Max Lüthke: Fußballfans

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Ein Beitrag zum Verständnis von A bis Z Leseprobe ISBN 978-3-934896-36-9, 7,95 EUR April 2013, Verlag Andreas Reiffer www.verlag-reiffer.de

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Freitag, 22. Februar 2013 09:44:00

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Fußballfans

Ein Beitrag zum Verständnis von A-Z

Max Lüthke

Leseprobe

reiffer

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Max LüthkeFußballfansEin Beitrag zum Verständnis von A-Z

Umschlaggestaltung: Patrick Schmitz (www.pottzblitz.de)unter Verwendung einer Grafik von fotolia, marog-pixcellsSatz und Layout: Andreas Reiffer Lektorat: Barbara A. Lehner (barbaralehner.twoday.net)

1. Auflage, 2013, Originalausgabe© Verlag Andreas Reiffer, 2013

Druck und Weiterverarbeitung: CPI books, LeckISBN 978-3-934896-36-9

Verlag Andreas Reiffer, Hauptstr. 16 b, D-38527 Meinewww.verlag-reiffer.dewww.facebook.com/verlagreiffer

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Inhalt

Vorwort ................................................................. 5

Auswärts ................................................................ 8Bücher/Bookmarks (eine Auswahl) ................ 12Dörfer ................................................................... 14Extrem .................................................................. 18Freundschaften – Feindschaften ........................ 22Groundhopping .................................................. 28Hoffnung .............................................................. 31Internationaler Tellerrand ................................. 36Kleine .................................................................... 40Lieder .................................................................... 43Meinungsumfrage ............................................... 47Nationalmannschaft ........................................... 50Organisation ......................................................... 52Pyrotechnik .......................................................... 56Qualität ................................................................. 59Randnotizen ......................................................... 62Stadion .................................................................. 66Typologie .............................................................. 70Vereinsfindung .................................................... 83Weise Worte .......................................................... 88Zukunft (rosig) ................................................... 90Zukunft (schwarz) .............................................. 92

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Extrem

Ein wenig Fremdschämen und Belustigung müssen er-laubt sein, wenn die Fernsehkameras nach besiegelten Abstiegen oder verlorenen Endspielen ins fast leere Sta-dion schwenken und dort in Großaufnahme gestande-ne Fans zeigen, die fassungslos vor sich hinstarren oder hemmungslos weinen. Man kann nur erahnen, welchen Stellenwert der Fußball für einen Kerl hat, der seine letz-ten Tränen vor 20 Jahren vergoss, als sein Hamster ge-storben war.

Es würde jedenfalls nicht verwundern, wenn er seiner Geliebten den Heiratsantrag im Stadion gemacht hätte. Und zwar nicht klassisch und wie es sich gehört an der Bierbude mit einem in der Frikadelle versteckten Ring, sondern während der Halbzeitpause mit dem Mikrophon des Stadionsprechers auf dem Anstoßpunkt kniend. Man will den Kindern später schließlich eine romanti-sche Geschichte erzählen können. Sollte der Anfrage vor zigtausend peinlich berührten Zeugen das erhoffte und erwartete »Ja, ich will!« beschieden sein, weil die Ange-betete genauso fußballverrückt ist, steht als nächstes die Familiengründung in Vereinsbettwäsche auf dem Plan. Der Nachwuchs wird selbstverständlich noch am Tag der Geburt beim Lieblingsverein angemeldet.

Einmal im Jahr geht’s in den Urlaub. Mögliche Dis-kussionen über das Reiseziel entfallen, man reist selbst-verständlich der Mannschaft ins Sommertrainingslager

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hinterher, um die Neuen unter die Lupe zu nehmen und das schon total vollgekritzelte Trikot um ein paar Auto-gramme zu bereichern. Abends sitzt man mit Spielern und Trainer gemütlich beim ›Fantalk‹ zusammen und ver-sucht, den Helden das eine oder andere private Geheim-nis zu entlocken. Glücklich vereint bestärkt sich das Paar in seiner Fan-Folie à deux und lebt in dem Wahn, dass die Welt sich ausschließlich um Fußball dreht.

Dass die Verbundenheit zu einem Fußballverein tat-sächlich zu gesundheitlichen Schäden führen kann, zeig-te 2011 der Fall einer 58-jährigen Manchester United-Anhängerin: Herzrasen, Panikattacken, Sehstörungen; vor allem bei spannenden Spielen oder bei Matches ge-gen Erzrivalen wie Chelsea oder Manchester City. Der Stress ließ eine lebensgefährliche Hormonkrankheit, das Addison-Syndrom, ausbrechen. Die behandelnden Ärz-te tauften ihr Leiden mit trockenem, englischen Humor abschließend ›Manchester United-induzierte Addison-Krise‹. Medikamente ermöglichen ihr auch weiterhin, die Spiele ihrer Red Devils live im Stadion sehen zu können, ohne um ihr eigenes Leben fürchten zu müssen.

Der Pädagoge Fedor Weiser, Autor des Buches »Fuß-ball als Droge«, ist davon überzeugt, dass Fantum zur Sucht werden kann. Mit allem, was zu einer Sucht gehört: Beschaffung (unbedingte Anwesenheit bei jedem Spiel), Rausch (Anreise, Stadion) und Entzugserscheinungen mit aggressiven Verhaltensimpulsen (Sommerpause). Es gäbe zwar keinen Anlass, Therapeuten in die Kurven zu schicken, wenn jedoch Beruf, soziales Umfeld und Frei-

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zeitaktivitäten unter dem Fußball zu leiden hätten, be-stehe Handlungsbedarf in Form von psychologischer Hilfe.

