Medizinisches Krafttraining im Tennis - die funktionelle ... · Bedeutung im Kraftsport zu. Will...

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Medizinisches Krafttraining im Tennis - die funktionelle Wirbelsäule - Tennissport ist gesund. Für den Rücken gilt dieses Motto nur bedingt. Doch bei welchen Bewegungen könnten Probleme entstehen und mit welchen Beschwerden kann man „rückengerecht“ Tennis spielen? Grundsätzlich gilt: Jede Sportart ist gut, bei der die Wirbelsäule (WS) weitgehend gerade gehalten wird. Abrupte Drehungen in gebeugter Haltung oder hohe Belastungen in ein Hohlkreuz können zu Rückenschäden führen. Wer bereits Rückenprobleme hat, sollte wissen, dass funktionelles Kräftigen und Dehnen zu dauerhafter Beschwerdefreiheit führen kann. Tennis gehört mit seinen ruckartigen Stopp- und Drehbewegungen zu den Sportarten, die nicht als rückenfreundlich eingestuft werden. Besonders beim Aufschlag, der beidhändigen Rückhand und bei der offenen Stellung der Vorhand, belastet die schnelle Rumpfrotation die Wirbelsäule erheblich. Bild 1: Aufschlag Bild 2: Beidhändige RH Bild 3: VH offene Stellung Gift für die Wirbelsäule bei Tennisspielern: Drehungen und Stauchungen, wenn diese nicht muskulär stabilisiert werden können. Gut für die (geschädigte) Wirbelsäule sind: Entlastungen, Muskelaufbautraining und Dehnungen. Kraftsport kann helfen, Defizite der Rumpfmuskulatur zu beseitigen und hilft bei einem sehr wichtigen Grundaufbau der gesamten Statik. Bei schweren Rückenschäden sollte jedoch zunächst ein Arzt konsultiert werden, der sich mit „aktiver Therapie“ auskennt. Therapeutisches Ziel sollte sein, dass passive Maßnahmen wie Medikamente, Spritzen, Physiotherapie, Massagen Chiropraktik und TENS zunehmend in den Hintergrund treten. Sinnvoll ist es, tennisspezifischen Kraftsport im Fitness-Studio unter Anleitung von Experten (Sporttherapeut, Dipl. Sportwissenschaftler, Tennis- und Fitnesscoach) zu erlernen, um eine dauerhafte Schmerzlinderung zu bewirken. Hat man es bei der Krafttrainingsplanung mit Tennisspielern mit einer verletzten, geschädigten Struktur oder mit einer intakten Wirbelsäule zu tun? Bild 4: Krafttraining mit Trainer Bei den Prinzipien des Trainings ist zu unterscheiden, ob man nach Verletzungen mit rehabilitativem- oder zur Verhinderung von Sportschäden mit präventivem Krafttraining beginnt. Die häufigsten Schmerzen bei Tennisspielern resultieren aus der verspannten Rückenmuskulatur auf Grund einseitiger Belastungen oder tatsächlichen Verletzungen. Echte BS-Schäden treten dagegen in der Schmerzstatistik nur sehr selten auf. Im Krafttraining gilt es den zeitlichen Ablauf, die Intensität, Dauer und Frequentierung an das Beschwerdebild anzupassen.

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Medizinisches Krafttraining im Tennis - die funktionelle Wirbelsäule -

