Brustkrebs-Screening soll in Deutschland bisEnde 2007 flächendeckend angeboten werden. InModellprojekten in Bremen, Wiesbaden und imländlichen Weser-Ems-Gebiet wurde die Reihen-untersuchung bereits zwischen 2000 und 2004 ge-testet. Die Erfahrungen und Ergebnisse vor allemaus der Bremer Modellregion bilden die Grundlagedieser Broschüre.

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KAPITEL 1

Reihen-untersuchungen

auf Brustkrebs

„Der durchschnittliche individuelle Nutzen eines bevölkerungsweiten Mammografie-Screenings ist gering.Nur eine kleine Zahl von Frauen profitiert tatsächlich... . Der Grat zwischen erwartetem Nutzen undSchaden ist selbst bei hervorragenden, qualitätsgesicherten Mammografieprogrammen sehr schmal.”(Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Gutachten 2000/2001, Band III, S. 137)

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Die programmverantwortlichen RadiologInnenkönnen den Ablauf der Reihenuntersuchung nachihren Vorstellungen organisieren. Allerdings schrei-ben die Richtlinien zum Mammografie-Screening-Programm Rahmenbedingungen vor:

■ Frauen zwischen 50 und 69 Jahren werden allezwei Jahre persönlich angeschrieben und zueiner kostenlosen Früherkennungs-Mammo-grafie in eine wohnortnahe Screening-Einheiteingeladen.

■ Eine Screening-Einheit können eigens angemie-tete Räumlichkeiten, Extra-Räume bei einemRadiologen oder ein Mammobil sein. Mam-mobil nennt man einen zu einer Röntgeneinheitumgebauten Bus, der übers Land fährt.

■ In der Screening-Einheit werden zuerst persönli-che Daten und die Krankengeschichte der Frauabgefragt. Ist die Frau bereits Brustkrebs-patientin, hat sie Knoten oder andereSymptome in der Brust, oder ist sie in den ver-gangenen zwei Jahren bereits mammografiertworden, wird sie im Mammografiezentrumnicht untersucht.

■ Röntgenassistentinnen führen die Mammografiedurch. Sie sind nicht berechtigt, das Ergebnisder Untersuchung mitzuteilen.

■ Die Röntgenbilder werden von zwei Radiologenoder Radiologinnen unabhängig voneinanderbeurteilt. Gibt es unterschiedliche Bewertungen,wird noch der programmverantwortliche Arzthinzugezogen.

■ Das Ergebnis der Mammografie wird immerschriftlich mitgeteilt. Laut Richtlinien soll dieFrau nach spätestens sieben Werktagen einenBrief erhalten, auch wenn nichts Auffälligesgefunden wurde. Bei Verdacht wird die Frau zurweiteren Abklärung einbestellt.

■ Eine nochmalige Mammografie, eine Ultraschall-untersuchung und/oder eine Gewebeprobe-entnahme (Biopsie) sollen den Verdachtsbefundabklären. Das abschließende Ergebnis bekommtdie Frau innerhalb von zwei Wochen. Bei einemBefund besprechen Ärztin oder Arzt mit ihr dasweitere Vorgehen.

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Wie funktioniert das Mammografie-Screening-Programm?

Ich war letztes Jahr zur Mammografie,

habe nun eine Einladung, wann sollte ich

wieder eine Aufnahme machen lassen?

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B E K A N N T G A B E N

K A S S E N Ä R Z T L I C H E B U N D E S V E R E I N I G U N G

Mitteilungen

„Früherkennung von Brustkrebs durch Mammografie-Screening”

„Ziel der Früherkennung von Brustkrebs durch Mammografie-Screening ist die deutliche Senkung derBrustkrebssterblichkeit in der anspruchsberechtigten Bevölkerungsgruppe. Gleichzeitig ist eineMinimierung der Belastungen, die mit einem Mammografie-Screening verbunden sein können, zugewährleisten.Diese Ziele sind nur dann erreichbar, wenn die bundesweit geltenden Maßnahmen zur Qualitäts-sicherung und zum Qualitätsmanagement durchgeführt werden, welche sämtliche Schritte derVersorgungskette (Einladung und Information der Frauen, Erstellung und Befundung von Screening-Mammografieaufnahmen, gegebenenfalls notwendige Abklärungsdiagnostik und Überleitung in dieTherapie) sowie die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität hinsichtlich der an der Leistungs-erbringung beteiligten Personen und organisatorische Strukturen erfassen.”(Präambel zur Früherkennung von Brustkrebs durch Mammografie-Screening, Deutsches Ärzteblatt, 23.1.2004-Ausgabe A)

Voraussichtlicher Beginn der Reihenuntersuchungen in den Regionen. (Quelle: Kooperationsgemeinschaft Mammografie, Stand April 2005)

Voraussichtliche Regelversorgung 2005

Voraussichtliche Regelversorgung 2006

Voraussichtliche Regelversorgung nach 2006

RZ = Referenzzentrum

Wann beginnt das Screening?

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Die Modellprojekte: Bremen, Wiesbaden, Weser-Ems

Nach einem längeren Vorlauf werden seit 2001/2002 in diesen drei Regionen alle Frauen zwischen 50und 69 Jahren zur Reihenuntersuchung auf Brustkrebs eingeladen. Ziel der Modellprojekte war es,Strukturen für ein bundesweites Screening zu erproben. Es ging vor allem um den technischen und organisatorischen Ablauf. Dagegen wurde und wird auch jetzt nicht wissenschaftlich untersucht, ob dieradiologische Früherkennung ein geeignetes Mittel ist, die Sterblichkeit an Brustkrebs zu senken.

Inzwischen dämpfen EpidemiologInnen die hohen Erwartungen an das Mammografie-Screening. DieHoffnung, dass 25 bis 30 Prozent weniger Frauen an Brustkrebs sterben, könne sich schon deshalb nichterfüllen, da bereits seit 1997 in Deutschland die Brustkrebssterblichkeit abnehme - und zwar ohneScreening. Außerdem seien die in den Modellregionen gefundenen Tumoren kleiner als prognostiziert.Deshalb ist zu erwarten, dass der Nutzen der Reihenuntersuchung viel geringer ausfallen wird als postuliert. (Giersiepen, 2004)

Teilnahmerate

In den drei Modellregionen waren 149.700 Frauen in der entsprechenden Altersgruppe, 64 Prozentkonnten anhand der Meldedaten eingeladen werden. In Bremen nahmen 45,6 Prozent der eingeladenenFrauen teil, in Wiesbaden 37,6 Prozent. Im ländlichen Weser-Ems-Gebiet waren es dagegen 62,5 Prozent.Je geringer die Entfernung zum Mammobil war, desto eher gingen die Frauen zur Untersuchung. Dieangestrebte Teilnahmequote von 70 Prozent konnte in der ersten Screening-Runde damit in keinerRegion erreicht werden. (Wenn nicht anders vermerkt, sind alle Daten dem Tätigkeitsbericht der Kooperationsgemeinschaft Mammografie

entnommen, 2004)

Verdachtsbefunde

6 Prozent der Frauen hatten einen auffälligen Mammografie-Befund. Sie wurden erneut zur Abklärungeinbestellt. 1,8 Prozent der Frauen wurde Gewebe entnommen (Punktionsbiopsie), das heißt bei 567Frauen wurde eine Biopsie durchgeführt und bei 489 Frauen bestätigte sich der Brustkrebsverdacht. Über die Anzahl der nicht gefundenen Tumoren oder Intervallkarzinomen, so nennt man Tumoren, diezwischen den zweijährlichen Einladungen zur Mammografie auftreten, kann bisher noch keine Aussagegemacht werden. Ein regelmäßiger Abgleich der verschlüsselten Daten mit dem Krebsregister soll darü-ber Auskunft geben.

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Brustkrebsrate

In Bremen stieg die Zahl der diagnostizierten Brustkrebserkrankungen 2002, also bereits ein Jahr nachEinführung der Reihenuntersuchung, in der Altersgruppe der 50- bis 69-Jährigen um 52 Prozent an.(Giersiepen, 2005) Eine Steigerung der Brustkrebsrate wird als Nebeneffekt des Screenings erwartet, zumindestin der ersten Einladungsrunde. Der Grund: Die Röntgenuntersuchung findet zahlreiche bisher unent-deckte Karzinome und Krebsvorstufen, auch solche die nie das Leben der Frauen bedroht hätten. Danachsollte sich die Zahl der Brustkrebsfälle wieder weitgehend normalisieren. Aktuelle Daten aus anderenScreening-Ländern zeigen aber inzwischen, dass dies nicht der Fall ist. So stieg in Schweden undNorwegen seit Einführung der Reihenuntersuchung die Anzahl der Brustkrebserkrankungen dauerhaft ummehr als 50 Prozent an. Das bedeutet, dass das Brustkrebs-Screening zu Überdiagnosen und zur Über-therapie führen kann. (Zahl, 2004)

Tumorgrößen

Das Brustkrebs-Screening orientiert sich an den europäischen Leitlinien, die bestimmte Richtwerte vorge-ben, zum Beispiel wie häufig erwartet werden muss, dass bestimmte Größen von Tumoren gefundenwerden. Die in den Modellregionen gefundenen Brust-Tumoren sind kleiner als die EU-Richtlinien vorgeben. Auchder Lymphknoten-Status ist besser. Bei 84,1 Prozent der Frauen sind die Lymphknoten noch nichtbefallen, bei 79,5 Prozent ist der Tumor kleiner als zwei Zentimeter, davon bei 25,1 Prozent kleiner alsein Zentimeter. In Bremen wurden in der ersten Screening-Runde bei 18 Prozent der Frauen so genannteIn-situ-Karzinome (Krebsvorstufen) gefunden. (Junkermann, 2005)

Gerade der medizinische Umgang mit In-Situ-Karzinomen, die auch als „gruppierter Mikrokalk” bezeich-net werden, ist schwierig. Da schwer vorherzusagen ist, ob sich diese Krebsvorstufen jemals zu lebens-bedrohlichem Brustkrebs entwickeln, raten Mediziner und Medizinerinnen vorsichtshalber zur üblicheninvasiven und für die Frau sehr belastenden Brustkrebstherapie.

