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MATERIALIEN „Ich weiß nicht, ob wir nochmals schreiben können.“ Historischer Kontext Quellen und Dokumente Didaktische Hinweise Literatur und Medien Die Deportation der badischen und saarpfälzer Juden in das Internierungslager Gurs in den Pyrenäen 20. Tishri 5701 – Sukkoth 22. Oktober 1940 – Laubhüttenfest

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MATERIAL IEN

www.lpb-bw.de

„Ich weiß nicht, ob wir nochmals schreiben können.“

Historischer KontextQuellen und DokumenteDidaktische HinweiseLiteratur und Medien

Die Deportation der badischen und saarpfälzer Juden in das Internierungslager Gurs in den Pyrenäen

20. Tishri 5701 – Sukkoth22. Oktober 1940 – Laubhüttenfest

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Landeszentralefür politische BildungBaden-Württemberg

Stafflenbergstraße 3870184 StuttgartTel. 0711.16 40 99-0, Fax [email protected] www.lpb-bw.de

Die Landeszentralefür politische Bildung

•isteineüberparteilicheEinrichtungdes Landes Baden-Württemberg

•willfürdieDemokratiebegeistern

•hilftzureigenenMeinung

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•veranstaltetSeminare,Tagungen,Vorträge,Studienreisen, Symposien, Ausstellungen, Politische Tage

•veröffentlichtBücher,Broschürenund Zeitschriften und bietet didaktisch- methodische Arbeitshilfen und Spiele an

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•undLpB-ShopsamHauptsitzStuttgart und in den Außenstellen Freiburg und Heidelberg

Impressum

HerausgeberinLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB)

AutorKatjaLimbächer,Diplompolitologin,forschteundpub- lizierte zu den sog. Jugendschutzlagern und der Verfolgungvon„Asozialen“imNationalsozialismus. Sie war in Berlin als Dozentin und am Haus der Wannsee-KonferenzalsGedenkstättenpädagogintätig.Sie lebt und arbeitet heute in Freiburg i. Br..

RedaktionKonrad Pflug, LpB

Layout und Satzmedien+dialog, Haigerloch, www.medien-und-dialog.de

UmschlagLucia Winckler, Tübingen

DruckPaul Zielfleisch GmbH, Stuttgart, www.zielfleisch.de

AlleRechtevorbehalten.Abgabe gegen Schutzgebühr.

Stuttgart 2010

Kurt Maier

Als Kind liebte ich Züge.

Aber als ich 10 Jahre alt war, musste ich die längste

Zugfahrt meines Lebens machen.

Ich erinnere mich, wie ich aus der Schule geholt wurde

und wie meine Großeltern dastanden mit Kissenbezügen,

in die sie all ihre Habseligkeiten gestopft hatten.

Ich sehe uns in Kippenheim auf einen Militärlaster

steigen und höre, wie ein Offizier auf dem Bahnsteig

zu meinem Vater sagt: „Sie können Ihr

Eisernes Kreuz abnehmen; es nützt Ihnen doch nichts.“

Wir fuhren über den Rhein. Überall wurde geerntet.

Die Bauern arbeiteten neben den Bahngleisen mit

Sensen und Handkarren.

Es war auch die Zeit des jüdischen Sukkot-Festes,

das Laubhüttenfest.

In Deutschland wurde ebenfalls geerntet.

Aber die Ernte waren Menschen.

Zwei Nächte später und viele zerstörte Häuser weiter

kamen wir an einen Ort in den Pyrenäen – wo die

Betten Strohlager waren und der Kaffee aus

Getreide gebrannt war und wo das Essen aus Stücken

Pferdefleisch mit angefaultem Kohl bestand.

Gurs war ein Ort der Geräusche:

- von ständigem Regen, der auf die Dächer prasselte

- von Ratten, die nachts über die Menschen kletterten.

Es war ein Ort der Gerüche:

- von Latrinen und Schlamm vom Regen.

Es war ein Ort, an dem alles grau war:

- die Wände

- der Himmel.

Selbst der Morast war grau. Wie die Gesichter der Menschen.

Man fühlte ständig Angst im Magen.

Aber sie füllte wenigstens die Leere vom Hungern.

Man spürte auch die Kälte. Man schlief im Mantel.

Der Nachtwind machte ihn steif wie ein Laken aus Stein.

Ich erkrankte im Lager an Dyphterie.

Man brachte mich in die Krankenbaracke. Im Bett rechts

neben mir lag eine Filmschauspielerin.

Vielleicht träumte sie davon, in den Westen zu fahren.

Aber ich fürchte, man brachte sie in den Osten.

Im Bett links von mir lag Liesl Kling - ein kleines Mädchen.

Sie schenkte mir ein Foto von sich, als es uns wieder besser

ging, und ich gab ihr einen Kuss.

Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist, aber ich habe

immer noch ihr Foto.

Und ein Bild im Kopf.

Eine Schauspielerin - der Sohn eines Geschäftsmannes -

ein kleines Mädchen von nirgendwo...

Man sieht: es wurde geerntet.

Sie sammelten uns alle ein.

Es spielte keine Rolle, wer man war. Wir hatten alle eines

gemeinsam: wir waren, was sie suchten.

Jetzt ist wieder Erntezeit – nun sind wir gekommen, sie

einzusammeln – in unserem Gedenken.

Im Judentum werden die Toten in ein Leichentuch gehüllt

und schnell begraben.

Wir bahren sie nicht auf und schauen sie nicht an.

Wir wollen die Toten als Lebende in Erinnerung behalten.

So gedenken wir ihrer heute in dieser schönen deutschen

Landschaft. Wie sie Deutschland liebten!

Wie sehr sie wünschten, wieder zuhause zu sein in ihren

Betten!

Wir sammeln sie heute ein mit all den Toten und denen,

die Pogromen und Folter zum Opfer fielen.

Wir können sie nicht zurückholen.

Aber wir können dem, was geschah, einen Sinn geben,

wenn wir uns darin einig sind, dass so etwas nie wieder

geschehen darf!

VORWORT

Offenburg,22.Oktober1940:Frühmorgenserscheinenan diesem Dienstag Gestapobeamte in den Wohnungen der jüdischenBürger.Sieeröffnendiesen,dasssiesichbinneneinerStundeaufeineFahrtmitunbekanntemZielvorzu- bereiten haben. Nur ein Handkoffer und etwas Geld dürfen mitgenommen werden.

DieEreignissedes22.und23.Oktober,zeitgleichinBadenund der Saarpfalz, markieren einen weiteren Schritt im 1933begonnenenVerfallderpolitischenKulturinDeutschlandunter den Nationalsozialisten. Ungehindert, wie schon bei der„Reichskristallnacht“,wirdeinTeilderBevölkerung fürrechtloserklärtundihmdieHeimatgenommen.WenigspäterwirdmanihmauchnochdasRechtaufLeben aberkennen und einen gigantischen Apparat zu seiner plan-mäßigenindustriellenVernichtungorganisieren.DerindenNS-Schriften und Reden angekündigte Massenmord beginntmitderDeportationvomOktober1940konkreteFormen anzunehmen.

DieseMATERIALIENmöchtenindenSchulenwieinderJugend- und Erwachsenenbildung die historischen Fakten und VorgängeinErinnerungunddasGedenkenandieOpferwach halten. Diese Geschichte ist jungen Menschen heute oftmalsfernundkaummehrbegreiflich.AberdieVerantwor-tung dafür und die Konsequenzen daraus bleiben. Es geht daher auch um die Bedeutung für die gesellschaftliche Situati-on in der Gegenwart, um das Einschreiten gegen Rassismus und Antisemitismus, den toleranten Umgang mit Minderheiten, das Eintreten für die Rechte Anderer, politische und soziale WachsamkeitundMutzurZivilcourage.

Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg danktderAutorin,FrauDiplom-PolitologinKatjaLimbächer, diedieseMATERIALIENnachderAusgabevon2000/2005nununterdemTitel„Ichweißnicht,obwirnochmalsschrei-benkönnen.“ineinerneuenKonzeptionvorgelegthat.

Wirdankenauchallen,diedurchwichtigeVor-undZuarbeitenwieauchdurchdieÜberlassungvonBildern,Dokumenten und Texten mit dazu beigetragen haben, namentlich dem Stadt- archivKarlsruhe,demLandesmedienzentrumBaden-Württem-bergundderLandesarbeitsgemeinschaftderGedenkstättenundGedenkstätteninitiativenBaden-Württemberg.

Stuttgart,imOktober2010

Lothar Frick Konrad Pflug Direktor FachbereichGedenkstättenarbeit

DenkmalvonDaniCaravanFoto:StadtarchivKarlsruhe

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MATERIALIEN

20. Tishri 5701 – Sukkoth22. Oktober 1940 – Laubhüttenfest„Ich weiß nicht, ob wir nochmalsschreiben können.“

Die Deportation der badischen und saarpfälzer Juden indas Internierungslager Gurs in den Pyrenäen

Historischer KontextQuellen und DokumenteDidaktische HinweiseLiteratur und Medien

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In Erinnerung an

Professor Dr. Paul Sauer(22. Juli 1931 – 17. Juli 2010)

Verfasser der grundlegenden Publikation„Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs

während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1933 – 1945”erschienen in mehreren Bänden 1966 – 1969

dem Nestor der Erforschung der Shoaim Land Baden-Württemberg

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INHALT

1 Einführung 51.1 Jüdisches Leben in Baden 51.2 Die Opfer der Deportation 7

2 Radikalisierter Antisemitismus 1933 bis 1940 92.1 Diskriminierung, Ausgrenzung, Arisierung 92.2 Jüdische Selbstbehauptung 112.3 Das Novemberpogrom 1938 122.4 Auswanderung und Flucht 142.5 Die jüdischen Kindertransporte 15

3 Die Deportation der badischen Juden 1940 163.1 Vorgeschichte und Ablauf der Deportation 163.2 Der 22. Oktober 1940 193.3 Verzweiflung und Selbsttötungen 213.4 Untergetauchte und Retter 213.5 Die Täter 223.6 Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung 243.7 Die Zugfahrt 26

4 Die Verwertung jüdischen Eigentums 27

5 Die Situation in Frankreich 31

6 Das Internierungslager Gurs in Südfrankreich 336.1 Das Lager Gurs 33

„Unerwünschte“ Ausländer 33Die badischen Juden 35Die Rettung jüdischer Kinder 39Das Kinderheim Maison d’Izieu 41

6.2 Auswanderung und Flucht aus dem Internierungslager 446.3 Deportation in die Vernichtungslager 45

7 Nach 1945 467.1 Wiedergutmachung? 467.2 Verurteilung der Täter 47

8 Erinnern und Gedenken 488.1 Das Internierungslager 488.2 Der Deportiertenfriedhof in Gurs 488.3 Das Mahnmal für die ermordeten Juden Badens in Neckarzimmern 508.4 Über den Umgang mit der Vergangenheit 518.5 Gedenkstätten in Baden zur Erinnerung an frühere jüdische

Gemeinden und an die Deportation 52

9 Anhang 559.1 Didaktische Überlegungen 559.2 Literatur- und Medienauswahl 57

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Die Deportation am 22. Oktober 1940 war für die jüdi-sche Bevölkerung Badens und der Saarpfalz die letzteStufe eines Prozesses, in dem sie seit Beginn der natio-nalsozialistischen Herrschaft Schritt für Schritt ausge-schlossen, isoliert und ihrer Rechte beraubt wurden.Seit dem Novemberpogrom 1938 mit der eskaliertenGewalt forcierten die nationalsozialistischen Machtha-ber vehement die Vertreibung der jüdischen Bevölke-rung. Die Judenverfolgung gipfelte schließlich in denDeportationen und den Vernichtungslagern. Für die Oktoberdeportation hatten die Nationalsoziali-sten skrupellos einen Tag des jüdischen Laubhüttenfe-stes, Sukkoth, als Zeitpunkt gewählt. Die gewaltsameVerschleppung kam für die Mehrheit der badischenund saarpfälzischen Opfer völlig überraschend.

Bereits das Mittelalter war eine Zeit der Verfolgung unddes Leides für die Juden gewesen. Mit der Aufklärungim 17. und 18. Jahrhundert begann die jüdische Eman-zipation, ein jahrhundertelanger steiniger Weg zurrechtlichen Gleichstellung, die im 19. Jahrhundert inden deutschen Ländern unterschiedlich schnell er-reicht wurde. Die Verwirklichung der Gleichstellungermöglichte die Entwicklung eines assimilierten bür-gerlichen Judentums in den Städten, das den kulturellenund gesellschaftlichen Anschluss an die christlicheMehrheit erfolgreich anstrebte. Mit dem Beginn der na-tionalsozialistischen Herrschaft 1933 in Deutschlandund der Rassenideologie als Staatsdoktrin wurden alleBemühungen um die jüdische Emanzipation und Assi-milation zunichte gemacht.

Bis ins 19. Jahrhundert war die Judenfeindschaft vorallem religiös und wirtschaftlich begründet. Die gesell-schaftspolitischen Veränderungen und die an Einflussgewinnenden Rassentheorien wirkten sich auf die Be-gründungen zur Ablehnung von Juden aus. Vermeintlichwissenschaftliche Untersuchungen behaupteten die un-terschiedliche Wertigkeit von menschlichen Rassen, vorallem die Minderwertigkeit einer „jüdischen Rasse“.Germanisches Deutschtum und semitisches Judentumwaren diesen rassistischen Kulturtheorien zufolgevöllig gegensätzlich. Wilhelm Marr, ein deutscher Publi-zist, führte 1879 den Begriff des Antisemitismus ein, derauf die Ablehnung des emanzipierten Judentums ausrassischen und sozialen Gründen zielte. Im Unterschiedzu vorher wurde nun behauptet, dass Rasseneigen-schaften anders als religiöse Bekenntnisse unveränder-bar seien. Demzufolge konnte auch eine Taufe den„Makel“ des Judeseins nicht mehr aufheben. Der Ras-senantisemitismus war bereits Ende des 19. Jahrhun-derts in Deutschland weit verbreitet und einte rechteund völkische Gruppierungen gegen eine imaginiertejüdische Weltmacht.

1.1 Jüdisches Leben in Baden

Jüdisches Leben im Südwesten Deutschlands lässt sichmindestens seit dem 11. Jahrhundert nachweisen. ZuBeginn des 19. Jahrhunderts bereitete der Großherzogvon Baden den Weg für die Gleichberechtigung derJuden vor. Das Gesetz über die Gleichstellung vonJuden mit anderen Bürgern von 1862 stellte den Durch-bruch der jüdischen Emanzipation in Baden dar. Mitden damit errungenen Freizügigkeiten setzte ein Ver-städterungsprozess der jüdischen Minderheit im Süd-westen wie auch im ganzen Deutschen Reich ein. DerMehrheit des assimilierten bürgerlichen Judentums, dasin den Großstädten lebte, stand eine kleine Zahl soge-nannter Landjuden gegenüber, die dem orthodoxen Ju-dentum angehörten und in eher bescheidenen Verhält-nissen lebten. Eine Besonderheit unter den Landge-meinden waren die „Judendörfer“. In diesen hattensich, bedingt durch die rigiden Zuzugsbeschrän-kungen für Juden im Mittelalter, große jüdische Min-derheiten angesiedelt. Ebenso hatte sich die Berufs-struktur entsprechend der mittelalterlichen Reglemen-tierungen entwickelt. So waren Juden in den landwirt-schaftlichen Berufen nur wenig, im Handel dagegenüberdurchschnittlich stark vertreten. Die Landjudenhandelten mit Vieh, Agrarprodukten und Eisenwaren,sie waren auch Bäcker und Metzger, nur wenige warenBauern.Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik war auchim Südwesten Deutschlands rücksichtslos. Von denrund 8000 Juden, die 1925 in der Region Baden gelebthatten, waren 1947 gerade mal vierzig Menschen wie-der in ihre Heimatorte zurückgekehrt oder hatten dortüberlebt. Die jüdischen Gemeinden in der Region wur-den mit der Deportation im Oktober 1940 zerstört.

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1. Einführung

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M 1 Karte von Baden mit den Orten, aus denen 1940 die jüdische Bevölkerung deportiert wurdeEvangelische Landeskirche Baden, Arbeitsstelle Frieden

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1.2 Die Opfer der Deportation

Mit persönlichen Lebensgeschichten werden histori-sche Fakten zu einer lebendigen Geschichte. Zwei Zeit-zeugen werden im Folgenden immer wieder zu Wortkommen.

Hanna Meyer-Moses

Hanna Moses wurde 1927 geboren und lebte seit1931 mit ihren Eltern Nathan und Betty und ihrerwenig jüngeren Schwester Susanne in Karlsruhe. DerVater arbeitete als Rechtsanwalt und hatte eine An-waltspraxis. Nach Beginn der nationalsozialistischenDiktatur lief seine Praxis immer schlechter. BettyMoses versuchte mit der Herstellung von Säften,Quark und Kefir zum Familienunterhalt beizutragen.1935 übernahm Nathan Moses die Leitung des Palä-stina-Amtes für Baden. Am 22. Oktober 1940 wurdedie Familie Moses in das Lager Gurs deportiert. Alssich die Möglichkeit ergab, die Mädchen über einejüdische Hilfsorganisation aus dem Lager herauszu-holen, nutzten die Eltern die Chance, sie dort anzu-melden. Hanna und Susanne wurden nach ihrerBefreiung in verschiedenen Kinderheimen in Frank-reich untergebracht, bis sie im Juli 1943 in dieSchweiz gebracht werden konnten. Bei ihrer aben-teuerlichen Flucht mussten sie mit anderen Kindernnachts zu Fuß die Grenze überqueren. In derSchweiz wuchsen sie bei Pflegeeltern auf. HannaMoses konnte eine Ausbildung machen und warlange als Sekretärin tätig. Sie lebt heute mit ihrer Fa-milie in der Schweiz. Die Eltern Moses wurden in ver-schiedenen Lagern interniert. Die Mutter wurde imMai 1944 über das Lager Drancy bei Paris nachAuschwitz deportiert und dort ermordet. Der Vaterstarb 1944 in einem Militärkrankenhaus bei Mar-seille.

M 4 Susanne und Hanna Moses, 1936/37Hanna Meyer-Moses

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M 2 Betty und Nathan Moses auf der Hochzeitsreise, 1925Hanna Meyer-Moses

M 3 Betty Moses mit den Töchtern Hanna und Susanne, 1930Hanna Meyer-Moses

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Kurt Maier

Kurt Maier wurde im Mai 1930 als zweites Kind vonSiegfried Maier und dessen Frau Charlotte, geb. Auer-bacher, geboren. Kurt hatte einen drei Jahre älterenBruder Heinz. Die Mutter betrieb ein Kolonialwaren-geschäft in Kippenheim, der Vater reiste als Stoffver-käufer umher. Bis 1938 besuchte Kurt in Kippen-heim die Volksschule. Nach dem Ausschluss der„nichtarischen“ Schüler aus der Schule mussten erund sein Bruder die jüdische Zwangsschule, heuteLessing-Realschule, in Freiburg besuchen. Nur amWochenende kamen die Brüder nach Hause, um mit

den Eltern Schabbat zu feiern. Am 22. Oktober 1940 wurde die Familie in das Lager Gurs deportiert, diebeiden Jungen waren dafür früh morgens mit demTaxi von Freiburg zurück nach Kippenheim gebrachtworden. Von Gurs aus gelang es der Familie, 1941 indie USA auszuwandern. Sie hatten sich rechtzeitigdie nötigen Papiere beschaffen können und wurdenvon Verwandten unterstützt, die bereits in Texas leb-ten. Kurt Maier studierte in New York und Berlindeutsche Literatur und Geschichte und promovierte.Er ist als Bibliothekar in der Library of Congress inWashington sowie als Schriftsteller tätig. Heute lebter mit seiner Familie in den USA.

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M 7 Kurt Maier während seines Militärdienstes bei der amerika-nischen Armee 1952-54 in Baumholder, DeutschlandKurt Maier

M 5 Familie Maier 1937/38 Kurt Maier

M 6 Heinz und Kurt an Purim, jüdische Fastnacht, 1934Kurt Maier

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Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler1933 und der Errichtung der nationalsozialistischenDiktatur wurden Antisemitismus und Rassismus zurStaatsdoktrin. Schrittweise wurden Juden aus der Wirt-schaft und aus dem gesellschaftlichen und sozialenLeben ausgeschlossen und ihrer Rechte beraubt. In denJahren von 1933 bis 1939 zielte die nationalsozialisti-sche Führung auf die Vertreibung der jüdischen Bevöl-kerung aus dem Deutschen Reich. Mit Kriegsbeginn1939 und mit der Besetzung von Teilen Europas wur-den weiterreichende Pläne, denen zufolge die jüdischeBevölkerung gewaltsam verschleppt werden sollte, rea-lisierbar.

Antisemitismus

„Antisemitismus umfasst Formen und Stufen derAblehnung von Juden, wie sie manifest durchDiskriminierung und Gewalt, latent durch Res-sentiments, als Haltung oder Abneigung in Er-scheinung treten. Antisemitismus diente denNationalsozialisten als Erklärungsmuster für allesnationale, soziale und wirtschaftliche Unglück,das die Deutschen seit dem verlorenen ErstenWeltkrieg erlitten hatten, und war gleichsam dasSchwungrad, mit dem Hitler seine Anhänger inBewegung brachte.“ Wolfgang Benz2

2.1 Diskriminierung, Ausgrenzung,Arisierung

Mit der Errichtung der nationalsozialistischen Diktaturbegannen die neuen Machthaber, politische Gegnerauszuschalten. Ebenso wurden von Beginn an JudenOpfer von Verfolgung und Diskriminierung. MitGesetzen und Verordnungen wurde die jüdische Be-völkerung systematisch aus der „Volksgemeinschaft“ausgegrenzt. Parteiaktivisten terrorisierten mit Über-griffen die jüdischen Opfer, die zunehmend schutz- undrechtlos diesen Angriffen ausgesetzt waren. Die Boy-kottaktionen im April 1933 gegen jüdische Geschäfts-inhaber, Ärzte und Rechtsanwälte waren das Startsignalfür die gezielte Verdrängung der Juden aus dem Wirt-schaftsleben. Das „Gesetz zur Wiederherstellung desBerufsbeamtentums“ schloss politisch missliebige und„nichtarische“ Beamte aus dem öffentlichen Dienst,Schulen und Universitäten aus. Mit den Bücherver-brennungen im Mai 1933 wurden „undeutsche“ und„nichtarische“ Schriftsteller und Intellektuelle verbannt.Die Nürnberger Gesetze von 1935 bezeichneten eineweitere Stufe der nationalsozialistischen Ausgren-zungspolitik. Die Nationalsozialisten orientierten sich

mit ihrer Definition von „Juden“ an einem völkischenRassebegriff, der die Kategorisierung in „Volljuden“,„Halbjuden“ usw. ermöglichte.

