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Martin Buber:Begegnung

JoannesvanderLinden

Vortragam23.November1995in derKatholischenHochschulgemeindeAachen

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JoannesvanderLinden,Martin Buber:BegegnungAusarbeitungeinesVortragsin derKatholischenHochschulgemeindeAachenAachen,im Dezember1995

DieseAusarbeitungwurde als Manuskriptveroffentlicht und im World-Wide Web fur den Online-Zugriff verfugbargemacht.DasUrheberrecht(Copyright)liegt dennochbeim Autor, fur die zitiertenPassagensinddieRechtenaturlich beidenjeweiligenVerlagen.SamtlicheZitatehabeich mit Quellen-angabebelegt.DasSpeichern,AusdruckenundKopierenfur deneigenenGebrauchist erlaubt;die nicht-gewerblicheWeitergabevollstandigerundunveranderterKopienist erwunscht.

Fur Bemerkungen,HinweiseundNachfragenbin ich erreichbar:JoannesvanderLinden,Ottostraße31,52070Aachen(email:[email protected])

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� WasBuberentdeckthat . . . , dasist in derTat etwas,dasdenUnterschiedzwischenJu-dentumund Christentumnicht beruhrt, sondernden gemeinsamenGrund dieserbeidenReligionenbetrifft. � (Emil Brunner)

DieseArbeit bestehtausdennur geringfugigerganztenNotizenfur meinenVortrag.Ich habeesleidernicht geschafft, das,wasich in freier RededemVorgefertigtenhinzugefugt habe,hier aufzunehmen.Dennstarkerals ich vorher gedachthatte,war auchim Vortrag dasDialogischeVerhaltnis, die Ge-genseitigkeitvonVortragendemundZuhorendenspurbar. Daraufmußich in dieserAusarbeitungleiderverzichten.Als Mangelempfindeichesauch,daßdashierAufgeschriebenenichtandieUnmittelbarkeitundLebendigkeitdesgesprochenenWortesheranreicht.

Der Vortrag � Martin Buber: Begegnung� fand statt in einer Reihe � Lebensbilder— Glaubensbil-der� von insgesamtfunf Vortragenin diesemWintersemester. DasThemaeinesAbendswar jeweilsdie Lebens-undGlaubensgeschichteeinesMenschen,deruns— denjeweiligenReferenten— bedeu-tungsvoll fur heutigesGlaubenundLebenerscheint.

Ich studiereanderRWTH AachenMathematikundbearbeitegerademeineDiplomarbeit;denVortraguberMartinBuberhabeich gehalten,weil meineeigneAuseinandersetzungmit GlaubenundBibelstarkvonderBegegnungmit demDenkendiesesMenschengepragtist.Soist alsomeinVortragmehreinBe-kenntnisubermeinePragungdurchBubersWerkalseinetheologischeoderphilosophischeEinfuhrung.

Ich wunschemir, daßdieseArbeit vor allemeineEinladungzumLesenist. Deshalbfugeich ihr einekommentierteLiteraturlistebei.

Aachen,den11.Dezember1995 JoannesvanderLinden

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Vollendung

Am Vormittagdes13. Juni 1965verstarbMartin Buber im Alter von 87 JahrennachschmerzvollerKrankheitin seinemJerusalemerHaus.

SeineletztenLebensjahrehatteer— nachdemTodseinerFrau1958— dafur genutzt,seinLebenswerkzuordnen:in dieserZeit redigierteerseineWerkezumdialogischenPrinzip,besorgteerdiedreibandigeWerkausgabeund einenweiteren(vierten)BandDer Judeund seinJudentum, der abereigenstandignebendendreianderenBandenblieb.

Eine letzteSammlungvon Redenund kurzenTexten erschienpostumunterdemTitel Nachlese; mitdiesemBandsaherdieSammlungdesihm � bewahrenswerterscheinendenaus[seinen]Schriften� 1 alsabgeschlossenan.

KleineStuckeausverschiedenenWerken,in denenersichjeweilsRechenschaftgegebenhatte,wie seinDenkenundseinLebenzusammenhingen— GlaubensbilderundLebensbilder— versammelteMartinBuberin demBandchenBegegnung. AutobiographischeFragmente.

Hierdurchist derTitel undderGrundgedankeauchdesheutigenVortragsbereitsbestimmt:waswir vonBuberlernenkonnen,dasLebenalsBegegnungzubetrachten,alsMenschdemMenschenundderWeltbegegnen,mit Anteilnahmeundin Gegenseitigkeit.

Themen

Martin Buberwurdeam8. Februar1878in Wien geboren.SeineElterntrenntensich,alsMartin nochklein war, under wuchs(zwischen1881und1892)bei seinenGroßelternin Lemberg (Galizien;heuteUkraine)auf.

AusseinerKindheitberichtetBuberBegebenheiten,diein derRetrospektivealsdieGrundmotiveseinerspaterenPhilosophie,dieerstenAnklangeseinerLebens–Themenerscheinen:

� daßseineMutter nachder TrennungseinerEltern fur ihn unerreichbarwar — er hatsich dafurspaterdasWort � Vergegnung� zurechtgemacht— hatihn fur denRestseinesLebenszumSucherwerdenlassennachBeziehungundBegegnung2

� seinGroßvater, derMidrasch-GelehrteSalomonBuber, � wareinwahrhaftigerPhilologe,ein � dasWort liebender� � , seineGroßmutterliebte dasechteWort, daszuverlassigdasgemeinteaus-druckt, dasnicht zu umschreibenist; daspragtenicht nur BubersUmgangmit demWort, demgesprochenenunddemgeschriebenen,sondernexponierteauchdie bedeutendeStellung,die esin seinemDenkeneinnehmensollte3

� daßer schonfruh mit verschiedenenSprachen— deutsch,polnisch,jiddisch,hebraisch,franzo-sisch(undwohl auchLatein)— in Beruhrungkam,machteihn empfanglichfur dasProblemderUbertragungeinesin dereinenSpracheausgedrucktenGedankensin eineandereSprache;dabeiging esihm nicht nur um bloße � Bedeutungsnuancen� , sondernum � die Spannungzwischendem,was der eine sagte,und dem,wasder anderevon seinemanderssprachigenDenkenausvernahm� 4