Keine Begleitforschung

In der Modellphase wurde lediglich der medizinisch-technische Ablauf wissenschaftlich evaluiert. Einesozialwissenschaftliche Forschung wurde nicht finanziert. Deshalb bleiben viele Fragen offen, zumBeispiel, ob das Angebot eines Screenings Frauen eher ängstigt oder ob sie sich dadurch erleichtert fühlen.Es ist auch nicht bekannt, welche Informationen oder Unterstützungsangebote sie brauchen oder sichwünschen.

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In Bremen war die Einführung des Mammografie-Screenings umstritten.

Eine Gruppe von Frauen begrüßte das Screeningund verband damit die Hoffnung auf bessereRöntgenapparate und qualifiziertere Befundung.Sie nahm das neue Angebot als „Fürsorge” wahrund argumentierte, dass dadurch vielen Frauendas Leben gerettet werden könne. Außerdem seiein Brustkrebs-Screening sozial gerecht. Schließlichwerden alle Frauen zur Mammografie eingeladen,egal ob Ausländerin, Sozialhilfeempfängerin oderLehrerin.

Andere Frauen kritisierten das Setting einerReihenuntersuchung. Die letzten Reihenunter-suchungen liegen 40 Jahre zurück und bezogensich auf die Lungenkrankheit TBC. Diese an-steckende Erkrankung sollte eingedämmt werden,indem die Träger der Krankheit herausgefunden,zeitweise isoliert und therapiert wurden. Die 56-

jährige Andrea hat die Lungen-Durchleuchtung alsKind erlebt. Das Mammografie-Screening erinnertsie an diese Zeit, sie fühlt sich stigmatisiert: „Mankönnte den Eindruck gewinnen, als wäre Brust-krebs ansteckend und eine Seuche.”

Die Einladung zum Mamma-Screening bekommenBremer Frauen vom Gesundheitsamt zugeschickt.Dieses Schreiben halten viele für eine offizielle„Vorladung”, die sie im ersten Moment erschreckt– auch wenn in dem Schreiben die Freiwilligkeitder Untersuchung betont wird. Manche Frauenhaben das Gefühl, nun plötzlich schwarz auf weißzu haben, dass sie zu einer Risikogruppe gehören.Ebenso verstärkt die ständige Präsenz des Themasin der Öffentlichkeit und die offensive Werbung fürdas Screening die Angst in der eingeladenen Be-völkerungsgruppe der 50- bis 69-Jährigen.

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Die Kontroverse: Brustkrebs-Screening - Stigmatisierung oder Fürsorge?

Worin besteht der Unterschied zwischen

der bisherigen Mammografie, die ich bei

meinem Arzt habe machen lassen und

dem Screening?

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Sind die Daten geschützt?

„Was passiert, wenn ich nicht an der Reihenunter-suchung teilnehme?” Diese Frage wird oft vonFrauen gestellt. „Erfährt dann meine Krankenkassedavon? Werde ich dann - im Falle, dass ich irgend-wann tatsächlich an Brustkrebs erkranke - schlechterbehandelt? Oder muss ich möglicherweise sogarmeine Behandlungskosten selber tragen? Wie wirdüberhaupt mit meinen persönlichen Daten umge-gangen?” Schließlich werden Name, Geburtsdatumund Anschrift über das Einwohnermeldeamt erhobenund an eine zentrale Einladungsstelle (in Bremen:Gesundheitsamt) weitergeleitet.

Der Bremer Datenschutzbeauftragte teilte die Be-fürchtungen der Frauen. Sein Datenschutzkonzeptwurde in den aktuellen Richtlinien für das Mammo-grafie-Screening berücksichtigt: Alle persönlichenDaten werden mit Kennzahlen verschlüsselt undnach erfolgter Einladung gelöscht und zwar unab-hängig davon, ob die Frau am Screening teilge-nommen hat oder nicht. Außerdem greift die ärzt-liche Schweigepflicht. Dieser Ansatz schützt dieDaten der Frauen, ist aber bislang nicht in allenRegionen Deutschlands verbindlich geregelt.Datenschutz ist Sache der Länder und die jeweiligengesetzlichen Bestimmungen müssen erst noch denAnforderungen des zentralen Einladungssystemsangepasst werden. Wesentlicher Punkt ist die dafürnotwendige Kooperation zwischen Einwohner-meldeamt und der zentralen Einladungsstelle.

„Anonym durchgereicht”

Die Reihenuntersuchung ist unpersönlich.Ansprechpartnerinnen oder Lotsen, die Frauen indiesem Prozess begleiten, sind in den Richtliniennicht vorgesehen. Die Frau bekommt die Radio-logen oder Radiologinnen, die die Aufnahmenbegutachten, nicht zu Gesicht. Die Röntgenassisten-tinnen sind nicht berechtigt, medizinische Aus-künfte zu geben. Die Frau muss in der Regel 10 bis14 Tage auf das erste Untersuchungsergebnis war-ten. Erst wenn sie wieder einbestellt wird, weiletwas „Verdächtiges” in ihrer Brust gefunden wor-den ist, lernt sie Ärztin oder Arzt persönlich kennen.

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Ich möchte nicht teilnehmen,

können Sie mich beim

Screening-Zentrum abmelden?

Brustkrebs-Screening - häufige Missverständnisse

• Früherkennungsmammografie ist für Frauenmit Symptomen, zum Beispiel mit tastbarenKnoten, geeignet.

• Früherkennungsmammografie reduziert dieHäufigkeit von Brustkrebserkrankungen.

• Frühe Entdeckung bedeutet eine geringereSterberate.

• Brustkrebs früh zu entdecken, ist immer vonVorteil.

• Brustkrebs ist immer fortschreitend (progres-siv).

(Zit. nach Thornton, 2003)

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Bremer Frauen kritisierten immer wieder dieseanonymen Strukturen. Der 51-jährigen Gertraudefehlt der persönliche Kontakt zu ihrer Ärztin; ande-re finden es unwürdig, in eine Screening-Einheitvorgeladen zu werden: „Am besten wäre es, wirkönnten unsere Brüste abschrauben und dort zurWartung vorbeibringen”, sagt zum Beispiel die61-jährige Annelie. Frauen (aber auch Ärztinnen)kritisieren außerdem, dass die Früherkennung nurauf die Mammografie fokussiert ist.

Gespräch und Abtasten der Brust finden weiter inder gynäkologischen Praxis im Rahmen der Krebs-früherkennung statt.

Also wohin mit den Fragen und Sorgen, dieFrauen im Zusammenhang mit dem Brustkrebs-Screening haben? Im Bremer Modellprojekt gab eszeitweise ein unabhängiges Beratungsangebot undeine Info-Hotline. (siehe Kapitel 3)

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Was Sie vor Ort tun können

• Sich über den Start und den geplanten Ablauf des Screenings erkundigen -Ansprechpartner könnten Krankenkassen oder die Kassenärztliche Vereinigungsein.

• Kontakt mit dem programmverantwortlichen Arzt oder der Ärztin aufnehmen.

• Sich über den Nutzen und die Probleme der Früherkennungsmammografieinformieren.

• Weitere Interessierte oder BündnispartnerInnen finden, die den Ablauf desScreenings mitgestalten wollen.

• Die lokale Presse informieren.

Ich hatte jetzt gerade eine

Brustkrebsoperation und jetzt

soll ich eine Strahlentherapie

machen, obwohl mein Tumor

unter einem Zentimeter war.

Ist das richtig?

Falls bei mir Brustkrebs

diagnostiziert wird, wie

sieht der weitere

Krankheitsverlauf aus?

Wer betreut mich weiter?

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Patienten und Patientinnen mehr in medizinischeEntscheidungen einzubeziehen ist inzwischen einewichtige Forderung im Gesundheitswesen. Ganzbesonders hohe Anforderungen an die Aufklärungmüssen bei Maßnahmen für gesunde Versicherteerfüllt werden. Nur wenn Frauen über die Vor- undNachteile einer FrüherkennungsmammografieBescheid wissen, können sie sich für oder gegendie Untersuchung entscheiden.

Egal ob in der Arztpraxis, in Informationsbroschürenoder in den Medien - bisher war die Aufklärungüber die Früherkennungsmammografie einseitigund mangelhaft. In den Richtlinien zum Mammo-grafie-Screening-Programm stehen Vorgaben fürein Einladungsschreiben, nach dem auch möglicheNachteile zumindest benannt werden müssen. Dastatistische Angaben zum Nutzen und Schaden

fehlen, ist allerdings eine abwägende Entscheidungfür Frauen kaum möglich. Außerdem steht in dengleichen Richtlinien, dass mindestens 70 Prozentder 50- bis 69-Jährigen zur Teilnahme „motiviert”werden sollen. Die verantwortlichen RadiologInnenwerden pro Mammografieaufnahme bezahlt, sodass eine hohe Teilnehmerinnenrate schon auswirtschaftlichen Gründen erwünscht sein könnte.

Fundiert und verständlich aufzuklären ist dasAnliegen der DIN A 5 Broschüre „Brustkrebsfrüh-erkennung - Informationen zur Mammografie”,die vom „Nationalen Netzwerk Frauen undGesundheit” herausgegeben wurde. Diese Bro-schüre für Verbraucherinnen leitet eine neue Kulturder „evidenzbasierten” Patientinneninformationenein. Sie nimmt die Fragen von Frauen ernst undermutigt sie zu einer eigenen Entscheidung.