Die Nürnberger Gesetze

Im September 1935 wurden auf dem Reichspar-teitag die beiden „Nürnberger Gesetze“ erlassen,mit denen die deutschen Juden zu Einwohnernmit eingeschränkten Rechten degradiert wurden.Das „Reichsbürgergesetz“ unterschied jetzt „ari-sche“ Vollbürger mit politischen Rechten und„Nichtarier“ (Juden sowie Sinti und Roma) als„Staatsangehörige“ ohne politische Rechte. Das„Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes undder deutschen Ehre“ verbot Eheschließungenzwischen Juden und Nichtjuden und stellte se-xuelle Beziehungen zwischen „Deutschblütigen“und Juden im Strafgesetzbuch als „Rassen-schande“ unter drakonische Strafe. 3

Auch in den Landgemeinden war die antisemitischeHetze nach 1933 deutlich spürbar geworden. Wieschnell sich die Ausgrenzung und Isolation in den Dör-fern und Kleinstädten vollzog, war jeweils abhängigvon der Stärke des Drucks durch lokale antisemitischePropaganda, militante Aktionen und soziale Kontrolle.Auch gab es zwischen den Dörfern große Unterschiede,wie aggressiv gegen die jüdische Bevölkerung vorge-gangen wurde.4 Die Ausgrenzung der Juden aus derOrtsgemeinschaft erfolgte zunächst durch Vermeidungdes Kontakts bei den alltäglichen Begegnungen sowiedurch den Ausschluss aus den örtlichen Vereinen undaus der Gemeindepolitik. Nur in Einzelfällen konntenprivate und nachbarschaftliche Beziehungen dem mas-siven Druck standhalten oder im Verborgenen weitergeführt werden. Geschäftsbeziehungen zwischen Judenund der nichtjüdischen Bevölkerung wurden auf In-itiative lokaler Parteistellen und Gemeindemitglieder ineinzelnen Orten und Regionen eingeschränkt.

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2. Radikalisierter Antisemitismus 1933 bis 1940

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Hanna Meyer-Moses

„Seit frühester Kindheit fuhren wir immer zu unse-ren Großeltern aufs Land in die Ferien. Vor 1933 warich bei Ankunft im Nu in die Schar der in der Nach-barschaft wohnenden Dorfkinder einbezogen. Wirspielten zusammen „Räuber und Gendarm“, jagtendie frei auf der Dorfstraße umherlaufenden Gänse,suchten zusammen Ostereier im Garten der be-nachbarten Bauern und der Sohn des Dorfschmie-des, der gegenüber dem Haus meiner Großelternwohnte, sagte: „Gell Hanne, mir heirate enander.“Diese Idylle hörte nach 1933 sehr bald auf, die Dorf-kinder fingen an, meiner Schwester und mir Steinenachzuwerfen und die Faust unter die Nase zu halten[...].“5

Kurt Maier

„Einmal entdeckte ich einen goldenen Helm auf un-serem Dachboden. Ich fragte die Eltern, woher dieserstammte. Vater erklärte, dass er früher bei der Frei-willigen Feuerwehr Kippenheim Mitglied war. Dochschon lange hatte die Feuerwehr ihn und die ande-ren jüdischen Männer ausgeschlossen. Noch schwe-rer traf Vater das Verbot zu reisen und seine Kund-schaft weiterhin aufzusuchen. […] Vater war depri-miert und verzweifelt. Er verstand nicht, was dieNazis von uns wollten, er hatte immer seine Steuernbezahlt, er war Kriegsteilnehmer gewesen, er hattebei der Fußartillerie gedient, wo er Telefondraht imOsten gelegt hatte.“6

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M 8 Die Großeltern von Hanna Moses, David und Bertha Dreifuss, geb. Kahn aus Altdorf, um 1914Hanna Meyer-Moses

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2.2 Jüdische Selbstbehauptung

Der Ausgrenzung aus der deutschen Volksgemeinschaftsetzten jüdische Organisationen viele Formen vonSelbsthilfe entgegen. Der 1933 gegründete Dachver-band, ab 1935 Reichsvereinigung der Juden in Deutsch-land genannt, versuchte, die Interessen der jüdischenBevölkerung gegenüber den nationalsozialistischenMachthabern zu vertreten. Die Reichsvereinigung or-ganisierte Schulen und Ausbildungsstätten und initiiertedie Gründung der Jüdischen Winterhilfe. Immer mehrJuden waren ihrer existentiellen Grundlagen beraubtund auf die Unterstützung durch jüdische Wohlfahrts-organisationen angewiesen. Da vor allem zunehmenddie jüngere Generation auswanderte, stieg die Zahl deralten und hilfsbedürftigen Menschen innerhalb der jü-dischen Gemeinde stark an. Der Jüdische Kulturbundwar Arbeitgeber für jüdische Künstler und Künstlerin-nen und zugleich der einzige Ort, an dem Juden aneinem Kulturleben teilhaben durften. Die feindlicheUmgebung wurde für die jüdische Bevölkerung zu-nehmend zum täglichen Alptraum. Mit der Zeit wurdedie Vorbereitung zur Auswanderung eine zunehmendwichtigere Aufgabe der jüdischen Organisationen.

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Der 15-jährige Heinz Heilbronn aus Gailingen schrieb1935 in sein Tagebuch:

„Im April 1935Ich war von Donnerstagmorgen bis Freitagmorgenin Wangen am Bodensee in einem jüdischen Jugend-heim. Es waren 15 Jungen aus Frankfurt da (Bunddeutsch-jüdischer Jugend) und ebensoviele Mädchenaus Karlsruhe (verklemmt). Es war wunderbar, unternur jüdischen Menschen zu leben. Meine Eindrückewaren ungeheuerlich. Es war alles ein Vorbild für Ka-meradschaft. Es ist schwer, Jude zu sein, und dochschön.“7

M 9 Obersekunda des Jahrgangs 1936 des Gymnasiums Singen, hinterste Reihe zweiter v. links Heinz Heilbronn. Er war 1938 derletzte jüdische Schüler, der an diesem Gymnasium sein Abitur absolvierte.Verein für jüdische Geschichte Gailingen e.V.

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2.3 Das Novemberpogrom 1938

Am 9. und 10. November 1938 setzten SA- und SS- Män-ner in Zivilkleidung in ganz Deutschland mehr als 1400Synagogen und Betstuben in Brand und zerstörten Tau-sende jüdische Geschäfte.8 Die Gesamtzahl der jüdi-schen Opfer der „Reichskristallnacht“ (zeitgenös-sischer Ausdruck) muss auf ungefähr 1300 geschätztwerden.9 Diese bis dahin brutalsten Ausschreitungengegen die jüdische Bevölkerung im Deutschen Reichsollten der Propaganda zufolge Ausdruck eines sponta-nen Volkszornes sein. Tatsächlich war diese Aktion je-doch vorbereitet worden. Der jüdischen Bevölkerungwurde außerdem auferlegt, die Kosten für die Schädenselber zu tragen und als „Sühneleistung“ eine MilliardeReichsmark zu zahlen. In den Tagen nach dem Pogromwurden 30.000 jüdische Männer in Konzentrationsla-ger verschleppt. Das Novemberpogrom kennzeichneteden Übergang nationalsozialistischer Judenverfolgungvon Gesetzen und Maßnahmen, die Juden ausschlossenund entrechteten, zu offener Gewalt.

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M 10 Brennende Synagoge in Baden-Baden am 10. November1938, Fotograf Josef Friedrich CoeppicusStadtarchiv Baden-Baden

M 11 Am Morgen des 10. November wurden ca. 80 jüdische Männer in Baden-Baden verhaftet und durch die Stadt geführt, FotografJosef Friedrich CoeppicusStadtarchiv Baden-Baden

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Hanna Meyer-Moses

„In unserer Schule wurden wir für eine längere Zeitnur von Lehrerinnen unterrichtet, denn alle Lehrerwaren in Dachau. Nach und nach kamen sie aus derHaft zurück und nahmen den Unterricht wieder auf.Als sie vor uns mit glatt geschorenem Kopf standen,waren wir sehr diszipliniert. Wir ahnten die dahinterliegende Tragik, ohne dass man uns darüber berich-tet hatte.“

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Auf das Pogrom folgten weitere Verordnungen, diedie Auswanderung der jüdischen Bevölkerung for-cieren sollten. Vehement wurde die „Arisierung“(Enteignung) der letzten jüdischen Geschäfte be-trieben. Eine Vielzahl von Verboten schloss Juden ausdem öffentlichen Leben aus. Jüdinnen und Judenwurden verpflichtet, die Zwangsvornamen „Sara“und „Israel“ zu tragen und eine Kennkarte mit einemaufgedruckten „J“ wurde eingeführt. Juden wurdenzu Zwangsarbeiten verpflichtet. Mit dem „Gesetzüber Mietverhältnisse mit Juden“ wurden Juden ge-zwungen, in „Judenhäuser“ zu ziehen.10

M 12 Kennkarte von Hanna Moses vom Januar 1939 mit dem „J“-KennzeichenHanna Meyer-Moses

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2.4 Auswanderung und Flucht

Anfang 1933 lebten in Deutschland rund 530.000Juden.11 Im Herbst 1937 hatte sich ihre Zahl bereitsdurch Auswanderung auf 350.000 reduziert. Die jüdi-schen Emigranten waren fast ausschließlich Flüchtlinge,die meist mittellos aus ihrem Heimatland gejagt wor-den waren: „Es war nie Auswanderung, immer nurFlucht“, so die jüdische Schriftstellerin Adrienne Tho-mas.12 Die nationalsozialistischen Machthaber nahmender jüdischen Bevölkerung ihre beruflichen Existenz-grundlagen und beabsichtigten damit die Auswande-rung zu fördern. Die Ausplünderung und Verarmung derJuden hemmten jedoch die Aufnahmebereitschaft derZielländer.Für die Mehrheit der deutschen Juden kam eine Emi-gration zunächst überhaupt nicht in Betracht. Sie fühl-ten sich als deutsche Patrioten und sahen ihre Wurzelnin der deutschen Kultur. Sie waren Frontkämpfer im Er-sten Weltkrieg gewesen. Sie glaubten an den Rechtsstaatund wollten die sich steigernde Diskriminierung undAusgrenzung nicht wahrnehmen. Neben ihrer Verbun-denheit mit Deutschland hielt viele Juden die Sorge umihre berufliche Existenz im Ausland von der Emigrationab. Jüdische Organisationen boten Sprachkurse undUmschulungen in handwerkliche und landwirtschaft-liche Berufe an, was die Emigration erleichtern sollte. Innerhalb Deutschlands wanderten viele Juden ausdem ländlichen Raum in die Großstädte, in der Hoff-nung, dass die Anonymität Schutz vor antisemitischerHetze bieten und die Auswanderung leichter vorange-bracht werden würde. Durch den Zuzug in die Städteverloren die badischen Landgemeinden zwischen 1933und 1937 ungefähr 60 % ihrer Mitglieder.13

Die bürokratischen und finanziellen Hürden für die Aus-wanderung, die das NS-Regime den Flüchtlingen auf-erlegte, waren sehr hoch, gleichzeitig wurden dieAuflagen der Aufnahmeländer unter dem zunehmen-den Einwanderungsdruck beständig verschärft. Nachder Weltwirtschaftskrise war die innenpolitische Situa-tion in vielen Ländern angespannt und die Bereitschaftgering, Flüchtlinge aufzunehmen. Die meisten Judenversuchten zunächst in den europäischen Nachbarlän-dern Aufnahme zu finden, später wurden immer exoti-schere Ziele gewählt, abhängig von den Einreisebe-dingungen. Nach dem Novemberpogrom 1938 setztedie größte Fluchtwelle ein. Mit Beginn des ZweitenWeltkriegs waren jedoch die legalen Ausreisemöglich-keiten stark eingeschränkt. Bis zu dem endgültigen Aus-wanderungsverbot im Oktober 1941 gelang esungefähr der Hälfte der deutschen Juden, Deutschlandzu verlassen. Mit der Besetzung weiterer LänderEuropas durch das Deutsche Reich boten nur die über-seeischen Länder ein sicheres Refugium.

War die Auswanderung schließlich formell geregelt,wurden die Möbel und der gesamte Hausrat in soge-nannte Lifts verpackt, eine Art Container. Die Lifts wur-

den vom Zoll kontrolliert, damit keine unerlaubtenWertgegenstände wie Tafelsilber, Schmuck etc. außerLandes geschafft werden konnten.

Hanna Meyer-Moses

„Mein Vater, seit seiner Jugend Zionist, wollte immernur nach Palästina auswandern. Er brachte sich imSelbststudium Hebräisch bei und erteilte auchSprachunterricht im Karlsruher jüdischen Gemein-dehaus in der Kronenstraße. Die Einwanderung indas unter britischer Mandatsverwaltung stehende Pa-lästina war beschränkt. Notwendig war ein soge-nanntes „Zertifikat“. […] Unsere Familie hatte dieZertifikatszusage für Herbst 1938, doch gab meinVater, da er nicht verhaftet und nach Dachau ver-schleppt worden war, sein Zertifikat frei, so dass einDachau-Häftling freikam und damit nach Palästinaauswandern konnte. Für den Herbst 1939 war unsein erneutes Zertifikat zugesagt worden, doch dervon Deutschland am 1. September 1939 entfesselteZweite Weltkrieg verhinderte unsere Ausreise und sosaßen wir bis zur Deportation 1940 fest, ohne eineMöglichkeit zur Ausreise.“

Kurt Maier

„Meine Eltern hatten sich schon 1939 beim ameri-kanischen Konsulat gemeldet. Ich weiß noch, wiewir mit dem Zug nach Stuttgart gefahren sind undmein Vater und ich uns ausziehen mussten, um voneinem Arzt untersucht zu werden. Es war das ersteMal, dass ich Vater nackt sah. Der Raum war miteinem Steinboden ausgelegt. Ich probierte meine er-sten Englischkenntnisse und sagte: „My father’s feetare cold.” Jeder von uns bekam nun eine Wartenum-mer. Dann schickte uns das Konsulat wieder nachHause: Wir müssten warten, bis unsere Nummereines Tages aufgerufen würde.“

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Käthe Vordtriede14 schilderte ihre Begegnung mit demZoll:

„Der Zollinspektor musste das Verladen der erlaub-ten Sachen mit der Liste in der Hand in der Halle desSpediteurs überwachen und durfte sich keinen Au-genblick entfernen. Als ich dort ankam, stand eineFrau bei unserm Kram. Ich erwartete eine Körpervi-sitation, wie ich sie vom Gefängnis gewohnt war. DerZollinspektor stellte sich liebenswürdig vor und fügtehinzu: „Gestatten Sie, dass ich Ihnen meine Frau Ge-mahlin vorstelle?“ Ein Kontrollbeamter, der zu einerAmtshandlung seine Frau Gemahlin mitbringt, warmir etwas Neues. Inspektor Fehlhaber gab mir zu ver-stehen, dass er gern beide Augen zudrücken wollte,dass aber seine Frau Gemahlin allerhand von unsernSachen benötigte. Da stehe so ein „Schränkle“, dashabe seiner Frau gefallen. Und der Packer könne esim Lift sowieso nicht mehr verstauen. Das „Schrän-kle“ war ein großer, eichener Wäscheschrank, dasbeste Stück unserer Einrichtung. Der Oberpacker Stie-fel blinzelte mir zu, und ich sagte, dass das „Schrän-kle“ natürlich dem Ehepaar Fehlhaber gehören solle.Der Beamte betonte, dass es sich um einen reellenKauf handle, er habe nur immer am 10. des Monatsschon kein Geld mehr und würde sich vom Zollamteinen Vorschuss holen. […] Bis der Mann zurückkam,hatte die Frau noch einige Haushaltsgegenständeausgesucht, sie konnte alles gebrauchen. Ich einigtemich mit dem Mann auf eine Bezahlung von 15,-RMfür alles zusammen.“15

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M 13 Ankunft jüdischer Kinder aus Berlin und Hamburg in Waterloo Station, London am 2. Februar 1939Österreichische Nationalbibliothek, Wien

2.5 Die jüdischen Kindertransporte

Die internationale Öffentlichkeit nahm die unerträgli-che Situation für Juden in Deutschland wahr. Nach demNovemberpogrom 1938 erklärten sich einige europäi-sche Länder bereit, zusätzlich jüdische Kinder bis zumAlter von 17 Jahren aufzunehmen. Innerhalb eines Jah-res konnten beispielsweise mit den „Kindertranspor-ten“ fast 10.000 Kinder nach Großbritannien gebrachtwerden, wo sie in Pflegefamilien und Kinderheimenaufgenommen wurden. Durch die abrupte Trennungvon ihren Eltern wurden viele Kinder, vor allem die jün-geren, traumatisiert oder bekamen lang anhaltendeSchuldgefühle. Viele sahen ihre Eltern nie wieder.

Hedy Epstein:16

„Am liebsten wären meine Eltern in die USA ausge-wandert […]. Lese ich heute ihre Briefe, so spüre ichvor allem ihr verzweifeltes Verlangen, Deutschland zuverlassen. Und ich erinnere mich an eine große Fru-stration, die mich während der Zeit in England über-fiel, an die Schuldgefühle, mit denen ich damals lebenmußte, weil ich nicht imstande war, ihnen zu helfen.[…] Es dauerte eine sehr lange Zeit, bis ich mir selbstvergeben konnte, meine Eltern nicht aus Deutschlandherausbekommen zu haben.“17

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Seit 1938 hatte das NS-Regime mehrfach Juden auslän-discher Staatsangehörigkeit gewaltsam aus dem Deut-schen Reich ausgewiesen. Diese Abschiebungen stellteneine weitere Stufe in der Radikalisierung der national-sozialistischen Judenpolitik dar. Die Deportation derbadischen und saarpfälzischen Juden im Oktober 1940war die bis dahin größte Aktion, bei der fast ausnahms-los deutsche Staatsangehörige ausgewiesen wurden.19

Mit dem Kriegsbeginn gegen Polen 1939 begann diezweite Phase der nationalsozialistischen Judenpolitik,deren Brutalität sich steigerte. Die Wannsee-Konferenzim Januar 1942 bedeutete die Systematisierung desMassenmords, der bereits seit Juni 1941 auf sowjeti-schem Territorium verübt wurde. Ab dem Frühjahr1942 begannen die Deportationen von Juden aus Frank-reich nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager,darunter auch badische und saarpfälzische Juden. Fürdie meisten der aus Baden und der Saarpfalz stammen-den Juden war die Deportation in das Lager Gurs eineZwischenstation auf dem Weg in die Vernichtung.

3.1 Vorgeschichte und Ablauf derDeportation

Der Frankreichfeldzug 1940 eröffnete den nationalso-zialistischen Machthabern neue Möglichkeiten, ihrePläne zur Vertreibung der deutschen Juden umzuset-zen. Die angrenzenden Gebiete Elsass und Lothringenwurden annektiert. Robert Wagner, Gauleiter vonBaden, verwaltete in Personalunion das Elsass, JosefBürckel, Gauleiter der Saarpfalz, wurde das Gebiet Loth-ringen unterstellt. Im Juli 1940 begannen SS und Polizei, missliebige Fran-zosen und Juden aus dem annektierten Elsass und Loth-ringen über die Demarkationslinie in die unbesetzteZone Frankreichs abzuschieben. Im Zuge dieser Aktion brachten lokale NSDAP- Organi-sationen in Kehl und Breisach im August auf eigene In-itiative ebenfalls Juden mit Lastwagen in das unbesetzteFrankreich. Hitler gingen diese Aktionen noch nichtweit genug. Ende September 1940 forderte er Wagner und Bürckel auf, ihre Gebiete „judenfrei“ zu machen.Die beiden Gauleiter nutzten Hitlers Einverständnis, umnicht nur Juden aus den ihnen unterstellten GebietenElsass und Lothringen, sondern darüber hinaus im Ok-tober 1940 auch deutsche Juden aus Baden und derSaarpfalz in Zusammenarbeit mit dem Reichssicher-heitshauptamt (RSHA) in den unbesetzten Teil Frank-reichs abzuschieben.

Die Züge mit den Deportierten fuhren zunächst durchdas besetzte französische Gebiet bis zu dem BahnhofChalon-sur-Saône, der auf der Demarkationslinie zur un-

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3. Die Deportation der badischen Juden 1940

M 15 Josef Bürckel, Gauleiter der Saarpfalz und von LothringenBayerische Staatsbibliothek München/Fotoarchiv Hoffmann

M 14 Robert Wagner, Gauleiter von Baden und dem ElsassBayerische Staatsbibliothek München/Fotoarchiv Hoffmann

Robert Wagner (1895-1946) war ein getreuer An-hänger Hitlers und fanatischer Nationalsozialist.Bereits 1925 wurde er von Hitler mit der Füh-rung der nationalsozialistischen Bewegung inBaden betraut. 1933 koordinierte Wagner alsReichskommissar die Machtergreifung in Badenund wurde im Mai 1933 zum Reichsstatthalterernannt. Höhepunkt seiner Macht war die Er-nennung zum Leiter der Verwaltung im Elsass1940. Im Juli 1945 wurde er festgenommen und1946 von den französischen Alliierten zum Todeverurteilt und erschossen.20

Josef Bürckel (1895-1944) war seit 1925 Mitgliedder NSDAP. Er wurde bereits 1926 Gauleiter derPfalz und ab 1937 der neugebildeten Saarpfalz.1939 wurde er außerdem zum Gauleiter vonWien und 1940 zum dortigen Reichsstatthalterernannt. Mit dem Zusammenschluss von Saar-pfalz und Lothringen zur Westmark 1941 war erin Personalunion Reichsstatthalter und Gauleiter.Ab 1942 geriet er mehrfach in Konflikte mit derSS. Seine Todesumstände 1944 gelten als nichtganz geklärt. Die beiden Gauleiter betrieben mit großem Eiferdie „Eindeutschung“ der annektierten Gebiete.21

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besetzten Zone lag. Hier überwachte SS-Hauptsturm-führer Adolf Eichmann persönlich den Transfer der Züge nach Vichy-Frankreich.22 Mit falschen Angaben ge-genüber der französischen Regierung erreichte er denÜbergang der Transporte in die unbesetzte Zone. Diefranzösische Regierung war von der Tatsache, dass essich bei den Ausgewiesenen um deutsche Juden han-delte, völlig überrascht. Sie erhob sofort Einspruchgegen deren erzwungene Aufnahme. Die deutschen Be-hörden wiesen jedoch die Wiederaufnahme der De-portierten kategorisch ab. Schließlich entschied diefranzösische Regierung, die Menschen in das LagerGurs nahe der Pyrenäen zu transportieren. Als Hintergrund für die Oktoberdeportation wird der„Madagaskarplan“ angenommen. Demzufolge hatte dienationalsozialistische Führung erwogen, die europäi-schen Juden auf diese Insel vor Ostafrika abzuschieben.Mit dem Sieg über Frankreich erschien dies möglich.

