Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben · Sibylle Seyferth, Aysun Kul und Yasemin...

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Dagmar Knorr, Ursula Neumann (Hrsg.) Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben Schreibwerkstätten an deutschen Hochschulen Waxmann 2014 Münster New York Leseprobe aus:

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Dagmar Knorr, Ursula Neumann (Hrsg.)

Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben

Schreibwerkstätten an deutschen Hochschulen

Waxmann 2014 Münster • New York

Leseprobe aus:

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FörMig Edition, Bd. 10 ISSN 1861-4108 Print-ISBN 978-3-8309-3011-2 E-Book-ISBN 978-3-8309-8011-7

Waxmann Verlag GmbH, 2014

www.waxmann.com [email protected]

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Inhalt

Holger FischerGrußwort .................................................................................................... 9

Anna HofmannGrußwort...........................................................................................................11

Dagmar Knorr und Ursula NeumannMehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben – Einleitung und Überblick ....................................................................... 13

Teil IMehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben – Facetten eines komplexen Prozesses

Antonie HornungMehrsprachigkeit als Ressource – mehrsprachige Lehramtsstudierende zwischen ihren persönlichen Erfahrungen und den Ansprüchen der Bildungspolitik ........................................... 23

Gabriela RuhmannWissenschaftlich Schreiben lernen an deutschen Hochschulen – Eine kleine Zwischenbilanz nach 20 Jahren ........................................ 34

Christoph Gantefort und Hans-Joachim RothSchreiben unter den Bedingungen individueller Mehrsprachigkeit ..................................................................................... 54

Magdalena Knappik, İnci Dirim und Marion Döll Entwicklung von studentischen Schreibkompetenzen – Vorstellung eines förderdiagnostischen Verfahrens für Lehrende............................................................................................. 74

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Inhalt6

Kirsten SchindlerLehramtsstudierende (mit Migrationshintergrund) zwischen Ausbildung und beruflicher Praxis –Überlegungen zur Förderung akademischer Textkompetenzen im Studium................. 93

Dagmar Knorr und Ursula NeumannDie Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit – (Lehramts-)Studierende mit Migrationshintergrund der Universität Hamburg schreiben .......................................................... 112

Teil IISchreibwerkstätten, Schreibzentren, Projekte zur Unterstützung von Studierenden im Erlernen des akademischen Schreibens – Einblicke in die schreibdidaktische Arbeit in Deutschland

Heike Brandl und Anna VollmerSchreiblabor und PunktUm – die Schreibzentren der Universität Bielefeld .............................................................................. 141

Sibylle Seyferth, Aysun Kul und Yasemin KarakaşoğluWissenschaftssprache Deutsch – Ein Angebot für mehrsprachige Lehramtsstudierende an der Universität Bremen ............................. 154

Antonio Arcudi, Sandra Ballweg, Julia Bernard, Lisa Hertweck und Lea Luise KimmerleBedarfsgerechte Angebote für mehrsprachige und internationale Studierende am SchreibCenter der TU Darmstadt .......................... 163

Olja Larrew, Beate Pitzler und Barbara Rodríguez Navarro„Zwischen den Sprachen“ – Ein studienbegleitendes Programm für mehrsprachige Lehramtsstudierende an der Goethe-Universität Frankfurt am Main ............................................. 169

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Inhalt 7

Katrin GirgensohnVon Peers geprägt und wissenschaftlich fundiert: Das Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina........................... 176

Susanne Göpferich, Carmen Neis und Imke Neumann„Einstieg mit Erfolg“ – Das Schreibzentrum am Zentrum für fremdsprachliche und berufsfeldorientierte Kompetenzen der Justus-Liebig-Universität Gießen ........................................................ 182

Melanie BrinkschulteDas Internationale Schreibzentrum der Georg-August-Universität Göttingen ................................................. 192

Dagmar KnorrAkademisches Schreiben an der Universität Hamburg ................... 198

Dagmar KnorrDie Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit – Ein Angebot für (Lehramts-)Studierende mit und ohne Migrationshintergrund ......................................................................... 199

Fridrun Freise, Jan Minck und Mirjam SchubertDie „Schreibwerkstätten Geisteswissenschaften“ an der Universität Hamburg – Im Fokus: Fachspezifisches Schreiben und die Förderung kollaborativen Arbeitens in Schreibgruppen ...................................................................................... 209

Bettina NiebuhrWenn nichts mehr geht: Schreibcoaching in der Zentralen Studienberatung und Psychologischen Beratung der Universität Hamburg ..................................................................... 220

Über die Autoren .................................................................................. 223

Autorenregister ...................................................................................... 230

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Holger Fischer

Grußwort

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

als Vizepräsident der Universität Hamburg begrüße ich Sie sehr herzlich zu der Tagung: „Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben“.

Eigentlich gilt es sogar gleich zwei Veranstaltungen zu eröffnen, denn diese Tagung geht morgen Mittag nahtlos über in das X. Prowitec-Sympo-sium zum Thema „Methoden in der Schreibprozessforschung“. „Prowitec“ steht, wie ich gelernt habe, für „PROduktion WIssenschaftlicher TExte mit und ohne Computer“.

