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Internationale Schriften des Jakob-Fugger-Zentrums

Band 2

Herausgegeben vom Jakob-Fugger-Zentrum – Forschungskolleg

für Transnationale Studien der Universität Augsburg

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Harald Lesch / Bernd Oberdorfer /Stephanie Waldow (Hg.)

Der Himmel als transkulturellerethischer Raum

Himmelskonstellationen im Spannungsfeld vonLiteratur und Wissen

Mit 29 Abbildungen

V&R unipress

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISSN 2365-7944ISBN 978-3-8470-0618-3

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Jakob-Fugger-Zentrums für Transnationale Studiender Universität Augsburg und des Studiengangs Ethik der Textkulturen des Elitenetzwerk Bayerns.

© 2016, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigenschriftlichen Einwilligung des Verlages.Titelbild: © Harald Lesch

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Inhalt

Bernd Oberdorfer / Stephanie WaldowEinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Bernd OberdorferGott im Himmel? Der Himmel als religiöser Imaginationsraum . . . . . . 17

Lisanne TeuchertDer andere Teil der Schöpfung: Vom (ethischen) Sinn des Duals vonHimmel und Erde in theologischen Schöpfungskonzeptionen seit KarlBarth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Dirk J. Smit“…on earth as it is in heaven”? On political potentials in theologicalmetaphors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Johann Ev. HafnerDie Himmel. Wege zur Vervielfältigung von Welt im antiken Christentum 77

Dietmar MiethDer Himmel in mir. Die Interiorisierung des Himmels bei MeisterEckhart. „Was oben war, ist innen.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Freimut LöserMeister Eckhart und der Himmel. Ein Planetentraktat und die deutschenPredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Christoph MittmannZur Kosmographie in der japanischen Vormoderne . . . . . . . . . . . . 153

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Maximilian BergengruenHimmel und Hölle ökonomisch. Kredit und Bankrott in Adelbert vonChamissos ‚Peter Schlemihl‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Monika Schmitz-EmansLiterarische Engel und ihre Funktionen. Zur ethischen Dimension vonDarstellung und Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Thomas SteppanDer Himmel auf Erden. Byzantinische Kosmologie auf luxuriösenPrachtböden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Cesare GiacobazziDie Dialektik von Himmel und Erde zwischen Klassik, Romantik undRealismus am Bespiel von den Wahlverwandtschaften, Heinrich vonOfterdingen und Immensee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Lars SchneiderExcepté peut-être une constellation: der Himmel im Spätwerk desStéphane Mallarmé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Stephanie WaldowDenkraum der Besonnenheit. Zum Verhältnis von narrativer Ethik undNeuer Physik bei Carl Einstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

Yulia Pasko„Weg der Dichter – Weg der Kometen“: einige Beobachtungen zuHimmel- und Sternmotiven in der Dichtung von Marina Zwetajewa undBoris Pasternak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Robert VoslooCoping with the end? A look at Lars von Trier’s Melancholia . . . . . . . 319

Aura HeydenreichVom astronomischen Weltmodell zum literarischen Weltbild: JohannesKeplers “Somnium” zwischen faktualer Kosmographie und fiktionalerSelenographie – mit einem Kommentar zu Durs Grünbein “Cyrano oderDie Rückkehr vom Mond” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

Inhalt6

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Harald Lesch / Harald ZaunHomo spaciens = Science-Fiction²? Die Evolution desScience-Fiction-Genres und der Traum vom Homo spaciens . . . . . . . 371

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Inhalt 7

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Bernd Oberdorfer / Stephanie Waldow

Einleitung

„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewun-derung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damitbeschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“Nicht erst Kants Ausspruch aus der Kritik der praktischen Vernunft weist denHimmel als ethisch relevanten Raum aus. Durch seine Betrachtung werdenfundamentale Fragen nach demWert des menschlichen Lebens, der Stellung desMenschen im Kosmos und der Unterscheidbarkeit von Gut und Böse aufge-worfen. Der Himmel fungiert also als zentrale Projektionsfläche für ethischeFragestellungen. Diese werden im vorliegenden Band aus einer anthropologisch-theologischen, ästhetischen und auch naturwissenschaftlichen Perspektive he-raus untersucht. Dabei werden sowohl kulturspezifische Besonderheiten als auchkulturübergreifende Aspekte berücksichtigt und in ihrer Bedeutung für denMenschen und sein Verständnis vom Himmel in den Blick genommen.

Ausgangspunkt für jene Projektionen ist vor allem die sinnliche Wahrneh-mung des Himmels bei gleichzeitigem Wissen, dass diese Wahrnehmung stetsbegrenzt bleiben muss, da sich der Himmel aufgrund seiner ungeheuren Aus-dehnung selbst im Zeitalter dermodernen Raumfahrt einer restlosen Erkundungverweigert. Dieses Changieren zwischen Begrenzung und Entgrenzung gibt seitjeher Anlass zu zahlreichen Himmelsdeutungen. Eine wesentliche Rolle spielendabei die Sterne, denn nicht erst Wallensteins Satz „Die Sterne lügen nicht“ führtsie als wichtiges ethisches Bezugssystem ein. Bereits seit der Antike haben sich dieMenschen in ihrem Bedürfnis nach Wahrheit, Wertorientierung und Sinnver-gewisserung an den Sternen orientiert und so war der Blick in den Himmelintegraler Bestandteil der menschlichen Lebenswelt. Der Himmel scheint dem-zufolge als ein Raum zu fungieren, über den jenseits von festen Orts-, Zeit- undIdentitätszuschreibungen das Verhältnis von Individuum und Kosmos und diedamit in Zusammenhang stehenden Grundfragen der menschlichen Existenzsowie deren Wertmodelle ausgehandelt werden.

Interessanterweise entfalten wissenschaftliche wie religiöse Texte, die denHimmel als Projektionsraum einsetzen, bereits sehr früh eine enorme literarisch-

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rhetorische Kraft, die sich bis heute fortsetzt. Insbesondere die Beschreibung von(Himmels-)Phänomenen, die sich der wissenschaftlichen Fassbarkeit unmittel-bar entziehen, macht den Einsatz literarischer Mittel offenbar unverzichtbar. ImGegenzug ist zu beobachten, dass sich literarische Texte häufig den Naturwis-senschaften, hier insbesondere der Astrophysik, annähern und dies nicht nur,um sich selbst durch den Rückgriff auf den naturwissenschaftlichen Erkennt-nisstand zu authentifizieren, sondern auch, weil sie diese als ästhetisches Be-zugssystem aufrufen. Dass es sich bei diesen Erzählweisen um spezifisch ethischeNarrative handelt, zeigen die Beiträge dieses Bandes auf je unterschiedlicheWeise, denn die diskutierten Texte sind in ihrer grenzüberschreitenden Eigen-schaft immer wieder mit der Schwelle zwischen Sagbarem und Unsagbaremkonfrontiert und loten vor allem die Bedingtheiten des sprechenden und wahr-nehmenden Subjekts aus, welches sich in der Welt zu verankern sucht, indem esnach neuen Wertkonzepten sucht.

Zwar hat die Forschung bereits vielfach Wechselwirksamkeiten zwischen Li-teratur undWissen untersucht1, diese Wechselwirkungen sind aber bislang nochnicht in einem explizit ethischen Zusammenhang diskutiert worden. Der ethi-sche Zugang zum Himmel eröffnet wichtige neue Fragehorizonte, die die hierversammelten vielfältigen disziplinären und interdisziplinären Ansätze mit Er-kenntnisgewinn aufeinander zu beziehen erlauben und dabei auch die oftmalsproduktiven Wechselwirkungen von Literatur und Wissen aufzuzeigen vermö-gen. Neben der Entwicklung neuer Schreibmodelle, der Modifizierung des mo-dernen Wissenschaftsethos oder der Erweiterung des Mythosbegriffs stehen vorallem Fragen nach dem menschlichen Wert- und Urteilsvermögen, der Grenzezwischen Mensch und Gott, dem Verhältnis von Determination und Selbstbe-stimmung oder nach demWerden und Vergehen des Lebens im Mittelpunkt desBandes.