Tennissport ist gesund. Für den Rücken gilt dieses Motto nur bedingt. Doch bei welchen Bewegungen könnten Probleme entstehen und mit welchen Beschwerden kann man „rückengerecht“ Tennis spielen? Grundsätzlich gilt: Jede Sportart ist gut, bei der die Wirbelsäule (WS) weitgehend gerade gehalten wird. Abrupte Drehungen in gebeugter Haltung oder hohe Belastungen in ein Hohlkreuz können zu Rückenschäden führen. Wer bereits Rückenprobleme hat, sollte wissen, dass funktionelles Kräftigen und Dehnen zu dauerhafter Beschwerdefreiheit führen kann. • Tennis gehört mit seinen ruckartigen Stopp- und Drehbewegungen zu den Sportarten, die nicht als rückenfreundlich eingestuft werden. Besonders beim Aufschlag, der beidhändigen Rückhand und bei der offenen Stellung der Vorhand, belastet die schnelle Rumpfrotation die Wirbelsäule erheblich. Bild 1: Aufschlag Bild 2: Beidhändige RH Bild 3: VH offene Stellung Gift für die Wirbelsäule bei Tennisspielern: Drehungen und Stauchungen, wenn diese nicht muskulär stabilisiert werden können. Gut für die (geschädigte) Wirbelsäule sind: Entlastungen, Muskelaufbautraining und Dehnungen. • Kraftsport kann helfen, Defizite der Rumpfmuskulatur zu beseitigen und hilft bei einem sehr wichtigen Grundaufbau der gesamten Statik. Bei schweren Rückenschäden sollte jedoch zunächst ein Arzt konsultiert werden, der sich mit „aktiver Therapie“ auskennt. Therapeutisches Ziel sollte sein, dass passive Maßnahmen wie Medikamente, Spritzen, Physiotherapie, Massagen Chiropraktik und TENS zunehmend in den Hintergrund treten. Sinnvoll ist es, tennisspezifischen Kraftsport im Fitness-Studio unter Anleitung von Experten (Sporttherapeut, Dipl. Sportwissenschaftler, Tennis- und Fitnesscoach) zu erlernen, um eine dauerhafte Schmerzlinderung zu bewirken. Hat man es bei der Krafttrainingsplanung mit Tennisspielern mit einer verletzten, geschädigten Struktur oder mit einer intakten Wirbelsäule zu tun? Bild 4: Krafttraining mit Trainer Bei den Prinzipien des Trainings ist zu unterscheiden, ob man nach Verletzungen mit rehabilitativem- oder zur Verhinderung von Sportschäden mit präventivem Krafttraining beginnt. Die häufigsten Schmerzen bei Tennisspielern resultieren aus der verspannten Rückenmuskulatur auf Grund einseitiger Belastungen oder tatsächlichen Verletzungen. Echte BS-Schäden treten dagegen in der Schmerzstatistik nur sehr selten auf. Im Krafttraining gilt es den zeitlichen Ablauf, die Intensität, Dauer und Frequentierung an das Beschwerdebild anzupassen.

Wenn man sich als Trainer ein bisschen mit dem Verlauf der Wundheilung und der Reparatur geschädigter Strukturen im Bereich der WS auskennt, kann man durch den frühzeitigen und dosierten Einsatz von Gewichten, entscheidende Wachstumsreize setzen, die sich im späteren (Leistungs-) Tennissport positiv auswirken. Im Trainingsprozess ist von Bedeutung, ob es sich um Muskelverletzungen als Folge von Verspannungen oder Zerrrungen, einem Bandscheibenschaden (Knorpelschaden) oder einer Verrenkung von Wirbelgelenken, mit ausstrahlenden Beschwerden handelt. Auf besondere Wirbelsäulensyndrome sind spezifische Methoden im Krafttraining anzuwenden. Bei Muskeldysbalancen müssen zur Verkürzung neigende Muskeln gedehnt und abgeschwächte Muskeln gekräftigt werden. Der Skoliose muss man ggf. mit einseitigen Belastungen begegnen, während bei einer Lockerungssymptomatik in der WS häufig symmetrisches Hypertrophietraining angesagt ist. Bei einer Protusion (BS-Vorwölbung) wird zunächst mit isometrischen Übungen begonnen und mit funktionellem Krafttraining eine drohende Chronifizierung des Rückenschmerzes in aller Regel verhindert (FPZ-Konzept, Kieser-Training). In der Rehabilitation von WS-Schäden muss es im Trainingsverlauf zu ausreichend hohen Belastungsreizen kommen, damit die Gewebestrukturen, bestehend aus Kollagenen und Matrix, wieder belastungsstabil heranwachsen. Zu lange Phasen der Immobilisation und Schonung, verbunden mit der dauerhaften Gabe von Medikamenten, bewirken eine bleibende Funktionsschwäche und können zu Rezidiven und zur Chronifizierung von Rückenschmerzen führen (DENNER, 1998). In jeder Phase der körpereigenen Reparationsprozesse sind ganz spezifische Trainingsreize notwendig. Gilt in der akuten Phase (Entzündungsphase bis zu 48 Stunden) noch Ruhe und ggf. Hochlagern mit evtl. Eisanwendungen als Mittel der Wahl, sollten spätestens nach 3 bis 10 Tagen (Proliferationsphase) adäquate Reize mit axialer Belastungen der WS und ein Stabilisationstraining in den Trainingsprozess einfließen. Isometrische Kraftbelastungen im schmerzfreien Bereich und Elektrostimmulation (EMS) kommen ebenso zum Einsatz, wie ein begleitendes aerobes Ausdauertraining. Durch diese geringen Belastungen werden zunächst „ausdauernde Muskelphasern“ (ST-Fasen) im Muskel gebildet. Propriozeptive Trainingsreize sind zu diesem Zeitpunkt in den Trainingsprozess zu integrieren (FREESE, 2003). In dieser Phase, in der eine verbesserte Blutzufuhr notwendig ist, kommt es zum ersten quantitativen Wachstum von Kollagen des Typs III (schwaches Kollagen). Die Gewichtbelastungen müssen in den nächsten Wochen erhöht werden und in der anschließenden Organisationsphase (Beginn nach ca. 4 Wochen) die halbe Maximalkraft erreichen. Durch die Erhöhung der Krafttrainingsintensität werden jetzt die „schnellen Muskelphasern“ (FT-Fasern) herausgebildet, welche in späteren (leistungs)sportlichen Belastungen die notwendigen Maximalkräfte und die Schnelligkeit ermöglichen. In diesem Zeitraum von 28 Tagen bis zu mehreren Monaten werden sog. „hochwertige“ Kollagene vom Körper gebildet, die in den „passiven Strukturen“, im Knochen (Wirbelkörper), Knorpel- und Sehnenaufbau (Bandscheiben, Menisken, ligamentärer Strukturen) belastungsstabil heranwachsen sollen. Untersuchungen von VAN WINGERDEN (2002) zeigten, dass Anpassungsprozesse im Heilungsverlauf dann optimal verlaufen, wenn unter hohen Gewichtbelastungen der Muskulatur, der Körper im sogenannten „Turn-over“ qualitativ hochwertiges Kollagen bildet und so eine belastungsstabile Muskulatur ausgeprägt wird. Ein positiver Nebeneffekt von hohe Krafttrainingsreizen liegt in der Regeneration von Knochensubstanz, da es hierdurch zur vermehrten Einlagerung von Calcium kommt, der den Knochen sehr viel belastungsstabiler (Stichwort: Osteoporoseprophylaxe) werden lässt (GOTTLOB, 2001).

