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Markus M. Müller, Ingrid Hemmer, Martin Trappe (Hrsg.) Nachhaltigkeit neu denken Rio+X: Impulse für Bildung und Wissenschaft

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Markus M. Müller, Ingrid Hemmer,

Martin Trappe (Hrsg.)

Nachhaltigkeit neu denkenRio+X: Impulse für Bildung und Wissenschaft

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ISBN 978-3-86-581684-9

e-ISBN 978-3-86581-886-7

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Nachhaltigkeit neu denken

Rio+X: Impulse für

Bildung und Wissenschaft

Markus M. Müller, Ingrid Hemmer, Martin Trappe (Hrsg.)

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

Markus M. Müller, Ingrid Hemmer & Martin Trappe

Nachhaltigkeit neu denken

2 Nachhaltigkeit – quo vadis?

Felix Ekardt

Theorie der Nachhaltigkeit

Georg Müller-Christ

Nachhaltigkeit in Forschung und ForschungseinrichtungenEin Ordnungsangebot

Ortwin Renn

Nachhaltigkeit nachhaltig kommunizieren:

Wie man die Idee eines normativ-funktionalen Ansatzes der Nachhaltigkeit

vermitteln kann

Hubert Weiger

Nachhaltige Entwicklung:

Neue Perspektiven nach Rio+20?

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3 Ökologie

Christina Fehrmann, Barbara Stammel & Bernd Cyffka

Die Auswirkungen der Wasserkraftnutzung auf Auen

Klimaschutz und Naturschutz als unvereinbare Antagonisten?

Peter Fischer & Bernd Cyffka

Wie nachhaltig sind ökologische Flutungen?

Untersuchungen zur Auwaldrenaturierung

an der bayerischen Donau zwischen Neuburg und Ingolstadt

Andreas Hahn

Zur Sicherung der Nachhaltigkeit in Forstbetrieben

Wie bekommt man Gewinnstreben, ökologische Kriterien und

Optionenvielfalt unter einen Hut?

Martin Kuba, Ümüt Halik, Martin Welp & Bernd Cyffka

Nachhaltigkeit von Dienstleistungen

in Ökosystemen unter Stress

Kathrin Umstädter, Florian Haas & Michael Becht

Nachhaltige Landnutzung auf La Palma

Untersuchungen zur Bodenerosion unter besonderer Berücksichtigung

von Brandereignissen

4 Ökonomie

Patricia I. T. F. Girrbach

Organisationaler Wandel in Richtung NachhaltigkeitEin Implementierungsansatz für die unternehmerische Praxis

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Stephanie Schuhknecht

Energieversorgungsunternehmen in der öffentlichen Kommunikation

Nachhaltigkeit, Corporate Social Responsibility (CSR)

und Corporate Citizenship (CC)

5 Gesellschaft

Katrin Reuter

Nachhaltigkeit als Aspekt guten Lebens

Andreas Schmidt & Inga Schlichting

Sustainability and Climate Change

Interpretations and Claims by Societal Actors from Germany, India and the United States

Xiling Yang

Ökologische Modernisierung und der Lebensstilwandel?

6 Kommunikation

Dirk Marx & Rouven Keßler

Nachhaltige Hochschulentwicklung

durch ein transformatives Forum, das t-Forum

Claudia Schmidt

Entscheidungen im Alltag

Stoffgeschichten und Kritikalitätsbewertungen

Isabel Winkler

Medien und Nachhaltigkeit

Ein theoretischer und empirischer Ansatz

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7 Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

7.1 BNE in Lehrplänen, Lehrer- und Berufsbildung

Péter Bagoly-Simó

Implementierung von Bildung für nachhaltige Entwicklung

in den Fachunterricht im internationalen Vergleich

Daniel Feldkamp & Christina Lüllau

»Fachwirt/-in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (HWK)«

Eine Antwort der beruflichen Bildung auf die Transformation

der Energiewirtschaft

Stephanie Leder

Barrieren und Möglichkeiten einer Bildung

für nachhaltige Entwicklung in Pune, Indien

7. 2 Lehr- und Lernvoraussetzungen für BNE

Katja Feigenspan

Nachhaltigkeit = Naturbelassenheit?

Wie Biologie-Lehramtsstudierende Natur, Nachhaltigkeit und BNE verstehen

Karoline Kucharzyk

Vom Wind verweht, durch Beton versiegelt, von Schadstoffen zerfressen.

Ist Bodenschutz (k)ein Thema für BNE?

Ann-Christin Schulz & Martin Sauerwein

Die Bedeutung von BNE

Erste Ergebnisse einer empirischen Studie

zum Geographieunterricht an Hildesheimer Haupt-, Real- und Gesamtschulen

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7.3 Transdisziplinäre Konzeptionen an der Schnittstelle zwischen Schule und Gesellschaft, Sozialwissenschaften und Psychologie

Christine Bänninger, Stefanie Gysin, Patrick Isler-Wirth & Christine Künzli David

Service-Learning mit Fokus Nachhaltigkeit (SeLeN)

Anne-Kathrin Lindau & Martin Lindner

Von Brüssel bis zum Nahraum

Das Projekt »Elbe-kennen – Elbe-leben – Elbe-wegen«

zur Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie

7.4 BNE im Unterricht

David Hergesell & Lissy Jäkel

(Mitarbeit: Lukas Ditz, Matthias Rupp, Jasmin Weishäupl, Elvira Zur)

Helfen moderne Geomedien (GPS, GIS), die Interessiertheit Jugendlicher

für Naturbegegnung und Umweltschutz zu steigern?

Eine Untersuchung im Projekt Naturbildungspunkte

Daniela Krischer, Philipp Spitzer & Martin Gröger

»… natürlich Chemie!«

Chemieunterricht in naturnaher Umgebung

und naturbezogenen Kontexten

Marten Lößner

Chancen der Nutzung der Biodiversität –

zwischen Biopiraterie und fairem Vorteilsausgleich

Ein Thema für den Geographieunterricht?!

Sandra Sprenger & Karl-Heinz Otto

(Experimentelle) Lehr-/Lernformen

als Grundlage für gesellschaftlich relevante Entscheidungsprozesse

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Michael Stroh

Brauchen Planspiele zur Nachhaltigkeit

einen Rückkopplungsmechanismus?