Bereits in den ältesten Kosmogonien wird der Himmel als Sitz des Göttlicheneingeführt und somit zu einem Ort der Wahrheit und der absoluten Erkenntnis.Derartige Vorstellungen haben sich bis in die Gegenwart gehalten. Während inder ägyptischen Mythologie der Himmel selbst als Gottheit verstanden wurde,

1 Vgl. exemplarisch: Alt, Peter André: Beobachtung dritter Ordnung. Literaturgeschichte alsFunktionsgeschichte kulturellen Wissens. In: Walter Erhart (Hg.): Grenzen der Germanistik.Rephilologisierung oder Erweiterung? Stuttgart 2004, S. 186ff.; Borgards, Roland/Neumeyer,Harald/Pethes, Nicolas/Wübben, Yvonne (Hrsg.): Literatur undWissen. Ein interdisziplinäresHandbuch, Stuttgart 2013; Dotzler, Bernhard/Weigel, Siegrid: fülle der combination. Litera-turforschung und Wissenschaftsgeschichte, München 2005; Heydenreich, Aura/Mecke, Klaus(Hg.): Quarks and Letters. Naturwissenschaften in der Literatur und Kultur der Gegenwart,Würzburg 2013; Klausnitzer, Ralf: Literatur und Wissen. Zugänge – Modelle – Analysen,Berlin/NewYork 2008; Köppe, Tilmann (Hg.): Literatur undWissen. Theoretisch-methodischeZugänge, Berlin/New York 2011; Vogl, Joseph: Poetologie des Wissens. In: Harun Mayer/Leander Scholz (Hg.): Einführung in die Kulturwissenschaft, München 2011, S. 49ff.

Bernd Oberdorfer / Stephanie Waldow10

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wird er – das zeigt der Beitrag vonOberdorfer – in der jüdischen und christlichenTradition zu einem Teil der Schöpfung depotenziert, zugleich aber als der demmenschlichen Zugriff entzogene Ort wahrgenommen, an dem Gott ‚wohnt‘ undvon wo er sich den Menschen offenbart. Eben dies lässt ihn dann auch alsSehnsuchtsort eschatologischer Vollendung in Gemeinschaft mit Gott erschei-nen: Der „sky“ wird zum „heaven“. Allerdings bleibt der Himmel auch als skyeine religiös relevante Größe. An neueren theologischen Entwürfen im GefolgeKarl Barths arbeitet der Beitrag von Teuchert heraus, wie der kosmologischeHimmel als demmenschlichen Zugriff relativ entzogener Bereich der Schöpfungsowohl für die Begrenztheit menschlicher Weltbemächtigung steht als auch neueHandlungsräume eröffnet. Smit wiederum untersucht, wie die religiöse Se-mantik des Himmels (als heaven) eine Dynamik des politisch-gesellschaftlichenWandels „auf Erden“ entfalten kann.

Der Beitrag von Hafner beleuchtet den interessanten Befund, dass in derfrühchristlichen Literatur zum Teil vom Himmel im Plural gesprochen, derhimmlische Bereich also als in sich differenziert wahrgenommenwird. So ist etwain 1Kor 12 davon die Rede, dass Paulus im ‚dritten Himmel‘ gewesen sei. Auchapokryphe Texte wie die Paulus-Apokalypse oder die Himmelfahrt des Jesaja(2. Jh.) dokumentieren die dauerhaft latenten Vorstellungen von gestufterWirklichkeit. Der Beitrag zeigt auf, wie die Einengung der Wirklichkeit in einenKosmos immer wieder zerbricht, und diskutiert die damit in Zusammenhangstehenden ethischen Konsequenzen.

Im Neuen Testament wird der ‚geöffnete Himmel‘ zum Synonym für die inChristus vollzogene Selbstvergegenwärtigung Gottes (vgl. Mk 1). Mit diesemVorstellungskomplex verknüpft ist mithin die teleologische Vorstellung voneiner Vollkommenheit und Glückseligkeit, in der sich die menschliche Bestim-mung erfüllt. Das Wort Jesu vom in seinem Wirken angebrochenen „ReichGottes“ bzw. „Himmelreich“wurde in der christlichen Spiritualitat sehr fruh undlange Zeit als „Reich Gottes in euch“ gedeutet. Der Beitrag vonMieth stellt diesenProzess der individuellen Interiorisierung als eine kontemplativ-ekstatischeAntizipation und zugleich als eine Himmelsprojektion in die Seele dar. BeiMeister Eckhart findet sich die Vorstellung einer Entsprechung zwischen gott-lich-intensiver Bemuhung, sich im Kern der Seele zu beheimaten, und der Na-turmetaphorik, wonach der Himmel fruchtbar dort in die Erde strebt, wo sie amniedersten ist. Heimat findet der Himmel dann auch in der „humilitas“, in derEndlichkeit des Menschen. Aber umgekehrt wird auch ein Durchbruch der Seelezur antizipatorischen Beheimatung im Himmel mitgedacht. Am Beispiel der„Gerechtigkeit“ zeige Eckhart, wie etwa „moralisches Sein“ aus dieser Behei-matung entspringt. In eine ähnliche Richtung geht der Beitrag von Löser, derEckharts Vorstellungen uber die Natur der Gestirne und deren geistliche Aus-deutung in den Mittelpunkt rückt. Die Himmelserscheinungen werden bei

Einleitung 11

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Eckhart auf die Seele des Menschen hin bezogen bzw. auf die vorgestellte Einheitvon Gott und Seele. Im Anschluss daran diskutiert Löser die ethischen Auswir-kungen auf das Frömmigkeitsverständnis des 15. Jahrhunderts.

Mit Beginn der Neuzeit scheint diese Verbindung aufgrund der „gebrechli-chen Einrichtung der Welt“ und der menschlichen Verstrickung in die Sündeunverfügbar zu werden. So zeigt der Beitrag von Mittmann über die japanischeVormoderne auf, wie der Himmel in seiner mythisch-religiösen Qualität de-konsturiert wird. Diese religionskritische ‚Entmythologisierung‘ des Himmelsgreift auch auf das naturwissenschaftliche Wissen der Frühneuzeit zurück. Andie Stelle eines ungebrochenen Verhältnisses zwischen Subjekt und Kosmos trittnun der Zusammenhang von Literatur und Wissen. Diesen Übergang verdeut-licht Mittmann anhand der Texte von Yamagata Bantô. Mit der Aufkündigungdes unmittelbaren Verhältnisses von Individuum und Kosmos wird aber aucheine Grenze zwischen dem paradiesischen Himmel und dem harten Erdenlebensowie zurHölle als Ort der Bestrafungmarkiert. Diese Grenze animiert wiederumzu vielfältigen literarischen Ausgestaltungen. Bergengruen greift diesen Ge-danken auf und beschäftigt sich in seinem Beitrag mit Chamissos PeterSchlemihls wundersamer Geschichte, in deren Mittelpunkt ein Teufelspakt steht.Bemerkenswert ist, und das greift der Beitrag vorrangig auf, dass die Dichotomievon Himmel und Hölle hier vor allem eine ökonomische Dimension besitzt. Umdieser spezifischenÖkonomie zu entgehen und um sich demTeufelspakt letztlichzu entziehen, wählt Schlemihl den Weg der literarischen Produktion.

Die Auseinandersetzung mit dem Himmel und auch mit der Dichotomie vonHimmel und Hölle fungiert demnach nicht nur als wichtiges orientierungs- undsinnstiftendes Mittel, sondern auch als Moment der Produktivität. Es bringt denMenschen auf den rechten Weg und berät ihn in wichtigen Fragen, die seingegenwärtiges Schicksal und seine Zukunft betreffen. Denn nicht umsonst be-merkt Wallenstein, als sein Schicksal entschieden ist: „Jetzt brauch ich keineSterne mehr.“

Sowohl die Möglichkeit der Schicksalsdeutung durch eine Lektüre des Him-mels als auch die Annahme, dass der Himmel ein Ort Gottes sei, ruft auch dieFrage nach der menschlichen Freiheit und Selbstbestimmung auf den Plan.Gegen das Deutungsverlangen und den Versuch, das eigene Schicksal aus denSternen ablesen zu können, wurde also stets auch die Autonomie des Menschen,seine Fähigkeit, nach dem eigenen Willen zu handeln, verteidigt. So wurde derSternenhimmel zum Ausgangspunkt von philosophischen Betrachtungen, in-dem anhand von Himmelskonstellationen über die Stellung des Menschen imKosmos bzw. über den anthropologischen Wert des Subjekts im Verhältnis zumihn umgebenden Weltall nachgedacht wird.

Diese Ambivalenz im Umgang mit dem Himmel und der sich daraus erge-bende ethische Aushandlungsprozess ist bis in die Gegenwart hinein diskussi-

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onsbestimmend, denn gerade in einer sich als aufgeklärt verstehenden Gesell-schaft steigt auch das Wissen um die fehlende Letztbegründetheit des mensch-lichen Lebens. Angesichts dessen wird der Himmel auch heute noch als wichtigesBezugselement im Blick auf dasmenschliche Schicksal aufgerufen, wenn auch imBewusstsein dessen, dass diese Orientierung nicht mehr ungebrochen funktio-niert, denn – so wird immer wieder deutlich – der Himmel entzieht sich letztlichjeglicher Beschreibbarkeit und Fassbarkeit. Hier setzt auch der Beitrag vonSchmitz-Emans an. Untersucht werden Ecos sog. ‚poetischen Listen‘, die sowohlAnspruch als auch Scheitern ausdrücken, das Unermessliche darzustellen. ImMittelpunkt der Untersuchung stehen sog. Engels-Listen und Wolken-Listen, indenen ganze Kataloge von Wesenheiten des Himmels aufgezählt werden. AlsBeispiel fungiert u. a. Michel Serres La legende des anges.