Beide Tagungen werden ausgerichtet von der Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit, und ich danke den Veranstalterinnen, vor allem Frau Dr. Knorr, sehr herzlich für ihr Engagement und die gute Organi-sation.

Die Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit ist ein Angebot des FörMig-Kompetenzzentrums. Als Projekt wurde sie seit Juni 2011 durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius finanziert, der wir für ihre großzügige Unterstützung dieser wichtigen Initiative zu großem Dank verpflichtet sind!

Die Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit richtet sich vornehm-lich an Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund und bietet ihnen Unterstützung im Bereich des akademischen Schreibens, um dazu beizu-tragen, den Studienerfolg dieser Zielgruppe zu erhöhen. Sie setzt dabei vor allem auf einen Peer-to-Peer-Ansatz: Die Schreibwerkstatt Mehr-sprachigkeit hat als besonders wirkungsvolle Maßnahme ein Angebot zur Ausbildung von studentischen Schreibberatern und -beraterinnen auf-gebaut, aus dem ein stetig wachsendes Netzwerk von Studierenden ent-standen ist, die ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen beraten und unterstützen können.

Mit ihrem Ziel, den Anteil von Lehrkräften mit Migrationsbiographie zu steigern, fügt sich die Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit her-vorragend in das vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg verab-schiedete Integrationskonzept ein. Für die (und von den) Hochschulen ist dort das Ziel formuliert, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen

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Grußwort10

mit Migrationshintergrund an der Hochschulbildung zu fördern und zu erreichen, dass mehr „Bildungsinländer“ und „Bildungsausländer“ einen Hochschulabschluss erreichen.

Die heutige Tagung ist die Abschlussveranstaltung der Förderung durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Es ist aber nicht der Abschluss der Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit, denn sie wird ab 2013 im Universitätskolleg weitergeführt, das im Rahmen des Qualitäts-pakts Lehre aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und For-schung gefördert wird. Die Finanzierung bis 2016 ist also gesichert.

Das Universitätskolleg, das unter dem Titel „Brücken in die Universi-tät – Wege in die Wissenschaft“ steht, fasst konzeptionell und institutio-nell die Initiativen der Universität Hamburg zusammen, die einerseits die zentrale Bildungspassage zwischen Schule bzw. Beruf und Universität und andererseits die Studieneingangsphase in den Fokus nehmen und darauf zielen, die Studierfähigkeit zu entwickeln und dadurch den Studienerfolg zu fördern.

Als Teil des Universitätskollegs ist die Schreibwerkstatt Mehr-sprachigkeit eins von mehr als 40 Teilprojekten und gehört als „TP 05“ zum Handlungsfeld „Akademisches Schreiben“, das von Prof. Dr. Ursula Neumann geleitet wird und zu dem noch weitere Initiativen mit ähnli-chen Intentionen gehören:

das Schreibzentrum für Studierende der Fakultät für Erziehungswissen-schaftdie Schreibwerkstätten Geisteswissenschaftendie Einführung in das rechtswissenschaftliche Arbeiten.

Diese Tagung ist aber natürlich nicht nur für die Universität Hamburg von Interesse, sondern sie wendet sich an ein internationales Publikum, vor allem aber an die vielen Schreibzentren, Schreiblabore und Schreib-werkstätten an deutschen Hochschulen, von denen etliche hier heute ver-treten sind. Ich freue mich, dass Sie der Einladung von Frau Professor Neumann und Frau Dr. Knorr gefolgt sind, um hier gemeinsame Fragen zu diskutieren, Ergebnisse vorzustellen und Erfahrungen auszutauschen.

Ich wünsche deshalb nun allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwei fruchtbare, spannende Tage mit vielen Impulsen und Ideen für Pra-xis und Theorie und bin gespannt auf Ihre Ergebnisse!

Hamburg, im Februar 2013Holger FischerVizepräsident der Universität Hamburg

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Anna Hofmann

Grußwort

Die Mehrsprachigkeit ist in der gegenwärtigen deutschen Literatur leben-dig und eine Quelle der Kreativität: Emine Sevgi Özdamar, im Sommer-semester 2014 Gastprofessorin für interkulturelle Poetik an der Univer-sität Hamburg, überlagert und verschränkt in ihrem Schreiben Deutsch und Türkisch, um die häufig negativ besetzte „Sprachmischung“ der Mig-ranten zum Stilmittel zu erheben. Saša Stanišić, der im Frühjahr 2014 für seinen Roman „Vor dem Fest“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse geehrt wurde, hat sich hingegen für Deutsch und damit für das Schreiben in der Sprache entschieden, die nicht die seiner Herkunft, aber ihm den-noch vertrauter ist.

Die Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit an der Universität Ham-burg sorgt dafür, dass auch in Universitätshörsälen und Klassenzimmern die Mehrsprachigkeit kreativ gelebt werden kann. Mit vielfältigen Ange-boten zur Förderung des wissenschaftlichen Schreibens und der Ausbil-dung von Schreibberatern unterstützt sie Lehramtsstudierende mit Migra-tionshintergrund, die ihre Schreibkompetenz vertiefen wollen. Sie trägt nicht nur zu deren Erfolg im Studium bei, sondern bereitet die künftigen Lehrer auf wichtige Herausforderungen in Schulen vor, die von sprachli-cher und kultureller Vielfalt geprägt sind. Die Reflexion über die eigene Mehrsprachigkeit bildet dabei eine zentrale Erfahrung.

