MANAGEMENT Niemand geht gerne vor Gericht · 2015. 5. 11. · MANAGEMENT 12 5 2015 · UFA-REVUE...

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MANAGEMENT 12 5 2015 · UFA-REVUE THEORIE UND PRAXIS IM DIALOG AGRARRECHT Landwirt Andreas Vögtli, Solothurner Bauernpräsident aus Büren, diskutiert mit Agrarrechts-Professor Roland Norer von der Universität Luzern. Der gebürtige Österreicher hat einen Blick von Innen und von Aussen auf die Komplexität des Schweizer Agrarrechts. Niemand geht gerne vor Gericht UFA-Revue: Welche Rechtsproble- me beschäftigten die Bauern? Andreas Vögtli: Sehr oft sind es Pacht- und Bodenrechtsprobleme sowie Streitfälle bei Entschädigungen für Werkleitungen und Strassenareal auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Probleme gibt es auch im Bereich Tier- schutz und vermehrt auch bei der Stra- ssenverkehrsverordnung in Zusammen- hang mit Tiertransporten. Roland Norer: Das stimmt mit meiner Beobachtung überein. Schwerpunkt- themen sind Pacht- und Bodenrecht, LPG und BGBB. Oft kommt auch noch Raumplanung dazu. Direktzahlungsfäl- le sind eher selten. Wird die Zahl der Direktzahlungsfälle aufgrund der AP 14 – 17 tendenziell stei- gen, denn in kürzester Zeit wurde sehr vieles geändert? Andreas Vögtli: Ich sehe keinen Grund, wieso es mit der AP 2014 – 17 mehr Direktzahlungsfälle als in Vergan- genheit geben sollte. Mir sind im Zu- sammenhang mit den Direktzahlungen nur wenige Fälle bekannt, welche in den vergangenen 20 Jahren vor dem Richter gelandet sind. Es ging dabei vor allem um die Überschreitung der Ein- kommensgrenze für den Erhalt der Di- rektzahlungen im Zusammenhang bei- spielsweise mit einer rückwirkenden Auszahlung von IV-Renten nach mehr- jährigem Prozessieren gegen die Versi- cherungen. Grundsätzlich werden in unserer Branche die Fälle ausserge- richtlich gelöst. Unstimmigkeiten bei den Direktzahlungen werden im Ge- spräch mit den Mitarbeitern des Amts für Landwirtschaft bereinigt. Der Solo- thurner Bauernverband SOBV steht in engem Kontakt mit dem Amt für Landwirtschaft. Wie sieht es punkto Temporeichtum und Rechtssicherheit in der Agrarpolitik aus? Roland Norer: Der Gesetzgeber darf nicht willkürlich Gesetze ändern. Es muss eine gewisse Beständigkeit ge- ben. In der Ernährungssicherheitsinitia- tive des Schweizer Bauernverbands wird ja die Rechtssicherheit angespro- chen. Im direkten Gegenvorschlag des Bundesrats ist dieser Aspekt aber nicht enthalten. Bundesrat Schneider-Am- mann hat kommuniziert, dass es mit der nächsten AP keine grossen Refor- men geben werde. Aber zu bedenken ist, dass die Politik innerhalb des ver- fassungsrechtlichen Rahmens sehr be- weglich ist. Grundsätzlich kann man nicht darauf vertrauen, dass alles bleibt, wie es ist. Andreas Vögtli: Wir Bauern fordern Planungssicherheit. Wenn wir investie- ren machen wir das nicht nur für vier Jahre. Bei Ökonomiegebäuden zum Beispiel für 25 und mehr Jahre. Was ist mit den Verordnungen, die jähr- lich im Frühling und Herbst angepasst werden? Beispielsweise jetzt im Frühjahr mit den noch geplanten Änderungen bei den Standardarbeitskräften (SAK)? Andreas Vögtli: Diese «Feinjustie- rung» kann vielen Bauern Kopfzerbre- chen bereiten. Bezüglich der SAK ist die Anrechnung von landwirtschaftsna- hen Tätigkeiten oder Paralandwirt- schaft geplant. Zudem auch die Berück- sichtigung des technischen Fortschritts, eine Reduktion der Normalarbeitszeit und eine vertiefte Prüfung der wirt- schaftlichen Förderungswürdigkeit im Bereich BGBB. Inkrafttreten sollen die- se Änderungen auf 1.1. 2016. Wie beurteilen Sie die Richtung mit den Landschaftsqualitätsprojekten hin zum föderativen Ansatz in den Direkt- zahlungen? Roland Norer: Die Landschaftsquali- tätsbeiträge mit dem föderativen An- satz gab es vorher nicht. Aber Födera- lismus ist eine Philosophiefrage und funktioniert nach dem Prinzip, was auf der kleinsten Ebene geregelt werden kann, soll auch dort geregelt werden. Die Frage ist dann, ob es zu einer Un- gleichbehandlung zwischen benach- barten Regionen oder Kantonen führen kann. Andreas Vögtli: Wo ich künftig Kon- fliktpotential orte, ist der «Aktionsplan Strategie Biodiversität Schweiz» des Bundesamts für Umwelt BAFU. Die öf- fentliche Hand soll Land, das dem bäu- erlichen Bodenrecht unterliegt, kaufen, im Extremfall sogar enteignen können, um sich damit «ökologische Infrastruk- tur» zu sichern. Falls das eintreffen soll- te, werden wir uns mit allen Mitteln wehren! Roland Norer: Das grosse Thema ist der Flächendruck. Umstritten ist auch die Auslegung der sogenannten Ge- wässerräume, wo mehrere Kantone eine Standesinitiative eingereicht ha- ben. Im Unterschied zum Aktionsplan Biodiversität wird bei den Gewässer- raumen aber nicht enteignet werden, zumindest soweit die Bewirtschaftung weitergeführt werden kann. Wün- schenswert wäre allerdings der ver- stärkte Einsatz ökologischer Vertrags- landwirtschaft, wie beispielsweise im Kanton Luzern mit den Seeverträgen