Auch in der bildenden Kunst werden anhand des Sternenhimmels zentraleethische Fragestellungen diskutiert. Insbesondere dort, wo das Verhältnis vonMensch, Gott und Welt einer Umwertung unterzogen wird, werden Sternbilderaufgerufen, um den All-Zusammenhang auszudeuten. Anhand der prachtvollenbyzantinischen Bodenbeläge zeigt der Beitrag von Steppan, wie der Vorstellungvon Gott bzw. der Vorstellung eines Wechselspiels von Individuum und KosmosAusdruck verliehen wurde. Die räumliche Ordnung folgt hier einer christlichenKosmologie und präsentiert auf diese Weise den Zusammenhang von Mensch,Gott und Welt.

Dass diese Deutung letztlich auf diemenschliche Lektürefähigkeit zurückgeht,macht nicht nur eine Reflexion über menschliches Erleben und Wahrnehmennotwendig, sondern lässt auch deutlich werden, dass der Himmel zu einerwichtigen Reflexionsfigur über die Möglichkeiten des Lesens und Schreibensüberhaupt wird. Seit der Antike gilt der Sternenhimmel daher als Symbol despoetischen Schriftbildes und so werden an dessen Lektüre zentrale Fragen nachder Lesbarkeit und Sagbarkeit insgesamt aufgeworfen, da die Betrachtung derSterne sich stets an der Grenze zwischen Wissen und Nichtwissen bewegt. DieseGrenze wird in der Literatur sprachlich ausgelotet und im buchstäblichen Sinneals Horizonterweiterung verstanden. Der Raum des Himmels übernimmt inFolge dessen eine zentrale poetologische Funktion. Dies greift vor allem dieLiteratur um 1800 auf und formuliert von hier ausgehend ihr literarischesKonzept, welches den Gedanken der Universalpoesie insofern weiterdenkt, alsdas Universum bzw. die Sternbilder als zu lesende Bilder mit in den Deutungs-prozess hineingenommen werden. Die Sternbilder fungieren als Chiffren, die inder Literatur zu einer universalen Sprache umgeformtwerden. So beschäftigt sichder Beitrag von Giacobazzi etwa mit der Dialektik von Himmel und Erde in derKlassik und Romantik bis hin zum Realismus.

Zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jhs. wird der Zusammenhang vonSchriftbild und Sternenbild zu einer unmittelbaren Korrespondenz ausgeweitet.

Einleitung 13

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Die Konstellation der Schriftzeichen wird analog zu einem Sternbild gelesen. Soverdeutlicht Schneider mit seinem Aufsatz, dass Mallarmé Worter als autarkeKlangkorper versteht. Im Zuge der Verraumlichung in Mallarmés Text Coup dedés erscheint die Sprachpartitur als Sternenbild an einem „poetischen Himmel“.Dieser Himmel ist jedoch kein Ort der Wahrheit. Mallarmé konzipiert infolge-dessen den Dichter als Pendant zu NietzschesWeltschopfer alsWurfelspieler, deraus einem poetischen Imperativ heraus leere (Sprach-)Universen entwirft imBewusstsein dessen, dass die Wurfel (Sterne) auch hatten anders fallen konnen.

Auf diese Weise wird auch der Zusammenbruch der kosmischen Ordnungthematisiert und damit die Verlorenheit des einzelnen Subjekts in der Weltkenntlich gemacht. Dieser Zusammenbruch erneuert sich durch die Erkennt-nisse der Neuen Physik, u. a. auch durch Albert Einsteins Feststellung einerRelativität von Raum und Zeit. Wie diese Auswirkungen in der Literatur undPhilosophie aufgenommen werden und welche narrativen Konsequenzen darausgezogen werden, diskutiert der Beitrag vonWaldow. Auf der Basis vonWarburgsund Cassirers kulturphilosophischen Überlegungen wird für Carl Einstein einenarrative Ethik in Anspruch genommen, die sich in Auseinandersetzung mit derNeuen Physik entwickelt und die das Sagbare als Trägersubstanz des Unsagbareneinführt.

Die fehlende Verankerung des Menschen in der Natur führt also zur Entste-hung eines sog. zweiten oder auch poetischen Himmels. Dieser poetische Him-mel besitzt u.U. sogar mythische Qualität. Liest man die literarischen Him-melsbetrachtungen auf ihre mythische Erzählweise hin, erneuert sich ihr Funk-tionsspektrum. Die mythische Erzählung ist dann nicht mehr nur auf die Ver-gangenheit ausgerichtet, um von dort aus unerzählbare Leerstellen aufzudeckenund Begründungszusammenhänge für die Gegenwart zu liefern, sondern ins-besondere auch auf die Erzählbarkeit der Zukunft. So zeigt der Beitrag vonPasko, dass der Himmel in der Lyrik von Marina Tsvetaeva und Boris Pasternak,die beide übrigens eine große Affinität zu Rilkes Astropoetik und damit auch zuseinenÜberlegungen bezüglich eines zweiten poetischenHimmels aufweisen, einethischer und mythisch-religiöser Raum wird.

Die zerbrochene Verlässlichkeit des Kosmos artikuliert sich in der Gegenwartauch in Angstvisionen über den bevorstehenden Untergang der Welt. Bildkräftigund wirkmächtig aufgegriffen hat dies namentlich die Kunstform Film. DerBeitrag von Vosloo entfaltet dies am Beispiel von Lars von Triers Film Melan-cholia, der das Weltende quasi-astronomisch durch den Zusammenprall einesPlaneten mit der Erde eintreten lässt. Vosloo interpretiert den Film vor demHintergrund biblisch-prophetischer Warnungen vor einer Rücknahme der ver-heißenen Welterhaltung durch Gott selbst (z.B. Jeremia 4). Von Trier konzen-triert sich auf die Haltungen der Protagonisten im Angesicht der unmittelbarbevorstehenden kosmischen Katastrophe; das Spektrum reicht von suizidaler

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Verzweiflung über ein stoisches oder zynisches Hinnehmen des unvermeidlichenGeschehens bis hin zumVersuch, demFatalismus humane Eigenwürde in Gestaltmitmenschlicher Fürsorge entgegenzusetzen.

Neben den anthropologischen, theologischen und ästhetischen Aspekten istder Blick in die Sterne auch wissenschaftsgeschichtlich von Interesse. Bereits seitder Antike verbinden sich mit dem Himmel und seinen Gestirnen die Prozessedes Werdens und Vergehens. Dementsprechend wird schon früh versucht, mit-hilfe der Lektüre des Himmels Aufschluss über den Ursprung allen Lebens zuerlangen. Insbesondere die Wechselwirksamkeit von Himmel und Erde und derEinfluss des Himmels auf die irdischen Geschehnisse stehen dabei im Fokus. Zueiner grundsätzlichen Neuerung führten die von Kopernikus mit Bezug aufAristarch formulierten Ideen. Er griff die seit Jahrtausenden angenommenezentrale Stellung der Erde im Universum an und führte stattdessen das helio-zentrische Weltbild ein. Die Veröffentlichung des kopernikanischen Systemsregte weitere astronomische undmathematischeUntersuchungen an undwar dieGrundlage für wichtige Entdeckungen durch Kepler und Galilei bis hin zurgroßen Synthese durch den englischen Physiker Isaac Newton. Die Bewegungenam Himmel wurden berechenbar. Vorhersagen über die Planetenbahnen, überdie Mond- und Sonnenfinsternisse wurden transparent durch die Anwendunglogisch-mathematischer Prinzipien. Die neuen Erkenntnisse hinterfragten nichtnur bisherige wissenschaftliche Annahmen, sondern auch die Stellung desMenschen im Verhältnis zum Kosmos insgesamt und damit auch das Verhältnisvon Mensch und Gott, weshalb vor allem die Kirche dagegen vorging. Heyden-reich etwa wirft einen Blick auf die mediengeschichtlichen Umbrüche um 1600,die zu neuen Beobachtungsverfahren in der Astronomie führten und die nichtnur das kopernikanische Weltbild epistemologisch fundierten, sondern auchneue narrative Muster entstehen ließen. Im Zentrum des Beitrags steht KeplersSomnium seu astronomia lunaris und die Frage, wie ein Beobachter vom Mondaus die Phänomene des Alls beschreiben würde. Zur Seite gestellt werden diesenÜberlegungen einige ausgewählte Texte von Durs Grünbein, die Keplers Textkosmo-poetisch kontextualisieren.

