Maxim Biller Esra

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Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Literatur und Zensur in der Bundesrepublik Deutschland Dozent: Dr. Matthias Lorenz Referentin: Julie Sibille Riede

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Universität BielefeldFakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft

Literatur und Zensur in der Bundesrepublik

DeutschlandDozent: Dr. Matthias LorenzReferentin: Julie Sibille Riede

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Maxim Biller

Esra

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Wie ein Roman verboten wurde

Der Schutz der Persönlichkeit gegen die

Freiheit der Kunst

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Gliederung• Informationen zum Autor• Inhaltsangabe• Tabubrüche im Text• Prozesse, Urteile, Zensur• Reaktionen und Interpretationen• Plädoyer für Biller• Esra - ein Schlüsselroman?• Quellenangaben

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Maxim Biller• Geboren am 25 August 1960 in Prag• Kind russisch – jüdischer Eltern• Als Zehnjähriger mit seiner Familie nach

dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings 1970 nach Deutschland emigriert

• Studierte in Hamburg und München Literatur• Schrieb für die „Tempo“, „der Spiegel“ und

„die Zeit“• Schreibt für die „Frankfurter Allgemeine

Sonntagszeitung“ die Kolumne „Moralische Geschichten“ und für „Cicero“ die Kolumne „Stimmen und Straßen“

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Werke • Wenn ich einmal

reich und tot bin (Erzählungen), 1999

• Die Tempojahre, (Essays und Reportagen)

• Land der Väter und Verräter (Erzählungen),1994

• Harlem Holocaust, 1998

• Die Tochter• Kühltransport, 2001

• Deutschbuch, 2001• Esra, 2003• Der perfekte Roman,

2003• Bernsteintage 2004• Moralische Geschichten,

2005• Adas größter Wunsch,

2005• Mensch in falschen

Zusammenhängen, 2006• Liebe heute, 2007

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Auszeichnungen

• 1994 Tukan - Preis der Stadt München

• 1996 Preis des europäischen Feuilletons

• 1996 Otto Stoessl - Preis• 1999 Theodor - Wolf - Preis

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Inhalt• Der Roman „Esra“ erzählt die problematische

Liebesgeschichte des Schriftstellers Adam und der türkischen Schauspielerin Esra.

• Die Schilderung erfolgt von Adam als Ich – Erzählung auf ca. 200 Seiten in 72 Kapiteln

• Ort des Geschehens ist hauptsächlich München - Schwabing

• Der Zeitraum beträgt ca. vier Jahre, in denen die Beiden immer wieder getrennt und wieder zusammen sind

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• Zu Beginn werden von Adam die Charaktere vorgestellt, auffällig ist bereits hier seine satirisch überzogene Art der Schilderung

• Esras Mutter Lale wird z.B. als herrische, ehrgeizige, depressive, streitsüchtige, launische Frau mit einem Hang zu Alkohol und Zigaretten beschrieben, die in Mafiaaktivitäten verwickelt sein soll

• Gleich zu Anfang wird die Frage gestellt, warum diese Geschichte nicht gut ausgehen konnte und wem die Schuld dabei zuzuschreiben ist

• Adam war früher mit Esras Ex - Mann befreundet, sie trennten sich und Adam und Esra wurden ein Paar

• Adam erzählt von Esras Neigung, gedankenversunken in einer „Tagtraumwelt“ zu leben und auch, dass sie Angst hat, in einem seiner Bücher aufzutauchen

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• Später im Roman erfährt man, dass Adam in einem Buch doch über Esra und ihre Mutter geschrieben hat, was diese ihm nicht verziehen haben, vor allem Lale nicht

• Außerdem erzählt Adam dass er (genau wie Biller) in München lebt, und aus Prag stammt

• Eine schwere Krankheit von Esras Tochter Ayla wird erwähnt, da sie immer wieder Grund ist für Esras Rückzug von Adam

• Der Leser erfährt, dass Esras Mutter einen alternativen Nobelpreis gewinnt, weil sie sich für den Umweltschutz in ihrer Heimatstadt eingesetzt hat

• Esra reist mehrfach mit ihrer Familie in ihre Heimat nach Dilik, nimmt aber nicht Adam, sondern Frido mit.

