(Materialmappe Flüchtling Final) - Theater Münster...2013/14 wird mit FOOTLOOSE erstmalig ein...
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Flüchtling
Deutschsprachige Erstaufführung Ein Projekt des TheaterJugendOrchesters (TJO)
Oper für Kinder, Jugendliche und Erwachsene von 9 bis 99 von Lucio Gregoretti (Musik) und Daniel Goldenberg (Libretto)
Deutsche Übersetzung von Francesco Peri Dialogfassung für die Neuinszenierung: Jakob Matthias Seidl Eine Kooperation mit der Westfälischen Schule für Musik
ab 9 Jahren / ab 4. Klasse
Materialmappe 2012/13
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1. Einleitung Seit dem Jahr 2000 wird am Theater Münster einmal im Jahr eine Musiktheaterpro-
duktion mit jungen Laien umgesetzt. Zu der Zeit war das TheaterJugendOrchester
(TJO) bundesweit das erste seiner Art – seitdem hat das Prinzip Eingang in Vermitt-
lungsprojekte vieler öffentlicher Theater gefunden.
Im Orchester spielen bei der diesjährigen Produktion FLÜCHTLING 50 Kinder, Jugend-
liche und junge Erwachsene ein Instrument, auf der Bühne stehen 25 Kinder und Ju-
gendliche und singen im Chor oder als Solistin mit, einige von ihnen haben dazu
noch Sprechrollen. Ebenso sind zwei Ensemblemitglieder und ein Chorsänger vom
Musiktheater beteiligt und am Dirigentenpult ist der zweite Kapellmeister zu finden.
Seit einigen Jahren ist die Zielgruppe der TJO-Inszenierungen nicht mehr ein erwach-
senes Publikum, sondern die Projekte werden für jüngere Zuhörer entwickelt. So
empfehlen wir FLÜCHTLING in diesem Jahr für alle ab 9 Jahren.
Vielleicht haben Sie Lust, sich mit Ihren Dritt- oder Viertklässlern oder auch mit der
Unterstufe Ihrer weiterführenden Schule eine unserer Vorstellungen anzuschauen?
Die musikalischen Themen der Figuren oder Handlungsstränge sind für ein junges
Publikum leicht rauszuhören, die Thematik ist nicht geschönt und dennoch für Kin-
der nicht zu hart und die Problemlösungen im Stück sind aufgrund von Vorschlägen,
der bei der Uraufführungen beteiligten Kinder entstanden.
Wie immer versuchen wir, mit dieser kleinen Materialsammlung, Ihnen Ideen für die
Vor- und Nachbereitung eines Vorstellungsbesuchs bei uns zu geben. Nutzen Sie Tei-
le, ändern Sie nach Belieben oder arbeiten Sie alles Material mit Ihren Schülerinnen
und Schülern durch – wenn es das Interesse und Verständnis für die Kunstform The-
ater steigert, dann ist es richtig.
Mit schönen Grüßen aus Ihrem Theater,
POST: Junges Theater Münster
Neubrückenstraße 63
48143 Münster
EMAIL: [email protected]
TELEFON: 0251-5909211
BESUCHE: Junges Theater Münster
Am Bült 2 / 1. OG
48143 Münster
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2. Flüchtling Junges Theater Münster Premiere: 13. April 2013, 18 Uhr, im Kleinen Haus Musikalische Leitung Thorsten Schmid-Kapfenburg Inszenierung Jakob Matthias Seidl Bühnenbild & Kostüme Kerstin Bayer Leitung & Einstudierung des Kinderchores & der Kindersolisten Rita Stork-Herbst Dramaturgie Anne Verena Freybott / Jens Ponath Szenenfotos Jochen Quast
Juliette Larissa Neudert Maxime Christian-Kai Sander Direktor/Beamter Juan-Fernando Gutiérrez Noémie Vanessa David/Johanne Pfeiffer Djamila Marie-Luise Reuther/Naomi Schicht Camille Greta Marie Hamidi/Lousia Roddey Hannah Vera Lorenz Sebastian Til Ormeloh Referendarin Lucia Regenbrecht
Polizisten Regine Schneider, Momo Fernholz, Meike Grüter Dirndl-Mädchen Merit Dirkman , Juliane Joch, Hannah Köchling, Raja Lücke Juliette als junge Frau Annette Walbaum
Chor: Schülerinnen und Schüler der Westfälischen Schule für Musik Linda Babel, Lina Bahne, Lea Bartels, Vanessa David, Merit Dirkman, Sarah Dittmar, Momo Fern-
holz, Meike Grüter, Greta Marie Hamidi, Inga Hopp, Camilla Karnau, Juliane Joch,
Hannah Köchling, Vera Lorenz, Raja Lücke, Til Ormeloh, Johanne Pfeiffer, Lucia Re-
genbrecht, Marie-Luise Reuther, Marie-Livia Ring, Louisa Roddey, Naomi Schicht, An-
tonia Schumacher, Charlotte, Schumacher, Mia Willenborg
VIOLINE I: Johanna Bülter, Isabel Humm, Franziska Brinkmann, Eva Potthoff, Katha-rina Bautz, Philipp Fürst, Sophia Rentsch VIOLINE II: Laureen Chajka, Charlotte von Schmeling, Katharina Isaak, Leona Wahnschaffe, Inga Beccard, Timo Veenhuijzen,
Friederike Rosenbaum VIOLA: Demian Agne, Emilja Welker, Katrin Bölling, Luisa Fi-scher VIOLONCELLO: Clara Löns, Sebastian Pietsch, Elke Dörr, Maike Meßmann, Xanthe Veenhuijzen, Maximilian Brinkmann KONTRABASS: Daniel Gruber, Katharina Borlinghaus FLÖTE / PICCOLOFLÖTE: Anna Sennekamp, Janina Klasen, Lea Höing OBOE: Franziska Franke, Sonja Tummel, Kilian Debus KLARINETTE: Ronja Tenhaven,