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Die Verschleppung der badischen und saarpfälzischenJuden nach Südfrankreich offenbarte die ernsthafte Ab-sicht des Regimes, diesen Plan zu verwirklichen. Die na-tionalsozialistische Führung zeigte sich mit dem Verlaufder Deportation vom Oktober 1940 zufrieden. Die Ak-tion war für das Regime auch über den Madagaskarplanhinaus ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu den syste-matischen Deportationen in den Osten, die im Oktober1941 begannen.23

M 16 Propaganda-Plakat zur „Eindeutschung“ Lothringens, September 1940Bundesarchiv, Plak_003_052_052T 1 + 2

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M 17 Schriftliche Information Reinhard Heydrichs aus dem Reichssicherheitshauptamt an das Auswärtige Amt vom29. Oktober 1940Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin, R 100869

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3.2 Der 22. Oktober 1940

Am 22. Oktober 1940, an einem Tag von Sukkoth, demjüdischen Laubhüttenfest, erschienen Gestapo- und Po-lizeibeamte zumeist in den frühen Morgenstunden beiden Juden und forderten sie auf, sich in kürzester Zeitreisefertig zu machen. Während die Landratsämter be-reits am 15. Oktober vom badischen Innenministeriumüber die bevorstehende Aktion informiert wordenwaren, traf die Anweisung zur sofortigen Ausreise dieMehrheit der jüdischen Bevölkerung völlig unerwartet.Die Vorbereitungen der Deportation waren mit stren-ger Geheimhaltung getroffen worden.24

Ausgenommen von der Deportation waren laut Anwei-sung Juden, die in „Mischehen“ lebten, ausländische„Nichtarier“ sowie transportunfähige Kranke. DieseVorgabe wurde jedoch nicht immer eingehalten.25 Man-che hatten nur wenige Minuten Zeit zum Packen, an-dere einige Stunden. Den Menschen wurde die Mitnahme von 100 Reichs-mark und 50 kg Gepäck erlaubt. Außerdem sollte Pro-viant für einige Tage eingepackt werden. Das Reisezielwurde den meisten verschwiegen. Die Wohnungenmussten verschlossen und versiegelt, Strom und Gas ab-gestellt und die Schlüssel den Gestapo- bzw. Polizeibe-amten ausgehändigt werden. Die Beamten begleitetendie Juden zu den Sammelplätzen. In Karlsruhe wurdendie Juden mit der Straßenbahn zum Bahnhof gebracht,in Freiburg und Lörrach wurden sie mit Lastwagen ab-geholt. In kleineren Ortschaften mussten die Menschenzu Fuß zum nächst gelegenen Bahnhof laufen oder wur-den mit Militärlastwagen abgeholt. Allein aus Mann-heim wurden 2000 und aus Karlsruhe 905 Judendeportiert. Insgesamt wurden bei dieser Aktion 6504Juden aus Baden und der Saarpfalz verschleppt, davonungefähr 5600 aus 137 Gemeinden in Baden.26

Kurt Maier

„Mein Bruder und ich hielten uns an diesem Tag inFreiburg auf. […] Als unseren Eltern befohlen wurdesich reisebereit zu machen, haben sie schnell ein Taxibestellt und den Fahrer gebeten, Heinz und mich vonFreiburg zu holen. […] Als wir zu Hause ankamen,hatten die Eltern schon die Koffer gepackt. Opakonnte nicht viel tun, er litt am Schlagfluss [Schlag-anfall] und zitterte an den Händen. Wir gingen ausdem Haus und stiegen auf den Militärlastwagen.“

„1992 erhielt ich einen Brief aus der Heimat mit Zei-tungsausschnitten auf denen fünf Fotos zu sehenwaren. Diese Aufnahmen zeigen die Abholung derKippenheimer Juden durch die Polizei, die dafür Mi-litärlaster einsetzte. […] Als ich die Bilder sah, konnteich es nicht glauben! Auf einem der Fotos waren dieOma, der Opa, mein Vater zu sehen – und ich, derkleine Junge mit dem Lodenmantel und Kappe!Warum trage ich keinen Koffer und nur eine Akten-tasche? Warum muss Vater zwei schwere Koffer tra-gen? So schwach war ich nicht, dass ich keinenKoffer tragen konnte. […] Ich glaubte lange, wirwären in der Nacht geholt worden, bis ich die Auf-nahmen fast fünfzig Jahre später sah. Sie zeigten, dasses noch Tag war, als wir unser Haus zum letzten Mal sahen.“

19

M 18 Abtransport der Familien Maier und Auerbacher aus der Kippenheimer Querstraße 11 (1940 Nr. 46). Kurt Maier (*1930) undBruder Heinz Maier (*1927) waren die einzigen 1940 noch in Kippenheim lebenden jüdischen Kinder. Sophie Auerbacher, geb.Kornmann (1867 – 1952) konnte mit der Familie ihrer Tochter von Gurs aus nach New York auswandern.Kurt Maier

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Der Ablauf der Deportation in Lörrach lässt sich aufeiner Fotoserie aus 25 Bildern erkennen.27 Kriminalbe-amte waren zu „Transportführern“ bestimmt worden,sie erhielten eine Liste mit den Namen der Opfer undihnen waren weitere Schutzpolizei-, Gendarmerie- oderKriminalbeamte zur Unterstützung zugeteilt.28 DieOpfer kamen vermutlich aus der Umgebung von Lör-rach, da sie mit Mannschaftstransportwagen der Poli-zei abgeholt und zu der alten Handelsschule amMarktplatz in Lörrach gebracht wurden. Dort wurdensie registriert und vermutlich auch durchsucht. An-schließend wurden sie mit den Polizeifahrzeugen zuden Zügen nach Freiburg gebracht, die sie nach Süd-frankreich transportierten.

Deportiert wurden überwiegend ältere Menschen, un-gefähr 60 % waren über 60 Jahre alt und zwei Drittelvon ihnen waren Frauen. In der Altersstruktur der De-portierten spiegelt sich wieder, dass die jüngere Gene-ration und die Männer bereits ausgewandert waren, inder Hoffnung, ihre Familien nachholen zu können.Nach der Deportation im Oktober 1940 waren 820 so-genannte Volljuden in Baden zurückgeblieben. Die mei-sten von ihnen wurden ein Jahr später, 1941, in dieKonzentrations- und Vernichtungslager deportiert.

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M 19 Deportation der Juden aus Lörrach am 22. Oktober 1940, der Transportführer gibt Anweisungen, Fotograf Gustav KühnerStadtarchiv Lörrach, StaLö2.29.2-13

Hanna Meyer-Moses

„Am Morgen des 22. Oktober 1940, ca. acht Uhr inder Früh, läutete es an unserer Wohnungstüre. Alsmeine Mutter öffnete, standen zwei Männer in Zivilvor ihr, die sich als Gestapo-Angehörige auswiesenund fragten, ob alle Familienangehörigen zu Hauseseien. Wir feierten gerade „Sukkoth“, das Laubhüt-tenfest, weshalb wir Kinder Herbstferien hatten.Nachdem meine Mutter bejaht hatte, teilten ihr dieGestapo-Männer mit, es dürfe von nun an niemandmehr die Wohnung verlassen, wir sollten uns reise-fertig machen, sie kämen in ca. einer Stunde. MeineMutter weckte uns beiden Mädchen (ich war dreiWochen zuvor gerade 13 Jahre alt geworden, meineSchwester Susanne war elf), forderte uns auf, etwasWärmeres als üblich anzuziehen, und fing an zu pak-ken. Um neun kamen die Gestapo-Leute wieder zu-rück und brachten einen älteren Schutzmann mit,der dann wider Erwarten meiner Mutter beim Pak-ken zur Hand ging. […] Während meine Mutterpackte, schickte mich einer der Gestapo-Männer mitallen uns noch verbliebenen Rationierungsmarkenzum Milchhändler, dieser solle mir dafür Butter undKäse bis zum Monatsende geben, „ein Gestapo-Be-amter habe es befohlen“, wie ich ausrichtenmusste.“

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3.3 Verzweiflung und Selbsttötungen

Die zunehmenden antisemitischen Anfeindungenwaren für viele Juden in Deutschland nicht mehr zu er-tragen. In dieser hoffnungslosen Situation schien ihnenals letzter Ausweg die Selbsttötung. Nach den Boykott-aktionen im April 1933 und dem Ausschluss der jüdi-schen Beamten aus dem Staatsdienst nahmen sichschätzungsweise 300 bis 400 jüdische Menschen dasLeben.30 Der Beginn der Deportationen und die damitverbundene Ungewissheit über das weitere Schicksalstürzte abermals viele Juden in große Verzweiflung.Auch die Oktoberdeportation löste eine Reihe vonSelbstmorden aus, deren Zahl mit großer Wahrschein-lichkeit über den registrierten Fällen liegen dürfte. Be-kannt sind acht bis zehn Fälle in Mannheim, drei inKarlsruhe, zehn in Baden-Baden und zwei in Freiburg.31

Auch sei es während der Zugfahrt in das Lager Gurs zuweiteren Selbstmorden gekommen. Auffällig ist, dassdie meisten Juden, die Selbstmord begingen, schon älterund hochgradig assimiliert waren, so berichtete EugenNeter, jüdischer Gemeindevorstand aus Mannheim:„Bei diesen Akten von Selbstmord […] handelte essich ausschließlich um Juden, die dem Judentum fernstanden, ausgetreten oder getauft waren. Das Schick-sal dieser Menschen hatte etwas Tragisches: der Wegins Exil warf sie wieder dorthin (zum Judentum,Jude-sein) zurück, von wo ihr Streben sie sich hat ent-fernen lassen: sie wollten keine Juden mehr sein undmussten es nun sein.“32

3.4 Untergetauchte und Retter

Ein anderer Weg war die Flucht in die Illegalität. Insge-samt konnten im Deutschen Reich vermutlich etwa10.000 bis 15.000 Juden durch den Gang in den Un-tergrund ihrer Verhaftung und Deportation entgehen.Das Leben in der Illegalität war äußerst gefährlich undnur mit Hilfe von Nichtjuden möglich, die ebenfalls ihrLeben aufs Spiel setzten. Die Motive, Juden zu verstek-ken und/oder zur Flucht zu verhelfen, waren ganz un-terschiedlicher Art, sie reichten von Menschlichkeitüber Freundschaft bis hin zu materieller Vorteilsnahme.Wie viele Juden sich in Baden der Deportation 1940durch Untertauchen entziehen konnten, ist nicht be-kannt.33 Für das Gebiet des späteren Baden-Württem-berg wird die Zahl von 68 Juden angenommen, die inder Illegalität überlebten.34

Die nach der Oktoberdeportation 1940 Zurückgeblie-benen waren umso mehr auf die Hilfe und Unterstüt-zung der nichtjüdischen Bevölkerung angewiesen, dasie nicht vor der späteren Verschleppung geschütztwaren. Das nationalsozialistische Regime hatte einenges Verfolgungs- und Überwachungsnetz über die jü-dische Bevölkerung gesponnen: ihrer beruflichen Exi-stenz und ihrer Rechte beraubt, waren sie vielerorts ausihren Wohnungen und Häusern vertrieben und in „Ju-denhäusern“ konzentriert. Für Juden gab es nur wenigeAufenthaltsorte in der Öffentlichkeit und diese warennur zu vorgeschriebener Zeit aufzusuchen. Kennkartenmit dem Stempel „J“ ermöglichten die Identifizierung

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M 20 Eintrag aus dem Diensttagebuch der Kriminalpolizei FreiburgStadtarchiv Freiburg, K149/Teil 2 B Nr. 5

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als Juden, die Registrierung in Karteien den schnellenZugriff durch die Verfolger. Ab dem September 1941schrieb eine Verordnung Juden das deutlich sichtbareTragen des gelben Sterns in der Öffentlichkeit vor. Fürdas Leben im Untergrund waren Lebensmittelkartenund gefälschte Ausweise bzw. Geld für deren Beschaf-fung nötig. Das Leben in der Illegalität erforderte vielMut, Ausdauer und eine große Anpassungsfähigkeit.

Ein Beispiel mutiger Hilfe ist die Geschichte der Ret-tung der Kaufmannsfamilie Gustav Judas aus Ihringena.K.35 Die 4-köpfige Familie war bereits im Jahr 1933wegen gewalttätiger antisemitischer Ausschreitungenvon Ihringen nach Freiburg gezogen. Der Deportationim Oktober 1940 konnte sie deshalb entgehen, weil derFreiburger Kriminalpolizist Fritz Schaffner, mit dem Gu-stav Judas seit dem Militärdienst und Erstem Weltkriegeng befreundet war, seinen von Amts wegen bestehen-den Informationsvorsprung couragiert zur Rettung die-ser Familie nutzte. Fritz Schaffner erwirkte eine Trans-portunfähigkeitsbescheinigung für die Eltern und damitdie Zurückstellung der Familie von der Deportation.Die Familie verließ fortan nicht mehr die Wohnung, nurder 14-jährige Sohn Karl versuchte per Fahrrad in Stadtund Umgebung Lebensmittel zu besorgen. Darüber hin-aus versorgten die Familie Schaffner, deren in der Land-wirtschaft tätige Verwandte und Ihringer Freunde dieFamilie Judas mit Essbarem.Über die Verbindung zu Rechtsanwalt Homburger36 ge-lang es Karl Judas, Visa und Plätze in einem plombiertenZug von Berlin, via Frankreich und Spanien bis Portugalzu bekommen. Zum gegebenen Zeitpunkt im Juni 1941besorgte Fritz Schaffner beim Freiburger Verkehrsamtvier Fahrkarten nach Berlin, um „seiner Frau und sei-nen Kindern die Reichshauptstadt zu zeigen“. So wurdedie Familie gerettet. Allerdings mussten die beiden

Großmütter, Jette Judas und Rosa Regina Bloch, in Frei-burg zurückbleiben. Sie erhielten kein Visum für dieUSA. Die beiden Frauen wurden 1942 deportiert. JetteJudas starb 1942 in Theresienstadt, Rosa Regina Blochwurde 1944 in Auschwitz ermordet.

3.5 Die Täter

Die Deportationen waren komplizierte, arbeitsteiligeProzesse, an deren Organisation und Umsetzung nebender Geheimen Staatspolizei (Gestapo) viele Behördenund die Reichsbahn beteiligt waren. In dem Dienstta-gebuch der Freiburger Kriminalpolizei findet sich nurein kurzer Eintrag über die Aktion.

Regierungsstellen und Gestapo hatten die Deportationgemeinsam vorbereitet.37 Am 15. Oktober erging der Er-lass des Badischen Innenministeriums an die Landrats-ämter, der über die Aktion informierte, jedoch strengsteGeheimhaltung bis zum Tag der Durchführung anord-nete. Mit Karl Berckmüller stand in den ersten Jahrender nationalsozialistischen Herrschaft ein fanatischerAntisemit der Gestapo Leitstelle in Baden mit Sitz inKarlsruhe vor. Er initiierte die Erstellung einer „Zentra-len Judenkartei“ für Baden, noch bevor eine solche Auf-forderung 1935 vom Geheimen Staatspolizeiamt ausBerlin an die Leitstellen der Länder ergangen war.38 Seit-dem sammelten die badischen Polizeibehörden Infor-mationen über jüdische Verbände und ihre Mitglieder,später die Adressen von allen Juden in den einzelnenBezirken. Mit der „Judenkartei“ konnte am Tag der De-portation der Zugriff mit Namenslisten gezielt erfolgen.Alle Polizeisparten waren am 22. Oktober 1940 im Ein-satz: Kriminalpolizei, Gestapo, Schutzpolizei und Gen-darmerie und in einigen Orten sogar Beamte aus denVerwaltungsabteilungen der Gestapostellen.

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M 21 Gustav Judas mit der Familie seiner Frau Hilda, geb. Bloch, von links nach rechts: Gustav Judas (mit Spa-zierstock), eingehängt bei seiner Frau Hilda, vordere Reihe Anneliese und Karl Judas, hinter Karl steht die GroßmutterRosa Regina Bloch (mit Brille), Baden-Baden 1935Carl Jaburg

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Ein Gestapobeamter aus Karlsruhe sagte aus:

„Die Teilnahme an der Judenaktion erfolgte in Zivil.Nachmittags, unbekannten Zeitpunkts, begab ichmich wieder an den Hauptbahnhof, um mir den Ab-transport der Juden anzusehen. Hier war ich wie fastalle anderen zivilen Beamten Zuschauer, der Ab-transport erfolgte durch die uniformierte Sicher-heitspolizei.“39

Offenbar hielten sich die Beamten überwiegend an dieAnweisung aus dem „Merkblatt für eingesetzte Be-amte“:

„Es ist unbedingt erforderlich, daß die Juden bei derFestnahme korrekt behandelt werden. Ausschreitun-gen sind auf jeden Fall zu verhindern.“40

Auch Überlebende schilderten, dass sich die Beamtenkorrekt und bisweilen sogar hilfsbereit verhielten.

Oskar Althausen:

„Alles in allem ist noch zu sagen: So traurig es war,man benahm sich noch einigermaßen korrekt in derArt der Behandlung, die man uns entgegenbrachte.“41

Am Bahnhof Bruchsal kam es jedoch zu demütigendenSzenen, so berichtete der Bahnbeamte Josef Doll:

„Man hat sie [die Juden] die Treppen hinuntergesto-ßen, angerempelt und angespuckt. Es war schrecklichzuzuschauen. Es waren Bruchsaler SA- Leute in Uni-form. Ich erinnere mich besonders, wie Dr. Schmittangespuckt wurde. Dieser jüdische Arzt war in Bruch-sal sehr angesehen und hatte viele Arme kostenlos be-handelt.“42

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M 22 Deportation der Juden aus Lörrach am 22. Oktober 1940, Fotograf Gustav KühnerStadtarchiv Lörrach, StaLö2.29.2-1

M 23 Standbild aus der Filmsequenz „Die letzten Juden verlassen Bruchsal“43 ,1940Stadtarchiv Bruchsal

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Die Landräte und Bürgermeister beeinflussten ebenfallsals Mitorganisatoren das Geschehen. In einigen Ortenheizten sie die Stimmung gegen die jüdische Bevölke-rung an, wie beispielsweise in Gailingen.

Berty Friesländer-Bloch:

„Wir wurden auf das Rathaus geführt (das ganzeDorf stand bereits voller Camions und Schaulustiger)und die Befehle der SS- Männer, die größtenteils ausRadolfzell angerückt waren, waren weitherum zuhören. Auf der Rathaustreppe stand der amtierendeBürgermeister, angetan mit einem khakifarbenenUmhang à la Mussolini und sprach zu meinemMann: „So Friesländer, jetzt geht’s in gelobte Land“.[…] Nachdem wir nun in einem im Parterre liegen-den Schulzimmer registriert und mit Anhängenum-mern versehen waren, führte man uns zu den vordem Rathaus wartenden Camions, wo wir dichtge-drängt zur Abfahrt beisammen kauerten.Auf der Fahrt nach Randegg flog noch mancher Steinan unsere käfigartige Behausung.”44

3.6 Reaktionen der nichtjüdischenBevölkerung

Die Deportation am 22. Oktober 1940 fand vor denAugen der Bevölkerung statt. Die Mehrheit der Bevöl-kerung schwieg jedoch und blieb zumindest äußerlichindifferent. Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheits-polizei und des Sicherheitsdienstes (SD), konstatierte:„Der Vorgang der Aktion selbst wurde von der Bevöl-kerung kaum wahrgenommen.“45 Doch es gab Ausnah-men, denn Augenzeugenberichte kommentierten dasGeschehen. Die Reaktionen der nichtjüdischen Bevöl-kerung reichten vom Ausdruck der Solidarität und desMitgefühls über direkte praktische Hilfe beim Packenbis zum Begleiten zu den Sammelstellen.

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M 24 Zug der Gailinger Juden zum Sammelplatz, 22. Oktober 1940 Gemeinde Gailingen/Verein für jüdische Geschichte Gailingen e.V.

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Bericht einer Augenzeugin über die Deportation inLörrach:

„Ich war damals 19 Jahre alt und arbeitete bei derDeutschen Bank. An jenem Morgen stand ich, zu-sammen mit einem Arbeitskollegen am Fenster aufder Rückseite des Hauses, von wo wir direkt auf denMarktplatz hinunter schauen konnten. Es war eintrüber Spätherbsttag, neblig und grau, relativ früham Vormittag. Da sahen wir, wie die Juden auf dieLastwagen geladen wurden, die da unten standen. Eswaren zwei oder drei Lastwagen. Das waren arme,alte Leute, zwischen 60 und 80 Jahre alt, kaum jün-gere, Männer und Frauen. Sie hatten ganz wenig Ge-päck bei sich, nur das, was sie tragen konnten. Siemussten auf die Lastwagen steigen, wurden richtighinaufgestossen. Auch Nachbarn von uns, FamilieJosef von der Schützenstrasse wurde aufgeladen. Ichhätte weinen können, als die Lastwagen abfuhren.Das hat einen sehr bewegt, diese armen alten Leute –die hatten doch da ihre Heimat und mussten nunweg von allem. Aber wir durften unser Bedauernoder unser Mitleid mit den Juden nicht einmal zei-gen, konnten uns nur mit den Augen ein Zeichengeben, denn wir hatten einen Obernazi im Büro.“46

Der Landrat von Lörrach berichtete auch über demüti-gende Kommentare der Zuschauer:

„Die [Juden] wurden sodann mit LKWs nach Freiburgverbracht, von wo sie nach Gurs (Südfrankreich) wei-ter transportiert worden sein sollen. Bei den Abtrans-porten haben sich verhetzte Gaffer und diesbezügl.Elemente, die zum Teil Schmährufe ausstießen, an-gesammelt.“47

Auch in der privaten Korrespondenz finden sich Be-merkungen über die Deportation, so berichtete eineFreiburgerin an einen Verwandten.

Alice Leimenstoll:

„Bei uns in Freiburg geht es seit Sonntag toll her. JedeNacht haben wir Fliegeralarm …. Auch ist heute einbesonderer Tag. Denke dir, sämtliche Juden werdenabgeholt und in Omnibussen fortbefördert. Mit derPolizei und Kriminal wurden sie im Hause geholtund dann auf Lagerplätzen gesammelt. Wie ich ge-hört habe, kommen sie nach Südfrankreich und vondort mit dem Schiff weiter. Sie konnten alle nur mitein paar Habseligkeiten gehen, denn sie hatten nur ½Stunde Zeit zum Packen.“48

Ein großer Teil der Bevölkerung war selbst Augenzeugeder Oktoberdeportation geworden oder über Gerüchteinformiert. Die Ausweisung der rund 2000 Juden ausder Stadt Mannheim beispielsweise konnte der nicht-jüdischen Bevölkerung kaum verborgen geblieben sein,in der lokalen Presse fand die Aktion jedoch keine Er-wähnung.49 Auch die späteren Deportationen ab 1941wurden in den regimeinternen Lageberichten tabui-siert und nur spärlich wurden Berichte über die Reak-tionen der nichtjüdischen Bevölkerung erstattet.50

Anscheinend sollte die Deportation keine öffentlich-keitswirksame Aktion darstellen, wie das bei dem Po-grom im November 1938 der Fall gewesen war. Hierging es eher darum, den Schein der Legalität zu wah-ren.

