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1 DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hintergrund/Feature Dienstag, 6. Juni 2006 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Match und Macht Fußballstadien Von Ulrich Land Co-Produktion WDR/DLF/SWR URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -

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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hintergrund/Feature Dienstag, 6. Juni 2006 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr

Match und Macht

Fußballstadien

Von Ulrich Land

Co-Produktion WDR/DLF/SWR

URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. � Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -

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Atmo: Trompete

Fußballfans singen „Attacke“

Musik: Stealing Fat

Groundhopper:

Strahov-Stadion Prag, Jan Brydelstadion Brügge, Stadion Laugardalsvöllur

Reykjavik. Du lässt kein Wochenende aus, schaffst in fünf Tagen sechs Spiele in drei

verschiedenen Ländern. Stattliche 174 Grounds in den letzten Jahren gesammelt

und 24 Länderpunkte. "Eurohopper", Kategorie "Profi". Kein Stadion zu weit, kein

Spiel zu unbedeutend.

Geräusch: Plattennadelkratzer

Musik: Jason Forrest: War Photographer

Zitator:

Match und Macht

Fußballstadien

Ein Feature von Ulrich Land.

Atmo: Hubschrauber über dem Gelände vor der Münchne r Arena

Musik: In the Sweet Bye

O-Ton: Uwe Seeler

Jedes WM-Stadion hier in Deutschland ist auf seine Art absolut topp!

Zitator:

Uwe Seeler.

O-Ton: Uwe Seeler

Was die Stadien angeht, sind wir schon Weltmeister!

Musik: War Photographer

Atmo: Stadion Fangesänge

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Arena:

In Deutschland wurde seit der Weltmeisterschaft ´74 kein neues Stadion mehr

gebaut. Seit aber im Juli 2000 die WM an Deutschland vergeben wurde, wurden über

ein Dutzend Fußballstadien neu oder höchst aufwändig umgebaut.

Zitator:

Gesamtinvestitionen: anderthalb Milliarden Euro.

Arena:

Die neuen Fußballtempel sollen als potenzielle Exportschlager der angeschlagenen

deutschen Bauindustrie dienen. Die Olympiade in China und die WM 2010 in

Südafrika stehen bevor!

Geräusch: Fußball

Zitator:

"Da wir nicht voll auf Niederlage spielen, spielen wir voll auf Sieg." (Berti Vogts)

Atmo Fußballfans singen „Attacke“

Musik: Etienne de Crecy: Prix Choc

Arena:

In den letzten Jahren hat sich bei der Finanzierung von Fußballstadien ein

entscheidender Paradigmenwechsel vollzogen. Wurden die Baukosten früher

ausschließlich von der öffentlichen Hand getragen, so ist inzwischen der Anteil von

privatwirtschaftlichen Investoren signifikant gestiegen! Der Neubau des Parkstadions

in Gelsenkirchen für die WM ´74 wurde beispielsweise zu 100 % öffentlich finanziert;

der knapp 140 Millionen teure Bau der Schalke-Arena dagegen wurde fast

ausschließlich durch Investoren aus der Privatwirtschaft bezahlt. Dennoch werden

die öffentlichen Kassen auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene immer noch

durch Bürgschaften, vor allem aber durch die Bereitstellung der

Verkehrsanbindungen, in die Pflicht genommen.

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O-Ton Wolfgang Pehnt

Und selbst das, was also von den Sponsoren da rein gesteckt wird, das unterliegt

nicht mehr der Steuer ...

Zitator:

Wolfgang Pehnt, Architekturhistoriker

O-Ton Wolfgang Pehnt

Also insofern werden auch diese Veranstaltungen von uns Steuerzahlern, als der

größten Fußballgemeinde überhaupt, getragen. Also ganz so uneigennützig,

abgesehen vom Werbeeffekt, sind natürlich auch diese Sponsoren-Leistungen nicht.

O-Ton Christoph Ingenhoven

Man verkauft die Rechte, man verkauft den Namen des Stadions, das sind ja ganz

komplizierte Vermarktungsstrategien

Zitator:

Christoph Ingenhoven, Architekt

O-Ton Christoph Ingenhoven:

Natürlich nehmen die Namensgeber, die Rechteabnehmer, auch das Management

des Fußballclubs, auch die finanzierenden Banken usw. dann Einfluss auf die

Architektur, also bei diesen so genannten Arena-Projekten, die sich allerdings auch

dem Fußball natürlich sehr, sehr stark unterordnen.

Geräusch: Plattennadelkratzen

Musik: Howard Shore: The Prophecy

Groundhopper:

Aus den Maulwurfgängen der U-Bahn ans Licht gestiegen, aufgetaucht zwischen

röhrenden Autobahnen und graugrauem Gewerbegebiet. Da plötzlich taucht es linker

Hand auf: das silbrig-weiße Sitzkissen, zerfurcht von Steppnähten, die die

Oberfläche in unzählige Luftsäcke teilen und mit einem Netz überziehen, auf dass es

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nicht abhebe und davon schwebe. Man hat dir einen Sitzplatz direkt am oberen Rand

verpasst. Dort, wo der Deckel auf diesem leuchtenden LKW-Reifen aufliegt. Die

Tribünenwände so steil, dass du dich am liebsten anseilen würdest. Ganz da unten:

der heilige grüne Rasen. Das Spiel selbst: eine Winzigkeit. Nur die Reklame-

Buchstaben auf den Banden, den Videoscreens und Tribünenbrüstungen lassen sich

mühelos entziffern. Ein silbrigweißes Elementarteilchen rollt verloren wie auf einem in

Pixel zerfallenen Bildschirm übers Feld.