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Keno Hellwig, Jonas Bünning SAXOPHON: Milena Hölscher, Helen Bönninghausen, FAGOTT: Malte Busch, Helen Marie Schulze, Patrick Becker; TROMPETE: Jonathan Debus, Laurenz Weining, Tim Löhrs, Philipp Seidel POSAUNE: Nora Terhaar, Jost Weining, Enno Schieferecke SCHLAGZEUG: Felix Feßke, Paul Potthoff KLAVIER: Jan Niklas Niehaus
Aufführungsdauer: ca. 85 Minuten
Aufführungsrechte: Alkor Verlag, Kassel Gefördert durch das
Das Stück
Juliette hat als Kind viel von Deutschland gehört. Dem Land, in dem die Menschen so
viel haben, dass sie mit jedem teilen und jeden dazu einladen, zu bleiben. Juliette ist
nun schon länger in Deutschland, aber von einem herzlichen Willkommen hat sie
nichts zu spüren gekriegt. Als politischer Flüchtling ins Land gekommen, ist sie ledig-
lich geduldet. Eines Tages erzählt ihr ihre Tochter Noémie von dem syrischen Flücht-
lingsmädchen Djamila, das Noémies Freunde versteckt haben, um ihre sofortige Ab-
schiebung zu verhindern…
Das Stück entstand 2009 in Frankreich nach konkreten Erfahrungen im Umgang mit
Flüchtlingen und Asylsuchenden. Lucio Gregoretti, der Komponist, und Daniel Gol-
denberg, der Librettist, entwickelten es im Spiel mit Kindern. Die Uraufführung fand
am Teatro dell’Opera di Roma statt. Für die deutschsprachige Erstaufführung wurde
die spezifische französische Problematik im Stück der deutschen Realität angepasst.
Der Komponist
Lucio Gregoretti wurde 1961 in Rom geboren. Er studierte am Konservatorium S. Ce-
cilia bei Mauro Bortolotti. Außerdem besuchte er Kurse und Seminare bei Sylvano
Bussotti und Ennio Morricone. Sein Werk umfasst Opern und symphonische Musik
ebenso wie Kammer- und Filmmusik. Er hat Aufenthaltsstipendien von verschiede-
nen Institutionen erhalten, darunter z.B. das Instituto Sacatar (2006), The MacDowell
Colony (2005 + 06), Künstlerhäuser Worpswede (2005), Stiftung Künstlerdorf Schöp-
pingen (2002–2003). Seit 1983 hat er für verschiedene Filme den Soundtrack kom-
poniert, u.a. für Filme von Henryk Baranowski, John Crowther, Marco Mattolini, Gigi
Proietti, Claudio Remondi, Riccardo Caporossi und Lina Wertmüller. Lucio Gregoretti
lebt in Rom und in Berlin.
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“Flüchtling” entstand in Frankreich, nach konkreten Erfahrungen im Umgang mit
Flüchtlingen und Asylsuchenden. Lucio Gregoretti und der Librettist Daniel Golden-
berg entwickelten es im Spiel mit Kindern. Die Uraufführung fand 2009 am Teatro
dell`Opera di Roma statt.
Der Librettist
Daniel Goldenberg wurde 1931 in Paris geboren. Er ist Schriftsteller und Drehbuchau-
tor und begann seine Karriere als Schauspieler, ausgebildet am Centre d’Art Drama-
tique Paris. Zu seinem vielfältigen Werk zählen die Romane LE TRIPORTEUR DE
BELLEVILLE (1986) und LE GRAND ROLE (1999; verfilmt 2004), LE JUIF DE LA
RÉVOLUTION (2009), JOHN LEMSKY (2002). Für Filmproduktionen adaptierte er Ro-
mane, u. a. von Gisèle Prassinos, LE RETOUR, über die Heimkehr eines Soldaten aus
dem Algerienkrieg (1959). Daniel Goldenberg arbeitete auch als Filmregisseur, u. a.
bei dem Spielfilm LE PORTRAIT DE MARIANNE (1970). Das Drehbuch dazu schrieb er
gemeinsam mit Edgar de Bresson. Im September 2013 erscheint bei „éditions Eolien-
nes“ sein neuer Roman LE TOBOGGAN.
Der Regisseur
Jakob Matthias Seidl studierte in München Theaterwissenschaft, Pädagogik und Psy-
chologie. Parallel führten ihn zahlreiche Hospitanzen und Assistenzen u.a. an das
Theater Regensburg, das Staatstheater am Gärtnerplatz und die Bayerische Staats-
oper. Daneben erarbeitete Jakob Seidl zahlreiche eigene Inszenierungen mit Kinder-
und Jugendchören in Amberg, Memmingen und Regensburg. Seit 2012 ist er als Re-
gieassistent und Abendspielleiter am Theater Münster tätig. In der Spielzeit 2013/14
inszeniert er gemeinsam mit Anne Verena Freybott das Musical FOOTLOOSE als
nächstes TJO-Projekt.
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3. Eine Email des Librettisten Daniel Goldenberg
Little word from the writer…
To write an opera against racism helps a great deal to have been a jewish boy during
the war and to have lived unspeakable hard times. Fortunately, there were courage-
ous people to save the persecuted. My family has been saved. Not entirely.
It helps also to remember what Brecht wrote at the end of Arturo Ui « the womb
of the beast is still fertile » . Everyone should fight for justice with his owns means.