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M 25 Die Deportation von Juden aus Lörrach am 22. Oktober 1940, Fotograf Gustav KühnerStadtarchiv Lörrach, StaLö2.29.2.-19

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3.7 Die Zugfahrt

Die Deportation der mehr als 6500 Juden aus Badenund der Saarpfalz in das südfranzösische Lager Gurswar nur aufgrund der bereitwilligen Kooperation derReichsbahn möglich. Vielerorts mussten die Menschenan den Sammelplätzen noch den ganzen Tag warten.Erst am späten Abend wurden sie gezwungen, in dieZüge zu steigen. Über das Verhalten der Bahnbeamtenist nichts bekannt. Dagegen berichteten mehrere Au-genzeugen, dass Gestapobeamte und SS- Männer, diedie Züge begleiteten, die Menschen während der Fahrtbedrohten und demütigten.51 Die Züge waren überfüllt,den Menschen fehlten Nahrungsmittel, Wasser und me-dizinische Versorgung. Besonders für die vielen älterenMenschen, die rücksichtslos aus Altersheimen undKrankenhäusern in den Transport gezwungen wordenwaren, wurde die Fahrt zur Qual.

Hanna Meyer-Moses

„Das Drama begann schon im Zug, besonders auchfür die Alten und Kranken. Ich erinnere mich nochan einen älteren beleibten Mann,der vermutlich bla-senkrank war und fast alle Viertelstunde an uns vor-beikam, um zum „Abort“ zu gelangen.“

Lilly Reckendorf:

„Gegen 7 Uhr morgens erreichten wir Mühlhausen.[…] Lautsprecher gaben bekannt, daß es Suppe gebe.[...]Als ich die Wagentür öffnete , um die Suppe entge-genzunehmen, wurde sie von Lahrer Mädchen ge-reicht, die ich sofort erkannte. Frau Caroli, dierührige, war mit ihrer Frauenschaft auf diesem Eh-renposten tätig. Es war an sich eine gute Brühe mitTeigwaren und Fleischbrocken. Das war nun für dierituellen Juden ein Schlag ins Gesicht, Hunger hattenalle, besonders auf etwas Warmes, und nun konntensie‘s vor Abscheu kaum hinabwürgen. Die Leute sindso gewöhnt und erzogen, daß sie solch ein Gerichtwörtlich als unrein und als unrein zubereitet emp-finden.“52

An mehreren Zwischenstationen mussten Menschenaus weiteren Orten zusteigen. Die Wachmannschaftenbegleiteten die Züge bis zur Demarkationslinie, die denbesetzten Teil Frankreichs vom unbesetzten Teil trennte.Danach ging die Fahrt ohne Aufsichtspersonal weiter.Überlebende berichteten, dass dann endlich die Fen-ster geöffnet werden konnten. Auch war es möglich, inden Bahnhöfen, in denen die Züge zum Teil einige Zeitstehen blieben, diese zu verlassen. Auf diese Weise ge-lang einigen Menschen die Flucht in das unbesetzteFrankreich.53

Zumindest eine Route der Züge kann aus Erinnerungs-berichten rekonstruiert werden.54 Die Sonderzüge ausMannheim und Karlsruhe wurden zunächst südwärtsdie Oberrheinstrecke bis Baden-Baden und Freiburg ge-leitet, um dann bei Breisach den Rhein zu überqueren.Der Bahnhof Mülhausen war offenbar ein Sammel-punkt für die Deportationszüge. Hier musste auf An-weisung das mitgebrachte Geld, 100 Reichsmark, infranzösische Francs umgewechselt werden. Die Zügefuhren in Südfrankreich bis zu dem Bahnhof Oloron-Sainte-Marie. Von dort wurden die Menschen auf Last-wagen in das Lager Gurs gebracht. Die Deportation biszur Ankunft im Lager dauerte insgesamt drei Tage undvier Nächte.

Hanna Meyer-Moses

„Am Abend des 24. Oktober 1940 erreichten wir Sèteund mein Vater zeigte uns durch das Fenster in derDunkelheit das Schimmern des Mittelmeeres, an des-sen Ufern das Gleis ein kurze Strecke entlangführt.Im Lauf des Freitags, 25. Oktober 1940, in Oloron-Ste.Marie angekommen, hatten wir noch lange in denZügen zu verbleiben, da die wenigen vorhandenenLastwagen die vielen Menschen im Pendelverkehr indas Lager Gurs transportieren mussten.“

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Die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus demDeutschen Reich ging einher mit ihrer völligen Berau-bung. Bevor die Menschen die Züge besteigen mussten,wurden ihnen von dienstverpflichteten Notaren For-mulare vorgelegt, mit denen sie ihr Vermögen demDeutschen Reich übereigneten.

Hugo Schriesheimer:

„Als wir die Wohnung verließen, wurde sie von SS-Leuten versiegelt. Sie nahmen den Schlüssel mit. Ichhabe nie mehr etwas von der Wohnungseinrichtung,von Wertsachen, Schmuck, Photoapparaten, Brief-markensammlung usw. gesehen.“55

Bereits einen Tag nach der Deportation erklärte Gau-leiter Robert Wagner, dass der jüdische Besitz und dasVermögen für das Land beschlagnahmt seien.56 Im Zugedessen wurden bei den Landratsämtern und bei den Po-lizeidirektionen in den Großstädten „Abteilungen fürjüdisches Vermögen“ eingerichtet, die vor Ort die Ver-wertung organisierten.57 Die Sichtung und Inventari-sierung des zurückgelassenen Besitzes begannunmittelbar nach der Verschleppung. Noch vorhandeneLebensmittel wurden an die Bevölkerung verteilt oderden städtischen Sozialämtern und der Nationalsoziali-stischen Volkswohlfahrt (NSV) übergeben. Kleider undandere Gebrauchsgegenstände wie Möbel wurden da-gegen zum großen Teil öffentlich versteigert, vielfachin den ehemaligen Wohnungen selbst. Bei manchen Ver-steigerungen war der Andrang so groß, dass die Woh-nungen wegen Überfüllung geschlossen werdenmussten.

Angekündigt wurden die Versteigerungen in der natio-nalsozialistischen Presse und lokalen Tageszeitungen.

Der Verkauf des jüdischen Hausrates weit unter demtatsächlichen Wert bot großen Anreiz. Alles, was sich inden Wohnungen und Häusern befand, wurde restlosveräußert. Über die Einnahmen wurde genau Buch ge-führt. Die Gerichtsvollzieher fertigten Listen an, aufdenen der Gegenstand, der Käufer und der Preis aufge-führt wurden. Anhand überlieferter Listen gelang esmanchen Überlebenden nach dem Krieg ihren Besitzwieder ausfindig zu machen. Häufig jedoch war es sehrschwierig, da die Listen handgeschrieben und die Käu-fer nur mit dem Nachnamen erfasst worden waren,viele Listen waren auch verschwunden.

Später gab es zunehmend Bedenken gegen die Verstei-gerungen, da diese ein großes öffentliches Interessehervorriefen. Die Gebrauchsgegenstände sowie vorallem Textilien und Schuhwerk wurden direkt den So-

zialämtern und gemeinnützigen Organisationen über-geben. Manche dieser Gegenstände erhielt auch dieReichsvereinigung der deutschen Juden zur Weiterlei-tung an die nach Südfrankreich Deportierten, die un-genügend ausgerüstet waren und um Zusendung vonKleidung baten. Besonders groß war der Andrang umdie frei gewordenen Wohnungen und Häuser.

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4. Die Verwertung jüdischen Eigentums

M 26 Öffentliche Anzeige über den Verkauf des Hausratsder Geschwister Liefmann aus FreiburgStaatsarchiv Freiburg, 196/1, 2176

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M 29 Auszug aus dem Versteigerungsprotokoll des Hausrats der Geschwister Liefmann. Das Protokoll besteht aus 30 Seiten, aufdenen die versteigerten Gegenstände, der Preis und der Nachname des Käufers verzeichnet sindStaatsarchiv Freiburg, F 196/1, 2176

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M 30 Liste der aus Baden-Baden DeportiertenGenerallandesarchiv Karlsruhe

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M 27 Eine Versteigerung von jüdischem Hausrat in Lörrach. Dieses Foto stammt aus einer Serie von 17 Bildern, auf denen die Verstei-gerung dokumentiert wird, Fotograf vermutlich Gustav KühnerStadtarchiv Lörrach, StaLö2.43.1-4

M 28 Eine Versteigerung in Lörrach, im Innenhof des Hauses, Fotograf vermutlich Gustav KühnerStadtarchiv Lörrach, StaLö2.43.1-7

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Nach der Niederlage im Juni 1940 war Frankreichgemäß der Vereinbarung im Waffenstillstandsabkom-men geteilt worden. Nordfrankreich und die Atlantik-küste standen fortan unter deutscher Militärverwaltungund wurden als „besetzte Zone“ bezeichnet. Über die„unbesetzte Zone“ im Süden behielt formell eine vonden Deutschen geduldete französische Regierung dieSouveränität. Die nach dem Ort ihrer Residenz be-nannte autoritäre Vichy-Regierung (État Français) unterder Führung von Maréchal Pétain propagierte eine Po-litik der „nationalen Revolution“. Ausländer, Minder-heiten und insbesondere Juden wurden ausgegrenzt.Die französische Bevölkerung war jedoch gespalten:vom Londoner Exil aus rief Général de Gaulle zum Wi-derstand gegen die Vichy-Regierung auf und erklärtediese für illegal. In Frankreich lebten Ende des Jahres 1940 über300.000 Juden, davon waren ungefähr die Hälfte aus-ländischer Staatsangehörigkeit.58 Unter diesen befan-den sich schätzungsweise 7000 deutsche und 2500österreichische Juden. Die Mehrheit der in Frankreich

lebenden ausländischen Juden war aus Osteuropa ein-gewandert und gehörte den ärmsten Schichten an. ImOktober 1940 erließ die Vichy-Regierung antijüdischeGesetze, nach denen definiert wurde, wer als Jude zugelten hatte. Juden wurden zudem aus dem öffentli-chen Dienst ausgeschlossen. Darüber hinaus war die In-ternierung ausländischer Juden in französischen Lagernmöglich. 1941 verschärfte die Vichy-Regierung ihre Po-litik gegenüber Juden mit der Einsetzung eines „Gene-ralkommissars für Judenfragen“ und der Aufstellungeiner „Judenpolizei“. Die französische Gendarmerieführte Razzien auf Juden durch und verschleppte sie indie Internierungslager. Zwei Monate nach der Wann-see-Konferenz, im März 1942, begannen die Deporta-tionen von Juden aus der besetzten Zone Frankreichsnach Auschwitz - wenige Monate später, im August1942, auch aus der unbesetzten Zone. Die Deportatio-nen in die Vernichtungslager dauerten bis zur Befrei-ung Frankreichs 1944 an. Insgesamt wurden ausFrankreich 76.000 Juden deportiert, davon waren zweiDrittel ausländische oder staatenlose Juden.

5. Die Situation in Frankreich

M 31 Frankreich unter deutscher BesatzungLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

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M 32 Plakat im Fenster eines Pariser Lokals, September 1940Bundesarchiv, 183-S59096

M 33 Französische Polizei verhaftet auf Weisung der deutschen Besatzer Juden und nimmt ihre Personalien auf, August 1941Bundesarchiv, 183-B10921

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In der unbesetzten Zone existierten rund 100 Lager, indenen vor allem Ausländer und Juden interniert wur-den. Das Lager Gurs war das größte französische Inter-nierungslager und befand sich am Fuße der Pyrenäen,südlich von Pau und 50 km von der spanischen Grenzeentfernt im heutigen Département Pyrénées Atlanti-ques. Das Lager unterstand den französischen Behör-den. Die Gefangenen waren keinen unmittelbarkörperlichen Schikanen durch die französischen Be-amten ausgesetzt. Die meisten Internierten musstenkeine Zwangsarbeit leisten.59

6.1 Das Lager Gurs

Die französischen Regierung hatte das Lager Gurs 1939zur Aufnahme geflüchteter Spanienkämpfer und fran-zösischer Kommunisten eingerichtet. In den Jahren von1939 bis 1943 waren ganz unterschiedliche Gruppen indem Lager interniert: z. B. Spanienkämpfer, französischepolitische Häftlinge, jüdische Flüchtlinge, „feindlicheAusländerinnen“, Prostituierte, ethnische Minderheitenwie Sinti und Roma und jüdische Deportierte.

„Unerwünschte“ Ausländer

Frankreich war bis 1939 eines der wichtigsten Zu-fluchtsländer für deutsche Emigranten. Bereits zu Be-ginn der nationalsozialistischen Herrschaft befandensich ungefähr 30.000 deutsche Flüchtlinge vor allem inParis und an der Côte d‘Azur. Unter ihnen befanden sichviele Schriftsteller, Intellektuelle, Künstler sowie poli-tisch Aktive. Ab dem Überfall des Deutschen Reichesauf Polen im September 1939 wurden deutschspra-chige Personen in Frankreich in Internierungslager ein-gewiesen. Es waren vor allem Emigranten, die auspolitischen Gründen Deutschland verlassen oderwegen ihrer jüdischen Herkunft vor den Nationalso-zialisten Zuflucht gesucht hatten. Mit dem Angriff derWehrmacht auf Frankreich im Mai 1940 verstärkte diefranzösische Regierung die Einweisungen von deutsch-sprachigen Ausländern in Lager. Ebenso wurden Judenunterschiedlicher Nationalität sowie französische Kom-munisten, Pazifisten und Gewerkschafter als Gefahr imeigenen Land eingestuft. Sie wurden als „Suspects“(„Verdächtige“) und „Indésirables“ („Unerwünschte“)interniert.

6. Das Internierungslager Gurs in Südfrankreich

M 35 Das Lager Gurs Hauptstaatsarchiv Stuttgart, EA 99/001 Bü Nr. 1

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In das Lager Gurs wurden viele deutsche und österrei-chische Frauen eingewiesen, die nach Frankreich ge-flüchtet waren. Neben den politischen Aktivistinnenbefanden sich aber auch viele Frauen in dem Lager,denen der Haftgrund unbekannt oder deren Vergehenallein ihre ausländische Nationalität war. Die willkürli-che Internierung war vor allem eine Repressionsmaß-nahme gegen alle als feindlich eingestuften Ausländer,die sich in Frankreich aufhielten. Vielen von ihnen ge-lang es, das Lager noch im Laufe des Jahres 1940 mitHilfe der Fürsprache von einflussreichen Freundenlegal zu verlassen oder zu flüchten. Unter den Gefan-genen im Lager Gurs waren viele bekannte Persönlich-keiten wie z.B. die Schriftstellerin und politischePhilosophin Hannah Arendt.

Hannah Arendt in einem Brief an SalomonAdler-Rudel:

„Lissabon, den 17. Februar 1941

Lieber Rudel,[…] Ich sitze hier mit meinem Mann, wir haben seitSeptember Danger-visen, mit denen wir als Staaten-lose nicht heraus und nicht durch Spanien kamen.Jetzt hat es endlich geklappt. Es ist uns verhältnismä-ßig gut gegangen. Und man hat uns so gut wie garnicht belästigt. In Gurs war ich noch keine 4 Wochen.Leider ist das aber keineswegs die Regel und die über-wältigende Majorität unserer Freunde sitzt in Arbeits-oder Konzentrationslagern unter unvorstellbaren Be-dingungen. Die Mortalität ist nicht nur in Gurs sohoch - dort 25 - 40 Menschen pro Tag. Und es sitzenkeineswegs nur die Juden, die man jetzt aus Deutsch-land exportiert hat. Es sitzen die jüdischen Freiwilli-gen und die sog. Prestatäre (sofern sie untauglichwaren sind sie in Gurs), es sitzen Kinder (4.000!) undGreise (1.500 über 70 Jahren), Männer und Frauen,ganz wahllos und anarchisch. Schreiben Sie mir,wenn Sie etwas wissen wollen. […]Ihre Hannah Arendt-Bluecher“61

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M 36 Hans und Lisa Fittko in Marseille 1941Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt am MainDeutsches Exilarchiv 1933 – 1945

Lisa Fittko (1909-2005) und ihr Mann Hanswaren wegen politischer Aktivitäten gegen dieNationalsozialisten über Prag nach Paris ge-flüchtet. Im Mai 1940 wurde Lisa Fittko in demLager Gurs interniert. Sie konnte aus dem Lagerflüchten. Zusammen mit ihrem Mann verhalf siedeutschen Emigranten zur Flucht aus Frankreich.Die Fluchtroute über die Pyrenäen, auf der sieunter anderen Walter Benjamin und Lyon Feucht-wanger über die Grenze nach Spanien brachte,wurde später als die „F-Route“ bekannt. Sie undihr Mann konnten sich nach Kuba retten undspäter in die USA emigrieren.

Lisa Fittko:

„Wir hatten schon erlebt, wie uns alte Bekannte aufeinmal nicht mehr grüßten und kalt anstarrten. Amschlimmsten war es in den Luftschutzkellern, wennwir während des Bombenalarms mit den Nachbarnzusammengepfercht waren, der deutsche Akzent ver-riet uns, nur die Kinder hatten ihn „verlernt“. Sollteman so im Asylland draufgehen müssen, als „feindli-cher Ausländer“ - nach all den Jahren des Kampfesund der Flucht vor den Nazis?“60

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Die badischen Juden

Auf die unvermittelte Aufnahme der 6504 badischenund saarpfälzischen Juden war die Infrastruktur des La-gers Gurs nicht eingerichtet. Innerhalb kürzester Zeitstieg die Zahl der Internierten sprunghaft an. Teilweisemussten die neu Angekommenen mehr als eine Wocheauf dem nackten Boden schlafen, da nicht ausreichendStrohsäcke als Bettlager vorhanden waren. Der ersteSchock war für die neu Angekommenen die Trennungvon Männer und Frauen. Ehepaare und Familien wur-den auseinandergerissen, die Kinder blieben bis zumAlter von 12 Jahren bei den Müttern.

Hanna Meyer-Moses

„Es war bereits dunkel, als wir in Gurs ankamen. […]Die Baracken waren völlig leer: kein Licht, kein Stroh,keine Decken, nichts war vorhanden und so muss-ten wir die erste Nacht auf dem blanken Fußbodenverbringen.“

Das Lager bestand aus sogenannten Îlots (frz. Inseln).Die Îlots waren abgezäunte und bewachte Bereiche mitjeweils ca. 25 Baracken sowie einer Krankenbarackeund Verwaltung. Die Baracken waren aus einfachenBrettern errichtet und mit Dachpappe verkleidet. Siehatten weder Fenster noch waren sie isoliert. Dereinzige befestigte Weg war die Lagerstraße, die das Arealin zwei Hälften teilte. Ansonsten war der Boden ton-und lehmhaltig und verwandelte sich bei Regen ineinen tückischen Schlamm, was besonders für die altenLeute eine tödliche Falle werden konnte.

Die Zustände im Lager waren durch Überfüllung, un-zureichende Ausstattung der Baracken und fehlendeHygiene sowie aufgrund mangelnder Versorgung mitNahrung und fehlender medizinischer Hilfen unerträg-lich. Die Ernährung im Lager Gurs war völlig unzurei-chend. Das Essen bestand aus einem Kaffee am Morgen,einer Brotration und aus einer wässrigen Suppe, diezweimal täglich ausgeteilt wurde und die wochenlangaus dem gleichen Gemüse, Rüben, Kürbis, Kohl, be-stand.

Die Internierten mussten sich auch erst selbst Ess- undKochgeschirr besorgen. Wer über Geld verfügte, konntesich zusätzlich Essen kaufen und zubereiten.

Bei der Ankunft der badischen Juden waren die Regle-ments im Lager sehr streng. Die Internierten konntensich zwar innerhalb der Îlots bewegen, aber diese nichtverlassen. So war die Kommunikation mit Angehörigenund Bekannten aus anderen Îlots äußerst schwierig. Be-gräbnisse waren eine Gelegenheit, mit Internierten ausanderen Îlots zusammenzukommen. Erst nach einigerZeit wurde diese Regelung gelockert und Besuchewaren gestattet. Im November 1940 befanden sich nach einer Statistikdes Lagerdirektors mehr als 12.000 Internierte in Gurs,davon mehr als 9400 deutsche und italienische Männer,Frauen und Kinder zu denen auch die deportiertendeutschen Juden zählten.64 Infolge der unhaltbaren Zu-stände war die Sterberate insbesondere im Winter1940/41 sehr hoch. Zeitweilig starben täglich bis zu 15Menschen. Im Laufe des Jahres 1941 besserten sich dieVerhältnisse in Gurs etwas. Dies lag auch an einer Reihevon jüdischen, christlichen und nicht-konfessionellenHilfskomitees und Hilfsorganisationen, darunter dieprotestantische Cimade,65 die amerikanischen Quäker,das Schweizer Kinderhilfswerk, das Rote Kreuz undnoch viele andere. Ein Teil der Internierten wurde inandere Lager verlegt. Familien mit Kindern kamen indas Familienlager Rivesaltes, kranke und ältere Men-schen in die Lager Noé und Le Récébédou, was jedochkeine Verbesserung der Lage bedeutete.66

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M 37 Arbeitende alte Frau im Morast im Lager GursHauptstaatsarchiv Stuttgart, EA 99/001 Bü Nr. 30

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M 38 Sechs Männer teilen ein Brot, Löw und Bodek62

Sammlung Elsbeth Kasser, Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich

M 39 Warten bei der EssensausgabeHauptstaatsarchiv Stuttgart, EA 99/001 Bü Nr. 13

Lisa Fittko zitierte ihreFreundin Paulette:

„Ich war die Brotschneiderin,weil ich ein gutes Augenmaßhabe. Das Weißbrot, das wirmorgens bekamen, war für jesechs Frauen, und dieses Sech-stel muß für den Tag reichen.Die anderen standen ummich herum, und wenn ichdas Messer ansetzte, kam esvon allen Seiten: „Das ist zugroß!“ und „Jetzt ist es zuklein“, dann „Nein, größer,viel größer!“; jede hatte Angst,zu kurz zu kommen. Es wareines der wichtigsten Ereig-nisse des Tages, das Einteilendes Brotes.“63

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Nach einiger Zeit wurde in jedem Îlot eine sogenannteKulturbaracke eingerichtet, in der die Internierten kul-turelle Veranstaltungen wie z.B. Theateraufführungenund Konzerte organisierten. Die kulturellen Aktivitätenboten Ablenkung von Hunger, Kälte, Isolation und Tod.Auch betätigten sich viele künstlerisch mit der Her-stellung praktischer Gegenstände für den Lageralltagund sonstigen Dingen. Im Sommer 1941 organisierte

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M 40 Gräberfeld im Lager Gurs 1942Hauptstaatsarchiv Stuttgart, EA 99/001 Bü Nr. 7

die Lagerleitung eine Ausstellung der kunstgewerbli-chen Arbeiten der Internierten, die für Käufer außer-halb des Lager geöffnet war.67

Die Kommunikation mit der Außenwelt war angesichtsder Ungewissheit über ihr weiteres Schicksal für vieleInternierte überlebenswichtig.