Tennisspezifisches Krafttraining zu Beginn des Muskelaufbaus folgt einer gesundheits-schonenden Periodisierung. Grundsätzlich lässt sich der Einstieg in ein „medizinisches“ oder auch „leistungssportliches“ Rückenkrafttraining in 6 Phasen (mod. nach FROBÖSE/LAGERSTRÖM, 1991) unterteilen. Phase 1 bezeichnet man als Mobilisationsphase, in der die Kraftausdauer im Vordergrund steht. In der 2. Phase, der Stabilisationsphase, steht das Hypertrophietraining an erster Stelle. Hier werden wichtige Grundlagen zum Muskelaufbau gelegt, mit Belastungen von ca. 70% der Maximalkraft. Anschließend folgen die Phasen 3 und 4 mit funktionellem Muskeltraining. Dies beinhaltet Schnellkraftanteile, Explosivkraftreize, bis hin zu max. Kraftbelastungen am Ende der Phase 4. Jetzt folgt in Phase 5 das präventive Funktionstraining mit disziplinspezifischen Krafttrainingsformen. In Phase 6 kommt es zur weiteren Steigerung von Kraftreizen. Im sog. Plyometrischen Training, mit Reaktivkraftübungen für die Bein- und Schlagarmmuskulatur werden die schnellkräftigen Muskelfasern (FT-Fasern) optimal ausgebildet, damit eine funktionelle hochleistungssportliche Belastung ermöglicht wird. Werden alle Phasen durchlaufen, welche sich z.T. auch überlappen können, ist ein Zeitraum von 6 bis 8 Monaten einzuplanen, will man messbare Muskelkraftveränderungen bewirken. Die folgenden Fotos zeigen Reaktivkraftübungen (Phase 6) von Tennisspielern für die Bein- und Schlagarmmuskulatur. Gleichzeitig dienen diese Übungen der Verbesserung der Wirbelsäulen stabilisierenden Muskulatur in funktioneller Art und Weise. Foto 1 bis 3 Sprungkraft Foto 4 bis 6 Oberkörper Der Trainingsschwerpunkt bei diesen Übungen für rückenbeschwerdefreie und fortgeschrittene Tennisspieler liegt in den kurzen, schnellkräftigen Krafteinsätzen, der am Tennisspiel beteiligten Muskulatur. Durch extrem kurze Kontaktzeiten zwischen den Belastungen sind optimale Schnellkraftreize im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ) der Muskulatur trainierbar.

Im Krafttraining sollten nach Verletzungen oder als „Einsteigertraining“ für Tennisspieler, alle Phasen mit den dazugehörigen Intensitäten durchlaufen werden.

Je nach Beschwerdebild können einzelne Phasen u.U. sehr viel länger andauern.