Die ‚Objektivierung‘ des Himmels durch die quantitative Astronomie im16. Jahrhundert stand im krassenWiderspruch zur subjektbezogenenAstrologie,die sich eines geozentrisch-anthropozentrischen Koordinatensystems bedientund für über 3000 Jahre die beherrschendeHimmelslehre darstellte. Nicht zuletztweil die Verbindung von Mensch und Himmel in der Astrologie das zentraleThema darstellt, musste eine Versachlichung der Himmelsphänomene zwangs-läufig zur völligen Trennung der Astronomie von der Astrologie führen. Für dieeuropäische Aufklärung war die Hinwendung zur empirisch überprüfbaren,quantitativen Himmelsbeobachtung und der korrespondierenden Entwicklungmathematisch-physikalischer Theorien ein eminent wichtiger erster Schritt hin

Einleitung 15

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zum modernen Bild von der Welt als Ganzem. Inzwischen hat die Wissenschaftauch Milliarden von Lichtjahren entfernte Galaxien entdeckt, hat durch dasWeltraumteleskop Swift neue Erkenntnisse bezüglich des Kosmos erworben,aber stets im Wissen darum, dass all diese Errungenschaften immer noch vor-läufig sind. Zentraler Motor auch der wissenschaftlichen Forschung scheintdabei stets die Frage nach der Stellung desMenschen imUniversum zu sein. Dieszeigt auch der Beitrag von Lesch und Zaun, die die Auswirkungen der modernenRaumfahrt aufzeigen und deren Faszination auf den Menschen diskutieren. VorAugen geführt wird u. a. auch, wie sich diese Faszination in den literarischenAusgestaltungen der Science-Fiction Literatur wiederfindet und was diese überdie Erwartungshaltung des Menschen gegenüber dem Kosmos aussagen.

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Bernd Oberdorfer

Gott im Himmel?Der Himmel als religiöser Imaginationsraum

Prolog: Engel und Spatzen, Torten und Kuchen – Heinrich HeinesHimmel bei der Einreise nach Deutschland

Im Spätherbst 1843 – genauer: „im traurigen Monath November“ – reist derDichter Heinrich Heine, von Frankreich aus kommend, in das Gebiet des poli-tisch noch nicht geeinten Deutschland ein.1 An der Grenze, die ja auch eineSprachgrenze ist, vernimmt er mit froher Wehmut deutsche Klänge: Ein „kleinesHarfenmädchen sang (…) mit wahrem Gefühle und falscher Stimme (…) vonLiebe und Liebesgram, Aufopfrung und Wiederfinden dort oben, in jener bes-seren Welt, wo alle Leiden schwinden“. Der wie selbstverständlich „dort oben“lokalisierten „besseren Welt“ kontrastiert das „irdische Jammerthal“, in dem die„Freuden (…) bald zerronnen“ sind, während erst im „Jenseits (…) die Seeleschwelgt verklärt in ew’gen Wonnen“. Der Reisende erkennt darin „das alteEntsagungslied, das Eyapopeya vom Himmel“, mit welchem dem „Volk“, dem„großen Lümmel“, das Fehlen diesseitigen Genusses erträglich gemacht werdensoll durch die Aussicht auf jenseitige, ‚himmlische‘ Freuden. Diejenigen, diediesen jenseitsvertröstenden „Text“ verfassten, „tranken“ freilich selbst – wieHeine unterstellt – „heimlich Wein“, obwohl sie „öffentlich Wasser (predigten)“.Sie warteten also keineswegs auf den „Himmel“, sondern gönnten sich den Ge-nuss, den sie anderen verweigerten, bereits auf Erden.

Genau dies propagiert Heine nun in dem „neue(n) Lied“, das er dem „alte(n)Entsagungslied“ entgegensetzen will: „Wir wollen hier auf Erden schon dasHimmelreich errichten.“ Das Glück, das bisher erst für den „Himmel“ erwartetwurde, soll es jetzt schon „auf Erden“ geben. Nicht nur „wächst hienieden Brodgenug für alle Menschenkinder“, so dass niemand mehr „darben“ muss. Nichtnur die Grundversorgung – das Überlebensnotwendige – ist also gesichert.

1 Heinrich Heine: „Deutschland. Ein Wintermährchen“, in: Ders.: Historisch-kritische Gesamt-ausgabe der Werke (= Düsseldorfer Ausgabe), Bd. 4, bearbeitet von Winfried Woesler, Ham-burg 1985, 89ff. , hier Caput I, 91ff.

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Sondern auch Luxus und Genuss – wörtlich: „Rosen und Myrten, Schönheit undLust“ – sollen allgemein verbreitet sein. Heine bündelt das in dem Schlachtruf:„Zuckererbsen für Jedermann“! Der Himmel ist mithin zur Erde gebracht. Wasbisher vom Himmel erwartet wurde, wird jetzt zur irdischen Wirklichkeit.

Der Himmel wird damit gleichsam entvölkert. Er ist kein Sehnsuchtsort derleidenden Menschheit mehr. Er kann getrost „den Engeln und den Spatzen(überlassen)“ werden. Wir Menschen haben da im besten Sinn nichts mehr zusuchen.

Heine wäre allerdings nicht Heine, wenn er sich nicht gleichsam eine Hin-tertüre oder Hintertreppe zum Himmel offenlassen würde. Selbst dann nämlich– fügt er hinzu –, wenn „uns Flügel nach dem Tod (wachsen), so wollen wir Euchbesuchen dort oben, und wir(,) wir essen mit Euch die seligsten Torten undKuchen“. Das Leben nach dem Tod – sollte es eines geben – lässt die irdischenFreuden also nicht hinter sich zugunsten einer anämischen, leiblosen (unddeshalb auch freudlosen) Fortexistenz der Seele. Sondern wir nehmen die irdi-schen Genüsse geradezu in den Himmel mit und feiern dann mit den Engelnzusammen so etwas wie ein himmlisches Kaffeekränzchen. Selbst im Himmelgeht es also irdisch zu. Dem Himmel auf Erden entspricht spiegelbildlich dieErde im Himmel.

Nun spielt für dieses „neue“, „bessere“ Lied Europa eine entscheidende Rolle.Ja, es ist geradezu ein „Hochzeitskarmen“ zwischen Europa und der Freiheit:„Die Jungfer Europa ist verlobtmit dem schönen Geniusse der Freyheit, sie liegeneinander im Arm, sie schwelgen im ersten Kusse.“ Die neue Wahrnehmung desHimmels – sie ist geschichtlich verortet in der Freiheitsgeschichte der europäi-schen Moderne, und dies schließt eine Befreiung von den kirchlichen Verwalterndes Himmels ein: „Und fehlt der Pfaffensegen dabey, die Ehe wird gültig nichtminder – es lebe Bräutigam und Braut, und ihre zukünftigen Kinder!“ Für denaus Frankreich Einreisenden, so wird man vermuten dürfen, ist es der Wider-schein der Französischen Revolution, der in der „Seele“ – nicht zufällig in derSeele – „Sterne“ aufgehen lässt – nicht zufällig Sterne –, „(b)egeisterte Sterne“,wie Heine hinzufügt. Und er möchte diesen geerdeten Himmel über die Grenzenach Deutschland importieren, ist dann freilich sogleich2 mit der höchst irdi-schen Realität der preußischen Grenzkontrollen konfrontiert, die sein Gepäckunter anderem nach verbotenen Büchern durchsuchen – ohne zu ahnen, dass ersein gefährliches Freiheitsgut gleichsam in luftigem Aggregatszustand unsicht-bar ins Land schmuggelt: „im Kopfe“ nämlich versteckt sind „der ZukunftKrondiamanten, die Tempelkleinodien des neuen Gotts, des großen Unbe-kannten“. Das „neue Lied“ besingt also nicht nur (um es einmal mit einembiblischen Zitat auszudrücken) „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Apk

2 Vgl. Caput II, a. a.O., 93f.

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21), sondern es dient auch dem Kult des neuen, um nicht zu sagen: neuzeitlichenGottes, der bislang unbekannten Freiheit.

Noch die Kritik des religiös intonierten „Entsagungsliedes“, für die der An-fang von Heines Deutschland. Ein Wintermärchen steht, transportiert die kul-turell eingespielte, reich instrumentierte, „alteuropäische“ religiöse Topik desHimmels, spielt mit ihr, durchbricht sie, kehrt sie um. Diese Topik verortet denHimmel räumlich „oben“, verbindet dies mit der raum-zeitlich changierendenBestimmung des „Jenseits“, der temporalen Verschiebung auf „später“ und derVerheißung ewiger (d.h. entweder zeitlich nicht befristeter oder überzeitlicher)„Wonnen“. Die entsprechenden Gegenbegriffe lauten „Erde“, „hienieden“ (oder„unten“), „Diesseits“, „jetzt“ und irdische (zeitlich begrenzte, gegenwärtige)„Freuden“. Heine unterstellt, dass die Religion die Begriffspaare als Gegensätzeauslegt und dabei jeweils die „himmlische“ Option auf Kosten der „irdischen“vorzieht. Sein „neues Lied“ kehrt die Verhältnisse um, macht aber, genau ge-nommen, noch mehr: Es durchbricht die Entgegensetzung, indem es üblicher-weise dem Himmel zugeordnete Attribute nun der Erde zuschreibt – die Sternesind in der Seele, die Wonnen ereignen sich „jetzt“. Und umgekehrt wird danndas Irdische himmlisch: Dort „oben“, im „Jenseits“, sollte es dort überhauptetwas geben, gibt es Torten und Kuchen.