M 41 Postkarte von Marie Grunkin vom 28. Mai 1941 an ihre Schwester Rosel in der Schweiz Lukrezia Seiler68

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M 42 Das letzte Bild von Josef und Marie Grunkin kurz vor ihrer Deportation nach Auschwitz, rechts ihr Verlobter Franz Wrobel. DieAufnahme wurde im Juni 1942 gemacht, wenige Tage bevor Josef und Franz das Lager mit ihrer GTE verlassen mussten und Marieallein im Lager zurückbliebLukrezia Seiler

„Marie Grunkin

Camp de Gurs (B.-P.), Îlot M Bar 6Camp de Gurs, 28. Mai 1941

Liebe Rosel! Trotz unserer schweren Lage will ich den Geburtstagunserer kleinen Rosemarie nicht vergessen. Seppi undich wünschen der Kleinen von Herzen alles Gute,gebe Gott, dass nicht nur Rosemarie, sondern auchDu liebe Rosel von all dem verschont bleibt, was unsin den letzten Jahren getroffen hat. Gebe der liebeGott, dass wir den nächsten Geburtstag unserer lie-ben Rosemarie gemeinsam feiern dürfen. Wie geht es

sonst bei Euch, und was macht Mama? Ist sie gesundund hoffentlich auch etwas ruhiger geworden. Ichdanke jeden Tag unserem Herrgott, dass sie von hierraus gekommen ist. Unsere Lage hat sich in den letz-ten Wochen sehr verschlechtert. An Seppi und Franzhabe ich einen grossen Halt, aber was wird aus unsnoch werden. Alles ist so schwer und aussichtslos.Manchmal bin ich ganz verzweifelt.Liebe Rosel, kannst Du mir nicht als Musterpäckchenetwas Fadenschlag schicken? Wie gerne würden wirmal ein Stückchen Schokolade essen. Seid alle herz-lichst gegrüsst und geküsst von uns allen

Mariele“

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Die Rettung jüdischer Kinder

Der Lageraufenthalt und die massive Konfrontation mitLeiden und Tod waren besonders für Kinder verstörendund traumatisch.

Die Schweizer Krankenschwester Elsbeth Kasser setztesich besonders für Säuglinge, Kinder und Jugendlicheim Lager Gurs ein. Auf ihre Initiative wurde eine Ba-racke für die Kinder eingerichtet, in der sie täglich einezusätzliche Mahlzeit und Milch bekamen. Außerdemsorgte sie dafür, dass die Kinder und Jugendlichen un-terrichtet und beschäftigt wurden.

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M 43 Singende Schulkinder im Lager Gurs, Löw und BodekSammlung Elsbeth Kasser, Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich

Kurt Maier

„Einmal stand ich am Stacheldraht, als man eine toteFrau zum Lagerfriedhof brachte. Ihr langes weißesHaar hing von der Bahre, die die Männer am Ausgangdes Lagers abgesetzt hatten. Als sie die Bahre wiederaufnahmen hat das Haar der Leiche meinen Pullovergestreift. Ich rannte sofort zur Mutter und verlangtevon ihr, sie solle den Pullover waschen. Es gab keineSeife, aber Mutter zog ihn mir aus und wusch ihn imkalten Wasser. Dieses Erlebnis gab meinem Lebeneine ganz bestimmte Richtung: Ich fing an, mich vorvielem zu ekeln. Ich wollte nicht sitzen, wo anderegesessen hatten, ich wollte immerzu meine Händewaschen. Diese Zwangsvorstellung verfolgt michmein ganzes Leben lang.“

Elsbeth Kasser (1910 - 1992), geboren imSchweizer Kanton Bern, war ausgebildete Kran-kenschwester. 1936 betreute sie im spanischenBürgerkrieg für den Service Civile InternationalKriegsflüchtlinge. 1939 ging sie mit dem Secourssuisse nach Südfrankreich und arbeitete vorallem für Kinder in den südfranzösischen Inter-nierungslagern und Flüchtlingsheimen. 1940 be-gann sie ihren Einsatz im Lager Gurs und bliebdort mehr als zwei Jahre. Sie half mit Nahrungs-mitteln und setzte sich für die Verbesserung derLageratmosphäre ein. Wegen ihres unermüdli-chen Einsatzes für die Internierten nannten diesesie den „Engel von Gurs“.69

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M 45 Kleinkindunterbringung vor Baracke, o.D.Hauptstaatsarchiv Stuttgart, EA 99/001 Bü Nr. 14

M 44 Die Mädchen und ihre Betreuerinnen im „Château du Couret“ bei Ambazac im Oktober 1942, darunter auch Hanna MosesHanna Meyer-Moses

Viele jüdische Kinder, die mit ihren Eltern interniert ge-wesen waren, konnten im Laufe des Jahres 1941 vorallem von der jüdischen Hilfsorganisation OSE (Oeuvrede Secours aux Enfants) befreit werden. Die OSE be-trieb selbst einige Kinderheime in der unbesetztenZone und konnte außerdem Kinder in nichtjüdischenHeimen der evangelischen und katholischen Kirchenund mit Unterstützung von weiteren Hilfsorganisatio-nen unterbringen. Ab dem Sommer 1942 wurden auchin den Kinderheimen Verhaftungsaktionen durchge-führt. Manche Heime waren jedoch vorgewarnt oderhatten selbst Wachen postiert. Bei Alarm mussten sichdie Kinder verstecken. Die OSE versuchte die Heimeaufzulösen und die Kinder in christlichen Familien undkirchlichen Institutionen unterzubringen.

Hanna Meyer-Moses

„Eines Tages erschienen zwei Männer der Vichy-freundlichen Verwaltung aus Ambazac und erkun-digten sich nach einem Mädchen namens „VeraRalsch“, das sie abzuholen hätten Monsieur Kra-kovski konnte ihnen guten Gewissens sagen, dass esein solches Mädchen nicht im Heim gebe und esauch nie hier gewohnt habe, worauf sie sich wiederentfernten. Das Mädchen existierte jedoch. Es hießin Wirklichkeit „Vera Malsch“ und wurde sofort ausdem Heim weggebracht und versteckt. Nach diesem

Vorfall ersann man ein System, das die über 15-jähri-gen Mädchen, zu denen auch ich gehörte, warnte, so-bald beim Haupteingang des Parks Unbekannteauftauchten. Wir eilten dann in großer Hast durchden Hinterausgang in die umliegenden Wälder, hiel-ten uns dort versteckt, bis ein Fähnchen auf demDach erschien, das uns anzeigte, dass die Luft wiederrein war. Als Jüngste oblag mir die Aufgabe, mich vonZeit zu Zeit aus dem dichten Unterholz des Waldes indie Nähe des Hauses zu schleichen und nach demFähnchen Ausschau zu halten.“

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Das Kinderheim Maison d‘Izieu

Im Frühjahr 1943 wurde mit Hilfe der OSE in dem DorfIzieu, 40 km nordwestlich von Grenoble, ein Heim ein-gerichtet. Die Kinder waren im Alter von drei bis drei-zehn Jahren aus Frankreich, Algerien, Belgien,Deutschland und Österreich. Sie waren aus den Inter-nierungslagern befreit worden und wurden hier ver-steckt.

Unter den Kindern befanden sich vier Jungen, die ausMannheim kamen. Sami Adelsheimer, Fritz Löbmann,Otto Wertheimer und Max Leiner waren mit ihren Fa-milien im Oktober 1940 in das Lager Gurs deportiertund von dort in das Lager Rivesaltes verlegt worden.Die OSE hatte die Kinder aus dem Lager befreien kön-nen und in die Obhut des Maison d‘Izieu gegeben.

Ein weiterer Jugendlicher aus Karlsruhe, der 16-jährigePaul Niedermann, war auch zunächst in dem Kinder-heim untergekommen. Weil er wegen seines Alters be-sonders gefährdet war aufzufallen, hatte ihn die

Heimleitung bereits anderweitig versteckt. Am Morgendes 6. April 1944 führte die Gestapo auf Befehl vonKlaus Barbie, Chef der Gestapo von Lyon, eine Razziain dem Maison d‘Izieu durch und verhaftete 44 Kinderund 7 erwachsene Betreuer.

Paul Niedermann, geb. 1927 in Karlsruhe istein Schulfreund von Hanna Meyer-Moses. Erwurde im Oktober 1940 mit seinem Bruder Ar-nold, seinen Eltern und seinem Großvater in dasLager Gurs deportiert. Sein Großvater verstarbim Lager Gurs. Paul und Arnold wurden in dasLager Rivesaltes verlegt und konnten dort vonder OSE befreit werden. Sie wurden in verschie-denen Kinderheimen in Frankreich versteckt. Ar-nold konnte in die USA gebracht werden, Paulgelangte 1943 in die Schweiz. Nach dem Kriegs-ende ging er nach Frankreich, wo er bis heutelebt. Er verlor beide Eltern in den Vernichtungs-lagern. In den 1987er Jahren trat er als Zeugebeim Prozess gegen den Gestapochef von Lyon,Klaus Barbie, auf. Für sein Engagement gegen dasVergessen der Shoah wurde er 2007 mit demBundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Die Kinder und Betreuer wurden zunächst in das LagerDrancy bei Paris gebracht. Ein Betreuer und zwei Ju-gendliche wurden von dort nach Estland transportiertund bei Tallin erschossen. Die anderen Erwachsenenund Kinder wurden in verschiedenen Transportennach Auschwitz deportiert und dort unmittelbar nachihrer Ankunft ermordet. Nur die Erzieherin Léa Feld-blum aus der Gruppe überlebte die Deportation nachAuschwitz.

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M 46 Das Maison d‘IzieuMaison d‘Izieu

M 47 Kinder im Maison d‘ IzieuMaison d‘Izieu/Coll. Marie-Louise Bouvier

M 48 Paul NiedermannStadt Mannheim

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M 49 Sami Adelsheimer, geboren am 30. Oktober 1938Maison d‘Izieu/Coll. Philippe Dehau

M 50 Fritz Löbmann, geboren am 12. März 1929Maison d‘Izieu

M 51 Otto Wertheimer, geboren am 5. Februar 1932Maison d‘Izieu/Coll. Henri Alexander

M 52 Max Leiner, geboren am 26. November 1936Collection Serge Klarsfeld

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M 53 Fernschreiben des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) in Lyon, SS-Obersturmführer Klaus Barbie, an den Be-fehlshaber der Sicherheitspolizei in Frankreich, betr. Jüdisches Kinderheim in Izieu-Ain, 6. April 1944Archives du CDCJ-Mémorial de la Shoah, Paris, France

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6.2 Auswanderung und Flucht aus demInternierungslager

Trotz ihrer Deportation und Internierung in dem LagerGurs bestanden für die deutschen Juden noch Mög-lichkeiten, vor allem über Spanien und Portugal inüberseeische Länder auszuwandern. Die Beschaffungder notwendigen Papiere war durch die Deportationerschwert. Zusätzlich zu der Einreiseerlaubnis der Ziel-länder war eine Ausreiseerlaubnis der französischenPräfektur notwendig. Die größte Schwierigkeit bestanddarin, eine Schiffspassage zu erhalten. Der Kriegsein-tritt der USA im Dezember 1941 bedeutete eine wei-tere Einschränkung der Auswanderungsmöglichkeiten.Bis zum Ausreiseverbot im Februar 1942 durch die fran-zösische Vichy-Regierung gelang schätzungsweise 725von den aus Baden und der Saarpfalz Deportierten dielegale Ausreise.70 Damit hatte sich knapp ein Zehntelaus dieser Gruppe der Internierten retten können.

Die Flucht in die Illegalität in das unbesetzte Frankreichwar eine Möglichkeit, sich der Internierung und dro-henden Deportation zu entziehen. Für die meisten derDeportierten kam dies vermutlich allein aufgrund ihresAlters und der körperlichen Konstitution nicht in Be-tracht. Schätzungsweise haben es dennoch ca. 50 bis

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M 54 Visa von Kurt und Heinz Maier 1941Kurt Maier

Kurt Maier

„Der Kommandant von Gurs bestellte uns in seinBüro. Es war eher eine größere Baracke und keines-wegs ein repräsentatives Gebäude. An den Schreib-tischen saßen die Beamten. Wir warteten.Irgendwann sagte mein Vater zur Mutter: „Die Fran-zosen arbeiten sich auch nicht zu Tode.” Einer derBeamten hob den Kopf und schaute uns böse an:„Comment qu‘est-ce que vous dites? (Was haben Siegesagt?)“ Offensichtlich verstand er Deutsch. UnsereHerzen standen still. Vater entschuldigte sich schließ-lich: „Excusez-moi, Monsieur.” Endlich bekamen wirden Passierschein, der uns erlaubte, Gurs zu verlas-sen. Draußen vor der Tür herrschte Mutter Vater an:„Dei dumme Gosch uf mache het uns bald sLebe ge-kost.”

60 Menschen gewagt.71 Es war schwierig, allein inFrankreich unterzutauchen, einigen wenigen gelang je-doch auch dies. Eine Reihe von älteren Menschenwurde auf Initiative von Hilfsorganisationen z.B. in denvon Abbé Glasberg gegründeten Heimen unterge-bracht. Auf diese Weise blieben sie von den Deporta-tionen in die Vernichtungslager verschont undüberlebten in Frankreich.72

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6.3 Deportation in die Vernichtungslager

Nur zwei Monate nach der Wannsee-Konferenz im Ja-nuar 1942, begannen die Deportationen von Juden ausFrankreich in die Konzentrations- und Vernichtungsla-ger im Osten. Theo Dannecker, Leiter des Judenreferatsder Gestapo in Frankreich, fuhr persönlich in das LagerGurs und stellte die ersten Transportlisten zusammen.Am 6. August 1942 verließ der erste Transport das LagerGurs mit „unbekanntem Ziel“. Das Lager wurde dafürvon der französischen Polizei umstellt. Ihr Erscheinenlöste eine Selbstmordwelle unter den Interniertenaus.73 Menschen, die beim Abtransport fehlten, wurdenerbarmungslos mit Hunden gesucht. Frauen und Män-ner wurden getrennt abtransportiert, Ehepartner undFamilienangehörige wurden ohne Rücksicht auseinan-dergerissen. Die im Lager tätigen Hilfsorganisationenversuchten zu intervenieren, wo es möglich war. DieTransporte gingen über das Sammellager Drancy in dieVernichtungslager. Insgesamt wurden 3907 Menschenaus dem Lager Gurs deportiert, die meisten von ihnenwaren Juden.74

Die Deportation der mehr als 6500 badischen und saar-pfälzischen Juden im Oktober 1940 ist als Vorstufe zuden Deportationen in die Vernichtungslager ab 1941 zusehen. Die Chancen zu überleben indes waren für dienach Südfrankreich Verschleppten wesentlich größer.Einigen gelang von dort aus die Flucht oder Emigration.Schätzungsweise knapp ein Drittel der 1940 in dasLager Gurs deportierten Badener und Pfälzer überlebteso den Zweiten Weltkrieg.76

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M 56 Zeichnung Deportation 1942, Julius C. Turner75

Sammlung Elsbeth Kasser, Archiv für Zeitgeschichte derETH Zürich

M 55 Deportation 1942, Julius C. TurnerSammlung Elsbeth Kasser, Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich

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Erst mit dem militärischen Sieg über das DeutscheReich am 8. Mai 1945 wurde dem nationalsozialisti-schen Völkermord an den europäischen Juden ein Endegesetzt. Die letzten Transporte erfolgten Anfang 1945.Für die jüdischen Überlebenden, die Konzentrationsla-ger oder in der Emigration überlebt hatten, stellte sichdie Frage nach dem Wohin.

Else Liefmann:

„Meine Schwester und ich haben nach Kriegsendedem deutschen Generalkonsulat in Zürich erklärt,daß wir das Angebot, unsere Pässe zu erneuern unddie deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen,nicht anzunehmen bereit seien. Zu sehr fühlten wiruns durch die Geschehnisse seit 1933 betrogen, zuwenig konnten wir das Mißtrauen unterdrücken,daß sich nun in Deutschland jedes und alles geän-dert haben sollte. Gewiß war die Mehrzahl der Deut-schen vom braunen Druck befreit, aufrichtig undehrlich bemüht, das Vergangene rückgängig zu ma-chen, soweit dies überhaupt möglich war, aber dieEntnazifizierung dünkte uns eine Farce. In allen Be-rufen und in allen Ämtern waren oder waren wiederNazis tätig. Wie würde sich dies mit der Zeit auswir-ken?“77

Auf Druck durch die Alliierten stellten sich nach derVersorgung und Existenzsicherung auch Fragen nacheiner Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts fürdie Opfer und der Bestrafung der verantwortlichenTäter.

7.1 Wiedergutmachung?

Der Begriff der „Wiedergutmachung“ ist im Zusam-menhang mit der nationalsozialistischen Vergangenheitbis heute umstritten. Es geht um den Ersatz von mate-riellen Verlusten und um das komplexe Gebiet der Ent-schädigung an Leib und Leben.78 In den meisten Fällendauerte es mehrere Jahre, bis die Anträge auf Entschä-digung bearbeitet waren. Das starre, bürokratische Ent-schädigungsverfahren war langwierig und für dieAntragsteller mit einer aufwendigen Nachweispflichtverbunden. Nicht selten waren die Opfer inzwischenverstorben, bevor über ihren Anspruch entschiedenwar.

7 Nach 1945

M 57 Die letzte Postkarte, die Betty Moses ihren Töchtern am 12. Mai 1944 vor ihrerDeportation nach Auschwitz schrieb: „Wir gehen weg. Ich weiß nicht, ob wir nochmalsschreiben können. Lebet wohl. Innige Küsse Eure Eltern“Hanna Meyer-Moses

Hanna Meyer-Moses

„Wir wurden immer wiederaufgefordert, unsere Verfol-gungs- und Lagerzeit zu bewei-sen, auch diejenige unsererEltern! Einmal warf man mirsogar vor, neun Monate Ent-schädigung für die Lagerhaftmeiner Eltern zu viel verlangtzu haben!!! Nur durch dasDatum auf der letzten Post-karte von meiner Mutter, in derHast bei ihrem Abtransport ge-schrieben, mit letzten Grüßenund Gedanken der Eltern fürihre Kinder, konnte ich unsereberechtigten Ansprüche bele-gen.“

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Else und Martha Liefmann kämpften von der Schweizaus über mehrere Jahre um Wiedergutmachung. ElseLiefmann kritisierte den langwierigen Kampf um Ent-schädigung mit den bundesdeutschen Behörden ohneUmschweife:„Das Wort ‚Wiedergutmachung‘ sollte in Deutschlandanständigerweise verschwinden. […] nennt man das,was Sie da tun Wieder-Gut-Machung? Mir scheint,dass das Wieder einmal wieder ohne ‚e‘ geschriebenwerden sollte.“79

7.2 Verurteilung der Täter

Die strafrechtliche Verurteilung der für das nationalso-zialistische Unrecht verantwortlichen Täter war ein Zielder Alliierten. In Bezug auf die Beurteilung der Depor-tationen der Juden aus dem Deutschen Reich lässt sichein großer Dissens feststellen. Zwar erfüllten die De-portationen juristisch zumindest den Tatbestand derschweren Freiheitsberaubung im Amt mit Todesfolgeund den Tatbestand der Verfolgung Unschuldiger, ob-jektiv auch den Tatbestand der Beihilfe zum Mord.80

Dazu kamen weitere Delikte wie die Ausplünderungder Juden, die als räuberische Erpressung anzusehenwar, sowie einzelne Körperverletzungen bei Verhaf-tungen und Aussageerpressungen bei der Suche nachVersteckten. Zum Täterkreis zählten die Angehörigender Gestapo als Organisatoren der Deportationen undzahlreiche weitere Angehörige staatlicher und Partei-dienststellen wie Bedienstete von Stadtverwaltungen,Gemeinden, Landkreisen, Finanzverwaltungen, Ord-nungspolizei, NSDAP, SS und Reichsbahn. In der ame-rikanischen Zone kam es bereits 1945/46 zu Ermitt-lungsverfahren gegen die genannten Berufsgruppen. Inden folgenden Prozessen bis 1950/51 wurden alle An-geklagten mit der Begründung freigesprochen, sie hät-ten die Freiheitsberaubung nicht für Unrecht gehalten.Die Gerichte akzeptierten in fast allen Fällen, dass dieBeschuldigten abstritten, etwas von dem Völkermordan den Juden im Osten gewusst zu haben. Ermittlungs-verfahren versandeten ohne Anklagen und auch in spä-teren Prozessen in den 1950er und 60er Jahren bliebenVerurteilungen die Ausnahme. Die Historikerin EdithRaim kommt zu dem Schluss, dass trotz eindeutiger Tat-bestände und einer erdrückenden Beweislast durchZeugnisse sogar von ermordeten Opfern, die juristischeBeschäftigung mit dem Tatkomplex der Deportationenaus dem Deutschen Reich unbefriedigend blieb.

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Das Gedenken an das Lager Gurs und die dort Inter-nierten geht in Deutschland und Frankreich heute vonoffizieller Seite, d.h. der französischen Regierung wievon den Landesregierungen von Baden-Württemberg,Rheinland-Pfalz und dem Saarland und unterschiedli-chen Gedenkinitiativen aus. In Baden-Württembergliegt die Federführung bei der Stadt Karlsruhe.

8.1 Das Internierungslager

Nach der Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 wur-den im Lager Gurs deutsche Kriegsgefangene und fran-zösische Kollaborateure inhaftiert. Im Dezember 1945wurde das Lager endgültig geschlossen und ein Jahrspäter die Baracken abgerissen.

8.2 Der Deportiertenfriedhof in Gurs

Auf dem Deportiertenfriedhof befinden sich 1073 Grä-ber, in denen Opfer des nationalsozialistischen Terrorsund einige internierte Spanienkämpfer ruhen. Die In-ternierten, die in die Lager Noé und Rivesaltes verlegtwurden und dort ums Leben kamen, wurden auf dendortigen Friedhöfen bestattet. Die Toten des Lagers Ré-cébedou ruhen auf dem Friedhof von Portet.