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12 5 2015 · UFA-REVUE

THEORIE UND PRAXIS IM DIALOG

AGRARRECHT Landwirt Andreas Vögtli, Solothurner Bauernpräsident aus Büren, diskutiert mit Agrarrechts-Professor Roland Norer von der Universität Luzern. Der gebürtige Österreicher hat einen Blick von Innen und von Aussen auf die Komplexität des Schweizer Agrarrechts.

Niemand geht gerne vor Gericht

UFA-Revue: Welche Rechtsproble-me beschäftigten die Bauern?Andreas Vögtli: Sehr oft sind es Pacht- und Bodenrechtsprobleme

sowie Streitfälle bei Entschädigungen für Werkleitungen und Strassenareal auf landwirtschaftlichen Nutzfl ächen. Probleme gibt es auch im Bereich Tier-schutz und vermehrt auch bei der Stra-ssenverkehrsverordnung in Zusammen-hang mit Tiertransporten. Roland Norer: Das stimmt mit meiner Beobachtung überein. Schwerpunkt-themen sind Pacht- und Bodenrecht, LPG und BGBB. Oft kommt auch noch Raumplanung dazu. Direktzahlungsfäl-le sind eher selten.

Wird die Zahl der Direktzahlungsfälle aufgrund der AP 14 – 17 tendenziell stei-gen, denn in kürzester Zeit wurde sehr vieles geändert?Andreas Vögtli: Ich sehe keinen Grund, wieso es mit der AP 2014 – 17 mehr Direktzahlungsfälle als in Vergan-genheit geben sollte. Mir sind im Zu-sammenhang mit den Direktzahlungen nur wenige Fälle bekannt, welche in den vergangenen 20 Jahren vor dem Richter gelandet sind. Es ging dabei vor allem um die Überschreitung der Ein-kommensgrenze für den Erhalt der Di-rektzahlungen im Zusammenhang bei-spielsweise mit einer rückwirkenden Auszahlung von IV-Renten nach mehr-jährigem Prozessieren gegen die Versi-cherungen. Grundsätzlich werden in unserer Branche die Fälle ausserge-richtlich gelöst. Unstimmigkeiten bei den Direktzahlungen werden im Ge-spräch mit den Mitarbeitern des Amts für Landwirtschaft bereinigt. Der Solo-thurner Bauernverband SOBV steht in

engem Kontakt mit dem Amt für Landwirtschaft.

