Mathe, Märkte und Millionen || Wie real ist nominal? Tatsächliche Verzinsung eines Kapitals

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18 Mathe, Märkte und Millionen 6 Wie real ist nominal? Tatsächliche Verzinsung eines Kapitals Der junge Ehemann kommt freudestrahlend nach Hause. »Mausi, ich habe eine Überraschung für dich. Ich habe heute einen Bonus von 17 000 Euro bekommen.« »Das ist ja wunderbar, Schatz, da können wir uns gleich einen neuen Kleinwagen kaufen.« »Es kommt noch besser, Mausi, ich habe das Geld sofort fest auf der Bank angelegt, die zahlen mir 3 % Zinsen pro Jahr. Zu unserer Silberhochzeit können wir uns deshalb einen größeren Wagen leisten, denn die Dame von der Bank hat mir erklärt, dass meine 17 000 Euro zusammen mit Zins und Zinseszins nach 23 Jahren auf K 23 = 17 000 · 1+ 3 100 23 = 33 550,98 [Euro] anwachsen werden, sich also fast verdoppeln.« 8 »Ach, du Unglücksrabe«, regt sich Mausi auf, »erstens müssen wir ewig lange warten und zweitens wird doch alles teurer. Dann sind deine 33 551 Euro gar nichts mehr wert. Gestern erst habe ich gelesen, dass die Strompreise schon wieder erhöht worden sind. Auch Milch und Brötchen werden teurer und erst recht meine Lippenstifte. Nichts wird uns bleiben von deinem Geld, gar nichts.« »Hm, vielleicht hast du recht. Es mag schon sein, dass die Summe von 33 551 Euro wenig aussagt, wenn man die Inflation, also den Kauf- kraftverlust, nicht berücksichtigt.« »Natürlich habe ich recht. Vorige Woche erst sind die Gemüsepreise um 10 % gestiegen und das Benzin, denke einmal an das Benzin!« 8 Dass sich ein Kapital bei 3%iger Verzinsung in 23 Jahren verdoppelt, lässt sich übrigens auch sehr einfach im Kopf berechnen; vgl. die Geschichte auf S. 13. B. Luderer, Mathe, Märkte und Millionen, DOI 10.1007/978-3-658-02774-2_6, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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18 Mathe, Märkte und Millionen

6 Wie real ist nominal?Tatsächliche Verzinsung eines Kapitals

Der junge Ehemann kommt freudestrahlend nach Hause.

»Mausi, ich habe eine Überraschung für dich. Ich habe heute einenBonus von 17 000 Euro bekommen.«

»Das ist ja wunderbar, Schatz, da können wir uns gleich einen neuenKleinwagen kaufen.«

»Es kommt noch besser, Mausi, ich habe das Geld sofort fest aufder Bank angelegt, die zahlen mir 3 % Zinsen pro Jahr. Zu unsererSilberhochzeit können wir uns deshalb einen größeren Wagen leisten,denn die Dame von der Bank hat mir erklärt, dass meine 17 000 Eurozusammen mit Zins und Zinseszins nach 23 Jahren auf

K23 = 17 000 ·(1 +

3

100

)23

= 33 550,98 [Euro]

anwachsen werden, sich also fast verdoppeln.«8

»Ach, du Unglücksrabe«, regt sich Mausi auf, »erstens müssen wirewig lange warten und zweitens wird doch alles teurer. Dann sinddeine 33 551 Euro gar nichts mehr wert. Gestern erst habe ich gelesen,dass die Strompreise schon wieder erhöht worden sind. Auch Milchund Brötchen werden teurer und erst recht meine Lippenstifte. Nichtswird uns bleiben von deinem Geld, gar nichts.«

»Hm, vielleicht hast du recht. Es mag schon sein, dass die Summe von33 551 Euro wenig aussagt, wenn man die Inflation, also den Kauf-kraftverlust, nicht berücksichtigt.«

»Natürlich habe ich recht. Vorige Woche erst sind die Gemüsepreiseum 10 % gestiegen und das Benzin, denke einmal an das Benzin!«

8Dass sich ein Kapital bei 3%iger Verzinsung in 23 Jahren verdoppelt, lässt sichübrigens auch sehr einfach im Kopf berechnen; vgl. die Geschichte auf S. 13.

B. Luderer, Mathe, Märkte und Millionen, DOI 10.1007/978-3-658-02774-2_6, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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»Bleib’ ruhig, Mausi. Jetzt setzen wir uns einmal zusammen hin undrechnen aus, was meine Prämie in 23 Jahren tatsächlich wert ist. DieInflation in Deutschland betrug in den letzten Jahren meines Wissensnach ungefähr 2% pro Jahr. Wenn dies auch weiterhin so bleibt, be-deutet dies, dass die 33 550,98 Euro, bezogen auf den heutigen Tag,nur

P0 =33 550,98

1, 0223= 21 276,56 [Euro]

wert wären.9 Ich befürchte, es reicht auch in 23 Jahren nur zu einemkleinen Auto. Ja, Mausi, du hast recht.«»Wie immer, mein Schatz.«»Ich hätte vielleicht lieber nur mit der Differenz von 3%− 2% = 1%rechnen sollen, um einen realen Endwert, bezogen auf heutige Preise,zu erhalten. Mal sehen, was sich dann ergibt:

K23 = 17 000 ·(1 +

1

100

)23

= 21 371,77 [Euro].