Der Verband der jüdischen Gemeinschaften der Basses-Pyrénées errichtete schon im Jahr 1945 ein Denkmalzur Erinnerung an die Opfer. Der zunächst noch ge-pflegte Friedhof verwilderte aber im Laufe der Jahre zu-sehends.Der Karlsruher Oberbürgermeister Günther Klotz er-griff 1957 nach einem Zeitungsbericht (M 58) die Ini-tiative zur Instandsetzung. Unterstützt wurde er vomOberrat der Israelitischen ReligionsgemeinschaftBaden. Die badischen Städte, Gemeinden und Kreise,

aus denen jüdische Bürger nach Gurs deportiert unddort begraben worden waren, brachten durch eineSpendenaktion die Gesamtkosten der Neugestaltungauf. Die feierliche Einweihung erfolgte am 26. März1963.

Seither finden alljährlich Reisen von Delegationen derIsraelitischen Kultusgemeinden in Baden und derStädte statt. Der sechzigste Jahrestag der Deportationim Oktober 2000 wurde mit einer zentralen Gedenk-feier in Gurs begangen, an der auch Vertreter der Lan-desregierungen von Baden-Württemberg und Rhein-land-Pfalz teilnahmen. Der Friedhof in Gurs ist Teil der Erinnerung an die na-tionalsozialistischen Verbrechen, die immer wieder er-neuert werden muss. Seine Pflege ist eine Verpflich-tung, die von Generation zu Generation weitergegebenwird. In jüngster Zeit kamen weitere Bauten hinzu, wiedas Denkmal von Dany Caravan und Gedenkstelen aufdem Rundgang durch das Gelände.

Die zunächst fünf badischen Städte Karlsruhe, Mann-heim, Freiburg, Heidelberg und Pforzheim gaben dieZusage, die Kosten für die weitere Unterhaltung undPflege des Friedhofs gemeinsam zu tragen In den fol-genden Jahren traten auch die Städte Konstanz (1994),Weinheim (1996), Emmendingen (2000), Lörrach undOffenburg (2002) sowie Bruchsal (2008) und der Be-zirksverband Pfalz (2006) dieser Arbeitsgemeinschaftbei. Seit 2002 leistet die Stadt Baden-Baden einen fi-nanziellen Beitrag. Zur Gedenkfeier im Jahr 2000 wurdeder Friedhof von der Dienststelle Frankreich des Volks-bundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge grundlegend re-noviert.

An vielen Orten in Baden haben sich mittlerweile Ge-denkinitiativen gegründet und wurden verschieden Ge-denkstätten errichtet.

8 Erinnern und Gedenken

M 58 Der Friedhof in Gurs heuteStadtarchiv Karlsruhe

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M 59 Badische Volkszeitung vom 10. August 1957Stadtarchiv Karlsruhe

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8.3 Das Mahnmal für die ermordeten JudenBadens in Neckarzimmern

Ein Betonband in Form eines Davidsterns ist in denHang eingeschrieben. Es wird 137 Erinnerungssteinefür die am 22.Oktober 1940 deportierten Jüdinnen undJuden Badens aufnehmen. Die Steine werden von Ju-gendlichen aus den Deportationsorten im Rahmen des„Ökumenischen Jugendprojektes Mahnmal“ der Erzdi-özese Freiburg und der evangelischen Landeskirche inBaden geschaffen (Stand Frühjahr 2010: 81 Steine). DieNeckarzimmerer Steine erhalten jeweils ein Gegen-stück, das in der Heimatgemeinde der Jugendlichen auf-gestellt wird. Das Jugendprojekt ist abgeschlossen,wenn der letzte Stein gesetzt ist – das Mahnmal bleibtein Ort des Gedenkens und eine stete Aufforderung,sich mit dem Schicksal der badischen Juden auseinan-der zu setzen.Das Mahnmal ist ein Projekt der Abteilung Jugendpa-storal der Erzdiözese Freiburg und des EvangelischenAmts für Kinder- und Jugendarbeit der Landeskirche

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M 61 Tafel Volksbund Deutsche KriegsgräberfürsorgeStadtarchiv Karlsruhe

Baden, initiiert von „erinnern und begegnen – forumchristlicher gedenkarbeit“ und dem Bund der Deut-schen Katholischen Jugend, Diözesanverband Freiburg(BDKJ). Es wird vom Oberrat der Israelitischen Religi-onsgemeinschaft Baden unterstützt.

Das Mahnmal setzt eine ganze Reihe von Jugendauf-enthalten in Gurs fort, die im Laufe der Zeit vom Stadt-jugendausschuss Karlsruhe, vom StadtjugendringMannheim und dem Jugendreferat des VolksbundesDeutsche Kriegsgräberfürsorge auch mit jüdischen Ju-gendlichen aus Deutschland und Israel organisiert wur-den.

M 62 Mahnmal in NeckarzimmernEv. Landeskirche Baden

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8.4 Über den Umgang mit der Vergangen-heit

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M 63 Hanna Meyer-Moses 2009Beate Paland

M 64 Kurt Maier 2010Kurt Maier

Kurt Maier hat seine Erlebnisse auch als Schriftsteller verarbeitet.Von ihm ist das Gedicht „Als Kind liebte ich Züge“ auf der drittenUmschlagseite.

Hanna Meyer-Moses

„Erst 20 Jahre später, nach meiner „Reise in die Ver-gangenheit“, war ich fähig, meine Erinnerungen auf-zuschreiben. Den Anstoß gab ein Aufruf in derjüdischen Presse an Überlebende des Lagers Gurs,ihre Erlebnisse festzuhalten.“

Kurt Maier

„Jedes Mal, wenn ich Deutschland besuche undmich mit deutschen Schülern treffe, ist dies für micheine besondere Genugtuung. Die Schüler wollenwissen, wie es damals in der NS-Zeit war. Ich kommeals Zeitzeuge nach Deutschland, denn einen Überle-benden vor sich zu sehen, macht mehr Eindruck alsGeschichtsbücher zu lesen. […] Ich fühle mich zuHause, wenn ich Deutschland besuche und die deut-sche Sprache höre. Ich habe immer Heimweh.“81

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8.5 Gedenkstätten in Badenzur Erinnerung an frühere jüdischeGemeinden und an die Deportation

Adelsheim-SennfeldEhemalige Synagoge SennfeldHauptstr. 43, 74740 Adelsheim-Sennfeldwww.alemannia-judaica.deKontakt: Reinhart Lochmann, Untere Eckenbergstr. 26, 74740AdelsheimTel.: 0621.1408, Fax: 06291.646757,E-Mail: [email protected]

Breisach am RheinDas Blaue Haus, Ehemaliges JüdischesGemeindehausRheintorstraße 3, 79206 Breisachwww.juedisches-leben-in-breisach.deKontakt: Dr. Christiane Walesch-Schneller, Radbrunnenallee 15,79206 BreisachTel.: 07667.911374, 07667.80834; Fax: 07667.912951E-Mail: [email protected]

BuchenGedenkstätte Ehemalige Synagoge BuchenVorstadtstr. 35 (Jakob-Mayer-Platz), 74722 Buchenwww.buchen.deKontakt: Städt. Verkehrsamt, Platz am Bild, 74722 BuchenTel.: 06281.2780, Fax: 06281.2732E-Mail: [email protected]

EmmendingenJüdisches Museum Emmendingen Schlossplatz 7, 79312 Emmendingenwww.juedisches-museum-emmendingen.deKontakt: Postfach 1423, 79304 EmmendingenTel.: 07641.574444E-Mail: [email protected]

EppingenAlte Synagoge / Jordanbad EppingenKüfergasse 2, 75031 Eppingenwww.juedisches-leben-kraichgau.deKontakt: Bürgermeisteramt, SG Bildung & Kultur, Marktplatz 1,75031 EppingenTel.: 07262.920.1116, Fax: 07262.920.1177E-Mail: [email protected]

Gailingen am HochrheinBürgerhaus Gailingen – Zentrum jüdischer Ge-schichte und Kultur am Bodensee u. HochrheinRamsener Straße 12 in D-78262 Gailingenwww.gailingen.deKontakt: Postfach 17, 78260 GailingenTel.: 07734.934226E-Mail: [email protected]

Hemsbach an der Bergstraße Synagoge und Judenfriedhof Mittelgasse 16, 69502 Hemsbach

www.ehemalige-synagoge-hemsbach.deTel.: 06201.62136E-Mail: [email protected]

Hirschberg an der BergstraßeAlte SynagogeOrtsteil Leutershausen,Hauptstr. 27, 69493 Hirschberg www.arbeitskreis-synagoge-leutershausen.deKontakt: Bürgermeisteramt Hirschberg, Großsachsener Straße 14,69493 Hirschberg a.d.B.Tel.: 06201.598-00E-Mail: [email protected]

KarlsruheErinnerungsstätte StändehausStändehausstr. 2, 76133 Karlsruhewww.karlsruhe.de/kultur/stadtgeschichte/staendehaus.deKontakt: Stadtarchiv Karlsruhe, Markgrafenstraße 29, 76124 KarlsruheTel.: 0721.133.4225E-Mail: [email protected]

KippenheimGedenk-, Lern- und Begegnungstätte EhemaligeSynagoge Kippenheim77971 Kippenheim, Poststraße 17www.ehemalige-synagoge-kippenheim.deKontakt: Postfach 190, 77968 KippenheimTel.: 07822.896254, Fax: 07822.30275E-Mail: [email protected]

NeckarzimmernMahnmal für die deportierten Jüdinnen und JudenBadens auf dem Gelände der Tagungsstätte derEvangelischen JugendSteige 50, 74865 Neckarzimmernwww.mahnmal-projekt.deTel.: 06261-2555Fax: 06261-17873E-Mail: [email protected]Ökumenisches Jugendprojekt MahnmalEvangelisches Amt für Kinder- und Jugendarbeit Arbeitsstelle FriedenBlumenstr. 1-7, 76137Tel.: 0721.9175.470Fax: 0721.9175.479 E-Mail: [email protected]

OffenburgErinnerungsstätte Salmen Lange Straße 52, 77652 OffenburgFührungen und museumspädagogische Kurse: Buchung über dasMuseum im Ritterhaus, Tel.: 0781.822460 E-Mail: [email protected]: [email protected] www.museum-offenburg.de

Öhningen-WangenGedenkstätte Jacob PicardRathaus Wangen, Hauptstraße78337 Öhningen-Wangenwww.forum-allmende.net

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Kontakt: Dr. Anne Overlack, Deienmooser Straße 778345 Moos-BankholzenTel.: 07732.58578E-Mail: [email protected]

Sinsheim - SteinsfurtAlte Synagoge Steinsfurt74889 Sinsheim-Steinsfurt, Dickwaldstraße 12Kontakt: Siegfried Ozolins (1. Vorsitzender)Werderstr. 49, 74889 Sinsheim,Tel.: 07261.5273E-Mail: [email protected]

SulzburgEhemalige Synagoge SulzburgGustav-Weil-Straße 18, 79295 Sulzburgwww.sulzburg.deStadt SulzburgTel.: 07634.5600.40Fax: 07634.5600.50

Waldshut-TiengenKlettgau- u. Heimatmuseum. Jüdisches Zimmer.„Fünf Jahrhunderte jüdisches Leben in Tiengen“Schlossplatz 1, 79761 Waldshut-Tiengen www.juden-in-tiengen.deTräger des Heimatmuseums im Schloss in Tiengen, in dem sichdas Jüdische Zimmer befindet, ist die Bürgerzunft1503 Tiengen e.V.Kontakt: Magdalena Bucher, Im Hasli 7, 79761 Waldshut-TiengenTel.: 07741.64621E-Mail: [email protected] Bucher-Nezirovic, Zum Böhnler 7, 79809 WeilheimTel.: 07741.80.462E-Mail: [email protected]

WalldürnKultur- und Kunstmuseum WalldürnAmorbacher Straße 30, 74731 Walldürn (Eröffnung November2010)www.kultur-kunst-museum.deStadt WalldürnRathaus, Hauptstr. 27Tel.: 06282.670Kontakt: Daniel H. MahrTel.: 06286.295E-Mail: [email protected]

Werbach-WenkheimEhemalige Synagoge WenkheimBreite Straße, 97956 Werbach-WenkheimKontakt: Johannes Georg Ghiraldin, Kapellenstraße 2, 97941 Tau-berbischofsheimTel.: 0934.12190Fax: 09341.898818E-Mail: [email protected]

Gedenkstätteninitiativen in Baden

Breisach-Oberrimsingen„Für die Zukunft Lernen“Verein zur Erhaltung der Kinderbaracke Auschwitz-Birkenau e.V.79206 Breisach-OberrimsingenTel.: 07664.4090Fax: 07664.40929www.fuer-die-zukunft-lernen.deE-Mail: [email protected]

BuchenEhemalige Synagoge EberstadtPostfach 11 6574710 Buchen/OdenwaldTel.: 06281.31100 (Stadtverwaltung) www.alemannia-judaica.de/eberstadt_synagoge.htmBücherei des Judentums BuchenRathaus Wimpinaplatz 374722 BuchenTel.: 062 81.31.110Fax: 062 81.31.151E-Mail: [email protected] für Religion, Wissenschaft und KunstObergasse 674722 Buchen/OdenwaldTel.: 06281.31100 (Stadtverwaltung) www.hermann-cohen-akademie.de/

Ettenheim-Altdorf Ehemalige Synagoge Altdorf-EttenheimEugen-Lacroix-Strasse 277955 EttenheimIsolde WawrinTel.: 07822.449387

Freiburg"erinnern und begegnen - forum christlicher ge-denkarbeit"Erzdiözese Freiburg –Erzbischöfl. Seelsorgeamt,Abt. JugendpastoralPostfach 49979004 Freiburg i.Br.Okenstraße 1579108 Freiburg in BreisgauTel.: 0761.5144.157Fax: 0761.5144.152www.kja-freiburg.de/kja/aktuelles/mahnmal.pdfE-Mail: [email protected]

Stolpersteine für FreiburgMarlis MeckelScheffelstraße 3979102 Freiburg in BreisgauTel.: 0761.7075995E-Mail: [email protected]

Lessing-Realschule Zwangsschule für jüdische Kinder 1936-1940Lessingstr.179100 FreiburgTel.: 0761.201.7612

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Fax: 0761.201.7486Geschichtswerkstatt Frau Rosita Dienst-DemuthE-Mail: [email protected]/projekte/geschichts_werk/ge-schichts_werk.htm

GernsbachAK Stadtgeschichte GernsbachStadtarchiv Gernsbach Herr Winfried Wolf St. Erhard-Straße 13 76593 Gernsbach Tel.: 07224.6570802E-Mail: [email protected]

Lahr (Schwarzwald)Deutsch-Israelischer Arbeitskreis SüdlicherOberrhein e. V. (DIA)Martin GroßPostfach 132977903 LahrTel.: 07822.995247Fax: 07821.995248E-Mail: dreyeck-info.de/dia/index.html [email protected]

MannheimVerband Deutscher Sinti undRoma - LandesverbandBaden-Württemberg RomnoKherB7, 1668159 MannheimTel.: 0621.1569645www.sinti-roma-bawue.de

NeckarbischofsheimEhemaliges KZ-Unterkommando Neckarbischofs-heimSchuldekan Peter BeiselKernerstraße 1174924 NeckarbischofsheimTel.: 07263.6971

OffenburgJakob-Adler-Zentrum Offenburgc/o KulturAgentur "Am Oberrhein"Dr. Martin RuchWaldseestr. 5377731 WillstättTel.: 0049.07852.9112617 Fax: 0049.07852.9112618 E-Mail: [email protected] www.kulturagentur.de/jakob_adler/index.html

Denk-Mal: Der Weg ist das Ziel. Denkmal, Denkort, DenkwegWerner KriegSchwarzwaldstrasse 3277654 OffenburgTel.: 0781.39917E-Mail: [email protected]

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9.1 Didaktische Überlegungen

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismusist fester Bestandteil der Bildungspläne wie der außer-schulischen Jugend- und Erwachsenenbildung. Die ak-tuellen Diskussionen zur historisch-politischen Bil-dungsarbeit thematisieren vor allem die Verknüpfungvon Demokratiererziehung und Menschenrechtsbil-dung und dem Lernen mit der Geschichte sowie dieAnforderungen an die Bildungsarbeit in der Einwande-rungsgesellschaft.

65 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischenHerrschaft ist für Jugendliche gleich welcher nationa-len, religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit die Be-deutung der Auseinandersetzung mit dem National-sozialismus kaum evident. Ihre geschichtliche, bis heutewirkende Bedeutung muss erläutert und in den Bezugzur Gegenwart gestellt werden. Die Verfolgung der ba-dischen Juden, ihre Deportation in das Lager Gurs unddie spätere „Endlösung“ durch Ermordung weisen aufdie Themen Grund- und Menschenrechte, Rechtsstaat-lichkeit, Flucht, Auswanderung und Exil, auf nationaleswie internationales Recht, wie z.B. die Deklaration derMenschenrechte, hin.

Dieses Heft der MATERIALIEN zur Deportation der ba-dischen Juden im Jahr 1940 bietet über den regionalenBezug einen Zugang zur Geschichte der Zeit unter demNationalsozialismus. Der Fokus auf die badische Regio-nalgeschichte ermöglicht Fragen nach der Bedeutungund den Auswirkungen der nationalsozialistischen Dik-tatur und Verfolgung auf das dem heute Lehrenden wiedem Lernenden vertraute Lebensumfeld.

Die zeitgeschichtliche EinordnungDie Deportation der badischen und saarpfälzischenJuden im Oktober 1940 markierte nach der Reichspo-gromnacht von 1938 einen weiteren Schritt in der Ra-dikalisierung der nationalsozialistischen Judenverfol-gung. Auf lokaler und regionaler Ebene lässt sich dieserim Partei- und Staatssystem hochgradig arbeitsteilig be-triebene Prozess nachvollziehen, der am Ende der be-reits jahrelang systematisch betriebenen Entrechtungder jüdischen Bevölkerung stand. Zugleich sammeltendie nationalsozialistischen Behörden mit dieser Aktionim Oktober 1940 Erfahrungen, die sie für die späterenDeportationen der jüdischen Bevölkerung aus dem üb-rigen Deutschen Reich nutzten. Unabhängig davonwurde bereits seit Anfang 1940 die industrielle Mas-sentötung von behinderten Menschen, sogenannten„lebensunwerten Lebens“, mittels Gas im Rahmen derNS-„Euthanasie”, z. B. in der beschlagnahmten Heil undPflegeanstalt Grafeneck, erprobt und angewandt. Die

Motive und das Vorgehen der nationalsozialistischen Be-hörden und Organisationen waren schon im Jahr 1940keine anderen als die bei den reichsweiten Deporta-tionen ab 1941 und nach der Wannsee-Konferenz am20. Januar 1942, einem Treffen hochrangiger NS-Büro-kraten, die über den systematischen Massenmord anden europäischen Juden berieten.

Die ZeugnisseDie Berichte von jüdischen Überlebenden verdeutli-chen das Ausmaß der Verfolgung und die Folgen für ihrÜber-Leben und dem ihrer Familien. Der unmenschli-che bürokratische Prozess der Entrechtung, Diskrimi-nierung und Verschleppung der Juden aus demDeutschen Reich wird an den Beispielen persönlicherSchicksale deutlich. Der vorsätzlichen Verweigerungder fundamentalen Menschenrechte stand eine penibelbuchhalterische Abwicklung gegenüber, nicht zuletztder unter Zwang zurückgelassenen Vermögenswerte.

Das gesellschaftliche und politische UmfeldDie Deportation des Großteils der jüdischen Bevölke-rung aus Baden und der Saarpfalz im Oktober 1940blieb der nicht-jüdischen Bevölkerung trotz aller Maß-nahmen der Diskretion nicht verborgen. Wie verhieltensich die einzelnen Beteiligten, Zuschauer und Mitwis-senden gegenüber den Ereignissen?

Während die Mehrheit der nicht-jüdischen Bevölke-rung in Schweigen verharrte, gab es jedoch auch ein-zelne, die ihren jüdischen Nachbarn halfen oder sogarunter Lebensgefahr zur Rettung dieser beitrugen. Was veranlasste diese Menschen entgegen staatlicherDoktrin und Repression ihren eigenen Grundsätzenvon Menschlichkeit und Moral zu folgen? Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit sichMenschen nonkonform verhalten oder sich gar offenwidersetzen?

Eng verknüpft mit der gewaltsamen Verschleppung derjüdischen Bevölkerung stand auch ihre Ausplünderungdurch die deutschen Volksgenossen. Wie verhielt sich die nicht-jüdische Bevölkerung zurrestlosen Verwertung jüdischen Vermögens? WelcheMotive für ihr Handeln lassen sich vermuten, welchesWissen und welche Haltung standen hinter dem Ver-halten?

Die Internierung der deutschen Juden im Lager Gursin Südfrankreich bietet die Möglichkeit, historisch-po-litisches Lernen mit Menschenrechtsfragen zu verbin-den, z.B. mit der Frage nach politischem Asyl.Wie reagierte die internationale Gemeinschaft aufdie nationalsozialistische Judenverfolgung? Welche

9 Anhang

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Möglichkeiten und Chancen hatten die deutschenJuden, in ein sicheres Land zu emigrieren? Welche Auswirkungen hatte die deutsche Besatzungim Zweiten Weltkrieg auf die europäischen Länder -hier Frankreich - und wie verhielten sich die Regie-rungen der besetzten Länder jeweils?

Die DokumenteDie vorliegenden MATERIALIEN möchten zudem zueiner kritischen Auseinandersetzung mit dem vorhan-denen Bild- und Dokumentenmaterial anregen. Von derDeportation im Oktober 1940 sowie von der Ausplün-derung der jüdischen Bevölkerung Badens und derSaarpfalz ist nur eine sehr begrenzte Zahl von Fotosüberliefert. Diese Fotos bilden meist die Perspektiveder Verfolger ab. Wer und was ist auf den Fotos zu er-kennen? Welche Funktionen oder Rolle haben sie?Welche Motive bewogen die Täter, die Stationen derEntrechtung und Deportation abzubilden?

Welche Schlüsse auf die soziale Lage der Enteignetenlassen sich aus den bei der Versteigerung angebote-nen Gegenständen in Lörrach ziehen (M 28).

Was sagen die Bilder über die Aussage des Chefs derSicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich,aus, “der Vorgang der Aktion selbst wurde von der Be-völkerung kaum wahrgenommen“? (3.6) Was wollte er damit ausdrücken?Müsste es nicht eher geheißen haben: „Es gab kaumReaktionen aus der Bevölkerung?“

Dagegen wurden viele der Fotos aus dem Lager Gursvermutlich von einer Angehörigen einer Hilfsorganisa-tion aufgenommen. Welche Motivation bewegte wohl diese, das Leben imLager festzuhalten?

Ein anderes Bild (M 42) zeigt eine junge Frau im LagerGurs zusammen mit ihrem Bruder und ihrem Verlobtenkurz vor ihrer Deportation nach Auschwitz. Sie schicktedieses Foto an ihre Schwester in der Schweiz. Was bedeutete diese Aufnahme im Kontext der Ge-fangenschaft, Angst und Ungewissheit über das ei-gene Schicksal?