Die religiöse Semantik des „Himmels“ impliziert aber keineswegs notwendigdie Entsagungslogik, die Heine ihr kritisch unterstellt. In den religiösen Deu-tungstraditionen, die durch die Texte des Alten und Neuen Testaments geprägtsind, wird zwar in der Tat der Himmel in besonderer Weise mit Gott in Verbin-dung gebracht. Dies hat aber weder eine Entgötterung (oder präziser: Gottferne)der irdischen Wirklichkeit zur Konsequenz, noch muss daraus ein Ethos derWeltdistanz, Weltentsagung, Weltflucht folgen. Der Himmel entwertet die Erdenicht einfach. Er qualifiziert sie allerdings (im doppelten Sinn des englischen„qualify“, das „näherbestimmen“ und „relativieren“ bedeuten kann), d.h., siegewinnt ihre (eigentliche) Bedeutung erst in ihrer Relation zumHimmel. Deshalbhat die Weise, wie vom Himmel gesprochen wird, Auswirkungen auf das Ver-ständnis der Existenz „auf Erden“ bzw. ist umgekehrt Ausdruck irdischenSelbstverständnisses.

Wie kommt es aber dazu, dass der Himmel als kosmologischer Ort zum re-ligiösen Topos wird? Mit der nur im Englischen möglichen Unterscheidung ge-sagt: Wie wird der sky zum heaven? Oder noch genauer: Was hat der sky, dass erzum heavenwerden kann? Und hat es für das Verständnis des skyKonsequenzen,dass er auch als heaven gedeutet wird? Diesen Fragen will ich im Folgendennachgehen und begebe mich dazu auf Spurensuche in den kanonischen Textendes Christentums. Zu beachten ist dabei, dass diese kanonischen Texte nicht nurvon heaven sprechen, sondern auch von sky. Mit anderen Worten: Es gibt auch

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eine religiöse Perspektive auf sky, nicht nur auf heaven.Oder noch anders gesagt:Auch religiös ist der Himmel nicht nur heaven, sondern auch sky.

1. Eröffnete Räume: Der Himmel in den biblischenSchöpfungserzählungen

Interessanterweise beginnt die Bibel nicht mit heaven, sondern mit sky. „AmAnfang schuf Gott Himmel und Erde“, so setzt das erste Kapitel des BuchesGenesis programmatisch ein und erzählt dann genau dies: wie aus dem unge-ordneten „Tohuwabohu“ (Gen 1,2)3 der Welt ein strukturiertes Ganzes wurde.Die Schöpfung erscheint hier als wohlgeplanter, kontinuierlicher, schrittweiseaufeinander aufbauender Ausdifferenzierungsprozess, in dem auch der HimmelseinenOrt bekommt. Vorausgesetzt ist eineArt Ur-Meer, aus demGott gleichsamdurch den Bau von Schutzwällen einen Lebensraum für Pflanzen-, Tier- undMenschenwelt herausschneidet, der dann seinerseits noch einmal in sichstrukturiert wird. Der Himmel ist eine Scheidewand, die die von oben andrin-genden Wassermassen aufhält und damit Räume eröffnet für Lebewesen, die imWasser nicht überleben könnten, weil sie Luft zum Atmen brauchen; nur für dieüberlebensnotwendigen Niederschläge sind an diesem „Himmelszelt“ Düsen(oder auch: „Fenster“, vgl. Gen 7,11) angebracht, die sich gelegentlich öffnen. Die‚oberirdische‘ Welt ist also zweigeteilt in eine ‚unterhimmlische‘ und eine‚überhimmlische‘Wirklichkeit. DasWasser von unten hingegen wird nur partiellabgehalten; Gott grenzt Bereiche ab, wo es nicht hingelangen kann, und schafft soLebensraum für Pflanzen und Landtiere; in Gestalt von Quellen und Flüssenöffnet sich die Erde von unten und macht das lebenserhaltende Wasser denErdbewohnern zugänglich. Die Erde ist ein demWasser gleichsam abgerungenerLebensraum; sie ist begrenzt vom Meer, das dem Menschen ebenso wenig alsLebensraum zur Verfügung steht wie der Himmel. Dieser gehört in der Tat, mitHeine gesprochen, den Spatzen (von Engeln ist nicht die Rede).

Der Himmel wird in diesem Text dezidiert als Teil der Schöpfungswirklichkeitangesprochen. Dies wird auch an der demonstrativen Nüchternheit erkennbar,mit der Sonne, Mond und Sterne behandelt werden. Sie erscheinen schlicht alsLeuchtkörper, die Gott an die Himmelsfeste montiert, um die oberirdisch-un-terhimmlischen Weltregionen mit Licht zu versorgen und dabei die Differenzzwischen Tag und Nacht zu markieren. Diese Nüchternheit steht in bewusstemund polemischemKontrast zu den religiösen Kosmologien in Israels Umwelt, dieder Sonne und denGestirnen göttliche Qualität zuschrieben. In Genesis 1 sind sie

3 Luther übersetzt den hebräischen Ausdruck mit „wüst und leer“.

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depotenziert zu bloßen Funktionen für die unterhimmlische Lebenswelt ohneselbständige Bedeutung.

Überhaupt ist in diesem Text der Himmel (selbst die sozusagen überhimm-lische Sphäre jenseits derHimmelsfeste) auch nicht hervorgehoben als besondersGott vorbehaltener Bereich. Gott als dem Schöpfer des Alls wird kein eigener‚Lebensraum‘ innerhalb der Schöpfung zugeteilt. Auch in der zweiten, unmit-telbar anschließenden Schöpfungserzählung (Gen 2,4bff) ‚wohnt‘ Gott nicht imHimmel. Und der Garten Eden ist ein dezidiert irdisches Paradies, und Gott gehtdort abends spazieren, „als der Tag kühl geworden war“ (Gen 3,8). Noch Adamsund Evas Vertreibung aus diesem Paradies zeigt an, dass es als spezifische Welt-,genauer: Erdregion verstanden wurde, die den Menschen nun nicht mehr zurVerfügung stand; sie mussten sich „jenseits von Eden“ ansiedeln.

Die beiden ‚klassischen‘ religiösen Aufgabenbestimmungen für den Himmelkommen in den Schöpfungserzählungen am Anfang der Bibel also nicht vor:Weder als ‚Wohnort‘Gottes noch als Verheißungsort für die Menschen kommt erin Betracht. Dennoch transportiert die nüchterne Kosmologie von Genesis 1nicht nur vorwissenschaftliches Weltwissen in narrativem Gewand. Sie hat viel-mehr durchaus einen religiösen Sinn: Sie kommuniziert die Verlässlichkeit derWelt, sie sollWeltvertrauen generieren. DieWelt ist vonGott so gemacht, dass unsder sprichwörtliche Himmel nicht auf den Kopf fallen kann. Dies bestätigt aufihre Art auch die Sintfluterzählung (Gen 6–9), die die abgründige Möglichkeitthematisiert, dass Gott seine Verlässlichkeitszusage für die Welt wieder auf-kündigt und die Düsen am Himmelszelt öffnet für einen Dauerregen, der dieBereichsdifferenzierung zwischen Erde und Wasser wieder zurücknimmt undMensch und Tier den Lebensraum entzieht, auf den sie angewiesen sind. DiePointe dieser Erzählung ist indes ihr Ende. Nachdem das Hochwasser abge-klungen ist, erkennt Gott zwar, dass der Anlass für die Sintflut nicht gegen-standslos geworden ist; weiterhin gilt: „Das Sinnen und Trachten des mensch-lichen Herzens ist böse von Jugend an“ (Gen 8,21, sinngleich mit Gen 6,5).Dennoch verpflichtet sich Gott selbst, dass so etwas nichtmehr vorkommenwird:„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze,Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (Gen 8,22). Er schließt einen „Bund“ mit„allem Fleisch auf Erden“ (Gen 9,17), „dass hinfort nicht mehr alles Fleischverderbt werden soll durch die Sintflut und hinfort keine Sintflut mehr kommensoll, die die Erde verderbe“ (Gen 9,11). Kosmisches Zeichen dafür ist bekanntlichder „in den Wolken“ erscheinende Regenbogen (Gen 9,13–16). Er zeigt sinnen-fällig das Ende (und: die Endlichkeit) des Regens an.