Mine is a pen, yours music, theater, what not…
So I have choosen to write and tell but I have always thought that the best way is by
the means of humour which is a great part of my culture. With humour you can
almost say everything. Remember the dialogue in Lubitsch « To be or to be » when
the SS says about the actor playing Hamlet » He’s doing to Shakespeare what we’ve
done to Poland. »
When people laughs they are not far away of crying next… The young singers of our
opera have understood this right away.
Vive l’Opera ! Vive Münster !
Daniel Goldenberg, Paris, 10. April 2013
Ein paar Worte vom Schreiber ...
Um eine Oper gegen Rassismus zu schreiben ist es sehr hilfreich, im zweiten Welt-
krieg als jüdischer Junge unbeschreiblich harte Zeiten überlebt zu haben. Zum Glück
gab es mutige Menschen, die Verfolgte retteten – so wurde auch meine Familie ge-
rettet. Allerdings nicht komplett.
Es ist auch hilfreich, sich daran zu erinnern, was Brecht am Ende von ARTURO UI
schrieb: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Ein jeder sollte mit den
eigenen Mitteln für Gerechtigkeit kämpfen. Meins ist der Bleistift, eures die Musik,
das Theater, und alles andere …
Ich habe mich entschlossen, zu schreiben und zu erzählen und zwar am besten mit
Humor, der auch ein wichtiger Bestandteil meiner Kultur ist. Mit Humor kann man
fast alles sagen. Erinnert euch an den Dialog in Lubitschs SEIN ODER NICHT SEIN,
wenn die SS über einen Hamlet spielenden Schauspieler sagt: „Er macht das mit
Shakespeare, was wir mit Polen gemacht haben.“
Wenn Menschen lachen sind sie nicht weit entfernt davon, als nächstes zu weinen…
Die jungen Sängerinnen und Sänger unserer Oper haben das sofort verstanden.
Es lebe die Oper! Es lebe Münster!
Übersetzung: Anne Verena Freybott
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4. Das TheaterJugendOrchester (TJO)
Seit dem Jahr 2000 bietet das TheaterJugendOrchester (TJO) jungen Musikerinnen
und Musikern die Chance, unter professionellen Bedingungen an der Erarbeitung ei-
ner Musiktheaterproduktion am Theater Münster teilzunehmen. Unter der Leitung
von Dirk Kaftan entstand das Konzept, das jungen Musikerinnen und Musikern realis-
tischen Einblick in den Alltag eines Profimusikers vermittelt. Das TJO in Münster war
das bundesweit erste und ist seither mehrfach kopiert worden, z.B. von Theatern in
Kassel und Gelsenkirchen. Die bisherigen Produktionen waren Operetten, Kinder-
opern und Einakter-Opern.
2013/14 wird mit FOOTLOOSE erstmalig ein Musical auf die Bühne gebracht. Die of-
fenen Castings dafür beginnen bereits im September 2013!
5. Diskussionsvorschläge 1. Macht euch Gedanken über die Problematik „Abschiebung“. Bezieht Stellung dazu,
dass seit Jahren in Deutschland lebende Menschen einfach wieder in ihr Heimatland
abgeschoben werden können, obwohl sie zum Teil sogar hier geboren wurden. Disku-
tiert in der Klasse.
2. Diskutiert, ob im Ausland erworbene Bildungsabschlüsse, zum Beispiel die Leh-
rerausbildung, in einem anderen Land, in das man auswandert anerkannt werden
sollten, oder nicht.
3. Als Einwanderer genießt man zwar das Recht in einem anderen Land zu leben,
doch steht Familie Jahirovic vor dem Problem, sich nicht weiter als 50 Kilometer von
ihrem Wohnsitz zu entfernen. Ein Urlaub ist für die Familie unmöglich. Diskutiert, ob
man einen Menschen in seiner Freiheit so einschränken kann, dass er gezwungen ist
ein bestimmtes Terrain nicht zu verlassen und welche möglichen Probleme entste-
hen können.
4. Angenommen es bricht Krieg aus. Deutschland wird bombardiert und belagert.
Viele Einwanderer, die schon so lange in Deutschland gelebt haben, dass sie sich in
ihrer Lebensart und ihrem Habitus nicht von „Bio-Deutschen“ unterscheiden, schla-
gen sich plötzlich auf die Seite des Feindes. Nationalität wird im Kriegszustand zu
einer Definition von Freund und Feind.
Diskutiert, wie man die Einwanderer so integrieren kann, dass in solch einem Falle
das Wohl des „ neuen Landes“ den Menschen mehr am Herzen liegt und sie an die-
sem „neuen Land“ festhalten.
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6. Spielideen 1. Teilen Sie Ihre Klasse in Sechsergruppen ein. Die Gruppen sollten ohne Einsicht der
anderen arbeiten. In jeder Gruppe gibt es einen Flüchtling, jemand der ihn versteckt
und vier Polizisten, die den Flüchtling verhaften wollen. Die Gruppen sollen sich je
eine Szene überlegen, in der der Flüchtling von der Polizei verfolgt wird und von je-
mandem versteckt / gerettet wird. Was gibt es für unterschiedliche Darstellungs-
möglichkeiten für diesen Inhalt? Realistisch, abstrahiert, als Schattenspiel, mit Spra-
che, ohne Sprache, gesungen, wie eine Seifenoper erzählt, wie ein Comic mit Zwi-
schenbildern, usw? Anschließend spielen sich die Gruppen ihre Szenen vor und wer-
ten das Gesehen aus. Wie stellt man Angst glaubhaft dar?
2. In unserer Oper gibt es eine Szene, in der Noémie als Streberin ausgelacht wird,
ihre Schulsachen werden ihr weggenommen und ihre Mitschüler versuchen ihr Angst
zu machen.