Ein weiteres Foto (M 36) zeigt das Ehepaar Hans undLisa Fittko in Marseille, selbst deutsch-jüdische Flücht-linge in Südfrankreich, die unter Einsatz ihres Lebensanderen Emigranten zur Flucht verhalfen. Was lässt sich auf dieser Aufnahme erkennen, wel-chen gesellschaftlichen Status bekleidete das Ehepaar? Unterscheiden Sie sich äußerlich von den Menschenin Marseille zu dieser Zeit? Waren sie als „Unerwünschte“, als “Andere“ oder alsMenschen auf der Flucht erkennbar?An was konnte man in Deutschland Juden auf offe-ner Straße erkennen?

Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger wurden unter-drückt, verfolgt, deportiert und ermordet, weil sie sichüber Jahrhunderte, ja Jahrtausende, zu ihrer Religionund Abstammung bekannten. Für die NS-Rassendoktrinwaren sie damit keine „Arier“, also keine „Deutschen“vermeintlich besonders auszeichnender germanischerAbstammung. Mit dieser Begründung wurden ihnen,wie auch anderen Bevölkerungsgruppen, die nicht indas Konzept der rassistisch definierten nationalsoziali-stischen “Volksgemeinschaft“ passten, die Menschen-rechte, selbst das Recht auf Leben, abgesprochen.Was sagen die historischen Berichte und die Aussa-gen der Überlebenden über ihre Einstellung zur Tat-sache aus, deutsch und jüdisch in Deutschland gelebtzu haben?

Der unterrichtliche und regionalgeschicht-liche BezugDie MATERIALIEN beziehen sich auf die Deportationvon 1940. Natürlich berührt dieses Thema viele weitereFragestellungen, wie z. B. die gesamte Geschichte derersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Entwicklung desAntisemitismus, das Aufkommen der NSDAP, die Struk-turen des NS-Terrorapparates in Deutschland und inden besetzten Ländern wie auch des lokalen Wider-stands und der Geschichte nach 1945.

In Baden gab es zahlreiche jüdische Gemeinden (M 1).Wir schlagen daher vor, die MATERIALIEN als Grund-lage für die Unterrichtskonzeption zu benutzen, gleich-zeitig aber die inzwischen fast überall vorliegendenDokumentationen eines/Ihres Ortes mit heranzuziehen.In diesem Fall bieten sich eigene Recherchen der Schü-ler vor Ort oder an Hand von (kopierten) örtlichenAkten und Unterlagen an. Am besten nehmen Sie dazuKontakt mit den örtlichen Archiven, Gedenkstätten, Ge-schichtsvereinen oder Gemeindeverwaltungen auf.

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9.2 Literatur- und Medienauswahl

Materialien zu Gurs

DVD: Reden über Gurs / Mots de GursDie Geschichte des Internierungslagers Gurs in den Py-renäen vom Spanischen Bürgerkrieg bis zur Shoah,1939-1945Film von Jean-Jacques Mauroy, Französisch mit deut-schen UntertitelnIn Verbindung mit der Amicale de Gurs unter Mitwir-kung der Zeitzeugen Oskar Althausen aus Mannheimund Paul Niedermann aus Karlsruhe. Umfasst die Zeitvon 1939 mit der Internierung der Kombattanten desspanischen Bürgerkrieges und der Einweisung der Un-erwünschten Ausländer. Unter ihnen Künstler und In-tellektuelle, wie Hannah Arendt.Zeitzeugen unterschiedlichster Herkunft schildern dieunwürdigen Umstände, das Leiden im Lager Gurs unddie Schrecken der Deportation.

Die DVD ergänzt die beim Landesmedienzentrum bzw.den Kreismedienzentren im badischen Landesteil be-reits vorhandenen Materialien zu diesen Themen umwichtige Aspekte.

Vertrieb für Baden-Württemberg:Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württem-bergStafflenbergstr. 38, 70184 Stuttgartwww.lpb-bw.de/shopAbgabe gegen Schutzgebühr (€ 5.-)

Deutsch-Französische Wanderausstellung:Mannheim - Izieu - Auschwitz

Die Ausstellung zeigt das Schicksal der vier Mannhei-mer Kinder Sami Adelsheimer, Max Leiner, Fritz Löb-mann und Otto Wertheimer. Die Ausstellung zeichnetden Weg der Kinder von der Deportation nach Gursüber das Kinderheim in Izieu in das Vernichtungslagernach.Dokumentiert werden auch die Gedanken der Schüle-rinnen und Schüler von heute, ihre Spurensuche unddie Auseinandersetzung mit dem Schicksal der vier.

Die Ausstellung ist zweisprachig (d/f). Sie besteht aus15 Tafeln (gerollt). Eine Ansichts-DVD kann bei der LpBangefordert werden.Die Lieferung durch die LpB erfolgt in zwei Röhren, dieauch für den Rücktransport zu verwenden sind. Für dieAusstellenden entstehen lediglich Kosten für die Rück-sendung.

Weitere Informationen, Buchung und Leihvertrag überLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württem-bergGedenkstättenarbeitPaulinenstraße 44-4670178 StuttgartTel.: 0711.16409957E-Mail: [email protected]

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Landeszentrale für politische Bildung

Reihe Bausteine und Materialien

Die Nacht, als die Synagogen branntenTexte und Materialien zum 9. November 1938als Bausteine ausgearbeitetHrsg.: LpB, 1998, (vergriffen, aber komplett online)www.lpb.bwue.de/publikat.htm

Ghettos – Vorstufen der Vernichtung1939-1944 – Menschen in GrenzsituationenTexte und UnterrichtsvorschlägeHrsg.: LpB, 2000, www.lpb.bwue.de/publikat.htm

Die Erinnerung darf nicht endenTexte und Unterrichtsvorschläge zum Gedenktag27. Januar als Bausteine ausgearbeitet von einer Gruppedes Erzieherausschusses der Gesellschaft für christlichjüdische Zusammenarbeit, StuttgartHrsg.: LpB, CJZ, (komplett online)www.lpb.bwue.de/publikat.htm

Zeitschrift Politik & Unterricht

Jüdisches Leben in Baden-Württemberg (2/99)Möglichkeiten der BegegnungBesuch in einer Synagoge, Spurensuche am Heimatort,Jüdisches Leben in Deutschland heute, deutsch-israeli-scher Schüleraustausch – ein Projektbericht, (komplettonline)www.lpb.bwue.de/publikat.htm

Schriften zur politischen Landeskunde

Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Würt-tembergPflug, Konrad, Raab-Nicolai, Ulrike, Weber, Reinhold(Hrsg.). Stuttgart, 2007.

Gedenkstätten in Baden-WürttembergHrsg. von der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenk-stätten und Gedenkstätteninitiativen und der LpB, Bro-schüre, 72 Seiten.

BestellungenVeröffentlichungen ohne Preisangabe sind kostenlos.Bei Sendungen von über einem Kilogramm Gewichtmit kostenlosen Materialien gehen die Versandkostenzu Lasten des Bestellers/der Bestellerin.Bestellungen über den Webshop der LpB www.lpb-bw.de/Shop oder bei: Landeszentrale für politische Bil-dung, Marketing, Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart,Fax: 0711.164099.77, E-Mail: [email protected].

AV-Medien:

Landes- und Kreismedienzentrenwww.lmz-bw.de

Landesfilmdienst Baden-Württemberg e. V.www.landesfilmdienst-bw.de

RPI-Mediathek der Ev. Landeskirche Badenwww.ekiba.de/666.php

Oekumenischer Medienladen Stuttgartwww.oekumenischer-medienladen.de/

Mediathek für Pastoral und Religionspädagogik Der Erzdiözese Freiburgwww.mediathek-freiburg.de

Landesbildungsserver:Einzelne Unterrichtsmodelle finden sich auch unterwww.landeskunde-bw.de

Auswahl der Medien beim Landesmedien-bzw. den Kreismedienzentren:

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46 55139 Sechzig Jahre lang wurde vergessen und verdrängt, dass die heutige Lessing- Realschule in Freiburg von 1936 bis 38 Zwangsschule für sechzig jüdische Kinder aus dem südbadischen Raum war. 2003 machten sich dann Schüler der Geschichtswerkstatt auf Spurensuche und luden die Überlebenden im Oktober 2004 zu einer Begegnungswoche ein. Unter dem Titel „Rückkehr in die vergessene Schule“ entstand dabei ein bewegender Dokumentarfilm.

Standorte: Freiburg

42 70576

Oberrotweil, ein kleines Dorf am Kaiserstuhl, nahe der französischen Grenze, nicht weit von der Schweizer Grenze. In den 30er Jahren ergriffen - wie überall in Deutschland, so auch hier - die Nazis die Macht. Das Zusammenleben im Dorf änderte sich in allen Bereichen. Mathilde Werner u.a. schildern ihre Erinnerungen: an die geleistete Fluchthilfe; wie die SA die Dorfbevölkerung terrorisierte; über Erfahrungen eines SS-Mannes im KZ-Dachau und vom Schicksal der Breisacher Juden.

Standorte: Donaueschingen, Freiburg, Offenburg, Waldshut

5821 Fritz Ottenheimer ist der letzte noch lebende jüdische Konstanzer Augenzeuge. Er berichtet über seine Jugend im nationalsozialistischen Konstanz der 30er Jahre, die Flucht seiner Familie in die USA und über seine Rückkehr als amerikanischer Besatzungssoldat.

Standorte: Konstanz, Sigmaringen, Waldshut

50001

Rückkehr in die vergessene Schule

Ein Schulprojekt des Erinnerns und Begegnens

DVD-Video D 2004

Direkt vor der Haustüre 32 52481

Schüler befragen Zeitzeugen des Nationalsozialismus in Oberrotweil

17 min f VHS-Videokassette D 2001

42 70576

Rückkehr nach Konstanz

Fritz Ottenheimer, Rückkehr nach Konstanz

23 min f VHS-Videokassette D 1998 42 65821

Gurs 32 52481

Deportation und Schicksal der Mannheimer und anderer badisch-pfälzischer Juden (1940-1945)

Medienpaket D 1985

50 50001

46 55139

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Ausgewählte Literatur

Aus Platzgründen können hier nicht die zahlreichen re-gional- und heimatgeschichtlichen Veröffentlichungenaufgeführt werden. Im Unterricht ist aber gerade die-ser Bezug wichtig.Ihre Bibliothekare, Orts-, Stadt- und Kreisarchivare kön-nen aber sicher Auskunft über entsprechende Quellengeben. Im Nachfolgenden sind Standardwerke und dieBücher verzeichnet, auf die die MATERIALIEN Bezugnehmen.

Auerbacher, Inge: Ich bin ein Stern, Weinheim undBasel 1992.

Baumann Ulrich: Zerstörte Nachbarschaften. Christenund Juden in badischen Landgemeinden 1862-1940,Hamburg 2000.

Benz Wolfgang (Hg.): Die Juden in Deutschland 1933-1945, München 1988.

Bräunche, Ernst Otto: „Die badischen Juden sind nichtvergessen“, In: Badische Heimat 85 (2005), S. 425-437.

Bosch, Manfred: Alemannisches Landjudentum: Spureneiner verlorenen Kultur, Eggingen 2001.

Brucher-Lembach, Andrea: „wie Hunde auf ein StückBrot“. Die Arisierung und der Versuch der Wiedergut-machung in Freiburg, Bremgarten 2004.

Eggers, Christian: Unerwünschte Ausländer. Juden ausDeutschland und Mitteleuropa in französischen Inter-nierungslagern 1940-1942, Berlin 2002.

Fittko, Lisa: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerun-gen 1940/41, München, Wien 1985.

Fliedner Hans Joachim: Geschichte und Erinnerungs-kultur. 22. Oktober 1940 - Die Deportation der badi-schen und saarpfälzischen Juden in das Lager Gurs.Herausgegeben vom Stadtarchiv Karlsruhe im Auftragder Arbeitsgemeinschaft zur Unterhaltung und Pflegedes Deportiertenfriedhofs in Gurs durch Ernst OttoBräunche und Volker Steck, Karlsruhe 2010.

ders. Die Judenverfolgung in Mannheim 1933-1945,Band 2. Stuttgart, Berlin 1971.

Gottwald, Alfred/Schulle, Diana: Die „Judendeporta-tionen“ aus dem Dritten Reich 1941-1945. Eine kom-mentierte Chronologie, Wiesbaden 2005.

Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen: „Hier ist nichts ande-res als Gottes Haus ...“. Synagogen in Baden-Württem-berg (mit Geschichte der Gemeinden), Bd. 1:Geschichte und Architektur, Bd. 2: Orte und Einrich-tungen. Hrsg. v. Rüdiger Schmidt, Badische Landesbi-bliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, SynagogueMemorial, Jerusalem, Stuttgart 2007.

Hauptamt der Stadt Karlsruhe (Hrsg.): Totenliste desLagers Gurs: Jüdische Mitbürger, die aus Baden, der Pfalzund dem Saarland in den Jahren 1939-1945 nach Süd-frankreich deportiert wurden und im Lager Gurs ge-storben und beerdigt sind, Karlsruhe 1990. <als Kopievervielfältigt>

Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdi-schen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968.

Kaufmann, Uri R.: Kleine Geschichte der Juden inBaden, Karlsruhe 2007.

Klarsfeld, Serge: Vichy-Auschwitz. Die „Endlösung derJudenfrage“ in Frankreich, Darmstadt 2007.Klarsfeld, Serge und Beate: Die Kinder von Izieu. Eine jü-dische Tragödie, Berlin 1991.

Laharie, Claude: Le Camp de Gurs 1939-1945. Unaspect méconnu de l‘histoire de Vichy d‘internementen Béarn, Biarritz 1993.

Medienpaket mit 60 Dias/Folien, Vortrag, Beiheft zur Judenverfolgung in Baden. Die Medien erfordern gezielte Auswahl (z. B. durch Zusammenschnitt der Tonkassette). Insgesamt eignen sie sich nur für Projektarbeit.

Standorte: Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim, Offenburg 50 50052

Medienpaket mit 1 Diareihe (37, sw); 1 Tonband/Kassette (42 min); 1 Videokassette (38 min, f); 1 Kopiervorlage; 7 Zeitungsfaksimiles; 1 Beiheft „Reichskristallnacht“ in Karlsruhe. Deportation Karlsruher Politiker ins KZ Kislau und badischer Juden ins KZ Gurs, Südfrankreich.

Standorte: Bad Säckingen, Bruchsal, Ettlingen, Freiburg, Heidelberg, Heilbronn, Karlsruhe, Kehl, Ludwigsburg, Mittelbaden, Mosbach, Nürtingen, Of-fenburg, Pforzheim, Wolfach

2 51100 Didaktische Ergänzung des gleichnamigen Buches, das Einblick gibt in zentrale jüdische Themen, Riten und Kulte, gleichzeitig wird die Vor- und Nachpogromzeit in Karlsruhe transparent. Eingebettet sind diese Themen in beobachtete Alltagsgeschichten aus der Sicht einer Achtjährigen.

Standorte: Heilbronn, Karlsruhe, Künzelsau, Ludwigsburg, Pforzheim, Ravens-burg

12 50645 Aufbau der Folien: 1. Geschichte, 2. Kultus: Symbole am jüdischen Haus, 3. Kultus: die Synagoge, 4. Der jüdische Friedhof in Schmieheim, 5. Kippenheim: Deportation (1940) (s.a. 10 56614).

Standorte: Lahr, Offenburg 12 50853

Judenverfolgung in der NS-Zeit am Beispiel Karlsruhes 32 52481

... sie hatten noch die Frechheit zu weinen ...

80 min sw Medienpaket D 1980

50 50052

Kaddisch für Ruth 32 52481

Erinnerung an meine jüdische Freundin

22 f+sw Transparent-Folien D 2001

12 51100

Jüdische Spuren in der südlichen Ortenau 32 52481

Kultus und Leben

29 f+sw Transparent-Folien D 1997

12 50645

Wendepunkte: Folienbilder zur Geschichte

Diskriminiert - verfolgt - vernichtet 32 52481

Juden unter dem Nationalsozialismus

8 f+sw Transparent-Folien D 1996

12 50853

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dt.: Laharie, Claude: Gurs 1939-1945. Ein Internie-rungslager in Südwestfrankreich. Von der Internierungspanischer Republikaner und Freiwilliger der Interna-tionalen Brigaden bis zur Deportation der Juden in dieNS-Vernichtungslager, Biarritz 2007. Bezug: [email protected] (6.- €)

Maier, Kurt: Großvater war ein Viehhändler, Vater rei-ste mit Stoffen - ein Kippenheimer erzählt aus seinerKindheit, Ubstadt Weiher, vorauss. 2010.

Stadt Mannheim-Jugendamt, Stadtjugendring Mannheime.V. (Hrsg.): Gurs 1170 km. Zur Deportation der badi-schen und pfälzischen Juden nach Gurs. Ausstellungs-und Projektdokumentation, Mannheim 2006, 2009.

Meyer, Ahlrich: Die deutsche Besatzung in Frankreich1940-1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfol-gung, Darmstadt 2000.

Meyer-Moses, Hanna: Reise in die Vergangenheit. EineÜberlebende des Lagers Gurs erinnert sich an die Ver-folgung während der NS-Diktatur, Ubstadt-Weiher 2009.

Mittag, Gabriele: „Es gibt Verdammte nur in Gurs“ Li-teratur, Kultur und Alltag in einem französischen Inter-nierungslager 1940-1942, Tübingen 1996.

Taddey, Gerhard: In: Oberrat der Israeliten Badens(Hg.): Juden in Baden 1809-1984, Karlsruhe 1984.

Obst, Johannes: Gurs. Deportation und Schicksal der ba-disch-pfälzischen Juden 1940-1945. Didaktisch-metho-dische Handreichung für weiterführende Schulen,Mannheim 1986.

Pflug, Konrad: Ehemalige Synagogen als Gedenkstät-ten, In: Gedächtnis aus Stein, Die Synagoge in Kippen-heim 1852-2002. Hrsg. von Uwe Schellinger im Auftragdes Fördervereins Ehemalige Synagoge Kippenheim,Heidelberg, Ubstadt-Weiher, Basel 2002, S. 291-315.

Pflug, Konrad/Raab, Ulrike/Weber, Reinhold: Orte desGedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg. Hrsg.v. d. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Würt-temberg, Stuttgart 2007.

Teschner, Gerhard: Die Deportation der badischen undsaarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Vorge-schichte und Durchführung der Deportation und dasweitere Schicksal der Deportierten bis zum Kriegsendeim Kontext der deutschen und französischen Judenpo-litik, Frankfurt am Main 2002.

Richarz, Monika/Rürup Reinhard (Hg.): JüdischesLeben auf dem Lande, Tübingen 1997.

Paul Sauer (Hg.): Dokumente über die Verfolgung derjüdischen Bürger in Baden-Württemberg durch das na-tionalsozialistische Regime 1933-1945, Bd 2, Stuttgart1966.

Wiehn, Erhard R. (Hg.): Oktoberdeportation 1940: Diesogenannte „Abschiebung“ der badischen und saar-pfälzischen Juden in die französischen Internierungs-lager Gurs und andere Vorstationen von Auschwitz. 50 Jahre danach zum Gedenken, Konstanz 1990.

Wiehn, Erhard R. (Hrsg.): Camp de Gurs. Zur Depor-tation der Juden aus Südwestdeutschland 1940, Kon-stanz 2010.

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Anmerkungen

1 Vgl. Ulrich Baumann: Zerstörte Nachbarschaften. Christen und Judenin badischen Landgemeinden 1862 – 1940, Hamburg 2000, S.9.

2 Wolfgang Benz: Die 101 wichtigsten Fragen. Das Dritte Reich, Mün-chen 2006, S.16.

3 Vgl. Wolfgang Benz: a.a.O., S.32f.

4 Vgl. Ulrich Baumann, a.a.O., S.230.

5 Alle Zitate und Fotos von Hanna Meyer-Moses sind, wenn nicht andersvermerkt, folgendem Buch entnommen: Hanna Meyer-Moses: Reise indie Vergangenheit. Eine Überlebende des Lagers Gurs erinnert sich andie Verfolgung während der NS-Diktatur, Ubstadt-Weiher 2009.

6 Alle Zitate und Fotos von Kurt Maier sind, wenn nicht anders angege-ben, folgendem Buch entnommen: Kurt Maier: Großvater war ein Vieh-händler, Vater reiste mit Stoffen - ein Kippenheimer erzählt aus seinerKindheit, Ubstadt Weiher, vorauss. 2010.

7 Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit von 1932 bis 1935 von HeinzHeilbronn, in: Eckhardt Friedrich, Dagmar Schmieder-Friedrich (Hg.):Die Gailinger Juden. Materialien zur Geschichte der jüdischen Ge-meinde Gailingen aus ihrer Blütezeit und den Jahren der gewaltsamenAuflösung, Konstanz 1981, S.-69-93, S.93.

8 Am 7. November 1938 hatte Herschel Grynszpan ein Attentat auf dendeutschen Botschafter in Paris verübt. Damit hatte er seinen Protestgegen die unmenschliche Ausweisung von polnischen Juden aus demDeutschen Reich Ende Oktober 1938 bekunden wollen. Unter den Aus-gewiesenen war seine Familie gewesen. Dieses Attentat nutzte Propa-gandaminister Josef Goebbels, um ein reichsweites Pogrom gegen diejüdische Bevölkerung zu initiieren.

9 Vgl. www.holocaust.juden-in-europa.de/schoah/kristallnacht,htm.

10 Vgl. Jürgen Stude: Geschichte der Juden in Bruchsal, Heidelberg2007, S.322.

11 Vgl. Wolfgang Benz (Hg.): Die Juden in Deutschland 1933-1945.Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, München 1988, S.9.

12 Zit. in: Juliane Wetzel: Die Auswanderung aus Deutschland, in: Wolf-gang Benz (Hg.): Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unternationalsozialistischer Herrschaft, München 1988, S.412-489, S.413.

13 Vgl. Ulrich Baumann: a.a.O., S.237.

14 Käthe Vordtriede (1891-1964), stammte aus einer assimilierten Kauf-mannsfamilie. Seit 1922/23 lebte sie in Freiburg. Sie war bei der sozi-aldemokratischen „Volkswacht“ als Lokalredakteurin tätig, bis sie 1933von den Nationalsozialisten als „Nichtarierin“ Berufsverbot erhielt.Wegen ihrer politischen Tätigkeiten wurde sie mehrfach in „Schutzhaft“genommen. 1939, kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, ge-lang ihr die Flucht in die Schweiz, von dort emigrierte sie 1941 in dieUSA. Sie starb 1964 in New York.

15 Käthe Vordtriede: „Es gibt Zeiten, in denen man welkt.“ Mein Lebenin Deutschland vor und nach 1933, Lengwil 1999, S.208f.