Die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius befasst sich in ihrer Pro-grammarbeit seit mehreren Jahren mit den Themen Migration und Viel-falt. Der Schülercampus „Mehr Migranten werden Lehrer“ gibt Einbli-cke in das Lehramtsstudium und zeigt Chancen des Lehrerberufs auf, um mehr Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte für Deutschlands Schulen zu gewinnen. Das Doktorandenprogramm „Settling Into Motion“ hat seit 2008 56 junge Sozialwissenschaftler unterstützt, die aktuelle Migrations-fragen in verschiedenen Weltregionen erforschen. Mit ihrer Förderung für die Hamburger Gastprofessur für interkulturelle Poetik und die Schreib-werkstatt Mehrsprachigkeit an der Universität Hamburg trägt die Stiftung zur Weiterentwicklung der Hansestadt als Ort innovativer For-schung und Lehre zur Mehrsprachigkeit bei.

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Grußwort12

Den beiden Verantwortlichen der Schreibwerkstatt Mehrspra-chigkeit und Herausgeberinnen des Bandes, Professor Dr. Ursula Neu-mann und Dr. Dagmar Knorr, wollen wir für ihr unermüdliches Enga-gement herzlich danken. Es ist ihnen in dieser Publikation gelungen, Erfahrungen aus der praktischen Arbeit in der Schreibberatung und die Forschung über Mehrsprachigkeit und Schreibprozesse produktiv zu ver-binden. Die ZEIT-Stiftung freut sich, die Schreibwerkstatt Mehrspra-chigkeit in ihren Aufbaujahren unterstützt zu haben und wünscht der Initiative eine erfolgreiche Fortsetzung.

Hamburg, Mai 2014Anna HofmannProgrammleiterin Wissenschaft und Forschung ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius

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Dagmar Knorr und Ursula Neumann

Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben – Einleitung und Überblick

Lehramtsstudierende sind während ihres Studiums in vielfacher Hinsicht gefordert: Sie müssen ihre eigenen literalen Kompetenzen ausbauen, um den Anforderungen des Studiums mit seinen verschiedenen schriftlichen und mündlichen Prüfungen zu bestehen. Darüber hinaus sollen sie sich darauf vorbereiten, anderen Personen literale Kompetenzen zu vermitteln. Die entsprechenden didaktischen und literalen Fähigkeiten zu erwerben, ist ein anspruchsvoller Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und der einen gewichtigen Anteil am Gelingen des Studiums hat. Mehrsprachige Lehramtsstudierende können hierbei auf verschiedene sprachliche Kompetenzen und eine mehrsprachige Sozialisation zurück-greifen.

Allerdings ist es notwendig, sich der Fallstricke und Zuschreibungen bewusst zu sein, die mit einer entsprechenden Zielgruppendefinition ver-bunden sind. Es gilt das breite Spektrum an Kompetenzen und Erfah-rungen mit mehreren Sprachen, mit der Mehrsprachigkeit selbst und den gesellschaftlichen Umgang mit Mehrsprachigkeit sehr genau zu beachten. So haben beispielsweise mehrsprachige Lehramtsstudierende mit Migra-tionshintergrund, die in Deutschland aufgewachsen sind, i. d. R. eine deutschsprachige Bildungsbiographie. Ihre konzeptionell schriftsprach-lichen Kompetenzen, d. h. ihre Kenntnisse in der deutschen Bildungs-sprache, von Textmustern usw. unterliegen den soziobiographischen Ein-flüssen, die generell für Deutschland konstatiert werden. Anders sieht es bei Studierenden aus, die in anderen Sprachen sprachlich, kulturell und eventuell wissenschaftlich sozialisiert sind. Diese Studierenden verfügen über akademische literale Kompetenzen – in einer anderen Sprache als Deutsch. Hier ist von Transferoptionen auszugehen, so dass die Lernpro-zesse anders verlaufen und bereits vorhandenes Wissen über akademi-sche konzeptionelle Schriftlichkeit genutzt werden kann. Hinzu kommen diejenigen, die während ihrer schulischen Laufbahn Land und Sprache gewechselt haben; hier liegen die Verhältnisse noch einmal anders. Ins-gesamt zeichnet sich ab, dass Lehramtsstudierende mit Migrationshinter-grund sehr verschiedene literale Eingangsvoraussetzungen mitbringen.

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Gemeinsam ist allen Studierenden, dass sie sich in den kulturell geprägten Handlungsraum Wissenschaft einfinden, Fachkonventionen kennen- und die Wissenschaftssprache Deutsch anwenden lernen müs-sen. Ob jedoch die kulturelle Prägung als solche vorhanden und wahrge-nommen wird, die Wissenschaftssprache Deutsch als besonders einfach oder schwierig empfunden wird und der Unterschied zwischen alltägli-cher Wissenschaftssprache (Ehlich 1999) und akademischer Fachsprache bewusst ist, ist – auch – auf die unterschiedlichen Eingangsvoraussetzun-gen, Bildungsbiographien und ersten Studienerfahrungen der Studieren-den zurückzuführen.