• Esra trennt sich wiederholt von Adam, er erreicht sie oft weder telefonisch, noch zuhause und sie meldet sich auch nicht zurück

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• Später keimt in Esra der Wunsch auf, schwanger zu werden, Adam, der auch ein Kind aus erster Ehe hat, achtet aber immer darauf, zu verhüten. Einmal wird explizit ein Streit der Beiden deshalb geschildert, da Esra so nicht mit ihm schlafen will

• Adam macht Esra einen Heiratsantrag, nachdem sie wieder längere Zeit getrennt waren, am selben Tag hat er Esra in ein fremdes Auto einsteigen sehen

• Esra verbringt eine Nacht mit einem Jugendfreund und wird von ihm schwanger

• Der Leser erfährt durch Adam, dass Esra zwar Schauspielerin ist, aber ihr letztererfolgreicher Film schon länger zurückliegt, stattdessen malt sie und arbeitet in einem Grafikbüro

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• Im letzten Teil des Buches geht es um Esras zunehmende Unentschlossenheit, sie verhält sich immer passiver zu Adam, und bekommt ständig Ratschläge ihrer Mutter, Fridos, Adams, einer Wahrsagerin und ihres Arztes

• Esra weiß nicht, ob sie bei Adam bleiben soll, ihr Kind bekommen soll und wie es mit ihrer kranken Tochter weitergeht

• Adam entschließt, sich von Esra zu lösen, besonders emotional

• Er fährt mit seiner eigenen Tochter nach Dilik, trifft dort Esras Großeltern

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• Von den Großeltern erfährt Adam, dass Esras Familie Dönme sind, eine jüdische Glaubensgemeinschaft, was er schon immer vermutet hat, Esra ihm aber nie sagen wollte

• Als Adam sich bereits ein halbes Jahr von Esra getrennt hat, trifft er in einem Restaurant zufällig auf Esra und alle um sie herum: Ihr Baby, dessen Erzeuger, Ayla, ihre Mutter, deren Mann und Frido

• Das letzte Kapitel hebt sich von der Erzählung Adams ab, weil es darin um den jüdischen Propheten

Schabbatai geht, dem die Dönme angehören.

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• Adam, selbst Jude, war es wichtig gewesen, zu wissen, ob Esras Familie zu den Dönme gehört, weil er gehofft hatte, damit die aufgekeimte Distanz zwischen sich und Esra zu überwinden. Esra hatte diese Identität jedoch immer abgestritten

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Probleme in der Beziehung, die Adam sieht:

• Esras Familie, besonders Esras diktatorische Mutter

• Esras kranke Tochter aus aus ihrer gescheiterten Ehe

• Esras Ex - Mann • Esra selbst, weil sie sich stets passiv,

unschlüssig und schicksalsergeben verhält

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Tabubrüche • Einige Sexszenen, deren Problem aber

weniger die detaillierten Schilderungen sind, sondern die Tatsache, dass der Ich – Erzähler Adam quasi – authentische Szenen beschreibt (innerer Tabubruch)

• Adam wünscht sich an einer Stelle den Tod von Esras Tochter Ayla

• Adam wünscht sich auch den Tod von der Mutter seiner Tochter

• Adam stellt sich Sex mit der Mutter von Esra vor, obwohl er sie ja eigentlich hasst

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• Maxim Biller schickt am 22. Februar 2003 ein Vorabexemplar von Esra an seine Ex – Lebensgefährtin. In einer persönlichen Widmung schreibt er:

„dieses Buch ist nur für dich. Ich habe es nur für dich geschrieben, aber ich verstehe, dass du Angst hast, es zu lesen. Vielleicht liest du es, wenn wir alt sind.“

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Der Prozess• Der Roman wurde kurz nach seinem Erscheinen Ende

Februar am 3. März 2003 durch eine einstweilige Verfügung verboten

• Am 27 März 2003 legte der Verlag Kiepenheuer & Witsch Berufung in derselben Kammer des Landgerichts München ein und scheiterte

• Es erscheinen zwei geschwärzte Fassungen des Romans, von denen eine sogar zeitweise verkauft wird

• Am 21. Juni 2005 bestätigt der Bundesgerichtshof in dritter Instanz das Romanverbot