1Buberin demNachwortvom9. Februar1965,Nachlese, S.2372Begegnung, S.93ebd.,S.124ebd.,S.15

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� Buberverfolgtbis in seineKindheit zuruckdieWurzelnweitererLebens-Themen:dermenschli-cheKontaktzurgeistigenWirklichkeit, aberauchim BereichderNaturunddesZwischenmensch-lichen,desSozialen5; dieAbneigunggegendiepflichtgemaßeTeilnahmeaneinemRitual,dasihnnichtsanging;der � Widerwille gegenalle Mission 6; das � problematischeVerhaltniszwischenGrundsatzundSituation im BereichdesEthischen,das � WesenderwahrenNorm. . . , dienichtunserenGehorsamsondernunsselbstfordert 7; als Kind auchbegegneteer demostjudischenChassidismus, derspaterin seinemWerk eineherausragendeRollespielensollte.8

Der Chassidismus

SeinegroßtePopularitaterreichteMartinBuberalsliterarischerBearbeiterundDeuterderchassidischenUberlieferung.

GegenEndedesneunzehntenJahrhunderts— Buberwar zwei SemesteralsStudentin Wien, danninLeipzig und spater in Zurich immatrikuliert — entstanddie politischeBewegung desZionismusumTheodorHerzl.Auch Buberwurdevon diesemnational-judischenAufbrucherfaßt,entdecktedadurchseine � judischeIdentitat erst wieder, bemerkte,daßseinJude-Seineine Bedeutungfur ihn habenkonne;er fandaber(zumindestspater)nicht in der nationalen,sondernin der kulturellen,religiosen,biblischenAuffassungvom JudentumseinenPlatz.

Dasist die Zeit, in der er anfangt,sich mit judischer(auchmit christlicherund fernostlicher)Mystikzu beschaftigen— letztlich mit der jungstenmystischenTradition desJudentums,dem(ostjudischen)Chassidismus.

Daswarum 1904— nachderPromotionin Wien (PhilosophieundKunstgeschichte);1899hatteer imgermanistischenSeminarin Zurich die StudentinPaulaWinkler getroffen,die wenigspaterseineFrauwurde(zweiKinder:Rafael*1900,Eva*1901).

Buberentschloßsich,alsfreierSchriftstellerzuarbeitenundverdienteseinGeldmit RedaktionsarbeitenundalsVerlagslektor. 1906zogdieFamilie in einenVorort vonBerlin (Zehlendorf).

Ebenfalls1904— wohl nochvor demTod TheodorHerzlsin diesemJahr— gabBuberseineagita-torischeArbeit in derzionistischenBewegungauf. ErstnachdemGroßbritannien1917in derBalfour-ErklarungdieEntstehungeinernationalenHeimstattefur Judenin Palastinabefurwortethatte,beteiligtesichBuberwiederanderDiskussionum dieBesiedlungdesLandesIsrael.

Jetzthabeich endlichzuerzahlen,wasesmit demChassidismusaufsichhat:

Der Stifter desChassidismus— Israel benElieser, genanntder � Baal-schem-tow (Herr desgutenNamens)— lebtevon 1700bis 1760in Mesbiz (Miedzyboz, heuteUkraine)undbegrundeteeineBe-wegung,die in ihrenAuslaufernnochbis in unserJahrhundertzu verspurenwar, die abermit derVer-nichtungdespolnisch-ukrainischenJudentumsendgultig zerstort wurde.Nachkommenjener � Chassi-dim lebenheutewohl in denUSA, vielleicht in Israel,abervon demChassidismusist wohl nichtsgebliebenalsdieErinnerung.

Der Chassidismuswar alsBewegungbeschranktauf dasGebietdesheutigensudlichenPolensundderUkraine,er erlebteseineBlute im 18.Jahrhundert.In derchristlichenKirche ist derChassidismusvorallemin Verbindungmit demNamenBuberseinBegriff.

Es gehtder chassidischenBewegung— in der DeutungBubers— um die � Freudean der Welt, wie

5Begegnung, S.17,256ebd.,S.207ebd.,S.228ebd.,S.45

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sie ist, amLeben,wie esist, an jederStundedesLebensin dieserWelt, wie dieseStundeist 9. DieseFreudeentspringtdemBewußtsein,daßdurchjede,aberauchjedeHandlung,mit derderMenschbefaßtist, ervermag,Gottzu treffen10. � Wersagt,dieToraist eineSacheunddieprofaneSphareeineandere,ist einKetzer , soeineLehredesChassidismus11.

Den Kernder Bewegungbildetendie Gemeinschaftenvon Lehrernund Schulern,denZaddikim(dasWortbedeutet� Bewahrte , Buberbeschreibtsieals � HelferundHeileraufkorperlichemundgeistigemGebietin einem ) unddenChassidim(dasWort bedeutet� Fromme ); derZaddik ist derHelfer, derdemChassidaufseinemWeg zuGotthilft, durchseineLehre,durchseineigenesLeben,derihm diesenWeg abernicht abnimmt:

Ein Schuler fragtedenBaalschem:� Wie gehtdaszu,daßeiner, deranGotthangtundsichihm nahweiß,zuweileneineUnterbrechungundEntfernungerfahrt?

Der Baalschemerklarte: � Wennein VaterseinenSohnwill gehenlehren,stellt er ihn erstvor sichhin und halt die eignenHandezu beidenSeitenihm nah,daßer nicht falle, undso gehtderKnabezwischendenVaterhandenauf denVaterzu. Sowie er aberzum Vaterherankommt,ruckt derum ein wenigesabundhalt die Handeweiterauseinander, undsofort, daßdasKind gehenlerne. 12

Die LegendenhabenzumTeil denCharaktereinesLehrsatzes,AuslegungderTora;teilweisehandeltessichumWundergeschichten;manchederLegendenhabenaucheinen(leicht)anekdotischenCharakter,wo sichdieLehrein unerwartetenWendungenzeigt:

RabbiBaruchsEnkel,derKnabeJechiel,spielteeinstmit einemandernKnabenVerstecken.Er verbarg sichgut undwartete,daßihn seinGefahrtesuche.Als er langegewartethatte,kamer ausdemVersteck;aberderanderewar nirgendszu sehen.NunmerkteJechiel,daßjener ihn von Anfang an nicht gesuchthatte.Darubermußteer weinen,kam weinendindie StubeseinesGroßvatersgelaufenundbeklagtesichuberdenbosenSpielgenossen.DaflossenRabbiBaruchdie Augenuber, under sagte:� SosprichtGott auch: � Ich verbergemich,aberkeinerwill mich suchen. 13

Bubergabdie legendareUberlieferungderChassidimheraus,weil er in dem,wassichdie SchulervonihrenLehrernerzahlten,denWesenskernderBewegungsah:indemer diesenzuganglichmachte,gaber gleichzeitigerstdieserTraditioneineliterarischeForm:

RabbiMendelerzahlte: � Chassidbin ich geworden,weil esin meinerHeimateinenaltenManngab,derhatGeschichtenvonZaddikimerzahlt.Er haterzahlt,waserwußte,undichhabegehort, wasich brauchte. 14

Ich und Du

Im Laufe seinerBeschaftigungmit demChassidismus— gegenAusbruchdeserstenWeltkrieges—wandeltesichMartin BubersHaltungzur Mystik grundlegend:

9Buber, zitiert nachGershomScholem,Martin BubersDeutungdesChassidismus, S.188,Hervorhebungendort10ebd.,S.18511ebd.,S.186,Pinchasvon Koretzzugeschrieben12Die Erzahlungender Chassidim, S.15013ebd.,S.19114ebd.,S.774

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In jungerenJahrenwar mir das � Religiose� die Ausnahme.EsgabStunden,die ausdemGangderDingeherausgenommenwurden.(. . . )

Esereignetesichnichtsweiter, alsdaßich einmal,aneinemVormittag,nacheinemMor-gen � religioser� Begeisterung,denBesucheinesjungenMenschenempfing,ohnemit derSeeledabeizu sein.Ich ließ esdurchausnicht an einemfreundlichenEntgegenkommenfehlen,ich behandelteihn nicht nachlassigerals alle seineAltersgenossen,die mich umdieseTageszeitwie einOrakel,dasmit sichredenlaßt,aufzusuchenpflegten,ich unterhieltmichmit ihm aufmerksamundfreimutig — undunterließnur, dieFragenzuerraten,dieernichtstellte.DieseFragenhabeich spater, nicht langedarauf,voneinemseinerFreunde—erselberlebteschonnichtmehr(er fiel zuAnfangdeserstenWeltkriegs)— ihremwesent-lichenGehaltnacherfahren,erfahren,daßer nicht beilaufig,sondernschicksalhaftzu mirgekommenwar, nicht um Plauderei,sondernum Entscheidung,geradezu mir, geradeindieserStunde.Waserwartenwir, wennwir verzweifelnunddochnochzueinemMenschengehen?Wohl eineGegenwartigkeit,durchdieunsgesagtwird, daßesihn dennochgibt,denSinn.

Seitherhabeich jenes� Religiose� , dasnichtsalsAusnahmeist,Herausnahme,Heraustritt,Ekstasis,aufgegebenodereshatmichaufgegeben.Ich habenichtsmehralsdenAlltag, ausdemich niegenommenwerde.(. . . ) 15

Sein Denkenkreistenun um die Frage,wie in diesemwiedergewonnenenAlltag und in dieserUn-mittelbarkeitdesLebensvon Gott gesprochenwerdenkonne.Buberentdeckte,daßvon Gott nur vomMenschenhergesprochenwerdenkann(unddamitmarkierteergemeinsammit anderendiesogenannteanthropologischeWendein derTheologie).

Buberbegann,dasLebendesMenschenals Lebenin Beziehungzu beschreiben.Gott, der von denMenschenseitjeheralsihr ewigesDu angesprochenwurde,fur ihn auchohneFragederGottdesAltenTestaments,wird von ihm alsdesMenschenPartnerangesehen,derdenMenschenansprichtdurchdieDingeundWesen,dieerihm insLebenschickt;undderMenschantwortetdurchseinHandelnandiesenDingenundWesen.

Bubers � philosophischesHauptwerk� , Ich undDu (erschienen1923),ist andersalswir unsvielleichtphilosophischeBuchervorstellen:in einerdichterischen,sogarsuggestivenSpracheumfaßtBuberseinThema,dasernicht treffenkannohneeszuzerstoren. Esist selbermehrderAnfangzueinemGesprachals eine philosophischeAnalyse.Als ich zum erstenmaldarin las, hatteich denEindruck,hier eineSprachezu findenfur etwas,dasich seit je gewußthatte.Undsowill moglicherweisedasBuchgelesenwerden,offen fur einenDialog,derdasBuchalsPartnerbetrachtetundnichtalsDing.

Die Welt ist demMenschenzwiefaltig nachseinerzwiefaltigenHaltung.Die HaltungdesMenschenist zwiefaltignachderZwiefaltderGrundworte,dieersprechenkann.Die GrundwortesindnichtEinzelworte,sondernWortpaare.DaseineGrundwortist dasWortpaarIch-Du.DasandereGrundwortist dasWortpaarIch-Es,wobei,ohneAnderungdesGrundwortes,fur EsaucheinsderWorteEr undSieeintretenkann.Somitist auchdasIch desMenschenzwiefaltig.DenndasIch desGrundwortsIch-Du ist einandresalsdasdesGrundwortsIch-Es.

Grundwortesagennicht etwasaus,wasaußerihnenbestunde,sonderngesprochenstiftensieeinenBestand.Grundwortewerdenmit demWesengesprochen.

15Begegnung, S.58ff

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WennDu gesprochenwird, ist dasIch desWortpaarsIch-Dumitgesprochen.WennEsgesprochenwird, ist dasIch desWortpaarsIch-Esmitgesprochen.DasGrundwortIch-Dukannnurmit demganzenWesengesprochenwerden.DasGrundwortIch-Eskannniemit demganzenWesengesprochenwerden.16

DieseGrundwortewerdenalsonicht mit denLippen gebildet,sondernentsprechender Haltung,dieder Menschzu seinerWelt einnimmt: dasGrundwortIch-Es gehort zur � Welt als Erfahrung� , der� Tatigkeiten,die ein Etwaszum Gegenstandhaben� . � Das GrundwortIch-Du stiftet die Welt derBeziehung.� BubersiehtdieWelt derBeziehungin � dreiSpharen� : demLebenmit derNatur, mit denMenschen,mit dengeistigenWesenheiten.