Diese Diversität zu berücksichtigen und Möglichkeiten zu schaffen, ein Studium erfolgreich abzuschließen, erfordert neue hochschuldidakti-sche Wege. So wurden an vielen Hochschulen in Deutschland in den letz-ten Jahren Schreibwerkstätten und Schreibzentren etabliert, die Angebote zur Literalitätsentwicklung bereitstellen. Sie richten sich in den meisten Fällen ganz unspezifisch, allenfalls fachbezogen, an Studierende; ob mehr-sprachige Kompetenzen im Hintergrund stehen, spielt erst allmählich eine Rolle. In diesem Sammelband wird im besonderer Wert auf die Darstel-lung von Zugängen gelegt, die dem Aspekt der Mehrsprachigkeit beim Schreiben insbesonders Rechnung tragen.

Darüber hinaus wurde erkannt, dass es notwendig ist, die Interaktion der vielfältigen Facetten sprachlichen Handelns auf Deutsch im Hand-lungsraum Wissenschaft genauer zu untersuchen, um eine sicherere Basis für didaktische Überlegungen zu gewinnen.

Der vorliegende Sammelband besteht daher aus zwei Teilen: Im ers-ten Teil werden Einblicke in die Facetten des sprachlichen Handelns beim akademischen Schreiben betrachtet; der zweite Teil gibt einen Überblick über Angebote von Schreibwerkstätten und Schreibzentren in Deutsch-land. Damit spiegelt der Sammelband das Konzept der Tagung „Mehr-sprachige Lehramtsstudierende schreiben“ wider, die die Schreibwerk-statt Mehrsprachigkeit an der Universität Hamburg im Februar 2013 mit Mitteln der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius als Abschluss einer ersten Förderphase durchgeführt hat.

Überblick über die Beiträge

Antonie Hornung eröffnet den fachwissenschaftlichen Teil mit der Beleuchtung der These, dass Mehrsprachigkeit eine Ressource sei. Mehr-sprachige Lehramtsstudierende stünden hier zwischen den Wünschen der Politik und den eigenen Erfahrungen. Sie zeigt damit das Spannungsfeld

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Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben – Einleitung und Überblick 15

auf, in dem sich die hier betrachtete Zielgruppe bewegt. Es finden sich in ihrem Beitrag Thesen, die sie argumentativ ausführt und auf diese Weise den Lesenden ermutigt, sich unter verschiedenen, teilweise provozieren-den Perspektiven mit der Frage der Mehrsprachigkeit als Ressource zu beschäftigen.

Gabriele Ruhmann dokumentiert die Geschichte der Schreibdidaktik der letzten zwanzig Jahre in Deutschland und zeichnet ein Bild der aktu-ellen schreibdidaktischen Landschaft der Bundesrepublik. Sie zeigt, wie sich aus der Arbeit einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler eine Strömung entwickelt hat, die aktuell durch die öffentliche Förde-rung breit aufgestellt ist. Inwieweit jedoch die Einsicht in den Hochschu-len angekommen ist, dass Schreiben lehren und lernen relevant ist, wird sich wohl erst beim Auslaufen der Finanzierungen zeigen. Aus diesem Grund entwirft sie eine Agenda zwanzigzwanzig, in der sie Aufgabenbe-reiche definiert, die zu einer Verstetigung der Schreibdidaktik in Deutsch-land führen könnten.

Mit den Beiträgen von Hornung und Ruhmann sind die Eckpunkte dieses Sammelbandes aufgezeigt, zwischen denen die nachfolgenden Bei-träge angesiedelt sind. Diese führen verschiedene Aspekte des mehrspra-chigen Schreibens bzw. des Umgangs mit Mehrsprachigkeit beim Schrei-ben näher aus.

Christoph Gantefort und Hans-Joachim Roth thematisieren das Schrei-ben unter Bedingungen individueller Mehrsprachigkeit. Bilingual auf-wachsende Kinder müssten sich der Herausforderung stellen, Texte zu erzeugen, die den institutionellen Angemessenheitskriterien genüg-ten, obwohl sie eventuell noch nicht über altersgemäße einzelsprachli-che Fähigkeiten verfügten. In der Analyse von Schreibprodukten von sor-bisch-deutsch aufwachsenden Kindern wird gezeigt, dass auf der Ebene der Textkompetenz eine Übertragung von konzeptuellen Fähigkeiten von einer Sprache auf die andere möglich ist, dass aber das Ausmaß der Umsetzung von der einzelsprachlichen Kompetenz beschränkt wird, in der der Text realisiert werden soll. In dem „Modell zur Textproduktion im mehrsprachigen Kontext“ werden die Komponenten und die Interak-tionen von Langzeit- und Arbeitsgedächtnis beschrieben, die auf die Pro-zesse des Generierens, Formulierens und Niederschreibens unter Berück-sichtigung von Leseprozessen unter den spezifischen sprachlichen Bedin-gungen einwirken.