16 Hedy Epstein wurde 1924 als einziges Kind des Ehepaars Hugo undElla Wachenheimer in Freiburg geboren und wuchs in Kippenheim auf.Sie kam 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien, emi-grierte später in die USA, wo sie bis heute lebt. Ihren Eltern gelang dieFlucht aus Deutschland nicht. Sie wurden 1940 in das Lager Gurs undvon dort in die Vernichtungslager deportiert, wo sie ermordet wurden.

17 Hedy Epstein: Erinnern ist nicht genug. Autobiographie, Münster1999, S.92.

18 Wolf Gruner: Von der Kollektivausweisung zur Deportation der Judenaus Deutschland (1938-1945). Neue Perspektiven und Dokumente, in:Birthe Kundrus, Beate Meyer (Hg.): Die Deportation der Juden ausDeutschland. Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 20,Göttingen 2004, S.21-62, S.22.

19 Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung dernationalsozialistischen Judenverfolgung, München 1998, S.282 undPaul Sauer (Hg.): Dokumente über die Verfolgung der jüdischen Bürgerin Baden-Württemberg durch das nationalsozialistische Regime 1933-1945, Band 2, Stuttgart 1966, S.231.

20 Vgl. Johnpeter Horst Grill: Robert Wagner – Der „Herrenmensch“ imElsass, in: Roland Smelser, Enrico Syring, Rainer Zitelmann (Hg.): DieBraune Elite II, Darmstadt 1993, S.254-267.

21 Vgl. Gerhard Paul: Josef Bürckel – Der rote Gauleiter, in: Roland Smel-ser, Enrico Syring, Rainer Zitelmann (Hg.): Die Braune Elite II, Darm-stadt 1993, S.51-65.

22 Vgl. Alfred Gottwald, Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ ausdem Dritten Reich 1941-1945. Eine kommentierte Chronologie, Wies-baden 2005, S.42.

23 Die Konzentration der jüdischen Bevölkerung in Sammellagern vorihrem Abtransport sowie die Merkblätter für die eingesetzten Beamtenwurden beibehalten, vgl. Alfred Gottwald, Diana Schulle, a.a.O., S.44f.

24 Z. B. in Mannheim: „Mitte Oktober 1940 machte sich eine Beunruhi-gung in der Gemeinde Mannheim bemerkbar, verursacht durch das Ge-rücht, daß etwas gegen die Juden beabsichtigt sei. „Es liege etwas in derLuft.“ - Was drohte, konnte niemand sagen, konnte ich trotz verschie-dener Nachforschungen nicht feststellen, auch nicht andeutungsweise.“Eugen Neter: Erinnerungen an das Lager Gurs in Frankreich, in: ErhardR. Wiehn (Hg.): Oktoberdeportation 1940, Konstanz 1990, S.375-400,S.378.

25 Diese Anweisung wurde offensichtlich nicht immer eingehalten, dennnach Augenzeugenberichten wurden auch Menschen auf Tragbahrenzu den Zügen gebracht, vgl. Gerhard J. Teschner: Die Deportation derbadischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940, Frankfurtam Main 2002, S.75.

26 Vgl. 22.10.1940. Erinnerung – Aufgabe und Chance. Arbeitshilfeund Dokumentation zum „Ökumenischen Jugendprojekt Mahnmal“ fürdie Deportation der badischen Jüdinnen und Juden nach Gurs, Karls-ruhe 2006, S.6.

27 Von der Deportation im Oktober 1940 ist nur eine sehr begrenzteZahl an Fotos überliefert: fünf Bilder aus Kippenheim, fünf Bilder ausGailingen und eine Serie von 25 Bildern aus Lörrach. Dazu kommt nocheine Serie von 21 Bildern über die Deportation aus Ludwigshafen, vgl.Uwe Schellinger: Unterbelichtete Erinnerung: Fotohistorische Zugängezur Deportation der badischen Juden am 22. Oktober 1940, Vortrag,Protokoll über die Arbeitssitzung am 13.12.2001, S.1-29, S.4f.

28 Überliefert ist nur das Merkblatt für die Pfalz, es wird jedoch davonausgegangen, dass das Merkblatt für Baden ähnlich gewesen seindürfte, da es sich um eine konzertierte Aktion der beiden Gauleiter han-delte. Vgl. Merkblatt für eingesetzte Beamte, in: Paul Sauer (Hg.): Do-kumente über die Verfolgung der jüdischen Bürger inBaden-Württemberg durch das nationalsozialistische Regime 1933-1945, Stuttgart 1966, Band 2, Nr.437.

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29 Vgl. Paul Sauer (Hg.), a.a.O., S.235.

30 Vgl. Konrad Kwiet, Helmut Eschwege: Selbstbehauptung und Wider-stand. Deutsche Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde1933-1945, Hamburg 1984, S.200.

31 Vgl. Bericht vom 30. Oktober 1940 über die Deportation der Judenaus Baden, Saarpfalz und dem Saarland, in: Paul Sauer (Hg.), a.a.O.,Nr. 441, Eugen Neter, a.a.O., S.379, Hans Schadek: Ein Akt der Ver-zweiflung: der Freitod des Freiburger Bürgers Max Frank (1873-1940),in: Schau-ins-Land, 119. Jahresheft 2000, S.153-169 und Hugo Ott:Laubhüttenfest 1940. Warum Therese Loewy einsam sterben musste,Freiburg 1994.

32 Eugen Neter, a.a.O., S.379.

33 Vgl. Wolfram Wette (Hg.): Stille Helden. Judenretter im Dreiländereckwährend des Zweiten Weltkriegs, Freiburg 2005, S.20.

34 Vgl. Paul Sauer: Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Würt-tembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1933-1945, Stuttgart 1969, S.332f, 342ff. 376f.

35 Karl Judas – sein Helfer handelte aus einer tiefen Freundschaft heraus,in: Geschichtswerkstatt an der Lessing-Realschule Freiburg: Die Zwangs-schule für jüdische Kinder in Freiburg 1936-1940, Freiburg 2008,S.87f, U. Kügele.

36 Emil Homburger (1890-1945), war Rechtsanwalt und führte in Frei-burg eine eigene Praxis. 1933 wurde ihm seine Zulassung als „nicht-arischer“ Anwalt entzogen. Mit einer katholischen „arischen“ Frauverheiratet, wurde er als Partner einer „privilegierten Mischehe“ zu-nächst von den Deportationen verschont. Er war in einem größeren Hel-fernetz um Gertrud Luckner für jüdische Verfolgte engagiert. 1943wurde er verhaftet und nach Auschwitz deportiert. In den letzten Kriegs-monaten wurde er nach Buchenwald gebracht und dort ermordet, vgl.Kathrin Clausing: Leben auf Abruf. Zur Geschichte der Freiburger Judenim Nationalsozialismus, Freiburg 2005, S.304ff.

37 Vgl. Paul Sauer, a.a.O., S.65.

38 Vgl. Michael Stolle: Die Geheime Staatspolizei in Baden, Konstanz2001, S.240.

39 Zit. in: Michael Stolle, a.a.O., S.243.

40 Merkblatt für eingesetzte Beamte, a.a.O.

41 Oskar Althausen: Die Deportation und Camp de Gurs überlebt, in: Er-hard R. Wiehn, a.a.O., S.347.

42 Zit. in: Jürgen Stude: „Die letzten Juden verlassen Bruchsal.“ Filmdo-kumente zur Judenverfolgung in Baden und Württemberg, in: Momente(2005) 2, S.2-7, S.5.

43 Die bislang einzige bekannte Filmsequenz von 1940 über die De-portation der Juden aus Bruchsal war offenbar niemals gezeigt worden.Unter dem Titel „Die letzten Juden verlassen Bruchsal“ zeigt eine einmi-nütige Filmsequenz die Deportation. Die Sequenz ist Teil eines Zusam-menschnitts von Propagandafilmmaterial aus Bruchsal, der vermutlichauf die Initiative der NSDAP- Kreisleitung erstellt worden ist, vgl. Jür-gen Stude: Die letzten Juden verlassen Bruchsal. Historische Filmauf-nahmen zur Judenverfolgung in Baden und Württemberg, in: Momente(2005) 2, S.2-7.

44 Unsere Deportation. Frau Berty Friesländer-Bloch berichtet über dieDeportation am 22. Oktober 1940, in: Eckhardt Friedrich, DagmarSchmieder-Friedrich (Hg.): Die Gailinger Juden. Materialien zur Ge-schichte der jüdischen Gemeinde Gailingen aus ihrer Blütezeit und den

Jahren der gewaltsamen Auflösung, Konstanz 1981, S.111-121, S.117.

45 Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheits-dienstes (SD) an das Auswärtige Amt zu Hd. von Herrn SA- Standar-tenführer Gesandten Luther vom 29.10.1940, Politisches Archiv desAuswärtigen Amtes, Berlin R 100869.

46 Zit. in: Lukrezia Seiler (Hg.): Was wird aus uns noch werden? Briefeder Geschwister Grunkin aus dem Lager Gurs, 1940-1942, Zürich2000, S.46.

47 Bericht des Landrats Lörrach vom 30. August 1946 an die Zentral-Hi-storische Kommission beim Zentralkomitee der befreiten Juden in derAmerikanischen Zone, München, Staatsarchiv Freiburg, G17/1 Nr.3667.

48 Zit in: Ulrich Ecker: Die Deportation der Freiburger Juden nach Gursam 22./23. Oktober 1940, in: „Schau-ins-Land“, 119. Jahresheft2000, S.141-151, S.141.

49 Vgl. Hans Joachim Fliedner: Die Judenverfolgung in Mannheim 1933-1945, Band 2, Stuttgart, Berlin 1971, S.71.

50 Vgl. Bajohr, Frank: Über die Entwicklung eines schlechten Gewissens.Die deutsche Bevölkerung und die Deportationen 1941-1945, in: BirtheKundrus, a.a.O., S.180f.

51 Vgl. Erhard Roy Wiehn (Hg.): Martha und Else Liefmann. Helle Lich-ter auf dunklem Grund. Die ‚Abschiebung‘ aus Freiburg nach Gurs1940-1942, Konstanz 1995, 2. Aufl., S. 44.

52 Lilly Reckendorf: „Wir gingen stumm und tränenlos“ Erinnerungen andie Deportation am 22.10.1940 von Freiburg nach Gurs, in: ManfredBosch (Hg.): Alemannisches Judentum. Spuren einer verlorenen Kultur,Eggingen 2001, S.271-284, S.275.

53 Vgl. Hanna Meyer-Moses, a.a.O., S.33, Martha und Else Liefmann.a.a.O. S.18f.

54 Vgl. Alfred Gottwald, Diana Schulle, a.a.O., S.40.

55 Hugo Schriesheimer: Die Hölle von Gurs. Das Ende der badischenJuden, in: Erhard R. Wiehn (Hg.), a.a.O., S.183.

56 Anordnung des badischen Gauleiters vom 23. Oktober 1940 über dieVerwaltung und Verwertung des jüdischen Vermögens, Generallandes-archiv Karlsruhe, 237/40480.

57 Vgl. Stadtarchiv Freiburg, K1 49/Teil 2 B Nr.5.

58 Vgl. Ahlrich Meyer: Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940-1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt 2000,S.34.

59 Arbeitsmöglichkeiten gab es im Lager, z.B. in der Kantine, in Kran-kenbaracken, in Werkstätten, in Poststellen und der Lagerverwaltung.Arbeitsfähige Männer wurden außerhalb des Lagers in sogenannteFremdarbeiterbataillone eingegliedert. Vor allem ab 1942 griff dieVichy-Regierung auf diese billigen Arbeitskräfte in den Lagern zurück,vgl. Gabriele Mittag: „Es gibt Verdammte nur in Gurs“. Literatur, Kulturund Alltag in einem französischen Internierungslager 1940-1942, Tü-bingen 1996, S.38f.

60 In: Lisa Fittko: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41,München, Wien 1985 S.15.

61 Hannah Arendt – Salomon Adler-Rudel: Briefwechsel, Brief vom 17.Februar 1941.

62 Karl Bodek und Kurt Löw arbeiteten eng zusammen. Karl Bodek(1905-1942), tschechischer Herkunft, war von 1940 bis 1941 im Lager

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Gurs interniert. Er malte dort viel und galt als treibende Kraft in den ge-meinsam signierten Zeichnungen. Er schuf gemeinsam mit Loew Deko-rationen für Theateraufführungen. 1941 wurde er in das Lager Les Millesverlegt, dort war er an einem großen Wandgemälde beteiligt. 1942wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Kurt Loew(1914-1980) aus Wien, war Maler, Gebrauchsgraphiker und Architekt.1940 kam er in das Lager Gurs, 1942 wurde er entlassen und gelangtein die Schweiz, in den 50er Jahren kehrte er nach Wien zurück, vgl. Ga-briele Mittag, a.a.o., S.278f und 286.

63 In: Lisa Fittko, a.a.O., S.44.

64 Vgl. Gerhard J. Teschner, a.a.O., S.141.

65 CIMADE, Comité Inter Mouvements Auprès Des Évacués, eine öku-menische Organisation, die 1939 zur Unterstützung der evakuierten Be-völkerung aus dem Elsass und Lothringen gegründet worden war. Diefranzösische Regierung sah nach dem Überfall des Deutschen Reichesauf Polen 1939 die französische Bevölkerung in diesen Gebieten als ge-fährdet an und evakuierte sie nach Südfrankreich.

66 Vgl. Christian Eggers: Unerwünschte Ausländer, Juden aus Deutsch-land und Mitteleuropa in französischen Internierungslagern 1940-1942,Berlin 2002, S.90ff und S.271ff.

67 Vgl. Christian Eggers, a.a.O., S.264.

68 Lukrezia Seiler (Hg.): Was wird aus uns noch werden? Briefe der Ge-schwister Grunkin aus dem Lager Gurs, 1940-1942, Zürich 2000.

69 Vgl. Theres Schmid-Ackeret: Hier gehöre ich hin. Elsbeth Kasser1910-1992, in: Kirchlicher Informationsdienst Zürich (Hg.): Ohne Wennund Aber dem Gewissen verpflichtet, Zürich 2000, S.37-60.

70 Vgl. Gerhard J. Teschner, a.a.O., S.224.

71 Vgl. Gerhard J. Teschner, a.a.O., S.231.

72 Aus Breisach und Sulzburg waren es mind. 18 Personen, die auf dieseWeise überlebten, vgl. Staatsarchiv Freiburg, F 196/1 und Barbara Vor-meier: Dokumentation zur französischen Emigrantenpolitik, in: HannaSchramm: Menschen in Gurs, Worms 1977, S.245.

73 Vgl. Jürgen Stude, a.a.O., S.343.

74 Vgl. Gabriele Mittag, a.a.O., S.41.

75 Julius C. (Collen) Turner (1881-1948?), ein jüdischer Maler ausDeutschland. Er war von 1940 bis 1943 im Lager Gurs interniert. Erkonnte das Lager 1943 verlassen und kam ins centre d‘acceuil Pont-de-Manne im Département Drôme, vgl. Gabriele Mittag, a. a. O. S.297.

76 Gerhard Teschner, a.a.O., S.319.

77 Martha und Else Liefmann, a.a.O., S.133f.

78 Vgl. Andrea Brucher-Lembach, a.a.O., S.181ff.

79 Zit. in: Andrea Brucher-Lembach, a.a.O., S.211.

80 Vgl. Edith Raim: Ungenügende Aufarbeitung. Strafverfahren zur De-portation der Juden aus dem Altreich in der frühen Nachkriegszeit1945-49/50, in: Geschichte quer (2004)12, S.40-42, S.40f.

81 Dr. Kurt Maier: Zeitzeugenvortrag an der Lessing-Realschule, Frei-burg, Oktober 2002.

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Landeszentralefür politische BildungBaden-Württemberg

Stafflenbergstraße 3870184 StuttgartTel. 0711.16 40 99-0, Fax [email protected] www.lpb-bw.de

Die Landeszentralefür politische Bildung

•isteineüberparteilicheEinrichtungdes Landes Baden-Württemberg

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•undLpB-ShopsamHauptsitzStuttgart und in den Außenstellen Freiburg und Heidelberg

Impressum

HerausgeberinLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB)

AutorKatjaLimbächer,Diplompolitologin,forschteundpub- lizierte zu den sog. Jugendschutzlagern und der Verfolgungvon„Asozialen“imNationalsozialismus. Sie war in Berlin als Dozentin und am Haus der Wannsee-KonferenzalsGedenkstättenpädagogintätig.Sie lebt und arbeitet heute in Freiburg i. Br..

RedaktionKonrad Pflug, LpB

Layout und Satzmedien+dialog, Haigerloch, www.medien-und-dialog.de

UmschlagLucia Winckler, Tübingen

DruckPaul Zielfleisch GmbH, Stuttgart, www.zielfleisch.de

AlleRechtevorbehalten.Abgabe gegen Schutzgebühr.

Stuttgart 2010

Kurt Maier

Als Kind liebte ich Züge.

Aber als ich 10 Jahre alt war, musste ich die längste

Zugfahrt meines Lebens machen.

Ich erinnere mich, wie ich aus der Schule geholt wurde

und wie meine Großeltern dastanden mit Kissenbezügen,

in die sie all ihre Habseligkeiten gestopft hatten.

Ich sehe uns in Kippenheim auf einen Militärlaster

steigen und höre, wie ein Offizier auf dem Bahnsteig

zu meinem Vater sagt: „Sie können Ihr

Eisernes Kreuz abnehmen; es nützt Ihnen doch nichts.“

Wir fuhren über den Rhein. Überall wurde geerntet.

Die Bauern arbeiteten neben den Bahngleisen mit

Sensen und Handkarren.

Es war auch die Zeit des jüdischen Sukkot-Festes,

das Laubhüttenfest.

In Deutschland wurde ebenfalls geerntet.

Aber die Ernte waren Menschen.

Zwei Nächte später und viele zerstörte Häuser weiter

kamen wir an einen Ort in den Pyrenäen – wo die

Betten Strohlager waren und der Kaffee aus

Getreide gebrannt war und wo das Essen aus Stücken

Pferdefleisch mit angefaultem Kohl bestand.

Gurs war ein Ort der Geräusche:

- von ständigem Regen, der auf die Dächer prasselte

- von Ratten, die nachts über die Menschen kletterten.

Es war ein Ort der Gerüche:

- von Latrinen und Schlamm vom Regen.

Es war ein Ort, an dem alles grau war:

- die Wände

- der Himmel.

Selbst der Morast war grau. Wie die Gesichter der Menschen.

Man fühlte ständig Angst im Magen.

Aber sie füllte wenigstens die Leere vom Hungern.

Man spürte auch die Kälte. Man schlief im Mantel.

Der Nachtwind machte ihn steif wie ein Laken aus Stein.

Ich erkrankte im Lager an Dyphterie.

Man brachte mich in die Krankenbaracke. Im Bett rechts

neben mir lag eine Filmschauspielerin.

Vielleicht träumte sie davon, in den Westen zu fahren.

Aber ich fürchte, man brachte sie in den Osten.

Im Bett links von mir lag Liesl Kling - ein kleines Mädchen.

Sie schenkte mir ein Foto von sich, als es uns wieder besser

ging, und ich gab ihr einen Kuss.

Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist, aber ich habe

immer noch ihr Foto.

Und ein Bild im Kopf.

Eine Schauspielerin - der Sohn eines Geschäftsmannes -

ein kleines Mädchen von nirgendwo...

Man sieht: es wurde geerntet.

Sie sammelten uns alle ein.

Es spielte keine Rolle, wer man war. Wir hatten alle eines

gemeinsam: wir waren, was sie suchten.

Jetzt ist wieder Erntezeit – nun sind wir gekommen, sie

einzusammeln – in unserem Gedenken.

Im Judentum werden die Toten in ein Leichentuch gehüllt

und schnell begraben.

Wir bahren sie nicht auf und schauen sie nicht an.

Wir wollen die Toten als Lebende in Erinnerung behalten.

So gedenken wir ihrer heute in dieser schönen deutschen

Landschaft. Wie sie Deutschland liebten!

Wie sehr sie wünschten, wieder zuhause zu sein in ihren

Betten!

Wir sammeln sie heute ein mit all den Toten und denen,

die Pogromen und Folter zum Opfer fielen.

Wir können sie nicht zurückholen.

Aber wir können dem, was geschah, einen Sinn geben,

wenn wir uns darin einig sind, dass so etwas nie wieder

geschehen darf!

VORWORT

Offenburg,22.Oktober1940:Frühmorgenserscheinenan diesem Dienstag Gestapobeamte in den Wohnungen der jüdischenBürger.Sieeröffnendiesen,dasssiesichbinneneinerStundeaufeineFahrtmitunbekanntemZielvorzu- bereiten haben. Nur ein Handkoffer und etwas Geld dürfen mitgenommen werden.

DieEreignissedes22.und23.Oktober,zeitgleichinBadenund der Saarpfalz, markieren einen weiteren Schritt im 1933begonnenenVerfallderpolitischenKulturinDeutschlandunter den Nationalsozialisten. Ungehindert, wie schon bei der„Reichskristallnacht“,wirdeinTeilderBevölkerung fürrechtloserklärtundihmdieHeimatgenommen.WenigspäterwirdmanihmauchnochdasRechtaufLeben aberkennen und einen gigantischen Apparat zu seiner plan-mäßigenindustriellenVernichtungorganisieren.DerindenNS-Schriften und Reden angekündigte Massenmord beginntmitderDeportationvomOktober1940konkreteFormen anzunehmen.

DieseMATERIALIENmöchtenindenSchulenwieinderJugend- und Erwachsenenbildung die historischen Fakten und VorgängeinErinnerungunddasGedenkenandieOpferwach halten. Diese Geschichte ist jungen Menschen heute oftmalsfernundkaummehrbegreiflich.AberdieVerantwor-tung dafür und die Konsequenzen daraus bleiben. Es geht daher auch um die Bedeutung für die gesellschaftliche Situati-on in der Gegenwart, um das Einschreiten gegen Rassismus und Antisemitismus, den toleranten Umgang mit Minderheiten, das Eintreten für die Rechte Anderer, politische und soziale WachsamkeitundMutzurZivilcourage.

Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg danktderAutorin,FrauDiplom-PolitologinKatjaLimbächer, diedieseMATERIALIENnachderAusgabevon2000/2005nununterdemTitel„Ichweißnicht,obwirnochmalsschrei-benkönnen.“ineinerneuenKonzeptionvorgelegthat.

Wirdankenauchallen,diedurchwichtigeVor-undZuarbeitenwieauchdurchdieÜberlassungvonBildern,Dokumenten und Texten mit dazu beigetragen haben, namentlich dem Stadt- archivKarlsruhe,demLandesmedienzentrumBaden-Württem-bergundderLandesarbeitsgemeinschaftderGedenkstättenundGedenkstätteninitiativenBaden-Württemberg.

Stuttgart,imOktober2010

Lothar Frick Konrad Pflug Direktor FachbereichGedenkstättenarbeit

DenkmalvonDaniCaravanFoto:StadtarchivKarlsruhe

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