• Der BGH nahm eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und dem ebenfalls grundrechtlich verbrieften Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG) vor. Artikel 5 hatte nach Ansicht des Senats hinter letzterem zurückzutreten

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• Am 29. August 2005 legte der Verlag Verfassungsbeschwerde bei dem für Grundrechte zuständigen Senat des Verfassungsgerichts ein

• Im Juli 2006 stellten die beiden Klägerinnen eine Schadensersatzforderung vor dem Landgericht München gegen M. Biller und seinen Verlag in Höhe von 100.000 Euro

• Am 8. Januar 2007 sollte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung fällen, die Verhandlungsrunde wurde aber auf den 5. September 2007 verschoben

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Die Entscheidung, ob Maxim Biller und sein Verlag 100. 000 Euro Schadensersatz zahlen müssen, und ob der Roman verboten bleibt, steht noch aus.

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Der Tatbestand• Zwei Klägerinnen, die aus dem privaten

Umfeld des Schriftstellers Biller stammen, wollen ein Verbot der Veröffentlichung des Romans “Esra“ erreichen

• Die erste Klägerin, die eineinhalb Jahre lang eine intime Beziehung mit Biller hatte, und ihre Mutter, die zweite Klägerin, sehen sich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, da sie der Meinung sind, die Schilderungen der Romanfiguren Esra und Lale orientierten sich zu eng an ihnen und ihrem Leben

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• Per einstweiliger Verfügung wurde dem Verlag und dem Beklagten Biller untersagt, den Roman in seiner Ursprungsfassung zu verbreiten

• Maxim Biller ging in Berufung, und gab mehrere Unterlassungspflichtungserklärungen ab, letztendlich wurde diese aber zurückgewiesen

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Begründung des Gerichtsurteils

• Es bestehe eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerinnen

• Die beiden Klägerinnen seien als Lale und Esra, durch die Handlung und die Beziehungen zueinander, sowie zu den anderen Personen, für einen nicht unbedeutenden Leserkreis erkennbar

• Begründet wird dies u. a. damit, dass die erste Klägerin den Bundesfilmpreis verliehen bekam, die zweite Klägerin den alternativen Nobelpreis. Auch wenn die Namen der Preise im Roman umgeändert worden sind, so ist zum Beispiel der Inhalt des Films, indem Esra spielte, derselbe geblieben.

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• Selbst die diversen Unterlassungsverpflichtungserklärungen des Beklagten seien nicht ausreichend, da es noch immer keine genügende Verfremdung gebe.

• Wegen der starken Übereinstimmungen könne der Leser nicht zwischen Wahrheit und Fiktion unterscheiden

• Auch wenn der Roman unter Belletristik eingeordnet werden soll, ist wegen den starken Identifizierungsmerkmalen darin doch erkennbar, dass real existierende Personen dargestellt werden

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• Weder das Nachwort, noch das nach der ersten Unterlassungserklärung vom 1.04.2003 vorangestellte Vorwort sind ausreichend, um die oben erwähnten Tatbestände und Begründungen des Verbots zu entkräften

• Die Fiktionalität ist nicht eindeutig

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• Es besteht eine Verletzung der Intimsphäre der ersten Klägerin, da der Inhalt des Romans mit ihrem Privatleben gleichgesetzt werden könnte, also nicht nur die beschriebenen Einzelheiten des Sexuallebens der Esra, sondern auch die Überlegungen zur Abtreibung u. Ä.

• Auch die Tatsache, dass die Tochter der Klägerin eine lebensbedrohliche Krankheit habe, wie die Ayla im Roman, sei eine Verletzung der Privatsphäre.

• Die zweite Klägerin fühlt sich ebenfalls stark in ihrer Privatsphäre gestört, da sie sich und er Darstellung des Charakters der Lale wiedererkennt, welcher durchweg negativ beschrieben wird

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– „Die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG grundrechtlich garantierte Kunstfreiheit hat unter den Umständen des Streitfalls hinter dem gemäß Art. 2 Absatz 1GG grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen zurückzutreten. Die Klägerinnen werden durch den Roman auch unter Berücksichtigung der in den Unterlassungserklärungen vom 18. 08. 2003 und dem 9. Februar 2004 vorgenommenen Textänderungen individuell betroffen und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht rechtswidrig verletzt.“