Wegen dieser weltorientierenden Abzweckung ist der Kosmos fast zwangs-läufig aus der Perspektive der betrachtenden Menschen dargestellt. Sie nehmendie Gestirne eben (wie auch wir Heutigen!) als verschieden große Leuchtkörperam ‚bestirnten Himmel über ihnen‘ wahr, die sich – wie etwa die Sonne – in

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weitem Bogen vom einen Ende des Horizonts zum anderen bewegen. Insofernsind diese Texte natürlich „geozentrisch“. Es war aber von vornherein ein her-meneutischer Trugschluss, ihnen ein imwissenschaftlichen Sinn „geozentrischesWeltbild“ zu unterstellen bzw. die wissenschaftliche Verbindlichkeit eines sol-chen Weltbilds normativ aus ihnen abzuleiten. Allerdings zeigt die Wissen-schaftsgeschichte eindrücklich, wie retardierend bei der Durchsetzung eines„heliozentrischen Weltbilds“ die religiöse Überzeugung war, dass der Glaube anden Schöpfergott und mehr noch an den Gott, der in Christus ‚zur Welt kommt‘,mit innerer Notwendigkeit ein „geozentrisches Weltbild“ impliziere, so dass dieAnnahme, die Erde sei nicht die Mitte des Kosmos, als Widerspruch zumchristozentrisch akzentuierten Gottesverständnis erschien. Es dauerte Jahrhun-derte, bis dieserWiderspruch ausgeräumt war – ausgeräumt jedenfalls von Seitender Religion und in der religiösen Selbst- und Weltverständigung; aus der Sichteiner naturwissenschaftlich basierten Religionskritik wird die unermesslicheWeite des Kosmos häufig durchaus weiterhin als negativer Gottesbeweis heran-gezogen.

2. Wo Gott wohnt: Der Himmel als Ort Gottes

Die Schöpfungserzählungen stellen keine besondere Verbindung zwischen Gottund Himmel her.4 Es gibt aber im Alten wie (fast mehr noch) im Neuen Testa-ment starke Traditionslinien, die Gott prominent im Himmel verorten und seinWirken vom Himmel her erwarten. Mose muss auf den hohen Berg steigen, umdie Gebote zu empfangen. Gott begleitet und führt sein Volk vermittels einerFeuer- bzw. Wolkensäule durch die Wüste. Manna und Wachteln fallen alsWüstennahrung nicht zufällig vom Himmel. Gottes „Thron“ ist im Himmel(Ps 11,4). Er regiert dort als König, umgeben von einem himmlischen Hofstaat.Jesus spricht Gott im Gebet schlicht als „Vater im Himmel“ an. Die basileia toutheou, d. h. das „Reich Gottes“ oder die „(Königs-)Herrschaft Gottes“, die Jesusmit seinem Auftreten für angebrochen erklärt, kann synonym auch als basileiaton ouranon, als „Reich bzw. Herrschaft des (präziser: der) Himmel“, bezeichnetwerden.5 Nach der Auferstehung wird Jesus gemäß dem Lukas-Evangelium(Lk 24) und der Apostelgeschichte (Apg 1) in den Himmel entrückt und kehrtzum Vater zurück, von woher er den Jüngern seinen pfingstlichen Geist schickt(Apg 2).

4 Das mag im Blick auf Gen 1 damit zu tun haben, dass die sog. „Priesterschrift“ die PräsenzGottes im Tempelkult betonte.

5 Zur pluralischen Version vgl. den Beitrag von Johann Ev. Hafner in diesem Band.

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Wie kommt es, dass die kosmologische Größe Himmel derart theologischaufgeladen wird? Vermutlich werden hier bestimmte Vorstellungen von Gott mitPhänomenbeobachtungen verbunden. So ist der Himmel – jedenfalls in einerZeit, in der das Fliegen eine ferne Utopie ist – ein der menschlichen Verfügungentzogener Raum, dessen Unermesslichkeit und Erhabenheit zugleich spürbarist und der zudem einen massiven Einfluss auf die menschliche Lebenswirk-lichkeit hat (Tag und Nacht, Sonne und Regen, etc.). Unverfügbarkeit, Uner-messlichkeit, zugleich Zugewandtheit und Angewiesenheit – das sind Attribute,die auch auf Gott und das menschliche Verhältnis zu Gott zutreffen. Deshalb legtes sich nahe, den kosmischen Raum der Unverfügbarkeit auch dem unverfüg-baren Gott gleichsam als ‚Lebensraum‘ zuzuschreiben. Dabei dokumentieren dieeinschlägigen Texte komplexe Reflexions- und Aushandlungsprozesse überFerne und Nähe, Entzogenheit und Zugewandtheit Gottes, über Grenzziehungund (legitime wie illegitime) Grenzüberschreitung zwischen irdischem undhimmlisch-göttlichem Bereich.

Einschlägig ist etwa die Erzählung vom Turmbau zu Babel (Gen 11), derenPointe gerade ist, dass Gott das ‚himmelstürmerische‘menschliche Projekt einesbis zum Himmel reichenden Hochhausbaus verhindert, weil damit dieMenschheit sich über ihren zugewiesenen Lebensraum hinausbewegt. Fastbarsch wird die Grenze im zweiten Teil des Jesajabuches eingeschärft: „Dennmeine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meineWege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sindauch meineWege höher als eureWege undmeine Gedanken als eure Gedanken.“(Jes 55,8f) Allerdings schließt sich unmittelbar die Verheißung einer Überbrü-ckung dieser Distanz von Gott aus an: „Denn gleichwie der Regen und SchneevomHimmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erdeund macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brotzu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nichtwieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihmwird gelingen, wozu ich es sende.“ (Jes 55,10f) Fast imWortsinn überbrückend istauch Jakobs Traum von der Himmelsleiter, auf der Engel auf und ab steigen, undoben steht Gott, identifiziert sich als der Gott Abrahams und Isaaks und ver-kündigt Jakob, dass er das Land, auf dem er jetzt liege, dermaleinst besitzenwerde (Gen 28,13f). Und nach Jesu Taufe im Jordan öffnet sich der Himmel, Gottoffenbart Jesus als seinen „geliebten Sohn“ und damit indirekt sich selbst alsliebenden Vater und der Heilige Geist schwebt auf Jesus herab in Gestalt einerTaube. Sinnenfälliger kann die Grenzöffnung zwischen Himmel und Erde, Gottund Welt kaum dargestellt werden.

Ohnehin wird – schon im Alten Testament – durchaus wahrgenommen undreflektiert, dass die Verortung Gottes „im Himmel“ eine problematische Be-grenzung oder Einschränkung Gottes darstellen könnte. Klassisch für diesen

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Diskurs ist die Darstellung der Einweihung des salomonischen Tempels (1 Kg 8).„Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen?“, fragt Salomo da und fährt fort: „DerHimmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen –wie sollte es danndies Haus tun, das ich gebaut habe?“ (1 Kön 8,31) Gleichwohl soll diese Frage denTempelbau keineswegs delegitimieren; sie verleiht nur dem Staunen darüberAusdruck, dass Gott sich jenseits (oder diesseits) des Himmels, nämlich auf derErde, verlässlich zugänglich macht: Wenn schon der Himmel ihn nicht fassenkann, wie hochunwahrscheinlich ist es dann, dass er in einen bestimmten, de-finierten, begrenzten irdischen Ort eingeht – und doch geschieht es!

3. Zeichen am Himmel – Zeichen vom Himmel

Eine interessante Verbindung zwischen kosmologischen Himmelswahrneh-mungen und der ‚Verortung‘Gottes imHimmel stellt die religiöse Interpretationvon Himmelsphänomenen als Verweis auf Gott bzw. als Zeichen für GottesWirken dar. Das gilt schon für den geregelten Lauf der Gestirne. „Die Himmelerzählen die Ehre (oder auch: die Herrlichkeit) Gottes“, beginnt der großartigePsalm 19, „und die (Himmels-)Feste verkündigt seiner Hände Werk“. Mit demberühmten „Beschluss“ von Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ gesagt,erfüllt der „bestirnte Himmel über mir“ den Beter beim bloßen Anschauen „mitimmer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht“6. Die Gestirnesind eine sozusagen stumme Verkündigung. „Ein Tag sagt’s dem andern“, heißtes, „und eine Nacht tut’s kund der andern, ohne Sprache und ohne Worte;unhörbar ist ihre Stimme.“ Und doch „geht ihr Schall aus in alle Lande und ihrReden bis an die Enden der Welt“. An der Sonne wird in kühner MetaphorikGottes weltordnendes Handeln exemplifiziert: „Er hat der Sonne ein Zelt amHimmel gemacht; sie geht heraus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer undfreut sich wie ein Held, zu laufen ihre Bahn. Sie geht auf an einem Ende desHimmels und läuft um bis wieder an sein Ende, und nichts bleibt vor ihrer Glutverborgen.“ Die hohe Bedeutung dieser kosmischen Gottesoffenbarung gehtauch daraus hervor, dass der Psalm danach völlig unvermittelt auf ein Lob derTora übergeht, des Gesetzes, das Gott seinem Volk gegeben hat: So wie Gott denKosmos ordnet, so ordnet er auch die Geschichte und die Geschicke seinesVolkes.