Musik: Jason Forrest: War Photographer

Arena:

Mittelpunkt 1:

Zitator:

"Glamour und Spiele"

Arena:

FIFA-WM-Stadion München. Oder: Die Welt zu Gast bei Freunden

Geräusch: Pfeife

Atmo: Fangesänge

Arena:

Die neue Form der Finanzierung zieht einen nicht weniger wichtigen

Paradigmenwechsel in der Stadionarchitektur nach sich: Während die Welt sich

globalisiert, werden die Stadien zu abgeschlossenen Räumen. Tosender

Gebrüllkokon, während draußen die Grenzen fallen. Obwohl die

Fußballweltmeisterschaft 2006 mit ihrer angestrebten weltoffenen Heiterkeit

eigentlich eher in offene Stadien nach dem Muster des antiken Olympia passen

würde, weisen fast alle neuen WM-Arenen die Architektur steilwandiger,

geschlossener Kessel auf.

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O-Ton Wolfgang Pehnt

Wobei definitiv das römische Modell, also das Modell Kolosseum, sich durchgesetzt

hat. Also die große geschlossene Anlage mit der Arena, auf die sich alle Blicke hin

richten, die umlaufenden Sitzordnungen, die in verschiedene Ränge gegliedert sind,

und ein relativ hoher Maueraufsatz.

Musik: Einzug der Gladiatoren

Zitator: •

Amphitheatrum Novum, erbaut von Kaiser Vespasian, später Kolosseum genannt.

Die Anordnung von Eingängen, Treppen und Umläufen im Traggerüst gilt bis heute

als Vorbild für die Zugangsbereiche moderner Großstadien; die Zuschauerränge

können sich in knapp einer Viertelstunde mit bis zu 50.000 Menschen füllen und in

fünf Minuten wieder leeren. Gigantisches Sonnensegel, Vorläufer der Falt- und

Foliendächer moderner Stadien, massive Fassaden in grauem und gelbem Travertin,

die Zuschauersitzstufen marmorverkleidet, vier Geschosse mit Arkadengalerien.

Arena:

Die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron haben die neue Münchner

Fußballarena entworfen.

O-Ton - junge Bayerin

Schaut hässlich aus! Es ist ein großer Koloss. Aber innen drin wird's hoffentlich

besser.

O-Ton - Bayer

Es erinnert ein bisschen an diese amerikanischen Footballstadiums, weil's halt auch

sehr geschlossen ist, fehlt jede Offenheit, ist abgekapselt nach außen, und durch

diese Komplett-Plane hat es auch wiederum etwas sehr Fokussiertes, sehr

Zentriertes.

O-Ton Christoph Ingenhoven

Die ganze Weite, die Leichtathletikstadien mit sich gebracht haben, die ist jetzt da

raus, also reine Fußballstadien, und das bestimmt die Architektur natürlich.

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Zitator:

Christoph Ingenhoven. Trotz seines internationalen Renommees sowohl bei den

Ausschreibungen für die WM-Stadien in Südkorea als auch jetzt in Deutschland mit

seinen avantgardistischen Entwürfen abgeblitzt.

O-Ton Christoph Ingenhoven

Von Olympia aus angefangen in Griechenland bis zu eben den großen berühmten

Stadien, 36er Olympiastadion und das 72er Olympiastadion beispielsweise, sind

alles ovale Stadien, die also sehr, sehr offen sind und je nachdem eben

großherrschaftliche oder fröhliche Inszenierungen erlaubten. Da kann man auch

geteilter Meinung dazu sein. Das erlauben die eigentlich alle nicht mehr. Die

erlauben eigentlich eine wahnsinnige Kesselatmosphäre, die ist scheinbar auch sehr

beliebt und begehrt, und dann wird also mit der Trommel sozusagen der Rhythmus

vorgegeben.

Musik: Paul Clarvis: Powerhouse

O-Ton Wolfgang Pehnt

Räumliche Nähe ist ja eigentlich das, was jemanden überhaupt nur noch veranlassen

kann, in das Stadion zu gehen. Denn sonst sehe ich ja alles besser auf meinen

Fernsehschirm. Da habe ich also die Detailaufnahmen, da sehe ich, wie Ronaldinho

mit dem Fußball dribbelt, was ich also auf der großen Distanz, die auch in den

Hexenkesseln noch herrscht, höchstens mit dem Fernrohr sehen könnte.

Atmo: Fangesang

Arena:

Die Fans werden zusammengeschweißt zur Erregungsgemeinschaft. Zu zwei

konkurrierenden Erregungsgemeinschaften!

O-Ton Uwe Seeler

Die Stimmung ist natürlich sensationell, selbst wenn nur 15.000 drin sind, weil

natürlich, wenn die schreien, das alles im Stadion bleibt und zurückhallt.

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Zitator:

Uwe Seeler, Nationalspieler der 60er Jahre, seinerzeit einer der besten Mittelstürmer

der Welt.

O-Ton Uwe Seeler

Die früheren Stadien waren wunderschön, und wir kannten nichts anderes, für uns

war es fantastisch, die waren aber offener, und natürlich dadurch war die Stimmung

nicht so im Stadion zu halten.

O-Ton Christoph Ingenhoven

Das ist das konzentrierte Power-Erlebnis, 360 Grad Fußball, ja, stereo-surround, ich

weiß nicht was. Mega! Das hat schon was Überwältigendes! Auch im negativen

Sinne was Überwältigendes. Dem kann sich auch kaum jemand entziehen. Das ist

vielleicht auch eine der emotionalen Wirkungen, die diese großen Stadien haben,

also man verliert schnell auch die kritische Distanz.

Musik: Marti/Angulo/Seeger: Guantanamera

Arena:

Das Münchner Olympiastadion von 1972 wartete mit einer so gewagten wie

eleganten Zeltdachkonstruktion auf, die dem Spielfeldgrundriss eine

Kurvendiskussion auferlegte. Die Parabeläste, weichen Kurven, gebogenen

Schrägen des Daches überlagerten die strengen Kanten der Horizontalen. Ein

Stadion, das es wagte, der puren Funktionalität einen kreativen Überbau

abzutrotzen.