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KAPITEL 2

Fundiert aufklären und informiert

entscheiden

„Bessere Information, Beratung und Schulung befähigt Versicherte und PatientInnen zu selbstbestimmteremHandeln, zur kritischeren Nutzung von Gesundheitsdienstleistungen und führt dazu, dass Betroffene sowohlzu einem effizienteren Umgang mit Ressourcen als auch zur Verbesserung der Versorgungsqualität beitragenkönnen. Informierte Patientinnen und Patienten sind nicht nur zufriedener, sie sind auch kooperativer. Der‚informierte Patient’ bzw. die ‚informierte Patientin’ werden bislang unzureichend als eine wichtige Kraft zurLösung von Problemen im Gesundheitswesen erkannt, obgleich wissenschaftliche Studien nicht nur Zufrieden-heits- sondern auch ökonomische Vorteile belegen. Noch investiert das Gesundheitssystem beinahe ausschließ-lich in Expertentum und technische Ausstattung und nur selten direkt in die Versicherten oder PatientInnen.”(Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen: Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität, Gutachten 2003, Band I, S. 220f)

Page 16: Mammografie Screening - Bremen

Um Frauen in das Screening zu bekommen, drohtman ständig mit dem Sterben. In dem Moment, woFrauen Brustkrebs haben, wird der Tod tabuisiert.Prof. Dr. Annelie Keil, Gesundheitswissenschaftlerin und

Brustkrebspatientin, Bremen

Die „Krebsfrüherkennung” wird häufig als „Krebs-vorsorge” bezeichnet. Diese Bezeichnung ist irre-führend. Die Mammografie kann keinen Krebs ver-hindern, sondern sie sucht gezielt nach verdächti-gen Krebsherden, die, so die Hoffnung, frühzeitigentdeckt, noch heilbar beziehungsweise gut be-handelbar sind.

Die Röntgenuntersuchung der Brust gilt allgemeinals medizinisch sinnvoll und harmlos. Über dentatsächlichen Nutzen und über ihre Schattenseitenerfuhren die Frauen bisher wenig. Ebenso darüber,wie hoch überhaupt ihr Risiko ist, an Brustkrebs zuerkranken oder gar zu sterben. Nicht nur Laien,sondern auch Ärzte und Ärztinnen überschätzendie Vorteile. (Gigerenzer, 2002)

Mit Zahlen Politik machen? Um die Notwendigkeiteines Mammografie-Screenings zu untermauern,startete die Politik in Verbund mit Brustkrebsinitiati-ven und Krebsgesellschaft eine Medienkampagne:Zeitungen und Zeitschriften schrieben über dieständig steigende Zahl von Brustkrebstoten. „Estrifft immer mehr und immer jüngere Frauen” InWirklichkeit sterben bereits seit Mitte der 1990er-Jahre in Deutschland weniger Frauen an Brustkrebs.

Auch der Hinweis auf zunehmende Erkrankungs-raten erschreckt viele Frauen. „Jede 10. Frau trifftes.” Diese Aussage bezieht sich auf eine gesamteLebensspanne von 82 Jahren und hilft kaum, daseigene statistische Risiko einzuschätzen. Konkreterist die Aussage: 2 von 1000 Frauen erkranken jähr-lich im Alter zwischen 50 und 59 Jahren und 3 von1000 Frauen zwischen 60 und 69 Jahren. (Kürzl, 2004)

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B E K A N N T G A B E N

K A S S E N Ä R Z T L I C H E B U N D E S V E R E I N I G U N G

Mitteilungen

Früherkennung von Brustkrebs durch Mammografie-Screening

Information und Motivation

„Die Frau erhält von der Zentralen Stelle zusammen mit der Einla-dung ein Merkblatt. Durch das Merkblatt soll die Frau in geeigneterWeise über Hintergründe, Ziele, Inhalte und Vorgehensweise desFrüherkennungsprogramms auf Brustkrebs schriftlich informiert undzur Teilnahme an den Untersuchungen motiviert werden.”

Aufklärung statt Propaganda

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Die Angst mit der Mammografie bekämpfen?Gegen das düstere Szenario wird die qualitätsgesi-cherte Mammografie als Allheilmittel angeboten.Tatsächlich kann das Screening aber nicht die Zahlder Brustkrebsdiagnosen senken. Im Gegenteil,durch die gezielte Suche nach verdächtigemBrustgewebe steigt die Anzahl der Brustkrebsfälledauerhaft an. (Zahl, 2004) Nicht alle gefundenenTumoren hätten das Leben oder die Gesundheitder Frau bedroht. Das bedeutet, dass ein Mammo-grafie-Screening das Risiko der Überdiagnose undÜbertherapie mit sich bringt. Dieser Effekt wirdvon Screeningbefürwortern in Kauf genommen,„um das Leben einzelner Frauen zu retten.” Sieversprechen eine 25- bis 30-prozentige Senkungder Brustkrebssterblichkeit. Diese Zahl beeindruckt,doch sie ist irreführend, da sie sich nicht auf dieWahrscheinlichkeit, überhaupt an Brustkrebs zusterben, bezieht.

Um den Nutzen für Laien besser verständlich zumachen, fordern Wissenschaftler und Wissenschaft-lerinnen, statt Prozentzahlen absolute Zahlen zuverwenden. Auf das Screening bezogen heißt dasfür die Altersgruppe der 50- bis 69-Jährigen: Von1000 Frauen sterben innerhalb von zehn Jahrenacht Frauen an Brustkrebs. Mit Screening würdenim selben Zeitraum sechs von 1000 Frauen anBrustkrebs sterben. Sechs statt acht Frauen sindrechnerisch eine Senkung von 25 Prozent. Andersausgedrückt: Ohne Mammografie-Screening ster-ben 99,2 Prozent der Frauen nicht an Brustkrebs,mit Screening sind es 99,4 Prozent. (Mühlhauser, 2002)

Doch selbst dieser kleine Überlebensvorteil istunter WissenschaftlerInnen umstritten. DänischeForscher deckten erhebliche Mängel in den inter-nationalen Studien zum Mammografie-Screeningauf. Sie fanden, dass in der Screeninggruppe zwarweniger Frauen an Brustkrebs starben, doch dieZahl der Todesfälle insgesamt unverändert blieb.Die Frauen starben nur an anderen Ursachen. (Olsen, 2001)

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Aufklärung weltweit mangelhaft

Eine kritische Durchsicht der vorhandenendeutschsprachigen Aufklärungsbroschüren zeigt,dass sie „zwar gut gemeint sind, aber schlechtinformieren.” (Kurzenhäuser, 2003) Selbst in Ländern,in denen es seit Jahren Screening-Programmegibt, ist die Aufklärung der Frauen ungenügend.Nur sieben von 27 Webangeboten in englisch-sprachigen bzw. skandinavischen Ländern ent-sprechen den wissenschaftlichen Anforderungenan eine fundierte Aufklärung. Vor allem staatlicheStellen und BrustkrebslobbyistInnen, die von derIndustrie gesponsert werden, übertrieben dieVorteile des Röntgen-Checks und verschwiegenmögliche Probleme wie falsche Verdachts-befunde, unnötige Operationen oder Überthera-pie. Ausgewogene Informationen kamen ehervon unabhängigen Selbsthilfegruppen. (Joergensen,

2004; Thornton, 2003)

Wie sicher ist die Mammografie?

Kann sie jeden Brustkrebs

erkennen?

Page 18: Mammografie Screening - Bremen

Frauen überschätzen ihr Risiko, an Brustkrebs zu er-kranken oder zu sterben. Gleichzeitig verknüpfensie hohe Erwartungen an die Mammografie. Ineiner Schweizer Untersuchung konnten nur etwa 4 Prozent der befragten Frauen den Nutzen korrekt

angeben. Die Mehrzahl denkt, dass die Mammo-grafie Brustkrebs verhindern oder zumindest dasRisiko, an Brustkrebs zu erkranken, verringern kann.

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Hohe Erwartungen - überschätzter Nutzen

80

60

40

20

0

%

Verhindert Brustkrebs Reduziert das Risikoan Brustkrebs zu

erkranken

Weiß nichtHat keinen Einfluss aufdas Risiko, an Brustkrebs

zu erkranken

20

21

5559

27

18

8

2

RICHTIG

Schweiz (N = 1028)

Region Morges (N = 460)

Was wissen Frauen über den Nutzen der Mammografie zur Früherkennung?

Schweizerinnen aus der Region Morges, das ist die Region in der ein organisiertes Brustkrebs-Screening modell-haft eingeführt wurde, überschätzten den Nutzen der Mammografie noch mehr als Frauen anderer Regionen.(Quelle: Gianfranco Domenighetti: Impact of „Information Factor” on Demand for Screening, Einsiedeln 2000)

Kann man Brustkrebs wirklich heilen,

wenn er früh erkannt wird?

Page 19: Mammografie Screening - Bremen

PatientInnen und VerbraucherInnen haben einRecht, wissenschaftliche Ergebnisse so dargestelltzu bekommen, dass sie eine informierte Ent-scheidung treffen können. Die britische Ärzteschafthat international akzeptierte ethische Grundsätzeformuliert, die bei der Information über ein Scree-ning gesunder Menschen beachtet werden sollten.Die vom „Nationalen Netzwerk Frauen undGesundheit” herausgegebene Verbraucherinnen-Broschüre “Brustkrebsfrüherkennung” hat sich andiesen Standards orientiert und wurde inzwischenauch von der „Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätin der Medizin” als sehr gut bewertet.

Informationen, die Frauen brauchen, um eineinformierte Entscheidung treffen zu können:(www.patienten-information.de)

■ Was kann die Früherkennungsmammografie lei-sten, was kann sie nicht leisten?

■ Wie hoch ist die Strahlenbelastung?

■ Was weiß ich vor einer Mammografie-untersuchung und was weiß ich danach?

■ Wie häufig kommen falsch-negative und falsch-positive Testergebnisse vor? Welche Auswirkun-gen kann ein falsch positiver oder ein falschnegativer Befund auf mich haben?