Um die Schreibkompetenz Studierender effektiv fördern zu können, ist es notwendig zu wissen, welche Kompetenzen sie bereits erworben

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Dagmar Knorr und Ursula Neumann16

und an welchen Stellen sie Förderbedarf haben. Magdalena Knappik, İnci Dirim und Marion Döll stellen in ihrem Beitrag ein Diagnoseinst-rument vor, mit dem Lehrende studentische Texte zeitökonomisch ana-lysieren können. Textkompetenz wird in die Bereiche „Reflexive Profes-sionalisierung“, „Textorganisation“ und „Sprachliche Korrektheit“ geglie-dert, die wiederum untergliedert sind. Zur Verfügung gestellt werden von ihnen auch konkrete Vorschläge für Übungen, die bei Bedarf für einen Ausgleich in einem bestimmten Bereich durchgeführt werden sollen. Leh-rende sollen das Instrument möglichst über den gesamten Studienverlauf immer wieder einsetzen, um die Entwicklung der Schreibkompetenz der Studierenden beobachten und gezielt fördern zu können.

Kirsten Schindler thematisiert, wie akademische Textkompetenz von Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund des Faches Deutsch konkret angebahnt und systematisch ausgebaut werden kann. Sie stellt drei Zugänge vor: die schreibintensive Fachlehre, das Verfassen von Leh-rerkommentaren und die Schreibberatung in der Schule. In allen Fällen wird viel und, was besonders relevant ist, berufsorientiert geschrieben. Diese Berufsorientierung erscheint Schindler besonders für Lehramts-studierende notwendig. Insgesamt plädiert sie für eine Verzahnung der schreibdidaktischen Ansätze mit der fachlichen und praktischen Ausbil-dung.

Wie Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund angespro-chen und in der Entwicklung ihrer akademischen Textkompetenz unter-stützt werden können, beschreiben Dagmar Knorr und Ursula Neumann am Beispiel der Peer Tutoren Schreibberatung der Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit. Hier arbeiten schreibdidaktisch ausgebildete Studie-rende zusammen mit Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund an deren Texten. Sie zeigen anhand von Analysen zweier kurzer Beispiele, vor welchen Herausforderungen einerseits die Schreibenden, andererseits aber auch die Schreibberaterinnen und -berater stehen, die die Schrei-benden auf dem Weg der Optimierung ihrer Textkompetenz unterstüt-zen wollen. So sind es in beiden Beispielen semantische Feinheiten, die erst durch ihre Einbettung in eine grammatische Konstruktion Klärungs-bedarf hervorrufen.

Der zweite Teil des Bandes ist mit „Schreibwerkstätten, Schreibzent-ren, Projekte zur Unterstützung von Studierenden im Erlernen des aka-demischen Schreibens – Einblicke in die schreibdidaktische Arbeit in Deutschland“ überschrieben. Die im Band vertretenen Darstel-lungen haben – bis auf eine Ausnahme – ihre Arbeit auf der Tagung

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Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben – Einleitung und Überblick 17

„Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben“ im Rahmen eines Markt-platzes vorgestellt. Die Beiträge sind alphabetisch nach den Orten der Universitäten sortiert.

Heike Brandl und Anna Vollmer stellen die Schreibzentren der Uni-versität Bielefeld, Schreiblabor und PunktUm, vor, die Fachlehre fächer-übergreifend flankieren und somit die Studienchancen aller Studieren-der erhöhen möchten. Als älteste schreibdidaktische Institution an einer deutschen Universität ist das Schreiblabor nicht nur Ansprechpartner für Studierende und Lehrende rund um das akademische Schreiben, sondern auch für andere (neue) Schreibzentren. PunktUm unterstützt internatio-nale Studierende alle Fakultäten dabei, die Kompetenzen in der Wissen-schaftssprache Deutsch zu erwerben, die für eine erfolgreiche Bewältigung der rezeptiven und produktiven Anforderungen des Studiums notwendig sind. Speziell für mehrsprachige Studierende mit Migrationshintergrund wurde das Projekt „Profilbildung und Mehrsprachigkeit für Studierende mit Migrationshintergrund“ entwickelt, das auf die Entwicklung eines mehrsprachigen und internationalen Profils der Studierenden zielt.

An der Universität Bremen gibt es ein spezielles Angebot für mehr-sprachige Lehramtsstudierende, das von Sibylle Seyferth, Aysun Kul und Yasemin Karakaşoğlu präsentiert wird. Ihr Seminarkonzept basiert auf dem Peer Feedback Gedanken, bei dem die Studierenden ihre Texte untereinander lesen, kommentieren und der Überarbeitungsphase Raum eingeräumt wird, um auf diese Weise zum einen eine verstärkte Reflexion des Schreibprozesses zu erzeugen, zum anderen auch das Kommentieren von Texten anderer zu lernen.

An der TU Darmstadt sind fast die Hälfte der Studierenden, die das SchreibCenter aufsuchen, mehrsprachig. Aus diesem Grund ist das Ange-bot stark auf mehrsprachige und internationale Studierende ausgerichtet, wie Antonio Arcudi, Sandra Ballweg, Julia Bernard, Lisa Hertweck und Lea Luise Kimmerle berichten. Schreibberatungen werden auf Deutsch und Englisch angeboten und zielen darauf, die Schreibkompetenz der Studie-renden zu fördern. Ein wichtiger Baustein hierbei ist das Online Writing Lab, das mit seinen vielfältigen Modulen das eigenständige Schreiben för-dert.