Doch liest der Fromme nicht nur die regulären Himmelsbewegungen alsBotschaft Gottes bzw. Botschaft über Gott. Mehr noch werden außergewöhnlicheHimmelserscheinungen auf tiefere Bedeutung hin abgefragt. Besonders auf-

6 Immanuel Kant: „Kritik der praktischen Vernunft“, in: Ders.: Werke in zehn Bänden, hg. vonWilhelm Weischedel, Darmstadt 51983, Bd. 6, 105ff. , hier: 300.

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schlussreich ist in dieser Hinsicht der berühmte Stern von Bethlehem. Es sind jadrei Sterndeuter, denen das ungewöhnliche Licht amHimmel auffällt, und in derErzählung in Mt 2 schließen sie daraus erstaunlicherweise unmittelbar, dass der„König der Juden“ geboren sein muss. Auch Herodes nimmt keineswegs Anstoßan dieser Deutung; im Gegenteil lässt er sogleich seine Religionsexperten in derBibel recherchieren, für welchen Ort die Propheten das Erscheinen des messia-nischen Königs angekündigt haben. Mit anderen Worten: Sie schauen ins Buch,um den Himmel zu verstehen. Dass der Himmel etwas sagt, ist völlig unstrittig;was er sagt, muss aber aus der religiös-kulturellen Tradition durch Schriftaus-legung erschlossen werden.

Ist ein Komet am Himmel noch etwas sozusagen regulär Irreguläres, so wirdim Alten Testament einmal die explizite Unterbrechung der Gestirnbahnen alsGotteszeichen erzählt. Im zehnten Kapitel des Buches Josua wird berichtet, dassJosuamit der Stadt Gibeon Frieden schließt, weshalb andere kanaanäische Städtemit vereinten Truppen die Stadt belagern, die daraufhin Josua umHilfe bittet. Inder folgenden militärischen Auseinandersetzung wird ausdrücklich Gott alsAkteur genannt: Er lässt die Feinde vor Israel erschrecken, und als sie vor denisraelitischenTruppen fliehen, lässt Gott „große Steine vomHimmel auf sie fallenbis Aseka, dass sie starben. Und von ihnen starben viel mehr durch die Hagel-steine, als die Israeliten mit dem Schwert töteten.“ (Jos 10,11). An diesem Tagspricht Josua in Anwesenheit des Volkes Israel mit Gott und sagt: „Sonne, stehstill zu Gibeon, und Mond, im Tal Ajalon!“ Und auf dieses Wort hin „stand dieSonne still und der Mond blieb stehen, bis sich das Volk an seinen Feindengerächt hatte.“ Zur Verifikation des unerhörten und auch in Zukunft einzigar-tigen Ereignisses wird gleich hinzugefügt: „Ist dies nicht geschrieben im Buch desRedlichen?“ Und weiter: „So blieb die Sonne stehen mitten am Himmel undbeeilte sich nicht unterzugehen fast einen ganzen Tag. Und es war kein Tagdiesem gleich, weder vorher noch danach, dass der Herr so auf die Stimme einesMenschen hörte; denn der Herr stritt für Israel.“ (Jos 10,12–14) Das Anhalten derGestirne hat also einen doppelten Sinn: die pragmatische Funktion, den Zeit-raum für die Rache an den Feinden auszudehnen, und die verbürgende Zei-chenfunktion, Gottes Treue zu seinem Volk zu vergewissern.

Auch hier handelt es sich noch um ein Himmelsphänomen, dessen Exzep-tionalität freilich deutlich markiert ist. Die Erzählung davon soll natürlich auchdemonstrieren, dass – in Umkehrung der Vaterunser-Bitte gesagt – Gottes Willenicht nur „auf Erden“, sondern auch „im Himmel“ geschieht. Gott vermag auchden von der Erde aus unverfügbaren Teil der Schöpfung zu lenken. Mit dieserUnverfügbarkeit hat es zu tun, wenn „vom Himmel“ her ein außeralltägliches– rettendes, strafendes – Eingreifen Gottes erwartet wird. Besonders einschlägigist die Erzählung im 2. Buch der Könige ( 2 Kg 1), wenn der Prophet Elia seineprophetische Berufung durch ein schauerliches Zeichen beglaubigen lässt: „Bin

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ich ein Mann Gottes“, sagt er zu einem Hauptmann, der ihn im Auftrag desisraelitischen Königs Ahasja festnehmen soll, „so falle Feuer vom Himmel undfresse dich und deine fünfzig Mann“, und genau dies geschieht dann auch(2 Kg 1,10). Interessant ist der intertextuelle Kommentar im Neuen Testament:Als Jesus und seine Jünger auf ihrem Weg von Galiläa nach Jerusalem in einemDorf der Samaritaner keine Aufnahme finden, wenden sich die erzürnten JüngerJakobus und Johannes an Jesus: „Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuervom Himmel falle und sie verzehre“ (Lk 9,55), was Jesus aber barsch zurückweist(vgl. 9,56) – in einer jüngeren Handschrift wird das erläuternde Jesuswort hin-zugefügt: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kind ihr seid? Der Menschensohn istnicht gekommen, das Leben der Menschen zu vernichten, sondern zu erhalten.“(Lk 9,55b.56a) Dieser Zusatz – der in neueren Bibelausgaben ins Kleingedruckteverbannt worden ist, weil er in den ältesten Handschriften fehlt – sagt aber nurnoch einmal explizit, was die kurze Szene implizit bereits enthält und was amGesamtwirken Jesu deutlich erkennbar ist: Das eigentliche „Zeichen vom Him-mel“ ist Jesus, und er ist nicht als Rächer, sondern als Retter gekommen.

4. „Unsere Heimat ist im Himmel“: Der Himmel alsSehnsuchtsziel menschlicher Erfüllung

Wie bereits erwähnt, ist die Heilsbotschaft, mit der Jesus auftrat und für die ereinstand, auf den Begriff des „Reiches Gottes“ bzw. des „Reiches des Himmels“(wörtlich im Plural: „Reich der Himmel“) konzentriert. Jesu erste überlieferteÄußerung präsentiert diese Botschaft in einer sloganhaften Verdichtung: „Kehrtum, denn das Himmelreich ist angekommen / angebrochen“ (Mt 3,2). Und ineinem weiteren Wort identifiziert Jesus diesen Anbruch des Gottesreichs aus-drücklich mit seinem eigenen Wirken: „Wenn ich mit dem Finger Gottes Dä-monen austreibe, dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Lk 11,20; vgl.Mt 12,27 – dort statt „Finger“ „Geist“).7 Jesus bringt gleichsam den Himmel aufdie Erde. Noch einmal mit dem Vaterunser gesagt: Die Herrschaft Gottes gilt„nicht nur imHimmel“ als dem sozusagen angestammten Aufenthaltsort Gottes,sondern auch „auf Erden“.

Dieser Ausweitung der (Sichtbarkeit der) Gottesherrschaft vom Himmel aufdie Erde korrespondiert nun freilich eine Gegenbewegung, die das eschatologi-sche Sehnsuchtsziel menschlicher Vollendung im Himmel verortet. „Unsere

7 Dass hier vom „Reich Gottes“ und nicht vom „Himmelreich“ die Rede ist, dürfte damitzusammenhängen, dass Jesus den Vorwurf zu widerlegen hat, er treibe die Dämonen „durchBeelzebub, ihren Obersten“ aus (Mt 12,24). Es geht also darum, ob Jesus eine teuflische odereben die göttliche Macht repräsentiert.