O-Ton Christoph Ingenhoven

Es war eine ungeheure gemeinsame Anstrengung dahinter, sich, also die

Bundesrepublik Deutschland damals, keine 30 Jahre nach dem Krieg, eigentlich als

demokratisch, heiter, locker, cool zu inszenieren. Und das ist eigentlich auch

gelungen. Und man sieht dem Stadion diese Anstrengung nicht an.

Musik: Paul Clarvis: Powerhouse

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Arena:

Die neue Münchner Fußballarena dagegen folgt der reinen Lehre, leistet die

gestrenge Fokussierung auf König Fußball.

O-Ton - junge Bayerin

Ein großer Koloss. Das ist so ein Klotz, des schaut nit schön aus.

Atmo: Torgebrüll und Nachwehen

O-Ton Christoph Ingenhoven

Ich würde das mal so ne Art “Superrealismus” nennen, der dahinter steckt. Also man

wehrt sich letzten Endes nicht mehr gegen diese Stellung des Stadions als

Vermarktungsmaschine, man wehrt sich auch nicht gegen die Unmöglichkeit, eine

außergewöhnliche Konstruktion unterzubringen, ganz im Gegenteil: Man verkleidet

eigentlich dieses an sich, sagen wir mal, konventionell konstruierte Betonstadion, das

also keine Außergewöhnlichkeit ansonsten besitzt, umhüllt das Ganze jetzt aber mit

einer durchaus außergewöhnlich gut und fein konstruierten Hülle, die also rot und

blau leuchtet und das dann auch noch wieder bezieht auf die beiden Fußballclubs,

die ja die Finanzierer und die Bespieler sozusagen dieses Stadions sind.

Musik: Howard Shore: The Shadow of the Past

Groundhopper:

Samstagmorgen, verdammt früh. Noch Stunden bis zum Spiel. Die Parallelwelt ist

noch längst nicht wach. Bloß ein einsamer Techniker, der gerade zum Kontrollgang

ansetzt. Du überredest ihn, dich mitzunehmen. Ob du denn schwindelfrei wärst?

Sicher. Also hoch auf den Catwalk. Laufsteg in schwindelnder Höhe, quer durch

dieses stählerne Dachgebälk, das den Himmel über Schalke hält. Vorbei an

Scheinwerferbatterien, Lautsprecherboxen und Schaltkästen. Quer durchs

Stützkorsett des vergilbten Baldachins über diesem Zwitter aus Open-Air-Arena und

Turnhalle. Rohre, Röhren, Stäbe, Stangen, als hätten die Fußballgötter Mikado

gespielt. Ein Dachstuhl-Labyrinth, das den Himmelsausschnitt überm Fußball-Geläuf

verstellt.

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Musik: Jason Forrest: War Photographer

Arena:

Mittelpunkt 2:

Zitator:

"Event und Spiele"

Arena:

Oder: fußballflankierende Maßnahmen „Auf Schalke“

Geräusch: Pfeife

Atmo: Kontrollgang auf dem Catwalk

O-Ton Ulrich Dargel

"Die Welt zu Gast bei Freunden", und wir haben hier eine Gaststätte eingerichtet, wo

sich jeder Gast wohl fühlen kann. Hier haben wir das Kolosseum der Moderne! Das

Kolosseum des Altertums steht in Rom, und das moderne Kolosseum steht hier in

Gelsenkirchen.

Zitator:

Ulrich Dargel, Architekt und technischer Leiter der Arena „Auf Schalke“

Arena:

Von den zwölf Austragungsstätten der WM 2006 sind neun Stadien ausschließlich

dem Fußball gewidmet. Von den Fans gefeiert, sind sie mit dem Abstand kühler

Vernunft betrachtet: ein Wahnsinn. Fußballstadien sind die öffentlichen Gebäude mit

der extremsten Differenz zwischen Ruhe und Action. Für eine einzige Sportart

werden Riesenarenen an den Rand der Städte gepflanzt, die zum Teil nur alle zwei

Wochen einmal bespielt werden, dann nämlich, wenn, in welcher Liga auch immer,

ein "Heimspiel" angesagt ist.

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O-Ton Peter Peters

Das ist ja der große Nachteil der alten Stadiongeneration gewesen, dass in diesen

Stadien viele Veranstaltungen einfach langweilig waren, weil keine Stimmung

aufkam, weil die Entfernung vom Publikum zum Ort des Geschehens, zum

Innenraum viel zu weit war.

Zitator:

Peter Peters, Schalker Geschäftsführer

O-Ton Peters

Das betrifft ja im Übrigen auch Konzertveranstaltungen, die nie eine solche

Kompaktheit, eine solche tolle Atmosphäre haben wie in einer engen Halle.

Arena:

Die Südtribüne der Arena auf Schalke wurde als Brückenkonstruktion gebaut, damit

der Rasen drunter durch geschoben und an die Luft gesetzt werden kann.

Musik: Verdi: La Traviata

O-Ton Peter Peters

In der Konzertserie 2004 mit Grönemeyer, Robbie Williams, Bruce Springsteen, da

hat die Arena ihre volle Kraft entfaltet!

Arena:

Auch in Sachen Multifunktionalität steht das Kolosseum Modell. Dort ließ sich die

Arena in den Anfangsjahren sogar noch fluten, um Seeschlachten darzustellen.

O-Ton Funke

Bon Jovie oder Robbie Williams.

O-Ton Peter Peters

Aber auch natürlich unsere Ausflüge ins klassische Segment mit den Opern!

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Arena:

Später befand sich unter dem hölzernen Manegenboden – neben den Käfigen für die

Bestien und den Zellen für die todgeweihten Gladiatoren – eine höchst aufwendige

Technik, die die Bühne über komplexe Seilzugkonstruktionen binnen Minutenfrist in

Wald- oder Wüstenlandschaften verzaubern konnte.

O-Ton Peter Peters

Die Biathlonveranstaltung: Winterlandschaft, Glühweintrinken, bisschen Party

machen.