Trainingsphasen Dauer Sätze Whlg. Belastung / Fmax

Phase 1: Mobilisationstraining / Kraftausdauer

(4. bis 7. Tag)

4 – 5

20 – 40

30 – 40%

Phase 2: Stabilisations- und Propriozeptiv Training

(1. bis 3. Woche)

2 + 2

8 – 12

60 – 75%

Phase 3: funkt. Muskeltraining / Hypertrophie

(ab 21. Tag) 4

8 – 12

60 – 75%

Phase 4: Muskelbelastungstraining / Schnellkraft

(3. bis 6. Woche)

10

10 sec.

70%

Phase 5: präv. Funktionstraining / Explosivkraft

(21 bis 300 Tage)

10

5 sec.

40%

Phase 6: Plyometrie (Reaktivkraft, exzent.- konz.)

ab 6. Woche

ind.

ind.

ind.

Regenerationszeiten beachten (48 bis 72 Stunden nach intensivem Training)

Auf Grund des Anforderungsprofils der Sportart Tennis an die Kraftfähigkeit, müssen im funktionellen Krafttraining sportartspezifische Inhalte trainiert werden. Die wichtigsten sind: Kraftausdauer der Bein-, Rumpf- und (Schlag-)Armmuskulatur Dynamische Kraft als Schnellkraft und Explosivkraft der Bein- und

(Schlag-) Armmuskulatur und Oberkörpermuskulatur Maximalkraft als Komponente der Schnellkraft bes. für die Beinmuskulatur Reaktivkraft der Beinmuskulatur (Sprungkraft, Sprint- und „Stoppkraft“)

Aus dieser Notwendigkeit ergeben sich die dazugehörigen Krafttrainingsmethoden (Einsatz-, Mehrsatztraining, Pyramiden-und Maximalkrafttraining, HIT-Methode, Plyometrisches Training), welche in Abstimmung mit der Turnierplanung, sinnvoll periodisiert werden sollten. Beim Krafttraining der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur der Tennisspieler kommt den „7 Wirbelsäulen-Sicherungssystemen“ eine besondere Bedeutung zu. Stellt man sich die WS wie einen Schiffsmast vor, welcher von allen Seiten gut „vertaut“ sein muss, damit das Schiff „im Lot“ bleibt, so ist den drohenden oder bereits vorhanden (sportartspezifischen) Muskeldysbalancen im Krafttraining entgegen zu wirken. Die Rückenstreckmuskulatur, die seitliche Bauchmuskulatur, der Latissimus-dorsi, der gerade Bauchmuskel, die Beckenaufrichter, die Beckenkipper und die HWS-Muskulatur bilden das Sicherungssystem für die gesamte Statik. Abb. Sicherungssystem WS

Neben dem funktionellen Kräftigen kommt dem ausführlichen Dehnen eine weitere wichtige Bedeutung im Kraftsport zu. Will man bestehende Muskeldysbalancen ausgleichen und strukturelle Verbesserungen in der verkürzten Muskulatur erzielen, (ein schwacher, „atrophierter“ Muskel ist auch immer ein verkürzter Muskel) müssen die Dehnungsreize mindestens pro Muskelanteil eine Minute betragen. Nach kürzerer Dehnung sind keine dauerhaften, bleibende „Längenänderungen“ feststellbar (FREESE, 2003). Ein nach dem Krafttraining folgendes „Cool-down“ mit 15 bis 20 minütigem Herz-Kreislauftraining bewirkt eine optimale Regeneration der Muskulatur und ein „ein- bis zweimaliger“ Saunagang beschließt das „funktionelle Krafttraining“ (nicht nur) für Tennisspieler nach jeder Trainingsphase. Literaturempfehlungen: DENNER, A,: Analyse und Training der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur, Springer-Verlag, Heidelberg 1998. FREESE, J.: Medizinische Fitness. Deutscher Trainerverlag, Köln 2001. GOTTLOB, A.: Differenziertes Krafttraining. Urban&Fischer, Jena-München 2004. STEINBRÜCK, K., BUCHBAUER, J.: Funktionelles Kraftaufbautraining in der Rehabilitation, Gesundheits-Dialog-Verlag, Oberhachingen 1994. VERSTAGEN, M.: CORE Performance, Riva Verlag, München 2006. VAN WINGERDEN, B.: Script aktive Reha der Wirbelsäule, Bad Pyrmont 2002. WEINECK, J.: Optimales Training, Demeter Verlag, Erlangen 1998. Kontaktdaten des Referenten:

Karsten Focke Diplom Sportwissenschaftler, FPZ-Rückenschmerztherapeut, DTB-Trainer, DSLV-Skilehrer, Personaltrainer Holmes Place, Trainer Asics-Tennis-Base TC Blau-Weiss Neuss e-mail: [email protected] - www.KarstenFocke.de