Teilen Sie Ihre Klasse in zwei Gruppen auf, die sich gegenüber stehen. Die Gruppe
rufen sich Schimpfwörter zu. Z.B. beginnt jemand aus Gruppe 1 und ruft „Streber“!
Daraufhin rufen alle aus Gruppe 2 „Selber Streber“! Sofort danach ruft jemand aus
Gruppe 2 „Muttersöhnchen!“ Daraufhin schreit die gesamte Gruppe 1 „Selber Mutter-
söhnchen“! Und immer so weiter …
Achten Sie auf Körperhaltungen, Lautstärke, gerichtetes Schreien.
3. Der Beamte in unserer Oper wird als Klischeeversion eines deutschen Beamten
dargestellt. Er hält sich an seinen Gesetzen, Nummern und Vorschriften fest. Den-
noch hat er einen Makel, durch den seine Figur einen spannenden Bruch bekommt:
Er spricht Deutsch mit einem deutlichen Akzent.
Sammeln Sie mit Ihren Schülerinnen und Schülern zunächst Berufe und schreiben Sie
diese an die Tafel. Je mehr desto besser. Dann soll sich jeder einen Beruf aussuchen
sowie einen Weg, diesen Beruf so überdeutlich darzustellen wie irgend möglich. Ty-
pische Handbewegungen, wie geht die Figur, wie spricht sie, Körperlichkeit allge-
mein, Freunde, Feinde, Krise, mögliche Lösung der Krise. Außerdem soll sich jeder
einen Makel überlegen, den die Figur hat.
Anschließend stellt jeder seine Figur erstmal ohne Makel vor und die anderen erra-
ten den Beruf. Schließlich das Gleiche noch einmal mit Makel. Was verändert der
Makel für den Zuschauer? Ist mir die Figur sympathischer? Ist sie glaubwürdiger?
4. In der Ouvertüre wird von den märchenhaften Vorstellungen erzählt, die Juliette
von Deutschland hatte – und die dann bitterlich enttäuscht wurden. Besprechen Sie
mit Ihren Schülerinnen und Schülern, ob sie solch tiefgehende Enttäuschungen er-
lebt haben. Wie lassen sich sowohl die Vorstellung als auch die enttäuschende Reali-
tät dieser Erlebnisse in Szenen darstellen?
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7. Textauszug Benutzen Sie unseren Textauszug, um von Ihren Schülerinnen und Schülern eine
Szene aus dem Stück nachspielen zu lassen. Sie können die Figuren mit eigenem Le-
ben anfüllen und die Szene anders spielen als in unserer Inszenierung – oder auch
das Gesehene versuchen nachzuspielen. Es handelt sich um eine Kernszene im Stück,
in der die Kinder darüber reden, wie sie Djamila helfen können.
>>> Variation: Lassen Sie Ihre Klasse eine Szene zum gleichen Thema improvisieren.
Sie brauchen einen Flüchtling, zwei Coole mit wilden Ideen, eine Mutige und eine, die
verantwortungsbewusst handelt. Es ist egal, ob Jungs oder Mädchen die Rollen be-
setzen.
(Hinterhof der Familie Jahirovic)
Noémie Hallo, Camille, Djamila, wo seid ihr? Seid ihr wieder hinter der Mülltonne? Camille Buh! Noémie Mann!! Camille!! Wo ist Djamila? Djamila Ich bin hier. Noémie Kommt, ich hab euch was zum Essen mitgebracht. Camille Wie war‘s in der Schule? Hat mich irgendwer vermisst? Noémie Nein, es ist keinem aufgefallen, dass du nicht da warst. Camille Gut. So einen Verweis kurz vor den Ferien kann ich nämlich gar nicht brau-chen. Mein Vater würde mich sonst umbringen – Hausarrest.
Noémie Dein Vater doch nicht. Der würde dir doch eher gratulieren, zur mutigen Tat, ein unschuldiges Kind gerettet zu haben.
Camille Wo sind eigentlich Hannah und Sebastian. Noémie Ach die, die könnt ich grad... Sebastian Hey Leute, wir sind da! Noémie Was sollte das eigentlich heute morgen. Warum habt ihr da mit gemacht? Hannah Was, mitgemacht, wobei? Noémie Jetzt tut nicht so scheinheilig. Als mich die anderen aus der Klasse geär-gert haben, habt ihr einfach mitgemacht. Indianerspielen und so, klingelt‘s endlich?
Sebastian Ach so. Das war doch nur Spaß. Noémie Spaß?!? Camille Hey, könnt ihr euch vielleicht später streiten. Lasst uns endlich überlegen, wie wir Djamila helfen wollen.
Djamila Ihr müsst mir nicht helfen. Ihr bringt euch nur selbst in Gefahr. Camille Blödsinn, natürlich helfen wir dir. Sebastian Genau! Ich hab ne Idee. Wir gehen selbst zur Polizei und sagen denen, wir hätten ein Mädchen gesehen, dass sich in einem der LKW auf dem Weg zum Hafen
versteckt hat.
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Hannah Au ja, wir legen eine falsche Spur. Sebastian Bis die den ganzen Hafen durchsucht haben, bringen wir Djamila irgend-wo in ein sicheres Versteck.
Noémie Die werden aber nicht aufhören, nach ihr zu suchen. Wir brauchen ne ande-re Lösung, eine mit der du normal bleiben kannst.
Camille Genau, lasst uns eine riesige Demo veranstalten. Wenn die ganze Schule auf die Straße geht und für das Bleiberecht von dir demonstriert, dann müssen die
Politiker doch zustimmen.
Sebastian Als ob die auf einen Haufen Kinder hören. Noémie Dann müssen wir halt die Erwachsenen mit dazu holen. Die können dann auch Protestbriefe schreiben und so.