Zitator:

"Ich würde sogar sagen", sagt Architekt Jacques Herzog in der Süddeutschen

Zeitung, "dass die Fußballstadien die Opernhäuser von heute sind."

Atmo: Fangesänge

O-Ton Wolfgang Pehnt

Auf der einen Seite schafft man alle Bedingungen, dass die Leute sich auf 180 Grad

bringen, eine möglichst angeheizte, aufgeheizte Atmosphäre, und auf der anderen

Seite ist man entsetzt, wenn die Rowdies zuschlagen und ihre Kampfgesänge

anstimmen und dann nachher auch noch zu Taten übergehen. Die Hooligans.

Arena:

Stichwort: Deeskalation von Gewalt.

Zitator:

Getreu dem Motto des Kolosseums: "Panem et circenses.“ Brot und Spiele.

O-Ton Wolfgang Pehnt

Also die großen Schlachten anschließend sind ja bisher nun eher noch die

Ausnahme. In gewisser Weise, denke ich, ist schon das Stadion der Ort, der das

Schlachtfeld abgelöst hat.

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Zitator:

Wolfgang Pehnt.

O-Ton Wolfgang Pehnt

Man ist konfrontiert in großer räumlicher Nähe mit den Gegnern, die nicht Feinde

sein müssen, und sieht, wie nach gemeinsamen Regeln Auseinandersetzungen

ausgetragen werden. Also es ist eine vage Hoffnung, dass sich daraus so etwas wie

ein Verständnis für Fairplay entwickeln könnte.

O-Ton Peter Peters

Die Kriminaldelikte sind auf Grund der Modernität, auf Grund der Sauberkeit, auf

Grund des hohen Komforts erheblich zurückgegangen.

Zitator:

Peter Peters.

O-Ton Peter Peters

Das heißt, wenn Sie ein sauberes, wenn Sie ein sicheres Stadion mit einem hohen

Komfort bauen, verhalten sich auch Menschen anders. Es findet dort kein

Vandalismus mehr statt.

Arena:

Stichwort: Komfort und Spiele. 100.000 Polizisten, 10.000 private Sicherheitskräfte,

7.000 Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter werden bei der WM dabei sein. Die

Stadien sind ausschließlich mit Sitzplätzen ausgestattet, die alle von

Überwachungskameras erfasst und herangezoomt werden können. Und zum ersten

Mal bei einer Fußball-WM wird die so genannte RFID-Technologie eingesetzt:

Zitator:

Radio-Frequenz-Identification

Arena:

Jedes Ticket ist mit einem Mikrochip versehen, auf dem Name, Adresse,

Ausweisnummer und weitere personenbezogene Informationen zum jeweiligen

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Ticketbesitzer gespeichert sind. Die mitteilsamen Eintrittskarten werden bei den

Drehkreuzen am Stadioneingang automatisch gelesen und mit in- und ausländischen

Hooligan-Datenbanken abgeglichen. Datenschutzbeauftragte haben sich so

vehement wie erfolglos gegen den Einsatz dieser Technologie ausgesprochen, da

sie die Einschränkung der Persönlichkeitsrechte fürchten.

Atmo: Fangesang

Arena:

Der Gewaltentladung und –eindämmung scheint die Kesselatmosphäre der neuen

Stadien entgegen zu kommen. Der Fokus der so genannten Aggressions-

"Entweichung" soll räumlich eng begrenzt werden. Die Power soll sich in den Stadien

ausagieren - und nicht außerhalb. Abgeschottete Entladestationen, geschlossene

Inseln des Gebrülls.

Musik: LCD Soundsystem: On Repeat

Arena:

Da jedoch Fairplay-Erziehung durch Triebabfuhr offenbar nicht immer erfolgreich ist,

ist die WM 2006 ein nicht unbeträchtliches Versicherungsunterfangen.

Zitator: •

Von Haftpflichtschäden bei Spielern, Betreuern und Zuschauern über den mit

350.000 Euro versicherten WM-Pokal und Verlusten für die Werbewirtschaft, wenn

ein Fußballstar aufgrund von obszönen Gesten als Werbeträger nicht mehr zu

gebrauchen ist, bis hin zum Totalausfall der WM.

Arena:

Gegen diesen GAU ist das Organisationskomitee des Deutschen Fußballbundes mit

158 Millionen Euro versichert. Die Police zum Preis von 5 Millionen Euro schließt

selbst terroristische Anschläge mit ein: das einzig wirkliche Großrisiko, das nach

Ansicht der Assekuranzunternehmen die Weltmeisterschaft noch gefährden könnte.

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O-Ton Honeff (Schalke-Polizei)

Das Ganze ist natürlich so als eine Grundbesorgnis im Hintergrund, obwohl wir keine

Hinweise darauf haben. Wir sind gut vorbereitet, aber ausschließen kann man solche

Dinge natürlich nicht.

Arena:

Was die handfesten Folgen eines Terroranschlags auf ein Stadion angeht, so sind

zumindest mögliche Sachschäden durch Versicherungen abgedeckt. Für eventuelle,

vorsichtshalber gar nicht erst auszumalende Personenschäden indes steht kein

"Risikoträger" gerade.

Geräusch: Hubschrauber

Musik: Queen, "We are the Champions" + "We will roc k you"

Arena:

Stichwort: Stadion als Massenphänomen

O-Ton Christoph Ingenhoven

Also ich war in Stadien immer etwas ängstlich. Muss ich ganz ehrlich sagen. Ich kann

mich an ein Stadionerlebnis erinnern, Rolling-Stones-Konzert ’81 im Müngersdorfer

Stadion, da waren die Ränge alle voll, und das Spielfeld war voll. Und wenn man

dann so vielleicht 20.000 Leute auf dem Spielfeld hat und die sich dann bewegen,

und zwar nach vorne auf die Bühne zu, plötzlich, dann – also ich musste da immer

raus! Ich bin auf die Ränge ausgewichen. Also das hat mich jedenfalls immer eher

überfordert. Immer auch so’n bisschen am Rande des Unheimlichen.