■ Wann kommt es zur Überdiagnose und was sinddie gesundheitlichen Folgen einer Übertherapie?

■ Was ist, wenn ich eine Brustkrebsdiagnosebekomme? Wer berät und unterstützt mich?

■ Welche sozialen oder finanziellen Folgen kanndie Früherkennungsmammografie haben? (Zum Beispiel schlechtere Bedingungen beimAbschluss einer Versicherung, Probleme mitdem Arbeitgeber?)

■ Benennen die HerausgeberInnen oder AutorIn-nen einer Aufklärungsbroschüre mögliche eigeneökonomische Interessen oder finanzielle Ab-hängigkeiten?

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Amerikanische Ärzte fordern einebessere Aufklärung.

Hintergrund: Die Zahl der Kunstfehlerprozessewegen fehlerhafter Mammografien nahm in denUSA rapide zu. Schuld daran seien die unrealisti-schen Erwartungen, die die Öffentlichkeit mit derFrüherkennungs-Mammografie verbinde. (Randal, 2004)

Anforderungen an fundierte Aufklärung

Schützt die Mammografie

vor Brustkrebs?

Page 20: Mammografie Screening - Bremen

Wie Frauen die Informationen werten, hängt vonihrer persönlichen Lebenssituation ab.

Manche Frauen sind verwirrt von all den Zahlenund Statistiken. Sie wollen eine persönlicheEmpfehlung. Schließlich sagen die Daten nichtsdarüber aus, ob die einzelne Frau von der Mammo-grafie profitieren wird, ob sie zur Abklärung einesverdächtigen Befundes wieder eingeladen odervielleicht sogar unnötig operiert wird.

Eine fundierte Aufklärung ist die Basis, die helfenkann, zu einer eigenen Entscheidung zu finden.Infoveranstaltungen, öffentliche Diskussionen undGespräche können diesen Prozess unterstützen.Das kann eine der Aufgaben von MultiplikatorIn-nen vor Ort sein.

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„Was raten Sie mir jetzt? “

„Für Schuldgefühle gibt es keinen Grund”

„Vorsorgen ist immer gut!” Wer nicht „vorsorgt” istselbst schuld, wenn sie von dieser schweren Krankheitbefallen wird. Diese Drohung wirkt und verstärkt einer-seits die Angst, an Brustkrebs zu erkranken und gleich-zeitig das schlechte Gewissen, nicht alles medizinischEmpfohlene getan zu haben, um die Krankheit zu ver-hindern. Die Hamburger Ärztin Ingrid Mühlhauser: „DieFrauen müssen die möglichen Vor- und Nachteile abwä-gen. Keinesfalls sollte eine Frau Schuldgefühle haben,wenn sie nicht am Screening teilnimmt.” (Nationales Netzwerk Frauen und Gesundheit, 2004)

Kommt die Einladung

automatisch oder muss

ich mich anmelden?

Soll ich am Screening

teilnehmen oder nicht?

Sie haben bei mir einen

Tumor entdeckt. Sollte

ich vielleicht eine zweite

Meinung einholen?

Page 21: Mammografie Screening - Bremen

Frau Hauffe, Sie haben im Bremer Modellprojekt für das Brust-krebsscreening eine zentrale Rolle gespielt. Sie haben versucht,den organisatorischen Ablauf des Screenings zu beeinflussen,setzen sich für mehr Transparenz, unabhängige Beratung undvor allem für eine fundierte Informierung der Frauen ein.Wenn Sie zurückblicken: Ist Ihnen das gelungen?Ich habe versucht, die (Fach-)Kompetenzen von Frauen systema-tisch in den Entwicklungsprozess zu integrieren, insbesondereüber den Beirat. Dadurch haben Frauen deutlich zur Qualitäts-verbesserung des Angebots beigetragen. Das damalige Gesund-heits-Ressort, unter der Leitung der leider verstorbenen Senatorinfür Gesundheit Hilde Adolf, hat mich bei meinen Aktivitäten sehrunterstützt. Die unabhängigen Beratungsstellen konnten überdie bei ihnen eingehenden Fragen und Problemstellungen Ein-fluss nehmen. Fachverbände wie das Frauengesundheitszentrum,Pro Familia, die Bremer Krebsgesellschaft, aber auch dieUniversität Bremen haben über Veranstaltungen eine sehr guteÖffentlichkeit hergestellt. Und nicht zuletzt die Entwicklung einerfundierten Informationsbroschüre, die auf dem Hintergrund derBremer Erfahrungen entstanden ist, hat Zeichen in der ganzenRepublik gesetzt.

Waren Sie von vornherein miteinbezogen? Leider nicht bei der Antragsentwicklung. Alle relevanten BremerAkteure wurden 14 Tage bevor der Antrag für das Modellprojektbei der Planungsstelle Mammografie-Screening eingereicht wor-den ist, von dem Bremer Antragsteller eingeladen - auch mit derBitte, das Projekt zu unterstützen. Bei der Präsentation desProjekts beschlichen mich intuitiv Zweifel: Die Frau kam nicht vor- nur ihre Brust. Mich hat besorgt, dass Brustkrebs in Bremenzum öffentlichen Top-Thema gemacht werden könnte und vorallem auf der Klaviatur der Angst gespielt würde und sich Frauendadurch von ihrer Brust entfremden könnten. Ich habe mich

gefragt: Wie können Frauen das Screening aktiv mit gestalten,statt selbst gestaltet zu werden? Gleichzeitig war ich natürlichauch beeindruckt von den Aussagen, dass durch das Screeningviele Frauen vom Tod durch Brustkrebs bewahrt werden könnten.Damals kannte ich den wissenschaftlichen Streit über den Sinnder Früherkennung noch nicht.

Sollen sich Multiplikatorinnen über die wissenschaftlichenFakten informieren und in die Diskussion einarbeiten?Manche Laiinnen haben vielleicht eine Scheu, sich an der Diskus-sion, um das Screening zu beteiligen, weil sie denken, dass siezu wenig davon verstehen. Sicher braucht es ein gewisses Maßan Schlaumachen, aber nicht so, dass die Frauen nun zu Co-Wissenschaftlerinnen werden. Wichtiger ist, dass sie erkunden,ob ihnen persönlich die angebotenen Informationen ausreichen,um sich für oder gegen das Screening zu entscheiden. Übrigensauch Entscheidungswege sind dabei wichtig. Dies erfordertStrukturen und Angebote vor Ort.

An welche Strukturen und Angebote denken Sie dabei?Einmal natürlich an fundierte Informationen, wie sie zum Beispielmit der Broschüre vom Nationalen Netzwerk Frauen undGesundheit vorliegen. Doch dies reicht nicht. Frauen brauchenauch den persönlichen Austausch: sei es das Gespräch mit Arztoder Ärztin des Vertrauens, sei es mit der Nachbarin oder sei esbei öffentlichen Veranstaltungen. Ein solcher Diskurs muss natür-lich organisiert werden. Unsere Erfahrung ist, dass es wichtig ist,Frauen das Gefühl zu geben, dass ihre eigene Haltung einenWert hat, dass sie sich in den Prozess des lauten Denkens bege-ben können, ohne gleich von Experten oder Expertinnen gesagtzu bekommen, wo es lang geht. Reelle Informationen schaffendie Möglichkeit zur Entscheidung, be”mächt”igen also. Manchesprechen dann von „Empowerment.”

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DAS GESPRÄCH

„Frauenbeauftragte können den Ablauf des Screenings mitgestalten”

Ulrike Hauffe, Psychologin, Bremer Landesbeauftragte für Frauen und

bis März 2005 Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG)

Page 22: Mammografie Screening - Bremen

Demnächst werden Millionen Frauen einen Brief in ihremBriefkasten mit der Einladung fürs Screening finden. Wiehaben die Bremer Frauen auf die Einladung reagiert? Das Einladesystem spielt eine große Rolle. In Bremen hatten wiruns für das Gesundheitsamt als zentrale Einladungsstelle ent-schieden, weil wir dachten, dass bei einer solchen staatlichenStelle der Datenschutz am ehesten gewährleistet wird. Allerdingshatte dies den Effekt, dass Frauen oft von einer Vorladung spra-chen, so als wären sie verpflichtet dort hinzugehen. Und das,obwohl in dem Brief ausdrücklich steht, dass dies ein freiwilligesAngebot ist. Allein schon der Absender „Gesundheitsamt”bewirkte diesen Eindruck. Von welcher Stelle die Einladungen ver-schickt werden, wird übrigens jede Region für sich entscheiden.MultiplikatorInnen sollten dies aufmerksam beobachten undgegebenenfalls Einfluss darauf nehmen.

Welche Rolle kann eine kommunale Frauenbeauftragte imScreening-Verfahren spielen?Das Brustkrebsscreening reduziert die Frauen auf ihre Brust.Frauenbeauftragte vertreten aber Frauen. Deshalb kommt ihnendie wichtige Funktion zu, die Lebenswelt der Frauen mit ein zubeziehen und auf Ganzheitlichkeit zu pochen. Sie können Gestal-terinnen eines kommunalen Prozesses sein. Durch ihr Amt habensie eine Querschnittsfunktion. Sie können sich einmischen undzum Beispiel einen „Runden Tisch” zum Screening initiieren.

Wie kann das praktisch aussehen?Zu allererst Kontakt mit den Screening-Verantwortlichen aufneh-men und sich über den konkreten Ablauf des Screenings infor-mieren. Dann kann sie sich überlegen, wie sie mit dem Thema inder Stadt oder in der Region umgehen will. Was brauchen Frauendamit der Prozess transparent und in ihrem Sinne abläuft? Wenholen wir alles an einen Runden Tisch, können wir zum Beispielzusammen mit dem Gesundheitsdezernat eine öffentlicheDebatte in der Kommune herstellen? Vielleicht gibt es in derRegion auch psychosomatisch arbeitende Ärzte und Ärztinnenoder PsychologInnen, die sich an einem solchen Gremium beteili-gen wollen. Oder Pro Familia, die Landfrauen ... .