7.5 Wertevermittlung als Fokus

Sascha Haffer, Sandra Sprenger & Kerstin Kremer

WASSERwerte(n)

Bildung für Nachhaltige Entwicklung im Museum

Eva Marie Ulrich-Riedhammer

Die ethische Dimension von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit

im Geographieunterricht mitdenken

Anhang

Tagungsprogramm

»Rio+20. Nachhaltigkeit neu denken?«

5. bis 6. November 2012 in Eichstätt

Autorenverzeichnis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei einigen Textstellen auf die gleichzeitige Verwendung

männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleich-

wohl für beiderlei Geschlecht.

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EINLEITUNG

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Markus M. Müller, Ingrid Hemmer & Martin Trappe

Nachhaltigkeit neu denken

Die Begriffe ›nachhaltige Entwicklung‹ und ›Nachhaltigkeit‹ werden 20 Jahre nach

Rio in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft häufig verwendet. Das Leitbild ist breit

akzeptiert und in verschiedene Lebens- und Bildungsbereiche vorgedrungen. Nicht

selten werden die Begriffe jedoch fehlerhaft und missverständlich eingesetzt. Wie aber

sieht es im Bereich der Wissenschaft mit der Nachhaltigkeit aus? Hat die Diskussion

um das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auch die Wissenschaften nachhaltig

geprägt? Welche Impulse gehen von den Wissenschaften für die Nachhaltigkeit in

verschiedensten Lebensbereichen aus? Inwiefern geben die Erträge der Wissenschaft

Anlass, das Konzept der Nachhaltigkeit zu ergänzen oder zu verändern? Welche Zu-

gänge werden in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen gegenwärtig diskutiert

und erforscht?

Das Wissenschaftsjahr Nachhaltigkeit/Zukunftsprojekt Erde, das 2012 vom deut-

schen Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufen wurde, zeugt von

der Notwendigkeit, 20 Jahre nach Rio eine kritische Bestandsaufnahme zu machen,

die unter anderem von Schneidewind & Augenstein (2012), Schneidewind (2009)

sowie Schneidewind & Singer-Brodowski (2013) vorgelegt wurde. Diese stellen auch

gezielte Reformvorschläge vor, wie der Übergang in ein transformatives, nachhaltig-

keitsorientiertes Wissenschaftssystem möglich ist und wie dadurch der gesellschaftli-

che Wandel, die sogenannte große Transformation der Gesellschaft, unterstützt und

gefördert werden kann.

An der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), die seit 2010 für die

gesamte Hochschule ein Nachhaltigkeitskonzept für Forschung, Lehre und Campus-

management verfolgt, fand am 5. und 6. November 2012 die Konferenz »Rio+20:

Nachhaltigkeit neu denken?« statt. Veranstaltet wurde sie vom Graduiertenkolleg

»Nachhaltigkeit in Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft« und der Nachhaltigkeits-

beauftragten der KU. Es kamen über 100 vornehmlich junge Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum.

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Mit insgesamt 45 Einzelvorträgen in elf Sitzungen zu nahezu allen Themenbereichen

der Nachhaltigkeitsforschung, vier Gastvorträgen von renommierten und einflussrei-

chen Wissenschaftlern und einer Postersession war es eine der größten Fachtagungen

zum Thema im Wissenschaftsjahr 2012. Die Idee kam von der Nachhaltigkeitsbeauf-

tragten der KU. 20 Jahre nach der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung

wollte man vor allem junge Forscherinnen und Forscher verschiedenster Disziplinen

zusammenbringen und ihnen ein Forum bieten für den inhaltlichen und methodi-

schen Austausch ihrer Nachhaltigkeitsforschung. Das Eichstätter Graduiertenkolleg

»Nachhaltigkeit in Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft« beteiligte sich intensiv an

der Organisation und schuf so den Stipendiatinnen und Stipendiaten im Kolleg die

Möglichkeit, aktuelle Forschungsergebnisse und Forschungsfragen in einem interdis-

ziplinären Kontext zu diskutieren. Die Tagungsorganisation wurde in harmonischer

Kooperation von den Fächern Geographie und Psychologie geleistet. Darüber hinaus

wirkten Kolleginnen und Kollegen aus den Fächern Geographie, Journalistik, Reli-

gionspädagogik und Psychologie, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft als Sitzungs-

leiter und Gutachter mit. Studierende, vor allem des »Masterstudiengangs Geographie:

Bildung für nachhaltige Entwicklung«, waren bei der Vorbereitung, Durchführung und

Berichterstattung der Tagung integriert und hatten freien Zugang zu den Vorträgen.

Seit Beginn seiner Verbreitung hat der Begriff der Nachhaltigkeit eine Vielzahl

von Deutungen, Erweiterungen, Veränderungen erfahren, sodass man heute durch-

aus von einem »unscharfen Prädikat« (Linneweber, 1998) sprechen kann. Die teils

sehr unterschiedlichen Zugänge, welche in den Disziplinen zum Thema Nachhaltig-

keit gewählt werden, führen dabei dazu, dass die Ansätze oft nur schwer vergleichbar

werden und eine Kommunikation untereinander erschwert wird (Tremmel, 2004).

Dies wird auch in den Beiträgen zu Theorien und Perspektiven von nachhaltiger Ent-

wicklung deutlich (Enders & Remig, 2013). Die Tagung legte daher einen besonderen

Wert darauf, dass in den einzelnen Beiträgen – Vorträgen wie Posterpräsentationen –

der jeweilige Zugang, die jeweils verwendete Definition offengelegt wird.

Die größte Bekanntheit in der Öffentlichkeit hat das »Drei-Säulen-Modell« bzw.