Wie sieht es punkto Temporeichtum und Rechtssicherheit in der Agrarpolitik aus?Roland Norer: Der Gesetzgeber darf nicht willkürlich Gesetze ändern. Es muss eine gewisse Beständigkeit ge-ben. In der Ernährungssicherheitsinitia-tive des Schweizer Bauernverbands wird ja die Rechtssicherheit angespro-chen. Im direkten Gegenvorschlag des Bundesrats ist dieser Aspekt aber nicht enthalten. Bundesrat Schneider-Am-mann hat kommuniziert, dass es mit der nächsten AP keine grossen Refor-men geben werde. Aber zu bedenken ist, dass die Politik innerhalb des ver-fassungsrechtlichen Rahmens sehr be-weglich ist. Grundsätzlich kann man nicht darauf vertrauen, dass alles bleibt, wie es ist. Andreas Vögtli: Wir Bauern fordern Planungssicherheit. Wenn wir investie-ren machen wir das nicht nur für vier Jahre. Bei Ökonomiegebäuden zum Beispiel für 25 und mehr Jahre.

Was ist mit den Verordnungen, die jähr-lich im Frühling und Herbst angepasst werden? Beispielsweise jetzt im Frühjahr mit den noch geplanten Änderungen bei den Standardarbeitskräften (SAK)? Andreas Vögtli: Diese «Feinjustie-rung» kann vielen Bauern Kopfzerbre-chen bereiten. Bezüglich der SAK ist die Anrechnung von landwirtschaftsna-hen Tätigkeiten oder Paralandwirt-schaft geplant. Zudem auch die Berück-sichtigung des technischen Fortschritts, eine Reduktion der Normalarbeitszeit und eine vertiefte Prüfung der wirt-schaftlichen Förderungswürdigkeit im

Bereich BGBB. Inkrafttreten sollen die-se Änderungen auf 1.1. 2016.

Wie beurteilen Sie die Richtung mit den Landschaftsqualitätsprojekten hin zum föderativen Ansatz in den Direkt-zahlungen?Roland Norer: Die Landschaftsquali-tätsbeiträge mit dem föderativen An-satz gab es vorher nicht. Aber Födera-lismus ist eine Philosophiefrage und funktioniert nach dem Prinzip, was auf der kleinsten Ebene geregelt werden kann, soll auch dort geregelt werden. Die Frage ist dann, ob es zu einer Un-gleichbehandlung zwischen benach-barten Regionen oder Kantonen führen kann. Andreas Vögtli: Wo ich künftig Kon-fl iktpotential orte, ist der «Aktionsplan Strategie Biodiversität Schweiz» des Bundesamts für Umwelt BAFU. Die öf-fentliche Hand soll Land, das dem bäu-erlichen Bodenrecht unterliegt, kaufen, im Extremfall sogar enteignen können, um sich damit «ökologische Infrastruk-tur» zu sichern. Falls das eintreffen soll-te, werden wir uns mit allen Mitteln wehren!Roland Norer: Das grosse Thema ist der Flächendruck. Umstritten ist auch die Auslegung der sogenannten Ge-wässerräume, wo mehrere Kantone eine Standesinitiative eingereicht ha-ben. Im Unterschied zum Aktionsplan Biodiversität wird bei den Gewässer-raumen aber nicht enteignet werden, zumindest soweit die Bewirtschaftung weitergeführt werden kann. Wün-schenswert wäre allerdings der ver-stärkte Einsatz ökologischer Vertrags-landwirtschaft, wie beispielsweise im Kanton Luzern mit den Seeverträgen

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Theorie und Praxis im DialogIn unserer Serie «Theorie und Praxis» diskutiert jeweils ein Landwirt oder eine Bäuerin mit einem Vertreter aus der Forschung. Es ergeben sich kontroverse An-sichten und spannende Diskussionen.