Ich stehein demVerhaltnis Ich-Du, ich sageDu nur mit demganzenWesen,nur ungeteiltmit meinerganzenPerson;von nichtshabeich abzusehen,nicht von meinerFahigkeit zur Reflexion, nicht vonmeinerEmotionalitat, meinenErinnerungen,Talentenund Schwachen:mit alledemsteheich in derBeziehung.Dasist dasIch desGrundwortsIch-Du,dasohneFrageausgezeichnetist vor demgeteiltenWesendesanderenGrundworts.Der Menschverwirklicht seinMenschseinim Gegenubersein,sowieer ist und wie er kann seinemDu gegenuberzustehen.DieseVerwirklichungkann er nicht (alleine)� machen� , siewird ihm auchnicht ohneseinDazutungeschenkt;esist die Ich-Du-Beziehung,in derderMenschdiesesIch findetundin derer esauchausspricht:� Die EinsammlungundVerschmelzungzumganzenWesenkannniedurchmich,kannnieohnemichgeschehen.Ich werdeamDu; Ich werdendsprecheich Du. Alles wirkliche Lebenist Begegnung.� 17

GefuhlebegleitendasmetaphysischeundmetapsychischeFaktumderLiebe,abersiema-chenesnicht aus;unddie Gefuhle,die esbegleiten,konnensehrverschiedenerArt sein.DasGefuhl JesuzumBesessenenist ein andresalsdasGefuhl zumLieblingsjunger;aberdie Liebe ist eine.Gefuhle werden � gehabt� ; die Liebe geschieht.Gefuhle wohnenimMenschen;aberder Menschwohnt in seinerLiebe. Dasist keineMetapher, sonderndieWirklichkeit: die LiebehaftetdemIch nicht an,sodaßsiedasDu nur zum � Inhalt� , zumGegenstandhatte,sieist zwischenIch undDu. (. . . )

Beziehungist Gegenseitigkeit.Mein Du wirkt anmir, wie ich anihm wirke.UnsreSchulerbildenuns,unsreWerkebauenunsauf.18

DasGrundthemadesBuches,Gegenseitigkeit,dieBegegnungdesMenschenmit demMenschen,mit derWelt, mit Gott. Nur in BegegnungenkannderMenschsichganzverwirklichen:Dialog, Zwiesprache,AngeredetseinundAntwort, GegenuberseinalsganzerMensch;allerdingsmußer auchimmerwiederausderBeziehungtreten:� ohneEskannderMenschnicht leben.Aberwermit ihm alleinlebt,ist nichtderMensch.� 19

Die verlangertenLinien derBeziehungenschneidensichim ewigenDu. (. . . )

Ihr ewigesDu habendie Menschenmit vielenNamenangesprochen.Als sievon demsoBenanntensangen,meintensie immer noch Du: die erstenMythen warenLobgesange.Dannkehrtendie Namenin die Esspracheein; immer starkertrieb esdie Menschen,ihrewigesDu alseinEszubedenkenundzubereden.AberalleGottesnamenbleibengeheiligt:weil in ihnennichtbloßvonGott,sondernauchzu ihm geredetwordenist. 20

16Ich undDu, S.717ebd.,S.1518ebd.,S.1819ebd.,S.3820ebd.,S.76

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Was sich in BubersChassidismus-Deutung(vor allem der spateren)gezeigthat, eine Haltung,Gottim Alltag zu finden:dafur bildet Ich und Du den philosophischenHintergrund— die ScheidewandzwischenderWelt desAlltagsundderReligionniederzureißen.

Ich undDu entstandin denJahrenbis1923in HeppenheimanderBergstraße,wo dieFamilieBubervon1916bis zu BubersEmigration1938wohnte.Buberlehrteals Dozentam FreienJudischenLehrhausin Frankfurt/MainundhatteeinenLehrauftrag(1930– 33Honorarprofessur)fur ReligionswissenschaftundjudischeEthik anderUniversitatFrankfurt.Außerdemwar er sehraktiv im BereichVolkspadago-gik/Erwachsenenbildung. Als seineAuswanderungnachPalastinanichtmehrvermeidbarwar, im Marz1938,ubersiedelteBuberim Alter von60JahrennachJerusalem.

NachdemKriege,Mitte der funfzigerJahre,wollte die GemeindeHeppenheimeineTafelandemHausanbringen[wo Bubergewohnthatte],aufderstehensollte,daßMartin Buberin diesemHausgelebtundgearbeitethabe.

Der Burgermeisterwandtesichmit einerdiesbezuglichenAnfrageanBubernachJerusa-lem.Buberantwortete,daßer gegendie AnbringungeinersolchenTafel nichtseinzuwen-denhabe,daßer aberdie Bedingungstellenmusse,daßauf derTafel zusatzlichvermerktwerde: � Aus diesemHausewurdeMartin Buber1938vertrieben� .

DaraufhinerfolgtekeineAntwort mehr, und die Anbringungder Marmortafelunterbliebdamals.21

Konsequenzen

Der dialogischeGrundzugdesBuberschenDenkensfindetsich in seinerArbeit immerwieder— undhatteFolgenfur seinRedenundHandeln.

Gottesbild In demBandchenBegegnungbeschreibtBuberfolgendeBegebenheit:einchristlicherPre-diger — � in einemaktualeneschatologischenGlaubenlebenderChrist� — besuchtBuberin Berlinundversucht,denaufziehendenerstenWeltkrieg alsim BuchdesProphetenDanielvorhergesagtdarzu-stellen.NachdessenBesuchbegleitetBuberdenGastzumBahnhof;aneinerStraßeneckebleibensiestehen,derGastfragtBuber:

� SagenSiemir: GlaubenSie an Gott?� Es dauerteeineWeile, eheich antwortete,dannberuhigteich denaltenMann, so gut ich konnte:er brauchesich in diesemBelangeummichkeineSorgezumachen.Hieraufbrachteich ihn zumBahnhofundsetzteihn in seinenZug.