(aus Lucio Gregoretti: FLÜCHTLING, in der Fassung von Jakob Matthias Seidl, für das Theater Münster)
8. Noten
Lassen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler eines der Lieder aus unsere Oper
FLÜCHTLING nachsingen. „Auf in die Ferien“ ist eines der zentralen Musikstücke in
der Oper, da der Chor und Solisten singen, Sprech- und Gesangteile sich abwechseln
und natürlich eine der großen Problematiken des Stückes dort verhandelt wird: No-
émie, die von ihren Klassenkameraden als Streberin bezeichnet wird, freut sich nicht
wie die anderen auf Sonne, Strand und Ferien – da sie und ihre Mutter, die als
Flüchtling aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen ist, sich nicht weiter als 50
Kilometer von ihrem Wohnort entfernen dürfen und folglich nicht zum Urlaub ans
Meer fahren können
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9. Filme, Bücher, Theaterstücke, Zeitungsberichte, Links Je nach Alter der Schülerinnen und Schüler, mit denen Sie unsere Inszenierung angu-
cken wollen, gibt es weitreichendes Material zum Flüchtlingsthema, das Sie zusätz-
lich mit in den Unterricht bringen können. Hier eine kleine Auswahl.
Filme Dokumentation über die Hamburger Ausländerbehörde
„Abschiebung im Morgengrauen“
http://www.youtube.com/watch?v=sj20-D5rYcM
NDR Reportage, Michael Richter, 2006
Spieldokumentarfilm, 2010
„Neukölln Unlimited“
Die Filmemacher Agostino Imondi und Dietmar Ratsch begleiten mit der Ka-
mera die Geschwister Hassan, Lial und Maradona durch den Berliner Stadtteil
Neukölln. (Die Erinnerungsebene Libanon ist zum Teil in animierten Bildern
umgesetzt.) >>> SEHR ZU EMPFEHLEN FÜR JUGENDLICHE AB 14 !!!
„Almanya“
Yasemin und Nesrin Şamdereli
Komödie über Deutsch-Türken, Werteverschiebung über die Generationen etc.
>>> Mehr Integration als Flüchtlings- / Abschiebungsthema, aber sehr lustig!!!
Bücher Renate Welsh
„… und raus bist du“
Innsbruck: Obelisk, 2008.
Erzählungen; Ab 12 Jahre.
>>> Renate Welsh erzählt am Beispiel der Geschwister Pino und Esad und ihrer
Mutter von Menschen, die aus einem vom Krieg zerstörten Land kommen, um
bei uns Zuflucht zu finden.
>>> AUSZUG: „Er war vierzehn, als sein Vater erschossen wurde. Eine Kugel
streifte Wahids Kinn, die Narbe trägt er noch heute. Auch seine Mutter wurde
verletzt und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Schon mit zwölf Jahren
konnte ein Jugendlicher Zielscheibe eines Rachefeldzugs werden. Also war
Wahid im Gegensatz zu seien sechs und acht Jahre alten Brüdern in Gefahr.
Die Familie verkaufte ein Grundstück, um seine Flucht nach Europa finanzieren
zu können. Ein Cousin seines Vaters, der ebenfalls auf der Todesliste stand,
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fuhr mit Wahid nach Moskau, für den Rest der Flucht mussten sie sich einem
Schlepper anvertrauen.
Drei Tage und drei Nächte gingen sie zu Fuß, abseits der großen Straßen,
durch Wälder, über Berge. Sie hatten nichts zu essen und nichts zu trinken.
Wahid fiel in Ohnmacht, der Cousin trug ihn auf den Schultern, bis er selbst
zusammenbrach. Erst nach zwölf Stunden kam Wahid wieder zu sich. Sie
mussten zwei Tage im Haus des Schleppers rasten, ehe sie weitergehen konn-
ten. Unter den Flüchtlingen war eine Frau mit einem Siebenjährigen an der
Hand und mit einem sechs Monate alten Säugling. Die Milch der Mutter ver-
siegte, das Baby begann zu weinen. Sei still, fauchte der Schlepper. Das Baby
schrie und zappelte, da riss es der Schlepper von der Brust der Mutter und
warf es in den Fluss. Am nächsten Morgen sahen die Flüchtlinge das tote Baby
auf dem Wasser treiben. Wahid weinte.“
Suzanne Fisher Staples
„Die Sterne über Peschawar“
München : Dt. Taschenbuch-Verl., 2006
ROMAN; Ab 13 Jahre.
>>> Das Mädchen Nadschmah lebt im Norden Afghanistans. Im Oktober 2001
kommen die gefürchteten Taliban, nehmen Vater und Bruder mit. Wenige Ta-
ge später treffen amerikanische Bomben das Dorf, die Mutter und das Baby
sterben. Nadschmah bleibt nur die gefährliche Flucht nach Pakistan.
Frank Cottrell Boyce
„Der unvergessene Mantel“
Hamburg: Carlsen, 2012
ROMAN; 10-12 Jahre.
Als 2 mongolische Jungen an Julies Schule aufgenommen werden, ist sie faszi-
niert und begierig auf deren fremde Kultur. Die entstehende Freundschaft
wird jedoch durch die Ausweisung der Familie jäh beendet.
Vivien Urbach
„Klein und allein“
München: Grin Verlag, 2010.
>>> Eine kritische Darstellung der Lebensrealität unbegleiteter minderjähriger
Flüchtlinge in Deutschland vor dem Hintergrund international anerkannter
Standards und Rechte für Kinder.
>>> Fluchtursachen, Rechtslage, Asylverfahren, Definitionen
>>> hilfreich um die Hintergründe der Problematik zu verstehen
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Claudia von Trotha
„Bei uns verbleibt jeder in seinem Iglu“
Frankfurt: IKO, Verlag für interkulturelle Kommunikation, 2001.