Nanu, das ist ja wieder eine andere Zahl als die vorhin berechnete von21 276,56 Euro. Jetzt bin ich ganz verwirrt. Ich werde einmal meineBekannte von der Uni näher befragen, die ist Finanzmathematikerin.«Die Bekannte erklärt ihm Folgendes. Im Prinzip hat er alles richtiggerechnet. Bezeichnet man mit inom den Nominalzinssatz 10 und mitf die (erwartete) Inflationsrate, so wird üblicherweise die Differenz

(∗) d = inom − f

als Realzinssatz bezeichnet, wie man unter anderem im Banklexikonnachlesen kann. Das ist eine einfache Definition, denn diese Größe

9Umgekehrt kann man sagen, dass man für etwas, was heute 17 000 Euro kostet,in 23 Jahren P23 = 17 000 · 1,0223 = 26 807,28 Euro bezahlen müsste.

10Der »genannte« Zinssatz, der als Grundlage einer finanziellen Vereinbarungdient.

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lässt sich leicht im Kopf berechnen. Wenn man nur einen kurzen Zeit-raum betrachtet, ist diese Definition auch ganz brauchbar. Sachgemäßist sie aber aus finanzmathematischer Sicht nicht, denn für größereZeiträume tritt bei Verwendung der Beziehung (∗) eine Verfälschungein. Dann ist es korrekt, von einer anderen Definition des Realzins-satzes auszugehen.

Innerhalb von n Jahren wächst ein Kapital von K0 zum heutigen Zeit-punkt (t = 0) nominal auf Kn = K0 ·(1+inom)n an (vgl. Grundformel(5)), ist aber real nur

Kn =Kn

(1 + f)n= K0 · (1 + inom)n

(1 + f)n= K0 ·

(1 + inom

1 + f

)n

wert. Will man nun den korrekten Realzinssatz berechnen, der aufdiesen Endwert führt, hat man vom Ansatz (Endwertvergleich)

K0 · (1 + ireal)n = K0 ·

(1 + inom

1 + f

)n

auszugehen. Nach Division durch K0 und Ziehen der n-ten Wurzelergibt sich

1 + ireal =1 + inom

1 + f

bzw.

(∗∗) ireal =1 + inom

1 + f− 1.

Das wäre die korrekte Definition des Realzinssatzes, die auch in ei-nigen Quellen zu finden ist, wie zum Beispiel im Börsenlexikon derFAZ. Freilich ist diese Definition ein wenig »unhandlich«. Außerdemkennt man die zukünftige Inflationsrate sowieso nicht und kann nurVergangenheitswerte fortschreiben. Schließlich ist die Inflationsrate le-diglich ein Durchschnittswert, gebildet aus den Preissteigerungsraten

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eines Warenkorbs der verschiedensten Produkte und Dienstleistungen.Geht es jedoch um ein ganz bestimmtes Produkt, wie zum Beispielein Auto, so kann die konkrete Preissteigerungsrate von der durch-schnittlichen abweichen. Daher ist die Definition (∗), die die Differenzverwendet, gar nicht so schlecht.

Ein Beispiel soll die Unterschiede von (∗) und (∗∗) verdeutlichen. Giltwie oben inom = 3% und f = 2%, bedeutet dies d = 1% bzw.

ireal =1,03

1,02− 1 = 0,0098 = 0,98%.

Die Abweichung der beiden Größen ist vernachlässigbar. Das liegtdaran, dass 1

1+f ≈ 1 − f ist.11 Unter Verwendung dieser Beziehungerhält man

ireal =1 + inom

1 + f− 1 ≈ (1 + inom) · (1− f)− 1

= 1 + inom − f − inom · f − 1

= (inom − f)− inom · f = d− inom · f.

Da das Produkt inom · f eine sehr kleine Zahl ist, wie man am ebenbetrachteten Beispiel inom · f = 0,03 · 0,02 = 0,0006 = 0,06% sieht,gilt letztendlich ireal ≈ d.

Literatur:http://boersenlexikon.faz.net/realzins.htmGramlich L. et al. (Hrsg.): Gabler Bank-Lexikon. Bank – Börse – Finanzierung,14. Aufl., Springer Gabler, Wiesbaden 2012

11Diese Beziehung resultiert aus der sogenannten Taylorentwicklung der Funktionf(x) = 1

1+xim Punkt x0 = 0, vgl. die Erzählungen auf den Seiten 3 und 13.