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UFA-REVUE · 5 2015 13

Roland Norer (46) ist Professor für öffentliches Recht und Recht des ländlichen Raums (Agrarrecht) an der Universität Luzern. Im Zweijahres-Rhyth-mus führt er Agrar- sowie Waldrechtstage durch. Zudem organisiert er den Nachdiplomstudiengang «CAS Agrarrecht» für Mitarbeiter von Treuhand, Beratung und Verwaltung. Zurzeit entsteht unter seiner Leitung ein Kommen-tar zum Landwirtschaftsgesetz, welcher voraussichtlich 2016 beim Stämpfl i-Verlag Bern erscheinen soll.

Andreas Vögtli (54) ist Meisterlandwirt und Präsident des Solothurner Bauernverbands SOBV. Zusammen mit seiner Familie bewirtschaftet er einen Landwirtschaftsbetrieb in Büren (SO) von 47 ha LN und 20 ha Wald. Ausgerichtet ist der Betrieb auf Ackerbau, Schafhaltung und Hochstamm-Obstbäume. Ein wichtiges Betriebsstand-bein sind die 20 ha Wald und das angegliederte Lohnunternehmen. Andreas Vögtli ist zusätzlich Präsident der Kreisschule.

– jetzt ist leider das Geld dafür ausgegangen.Andreas Vögtli: Ja, das habe ich auch gehört. Es gibt keine Entschädigungen mehr – aber die Aufl agen bleiben. Roland Norer: Wenn auf Freiwillig-keit beruhende Vertragsbestimmungen ins Ordnungsrecht überführt werden, kann dies zu Recht kritisiert werden. So entstehen Verbote und Gebote.

Ein bisschen «Salami-Taktik»? Roland Norer: Ja, und das ist nicht angenehm für die Betroffenen, da so letztlich der freiwillige Einsatz «be-straft» wird. Ich beobachte auch, dass die Standards dabei immer höher stei-gen, beispielsweise im Tierschutz. Wenn der ÖLN als gesetzlicher Min-deststandard ansteigt, wird auch der förderbare Spielraum immer kleiner.

Wie relevant sind internationale Verein-barungen, beispielsweise im Rahmen des Kyoto-Protokolls, für unsere Gesetz-gebung?Roland Norer: Das Kyoto-Protokoll ist eine völkerrechtliche Vereinbarung. Was die Schweiz umsetzt, hat sie sich dabei letztlich selbst vorgenommen. Bei Umweltabkommen wie der Biodi-versitätskonvention gibt es grundsätz-lich keine Sanktionen. Sanktionen gibt es einzig bei der WTO. Die Strategie des Bundesrats ist relativ mustergültig, verglichen mit manchen anderen Län-dern …

Haben in den letzten Jahren rechtliche Konfl ikte mit der nichtbäuerlichen Be-völkerung zugenommen?Roland Norer: Die Akzeptanz der nicht-bäuerlichen Bevölkerung gegen-über der Landwirtschaft ist nicht mehr so hoch wie früher. Themen bei Nicht-Bauer gegen Bauer sind Emmis-sion, Nachbarrecht und Tierschutz. Andreas Vögtli: Es gibt auch Kuhglo-ckenstreit oder Beschwerden wegen Nachtruhestörung durch Erntearbeiten. Meistens einigen sich die Betroffenen aussergerichtlich. Das ist leider nicht immer möglich. Einige Fälle gehen bis vor das Bundesgericht. Der Geschäfts-führer des Solothurner Bauernverbands übernimmt oft eine Schlichtungsfunkti-on. Wir vertreten die Interessen der Landwirtschaft und unserer Mitglieder.