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• „Ein Unterlassungsanspruch wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht demjenigen zu, der durch die Veröffentlichung individuell betroffen ist. Dies setzt voraus, dass er erkennbar zum Gegenstand einer medialen Darstellung wurde. Die Erkennbarkeit ist bereits dann gegeben, wenn die Person ohne namentliche Nennung zumindest für einen Teil des Leser - oder Adressatenkreises aufgrund der mitgeteilten Umstände hinreichend erkennbar wird. Es kann die Wiedergabe von Teilinformationen genügen, aus denen sich die Identität für die sachlich interessierte Leserschaft ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt (…) Dafür kann unter Umständen die Schilderung von Einzelheiten aus dem Lebenslauf des Betroffenen oder die Nennung seines Wohnorts und seiner Berufstätigkeit ausreichen.“

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• Die wesentlichen Übereinstimmungen zwischen dem Aussehen, dem Lebens - und Berufsweg der Klägerinnen und der Romanfiguren sind zu deutlich.

• Nachträgliche Umbenennungen von zum Beispiel real existierenden Orten oder Straßen im Roman können die Erkennbarkeit der Klägerinnen bezüglich der ihnen leicht zuzuordnenden Details nicht ausreichend mindern.

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Aufstellung der Gemeinsamkeiten der Personen:

• Beschreibung des Aussehens von Esra und ihrer Mutter zu den Klägerinnen ist sehr ähnlich

• Alter der vier Frauen ist gleich

• Ort und Umfeld, in dem sie leben

• Familiensituation der beiden Frauen

• Esra hat eine kranke Tochter, genau wie die erste Klägerin

• Esra hat eine Siamkatze, die zweite Klägerin auch

• Esra hat als 17 -Jährige den dt. Filmpreis für die Darstellung einer jungen Türkin, die sich in einen Deutschen verliebt, bekommen, ebenso wie die erste Klägerin

• Esras Mutter Lale hat den alternativen Nobelpreis für den Umweltschutz in ihrer Heimatstadtbekommen, ebenso wie die zweite Klägerin, die Mutter der ersten Klägerin

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• Die Lebensgeschichte von Esra, Lale und den beiden Klägerinnen ist sehr ähnlich

• Adam stammt aus Prag, er hat als Kind dort gewohnt, wie Biller

• Adam ist Jude, wie Biller• Adam ist Schriftsteller wie

Biller• Biller hatte auch eine türkische

Ex – Lebensgefährtin, die Schauspielerin war usw

• Adam hat eine Tochter im selben Alter wie Biller

• Adam lebt ebenfalls von der Mutter seiner Tochter getrennt

• Adam hat in einem seiner Romane über seine Ex – Lebensgefährtin geschrieben, was sie ihm nicht verziehen hat.

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Reaktionen auf den Roman Die Kritiken vor dem Gerichtsprozess

waren sehr positiv:• „Halbe Hemden, frisch gestärkt. Mit offener Brust

dem Stier entgegen: Maxim Billers neuer Roman Esra packt die Liebe an den Hörnern“

• „Maxim Biller schreibt mit „Esra“ einen altmeisterlichen und doch zeitgenössischen Liebesroman“

• „200 Seiten Zärtlichkeit. Maxim Biller schildert in seinem neuen Roman das Protokoll einer scheiternden Beziehung – und kokettiert mit dem autobiographischen Gehalt des Buches“

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Kritiken nach dem 1. Gerichtsprozess

• Eine Woche nach der einstweiligen Verfügung änderten sich die Meinungen dahingehend, dass es nicht mehr darum ging, wie das Buch war, sondern ob es verboten werden sollte oder nicht

• Es wurde Partei für die Klägerinnen ergriffen, für die Kunstfreiheit, oder man war sich uneinig

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• „Der Roman wurde absichtlich so skandalös inszeniert, um Aufmerksamkeit zu erzeugen“

• „ Dies ist ein Schlüssel ohne Roman“• „Bettgeschichten auszuplaudern ist zwar

unanständig, aber juristisch nicht verboten!“• „Schamlose kommerzielle Ausbeutung der