»Nachhaltigkeitsdreieck« erlangt, welches davon ausgeht, dass Nachhaltigkeit auf den

Säulen der Ökologie, der Ökonomie und des Sozialen ruht. Die Beiträge in diesem

Band zeigen, dass dieser Ansatz aus heutiger Sicht zwar mitunter als nützliche Heu-

ristik herhalten kann, aber in seiner unklaren Schwerpunktsetzung der einzelnen

Zielfelder problematisch ist. Mit möglichen Leitbildern, wie etwa dem einer Post-

wachstumsgesellschaft, setzt sich die Forschung bislang noch sehr zögerlich ausein-

ander, wie Felix Ekardt in seinem Beitrag zeigt. Er betont die Bedeutung von Gerech-

tigkeitstheorien als Nachhaltigkeitsbasis und fordert eine Nachhaltigkeitsgovernance

(Ekardt, 2013). Georg Müller-Christ weist in seinem Beitrag darauf hin, dass in dieser

Konzeption prinzipiell jeder der Teilbereiche durch einen anderen ersetzt oder kom-

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pensiert werden kann. Eine solche Sichtweise übersieht indes, dass die natürlichen

Lebensgrundlagen des Menschen unersetzbar sind. So kann die Zerstörung der Ozon-

schicht nicht kompensiert werden durch zum Beispiel die Schaffung ökonomischer

Werte, etwa Arbeitsplätze. Diese Ideen hatte Neumayer (2003) in seinem Konzept der

»starken Nachhaltigkeit« formuliert, welches sich von der »schwachen Nachhaltig-

keit« darin unterscheidet, dass der Ökologie eine Priorität gegenüber anderen Zielfel-

dern gegeben wird. Darüber hinaus ist eine Vernetzung der drei Säulen bzw. Pole zu

beachten. Mit der Idee der Nachhaltigkeit sind also immer auch Zielkonflikte ver-

bunden, welche nur durch einen offenen gesellschaftlichen Diskurs gelöst werden

können.

Dass hierbei Partizipation und Verfahrensgerechtigkeit eine wichtige Rolle spielen,

zeigt der Beitrag von Ortwin Renn, denn wenn Menschen selbst zu Gestaltern wer-

den können, werden sie auch verantwortungsbewusst. Die große Herausforderung

der Idee der Nachhaltigkeit besteht nicht so sehr in der Erforschung technischer

Lösungen wie in Verhaltensänderungen, die sowohl auf individueller wie auch auf

gesellschaftlicher Ebene ansetzen können. Der transdisziplinäre Austausch über Fä-

chergrenzen und Theorie-Praxis-Grenzen hinweg kann hierzu wichtige Anregungen

liefern.

Transdisziplinarität ist eine der wichtigsten Herausforderungen der Nachhaltig-

keitsforschung (Schneidewind & Singer-Brodowski, 2013), denn es geht im Wesent-

lichen darum, wie die Menschheit auch in Zukunft lebensfähig und der Planet Erde

bewohnbar bleibt. Mit Transdisziplinarität ist gemeint, dass sich die Wissenschaft

in einen Austausch mit der Praxis begeben sollte, um ihre Forschungsfragen zu ent-

wickeln und ihre Ergebnisse anzuwenden. Manche Entwicklungen in der heutigen

Wissenschaftswelt machen jedoch bereits den interdisziplinären Austausch schwierig,

da sich die Fachdisziplinen immer weiter ausdifferenzieren und die Methoden immer

spezifischer werden. Eine Wissenschaft der Nachhaltigkeit kann und muss bedeut-

same Anstöße liefern, die oftmals diagnostizierte »Sprachlosigkeit« im Austausch zu

überwinden und den Blick wieder aufs Ganze zu lenken. Transdisziplinarität ist dann

nicht mehr eine noch weitere Hürde, sondern eine Chance für die Entwicklung von

Forschungsfragen, die tatsächlich gesellschaftliche Themen und Probleme betreffen.

Im Sinne der Transdisziplinarität erfolgte als integraler Bestandteil der Tagung die

Kooperation mit Akteuren der Gesellschaft, namentlich der Kreisgruppe Eichstätt des

Bundes Naturschutz in Bayern e.V., dem Umweltreferat des Bistums Eichstätt und

der Sparkasse Eichstätt, in deren Räumen der öffentliche Vortrag von Prof. Dr. Hubert

Weiger, dem 1. Vorsitzenden des Bundes Naturschutz Bayern e.V. und Vorsitzenden

des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., stattfand. Der Vortrag

und die anschließende, sehr angeregte Diskussion zeigten auf, was auch in der gesam-

ten Tagung immer wieder anklang: Einerseits sind viele Entwicklungen der letzten

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zwei Jahrzehnte seit der Konferenz von Rio im Jahre 1992 ernüchternd, wie etwa die

stetige faktische Zunahme an Emissionen von Treibhausgasen trotz der hehren Ziele,

sie zu reduzieren. Andererseits darf dies nicht den Blick auf die vielen kleinen und

großen Erfolge auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit verstellen.

Die elf Sitzungen widmeten sich verschiedenen Aspekten von Nachhaltigkeit aus

(fach-)wissenschaftlicher Sicht (wobei darauf geachtet wurde, dass sowohl die Vor-

träge als auch die Sitzungsleitung möglichst aus unterschiedlichen Disziplinen kamen)

sowie der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die Vielfalt der Zugänge findet sich

auch in den einzelnen Abschnitten des vorliegenden Sammelbandes wieder.

Insgesamt fünf Beiträge widmen sich Fragen der Ökologie und Nachhaltigkeit.

Christina Fehrmann, Barbara Stammel und Bernd Cyffka zeigen, dass scheinbar eng

verbundene Werte wie Klimaschutz und Naturschutz bei der Wasserkraftnutzung in

Weichholzauen im Konflikt stehen können. Peter Fischer und Bernd Cyffka untersu-

chen die Nachhaltigkeit ökologischer Flutungen an der bayerischen Donau zwischen

Neuburg und Ingolstadt. Andreas Hahn analysiert die sich stetig verändernden Her-

ausforderungen für eine nachhaltige Forstwirtschaft. Der Beitrag von Martin Kuba,

Ümüt Halik, Martin Welp und Bernd Cyffka beschäftigt sich mit der Frage, wie

sich die nicht nachhaltige Nutzung von Ressourcen in Ökosystemen auswirkt, in

welchen extremen klimatischen Bedingungen herrschen. Des Weiteren stellen Kathrin

Umstädter, Florian Haas und Michael Becht eine Untersuchung zur Landnutzung auf

La Palma vor, wo Bodenerosionen die Bewohner vor zunehmende Probleme stellen.