Gerichtsfälle verursachen hohe Kosten. Ist eine Schlichtung mittels Mediation also besser? Roland Norer: Ich fi nde Mediation grundsätzlich gut und es gibt verfahre-ne Fälle, wo ein objektiv Dritter nötig ist – aber auch ein Mediationsverfahren kostet. Man sollte, um seine Prozess-chancen einzuschätzen, die Anlaufstel-len beim Bauernverband oder Anwalts-verband, nutzen, wo man sich relativ kostengünstig beraten lassen kann. Andreas Vögtli: Bei Streitfällen unter Verbandsmitgliedern übernehmen wir nur die Mediatorenrolle und versuchen eine für beide Parteien verträgliche Lö-

sung herbeizuführen. Wir müssen in solchen Fällen neutral bleiben. Auch bei Ehescheidungen in der Landwirt-schaft. Aber bei einer Scheidung ist es so, sobald die eine Partei einen Anwalt nimmt, muss die andere auch – dann ist es vorbei mit kostengünstig.

Was ist mit Musterprozessen?Roland Norer: Wenn durch eine Rechtssprechung viele Bauern betrof-fen sind, geht man mit einem Fall, der am Erfolgversprechendsten ist, vor Ge-richt. Gewinnt man diesen Präzedenz-fall, profi tieren alle betroffenen Land-wirte von diesem Urteil.Andreas Vögtli: Wir haben auch schon solche Musterprozesse geführt. Beispielsweise als es ums Güllen wäh-rend der Vegetationsruhe oder um den Zaunabstand zum Waldrand ging. In beiden Fällen gewannen wir den Pro-zess. Beim Notaustrag von Gülle ha-ben wir seither eine praktikable Lösung. Roland Norer: Ich fi nde, die Agrar-rechtsszene sollte juristisch gestärkt werden, sowohl auf Verbandsebene, als auch bei den kantonalen Amtsstel-len. Auch beim Bundesamt für Land-wirtschaft ist es mitunter schwierig, ju-ristische Ansprechpersonen zu fi nden. Dies im Gegensatz zum Bundesamt für Umwelt. Im BAFU arbeiten viele Juris-ten und sie setzen das Recht auch stra-tegisch ein, um ihre Anliegen durchzusetzen.

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14 5 2015 · UFA-REVUE

THEORIE UND PRAXIS IM DIALOG

Haben Juristen ein spezielles Denken?Roland Norer: Es gibt viele Treuhän-der und Berater, die sich sehr gut, bes-ser als mancher Jurist, im Boden- und Pachtrecht auskennen. Aber spätestens in einem Verfahren, wenn man auf ei-nen Kantonsrichter trifft, ist der Jurist im Vorteil, denn er spricht die gleiche

Sprache und verwendet die gleiche Terminologie. Es gibt in der Landwirt-schaft einige wenige, die sowohl Agro-nomie als auch Jus studiert haben, die-se sind aber dünn gesät.

Wie fi nden Sie das Agrarrecht EU - Schweiz im Vergleich?Roland Norer: Von den Inhalten her ist die Agrarpolitik in der Schweiz und der EU vergleichbar. Weil die Struktu-ren in der Schweiz kleiner sind, ist es überschaubarer. Der Landwirt weiss, mit wem er es zu tun hat. Beispielswei-se gibt es in der EU bei den Direktzah-lungen weniger Kontrollen, aber dafür wesentlich höhere Sanktionen.

Und weiter?Roland Norer: Der Schweizer Land-wirtschaftsbegriff ist allgemein und eng formuliert, zudem ist er je nach Gesetz anders. So umfasst die Landwirtschaft gemäss Landwirtschaftsgesetz die Pro-duktion verwertbarer Erzeugnisse aus Pfl anzenbau und Nutztierhaltung. Frü-her waren damit die bodenabhängigen Erzeugnisse gemeint, dann kam im Raumplanungsrecht die innere Aufsto-ckung dazu. Später wurden Pferdehal-tung und Biomasse aufgenommen. Die landwirtschaftsnahen Tätigkeiten sind das nächste. Zonenkonform ist heute eigentlich nur ein (erweiterter) klassi-scher Landwirtschaftsbetrieb, für alles andere braucht es Ausnahmebewilli-gungen. Die Alternative wäre, dass man den Landwirtschaftsbegriff gross-zügiger formuliert beziehungsweise auslegt. Andreas Vögtli: Der Gewerbever-band sähe das wahrscheinlich gar nicht gerne.