Als ich nunheimgingundwiederanjeneEckekam,wo derschwarzeWeg in unsereStra-ßemundete,blieb ich stehn.Ich mußtemich bis auf denGrundbesinnen.Hatte ich dieWahrheitgesagt?� Glaubte� ich andenGott,denHechlermeinte?Wie verhieltessichmitmir? Langestandich anderEcke,entschlossen,nicht weiterzu gehen,eheich die rechteAntwort gefundenhatte.

Plotzlich erhobsiesichmir im Geist,dawo sichje undje die Sprachebildet, erhobsich,ohnevonmir zusammengesetztwordenzusein,Wort fur Wort ausgepragt.

� WennanGott glauben� , so hießes, � bedeutet,von ihm in derdritten Personredenzukonnen,glaubeich nicht anGott.Wennanihn glaubenbedeutet,zu ihm redenzu konnen,

21ShalomBen-Chorin,Zwiesprachemit Martin Buber, S.26

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glaubeich anGott.� Und nacheinerWeile weiter: � Der Gott, derdieseStundederMen-schengeschichte,dieseStundeda vor dem � Weltkrieg � , Daniel so vorzuwissengibt, daßder ihren festenPlatz im Zug der Zeitenbestimmenkann,ist nicht mein Gott und nichtGott.Der Gott,zudemDanielin seinemLeid betet,ist meinundallerGott.� 22

Religionsgesprach Bubers � religioserExistenzialismus� relativiert die Dogmatik,denGlaubensin-halt, gegenuberdermenschlichenExistenz;diesermoglicht einenoffenenDialog zwischendenReli-gionen.Die Fahigkeitzu einemsolchenDialog stellt er einerreligiosenUberzeugunggegenuber, dieer sobeschreibt:� DerAnders-,dasheißtIrrglaubigemußbekehrtoderzumindestbelehrtwerden,eineunmittelbareBeruhrungmit ihm vermagnur außerhalbder Glaubensvertretung,nicht von ihr auszuerfolgen.� Bubererwidert:

(. . . ) Luther und Calvin glauben,dasWort Gottessei so unter die Menschenniederge-gangen,daßeseindeutiggekanntwerdenkonneundalsoausschließendvertretenwerdenmusse,ich aberglaubedasnicht, sonderndasWort Gottesfahrt vor meinenAugennie-der wie ein fallenderStern,von dessenFeuerder Meteorsteinzeugenwird, ohneesmiraufleuchtenzu machen,und ich selberkannnur dasLicht bezeugen,nicht aberdenSteinhervorholenundsagen:Dasist es.

(. . . ) Wir harreneinerTheophanie,vonderwir nichtswissenalsdenOrt, undderOrt heißtGemeinschaft.In denoffentlichenKatakombendiesesHarrensgibt esein eindeutigkennbaresund ver-tretbaresGotteswortnicht, sonderndie uberliefertenWorte deutensich uns in unseremmenschlichenEinanderzugewandtseinaus.KeinGehorsamzumKommendenbestehtohnedie Treuezu seinerKreatur. Dies erfahrenzu habenist unserWeg — kein � Fortschritt� ,abereinWeg.

EineZeit echterReligionsgesprachebeginnt,— nicht jenersobenanntenScheingesprache,wo keinerseinenPartnerin Wirklichkeit schauteundanrief,sondernechterZwiesprache,vonGewißheitzuGewißheit,aberauchvonaufgeschloßnerPersonzuaufgeschloßnerPer-son.Dannerstwird sichdie echteGemeinschaftweisen,nicht dieeinesangeblichin allenReligionenaufgefundenengleichenGlaubensinhalts,sonderndie derSituation,derBang-nis undderErwartung.23

Bibelverstandnis Zu derbiblischenErzahlunguberSamuelundAgag(1 Sam15)erzahlt BubervonderBegegnungmit einem � gesetzestreuenJuden,derin allenEinzelheitenseinerLebensgestaltungderreligiosenUberlieferungfolgte� .

Ich weißnicht mehrgenau,in welchenZusammenhangwir auf jenenAbschnittdesSamu-elbucheszu sprechenkamen,in demerzahlt wird, wie SamuelKonig Sauldie BotschaftGottesuberbringt,diedynastischeHerrschaftwerdeihm entzogen,unteranderemdeshalb,weil er denbesiegtenAmalekiterfurstenamLebenließ. Ich berichtetemeinemGesprachs-partner, wie furchtbaresmir schonin meinerKnabenzeitgewesenist, diesealsBotschaftGotteserscheinendenWorte zu lesen(und mein Herz notigte mich, sie immer wiederzulesenoderauchnur daranzu denken,daßdiesin derSchrift geschriebensteht);wie grau-enerregendesmir schondamalswar, zu lesenoderzu erinnern,wie derheidnischeKonigmit demSpruchauf denLippen � Sei's drum, schonwich desTodesBitterkeit� auf den

22Begegnung, S.5623Zwiesprache, S.148f

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Prophetenzugeht,um von ihm � zerhauen� zuwerden.Ich sagtezu meinemPartner: � Ichhabeesnieglaubenkonnen,daßdieseineBotschaftGottessei.�

UntergerunzelterStirn und zusammengezogenenBrauenflammtederBlick desMannes,dermir gegenubersaß,mir in die Augen.Er schwieg, setztezur Redean,schwieg wieder.� So?� brachteerendlichhervor, � so?AlsodasglaubenSienicht?� — � Nein� , antworte-te ich, � ich glaubeesnicht.��� So?so?Sieglaubenesnicht?� wiederholteerfastdrohend.Undich nocheinmal:� Nein.� — � Was. . .was. . . � — erstießdasWort Mal umMal vorsich her — � wasglaubenSie also?��� Ich glaube� , sagteich ohnezu uberlegen, � daßSamuelGottmißverstandenhat.� Under, wiederlangsam,aberleiseralsbisher: � So?dasglaubenSie?� Undich: � Ja.� Dannschwiegenwir beide.Nunaberbegabsichetwas,des-sengleichenich vorherund nachherin diesemmeinemlangenLebennur seltengesehenhabe.DaszornigeGesichtmir gegenuberwandeltesich,wie wenneineHandbeschwichti-genddrubergefahrenware.Esklartesich,war nunhell undklar mir zugewandt. � Nun� ,sagtederMannmit einergeradezusanftenDeutlichkeit,� dasmeineich auch.� Undwiederschwiegenwir beide,eineguteWeile lang.