Die Rolle der Ökonomie bei der nachhaltigen Entwicklung ist viel diskutiert und

problematisiert worden. Patricia Girrbach zeigt auf, wie Corporate Sustainability in

der unternehmerischen Praxis implementiert werden kann. Der Beitrag von Stephanie

Schuhknecht berichtet über Ergebnisse einer Studie in Energieversorgungsunterneh-

men, bei der die Kommunikation von Corporate Social Responsibility nach innen

und außen untersucht wurde.

Nachhaltige Entwicklung ist immer auch eine Frage des individuellen und kollekti-

ven Denken und Handelns, weshalb Sozialwissenschaften und Psychologie im Themen-

feld Gesellschaft wichtige Beiträge zur Debatte liefern können. Katrin Reuter widmet

sich der Frage nach dem »Guten Leben«, indem sie zeigt, dass Nachhaltigkeit nicht nur

Leitbild für politisches, sondern auch für privates Handeln sein kann. Andreas Schmidt

und Inga Schlichting zeigen am Beispiel des Klimawandels, dass der Nachhaltigkeits-

begriff von Akteuren sehr unterschiedlich gedeutet wird, was zu sehr verschiedenen

Problemlösungsansätzen führt. Xiling Yang diskutiert, wie ökologische Modernisie-

rung als Grundlage für Umweltpolitik und soziale Partizipation dienen kann.

Die Beiträge zum Themenfeld Kommunikation setzen sich mit der Frage aus-

einander, wie Nachhaltigkeit kommuniziert wird und kommuniziert werden kann.

Dirk Marx und Rouven Keßler fokussieren dabei nachhaltige Entwicklung an Hoch-

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schulen. Claudia Schmidt stellt das Konzept der »Stoffgeschichten« vor, welche dabei

unterstützen sollen, Nachhaltigkeit im Alltag greif- und fassbar zu machen. Isabel

Winkler untersucht die Rolle, welche Medien bei der Kommunikation von Nachhal-

tigkeit spielen.

Die Beiträge zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), die teils Forschung

und teils konzeptionelle Arbeiten umfassen, gliedern sich in fünf Bereiche. Drei Texte

widmen sich der Rolle von BNE in Lehrplänen, Lehrer- und Berufsbildung. Péter

Bagoly-Simó vergleicht die Implementierung von BNE in Lehrplänen aus Deutsch-

land, Mexiko und Rumänien und stellt bedeutsame Unterschiede auf verschiedenen

Ebenen fest. Daniel Feldkamp und Christina Lüllau argumentieren, dass die soge-

nannte Energiewende auch große Herausforderungen für die Berufsbildung darstellt,

da Fachkräfte in Richtung nachhaltiger Entwicklung qualifiziert werden müssen. Und

Stephanie Leder bespricht die Chancen und speziellen Herausforderungen bei der

Implementierung von BNE in einem Schwellenland am Beispiel Indiens.

Lehr- und Lernvoraussetzungen für BNE sind Thema von drei Beiträgen. Katja

Feigenspan stellt eine empirische Untersuchung vor, in der Lehramtsstudierende der

Biologie nach ihrem Verständnis von Nachhaltigkeit befragt wurden. Im Beitrag von

Karoline Kucharzyk wird die Frage beleuchtet, warum BNE sich dem Thema Boden

nur zögerlich annähert. Ann-Christin Schulz und Martin Sauerwein ermitteln die

Bedeutung von BNE für Schülerinnen und Schüler und ihre Bereitschaft zu nachhal-

tigkeitsbezogenem Handeln.

Bildung für nachhaltige Entwicklung stellt eine besondere und reizvolle Herausfor-

derung dar, da sie sich nicht auf die rein schulische Vermittlung von Wissen beschrän-

ken kann. Zwei Beiträge stellen Transdisziplinäre Konzeptionen an der Schnittstelle

zwischen Schule und Gesellschaft vor. Marten Lößner stellt vor dem Hintergrund

der Nutzung der Ressource Biodiversität in der Pharmaindustrie eine Unterrichtsein-

heit für die 9. Klasse vor. In naturnaher Umgebung und anhand von naturbezogenen

Kontexten betrachten Daniela Krischer, Philipp Spitzer und Martin Gröger den schu-

lischen Chemieunterricht in einem chemiedidaktischen Freilandlabor.

Verschiedene Ansätze für BNE im Unterricht werden in fünf Beiträgen vorge-

stellt und diskutiert. Wie moderne Geomedien im Unterricht effektiv eingesetzt wer-

den können, zeigt der Beitrag von David Hergesell und Lissy Jäkel. Anne-Kathrin

Lindau und Martin Lindner legen dies an dem Projekt »Elbe-kennen – Elbe-leben –

Elbe-wegen« dar. Christine Bänninger, Stefanie Gysin und Patrick Isler-Wirth zeigen,

wie der Ansatz des Service-Learning für die BNE nutzbar gemacht werden kann.

Sandra Sprenger und Karl-Heinz Otto widmen sich Standortfragen bei nachhaltiger

Energienutzung und zeigen, wie diese im Geographieunterricht integrativ themati-

siert werden können. Michael Stroh beschäftigt sich mit der Methode der Planspiele,

welche sich für die Vermittlung von BNE als sehr fruchtbar erwiesen.

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Nachhaltiges Handeln impliziert immer auch Wertentscheidungen, die in der

BNE thematisiert werden müssen. Zwei Beiträge wählen daher Wertevermittlung als

Fokus. Sascha Haffer, Sandra Sprenger und Kerstin Kremer zeigen, dass die scheinbar

einfache Frage »Was ist Wasser eigentlich wert?« weitreichende Implikationen für die

BNE haben kann. Und Eva Marie Ulrich-Riedhammer stellt heraus, dass BNE sich

auch ethische Urteilskompetenz zum Ziel setzen muss, und diskutiert dies anhand

der Begriffe ›Nachhaltigkeit‹ und ›Gerechtigkeit‹, welche im Zentrum des Diskurses

zur nachhaltigen Entwicklung stehen, aber oft nicht hinterfragt werden.