Zitator:

Architekt Christoph Ingenhoven. Und Wolfgang Pehnt, Architekturhistoriker:

O-Ton Wolfgang Pehnt

Also ich meine ja, diese großen Arenen dienen einmal der Triebabfuhr, weil das

Spiel, das also nach geordneten Regeln sich vollzieht, eine Auseinandersetzung ist,

die, jedenfalls wenn alles gut geht, in friedlichen Formen vor sich geht und wo man

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also seine Affekte voll ausleben kann, aber schließlich doch an die Regeln gebunden

ist.

O-Ton Klaus Theweleit

Man investiert möglichst viel Emotionen in das, was da abläuft: Ah, gut gespielt oder

unerwarteter Pass, toll, und du Arschloch! Dieser Brei brodelt da ja die ganze Zeit.

Zitator:

Klaus Theweleit.

O-Ton Klaus Theweleit

Dieses emotionale Kochen, was dann so seine Ausbrüche hat bei ner vergebenen

Chance, aaah, wo alle plötzlich die Arme hoch reißen, das sind ja richtige

Emotionswellen. Das ist ne Sorte Verflüssigung. Und ne Sorte Grenzauflösung.

Atmo: wildes Publikumsgekreische

O-Ton Christoph Ingenhoven

Das Äußerste an Anstrengung, was man sich abverlangen kann, ist, sich sozusagen

gegen diese Masse zu wehren! In diesen Riesenstadien, die also so steil sind, sich

da zu erheben und zu sagen: Also, ihr könnt mich alle mal und ich gehe jetzt, ist

schon ein Akt großer Verweigerung.

O-Ton Wolfgang Pehnt

Diese großen Stadien haben ja auch ein demokratisches Element, insofern also die

Bewunderer des Fußballs durch alle Schichten gehen. Klar, also die demokratische

Gleichbehandlung hört auf in dem Moment, wo ich diesen Kranz der VIP-Logen

betrete. Immerhin, sie werden alle in einer gemeinsamen Veranstaltung unter einem

gemeinsamen Dach zusammengeführt. Das ist das große Kollektiv, das da

triumphiert und sein Räusche feiert.

Arena:

Die FIFA-Spitzenfunktionäre ließen es sich nicht nehmen, sechs Wochen vor der WM

umfangreiche Umbaumaßnahmen bei den VIP-Tribünen zu fordern, damit sie genau

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auf Höhe der Mittellinie sitzen. Die Dortmunder WM-Arena lehnte das Ansinnen ab,

da es das Fluchtweg-Konzept gefährden würde. In München hingegen gab man klein

bei und schraubte für die FIFA-Chefs VIP-Tribünen-Sessel in den Mittelgang.

Musik: Howard Shore: Foundation of Stone

Groundhopper:

Du kneifst die Augen zusammen, versuchst einen Blick zu werfen durch die Fenster

des schmalen Zwischengeschosses da oben auf halber Höhe. Aber nichts, kannst

beim besten Willen nichts erkennen. Auch auf Schalke ist vom Stadioninneren aus

dieser gläserne Sehschlitz nicht zu durchdringen.

Arena:

Wenn die Temperaturen einigermaßen erträglich sind, schiebt man in den Logen und

Lounges der Business-Class vielleicht sogar die Glastüren auf, um den Fans beim

Jubeln zuzusehen. Und manchmal – in gähnend langweiligen Spielphasen – schallt

von unten despektierliches Gebrüll hoch:

GROUNDHOPPER und ZITATOR:

"Ihr seid bloß zum Fressen hier!!"

Atmo: Pfiffe + Publikumsgebrüll

Musik: In the Sweet Bye

O-Ton Uwe Seeler

Die meisten Fans wollen kein Schickimicki-Essen, sondern zum Sport gehört auch

rustikales Essen, da wird schon manchmal in den Stadien für mich übertrieben, für

mich gehört eine Wurst, eine Bratwurst oder eine Knackwurst; dazu, das ist so,

vielleicht auch ein bisschen Kartoffelsalat.

Arena:

Über der Logen-Ebene dann die Ränge unterm Dach, dort, wo der Abstand zum

Spielfeld am größten ist. Hier sitzen die eher distanzierten Skeptiker, Lehrer mit ihren

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Söhnen, Ruheständler und Verwalter. Stadionbesucher, die sich über sich selbst

erschrecken, wenn sie sich für einen kurzen Augenblick im Torgebrüll auflösen.

Atmo: brüllender Fans-Kanon - "Baaayyyern. Baaayyye rn!"

O-Ton Wolfgang Pehnt

Diese Stadien sind Kollektoren, wie Sloterdijk sagt, geworden, indem also

Massengefühle gepflegt und erzeugt werden. Aber brauchen wir nicht solche Orte,

wo die Triebabfuhr funktioniert, und brauchen wir nicht vielleicht auch Orte, wo viele

Menschen sich mit etwas identifizieren, das nicht unbedingt gefährlich ist?!

O-Ton Frankfurter

Auf Schalke in der Arena, wenn die noch das Dach zu haben, dann ist da drinnen so

ein Lärm, da fliegen dir die Ohren weg!

O-Ton Wolfgang Pehnt

Also wenn diese Welle der Emotionen oder dieser kollektive Seufzer durch die ganze

Runde geht oder dann diese inszenierten Tonwellen, in denen die Fans sich

zusammenfinden, das ist ein Moment der Identifikation aller mit allen, den man ja

sonst in dieser heutigen Zivilisation kaum mehr erlebt. Vielleicht Gott sei Dank nicht

mehr sonst erlebt. Aber hier ist das noch da. Und hier wird dieses Bedürfnis, das

sicherlich eines ist, noch befriedigt.