Ob Sie an Fan-Sucht leiden, können Sie anhand folgen-der Fragen herausfinden:

Haben Sie wegen eines Spiels (zu viel Alkohol, zu viele Kilometer, zu viele Gegentore) schon mal einen Arbeits-tag versäumt?Haben Sie in den letzten zwei Jahren weniger als zwei Spiele Ihres Vereins verpasst?Erleben Sie körperliche Auswirkungen durch den Fuß-ball (Brechreiz beim Gegentor, Ohnmacht bei Abstieg, Erektion beim Derby-Sieg)?Haben Sie Ihren Fußballkonsum anderen gegenüber schon mal verleugnet oder eine Eintrittskarte versteckt?Glauben Sie, dass etwas Schlimmes passieren wird, wenn Sie das nächste Spiel verpassen?Würden Sie Ihre letzten 50 Euro eher ins nächste Aus-wärtsspiel investieren statt in einen todsicheren Invest-ment-Tipp, der den fünfstelligen Gewinn aber erst in zwei Wochen abwirft?Tragen Sie Vereinsunterwäsche?Leiden Sie nach emotional besonders aufwühlenden Spie-len unter Gedächtnislücken, obwohl Sie keinen Schluck getrunken haben?

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Beten Sie vor dem Schlafengehen für einen guten Aus-gang beim nächsten Match?Knabbern Sie in Winter- und Sommerpause an den Fin-gernägeln, sind nervös, fahrig, ungeduldig und neigen dazu, wildfremde Menschen anzubrüllen oder ihnen in die Nase zu kneifen?Schauen Sie in der spielfreien Zeit alte VHS-Kassetten mit Spielen Ihrer Mannschaft?

Haben Sie mindestens fünf der Fragen mit Ja beant-wortet, sollten Sie sich schleunigst professionelle Hilfe suchen und einen Entzug machen. Oder verzichten Sie wenigstens auf die Clubunterwäsche.

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Typologie (Auswahl)

Der alte Mann»Früher waren die Pfosten noch eckig.«

Er sieht aus wie 100, ist Träger der Goldenen Vereins-nadel, hat seit über 60 Jahren kein Heimspiel verpasst, kennt die Aufstellung seiner Mannschaft vom 26.03.1967 auswendig und ist einer von denen, die auf den Schwarz-Weiß-Bildern aus den Anfängen der Bundesliga in Anzug und mit Hut strahlend lachend auf einer völlig überfüll-ten, unüberdachten Geraden zu sehen sind, die an einen Deich erinnert. In der Regel murmelt er leise Flüche in seinen hochgestellten Jackenkragen, hat die Arme vor der Brust verschränkt und könnte vermutlich tausend span-nende Anekdoten aus der guten, alten Zeit erzählen. Aus seinen Poren strömt jedoch so viel Verbitterung, dass man lieber nicht neben ihm sitzen will und Angst hat, ihn anzusprechen. Sollte man trotzdem den Mut aufbringen und ihn fragen, warum er denn noch ins Stadion gehe, wo doch früher alles besser gewesen sei, erhält man die wunderschöne Antwort: »Ich kann nich‘ ohne hier.«

Der Kuttenträger»Rülps.«

In den 1970ern vollzog sich im Stadion ein Wandel hin zu einer Zweiklassengesellschaft. Handelte es sich bei den Zuschauern bisher um eine homogene Masse, deren Ver-einszugehörigkeit äußerlich nicht auszumachen war, be-

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gann sich eine Kurvenkultur zu etablieren, die stolz ihre Fahnen und Farben hochhielt. Aus England schwappten Gesänge in die deutschen Arenen, die Fans organisierten sich in Clubs, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von gleichgesinnten Anhängern konkurrierte mit anderen ge-sellschaftlichen Strömungen wie Punk oder Pop. Das pars pro toto ›Kutte‹ bezeichnet nicht nur das Kleidungsstück, eine (an den Armen abgeschnittene) Jeans- oder Leder-jacke, sondern auch ihren Träger. Die ersten echten Fans waren primär damit beschäftigt, ihre Männlichkeit und den damit verbundenen Habitus zu pflegen, das heißt Do-senbier zu trinken und gegnerische Kutten zu verprügeln. Damit es zu keinen Verwechslungen mit Angehörigen aus der Heavy Metal- und Rockerszene kam, von denen man den Kuttenstyle kopiert hatte, griff die Fußballkutte zu Nadel und Faden und veredelte das Kleidungsstück mit Aufnähern, die es damals in allen Farben und Größen gab. Ihre Jacke war übersät mit Logos des eigenen Vereins, in die Mitte der Kutte platzierte die Kutte gerne den großen Aufnäher eines Fanclubs oder er gab schlicht den Ort an, wo Kutte im heimischen Stadion zu finden war (›Ost-Kur-ve‹). Mindestens so zahlreich zierten Pins und Stofffetzen die Jacke, die ihren Hass gegen andere Vereine in die Welt schrien. So konnten auf der Kutte eines Schalkers die Farben Schwarz und Gelb durchaus über Blau und Weiß dominieren. Ob er Dortmund deshalb mehr hasste als er Schalke liebte, kann nur die Kutte selbst beantworten.

Die Kutten gelten als Vorgänger der Ultras und sind heute so gut wie ausgestorben. R.I.P.

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Max Lüthke, geboren 1971 in Oldenburg, hat sein Leben lang mit dem geschriebenen Wort zu tun. Mittelbar als Buchhändler und Briefträger, unmittelbar als Autor und Lektor für den Verlag Andreas Reiffer. Seine andere gro-ße Leidenschaft ist der Fußball. Mittelbar als Fan im Sta-dion, unmittelbar als antizipierender Regisseur im linken Mittelfeld. Manchmal kriegt er alles durcheinander, dann liest er ein Spiel oder schreibt über Fans.

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