Olja Larrew, Beate Pitzler und Barbara Rodríguez Navarro konzen-trieren sich mit ihrem studienbegleitenden Programm „Zwischen den Sprachen“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main auf mehrspra-chige Lehramtsstudierende. In verschiedenen Veranstaltungen geben sie Impulse zur Reflexion der eigenen Sprach(en)kompetenz und über

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Dagmar Knorr und Ursula Neumann18

Mehrsprachigkeit im Kontext von Schule, mit dem Ziel die eigene mehr-sprachige Kompetenz weiter- und Strategien zu entwickeln, wie sie an der Schule als Mehrwert eingebracht werden kann. Gleichzeitig unterstützen sie die Studierenden, Lücken in der Sprachkompetenz des Deutschen zu schließen, wobei sie berufsbezogene Themen und Texte verwenden und somit fachliches und sprachliches Wissen gleichzeitig vermitteln.

Katrin Girgensohn beschreibt das Schreibzentrum der Europa-Univer-sität Viadrina, Frankfurt/Oder, als von „Peers geprägt und wissenschaft-lich fundiert“. Es ist eines der ersten Schreibzentren, die mit ausgebildeten studentischen Schreibberaterinnen und -beratern als Peer-Tutoren arbei-tet. Mit der Entwicklung innovativer Konzepte wie der „Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“, der Gründung der Fachzeitschrift JoSch (Journal der Schreibberatung) und Ausbildungskonzepten gehört das Schreibzentrum –  neben den beratenden Aktivitäten – zu den wesentli-chen Impulsgebern der Schreibdidaktik in Deutschland.

An der Justus-Liebig-Universität Gießen haben Susanne Göpferich, Carmen Neis und Imke Neumann die Aufgabe übernommen, am Zentrum für fremdsprachliche und berufsfeldorientierte Kompetenzen ein Schreib-zentrum zu etablieren, in dem das Schreiben im Fach gestärkt wird. Hier-für werden Weiterbildungen für Lehrende angeboten, um schreibintensive Lehre gestalten zu können. Ziel ist es, den Anteil schreibintensiver Lehr-veranstaltungen zu erhöhen. Dafür werden auch SchreibtutorInnen aus-gebildet, die in diesen Lehrveranstaltungen Peer-Feedback geben können.

Ein Schwerpunkt des Internationalen Schreibzentrums der Georg-August-Universität Göttingen, beschreibt Melanie Brinkschulte, liegt auf der Einbeziehung der Mehrsprachigkeit von Studierenden. Die Studie-renden können aus einer Vielzahl von Modulen wählen. Es werden u. a. Workshops angeboten, die in andere wissenschaftliche Denkkulturen ein-führen, um Schreibtraditionen in verschiedenen Sprachen kennenzuler-nen. Lehramtsstudierende haben die Möglichkeit, sich im Rahmen ihres Forschungspraktikums praktisch und theoretisch mit schreibdidaktischen Theorien und ihrer Schreibberatung auseinanderzusetzen.

An der Universität Hamburg gibt es zum akademischen Schreiben mehrere Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die unter dem Dach des Universitätskollegs vereint sind. Dagmar Knorr stellt zunächst das Universitätskolleg und die Projekte zum akademischen Schreiben vor. Anschließend präsentiert sie die Schreibwerkstatt Mehrsprachig-keit. Diese richtet sich an (Lehramts-)Studierende mit und ohne Migra-tionshintergrund richtet. Ziel ist hier, neben der Wissenschaftssprache

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Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben – Einleitung und Überblick 19

Deutsch auch die Wahrnehmung und den Einsatz der eigenen Mehrspra-chigkeit zu fördern. Die Ausbildung Studierender zu SchreibberaterInnen, die auf die Bedürfnisse mehrsprachiger Studierender eingehen können, bildet einen zweiten Schwerpunkt.

Fridrun Freise, Jan Minck und Mirjam Schubert stellen die „Schreib-werkstätten Geisteswissenschaften“ vor, die das fachspezifische Schreiben und die Förderung kollaborativen Arbeitens in Schreibgruppen fokus-sieren. Das Ziel ist es, fachinterne Gruppe zu bilden, die sich gegensei-tig Feedback geben können, das sowohl fachliche wie schreibdidaktische Aspekte abdecken kann.

Abschließend berichtet Bettina Niebuhr von ihrem Schreibcoaching in der Zentralen Studienberatung und Psychologischen Beratung der Univer-sität Hamburg, die einsetzt, „wenn nichts mehr geht“. Hier geht es darum, Studierenden mit Ansätzen aus dem kreativen Schreiben über Schreib-schwierigkeiten hinweg zu helfen und sie in den Schreibprozess zurück-zuführen.