Esist amEndenichtsErstaunliches,daßeingesetzestreuerManndieserArt, wenner zwi-schenGottundderBibel zuwahlenhat,Gottwahlt:denGott,andenerglaubt,den,andenerzuglaubenvermag.(. . . )

Der Menschist soerschaffen, daßer verstehenkann,abernicht verstehenmuß,wasGottihm sagt.Gott gibt den erschaffenenMenschendenAngestenund Notennicht preis,erleiht ihm denBeistandseinesWorts, er sprichtzu ihm, er sprichtseinWort ihm zu. DerMenschaberhorchtnicht getreuenOhrsauf dasihm Zugesprochene,er vermengtschonim HorenHimmelsgebotundErdensatzungmiteinander, OffenbarungdesSeinendenunddie Orientierungen,die er sichselberzurechtmacht.Von diesemTatbestandsindauchdieheiligenSchriftenderMenschennicht ausgenommen,auchdie Bibel ist esnicht. Es gehtletztlich nicht darum,daßdieseoderjenePersonderbiblischenGeschichtserzahlungGottmißverstandenhat;esgehtdarum,daßin demWerk derKehlenundderGriffel, ausdemder Text des � Alten Testaments� entstandenist, sich wieder und wieder MißverstehenansVerstehenheftete,Hergestelltessich mit Empfangenemverquickte.Wir habenkeinobjektivesKriterium fur die Scheidung;wir habeneinzig denGlauben,— wennwir ihnhaben.Nichtskannmich aneinenGott glaubenmachen,derSaulbestraft,weil er seinenFeind nicht ermordethat. Und doch kann ich auchheutenoch den Abschnitt,der dieserzahlt, nicht andersalsmit Furchtund Zittern lesen.Aber nicht ihn allein. Immer, wennich einenbiblischenText zu ubertragenoderzu interpretierenhabe,tue ich esmit FurchtundZittern,in einerunentrinnbarenSchwebezwischendemWorteGottesunddenWortenderMenschen.24

Die Urgefahr desMenschenist die � Religion � Insofernsie einen � sakralenBereich� schafft, indemderKult oderdasreligioseGefuhl sichverselbstandigtundderMenschGottalsPartnerdesDialogsverliert,siehtBuberdie (jetzt in Anfuhrungszeichen:)� Religion� alsGefahr:

Der wirkliche UmgangdesMenschenmit Gott hatanderWelt nicht bloßseinenOrt, son-dernauchseinenGegenstand.Gott redetzumMenschenin denDingenundWesen,die erihm ins Lebenschickt;derMenschantwortetdurchseineHandlungandiesenDingenundWesen.JederspezifischeGottesdienstist seinemSinnnachnur die immerneueBereitungundHeiligung zu diesemUmgangmit Gott an derWelt. Aber esist eineUrgefahr, wohldie außersteGefahrundVersuchungdesMenschen,daßsich von dermenschlichenSeite

24Begegnung, S.71ff

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desUmgangsetwasablost und verselbstandigt— sich rundet— sich scheinbarzur Ge-genseitigkeiterganzt,sich an die Stelledeswirklichen Umgangssetzt.Die UrgefahrdesMenschenist die � Religion� . Dassichsoverselbstandigendekonnendie Formensein,indenenderMenschdie Welt Gott zuheiligte,daskultisch-Sakramentale;nunsindsienichtmehr die Weihe desgelebtenAll-tags, sonderndessenAblosen;Weltlebenund Gottes-dienstlaufenunverbindlichnebeneinanderher; aberder � Gott� dieseDienstesist nichtmehrGott,er ist derbildsameSchein— derwirkliche PrtnerdesUmgangsist nicht mehrda,die Gebardenschlagenin die leereLuft. OderdassichVerselbstandigendekonnendieseelischenBegleitumstandedesUmgangssein,die Andacht,die Ausrichtung,die Versen-kung,dieVerzuckung;wasin dieBewahrunganderFulle desLebenszumundenbestimmtund angewiesenwar, wird von ihr abgeschnitten;die Seelewill nur nochmit Gott zu tunhaben,alswolle er, daßmandieLiebezu ihm anihm undnichtanseinerWelt ausube,nunmeint die Seele,die Welt sei zwischenihr und Gott entschwunden,abermit der Welt istGott selbstentschwunden,nur sie allein, die Seele,ist da, wassie Gott nenntist nur einGebild in ihr, wassie alsDialog fuhrt ist ein Monologmit verteiltenRollen,derwirlichePartnerdesUmgangsist nichtmehrda.25

Uber dasReligionsgesetz AuseinemBrief Martin BubersanMauriceFriedman:

(. . . ) Fur meinePersonweißich,daßichzutunversuche,wasichalseinanmichgerichtetesGeboterfahre;aberwie kannich darausdieallgemeineRegelmachen,daßeinRitualrichtigoderfalschist usw.

Ich offne mein Herz demGesetzso weit, daßich mich, wennich ein Gebotanmich ge-richtetweiß,verpflichtetfuhle,eszu befolgen,soweit essichanmich richtet— z.B.: ichkannamSabbatnicht lebenwie ananderenTagen;meinegeistigeundphysischeHaltungist verandert,abernichtsin mir treibtmich dazu,genauundim einzelnenzubefolgen,wasdasReligionsgesetzerlaubtundwasnicht.

(. . . ) Das ist meineArt zu leben,und wenn man will, kann man es religioseAnarchienennen[soGershomScholem].Aberwie konnteich darauseineallgemeineRegelmachen,diez.B.auchfur Siegilt! Ich kannnurdaseinesagen:setzenSiesichin Beziehung,wie SiekonnenundwannSiekonnen;tun SieIhr Bestes,in derBeziehungzu bleiben,undhabenSiekeineFurcht!26

Politik In seiner� zweitenzionistischenPeriode� , alsnachderbritischenBalfour-Deklaration(1917)einejudischeBesiedlungPalastinas(unddieStaatsgrundung)in greifbareNahegerucktwar, tratBuberbesondersfur eine Verstandigungmit den bereitsim LandewohnendenJudenund — vor allem —Arabernein.Er wargegendieGrundungeinesjudischenNationalstaats,fur einenbinationalenStaatinPalastina.