Gab es in Bremen einen Runden Tisch? Es gab den „Beirat” als Gremium mit einer Geschäftsordnung.Darin waren verschiedene Gruppen vertreten wie Krankenkassen,Bremer Senator für Gesundheit, die Screeningverantwortlichen,die Ärztekammer, bestimmte Berufsverbände, die Universitätaber auch der Landesfrauenrat, der Arbeitskreis Frauengesund-heit (AKF), das Bremer Forum Frauengesundheit und ich alsLandesfrauenbeauftragte. Für mich hat sich der Beirat bewährt,weil wir Frauen den Prozess zumindest in einigen wichtigenPunkten aktiv mitgestalten konnten - vor allem die Öffentlich-

keitsarbeit, die oft sehr kontrovers diskutiert wurde. Ich erinneremich an einen Vorschlag der Screeningstelle für ein Plakat. Inganz Bremen sollten Brustbilder einer jungen Frau geklebt wer-den, deren Brüste wie Zielscheiben bemalt waren.

Was haben Sie gegen ein solches Plakat?Man wollte mit dem Plakat, das eine große und teure Werbe-firma entworfen hatte, den Frauen Angst machen, um sie so insBrustkrebsscreening zu locken. Schließlich sollten ja 70 Prozentder Bremer Frauen daran teilnehmen, um es als erfolgreich de-klarieren zu können. Doch die Botschaften waren alle falsch: DieBrust ist keine Zeitbombe, die in die Luft fliegt, wenn man nichtschnell zur Mammografie geht. Außerdem bewahrt dieses Verfah-ren nicht unbedingt vor dem Tod an Brustkrebs. Und außerdemist die Angst vor dem Tod durch eine Brustkrebserkrankung vielhöher als das reale Risiko. Solche plakativen Methoden schürenAngst, ohne ihr etwas Adäquates entgegen setzen zu können.

Sie haben in Bremen auch eine unabhängige Beratung gefordert......und für zwei Jahre, also in der Anfangsphase, durchgesetzt.Die Entscheidung für oder gegen eine Früherkennungsmammo-grafie ist für viele Frauen sehr ambivalent. Sie müssen sich des-halb an jemanden wenden können, der sie in ihrem Weg zurEntscheidung begleitet. Ich spreche nicht von einer Beratung, wiesie in der Medizin üblich ist, im Sinne von: „Ich rate dir”, son-dern im Sinne von: „Ich begleite dich in deinem Entscheidungs-prozess”. Die unabhängige Beratung wurde von zwei Stellenangeboten: dem Frauengesundheitszentrum, das vor allemgesunde Frauen anspricht und der Bremer Krebsgesellschaft, dieerkrankte Frauen kompetent beraten kann. Die Beratung fandam Telefon, im Internet oder auch in persönlichen Gesprächenstatt und wurde gut angenommen. Vor allem in der Anfangs-phase des Screenings ist eine Beratung hilfreich.

Sehen Sie die Gefahr, dass Frauenbeauftragte auch als Werbe-trägerinnen für das Screening funktionalisiert werden könnten? Mit diesem Ansinnen wurde zumindest ich konfrontiert - und ichweiß es auch von anderen Frauenbeauftragten. Dieses Angebot,mit dem Screening angeblich Leben retten zu können, ist auf denersten Blick bestechend. Doch sollten wir nicht zur Kämpferin füreine Methode, also zur Vermarkterin eines Produktes werden.Vielmehr sehe ich unsere Aufgabe darin, Frauen zu befähigen,damit sie sich selbst für oder gegen die Früherkennungsmammo-grafie entscheiden können. Unsere Aufgabe ist es, Frauen dieMöglichkeit zu verschaffen, selbst bestimmt zu handeln. Unddas wird dann besonders bedeutsam, wenn wir entdecken, dasssie durch mangelnde oder Interessen geleitete Informationen ineine bestimmte Richtung gedrängt werden sollen.

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Page 23: Mammografie Screening - Bremen

Eine Reihenuntersuchung auf Brustkrebs einzufüh-ren wirft bei den 50- bis 69-jährigen Frauen vieleFragen auf: „Warum werde gerade ich eingeladen?Wissen die etwas über mich, was ich noch nichtweiß? Muss ich da hingehen? Ist die Mammografieim Screening-Zentrum wirklich besser? Bin ichdenn in meinem Alter so brustkrebsgefährdet, dasses nun schon Reihenuntersuchungen gibt?”Aber auch Frauen, die noch nicht oder nicht mehrin diese Altersgruppe passen, suchen Auskünfte:„Ich bin 45, warum darf ich nicht zum Screening?Ist eine Mammografie noch mit 73 sinnvoll?”

Nicht jeder Frau reichen die schriftlichen Informa-tionen, egal wie fundiert und gut vermittelt siesind. Sie wollen sich mit anderen Frauen austau-

schen oder auf Veranstaltungen mit ExpertInnendas Für und Wider diskutieren. Darüber hinaussuchen Frauen auch das persönliche Gespräch miterfahrenen Beraterinnen. In Bremen waren Infor-mations- und Beratungsangebote bei der BremerKrebsgesellschaft und dem Frauengesundheits-zentrum angesiedelt.

Im bundesweiten Brustkrebs-Screening-Programmsind bisher keine unabhängigen Informations- undBeratungsangebote geplant. Es könnte eine Aufga-be der Akteurinnen und Akteure vor Ort sein, sichdafür einzusetzen.

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KAPITEL 3

Öffentlicher Diskurs und unabhängige

Beratung

„Um eine Entscheidung treffen zu können, braucht es mehr als Informationen: Es müssen die persönlichen,moralischen und sozialen Ressourcen zum Tragen kommen. Das Ziel war in den persönlichen Gesprächenmit den Frauen über ihre Fragen, Ängste, emotionalen Konflikte zu sprechen sowie für ihre Lebenssituationgemeinsam Wege zu entwickeln.” (Bremer Krebsgesellschaft, Abschlussbericht 2003)

Page 24: Mammografie Screening - Bremen

Die Einführung einer Reihenuntersuchung ist nichtnur ein technisch-organisatorischer Prozess. Siebetrifft Millionen von Frauen zwischen 50 und 69Jahren. Durch das Screening werden mehr Frauenmit der Erkrankung konfrontiert, sei es dass beiihnen etwas Verdächtiges gefunden worden istoder dass die Frau selbst, eine Freundin oderNachbarin eine Diagnose gestellt bekommen hat.Immerhin sind zum Beispiel in Bremen 2002 dieBrustkrebsdiagnosen im Vergleich zu den Vorjah-ren um mehr als 50 Prozent gestiegen. (Giersiepen,

2005) Man könnte nun der Meinung sein, das wäreprima und schon in den nächsten Screening-Runden würde sich die Brustkrebsinzidenz wiedernormalisieren. Daten aus anderen Screening-Ländern zeigen aber, dass die Brustkrebsdiagnosendauerhaft hoch bleiben, so dass davon auszugehenist, dass das Screening eine Überdiagnose undÜbertherapie zur Folge hat. (Zahl, 2004) Dies bringtUnruhe in ein Gemeinwesen.

Informations-veranstaltungen

Bereits vor dem Start des Modellprojekts wurde inder Bremer Öffentlichkeit heftig und oft sehr emo-tional über den Sinn oder Unsinn eines Brustkrebs-Screenings debattiert. Diesen Diskurs initiiertenunterschiedliche Institutionen zum Teil auch inKooperation: die Bremische Zentralstelle für dieVerwirklichung der Gleichberechtigung der Frau(ZGF), das Zentrum für Public Health der Uni-versität Bremen, das FrauengesundheitszentrumBremen e.V., die Träger des Modellprojekts, dieÄrztekammer. Die zahlreichen Veranstaltungenwurden von Experten und Expertinnen, aber auchvon betroffenen Frauen gut besucht. (Koppelin, 2001)

Darüber hinaus organisierten die Beraterinnen desFrauengesundheitszentrums, der Bremer Krebs-gesellschaft und von Pro Familia zahlreiche stadt-teilbezogene Foren, zum Teil in Kooperation mitden Betreibern des Modellprojekts.

Beratung

Die Reihenuntersuchungen finden in einem anony-men Rahmen statt. Umso wichtiger sind Ansprech-partnerinnen, mit denen Frauen in jeder Etappeder Screeningkette ihre Fragen, Ängste undHoffnungen besprechen können. Bedenkenswertist, dass unabhängige Beratungsstellen, die nichtunter dem „Erfolgsdruck der hohen Beteiligung”stehen, ergebnisoffener informieren und beratenkönnen. Beratungen können beispielsweise bei ProFamilia, im Gesundheitsamt oder im Frauen-gesundheitszentrum stattfinden.

Im Bremer Modellprojekt war ursprünglich einesolche unabhängige Beratung nicht vorgesehen.Sie war unter anderen von der Bremer Landes-frauenbeauftragten gefordert und zwischen 2001und 2003 vom Bremer Senator für Gesundheit

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Öffentliche Fragen und stille Ängste

Wie gefährlich ist die

Mammografie, wie hoch

die Strahlenbelastung?

Page 25: Mammografie Screening - Bremen

finanziert worden. Angesiedelt waren die Informa-tions- und Beratungsangebote beim Frauengesund-heitszentrum und der Bremer Krebsgesellschaft.Diese boten sowohl Infos im Internet an, als auchTelefonberatung oder das Gespräch im persön-lichen Kontakt.

