Mathe, Märkte und Millionen || Die Kinder der Zinsen sind die Enkel des Kapitals....

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Zinsen, Kurse und Renditen 9 4 Die Kinder der Zinsen sind die Enkel des Kapitals. Zinseszinsrechnung Überlässt man einem Dritten Kapital, vertraut man also einer Bank oder einem Freund oder auch einem Fremden sein Geld an, so erwar- tet man gemeinhin als Gegenleistung für den Kapitalverzicht ein Ent- gelt, die Zinsen. Je größer das geliehene bzw. angelegte Kapital, der vereinbarte Zinssatz und die Zeit der Geldanlage, desto höher sind die Zinsen. Als ein Bestandteil der finanziellen Vereinbarung ist die Zinsperiode festzulegen, also die Zeit, für die der dem Finanzgeschäft zugrunde liegende Zinssatz gilt. Meist ist das ein Jahr 4 , es kann aber auch ein Halbjahr oder ein Monat sein. Üblicherweise werden die Zin- sen am Ende der Zinsperiode gezahlt, Ausnahmen sind möglich. 5 Sind K 0 das Kapital, i der Zinssatz (z. B. i =4%=0,04) und t der Anteil an der Zinsperiode (z. B. t = 1 12 für einen Monat), so betragen die Zinsen für eine Geldanlage im Zeitraum [0,t] Z t = K 0 · i · t. Damit kann man die Zinsen anschaulich als »Kinder des Kapitals« be- zeichnen. Das Kapital wächst dann zusammen mit den Zinsen von K 0 im Zeit- punkt t =0 (»heute«) auf () K t = K 0 + Z t = K 0 · (1 + it) zum Zeitpunkt t. Diesen Betrag nennt man Endwert bei linearer Ver- zinsung. Lineare Verzinsung findet vor allem für 0 <t 1 oder – wie der Fachmann sagt – im unterjährigen Bereich Anwendung. 4 So bedeutet beispielsweise 5 % p. a. = per annum oder pro anno, dass für 100 Geldeinheiten pro Jahr fünf Geldeinheiten an Zinsen zu zahlen sind. 5 Etwa bei vorzeitiger Kontoauflösung oder bei antizipativen, d. h. zu Perioden- beginn zahlbaren Zinsen. B. Luderer, Mathe, Märkte und Millionen, DOI 10.1007/978-3-658-02774-2_4, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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Zinsen, Kurse und Renditen 9

4 Die Kinder der Zinsen sind die Enkel des Kapitals.Zinseszinsrechnung

Überlässt man einem Dritten Kapital, vertraut man also einer Bankoder einem Freund oder auch einem Fremden sein Geld an, so erwar-tet man gemeinhin als Gegenleistung für den Kapitalverzicht ein Ent-gelt, die Zinsen. Je größer das geliehene bzw. angelegte Kapital, dervereinbarte Zinssatz und die Zeit der Geldanlage, desto höher sinddie Zinsen. Als ein Bestandteil der finanziellen Vereinbarung ist dieZinsperiode festzulegen, also die Zeit, für die der dem Finanzgeschäftzugrunde liegende Zinssatz gilt. Meist ist das ein Jahr4, es kann aberauch ein Halbjahr oder ein Monat sein. Üblicherweise werden die Zin-sen am Ende der Zinsperiode gezahlt, Ausnahmen sind möglich.5

Sind K0 das Kapital, i der Zinssatz (z. B. i = 4% = 0,04) und t derAnteil an der Zinsperiode (z. B. t = 1

12 für einen Monat), so betragendie Zinsen für eine Geldanlage im Zeitraum [0, t]

Zt = K0 · i · t.Damit kann man die Zinsen anschaulich als »Kinder des Kapitals« be-zeichnen.Das Kapital wächst dann zusammen mit den Zinsen von K0 im Zeit-punkt t = 0 (»heute«) auf

(∗) Kt = K0 + Zt = K0 · (1 + it)

zum Zeitpunkt t. Diesen Betrag nennt man Endwert bei linearer Ver-zinsung. Lineare Verzinsung findet vor allem für 0 < t ≤ 1 oder – wieder Fachmann sagt – im unterjährigen Bereich Anwendung.

4So bedeutet beispielsweise 5 % p. a. = per annum oder pro anno, dass für 100Geldeinheiten pro Jahr fünf Geldeinheiten an Zinsen zu zahlen sind.

5Etwa bei vorzeitiger Kontoauflösung oder bei antizipativen, d. h. zu Perioden-beginn zahlbaren Zinsen.