REPORTAGE:
>>> Asylhelfer aus unterschiedlichen Personenkreisen (Sozialarbeiter, Anwälte,
Lehrer, Hausmeister u.ä.) berichten von ihrer Arbeit, von Erlebnissen und Ein-
zelfällen, von Frustrationen, kleinen Erfolgen und menschlichen Schicksalen.
Deutschland, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
„Das Bundesamt in Zahlen 2010: Asyl, Migration, ausländische Bevölkerung und
Integration“
Nürnberg : Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2011
STATISTIK
>>> Neben einer detaillierten Darstellung und Analyse der Asylantragszahlen
und -entscheidungen beinhaltet die Broschüre Informationen über die Zu- und
Abwanderung im Jahr 2010, insbesondere zu den Zwecken und der Dauer des
Aufenthalts. Daneben stehen die Integrationskurse des Bundes im Vorder-
grund, hier Informationen zur Teilnahme und zum Erfolg der Kursteilnehmer,
zum Aufbau wie zur Zahl der Kursträger und der Lehrkräfte.
Janne Teller
„KRIEG. Stell dir vor er wäre hier.“
München: Hanser, 2011.
http://www.janne-teller-krieg.de/
>>> auch als Homepage sehr spannend für Jugendliche ab 14
>>> Stell dir vor, es ist Krieg - nicht irgendwo weit weg, sondern hier in Euro-
pa. Die demokratische Politik ist gescheitert und faschistische Diktaturen ha-
ben die Macht übernommen. Wer kann, flieht in den Nahen Osten, wie der 14-
jährige Protagonist aus Deutschland. In einem ägyptischen Flüchtlingslager
versucht er mit seiner Familie ein neues Leben zu beginnen. Weil er keine Auf-
enthaltsgenehmigung hat, kann er nicht zur Schule gehen, kein Arabisch ler-
nen, keine Arbeit finden. Er fühlt sich als Außenseiter und sehnt sich nach
Hause. Doch wo ist das?
>>> AUSZUG: „Du hast dein Tagebuch mitgenommen. Das soll dich daran erin-
nern, dass es ein Leben vor dem Krieg gab: Damals waren die Deutschen ein
bunt gemischtes Volk, Menschen, die unterschiedliche Ansichten zu allem ha-
ben durften. Damals bist du freitags zur Technoparty der Franzosen gegangen,
samstags zu einem englischen Rockkonzert, und sonntags warst du mit deinen
italienischen Rollerblades unterwegs, bis du das Wochen-ende todmüde beim
nächstgelegenen McDonald`s mit einem Big Mac und einer Coke beendet hast.
Du hast sein Nokia aus der Tasche geholt, um zu vergleichen, ob es leich-ter
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ist als das Eriksson, Samsung oder Motorola deiner Freunde; dabei hast du
deinem griechischen Schulfreund harmlose Witze über Griechen erzählt. Das
ist so unendlich weit weg, als wäre es nie so gewesen. Obwohl es noch vor drei
Jahren so war. Daran willst du dich unbedingt erinnern.“
Theaterstücke
FAKTOR LIEBE
Elisabeth Vera Rathenböck
Thomas Sessler Verlag
>>> Kann man Schillers Kabale und Liebe in die heutige Zeit versetzen? Die
Liebesgeschichte von Luise und Marko, einem bosnischen Kriegsflüchtling.
Nicht die Kluft zwischen Bügertum und Adel bestimmt das Drama, sondern die
radikale Abschiebung eines Ausländers, der von einer wohlstandsorientierten
Gesellschaft seiner Grenzen verwiesen wird.
BILAL - Leben und Sterben als Illegaler
nach der Reportage von Fabrizio Gatti
2012, Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH
>>> Fabrizio Gatti ist vom Senegal über Mali nach Niger „gereist“. Seit die EU-
Länder fast keine Asylsuchenden mehr aufnehmen, ist diese Route zur wich-
tigsten Verbindung nach Europa geworden – ein Millionengeschäft für moder-
ne Menschenhändler und Einnahmequelle für Räuber, die die vorbeiziehenden
Flüchtlinge überfallen. Als der Flüchtlingsstrom die libysche Grenze über-
schreitet, geht Gatti einen Schritt weiter: Er verwandelt sich in den Flüchtling
Bilal und erlebt jetzt „von innen“, was es bedeutet, schutzlos zu sein.
ARABBOY – Nicole Oder; nach dem Roman von Güner Balci
2009, S. Fischer Verlag
>>> Was Christiane F. in der 80er Jahren war, ist die Geschichte von Rashid A.
heute. Rashid, Sohn einer libanesisch-palästinensischen Familie, ist weder
Deutscher noch Libanese oder Palästinenser, er ist ein , so nennt er
sich in den einschlägigen Chaträumen, die er und seine Kumpel mit selbstge-
machten Gewalt-Clips versorgen. Sie gehorchen dem Gesetz der Straße, auf
der sich jeder sein Recht nehmen muss. Wer das nicht kann, wird zum "Opfer" -
er ist dem Lebenskampf nicht gewachsen. Mit Hilfe von Aabid, der es vom
Flüchtlingsjungen zum Mega-Checker im Rotlichtmilieu gebracht hat, macht
Rashid kriminelle Karriere, bis er durch seine Drogensucht die Kontrolle über
sein Leben verliert. Ihn rettet seine Verhaftung. Im Gefängnis wartet er auf
seine Abschiebung - und Deutschland, das so verhasste Land, wird für ihn zum
Inbegriff aller Sehnsüchte.
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HIER GEBLIEBEN!