Wenn man vor Gericht siegt, hat dann auch die Gerechtigkeit gewonnen?Roland Norer: Es gibt natürlich Fälle, wo man in zwei entgegengesetzte Richtungen argumentieren kann. Der Richter muss nach besten Wissen und Gewissen auf der Basis von Argumen-ten entscheiden. Eine Lösung zu fi n-den, die ausgewogen und verträglich ist, ist schon nahe dran an dem was man gerecht nennen kann. Umgekehrt, wenn man unterliegt, heisst das noch nicht, dass man im Unrecht ist. Man hat sich jedoch dem Richterurteil zu fü-gen. Wurde man im Verlaufe des Pro-zesses angehört und auf die Argumente eingegangen, dann fällt es meistens leichter das Urteil als fair zu akzeptie-ren – das sagen zumindest die Rechtspsychologen. Andreas Vögtli: Was ist, wenn man das Gefühl hat, mit einen besseren An-walt hätte man mehr erreicht?Roland Norer: Das gibt es auch. Viele Richter haben mit der Landwirtschaft wenig am Hut und haben kaum Erfah-rung mit landwirtschaftlichen Rechts-problemen. Sie haben quasi nur die Brille des Juristen auf. Mit einem An-walt, der dieses juristische Denken be-dienen kann, steht man unter Umstän-den besser da. Grundsätzlich bin ich aber schon der Ansicht, dass wenn ein Argument gut ist, auch wenn es weni-ger geschliffen daher kommt, muss es der Richter in der Beweisführung ent-sprechend berücksichtigen. Die absolu-te Gerechtigkeit gibt es aber nicht. Es ist schon so wie Immanuel Kant frei übersetzt sagte: Die Juristen verspre-chen Gerechtigkeit, wissen aber eigent-lich gar nicht, was das ist.

Danke für das Gespräch. www.ufarevue.ch 5 · 15

Interview Daniela Clemenz, Gaël Monnerat, UFA-Revue, 8401 Winterthur

In unserer Serie «Theorie und Praxis» diskutiert jeweils ein Landwirt oder eine Bäuerin mit einem Vertreter der Forschung.

Professor Roland Norer traf sich mit Meister-landwirt und Solothur-ner Bauernpräsident Andreas Vögtli auf dessen Hof in Büren.

Wo drückt der Schuh?Gegen 4000 Anrufe verzeichnete 2014 das Agriexpert-Auskunftstelefon (� 056 462 52 71) des Schweizers Bauernverbands. Die meisten Auskünfte betrafen das Pachtrecht (19 %), dann folgen BGBB (12 %), Verkehrswert und Dienstbarkeiten (12 %), Gewässerschutz-zone und Kulturschäden sowie Durchlei-tungen (12 %), Raumplanung (6 %), Arbeitsrecht und Löhne (5 %), Ertrags-wert und Belastungsgrenze (4 %), Ehe-recht und Erbrecht sowie Konkubinat (4 %), Betriebswirtschaft und Gesell-schaftsrecht (4 %), Direktzahlungen (2 %), Steuern (3 %), Publikationen (3 %) und Diverses (14 %).

Gemäss Andreas Wasserfallen, Agronom und Rechtsanwalt in Bern, ergeben sich Probleme im Agrarrecht auch durch den Temporeichtum der Änderungen und die Komplexität der Gesetze und Verordnun-gen. Häufi g gelangen Klienten mit bodenrechtlichen Fragen an ihn. Bei Zuweisungs- und Vorkaufsrechten stelle sich nicht selten die Frage, ob die Vor-aussetzungen für eine Übernahme zu einem Vorzugswert (Ertragswert) gege-ben seien oder nicht. Oft gehe es auch um Pacht- und Baurechtsstreitigkeiten. Zugenommen hätten Anfragen im Zu-sammenhang mit Tierschutzbestimmun-gen. Dazu ein Beispiel: Ein Tierhalter wurde durch Passanten bei der Polizei angezeigt, weil er ihrer Meinung nach seine Tiere nicht tierschutzkonform weidete.