Frauen, die sich noch nicht entschieden hatten,kontaktierten vor der Mammografie eher dasFrauengesundheitszentrum. Brustkrebspatientinnen(und ihre Angehörigen) oder Frauen mit unklaremBefund und speziellen Fragestellungen suchtendagegen eher bei der Bremer KrebsgesellschaftRat. Überrascht waren die Beraterinnen, dassFrauen mit einer Wiedervorladung und unklaremBefund sich selten meldeten. Sie warteten in derRegel erst das Ergebnis der Abklärungsdiagnostikab. Andererseits riefen Frauen, die nicht in die

betroffene Altersgruppe gehörten oder im Umlandwohnten, an und erkundigten sich zum Beispielnach den Kriterien für eine qualitätsgeprüfteMammografie. Die Fragen, die in dieser Broschürebeispielhaft zitiert sind, stammen aus der Doku-mentation der Bremer Beraterinnen.

Beschwerden, zum Beispiel über den Ablauf desScreenings, leiteten die Beraterinnen an den„Beirat”, einem Gremium aus VertreterInnen unter-schiedlicher Institutionen, weiter. (siehe Kapitel 4)

Organisatorische Fragen - wie die Verschiebungdes Mammografie-Termins - konnten Frauen ameigens eingerichteten Info-Telefon des Screening-Projekts klären. Selbst die Betreiber des Modellpro-jekts überraschte die hohe Zahl der Anruferinnen.

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Was Sie vor Ort tun können

Frauenbeauftragte und andere Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sind gefordert, ihre Kompetenzen bereits im Vorfeldzu bündeln. Dazu einige Tipps, die sich an den Erfahrungen der Bremer Beraterinnen und anderer lokaler Akteurinnen orien-tieren. (vgl. Bremer Krebsgesellschaft, 2003)

• Eine enge Kooperation mit den verschiedenen kommunalen Beratungsangeboten und anderen MultiplikatorInnen istnotwendig und hilfreich.

• Die Akteurinnen können Öffentlichkeitsarbeit organisieren und helfen, einen kommunalen Diskurs zu initiieren. Sie kön-nen stadtteilbezogene Informationsveranstaltungen mitgestalten. Beraterinnen kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

• Die Beratungs-Angebote sollen niedrigschwellig sein: leicht erreichbar, unbürokratisch, zentral. Telefon- undInternetberatung hat sich bewährt.

• Die Beraterinnen brauchen neben psychosozialer Beratungskompetenz auch medizinisches Wissen. Sie müssen denaktuellen wissenschaftlichen Stand und die Diskussionen um die Früherkennung kennen.

• Wichtig ist es, sich nicht nur auf die Brust als krankheitsgefährdetes Organ zu beziehen, sondern Frauen zu ermutigen,ihre Brust als Teil des eigenen Körpers wert zu schätzen. Angebote, die die eigene Wahrnehmung der Brust fördern,können dabei helfen.

Page 26: Mammografie Screening - Bremen

Mit der Einladung zum Screening bekam jede Frau eine klei-ne Informationsbroschüre zugeschickt, in der das Für undWider besprochen worden ist. Und trotzdem suchten nochzahlreiche Frauen bei Ihnen Rat?

Lange: Obwohl Broschüre und Einladungsschreiben in einerverständlichen Sprache geschrieben sind, hatte ich denEindruck, dass manche Anruferin sie entweder nicht gelesenoder nicht verstanden hatten. Etliche Frauen haben gesagt:„Da hat mir irgendjemand so einen Zettel geschickt mit einerEinladung zum Brustkrebs-Screening. Das sagt mir alles über-haupt nichts. Muss ich denn da jetzt hin?” Mit diesen Begriff„Screening” konnten viele Frauen nichts anfangen. Dass sienun zu einer Art Reihenuntersuchung eingeladen werden sollen,hat manche erschreckt. Mertesacker: Über die Hälfte der Anruferinnen im Frauen-gesundheitszentrum stellte Fragen zur Organisation desMammografie-Screenings, knapp vierzig Prozent hatten inhalt-liche Fragen. Viele Fragen entstehen ja erst, nachdem grundle-gende Informationen vermittelt worden sind. Ein Screening zurFrüherkennung einer Erkrankung, zu dem eine Bevölkerungs-gruppe flächendeckend eingeladen wird, ist ja neu in unseremGesundheitssystem. Aus vielen Beratungsgesprächen wissen wirbeispielsweise, dass die betroffenen Frauen den Unterschiedzwischen einer Screening-Mammografie und einer diagnosti-schen Mammografie nicht kennen. Auch die Frage, woran Qua-lität in Diagnostik und Behandlung zu erkennen ist und wiejede Frau diese bestmögliche Qualität für sich bekommen kann,war ein wichtiges Thema in der Beratungsarbeit.Wir haben versucht, die Frauen in Gesprächen zu ermutigen,ihre eigenen Fragen zu formulieren und sie an die entsprechen-den Stellen zu richten. Es war nicht unser Ziel, Ratschläge zuerteilen, sondern die Frauen durch objektive Information überdas Für und Wider zu einer eigenen Haltung zu ermutigen.

Wollen die Frauen nicht eher Rat, ob sie zur Mammografiegehen sollen oder nicht?

Lange: Nicht immer. Etliche Anruferinnen fragten uns zwar, obwir nun die Mammografie empfehlen oder nicht. Doch wir nah-men das als Einstieg ins Gespräch, in dessen Verlauf es dannauch um Ängste, Hoffnungen und die eigene Lebenssituationging. Da zum Brustkrebs-Screening gesunde Frauen eingeladenwerden, ist die Aufklärung und Beratung ganz besonders diffizil.Nüchterne Fakten allein reichen nicht aus, um sich entscheidenzu können. Bei der Beratung haben wir deshalb nicht nurRisikozahlen und Berechnungen des Nutzens in den Mittel-punkt gestellt. Wir schufen auch Raum für die damit verbunde-nen Gefühle, um so den Frauen zu helfen, mit ihren Ängstenumzugehen.

Über welche Ängste haben Frauen vorwiegend gesprochen?

Lange: Zum Beispiel: „Ich habe Angst, dass bei mir Brustkrebsentdeckt wird. Was kommt dann auf mich zu? Lieber will ichdas gar nicht wissen.” Zum Teil wurde die Angst vor Brustkrebsauch durch die Berichterstattung in den Medien verstärkt. Mertesacker: Besonders nach Medienberichten zum ThemaBrustkrebs riefen viele Frauen an. Sie wollten dann beispiels-weise wissen, wie hoch ihr persönliches Risiko an Brustkrebs zuerkranken denn nun wirklich ist, oder ob sie Brustkrebs vor-beugen können. Manche Frauen erkundigten sich auch nachmöglichen Risiken der Mammografie, zum Beispiel derRöntgenstrahlung.

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DAS GESPRÄCH

„Eine persönliche Entscheidung braucht mehr als Zahlen”

Die Psychologin Marlies Lange (Bremer Krebsgesellschaft e.V.) und die Sozialpädagogin Heike Mertesacker

(früher Frauengesundheitszentrum Bremen e.V.) über ihre Beratungen im Rahmen des Bremer Modellprojekts.

Marlies Lange

Heike Mertesacker

Page 27: Mammografie Screening - Bremen

Welche Rolle spielten denn die niedergelassenen Ärzte in demModellprojekt?

Lange: Manche niedergelassenen Ärzte rieten ihren Patientin-nen ab, an der Reihenuntersuchung teilzunehmen. Gleichzeitiglasen die Frauen in der Zeitung: Die Mammografie imScreening-Zentrum ist die beste. Einige Ärzte schickten danndie Frauen - wie vorher auch schon - zum niedergelassenenRadiologen zur Mammografie. Die Frauen hatten nun abergelesen, dass diese Mammografien im so genannten „grauenScreening” minderwertig wären. Wem sollen sie nun glauben?Frauen konnten nicht einschätzen, ob der Arzt die Mammogra-fie im Screening-Zentrum ablehnte, weil sie schlecht ist oderweil das Modellprojekt nichts taugt oder weil er die Mammogra-fie generell für kein geeignetes Mittel zur Früherkennung hält.Mertesacker: Manche Frauen, die jahrelang eine Mammo-grafie bei ihrem niedergelassenen Gynäkologen hatten durch-führen lassen und nun zum Screening gehen wollten, kamen inLoyalitätskonflikte. Dies war besonders dann der Fall, wenn ihreigener Arzt sich kritisch gegenüber dem Screening äußerte. Lange: Das Problem des ganzen Modellprojektes war, dass dieVerantwortlichen vor allem die technische Seite der Diagnostikinteressierte und die psychosoziale Seite der Frau dabei ausge-blendet wurde. Insgesamt waren wir aber erstaunt, wie wenigFrauen sich zwischen der Einladung zum Assessment (das heißtzur genauen Abklärung der Diagnose) und endgültiger Befund-mitteilung bei uns meldeten. Erst nach der Befundmitteilungkamen viele Ratsuchende.

Mit welchem Anliegen kamen die Frauen nach derBefundmitteilung?

Mertesacker: Frauen mit einem positiven Befund brauchtengenügend Raum und Zeit, um über ihre Fragen, Nöte und Äng-ste zu sprechen. Wir haben versucht, die Frauen zu ermutigen,dieselben Fragen auch wiederholt zu stellen und auf einer fürsie verständlichen Information zu bestehen. Frauen mit spezifi-schen Fragen zu ihrer eigenen Diagnose oder Behandlungerkundigten sich meist nach den Adressen regionalerBeratungsstellen oder nach Informationsmöglichkeiten in derLiteratur und im Internet. Besonders die Frauen, bei denen imScreening eine Krebsvorstufe diagnostiziert worden war, warensehr verunsichert, da sie eine eindeutige Aussage erwartet hat-ten, im Sinne von: „Sie sind gesund” oder „Sie sind krank”.Diese Frauen hatten meist noch weitergehenden Beratungs-bedarf.

Bezieht sich das auf das In-situ-Karzinom?