Theaterstück für Menschen ab 12
Von Reyna Bruns, Magdalena Grazewicz, Dirk Laucke
>>> Erzählt wird die Geschichte eines Mädchens, das im August 2004 aus dem
Unterricht geholt und zu ihrer Familie in Abschiebehaft gebracht wurde. Dem
Einsatz ihrer Klasse war es zu verdanken, dass die Abschiebung von Tanja und
ihrer Mutter bis heute nicht vollzogen wurde. Die Klasse wurde dafür auch mit
dem Mete-Eksi-Preis ausgezeichnet. Tanjas Geschichte steht exemplarisch für
die Situation von 200.000 sogenannten "Geduldeten" Flüchtlingen in Deutsch-
land.
Zeitungsberichte DIE ZEIT / 22.10.2010 / von Petra Sorge
> Abgeschobene Roma werden im Kosovo allein gelassen <
„Das Gestrüpp hinter dem Haus der Familie Saitovic ist so hoch, dass Sanita
darin fast verschwindet. Nur die fusselige rosafarbene Jogginghose, die schon
zu kurz für die Achtjährige ist, scheint durch die trockenen Gräser. Das Mäd-
chen spielt hier jeden Tag Verstecken.
Doch eigentlich würde es gern etwas ganz anderes tun. Sanita wickelt sich ei-
ne schwarze Haarsträhne um den Finger und sagt leise: "Ich vermisse das
Schreiben." Sie denke oft an die Schule zurück, und an ihre Lehrerin, Frau Filt-
kep. Sanita wäre jetzt eigentlich in der zweiten Klasse. Doch seit einem halben
Jahr hat sie keinen Unterricht mehr besucht, genau wie ihre schulpflichtigen
Schwestern Anita und Raze.
Die achtköpfige Familie wurde im März ins Kosovo abgeschoben. Die Saitovics
gehören der Volksgruppe der Roma an, ihre Sprachen sind Deutsch und Roma-
ni. Die beiden Amtssprachen im Kosovo sind aber Albanisch und Serbisch,
auch in den meisten Schulen. Die drei Mädchen könnten sich also nicht einmal
mit ihren Klassenkameraden unterhalten. (…)
Die Familie Saitovic hat sieben Jahre lang in einem Ausländerheim im nieder-
sächsischen Bramsche gelebt. Die Eltern, Baria Saitovic und Femija Kovaci, wa-
ren während des Kosovokrieges nach Makedonien geflohen und 2003 in die
Bundesrepublik eingereist. Die Asylanträge wurden abgelehnt. Die achtköpfige
Familie erhielt immer wieder Duldungen, mal auf einen, mal auf sechs Monate
befristet.
Am 31. März klopfte die Polizei um fünf Uhr morgens an die Tür, sagt Femija
Kovaci. Er sei vor den Augen seiner fünf Kinder in Handschellen gelegt wor-
den. Die Familie habe eine halbe Stunde Zeit gehabt zu packen, eine Tasche
pro Person. Dann ging es zurück in ein Land, das den sechs Kindern fremd ist.
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Für die Miete der Saitovics kommt noch ein deutsches Rückkehrprojekt auf,
vermutlich bis Jahresende. Ob seine Familie danach, im Winter, noch ein Dach
über dem Kopf hat, weiß Femija Kovaci nicht. Der Familienvater hat keinen
Job, keine Einkünfte. (…)
Das Kosovo fühlt sich jedoch stark genug, um mit den vielen Rückkehrern fer-
tig zu werden: Innenminister Bajram Rexhepi sagt, das Land sei "sehr ent-
schlossen", die Rückkehrer ohne Diskriminierung zu unterstützen. Während der
Minister über die Roma spricht, lehnt er sich in seiner schwarzen Couch zurück
und fährt sich durch die kurzen weißgrauen Haare. Rexhepi verweist auf einen
2008 beschlossenen Aktionsplan, der die Integration von Rückkehrern mit
Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Arbeit und Wohnung för-
dern soll.
Bei der Umsetzung gibt es jedoch alarmierende Defizite, wie die Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im vergangenen Jahr
feststellte. Den meisten Gemeinden liegt nicht einmal eine Kopie des Aktions-
plans vor. Abgeschobene sind meist auf sich allein gestellt. (…)
Rexhepi räumt ein, das Rücknahmeabkommen unterzeichnet zu haben, um
Kosovo außenpolitische Vorteile zu sichern. "Wir müssen unsere Pflichten er-
füllen und können nicht nur Vorteile von diesen Ländern und der EU erwarten,
die uns schon viel geholfen haben. Zudem sind wir in einem Prozess der Visa-
Liberalisierung." Kosovo hofft auf baldige Erleichterungen bei den Reisebe-
stimmungen seiner Bürger – und träumt von einer Zukunft in der Europäi-
schen Union.
Für Sonita Saitovic, Sedat Hasani und ihre Geschwister gibt es diese Zukunft
nicht. Sie dürfen nicht wieder nach Deutschland zurück.“
SPIEGEL ONLINE / 28.03.2012 / nga/dapd
> Kritik an Abschiebungen von Kindern in den Kosovo <
„Das Uno-Kinderhilfswerk hat die Abschiebepraxis in den Kosovo heftig kriti-
siert. Die seelische Gesundheit von Kindern werde bei der Rückführung und
Abschiebung von Flüchtlingen und Migranten nicht ausreichend beachtet, sag-
te Unicef-Vorstand Tom Koenigs bei der Vorstellung der Studie "Stilles Leid"
am Mittwoch in Berlin.
Ein internationales Team aus Psychologen, Ärzten und Sozialwissenschaftlern
hat 164 Jungen und Mädchen sowie 131 Eltern befragt, die 2010 aus Deutsch-
land und Österreich in den Kosovo zurückgebracht wurden.