Die Tagung zeigte, wie groß das Interesse an Nachhaltigkeit als Forschungsthema

ist. »Nachhaltigkeit neu denken?« war das Tagungsmotto und dies gelang auch min-

destens in Ansätzen, schon allein dadurch, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer

unterschiedlicher Disziplinen ernsthaft miteinander ins Gespräch kamen und sich

über ihre Forschungsansätze und Ergebnisse austauschten. Der vorliegende Band soll

dazu anregen, diese Debatte weiter zu vertiefen und voranzutreiben.

Die Tagung und die vorliegende Publikation wurden finanziell maßgeblich unter-

stützt durch die Mittel des Graduiertenkollegs »Nachhaltigkeit in Umwelt, Wirt-

schaft und Gesellschaft«. Wir danken den Mitgliedern des Kollegs – Stipendiatinnen

und Stipendiaten, Projektleiterinnen und Projektleitern – für die Unterstützung bei

der Tagung. Weitere finanzielle Förderung erhielten wir von der Sparkasse Eichstätt,

der Maximilian-Bickhoff-Stiftung, der Eichstätter Universitätsgesellschaft sowie dem

Umweltreferat des Bistums Eichstätt. Ein großer Dank geht an alle Wissenschaftlerin-

nen und Wissenschaftler, welche sich dazu bereiterklärten, die Beiträge der Tagung

und des vorliegenden Bandes zu begutachten, und an diejenigen, welche die Sitzungs-

leitungen übernahmen (Prof. Dr. Jörg Althammer, Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen,

Prof. Dr. Péter Bagoly-Simó, Prof. Dr. Bernd Cyffka, Prof. Dr. Rainer Greca, Prof. Dr.

Elisabeth Kals, Dr. Anne-Kathrin Lindau, Prof. Dr. Uto Meier, Dr. Johanna Schocke-

möhle, Prof. Dr. Sandra Sprenger, Prof. Dr. Hans-Martin Zademach). Wir bedanken

uns besonders auch bei den Personen, welche uns bei der Umsetzung der Tagung

tatkräftig unterstützt haben: Michaela Walter-Rückel vom Aueninstitut Neuburg; der

Umweltreferentin des Bistums, Lisa Amon; der Umweltmanagementbeauftragten der

KU, Anja Westner; Claudia Pietsch vom Fachbereich Geographie, sowie, last, but not

least, den studentischen Hilfskräften Lena Gierl, Natascha Rüb, Agnes Grasberger,

Kathrin Thiel, Anja Brunner, Smaranda Goidaci, Tanja Helm und Vanessa Japha.

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L I T E R AT U R

Ekardt, F. (2011): Theorie der Nachhaltigkeit. Rechtliche, ethische und politische Zugänge –

am Beispiel von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Welthandel. Baden-Baden: Nomos.

Ekardt, F. (2013): Transdisziplinäre geisteswissenschaftliche Nachhaltigkeitstheorie. Gerechtigkeit,

Governance, Hemmnisse. In: Enders, J. C. & Remig, M. (Hrsg.): Perspektiven nachhaltiger

Entwicklung. Theorien am Scheideweg (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeits-

forschung, Band 3). Marburg: Metropolis.

Enders, J. C. & Remig, M. (Hrsg.) (2013): Perspektiven nachhaltiger Entwicklung – Theorien am

Scheideweg (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung, Band 3). Marburg:

Metropolis.

Linneweber, V. (1998): Nachhaltige Entwicklung als unscharfes Prädikat. In: Umweltpsychologie,

2, S. 66–77.

Neumayer, E. (2003): Weak versus strong sustainability: Exploring the limits of two opposing

paradigms. Northampton, MA: Edward Elgar Publishing.

Schneidewind, U. (2009): Nachhaltige Wissenschaft. Plädoyer für einen Klimawandel im deut-

schen Hochschulsystem. Marburg: Metropolis.

Schneidewind, U. & Augenstein, K. (2012): Analyzing a transition to a sustainability-oriented

science system in Germany. In: Journal for Environmental Innovation and Societal Transitions, 3,

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Schneidewind, U. & Singer-Brodowski, M. (2013): Transformative Wissenschaft. Klimawandel im

deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. Marburg: Metropolis.

Tremmel, J. (2004): »Nachhaltigkeit« – definiert nach einem kriteriengebundenen Verfahren.

In: GAIA 13, H. 1, S. 26–34.

Tremmel, J. (2013): Das Nicht-Identitätsproblem. Ein schlagendes Argument gegen Nachhaltig-

keitstheorien? In: Enders, J. C. & Remig, M. (2013): Perspektiven nachhaltiger Entwicklung.

Theorien am Scheideweg (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung,

Band 3). Marburg: Metropolis.

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NACHHALTIGKEIT –

QUO VADIS?

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T h e o r i e d e r N a c h h a l t i g k e i t

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Felix Ekardt

Theorie der Nachhaltigkeit

Definition von Nachhaltigkeit

›Nachhaltigkeit‹ ist seit einiger Zeit ein Hauptbegriff der internationalen politischen

Debatte, doch wird darunter zuweilen recht Unterschiedliches verstanden. Definitio-

nen, also die schlichte sprachliche Bezeichnung eines Sachverhalts, sind dabei natur-

gemäß letztlich beliebig – im Gegensatz zu erkennbaren und damit gerade nicht be-

liebigen Inhalten. ›Nachhaltigkeit‹ bezeichnet nach vorliegend vertretener Auffassung

definitorisch die politische/ethische/rechtliche Forderung nach mehr intertemporaler

und globaler Gerechtigkeit, also die Forderung nach dauerhaft und global durchhalt-

baren Lebens- und Wirtschaftsweisen. Gemeint ist ergo die Forderung nach inter-

temporaler und global-grenzüberschreitender Gerechtigkeit (nicht zu verwechseln mit

universaler Gerechtigkeit, also Prinzipien für das Zusammenleben in allen Gesellschaf-

ten). Gerechtigkeit sei hier definitorisch verstanden als die Richtigkeit der Ordnung

des menschlichen Zusammenlebens (so wie Wahrheit das Zutreffen von Tatsachenaus-

sagen meint); soziale Verteilungsgerechtigkeit als Kategorie materieller Verteilungs-

fragen ist davon nur ein Teilelement.