Auf dem12.Zionistenkongreß,1921in Karlsbad,schlugBubereineResolutionvor, in dereshieß:

In dieserStunde,in der zum erstenmalwieder nachachtJahrenTrennungdie VertreterdesselbstbewußtenjudischenVolkstumssich versammelthaben,sei von neuemvor denNationendesAbendlandesunddenendesMorgenlandeserklart, daßderstarkeKerndesjudischenVolkesentschlossenist, in seinealteHeimatzuruckzukehrenundin ihr einneues,aufunabhangigerArbeit begrundetesLebenaufzubauen,dasalsorganischesElementeinerneuenMenschheitwachsenunddauernsoll. (. . . )

25Einsichten, zitiert nacheinemArbeitsblatt26Briefe1938– 1965, Nr. 305(vom27.Marz1954)

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AberdiesernationaleWille ist nicht gegeneineandereNationalitatgerichtet.DasjudischeVolk, seit zweitausendJahrenin allenLandeneinevergewaltigteMinderheit,wendetsichnun,daeswiederalsSubjektseinerGeschichtein dieWeltgeschichteeintritt, mit Abscheuvon denMethodendesHerrschaftsnationalismusab,dessenOpferesso langewar. Nichtum ein anderesVolk zu verdrangenoderzu beherrschen,strebenwir in dasLandzuruck,mit demunsunverganglichehistorischeundgeistigeBandeverknupfenunddessenheutesodunnbevolkerterBoden,zumalbei intensiverundfolgerichtigerBewirtschaftung,Raumgenugfur unsundfur die ihn gegenwartigbewohnendenStammebietet.27

In IsraelwurdeBubervor allemauszweiGrundenangegriffen:

� er betriebdie BesiedlungIsraelszur Mandatszeitmit starkenApellen, quasivom Schreibtischaus,zogerteaberselbermit derEmigration,bis es1938fastzuspatwar

� seineHaltungzur Religion nahmdasorthodoxe Judentum(und dessenOrganisationen)gegenihn ein, deshalberhielt er '38 an der von ihm mit vorbereitetenHebraischenUniversitat einenLehrstuhlin Sozialwissenschaftenundnicht in BibelwissenschaftoderTheologie

Die Gruppe,derBuberin IsraelangehorteundderenpolitischesZiel dieVerstandigungundVersohnungderAraberundJudenin Palastinawar, hießIchud, Einheit.Um diesespolitischeZiel muhtesichBuberbis in die letztenTageseinesLebens,ja: kurzvor seinemTodvermachteerderHebraischenUniversitatin JerusalemeinenStipendienfondsfur arabischeStudenten.

Als BubernachseinemTod in derHebraischenUniversitataufgebahrtwar, legtenarabischeStudentenRosen,NelkenundGladiolenaufdenSarg.

Eine neueVerdeutschungder Schrift

Uber35 Jahre,von 1924bis 1929(bis zu dessenTod) gemeinsammit FranzRosenzweig,danachbis1961alleine,arbeiteteBuberaneinerneuenUbersetzungderhebraischenBibel.

DieseBibelubersetzungdehntdie deutscheSpracheso weit wie nur moglich hin zu einermoglichstgetreuenWiedergabedeshebraischenUrtextes— bisin dasKlanglichehinein.Buberwollte derSchriftihreGesprochenheitwiedergeben.

Zwei seinerUbersetzungsprinzipienseienhierkurz angedeutet:

� Rhythmus, die Gliederungin � Kolen , rhythmischenSprech-Einheiten,die zugleichSinn-Ein-heitensind;RhythmusaberauchalsWiederkehrundKontrastvonKlangenundLeitworten

� UbertragungdesTetragrammatons,desvierbuchstabigenGottesnamens,dernichtausgesprochenwerdendurfteunddervonderDornbusch-Erzahlung(Ex 3f) hergedeutetwird alsIch werdedasein,alsder ich daseinwerde

Von denvorgefundenenArten,dasTetragrammatonzu ubersetzen,konntenwir dem-gemaßkeineubernehmen.Die Umschreibung � der Herr , mit der sich die Siebzig,die VulgataundLutherbehelfen— im AnschlußandenjudischenBrauch,anStelledesnicht auszusprechendenNamensdasWort 'adonai, meineHerren,sodannmeineHerrschaft,zu sagen—, war ebensounannehmbarwie dasmißdeutende� der Ewi-ge CalvinsundMendelssohns;undauchdie in derwissenschaftlichenUbertragung

27Der JudeundseinJudentum, S.462

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ublicheTranskriptionwaruns— abgesehenvonderFragwurdigkeitihrerVokalisation— deshalbnicht erlaubt,weil dadurchmitten in derSchrift derseineBotschaftspre-chendeGottesnameden stummenEigennamender Gotter gleichgestelltwird. Aberauch ! der Daseiende" oder ! der Gegenwartige" durftenwir nicht schreiben,weildiesden in seinemSinn aufleuchtendenNamendurcheinenfestenBegriff ersetzenhieße,dervon jenerSinnerschließungnur das ! Stets" undnicht das ! Immerwiederneu" zuerfassenvermag.Esgalt,eineWiedergabezufinden,die in demhorendenLe-sereinjenerausdemNamenzustromendenGewißheitverwandtesGefuhlerzeugt,alsodasBei-ihnen-,Bei-uns-SeinGottesnichtbegrifflich aussagt,sonderngegenwartiglichverleiht.Die Einsicht in denpronomialenCharakteroderGehaltder ursprunglichenNamensformgab die Richtungan. Darumsteht in unsererVerdeutschungICH undMEIN, wo Gott redet,DU undDEIN, wo erangeredetwird, ER undSEIN, wo vonihmgeredetwird. 28

Literatur

von Martin Buber

# Begegnung. AutobiographischeFragmente(Heidelberg: VerlagLambertSchneider, 4. Aufl 1986)ist sicherlichderbesteEinstieg in BubersWerk.In nichtzugroßenPortionenundimmerkonkre-tisiert aneinerBegegnungodereinerBegebenheitin BubersLeben,kommenhier die Grundge-dankenBuberszumAusdruck.