Rund 6000 Kinder sollten aus Deutschland auf den Balkan abgeschoben wer-
den, obwohl die meisten davon in Deutschland geboren worden seien und zur
Schule gingen. Das bedeute eine Abschiebung ins Abseits, kritisierte der Grü-
nen-Bundestagsabgeordnete Koenigs. Jedes zweite Kind beschrieb seine Rück-
kehr in den Kosovo in der Studie als das schlimmste Erlebnis seines Lebens.
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Rund 44 Prozent aller Jugendlichen haben demnach Depressionen, fast ein
Drittel der Minderjährigen leidet unter posttraumatischen Belastungsstörun-
gen, ein Fünftel empfindet sein Leben als nicht mehr lebenswert. Besonders
schlimm trifft es die, die zwangsweise zurückgeführt wurden."
"Wir wurden zur Rückkehr gezwungen", erzählt ein Mädchen. "Sie kamen
nachts um 1 oder 2 Uhr und klopften an die Tür. Das war die ständige Angst,
die ich immer im Schlaf hatte! Ich wusste nicht, wo ich hingehen werde. Ich
kannte den Ort, an dem ich ankommen würde, nicht. Ich hatte das Wort 'Ko-
sovo' schon gehört, wusste aber nicht, was für ein Ort das war."
Schon vor der Abschiebung waren viele dieser Heranwachsenden und ebenso
deren Eltern bereits schweren Belastungen ausgesetzt - während des Krieges
auf dem Balkan, durch ihr zeitweises Leben in der Illegalität und durch langjäh-
rige Diskriminierung. Nach ihrer Rückkehr in den Kosovo fehle es ihnen an so-
zialer Unterstützung.
Insbesondere die zwangsweise rückgeführten Kinder und Jugendlichen brau-
chen laut Unicef dringend psychiatrische und kinderpsychologische Hilfe. Die-
se steht im Kosovo nicht zur Verfügung.“
Links http://www.ggua.de/
Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender in Münster
http://www.vdijb.de/
Verein zur Förderung deutscher und internationaler Jugendbegegnungen,
Fachkräfteaustausche und Projekte / auch in Münster tätig
http://www.caritas-muenster.de/50195.html
In der Diözese Münster gibt es 14 Flüchtlingsberatungsstellen der Caritas
http://www.muenster.de/stadt/auslaenderangelegenheiten/humanitaere-
gruende.html
Gründe für Asylanträge
http://www.muenster.de/stadt/nutzergruppen/auslaenderinnen.php
Informationsseite für Ausländerinnen und Ausländer in Münster
http://www.unhcr.de/
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen informiert über Flüchtlings-
probleme weltweit. Bestellung von Informations- und Schulmaterialien.
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http://www.refugee.net/
Refugee Republic is a concept based on the ever increasing number of
refugees, displaced persons and migrants.
10. Aktualität in Münster „Als Achtjähriger kam Basken Deli 1999 aus dem Kosovo nach Münster. Inzwischen
ist der 22-Jährige Vater geworden und wohnt mit seiner deutschen Lebensgefährtin
in der Trauttmansdorffstraße 73. Und das ständig in Angst – Angst davor, dass er
aus seiner kleinen Familie gerissen und in seine Heimat abgeschoben wird. Denn der
junge Roma ist nur geduldet, nachdem seine Aufenthaltsgenehmigung nach längerer
Arbeitslosigkeit erloschen ist. Im Kosovo drohten ihm jedoch menschenunwürdige
Lebensbedingungen und Diskriminierung. Außerdem: „Ich kann die serbische Sprache
überhaupt nicht.“
Wie Deli geht es vielen in der restlos belegten Obdachlosenunterkunft in Berg Fidel,
wegen der Mehrzahl ihrer zurzeit 180 Bewohner auch Flüchtlingssiedlung genannt.
Hoffnung, dass sich an Delis Situation und der seiner Mitbetroffenen bald etwas än-
dern könnte, vermochte der Sprecher für Menschenrechte der SPD-Fraktion im Bun-
destag, der münsterische Abgeordnete Christoph Strässer, gestern nicht zu vermit-
teln. Karl-Heinz Winter vom Förderverein „Alte Post – Berg Fidel“ hatte seinen Par-
teikollegen in das von Rainer-Ludwig Daum geleitete Sozialpädagogische Zentrum
der Awo nach Berg Fidel eingeladen, damit er sich vor Ort über die Situation und die
Probleme der Roma-Familien informieren konnte. Persönlich sei er der Ansicht, so
Strässer, „dass es nach einer bestimmten Zeit ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für
solche Flüchtlinge geben sollte, die während dieser Frist nicht straffällig geworden
sind“. Winter wertete den Besuch von Strässer dennoch positiv für die Bemühungen
seines Vereins, nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“, die Abschiebepra-
xis zu ändern: „Für uns ist es wichtig, dass er das Thema in den Bundestag mit-
nimmt.“
Da der Zuzug von Asylbewerbern zunimmt, plant die Stadt bereits neue Übergangs-
unterkünfte in anderen Ortsteilen, notfalls in Containern an vorhandener Infrastruk-
tur. Auf dem freien Wohnungsmarkt seien die Betroffenen praktisch chancenlos,
sagte Winter. Sozialamtsleiterin Dagmar Arnkens-Homann und ihr Mitarbeiter Heinz
Lembeck, die ebenfalls an dem Treffen teilnahmen, berichteten, dass die Siedlung an
der Trauttmansdorffstraße langfristig aufgegeben werden soll, da deren isolierte
Lage die Integration ihrer Bewohner erschwere.“
(Uwe Wahlbrink, Westfälische Nachrichten, 14.02.2013)