Alternativ dazu verstehen viele Stimmen Nachhaltigkeit als eine Art Rubrum über

alles Erstrebenswerte in der Welt, womit der Nachhaltigkeitsbegriff mit dem Gerech-

tigkeitsbegriff zusammenfalle oder ihn sogar noch an Breite überbiete. Insbesondere

stehe Nachhaltigkeit für den nötigen Ausgleich von ökologischen, ökonomischen und

sozialen Belangen (Bizer, 2000; Heins, 1998; Ritt, 2002). Ein solches Drei-Säulen-Kon-

zept von Nachhaltigkeit wäre jedoch (zum Folgenden Ott & Döring, 2008; Siemer,

2006; Ekardt, 2011; anders Grunwald & Kopfmüller, 2012) aus einer Reihe von Grün-

den missverständlich und schief.

Das Drei-Säulen-Modell lenkt erstens vom Paradigmenwechsel als Kernidee ab:

mehr Generationen- und globale Gerechtigkeit. Denn mit dem Reden von den »drei

Säulen« gerät Nachhaltigkeit in die Nähe der eher trivialen Botschaft, dass politische

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Entscheidungen verschiedene Belange möglichst in Einklang bringen sollten, insbe-

sondere dann, wenn der intertemporale und globale Bezug nur noch am Rande oder

gar nicht mehr auftaucht.

Zweitens ist eine Trennung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte in

den relevanten Bereichen kaum möglich: Wäre zum Beispiel bessere Luftqualität nur

ein ökologisches Ziel, weshalb nicht ein soziales oder ökonomisches? Oder ist zum

Beispiel die Gesundheit ein soziales Ziel oder ein ökologisches? Oder vielleicht ein

ökonomisches, weil sie medizinische Behandlungskosten einspart? Und was ganz

genau bedeutet überhaupt der letzten Endes überaus vielgestaltige und vage Begriff

des ›Sozialen‹ (Weber, 1984, S. 165)? Wäre dies alles, was mit Menschen zu tun hat,

wäre Nachhaltigkeit endgültig banalisiert.

Drittens kann das Säulen-Modell im Sinne der Annahme verstanden werden,

der Lebensgrundlagenschutz sei stark abhängig von Wirtschaftswachstum. Dies ist

jedoch gerade problematisch (siehe unten).

Viertens impliziert der Generationen- und Globalbezug von Nachhaltigkeit, dass

Nachhaltigkeit primär von grundlegenden Voraussetzungen des Menschseins und

nicht von jedwedem Teilaspekt von Wirtschafts- und Sozialpolitik im Allgemeinen

handelt.

All diese Gesichtspunkte werden in der Rio-Deklaration von 1992 als zentraler

internationaler Wurzel des modernen Nachhaltigkeitsdiskurses an einer Vielzahl von

Stellen sichtbar (Appel, 2005), explizit etwa in Grundsatz 5. Ferner bezieht sich Grund-

satz 7 der Rio-Deklaration (gemeinsame, aber geteilte Verantwortung von Industrie-

und Entwicklungsländern) ersichtlich auf die »Umwelt«fragen. Auch die Beseitigung

nicht nachhaltiger Produktions- und Verbrauchsstrukturen (Grundsatz 8) klingt nicht

gerade nach Dreisäuligkeit. Besonders deutlich ist Grundsatz 12, indem er Wirtschafts-

wachstum und Nachhaltigkeit nebeneinander nennt und damit als zwei zu unter-

scheidende Anliegen kennzeichnet.

Wesentlich für Nachhaltigkeit (auch) im Sinne der Rio-Deklaration dürfte indes

ein Integrationsprinzip in einem allerdings recht konkreten Sinne sein: Nachhaltigkeit

handelt von der integrierten Bewältigung intertemporal-globaler Problemlagen. Dahinter

steht auch die zutreffende Einsicht, dass ein lediglich additives Angehen bestimmter

komplexer Probleme diese häufig nicht zu lösen vermag: Es wäre beispielsweise (in-

haltlich) fatal, Armuts- und Klimaproblematik zu sehr voneinander zu separieren,

indem man zum Beispiel südliche Länder schlicht zur Imitation des westlichen, viel

zu ressourcenintensiven Entwicklungspfades anregte  – oder umgekehrt die gravie-

rende Armut in weiten Teilen der Welt unter der Überschrift »gut für den Ressour-

cenverbrauch« unangetastet ließe.

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Ebenen des Nachhaltigkeitsdiskurses

Es geht mit der Nachhaltigkeit – transdisziplinär über verschiedenste Fachdiszipli-

nen hinweg (Rogall, 2009; Schneidewind, 2009; Ekardt, 2011) – (a) um definitori-

sche Klarheit des Wortes ›Nachhaltigkeit‹; (b) um die deskriptive Bestandsanalyse,

wie nachhaltig Gesellschaften, gemessen daran, bisher sind und welche Entwicklun-

gen und Tendenzen sich insoweit bisher beschreiben lassen; da dies nur sehr teilweise

sozialwissenschaftlich klärbar ist, ist vor allem hier der Ort der naturwissenschaftli-

chen Nachhaltigkeitsforschung; (c) um die ebenfalls deskriptive Frage, welche äuße-

ren Hemmnisse und Motivationslagen für die Transformation hin zur Nachhaltig-

keit oder ihr Scheitern wesentlich und ursächlich sind und welche Aussagen sich zur

menschlichen Lernfähigkeit treffen lassen, wobei auch dies bei biologischen Fakto-

ren manchmal naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse involviert; (d)  um die

normative Frage, warum Nachhaltigkeit erstrebenswert sein sollte und was, daraus

folgend, ihr genauer Inhalt ist; (e) darum, wie viel Nachhaltigkeit normativ in Abwä-

gung mit anderen kollidierenden Belangen wie »kurzfristiges Wirtschaftswachstum«

geboten ist, einschließlich der Frage, welche Institutionen dies zu klären haben und

welche Entscheidungsspielräume dabei bestehen; (f ) um die Mittel respektive Gover-

nance- oder Steuerungsinstrumente, die das auf den Ebenen d und e ermittelte Ziel

effektiv umsetzen können, einschließlich »Bottom-up«-Maßnahmen wie Lernprozes-

sen, mehr Nachhaltigkeitspädagogik, mehr unternehmerischer Selbstregulierung und

der Frage nach den Hindernissen, nach möglichen Akteuren, Strategien usw.; von

nicht sozialwissenschaftlicher Seite her tritt an jener Stelle die Frage hinzu, welche tech-

nischen Möglichkeiten bestehen (auf deren Einsatz gegebenenfalls per Governance

hingewirkt werden könnte).