# Nachlese(Gerlingen:VerlagLambertSchneider, 3. Aufl. 1993)ist eineSammlungvon Essays,Gedichten,RedenundanderenkurzerenTextenzu verschiedenenThemen.Sieenthalt zumBei-spielBubersRede! DasechteGesprachunddieMoglichkeitendesFriedens" zurVerleihungdesFriedenspreisesdesdeutschenBuchhandels1953.

# Ich undDu (in: DasdialogischePrinzip), das ! philosophischeHauptwerk" ist nicht ganzleichtzulesen,dennBuberhateinesehreigentumlicheSprache.In immerneuenKreisenumfaßterseinThema,dieGegenseitigkeitin derBeziehung.

# Zwiesprache(in: DasdialogischePrinzip) ist in vielemkonkreteralsIch undDu.

# Das dialogischePrinzip (Heidelberg:VerlagLambertSchneider, 5. Aufl. 1984;hier: Lizenzaus-gabefur die WissenschaftlicheBuchgesellschaft,Darmstadt)ist einerelativ preiswerteAusgabedergrundlegendenTextezuBubersdialogischemDenken.

# Die ErzahlungenderChassidim(Zurich:ManesseVerlag,9.Aufl. 1984):Ein sehrschonesBand-chen,daszudengroßenBuchernreligioserUberlieferungzahlt.EswarenGeschichtenausdieserSammlung,diemichgereizthaben,mehrvonBuberzu lesen.

# ZueinerneuenVerdeutschungderSchrift (BeilagezumerstenBanddervierbandigenBibelausga-be,Die funfBucherderWeisung, Heidelberg:VerlagLambertSchneider, 10.Aufl. 1981):hierlegtBuberdie wichtigstenPrinzipienderNeuubersetzungdar. Er beschreibtauchdie NotwendigkeiteinerneuenUbertragungderallzu ! bekannten" Bibel in einewiederzugewinnendeUnmittelbar-keit. Ich schatzedieBuber-Rosenzweig-UbersetzungdesErstenTestamentssehr.

# Briefe aus siebenJahrzehnten(Heidelberg: Verlag LambertSchneider, 1975) die dreibandigeBriefausgabeist sehraufwendig.Ich habesiemir mal ausderBibliothek entliehenundmit viel

28Zu einerneuenVerdeutschungderSchrift, S.[29]f

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Freudedarin geschmokert. Haufig nutzt BuberdenpersonlichenKontakt,um seineGedankennocheinmal,oft pointierter, darzulegen.

$ Der Judeund seinJudentum(Gerlingen:VerlagLambertSchneider, 2. Aufl. 1993)ist ein sehrumfangreicherBandmit TextenundRedenzu FragendesJudentums,dienichtseineArbeit uberdieBibel bzw. denChassidismusbetreffen.

$ Einsichten(Wiesbaden:Insel-BuchereiNr. 573, 1953):ausdiesemBandchenliegt mir nur ei-neAbschrift deshier auchaufgenommenenTextesvor, die einmalals Arbeitsblattin der KHGverwendetwurde.

Sekundarliteratur

$ GerhardWehr, Martin Buber. Leben,Werk, Wirkung (Zurich: DiogenesVerlag, 1991) ist dieausfuhrlicheBuber-Biographie,auf die ich mich in meinerBeschreibungderBiographieBubershauptsachlichstutze.

$ GerhardWehr, Martin Buber (Reinbek:Rowohlt Taschenbuch Verlag,1968) ist ein schmalesBandchenin derReiheder % Bildmonographien& (Band147)bei rororo.

$ ShalomBen-Chorin,Zwiesprachemit Martin Buber(Gerlingen:Bleicher, 1978)ist eineSamm-lung mehroderwenigeranekdotischerGeschichtenausdemLebenMartin Bubers.EinenTeilhatBen-Choringesammelt,einenTeil selbererlebt.Im letztenTeil desBuchesveroffentlicht erTagebuchnotizenuberseineBegegnungenmit Martin Buber. Sehrschonzu lesen,undsogarfastdenBiographienvorzuziehen.

$ GershomScholem,Martin BubersDeutungdesChassidismus(in: Judaica,Frankfurtam Main:Suhrkamp,1963)ist ein Beispielfur die Kritik anBubersHerangehensweise.Scholem,derum-fangreicheForschungenzurjudischenMystik unternommenhat,wirft Bubervor, daßerdenChas-sidismusnuralsgeistigesundnicht (auch)alshistorischesPhanomenbeschreibt.

Das Zitat von E. Brunner, dasder Vorredevorangestelltist, ist dem Sammelbandvon Schilpp undFriedman(Martin Buber,Philosophendes20. Jahrhunderts,Stuttgart:W. KohlhammerVerlag,1963;deutscheAusgabevon P. A. Schilpp,M. Friedman(ed.),ThePhilosophyof Martin Buber, TheLibraryof Living Philosophers,Evanstown, Ill. 1963)entnommen,in demeineganzeReihevon Texten zurkritischenWurdigungdesWerksMartin Buberszusammengetragensind.

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ER ist mein Hirt

ER ist meinHirtmir mangeltsnicht.Auf Grastriftenlagerter mich,zu WassernderRuhfuhrt er mich.Die Seelemirbringter zuruck,er leitetmichin wahrhaftigenGleisenum seinesNamenswillen. –Auchwennich gehnmußdurchdieTodschattenschlucht,furchteich nichtsBoses,denndubistbeimir,deinStab,deineStutze–die trostenmich.Du rustestdenTischmirmeinenDrangernzugegen,streichstdasHauptmir mit Ol,meinKelchist Genugen.Nur GutesundHoldesverfolgenmich nunalleTagemeinesLebens,ich kehrezuruckzu DEINEM Hausfur dieLangederTage.

Psalm23 in der UbertragungvonMartin Buber

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