Privatsphäre“• „Heuchlerei der Autoren und Verlage unter dem

Deckmantel der Kunstfreiheit“• „Esra darf nicht am Exhibitionismus Billers

scheitern!“• „Schlüssellochroman: Maxim Biller besichtigt

das wahre Leben“

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Allgemeinen Diskussion in der literarischen

Öffentlichkeit zum Thema: Literatur vor Gericht

Am Beispiel von Billers „Esra“

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Dichtung ist Wahrheit:• „Der Roman Esra ist fiktive Prosa. Allein

dadurch, dass er gerichtlich verboten wurde, hat er literarisches Gewicht. Man will einem anerkannten Schriftsteller verbieten, vorgefundenes Material zu verwenden, Menschen darzustellen, die sich wiedererkennen könnten.(…) Gegen dieses Werk der Literatur juristisch vorzugehen ist eine höchst bedenkliche Verwechslung des alltäglichen Intimitätsterrors in privaten TV - Magazinen und Friseurzeitschriften“

• Zahlreiche Schriftsteller vor Biller haben sich ihres Umfelds oder ihrer Lebenserfahrungen in ähnlicher Weise bedient und sie verarbeitet. (Shakespeare, Goethe, Theodor Fontane, Oscar Wilde, Robert Musil, Thomas Mann, Max Frisch, Günther Grass u. v. m)

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• „Die literarische Ausbeutung intimer Details gehört inzwischen zum ästhetischen Programm vieler Autoren. Naiv ist es, wenn sie den ihren Lebensgefährten aufgezwungenen Exhibitionismus dann vor Gericht mit dem Ruf nach Kunstfreiheit verteidigen wollen – als ob ihre Werke von einem anderen Stern seien.“

• „Das Verbot von „Esra“ trifft nicht nur den Verlag hart, sondern insgesamt die zeitgenössische Literatur. (…) Der Richter tritt als unheimliche Eminenz hinter dem Autor auf, und führt ihm die Feder, wenn er sie ihm nicht gleich, wie in diesem Fall, aus der Hand nehmen will.“

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Plädoyer von 100 Intellektuellen, Schriftstellern, Kritikern und Verlegern

gegen ein Verbot von „Esra“• „Zwei Frauen glaubten, sich in (…) „Esra“ porträtiert zu

sehen. Sie zogen vor Gericht und klagten. Dieser Klage wurde stattgegeben. (…)Die Verlagswelt nahm dieses Urteil mit entsetzen zur Kenntnis. Groß ist die Sorge, dass künftig ständig Werke der Fiktion vor den Richter gezerrt werden. (…) Nun verklagen die beiden Frauen Autor und Verlag auf 100.000 Euro Schmerzensgeld.

• Esra ist ein verbotenes Buch. Es wird nicht vertrieben, nicht verkauft, nicht gelesen. Dass heißt, es gibt „Esra“ gar nicht.

• Zwei Frauen glaubten sich einerseits in dem Roman wiederzuerkennen. Allerdings nicht richtig, nicht wahrheitsgetreu.

• Der Roman wurde also verboten, weil erstens die Klägerinnen darin vorkommen und zweitens, weil sie es gar nicht sind.

• Damals hielten sich die Proteste in Grenzen. Das ändert sich jetzt mit der Schmerzensgeldforderung gut 3 Jahre später.

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• 100.000 Euro sind eine Summe die, wenn er sie zahlen müsste, Maxim Biller ruinieren würde. Es wäre der Ruin der Literatur, es wäre der Bankrott der Kunstfreiheit, wenn künftig jeder, der sich in einem Werk der Fiktion wiederzuerkennen glaubt, auf Schadensersatz klagt.

• Statt der Lektoren wären die Anwälte die ersten Gegenleser, statt um Qualität ginge es nur noch um Unangreifbarkeit

• Die Literatur wäre dann der Schädling, welchen man bekämpfen muss. (…) Soweit dürfe es nicht kommen.

• Unterschrieben haben unter anderem: Jakob Augstein, Stefan Bachmann, Iris Berben, Sibylle Berg, Senta Berger, Henryk M. Broder, Else Buschheuer, Eva Demski, Dieter Dorn, Michel Friedmann, Günther Grass, Felicitas Hoppe, Wladimir Kaminer, Dani Levy, Thomas Meinecke, Eva und Robert Menasse, Klaus Modick, Frank Schätzing, Benjamin von Stuckrad – Barre, Uwe Timm, Peter Zadek, Juli Zeh u. a.