Nachhaltigkeitsinhalte – und Indikatoren?

Inhaltlich ist Nachhaltigkeit ein normatives Ziel. Zum näheren Gehalt heißt es häu-

fig, Nachhaltigkeit bedeute etwa, dass erneuerbare Ressourcen nur unter Beachtung

der Nachwachsrate genutzt, nicht erneuerbare Rohstoffe sparsam verwendet, die Assi-

milationsgrenzen des Naturhaushalts beachtet und Schädigungen des Klimas sowie

der Ozonschicht vermieden werden sollen. Relevant wäre beispielsweise auch im Sinne

physischer Sicherung eine elementare Existenzsicherung weltweit (global) für alle ein-

schließlich elementarer Alterssicherung, Bildung, Zugang zu sauberem Trinkwasser

und medizinischer Behandlung sowie Abwesenheit von Krieg und Bürgerkrieg. Nähe-

res ist letztlich von der genauen normativen Nachhaltigkeitsbegründung abhängig.

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Das gilt auch für die umstrittene Frage, inwieweit Naturgüter gegen ökonomische

Güter aufgerechnet werden dürfen (»starke versus schwache Nachhaltigkeit«; siehe

auch Ott & Döring, 2008; Rogall, 2009; Vogt, 2009).

Umstritten ist, ob Nachhaltigkeit sinnvollerweise auf einzelne numerische Indika-

toren eingedampft werden kann. Staaten und Unternehmen streben immer wieder

nach solchen Indikatoren (näher Grunwald & Kopfmüller, 2012, und teilweise Vogt,

2009) und einer Messbarkeit von Nachhaltigkeit, um Nachhaltigkeit in vereinfachter

Form durch einige aus der Vielzahl relevanter Faktoren ausgewählte, gut quantifizier-

bare Gesichtspunkte (sogenannte Nachhaltigkeitsindikatoren) sichtbar zu machen –

etwa CO2-Emissionen, Flächenverbrauch, Energieverbrauch pro Kopf, Anteil erneu-

erbarer Energien am Stromaufkommen oder die Gewässergüte bestimmter großer

Flüsse. Eine echte Messbarkeit wird gegebenenfalls noch dahingehend erstrebt, dass

all diese Dinge untereinander verrechnet werden sollen (kritisch Ekardt, 2011; zum

Teil auch Rogall, 2009). So sollen gewisse Entwicklungstendenzen und (reale oder

vermeintliche) Erfolge visualisiert und für ein breiteres Publikum verständlich ge-

macht werden. Hinterfragungswürdig ist daran bereits, dass (1) häufig vielleicht pro-

blematische, entweder nicht zur Nachhaltigkeit gehörende oder, da der verbreiteten

Wachstumsorientierung (siehe unten) verhaftet bleibend, sogar kontraproduktive Indi-

katoren gewählt werden. Denn die dauerhafte und globale Lebbarkeit von Wirtschafts-

und Lebensformen wird eben gerade nicht abgebildet, wenn sich ein Unternehmen

zum Beispiel vornimmt, in Zukunft 5-Liter- statt 8-Liter-Autos zu produzieren. Pro-

blematisch ist (2) an Indikatoren- und Messansätzen ferner, dass scheinpräzise ein-

zelne Faktoren eine Exaktheit suggerieren können, die so gar nicht gegeben ist, unge-

achtet aller politischen und medialen Attraktivität. Insbesondere jedoch erweisen sich

Indikatorensysteme als untauglich, sofern sie (3) normativ die (ethisch oder rechtlich)

»richtige« Nachhaltigkeit Sein-Sollen-fehlschlüssig naturwissenschaftlich oder ökono-

misch ableiten (dazu sogleich).

Normative Begründung von Nachhaltigkeit

Wenn der Inhalt von Nachhaltigkeit von der normativen Begründung abhängt, gerät

Letztere in den Blick. Nachhaltigkeit meint zunächst ein Politikziel, da es um die

Lösung gesellschaftlicher Probleme geht, und scheint damit im Belieben der jeweils

politisch Handelnden zu stehen; das wirft die Frage auf, ob die Politik zur Nach-

haltigkeit verpflichtet ist. Aus Naturbeobachtungen – etwa zum Klimawandel, zur

Endlichkeit von Ressourcen usw. – lässt sich eine solche normative Begründung nicht

geben. Denn aus einer empirischen Beobachtung als solcher folgt nicht logisch, dass

diese Beobachtung normativ zu begrüßen oder zu kritisieren ist. Aus gleichen Grün-

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den überzeugend ist auch jedwede Art von Vorstellungen, die von einer empirischen

Anthropologie logisch normative Schlussfolgerungen ableiten. Problematisch wäre

auch der Versuch, Nachhaltigkeit (oder etwas anderes) durch eine ökonomische Kos-

ten-Nutzen-Analyse (KNA) zu bestimmen, also durch eine quantifizierende Saldie-

rung von Vor- und Nachteilen eines bestimmten Umgangs mit Nachhaltigkeit, ge-

messen an den rein faktischen Präferenzen von Menschen. Denn eine KNA führt,

neben anderen Problemen zum Beispiel bei der Quantifizierung, auf die nonkogni-

tivistische Grundlage einer empiristischen Ethik zurück, die Normativität in ihren

letzten Grundlagen per se für subjektiv, unwissenschaftlich oder axiomatisch gesetzt

hält. Jene strikt nonkognitivistische Basis dürfte jedoch – ungeachtet aller im Bereich

des Normativen vielleicht bestehenden Spielräume – aufgrund performativer Wider-

sprüche nicht zu halten sein.