Lange: Ja unter anderem. Die Beratung ist in diesen Fällenschwierig. In-situ-Karzinome sind im Grunde genommen„Krebse vor Ort”, das heißt eine Krebsvorstufe: Der Tumorbeschränkt sich mit seinem Wachstum auf die Milchgänge oderDrüsen und wuchert nicht in umliegendes Gewebe hinein. DieFrage, die sich hierbei stellt, ist, ob überhaupt und wann sichdaraus ein invasives Karzinom entwickelt. Dies exakt vorauszu-sagen, ist bisher noch nicht möglich. Am häufigsten kommtdas In-situ-Karzinom in den Milchgängen vor, oft an mehrerenStellen im Gangsystem gleichzeitig. Die Ansichten darüber, wiedann am besten zu behandeln sei, gehen auseinander, zumTeil wird zur Amputation der Brust geraten oder zur brusterhal-tenden Operation. Wenn eine Frau mit der Diagnose eines In-situ-Karzinoms konfrontiert ist, versuchen wir, sie in ihremEntscheidungsprozess zu unterstützen. In diesem Fall wird dieFrage entscheidend, wie viel Unsicherheit die Frau aushält. Dieeine Frau sagt: „Da ist zwar ein In-situ-Karzinom diagnostiziertworden, aber ich lasse mich nicht operieren, lasse es vielleichtnur engmaschiger beobachten.” Und die andere sagt: „Ichkann mit diesem Befund nicht leben und begebe mich jetztsofort in die medizinische Maschinerie, am besten lasse ich mirdie Brust amputieren.” Und es ist eben nicht nur die Frau selbstdie in Panik geraten kann, sondern auch ihr Umfeld. Icherinnere mich an einen Fall, bei dem sich eine Frau mit einemIn-situ-Befund von ihrer Familie und ihren Bekannten so unterDruck gesetzt fühlte, sich gleich operieren zu lassen, dass sieam liebsten erst einmal auf eine einsame Insel geflüchtet wäre.

Ist durch das Screening die Anzahl der Frauen, die sich miteinem Brustkrebsbefund an die Krebsgesellschaft gewandthaben, insgesamt gestiegen?

Lange: Ja. Eine Frau, die sich gesund und munter fühlt, kanneben durch eine Früherkennungsmammografie von einerMinute zur anderen zur Brustkrebspatientin werden, das heißtsie muss sich neben den körperlichen Beschwerden, die eineBrustkrebstherapie verursachen kann, auch auf ein Leben mitKrebs einstellen. Sie ist mit Fragen konfrontiert, wie zum Bei-spiel: „Welche Auswirkungen hat dies auf meinen Arbeitsplatz?Kann ich jetzt überhaupt noch eine private Kranken- oderLebensversicherung abschließen? Wie gehen mein Partner,meine Kinder, meine Freundin, meine Nachbarin mit meinerKrebsdiagnose um?”

27

Page 28: Mammografie Screening - Bremen

Unsere langjährige Beratungskompetenz und Erfahrung alsKrebsgesellschaft hat sich bewährt. Gerade Brustkrebspatientin-nen brauchen eine Atmosphäre, die Vertrauen schafft, aberauch Hilfestellungen, um sich im medizinischen Dschungelzurechtzufinden. Wir haben verschiedene Angebote für Brust-krebspatientinnen entwickelt. Zum Beispiel sprachen wir betrof-fene Frauen aus den Selbsthilfegruppen an, ob sie nicht neuerkrankte Frauen beraten und begleiten können. Dieser Ansatzist sehr erfolgreich, da die Frauen sehen, dass ihr Leben weitergeht und häufig sogar noch bewusster gestaltet werden kann -trotz Brustkrebs.

Schürte die Einführung des Brustkrebs-Screenings die Angstvor dieser Krankheit?

Lange: Schwierig zu sagen. Natürlich ist die Frage wie, vonwem und mit welcher Absicht über Brustkrebs öffentlich ge-sprochen wird. Da wären mehr Sensibilität und weniger Über-treibung gut. Andererseits versuchen wir auch als Krebsgesell-schaft, zum Beispiel mit Veranstaltungen diese Erkrankung ausdem Tabubereich herauszuholen. Das öffentliche Sprechenerzeugt aber gleichzeitig Angst bei den nicht erkranktenFrauen. Sie denken, oh das kann ja auch mich treffen und dasstimmt ja auch - wie übrigens jede andere Erkrankung auch.Aber es gibt so viele Missverständnisse über Krebs und vorallem über Brustkrebs. Manche denken, Brustkrebs wäre eineansteckende Krankheit und man dürfte jetzt der erkranktenNachbarin nicht mehr die Hand geben. Mir ist ganz wichtig zusagen, man kann mit Brustkrebs leben, zum Teil auch gutleben - seid achtsam, aber nicht nur, was Brustkrebs betrifft,sondern mit eurem Körper überhaupt. Manchmal kommenFrauen hierher und machen sich selbst Vorwürfe, weil sie sicherst mit Brustkrebs auseinandergesetzt haben, als sie selbsterkrankt sind. Dann kann ich nur sagen: Wie gut, warum solltesie sich auch vorher damit auseinandersetzen? Das Ziel mussdoch sein, sensibel und gut mit sich selbst umzugehen undnicht ständig daran zu denken, welche Krankheiten manbekommen könnte. Das Leben sollte glücklich sein, mit oderohne Krankheit.

28

Mein Radiologe reagierte stinksauer,

als ich ihn fragte, wie viele

Mammografien er im Jahr durchführt.

Er meint, ich soll mir einen anderen

Arzt suchen. Zu wem soll ich denn

jetzt gehen?

Was sind die Ursachen von Brustkrebs?

Ich arbeite in einer Firma, wo mehrere Kolleginnen erkrankt

sind. Könnte dies auch auf eine Gefährdung durch den

Arbeitsplatz hindeuten?

Page 29: Mammografie Screening - Bremen

Reihenuntersuchungen auf Brustkrebs in einemGemeinwesen einzuführen erfordert logistischeAnstrengungen und eine hohe Sensibilität in derAusgestaltung des Ablaufs. Mediziner undMedizinerinnen sind deshalb gut beraten, auf dieFachlichkeit anderer Professionen und sonstigerkommunaler AkteurInnen zurückzugreifen.Schließlich ist Qualitätssicherung mehr als eingutes Mammografiegerät und die Abstimmungzwischen Pathologen und Chirurgen.

Ein Gremium, das verschiedene Beteiligte an einenTisch bringt, ist in den Richtlinien für ein Mammo-grafie-Screening nicht vorgeschrieben. Ein solchesGremium kann aber für Transparenz sorgen: Dieinteressierte (Frauen-)Öffentlichkeit hat dann nichtden Eindruck, dass über sie hinter verschlossenen

Türen verhandelt wird, sondern fühlt sich aktiv inden Prozess einbezogen. Außerdem ermöglicht einsolches Gremium, Probleme und Kritik im Ablaufder Reihenuntersuchung schnell in den Screening-Prozess einzuspeisen. Ein „Runder Tisch” dient derQualitätssicherung vor Ort. Wie lange ein solchesGremium besteht, hängt von den regionalenGegebenheiten ab.

Auch wenn die Richtlinien zum Mammografie-Screening kein solches Gremium vorsehen, kann eswesentlich zur Qualitätsverbesserung des Scree-ning-Prozesses beitragen. Deshalb empfiehlt sich,dass MultiplikatorInnen von sich aus einen„Runden Tisch” gründen und die Screening-Verantwortlichen dazu einladen.

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KAPITEL 4

Transparenz für mehr Qualität

Gesundheitsförderliche Konzepte können nur dann zielgerichtet auf die spezifischen Lebensbedingungen vonFrauen ausgerichtet sein, wenn sie von Frauen als Fachfrauen verschiedener Professionen und alsNutzerinnen des Gesundheitswesens mitgestaltet sind. Das heißt, die interdisziplinäre Besetzung undgeschlechtsspezifische Quotierung von Entwicklungs- und Entscheidungsgremien ist ein Mittel zur grund-sätzlichen Qualitätssicherung von Früherkennungsmaßnahmen. ... In der derzeitigen Debatte um dieEinführung einer mammografischen Reihenuntersuchung dominiert der einseitige Blick auf die Verbesserungeines bestimmten Diagnoseverfahrens. Erst durch die Einflussnahme von (Fach-)Frauen auf diese Debatte fin-det eine frauengerechte Konzeptentwicklung statt: Frauen wollen bei Prävention, Diagnostik, Erkrankung,Therapie und Nachsorge als ganze Person wahrgenommen und „behandelt” werden. (Hauffe, 2001)

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Im Bremer Modellprojekt Brustkrebs-Screeningwurde ein „Beirat” offiziell berufen. Er hatte dieAufgabe, die für das Screening Verantwortlichen inihrer Öffentlichkeitsarbeit zu beraten. Ursprünglichwar der Beirat nur mit VertreterInnen des Modell-projekts, der Krankenkassen, der Ärztekammer, desBerufsverbandes der Gynäkologen und Radiologen,des Senators für Gesundheit, des Bremer Institutsfür Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS)und der Landesfrauenbeauftragten besetzt. AufIntervention der Landesfrauenbeauftragten wurdedas Gremium dann für weitere engagierte Frauen(Vertreterinnen des Arbeitskreises Frauengesund-heit (AKF), der Bremer Krebsgesellschaft, des kom-munalen Forums Frauengesundheit und desLandesfrauenrates) geöffnet.

Im Beirat wurden Einladungsschreiben, Aufklä-rungsbroschüren, der Internetauftritt oder anderenAktionen, die das Brustkrebs-Screening bekanntmachen sollten, besprochen und über das Vor-gehen entschieden. Probleme des Datenschutzesund des Screening-Ablaufs, zum Beispiel bei derAnmeldung, bei der Untersuchung selbst oderwährend der Abklärungsdiagnostik, kamen imBeirat zur Sprache. Der für das Screening verant-wortliche Arzt hat diese Beschwerden aufgenom-men und in der Regel im weiteren Verfahrenberücksichtigt.