Musik: Howard Shore: The White Rider

Groundhopper:

Du gehst langsam durch die Gittersperren im viel zu hoch geratenen Osttor, das

seine olympischen Ringe in den grauen Himmel über Berlin streckt. Starrst auf den

ausladenden Rundbau: Hunderte von rechteckigen Säulen. Massiver Stein. Natur

gebändigt, in Quader gebannt, mit Macht und Kraft zusammengestaucht. Die

Quadratur des Stadions. Rundrum aufgereiht: kantige Stempel,

zusammengenommen wie das Rädchen von einer riesigen Armbanduhr. Als wenn

einer die Zeit zurück drehen wollte.

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Musik: Howard Shore: Evenstar

Dann der erste Schritt ins Stadion selbst. Wie weggeblasen, die Klotzigkeit der

Säulenbrocken! Doch am Monströsen vorbeigeschrammt. Vor dir eine elegant flache

Obstschale. Blauer Tartangürtel ums Grün geschlungen. Die Sitzreihen steigen ganz

langsam abwärts, halten ehrfürchtig Abstand vom Spielfeld. Und trotzdem gibt’s hier

keinen einzigen Stein, der nicht weiß, wo er hingehört. Nichts, was aus der Reihe

tanzt. Kein Grashalm, der sich durch die Ritzen der Steinplatten wagt.

Musik: Jason Forrest: War Photographer

Arena:

Mittelpunkt 3:

Zitator:

"Konsum und Spiele"

Arena:

Olympiastadion Berlin. Oder:

Zitator:

"So kam ich unter die Deutschen."

Geräusch: Pfeife

Atmo: Atmen

Arena:

Eine der wenigen Ausnahmen bei der Nebennutzung von Fußballstadien gelang der

Berliner Schaubühne, als sie mit nicht-massentauglicher Kultur ein ganz neues

Publikum ins Stadion lockte: ...

Zitator:

1977, "Winterreise", mit Texten von Friedrich Hölderlin.

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O-Ton Gerd Wameling

Hyperions “Rede an die Deutschen” war natürlich der politische Kontrapunkt zu

diesem Stadion.

Zitator:

Schauspieler Gerd Wameling, damals Mitte 20.

O-Ton Gerd Wameling

Dieses Hitler-Olympiastadion gegenüber diesem empfindsamen Hölderlin mit seinen

Texten über die Deutschen!

Zitator:

"So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefasst, noch

weniger zu finden. Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst

durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls,

verdorben bis ins Mark. Beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und

harmonielos.

O-Ton Gerd Wameling

Ich weiß genau, dass die letzte Vorstellung am 13. Dezember war und dass an

diesem Tag – ich mein, das hieß ja “Winterreise” –, und dass an diesem Tag, als wir

die Vorstellung begannen, es langsam anfing zu schneien, und als wir fertig waren,

war alles weiß! Das gesamte Stadion, der Rasen, wir in unseren Kostümen, und es

war – also mir lief wirklich der Schauder über den Rücken! Es war unglaublich. Das

kann man nirgendwo erreichen. Nein.

O-Ton Winterreise:

Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre wie die Deutschen ...

O-Ton Gerd Wameling

Der Hyperion, der durch dieses Stadion da raste, verschiedene Punkte hatte, die er

anlief, an denen dann Begegnungen waren; z.B. Diotima war eine Frau im

Regenmantel, die immer auf ein Tor schoss; ich hab das nicht so genau begriffen,

warum das so war, aber es war äußerst spannend! Wir mussten 10.000 Meter laufen

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während der Vorstellung. Und in dem Nicht-Atem, den man nur mehr hatte, kam

dann der Text raus.

O-Ton Winterreise:

Oh ewiges Irrsal, wann reißt der Mensch aus deinen Ketten sich los, wir wollen

wachsen...

O-Ton Gerd Wameling

Und dann musste ich tot zusammenbrechen und lag aber dummerweise in einer

Regenpfütze! Und ich hatte so eine Achtung, so einen Respekt vor diesem Theater,

dass ich wirklich eine halbe Stunde in der Pfütze lag, mein Mantel, den ich da

anhatte, sich langsam voll saugte mit dem Wasser, aber ich hab gedacht, ich darf

mich auf keinen Fall bewegen, und habe dann auch gedacht, also jetzt kriegste ne

Lungenentzündung, und dann war’s das. Es war ja Dezember!

O-Ton Winterreise:

Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr, weil Höheres sie nicht kennen als ihr

Machwerk, das sie sich gestoppelt.

Musik: G. Trede: Soccer Fans

Arena:

Das WM-Finale wird im Berliner Olympiastadion stattfinden, das im Dutzend der

Weltmeisterschaftsstadien mit seiner architektonischen Offenheit im Innern noch am

ehesten ans alte Olympia erinnert.

O-Ton Volker Kluge

Die NSDAP und Hitler waren nicht positiv eingestellt zur olympischen Idee, es war

ihnen zu international, Spiele, bei denen auch Schwarze, damals Neger genannt, an

den Start gingen, an denen Juden teilnehmen konnten, also damit wollte man

eigentlich nichts zu tun haben. Man hat sie sogar bekämpft.

Zitator:

Volker Kluge, Berliner Stadionchronist.

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O-Ton Volker Kluge

Hitler hat also im März 1933 sich dann positiv dafür entschieden. Natürlich setzt er

auf diese Propagandawirkung, etwas Spektakuläres zu machen, um die Welt zu

beeindrucken und sicherlich auch, um über den Charakter des eigenen Regimes

hinwegzutäuschen.

Arena:

Hitler wollte für "sein" Stadion eine Architektur, die es als herausragende

Machtmetapher ausweisen würde. Er beauftragte seinen Stararchitekten Albert

Speer, den hellen, mit viel Glas versehenen Entwurf der Brüder March zu

überarbeiten.

O-Ton Volker Kluge

Dann wurden die Säulen vertieft, sie wurden etwas mächtiger gemacht, der Sims

oben sozusagen wurde etwas gewaltiger, so dass also der Eindruck des Stadions

von außerhalb doch bedeutend stärker war.