Auch der gängige ethische Diskurs um eine Begründung von Nachhaltigkeit (zu-

sammengestellt etwa bei Unnerstall, 1999) weist jedoch Probleme auf. Erstens können

gegen die meisten ethischen Ansätze an der Grundlage Einwände erhoben werden

(zum Beispiel Sein-Sollen-Fehler, axiomatische Setzungen, Zirkelschlüsse usw.). Zwei-

tens hat jedwede Ethik, die die Politik zu etwas verpflichten will, das Problem, dass

das Verfassungsrecht der jeweiligen politischen Grundeinheit den Anspruch erhebt,

abschließend zu bestimmen, was Politik tun darf und gegebenenfalls tun muss, wo also

ihre Verpflichtungen und wo ihre Spielräume liegen. Recht ist dabei Ethik (verstan-

den als die Wissenschaft von den normativ richtigen gesellschaftlichen Zuständen) in

konkretisierter und sanktionsbewehrter Form. Ethik kann natürlich die Grundprin-

zipien des Rechts gegebenenfalls universal begründen oder auch als normativ ungül-

tig erweisen – was das Recht selbst nicht kann (hierzu und zum Folgenden Alexy,

1991, 1995; Ekardt, 2011; Habermas, 1992; eingeschränkt Rawls, 1971). Jenseits dessen

kann sie jedoch nicht einfach eine konkurrierende Normativität aufbauen.

Praktisch gelingt eine ethische Begründung – und damit auch Inhaltsbestimmung

von Nachhaltigkeit – deshalb primär dann, wenn man eine Verpflichtung zur Nach-

haltigkeit und eine Konturierung diesbezüglicher Spielräume anhand von Grund-

prinzipien liberal-demokratischer Verfassungen ermittelt.

Grundlagen einer Nachhaltigkeits-Menschenrechtstheorie –

rechtlich und ethisch

Hält man die Grundprinzipien der liberalen Demokratie für ethisch (gegebenenfalls

auch universal) begründbar, ergeben sich eine menschenrechtliche juristische und pa-

rallel ethische Grundlage und Inhaltsbestimmung für Nachhaltigkeit. Menschenrechte

sind Rechte von Individuen auf Freiheit und Freiheitsvoraussetzungen. Sie stehen,

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gemeinsam mit den organisationsrechtlichen Regelungen der jeweiligen öffentlichen

Gewalt (Staat, Staatenbund, völkerrechtliches Vertragssystem) sowie sonstigen inhalt-

lichen Verpflichtungen jener öffentlichen Gewalt (zum Beispiel auf Sozialstaatlich-

keit), auf einer höherrangigen Ebene gegenüber sonstigen allgemeinverbindlichen

Regelungen (Gesetzen; zum gesamten Kapitel Ekardt, 2011; teilweise auch OHCHR,

2009; stärker traditionell ausgerichtet Alexy, 1986). Jene Prinzipien führen auch zu

Abwägungsregeln, die den Rahmen für Verpflichtungen und Spielräume zum Beispiel

auf Nachhaltigkeit umreißen, wobei liberale Verfassungen eine Aussparung von Fra-

gen des guten Lebens vornehmen (breit rezipierte Ansätze – u. a. ohne Abwägungs-

theorie – bei Habermas, 1992; Rawls, 1971; konkretisiert und modifiziert bei Ekardt,

2011).

Die beiden – in kantianischer Tradition aus der normativen Vernunft ableitbaren –

»liberalen Grundprinzipien« Menschenwürde (verstanden als der gebotene Respekt

vor der Autonomie des Individuums, also als Selbstbestimmungsprinzip) und die

Unparteilichkeit (verstanden als die gebotene Unabhängigkeit von Sonderperspekti-

ven) sind – nach umstrittener Ansicht (siehe Böckenförde, 2003, einerseits und Ekardt,

2011 andererseits) – keine Grundrechte, und sie sind auch nicht darauf angelegt,

überhaupt für einen konkreten ethischen oder rechtlichen Einzelfall etwas zu besa-

gen; sie sind vielmehr der normative Grund der Menschenrechte, also der konkreten

Freiheits- und Freiheitsvoraussetzungsrechte. Zur Ermittlung konkreter normativer

Kriterien für Nachhaltigkeit ist (rechtlich respektive parallel ethisch) darauf aufbau-

end eine partielle Neuinterpretation der Menschenrechte im Sinne einer Überwin-

dung eines primär wirtschaftlich ausgerichteten Freiheitsverständnisses, aber umge-

kehrt auch eine Vermeidung der drohenden Freiheitsabschaffung zum Beispiel durch

eine Ökodiktatur (doppelte Freiheitsgefährdung) nötig. Die diesbezüglich gewinnba-

ren Aussagen sind, ethisch gesprochen, Aussagen zur Gerechtigkeit und Aussagen zur

sozialen Ebene. Individualethische Verpflichtungen, die über die Verpflichtung zur

Herbeiführung einer gerechten – einschließlich nachhaltigen – Gesellschaftsordnung

hinausgehen, sind schon mangels hinreichender Konkretisierbarkeit und nicht erst

aufgrund von Durchsetzbarkeitsschwächen nur schwer vorstellbar. Menschenrechte

vermitteln sich unter anderem genau deshalb stets über die öffentliche Gewalt – auch

wenn ihr Ursprung im interpersonalen Verhältnis zwischen den Individuen begrün-

det liegt.

Ethisch und (auch über die partielle wortwörtliche Normierung hinaus) rechtsinter-

pretativ ergibt sich – als normativer Kern von Nachhaltigkeit – aus dem Freiheits-

begriff der Menschenrechte ein Recht auf die elementaren Freiheitsvoraussetzungen

wie Leben, Gesundheit, Existenzminimum in Gestalt von Nahrung, Wasser, Sicher-

heit, Klimastabilität, elementare Bildung, Abwesenheit von Krieg und Bürgerkrieg

und Ähnliches. Dieses ergibt sich im Kern daraus, dass – über die liberale Tradition