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Plädoyer für Biller• Nicht nur Esra ( „eine kleine Sklavin ihrer Familie, ihres Ex

und auch Adams, unlogisch, irrational, feige, nachtragend, kleinbürgerlich, ängstlich verhärtet, illoyal“) und ihre Mutter (tyrannische Diktatorin, herrische, launische, depressive, Alkoholikerin) werden in dem Roman negativ dargestellt

• Auch der Ich - Erzähler Adam ist keineswegs ein positiver Charakter, oder besonders sympathisch, sondern vielmehr ein „narzisstisch gestörter Widerling mit unverkennbar hysterischen und paranoiden Zügen“, mit dem Drang, Esra ständig zu beurteilen, beschuldigen und zu verfolgen.

• Kein einziger Charakter in dem Roman wird durchweg positiv beschrieben, jeder hat seine seltsamen Eigenarten, Ecken und Kanten

• Esra wird oft als Opfer beschrieben, auch als Opfer von Adam selbst, z. B. als seine „Sklavin“

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• Adam gesteht sich an einer Stelle des Romans selbst ein, dass er im Zusammenleben mit Esra ein ebenso „unerträgliches Arschloch wie ihre Mutter ist.“

• Menschliche Schwäche, Niedertracht, Hass, Lügen und Egoismus stehen neben dem Versuch einer Liebe zwischen zwei sehr unterschiedlichen Menschen, die letztendlich scheitern muss

• Formale Mittel wie z. B. die Ironie, die in der Erzählung beständig mitschwingt und auch die Tatsache, dass es keine schwarz – weiß – Malerei gibt, kein gut und böse, oder eine resümierende Bewertung des Ich – Erzählers( in der Art von „das war richtig, das war falsch, wegen der Person ist die Beziehung gescheitert oder Ähnliches,) tragen zu dem Schluss bei, dass es bei „Esra“ nicht einfach um eine „plumpe Abrechnung mit der Ex geht“, oder eine Bloßstellung realer Personen

• Biller hat „Esra“ von Anfang an den Untertitel „Roman“ gegeben. Das heißt, es handelt sich um Fiktion, keinen autobiographischen Tatsachenbericht

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Esra - Schlüsselroman oder postmoderner Roman?

Schlüsselroman, weil:

• Portraithaft - abbildend• Autor portraitiert sich

selbst als bekannte Persönlichkeit des Medienbetriebs

• Keine konsequente Verwischung von Wirklichkeit und Fiktion

• Rachefeldzug des Autors gegen eine frühere Lebensgefährtin?

Postmoderner Roman, weil:

• Selbstreferentiell (spätere juristische Auseinandersetzungen werden vorweggenommen)

• Es werden keine allseits bekannten Persönlichkeiten oder gesellschaftliche „Szenen“ benannt, sondern nur Vorgänge aus privatem Kreis

• Fiktion und Wirklichkeit werden vermischt

• Versatzstücke, Selbstreferenzen, Pastiche und Ironie werden benutzt

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• „Biller spielt mit der Möglichkeit, durch Handhabung seiner eigenen medialen Präsenz Personen seines Umfelds gegen deren Willen vor die Augen der Öffentlichkeit zu tragen“

• „Der Roman ist ein literarisches Kunstwerk, trotz einiger verdeckter Aussagen, er besitzt den Aspekt des spielerischen und entzieht sich somit der Festlegung auf Bezüge zur Wirklichkeit“

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Maxim Biller zu den Diskussionen um sein Werk als Skandalroman:

„Mein Roman Esra ist Literatur, …nicht Schlüsselroman. Es war nicht meine Absicht, dass reale Personen

sich bei der Lektüre wieder erkennen oder gar geschmäht

fühlen.“

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Quellenangaben

• Biller, Maxim: Esra, Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln 2003• Von Becker, Bernhard : Fiktion und Wirklichkeit, Verlag

Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2006• Metzler – Literaturlexikon: Begriffe und Definitionen, hrsg.

von Günther und Irmgard Schweikle.2. überarb. Auflg. Stuttgart: Metzler 1990

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