Literatur

Ehlich, Konrad (1999): Alltägliche Wissenschaftssprache. In: Info DaF. Infor-mationen Deutsch als Fremdsprache 1 (26), 3–24

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Teil I

Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben –Facetten eines komplexen Prozesses

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Antonie Hornung

Mehrsprachigkeit als Ressource – mehrsprachige Lehramtsstudierende zwischen ihren persönlichen Erfahrungen und den Ansprüchen der Bildungspolitik

Wir wissen es längst: Mehrsprachigkeit hat viele Facetten. Sie kann Reich-tum sein; sie kann aber auch als Belastung empfunden werden. Manche Unsicherheit verschwindet nie ganz. Die Unterschiede, wie ein Indivi-duum mehrsprachig wird und wie er oder sie die eigene Mehrsprachig-keit wahrnimmt und einschätzt, sind enorm. Es kommt auf den Zeitpunkt an, ab dem eine zweite und vielleicht auch eine dritte Sprache erworben wird; es kommt auf den familiären Kontext an, in dem eine/einer auf-wächst bzw. aufgewachsen ist, auf die Schule, die Klasse und nicht zuletzt auf das lebensweltliche Umfeld. Und natürlich kommt es auf die Sprachen an, in die jemand hineinwächst. Auch hier spielen Prestige und Einfluss eine nicht unerhebliche Rolle. Wer heute in irgendeiner Form mit Eng-lisch groß wird, hält sich für privilegiert, während andere Sprachen viel-fach als Hindernis auf dem Weg zur Beherrschung der regional dominie-renden Sprache verstanden werden.

Wir sollten uns nichts vormachen: Die real multilinguale Schule hat ihren strukturell monolingualen Habitus (Gogolin 2008) bis heute nicht wirklich überwunden. Forschungsprojekte, mit großem Enthusiasmus ini-tiiert und durchgeführt, verpuffen vielfach in den Maßnahmen der Bil-dungsbürokratie, die längst den Glauben an relativ billig zu habende, quantitativ messbare Standards zum alleinigen Credo erhoben hat. Aus-nahmen bestätigen die Regel. Sie verdanken sich Bottom-up-Bewegungen wesentlich mehr denn Top-down-Entscheidungen. D. h., im Rahmen der manchmal durchaus als Korsett zu verstehenden institutionellen Bedin-gungen sind es vor allem die Initiativen, Aktivitäten und das persönliche Engagement Einzelner, die Veränderung bewirken. Und diese Einzelnen wiederum sind oft mehrsprachig und multikulturell aufgewachsene Indi-viduen; sie verfügen über Erfahrungen, auf die sie bauen können, kön-nen sich deshalb auch über bestimmte Grenzen hinwegsetzen und blicken über Gartenzäune hinaus, hinter denen manch einsprachig Sesshafte/r den Untergang der eigenen Kultur heraufdonnern sieht.

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Antonie Hornung24

1 Schulen als Brennpunkt gesellschaftlicher Erwartungen und Entwicklungen

1.1 Schulen haben einen gesellschaftlichen Bildungsauftrag.

Um diesen zu erfüllen, übernehmen sie – zumindest in zivilisierten und aufgeklärten Gesellschaften – die Ausbildung aller Kinder und Jugendli-chen eines Staatswesens. Sie vermitteln ihnen grundlegende Kulturtech-niken und weiterführende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, und sie besorgen eine erste Selektion der Besten in Hinblick auf spätere ver-antwortliche Positionen und lukrativere Posten in der Gesellschaft. Es bleibe dahingestellt, inwieweit dieser Selektionsanspruch in der Reali-tät tatsächlich erfüllt werden kann, ist doch die Kategorie der „Besten“ wie vieles andere äußerst relativ. Festzustellen ist jedenfalls, dass diejeni-gen Kinder und Jugendlichen Bildungssysteme erfolgreich durchlaufen, denen es gelingt, die an sie gestellten Anforderungen am besten zu erfül-len. Da aber unterschiedliche Gesellschaften unterschiedliche Wertvorstel-lungen pflegen und demnach der Bildungsauftrag der Schulen von Gesell-schaft zu Gesellschaft variiert, ist auch davon auszugehen, dass sich trotz aller EU- und OECD-Zusammenarbeit darüber, wer aufgrund welchen Wissens und Könnens für die Besten gehalten werden soll, zwischen ver-schiedenen Bildungs- und Staatswesen nicht unbedingt Konsens einstel-len muss.

1.2 Lehrende in den Schulen jedweder Art haben sich mit voller Kraft dafür einzusetzen, dass der Bildungsanspruch des Systems, in dem sie agieren, durchgesetzt wird.

Spezifische Ausbildungsgänge und Zugangsprüfungen zum Lehramt gel-ten als Garanten ihrer fachlichen und didaktisch-pädagogischen Qualifi-zierung. Aus diesem Grunde auch sind öffentliche Bildungsinstitutionen gegenüber Zuwandernden aus dem Ausland eher misstrauisch. Oft spre-chen diese Immigranten nicht nur eine andere Sprache, sei es auch nur eine andere Varietät der gleichen; mehr noch scheint ins Gewicht zu fal-len, dass sie nicht nur anders, sondern vor allem „weniger gut“ ausge-bildet sein könnten. Wer als Lehrperson aus einem fremden Bildungs-system in ein anderes überwechseln möchte, hat deshalb in der Regel größere Hürden zu überwinden, die von zusätzlichen fachlichen Spezi-alisierungen über spezielle fachdidaktische und pädagogische Kurse bis

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Mehrsprachigkeit als Ressource 25

zum Nachholen ganzer Studiengänge reichen können. Und auch dann ist noch nicht garantiert, dass sie oder er die Prüfungen, die den Weg in die Berufstätigkeit im Zielsystem ebnen, wirklich besteht.