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Heimat (genauer: Bürgerrecht) ist imHimmel“, schreibt Paulus imPhilipperbrief(Phil 3,20). Für die Entwicklung dieser Vorstellung dürften mindestens dreiFaktoren leitend sein: Zum einen impliziert das Sein „im Himmel“ die endgültigüberbrückte Gottferne, die unverbrüchliche Gemeinschaft mit Gott, der eben der„Vater imHimmel“ ist. Zum anderen reflektiert die Annahme einer himmlischenExistenz die unabweisliche empirische Erfahrung der Entzogenheit der Ver-storbenen: Sie sind der irdischen Wahrnehmung und Kommunikation nichtmehr zugänglich. Wenn man überhaupt an einer postmortalen Existenz fest-halten will, dann kann man sie jedenfalls nicht mehr ohne weiteres „auf Erden“verankern. Sie braucht einen neuen ‚Ort‘. Und soll dieser Ort positiv als Sehn-suchtsziel besetzt werden, dann bietet sich dafür der Himmel als Verräumlichungder Gottnähe an. Entsprechend etabliert sich dann auch ein ‚Ort‘ für die defi-nitive Gottferne: die in der „Unterwelt“, also unter der bewohnten Erde, lozierte„Hölle“. Diese räumliche Ausgestaltung der religiösen Erwartungskomplexe„ewiges Leben“ und „ewige Verdammnis“ ist sicher massiv gefördert durch dieantithetische Licht-Dunkel-Metaphorik, die als dritter prägender Faktor für dieAnnahme einer himmlischen Existenz zu nennen ist. Der Himmel als Inbegriffdes Lichten, Hellen, Luftigen, Transparent-Weiten steht der Hölle als demSignalwort für das Lichtlose, Dunkle, Stickige, Enge gegenüber. Der Himmelkann daher auch als der Ort erscheinen, an dem die irdischen Beengungen undBeklemmungen, die dunklen Seiten der Existenz verschwunden und überwun-den sind.8

Freilich zeigt sich hier ein grundsätzliches Problem. Die Verortung „imHimmel“ vermag der kategorialen Andersartigkeit, der Unverfügbarkeit undUnanschaulichkeit der postmortalen Existenz Ausdruck zu geben. Aber sieversperrt jede Aussicht auf die konkrete Gestalt jenes „ewigen Lebens“, in demdoch in irgendeiner Form die irdische Existenz, das ‚gelebte Leben‘ aufbewahrtsein soll. Für das religiöse Bewusstsein entsteht hier eine dauernde Spannungzwischen der wahrgenommenen (und anerkannten) Unanschaulichkeit einesLebens ‚nach dem Tode‘ und dem Bedürfnis nach einer konkretisierten Dar-stellung desjenigen „ewigen Lebens“, das doch als die Erfüllung des irdischenLebens gelten soll und also in irgendeiner Kontinuität dazu stehen muss. Es istdeshalb kein Zufall, dass parallel (und in Konkurrenz) zur Vorstellung der

8 In säkularisierter Form, nämlich auf die Erfahrung des Fliegens bezogen, spricht sich dieseHimmelswahrnehmung in ReinhardMeys bekanntemLied „Über denWolken“ aus: „Über denWolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, bliebendarunter verborgen und dannwürde, was uns groß undwichtig erscheint, plötzlich nichtig undklein.“Hier wird der kosmischeHimmel (sky) zumErfahrungs- undVeranschaulichungsraumfür das, was die religiöse Tradition unter heaven thematisiert. Zu beachten sind aber diesprachlichen Distanzierungs- und Relativierungsindikatoren („wohl“, „sagt man“; auch dieindirekte Rede).

Gott im Himmel? Der Himmel als religiöser Imaginationsraum 27

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Heimat „im Himmel“, in die die Verstorbenen zurückkehren, auch das Bild derendzeitlichen Neuschöpfung eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“entwickelt wurde.

5. „Neuer Himmel und neue Erde“: Die vollendete irdischeExistenz als Sehnsuchtsziel

Bei dieser Neuschöpfung geht es um einen neuen Kosmos, in dem sich dieLebensbedingungen des „alten“ widerspiegeln, freilich ohne Gewalt, Hunger,Leiden und Tod. Die Menschen leben nicht „im Himmel“, sondern auf einererneuerten Erde. Der „neue Himmel“ ist in diesem Vorstellungsrahmen nichtheaven, sondern sky.

Für diese erneuerte irdische Existenz steht im Alten Testament der Begriffshalom. Er bezeichnet einen Frieden in umfassendem Sinn. Vielfältige Bilderentfalten unterschiedliche Dimensionen dieses Friedens und korrespondierendabei gegenwärtigen Entbehrungs-, Gefährdungs- und Leiderfahrungen. So ge-hören sichere Grenzen dazu, verlässliche Ernten, geklärte Besitzverhältnisse, diegewährleisten, dass derjenige, der sät, auch die Früchte der Ernte genießt, etc.Zentral ist die Kategorie der Gerechtigkeit. In einzelnen Spitzenaussagenwird einVölkerfrieden angekündigt, der darauf gründet, dass die Völker nach Jerusalemwallfahrten, um dort vom Gott Israels „Weisung“ zu erlangen (vgl. Jes 2,2–4;ähnlich Mi 4,1–4). Und von dem im Jesajabuch angekündigten „Gottesknecht“(in dem die frühe Christenheit Christus erkannte) wird gesagt, dass er das„Recht“, d. h. , eine gerechte Friedensordnung, zu den „Inseln“ trägt, also über dieganze bewohnte Erde ausbreitet (Jes 42,1–4). Sogar die Natur verliert ihre Ge-fährlichkeit und wird in die Friedensordnung einbezogen: „Da werden dieWölfebei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleinerKnabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Küheund Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, undLöwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen amLoch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhleder Natter“ (Jes 11,6–8).

Es geht hier, noch einmal kurz gesagt, um eine erneuerte Erde unter einemerneuerten Himmel, nicht um eine Aufhebung des Irdischen in den Himmelhinein und auch nicht um den ‚Himmel auf Erden‘: Anders als bei Heine werden„Torten undKuchen“ nicht imHimmel gegessen, sondern auf der Erde. Dennochwird das irdische Leben nicht einfach fortgesetzt, sondern es wird unter verän-derten Bedingungen neu geschaffen. Kontinuität und Diskontinuität greifenineinander.

Bernd Oberdorfer28

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6. Im Himmel – oder auf der neuen Erde: Darstellungsproblemedes „ewigen Lebens“

Dass die Vorstellungen eines Sehnsuchtsziels vollendeten menschlichen Lebensoszillieren zwischen einem „himmlischen“ Dasein und einer heilvoll erneuertenirdischen Existenz, verweist auf die grundsätzlichen Herausforderungen desSprechens über ein „jenseitiges“ Daseinsziel: Dieses muss sich von der „dies-seitigen“ Existenz kategorial unterscheiden – eine bloße unveränderte Verlän-gerung des irdischen Lebens wäre wenig verheißungsvoll –; es muss aber zugleichauch Züge des gelebten Lebens aufnehmen – sonst wäre es als Vollendungund/oder Erneuerung dieses Lebens nicht mehr erkennbar.

Zweifellos akzentuiert die Vorstellung eines ewigen Lebens „im Himmel“stärker die Dimension des Unanschaulichen, Diskontinuierlichen, ‚ganz Ande-ren‘. Zwar wird bei der Versicherung, ein Verstorbener sei jetzt „im Himmel“, inder Regel zwanglos ein Bereich „oben“, also oberhalb der Erde, assoziiert. Aberdieser Bereich ist meist nicht näher definiert; dieser Himmel ist kein geogra-phischer Raum, der heaven hat nur rudimentäre Züge von sky. Als ‚Ort‘ für das„ewige Leben“ ist er nur schwach orchestriert: Neben der vollkommenen Got-tesschau wird eigentlich nur der unablässige Lobgesang der Engel erwähnt, inden die Vollendeten einstimmen; kein Wunder, dass der sprichwörtliche„Münchner im Himmel“ sich da langweilt. Gelegentlich wird in elaboriertenAngelologien eine Engelhierarchie entfaltet, in der sich die irdische Ständege-sellschaft spiegelt. Auch kann zwischen unterschiedlichen Stufen des Himmelsdifferenziert werden – was eine Rolle spielt bei der Frage, in welchen HimmelMystiker während ihrer Visionen „entrückt“werden. Beides hat allerdings in derNeuzeit kaum Nachfolger gefunden; den entsprechenden Versuch Swedenborgshat Kant als „Träume eines Geistersehers“ verhöhnt.9

Freilich wurde die an Auskunftsverweigerung grenzende Kargheit und‚Weltlosigkeit‘ dieser eschatologischen Perspektive immer wieder auch als reli-giös unbefriedigend empfunden. Hier bot die Annahme einer „neuen Erde“unter einem „neuen Himmel“ einen Rahmen für die detail- und farbenreicheBeschreibung der vollendeten Existenz als wiedergefundenes Paradies, gar als„Schlaraffenland“. Konnte dabei die allzu irdische Ausmalung anstößig wirken,so kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durchaus ernst zu nehmendetheologischeGründe gab und gibt, die eine stärker ‚weltförmige‘Auskleidung dereschatologischen Existenz als angezeigt erscheinen lassen.10 Entscheidend sind

9 Vgl. Immanuel Kant: „Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume derMetaphysik“,in: Ders.: Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 51983, 923ff.

10 Vgl. dazu meinen Beitrag: „‚Das kann doch nicht alles gewesen sein …‘ Fundamentalan-thropologische Prolegomena zur Eschatologie“, in: Uwe Swarat/Thomas Söding (Hg.): Ge-

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