Atmo: Olympiastadion innen, Arbeiten mit der Flex

Arena:

Die nur halbherzige Zurichtung des Berliner Olympiastadions – Kolossalfassade nach

außen, innen frei atmend wie das Stadion im alten Olympia – war wahrscheinlich ein

taktisches Kalkül Hitlers.

O-Ton Volker Kluge

Hitler und seine Kohorten mussten Rücksicht nehmen auf die internationale

Öffentlichkeit, aber für ihn ist es ein Frieden auf Zeit gewesen, und der eigentliche

Einfluss, der entstanden ist, ist vor allem für viele junge Deutsche, dass viele dort

sozusagen also so fasziniert waren von diesem Siegestaumel, dass sie dann schon

in das nächste Dilemma gestolpert sind. Immer in dem Glauben, also wir sind die

größten!

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O-Ton Klaus Theweleit

Das Stadion als Auftrittsfläche, Ehrentribüne, Sondertribüne, von Hitler bis Mussolini

bis Stalin, und die demokratischen Führer sind auch nicht ganz schlecht darin oder

versuchen sich wenigstens da sehen zu lassen, an bestimmten Stellen

aufgenommen zu werden, das gab es im antiken Sportstadion nicht. Der politische

Machthaber trat nicht auf. Da ging es zwar sehr hart zu, die Wettkämpfer konnten

sogar im Boxkampf so weit gehen, dass einer getötet wurde, aber auf der andern

Seite war’s der Moment, wo die laufenden Kriege unterbrochen wurden! Wo also

auch die Angehörigen verschiedener Städte, die im Krieg miteinander lagen, das

aussetzten und bei Olympia sportlich gegeneinander antraten.

Arena:

Bis in die jüngste Vergangenheit hinein lassen sich Fußballstadien als Mätressen der

Macht missbrauchen. Vorzugsweise als Gefangenenzwischenlager und

Todesstätten.

Musik: Martin Todsharo: Minks

Zitator:

Im Kongo massakrierte 1964 Mobutus Armee im Stadion der Stadt Kisangani 2.000

Menschen.

Musik-Atmo-Mix

Zitator:

In Chile wurden am 11. September 1973 im Zuge des Pinochet-Putsches einige

tausend Menschen im Fußballstadion von Santiago inhaftiert und gefoltert, und

Hunderte wurden umgebracht. Unter anderem auch der Liedermacher Victor Jara,

dem man hier die Hände brach, damit er nicht mehr Gitarre spielen konnte. Wenige

Tage später wurde er im Stadion exekutiert.

Zitator:

Noch vor wenigen Jahren war es in Afghanistan unter den Taliban an der

Tagesordnung, dass Männer wie Frauen im Stadion exekutiert wurden – erhängt,

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erschossen, guillotiniert. Vor johlenden Massen. Wie die illegalen Videoaufnahmen

der BBC-Reporterin Saira Shah aus dem Jahr 2001 belegen. In China sind

Massenhinrichtungen in Fußballstadien ein beliebter “Breitensport”, bis auf den

heutigen Tag! In der Provinz Ostturkistan beispielsweise sollen Hinrichtungen so

genannter "Terroristen" im Zweiwochenrhythmus durchgeführt werden.

Musik: In the Sweet Bye

O-Ton Uwe Seeler

Fußball ist für mich heute eine Erlebniswelt. Heute gehen Leute in die Stadien, um

essen zu können und trinken zu können, eine Erlebniswelt zu erleben und natürlich,

wenn es geht, auch noch ein ganz gutes Spiel.

Zitator:

Uwe Seeler.

O-Ton Uwe Seeler

Aber wir müssen aufpassen, dass das Spiel nicht nebensächlich wird.

Arena:

Schließlich gibt es keinen Ort auf dieser Welt, wo in derart kurzer Zeit auf derart

begrenztem Raum derart viel Geld ausgegeben und eingenommen wird wie im

Fußballstadion.

Geräusch: Fußball

Arena:

Sportökonomen wollen ausgerechnet haben, dass Deutschland in vier Wochen

Weltmeisterschaft einen volkswirtschaftlichen Gewinn, einen so genannten

"Wohlfahrtszuwachs", von mindestens anderthalb Milliarden Euro zu erwarten habe.

Ebenso viel, wie in die WM-Stadien investiert wurde. Und: Bis ins Jahr 2010 werde

der WM-Schub für das Bruttoinlandsprodukt anhalten und insgesamt ein Plus in

Höhe von 8 Milliarden Euro einbringen!

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O-Ton Wolfgang Pehnt

Also ich meine ja …

Zitator:

Wolfgang Pehnt

O-Ton Wolfgang Pehnt

… dass die reine Fußballarena inzwischen einerseits auf dem Spielfeld sich auf den

einen Zweck Fußball zu bewegt hat, wo alle leichtathletischen Sachen rausgeworfen

sind, während auf der anderen Seite in allem, was also die Publikumsräume angeht,

eine Fülle von anderen Funktionen mit aufgenommen worden ist. Also da gibt es

Hotels, da gibt es einen Supermarkt, und in Gelsenkirchen gibt es sogar eine

Kapelle, wo Sie sich trauen lassen können.

Musik: Corporate World

Arena:

Selbst die eindimensional auf Fußball zugeschnittenen Stadien sind multifunktional.

Im Sinne der Markenvermarktung. Fußballstadien stellen sich nicht nur als

Projektionsfläche für die Siegesträume der Mannschaften und des Publikums zur

Verfügung, sondern auch als permanente Werbefläche. Jeder Spieler, jede Bande,

jede Tribünenbalustrade dient dem Product-Placement.

Musik: In the Sweet Bye

Arena:

Und es ist ein nicht ganz unerheblicher Nebeneffekt der Kesselarchitektur, dass man

auf diese Weise die Zuschauer nicht nur näher ans Spielfeld, sondern auch näher an

die Werbung holt.