B. Luderer, Mathe, Märkte und Millionen, DOI 10.1007/978-3-658-02774-2_4, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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Nach einer Zinsperiode gilt

K1 = K0 · (1 + i) = K0 · q,

wie man aus Formel (∗) mit t = 1 erkennt. Dabei ist q = 1 + i dersog. Aufzinsungsfaktor. Werden nun mehrere Zinsperioden betrachtetund die Zinsen nicht ausgezahlt, verbleiben sie also auf dem Konto,so vermehren sie das urspüngliche Kapital und werden in der nächs-ten Periode mitverzinst. Auf diese Weise kommen wir zu den Zinsender Zinsen, gewissermaßen den »Enkeln und Urenkeln des Kapitals«.Mathematisch sieht das folgendermaßen aus:

In der zweiten Periode ist K1 das Ausgangskapital und

K2 = K1 · q = (K0 · q) · q = K0 · q2

das Endkapital. So geht es weiter:

K3 = K2 · q = (K0 · q2) · q = K0 · q3.

Nach n Perioden ergibt sich auf diese Weise die Leibniz’sche Zinses-zinsformel (vgl. Grundformel (5)), auch Endwertformel der geometri-schen Verzinsung genannt:

Kn = K0 · qn = K0 · (1 + i)n.

Oftmals wird diese Formel verallgemeinert, indem anstelle der ganz-zahligen Laufzeit n (= Anzahl der Zinsperioden) eine beliebige reelleZeit t eingesetzt wird:

Kt = K0 · qt = K0 · (1 + i)t.

Wie sich ein Kapital bei linearer und geometrischer Verzinsung bzw.bei verschiedenen Zinssätzen entwickelt, zeigen die folgenden beidenAbbildungen.

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Abb. 1: Lineare und geometrische Verzinsung im Vergleich (links); geometrische Verzin-sung bei verschiedenen Zinssätzen, p = Zinssatz in Prozent (rechts)

Man sieht, dass innerhalb einer Zinsperiode lineare Verzinsung mehrZinsen erbringt als geometrische, während dies für t > 1 umgekehrtist (Abb. 1, links). Deutlich sichtbar ist auch, dass das Wachstum beigeometrischer Verzinsung rasant zunimmt, wenn sich der Zinssatz perhöht (Abb. 1, rechts). Insbesondere für längere Zeiträume, sagenwir 10 oder 20 oder gar 50 und mehr Jahre, hat man in der Regelkein Gefühl mehr dafür, auf welchen Wert eine bestimmte Summeanwächst.6

Dieser Effekt wird durch die folgende, wenig bekannte Geschichte gutillustriert:

Ein reicher venezianischer Kaufmann legte im Jahr 1313 zehn Gold-dukaten für seine Tochter an. Die Bank honorierte ihm das mit 2,5%an Zinsen jährlich. Später geriet das Geld in Vergessenheit. Als nunkürzlich die Nachfahren des Kaufmanns von der Bank über das ver-

6Der Endwert ist zunächst nur eine Rechengröße. Er sagt nichts darüber aus, wieviel das Endkapital in der Zukunft tatsächlich wert ist, da die Inflation nichtberücksichtigt wurde; vgl. die Geschichte auf S. 18.

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gessene Konto unterrichtet wurden, war ein hübsches Sümmchen zu-sammengekommen, nämlich

K700 = 10 · (1 + 0,025)700 = 321 149 000.

So können aus 10 Dukaten mehrere Hundert Millionen werden, manmuss nur lange genug warten.

Zu allen Regeln gibt es Ausnahmen.

Oben war die Rede davon, dass lineare Verzinsung vorwiegend inner-halb einer Zinsperiode angewendet wird, während geometrische Ver-zinsung insbesondere für t > 1, speziell bei mehreren Zinsperioden,relevant ist. Allerdings fordern §§ 248, 289 des Bürgerlichen Gesetzbu-ches (BGB) ein Zinseszinsverbot und damit lineare Verzinsung auchfür größere Zeiträume. Dort heißt es: »Von Zinsen sind Verzugszinsennicht zu entrichten.«

Andererseits verlangt die deutsche Preisangabenverordnung, dass beider Berechnung von Effektivzinssätzen von Ratenkrediten generell,also auch bei unterjährigen Zeiträumen, geometrische Verzinsung bzw.Abzinsung anzuwenden ist.

Literatur:

Bürgerliches Gesetzbuch BGB, 70. Aufl., Deutscher Taschenbuch Verlag, München2012

Preisangabenverordnung (PAngV). Bekanntmachung der Neufassung vom 18. Ok-tober 2002. BGBl. I, S. 4197 ff. in der ab dem 1. Januar 2003 geltenden Fassung