Der Bremer Beirat traf sich mehrmals im Jahr. ImMärz 2005 wurde er aufgelöst, da das BremerModellprojekt inzwischen in die Regelversorgungintegriert worden ist. Die „heiße” Anfangsphase istdamit vorbei und die Frauen der betreffendenAltersgruppe bekommen inzwischen die Einladungzur zweiten Screening-Runde.

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Der Bremer „Beirat”

Wie sieht dieZusammenarbeit zwischen

niedergelassenen Ärzten,

Radiologen, Kliniken und

den Ärzten aus dem

Screening Projekt aus?

Ich nehme Wechseljahrshormone ein.

Stimmt das, dass dadurch die

Mammografie schlechter zu beurteilen ist?

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Was Sie vor Ort tun können

• Sorgen Sie für Transparenz

• Fordern Sie die Veröffentlichung der Daten und richten Sie öffentliche Anfragen zum Beispiel an dieKommune.

• Tauschen Sie sich mit dem programmverantwortlichen Arzt in regelmäßigen Abständen aus.

• Initiieren Sie eine unabhängige und zentrale Stelle, die alle Beschwerden dokumentiert und denlokalen Betreibern des Screenings mitteilt.

Braucht man eine Beschwerdestelle?

Ich würde es nicht so negativ als Beschwerdestelle bezeichnen,eher als Vertrauensstelle, an die sich Frauen wenden können,wenn sie Anregungen oder Kritik haben. Aber diese Stelle mussvon denjenigen, die das Screening durchführen, unabhängig sein.Kritikpunkte müssen den Screening-Verantwortlichen übermitteltwerden. Ein kleines Beispiel: Bei mir riefen einige Frauen an, die erzählten,dass sie ins so genannte „Assessment-Zentrum” eingeladen wor-den sind, damit ihr Befund noch einmal abgeklärt wird. ImWartezimmer trafen sie dann Nachbarinnen, weil ja immer stra-ßenweise zum Screening eingeladen wurde. Das habe ich dannim Beirat eingebracht. Das Problem war einfach, dass gerade auch die Männer im Beirat,sei es die für das Screening verantwortlichen Radiologen, oder dieHerren von der Krankenkasse nur wenig Gespür hatten, wie sichFrauen in einer solchen Situation fühlen könnten. Für mich war esüberhaupt immer wieder beeindruckend, wie in dem Brustkrebs-Screening die Frauen ausgeblendet wurden. Es ging vor allem umRöntgenbilder, Röntgenapparate und um Brüste. Die Frage war,wie werden die Brüste der Frauen am besten verwaltet, wenigerwas brauchen die Frauen in der besonderen Situation einesVerdachtsbefundes oder einer Brustkrebsdiagnose.

Dr. med. Ursula Auerswald, inzwischen verstorbene Bremer Ärztekammerpräsi-dentin und Vorsitzende des Beirats, Juli 2004

Ich bin jetzt nach der

Mammografie nochmals vorgeladen

worden, weil man was gefunden

hat. Wie geht es jetzt weiter?

Page 32: Mammografie Screening - Bremen

Verwendete Literatur:

Bremer Krebsgesellschaft e.V., UnabhängigesInformations- und Beratungsangebot BremerBrustkrebs-Screening Programm, Abschlussbericht2003, siehe www.bremerkrebsgesellschaft.de

Giersiepen, K. et al., Dtsches Arztebl 2004; 101:A2117-2122

Giersiepen, K., Bremer Krebsregister - weiterhinerfolgreich, Bremer Ärztejournal, 2/05

Gigerenzer, G., Das Einmaleins der Skepsis, Überden richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken,2002

Hauffe, U., Scheinhardt, I., Brust ohne Frauen?Anforderungen an eine frauengerechteGesundheitsversorgung und Gesundheitspolitik inKoppelin, F., 2001

Joergensen, K., Goetzsche, P., Presentation onwebsites of possible benefits and harms fromscreening for breast cancer: cross sectional studyin bmj.com 2004;328:148

Junkermann, H., Protokoll der 10. Sitzung desBeirats des Bremer ModellprojektesMammographie-Screening vom 15.3.2005

Kassenärztliche Bundesvereinigung, Einführungeines bundesweiten Mammograpie-Screening-Programms, Beilage zum Deutschen Ärzteblatt,Heft 4, 23.1.2004, Ausgabe A, www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp?typ=PDF&id=1244

Kooperationsgemeinschaft Mammografie in derambulanten vertragsärztlichen Versorgung,Tätigkeitsbericht 2004, www.kooperationsgemeinschaft-mammografie.de

Koppelin F. et al., Die Kontroverse um dasBrustkrebs-Screening, Bern, 2001

Kurzenhäuser, St., Welche Informationen vermit-teln deutsche Gesundheitsbroschüren über dieScreening-Mammographie?Z.ärztl.Fortbild.Qual.sich.(ZaeFQ), 2003, 97:53-57

Kürzl, R., Evidenzbasierte Missverständnisse beimMammakarzinom in Dtsches Arztebl 2004, 101:A2387-2390

Nationales Netzwerk Frauen und Gesundheit,Brustkrebsfrüherkennung, Informationen zurMammografie - Eine Entscheidungshilfe, 2004 alsPDF - Datei herunterzuladen: www.nationales-netzwerk-frauengesundheit.de

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Literatur & Links

Page 33: Mammografie Screening - Bremen

Olsen O., Goetzsche P., Cochrane review on scree-ning for breast cancer with mammography inLancet 2001;http//image.thelancet.com/lancet/extra/fullreport. pdf

Randal, J., High expectation for mammography atheart of many breast cancer malpractice cases inJournal of the National Cancer Institute, 2004; 96:429-430

Rasky, E., Groth, S., Informationsmaterialien zumMammographie-Screening in Österreich -Unterstützen sie die informierte Entscheidung vonFrauen, Soz.-Präventivmed.49; 2004; 391-397

Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion imGesundheitswesen, Gutachten 2000/2001, Band III

Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion imGesundheitswesen: Finanzierung, Nutzerorien-tierung und Qualität, Gutachten 2003, Band I

Thornton, H. et al., Women need better informa-tion about routine mammography, BMJ 2003;327:101-3

Zahl, P. et al., Incidence of breast cancer inNorway and Sweden during introduction ofnationwide screening: prospective cohort study,BMJ 2004; 328:921-924,

Bücher zum Weiterlesen...

Gigerenzer, Gerd, Das Einmaleins der Skepsis, Überden richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken,Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag 2004

Koppelin, Frauke et al.,Die Kontroverse um dasBrustkrebs-Screening, Bern: Hans Huber, 2001

Love, Susan M.; Lindsey, Karen, Das Brustbuch -Was Frauen wissen wollen, München: dtv, 2001

Mühlhauser, Ingrid; Höldke, Birgitt, Mammogra-phie - Brustkrebs-Früherkennungs-Untersuchung,Mainz: Kirchheim 2000

Weymayr, Christian; Koch, Klaus, MythosKrebsvorsorge - Schaden und Nutzen derFrüherkennung, Frankfurt: Eichborn 2003

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Page 34: Mammografie Screening - Bremen

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Weiterführende Links

www.mammographie-screening-online.de Die Internetseite der Universität Hamburg bietet wissenschaftlich fundierte Informationenzur Mammografie. Siehe auch (www.patienten-information.de)

www.nationales-netzwerk-frauengesundheit.deDie Broschüre „Brustkrebs-Früherkennung, Informationen zur Mammografie - eineEntscheidungshilfe”, herausgegeben vom Nationalen Netzwerk Frauen und Gesundheitkann unter der oben genannten Adresse herunter geladen werden. Zu beziehen über:Nationales Netzwerk Frauen und Gesundheit c/o Landesvereinigung für GesundheitNiedersachsen e.V., Fenskeweg 2, 30 165 Hannover mit einem ausreichend frankiertenUmschlag. Kostenlos bei allen Geschäftsstellen der Gmünder Ersatzkassen (GEK)www.gek.de

www.kooperationsgemeinschaft-mammographie.de/willkommen/willkommen.phpDie Kooperationsgemeinschaft Mammographie in der ambulanten vertragsärztlichenVersorgung koordiniert die bundesweite Einführung des Mammografie-Screenings.Telefon: 02234/9490-0

www.bremerkrebsgesellschaft.deDie Bremer Krebsgesellschaft hat in der Bremer Modellphase unabhängig beraten undErfahrungen mit einem Runden Tisch, dem „Bremer Beirat” gesammelt.

www.zgf.bremen.deDie Bremer Zentralstelle zur Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau hat dasBremer Modellprojekt kritisch begleitet.

www.public-health.uni-bremen.deDas Institut für Public Health und Pflegeforschung an der Universität Bremen bearbeitetgesundheitswissenschaftliche Fragestellungen. Es gibt die vorliegende Broschüre gemein-sam mit der Ärztekammer Bremen heraus. www.aekhb.de

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Impressum:

Herausgeber: Prof. Dr. Petra Kolip, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen,Dr. med. Klaus-Dieter Wurche, Ärztekammer Bremen

Konzept + Text: Dr. Eva Schindele, Bremer Medienbüro (www.bremer-medienbuero.de)

Gestaltung:Traute Melle, Bremen

Finanziell unterstützt von der Gmünder Ersatzkasse (www.gek.de)

Bestellung: (mit einem frankierten und adressierten Rückumschlag) Institut für Public Health und PflegeforschungUniversität BremenFachbereich 11Postfach 33044028334 Bremen

Die Broschüre kann unter www.public-health.uni-bremen.de als PDF-Datei herunter geladen werden.

Page 36: Mammografie Screening - Bremen

für ihre finanzielle Unterstützung

Wir danken der