O-Ton Wolfgang Pehnt

Die Kamera hat keine Möglichkeit, irgendwo anders rum zu schweifen; wenn sie die

Vorgänge fassen will, und dazu ist sie ja da, dann gerät ihr automatisch auch die

entsprechende Werbung mit ins Blickfeld.

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Musik: Corporate World

Arena:

Auch der TV-Gemeinde kann man durch die neue Stadionarchitektur ein

geschlossenes und schlüssiges Welt- und Werbebild liefern.

Arena:

Dergleichen Werbeerfolge bewacht bei der WM der Weltfußballverband mit

Argusaugen!

Musik: Corporate World

O-Ton Uwe Seeler

Die FIFA braucht auch Geld, und heute sind sie scharf dahinterher, ob nicht sich

einer in die Werbung schleicht! Manche wollen ja dann aufspringen aufs Trittbrett und

dann mitfahren. Und da passen die enorm auf.

Arena:

Damit die Kameras nicht unbezahlte Werbung ins unrechte Licht rücken, muss für die

Weltmeisterschaft jeder fremde Aufkleber in den Stadien von der Wand gekratzt

werden, um den 16 zugelassenen WM-Sponsoren hinreichend Werbeeffizienz zu

sichern. Die Stadien müssen für die vier Wochen WM sogar fifa-kompatibel

umgetauft werden.

O-Ton Peter Peters

Die sind alle umbenannt worden auf "Fifa WM-Stadion Gelsenkirchen", München,

Dortmund.

Zitator:

Geschäftsführer Peter Peters von Schalke.

O-Ton Peter Peters:

Und wir haben natürlich das sehr bedauert, weil nun der große Imagefaktor, der

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natürlich mit dem Namen “Auf Schalke“ verkörpert wird, dass diese Botschaft nicht

mehr weltweit versendet wird.

Musik: Huber/Dorfmeister: Gute Laune

Arena:

Sobald der Rauch der WM abgezogen ist, schmücken sich die Arenen wieder mit

den mäßig poetischen Namen großer Versicherungen, Brauereien, Internetanbieter

oder Energiekonzerne. Das so genannte Naming-Right ist längst zu einer

sprudelnden Finanzquelle geworden. Je nach Bundesliga-Platzierung der

Heimmannschaft können die Betreiber-Gesellschaften zwischen 600.000 und

sechseinhalb Millionen Euro jährlich einnehmen, wenn sie ihr Stadion auf den

Namen des Hauptsponsors taufen. Dieser kann als Gegenleistung nicht nur mit dem

Imagegewinn, sondern auch mit kostenloser Werbung in redaktionellen Beiträgen bei

Funk, Fernsehen und Printmedien rechnen. Nach Untersuchungen der

Fachhochschule Heilbronn findet beispielsweise der Name der Hamburger AOL-

Arena an Bundesligaspieltagen so oft Erwähnung in regionalen und überregionalen

Medien, dass es einem Werbewert von jährlich fast 3 Millionen Euro entspricht.

Annähernd die gleiche Summe, die AOL pro Jahr an die Stadionbetreiber in

Hamburg zahlt.

Atmo: rhythmische Fangesänge

O-Ton Wolfgang Pehnt

In gewisser Weise, denke ich, ist schon das Stadion, ist schon die Arena der Ort, der

das Schlachtfeld abgelöst hat, und man kann nur hoffen, dass es das auch weiterhin

tun wird.

Atmo: Fußballfans

O-Ton Klaus Theweleit

Also wenn eine Machtdemonstration da stattfindet, dann würde ich sagen, es ist die

Macht des Publikums, die untermauert wird durch die Stadionarchitektur. Dass die

Leute sich erleben in diesem Ereignis, das sie selber zum Teil mitgestalten. Denn sie

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wissen, dass, wenn ihre eigene Mannschaft gut spielt oder schwächelt und braucht

Unterstützung, und sie kriegen das fertig, dieses Meeresbrausen der Stimmen, und

sie merken, das springt auf die Spieler über und die Spieler spielen besser, dann

sind sie ja Teil dessen, was da produziert wird. Da erleben die Zuschauer, glaube

ich, sich auch eher als eine Sorte Macht, die den Trainer tragen kann. Aber dann

auch die Macht, die ihn kippen kann: Sowieso raus! Im Sprechchor. Und wenn das

zu lange geht, dann hat das eine materielle Macht! Weil die Vereinsführungen

merken, es kommen weniger Leute, wenn das so weitergeht, bleiben soundso viel

Tausend weg, und die ganze Stimmung kippt. So viel Macht hat das Publikum

durchaus. Ne plebiszitäre Macht.

Musik: Howard Shore: A Journey into the Dark.

Groundhopper:

Paar Sekunden noch bis zum WM-Anpfiff, da stehst du auf. Wendest dich ab, bevor

dich das Spiel packt und du zum brüllenden 60.000stel wirst. Ziehst dich in die

eigenen vier Wände zurück. Ohne dieses gigantische Rauschen, ohne den Geruch

von aufgewühltem Rasen, Hexenkessel eingefroren. Eingeschmolzen auf der

Mattscheibe. Im Fernsehen wirft ein Stadion keine Punkte mehr auf der Groundlist

ab. Auf dem Weg in den Keller kramst du die alte Lederpille aus der Kiste, ziehst auf

die Parkwiese und kickst drauf los! Jedem Quadratmeter Rasen seine eigene

Weltmeisterschaft!

Geräusch: Plattennadelkratzer

Musik: Gerry and the Pacemakers: You’ll never walk alone

Arena: Match und Macht. – Fußballstadien

Zitator: Von Ulrich Land

Arena: Es sprachen: Sandra Schwittau, Fabian Sattler und der Autor

Technische Realisation: Theresia Singer

Regieassistenz: Michael Ogrizek

Regie: Martin Zylka

Redaktion: Gisela Corves.

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Und den Ball schön flach halten. Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks mit

dem Deutschlandfunk und dem Südwestrundfunk, 2006