Obwohl die europäische Zusammenarbeit der gegenseitigen formalen Anerkennung akademischer Ausweise den Boden bereitet hat, bleibt also eine selbstverständliche Akzeptanz der Ergebnisse fremder Ausbildungs-gänge für die verschiedenen Schulstufen ein Desiderat. Durchbrochen wird die Phalanx des Misstrauens lediglich in den Fällen, in denen die Nachfrage nach Lehrpersonen das regionale Angebot bei weitem über-steigt. Konkret: Wenn man keine Physiklehrpersonen aus dem Inland bekommt, holt man sie eben aus dem (benachbarten) Ausland. Auch wer das eigene Fach in der derzeit dominanten Sprache Englisch unterrichten kann, hat es beim Wechsel aus dem heimischen in das System des Ziellan-des leichter.

1.3 Lehrpersonen sind dafür verantwortlich, dass die ihnen Anvertrauten das lernen, was der Bildungsauftrag der Schule ihnen vorgibt.

Je nach System schreiben Reglemente und Lehrpläne mehr oder weniger detailliert fest, was fachlich im Unterricht zu behandeln und wie didak-tisch vorzugehen ist. Es geht dabei um das disziplinspezifisch benötigte Wissen (deklaratives Wissen) ebenso wie um das in den verschiedenen Fächern übliche und notwendige Können (prozedurales Wissen). Über beides, und zwar so, wie es im gegebenen Bildungssystem als notwendig erachtet wird, müssen die Lehrpersonen selbst in hohem Ausmaß verfü-gen, sonst bestehen sie weder die Prüfungen, die ihnen den Zugang zum Lehramt eröffnen, noch den Berufsalltag. Darüberhinaus stellt die schuli-sche Realität sie immer wieder neu vor große Herausforderungen, ganz zu schweigen von der enorm beschleunigten Wissensproduktion in den ver-schiedenen Fachbereichen, die dazu führt, dass die Gültigkeit gesellschaft-lich anerkannten Wissens innert Kürze durch neue Erkenntnisse perma-nent in Frage gestellt wird.

Abgesehen vom Studium der Lehrpläne und Curricula verschiede-ner Länder erlaubt auch der Blick in die einschlägigen Lehrbücher am Markt eine Vorstellung von der schulischen und didaktischen Diversität unterschiedlicher Bildungssysteme jenseits von PISA und anderen Stan-dardisierungsversuchen. Lehrwerke sind ein Spiegel des written curricu-lum (Lehrpläne, Programme etc.) eines Landes; vor allem aber lassen sie, einerseits durch den Aufbau der Lektionen, andererseits durch die For-mulierung der Lern- und der Leistungsaufgaben, didaktische Traditionen

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Antonie Hornung26

erkennbar werden, das hidden curriculum also, das sich durch Handeln vermittelt und via Erfahrung begreifen lässt, wie ein Bildungssystem wel-ches Wissen und Können gewichtet und welche Lernschwerpunkte es setzt. Es ist beispielsweise ein gewaltiger Unterschied, ob eine Unterrichts-einheit zu einem historischen Thema mit Aufgaben abgeschlossen wird, die schieres historisches Wissen abfragen, oder ob Quellenstudium, Trans-fer-, Überlegungs- und Denkaufgaben in den Wissenszusammenhang ein-gebaut werden. Man lernt anderes, aber man lernt auch anders. (Zu unter-schiedlichen didaktischen Traditionen vgl. Hornung 1997; Hornung 2002; Hornung/Carobbio/Sorrentino 2014; Redder/Heller/Thielmann 2014.)

1.4 Es ist keine Frage, dass Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in den modernen Migrationsgesellschaften stetig zunehmen.

Die Klassenzimmer vor allem der Städte sind voll mit Lernenden bunter Namen und Herkunft, die sich mehr und mehr auch in die Gymnasien vorgekämpft haben und inzwischen auch die universitären Studiengänge bevölkern. Einheimische sitzen auf der Schulbank neben den Enkeln der Einwanderungsgenerationen des vergangenen Jahrhunderts, neben Kin-dern von politischen und Wirtschaftsflüchtlingen, neben Sprösslingen von Ökonomaden und Jugendlichen aus Patchworkfamilien und finden bei aller Verschiedenheit Wege der Verständigung und des Verständnis-ses füreinander, weil sie trotz des ständig zunehmenden Leistungswettbe-werbs letztlich ein Ziel eint, die Hoffnung nämlich auf Erwerb, Rettung und Sicherung eines gewissen Lebensstandards durch Ausbildung und Bildung.

Nicht nur für solche Schulklassen stellen Lehrende, die mehrsprachig und in verschiedenen Kulturen zuhause sind, eine Bereicherung dar. In Zeiten der Globalisierung und wieder stärker auflebender nationalisti-scher Tendenzen sind sie auch für Kinder und Jugendliche, die in mono-kultureller Geborgenheit, vielleicht sogar Engstirnigkeit, aufwachsen, not-wendige Vorbilder, können sie doch unterschiedliche Perspektiven ein-bringen und Fremdheit zu einer alltäglichen Erfahrung werden lassen – vorausgesetzt, es wird ihnen erlaubt.