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Meine Frau hat Alzheimer Vom Umgang mit der heimtückischen Krankheit von Peter K. Heinrich 1. Auflage Meine Frau hat Alzheimer – Heinrich schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Medizin, Gesundheit: Sachbuch, Ratgeber tredition 2014 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 8495 8344 6

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Der Autor

Peter K. Heinrich

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P E T E R K. H E I N R I C H

Meine Frau hat Alzheimer

Vom Umgang mit der heimtückischen Krankheit

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© 2014 Peter K. Heinrich Umschlaggestaltung: Peter K. Heinrich © Bildrechte: Peter K. Heinrich (Privatarchiv) Verlag: tredition GmbH, Hamburg ISBN 978-3-8495-8343-9 (Paperback) ISBN 978-3-8495-8344-6 (Hardcover) ISBN 978-3-8495-8345-3 (e-Book) Printed in Germany Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Ich widme dieses Buch meiner lieben Frau, meiner kranken Janne,

mit der ich so gerne alt werden wollte, die sich aber durch die Alzheimersche Krankheit

mit ihrem Denken und Sein für immer im Nebel des Vergessens von mir verabschiedet hat.

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Inhaltsverzeichnis

Die Vorgeschichte..................................................................................7

Familiengründung …........................................................................... 16

Janne wurde Köchin … ........................................................................32

Mit den Anfängen umgehen ................................................................46

Erkenntnisse und Erfahrungen ...........................................................63

Werde ich das durchhalten?.................................................................85

Tagebuch einer gemeinsamen Kur.................................................... 134

Zurück in den Alzheimer-Alltag ........................................................ 169

Das Jahr der Höhepunkte .................................................................. 190

Zur Kur und ins Krankenhaus ...........................................................277

Endstation Pflegeheim - oder?...........................................................305

Gemeinsames Weihnachten mit Happy End ....................................330

Gedanken und Gefühle von Betroffenen ........................................... 341

100 Tage danach.................................................................................359

Noch ein PS zum Schluss ..................................................................373

Nachruf ..............................................................................................400

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Die Vorgeschichte

Meine Frau Marianne, wie sie einmal war Es war an einem schönen Sonntag im Sommer 1959, an dem ich mit meiner Zukünftigen die erste Bekanntschaft schließen sollte.

Mich hatte es damals in den äußersten Nordosten der DDR verschlagen, nach Eggesin nämlich. Eigentlich wollte ich, als ich mich achtzehnjährig freiwillig zur Nationalen Volksarmee meldete, zur See fahren und Matrose werden. Aber da ich mit Verwandten ersten Grades im Westen ziemlich reich gesegnet war - mein Vater und meine zwei großen Schwestern hatten sich dorthin abgesetzt -, hatte ich natürlich keine Chance und landete, wahr-scheinlich der Sicherheit wegen, beim Fußvolk, oder bei den ´Sandlatschern´ - so nannte sich im volkstümlichen Jargon die motorisierte Infanterie - in diesem Eggesin.

„Das ist doch auch nicht weit weg vom Wasser und vom Strand in Ückermünde“, tröstete man mich damals der dürre Hauptmann vom WKK und ich vertraute ihm.

Was sollte ich auch dagegen tun. Ich wollte als 18-jähriger weg von Zu-hause, wollte etwas anderes sehen und Abenteuer erleben. Aber damit war mein erster Abenteuertraum von der Seefahrerei bereits ausgeträumt.

Und an jenem denkwürdigen Tag, an dem ich meine Zukünftige zum ers-ten Mal sah, da war ich bereits knapp drei Jahre in diesem Eggesin, war in-zwischen Feldwebel geworden und wohnte vor den Kasernen in dem großen Ledigenwohnheim. Und - im vergangenen Jahr hatte ich mir ein neues Mo-torrad gekauft, nicht irgendeines, sondern eine 200er Zündapp aus dem Wes-ten.

Es war für mich damals die größte Anschaffung meines Lebens und ich musste dazu mein Sparbuch so ziemlich leer räumen.

An jenem Sonntag war ich mit meinem Kumpel Kalle - auch ein Länger-dienender aus meiner Einheit und im Wohnheim mein Zimmergenosse - gerade unterwegs auf ´Brautschau´, wie wir das immer nannten.

In Ückermünde am Markt hatte Kalle kurz angehalten und mit ausge-strecktem Arm auf ein großes, buntes Plakat gezeigt. Darauf war zu lesen, dass an diesem Wochenende in Anklam Rummel sei. Also, nichts wie hin.

Aus Ückermünde heraus fuhren wir über „Café 70“ - die Gaststätte an der B 109 nannte sich wirklich so und heißt wohl auch heute noch so - in

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Richtung Anklam, machten aber in Ducherow an der „Gaststätte Mühlen-stein“ kurz halt.

Hier waren mir nämlich zwei fesche Mädels aufgefallen, die entweder auf den Bus oder aber auch auf uns beide zu warten schienen. Wir hielten mit unseren Maschinen unmittelbar vor ihnen an, kamen ins Gespräch und luden sie letztlich ein, doch mit uns nach Anklam auf den Rummel zu fahren.

Die schlanke dunkelhaarige gefiel mir auf Anhieb. Die dunklen Ponyfran-sen verdeckten ihre hohe Stirn nur leicht und passten irgendwie zu ihrem schönen Antlitz. Unter den fein geschwungenen Brauen schauten mich keine braunen, sondern zwei graublaue Augen - ich hatte sie später immer als wässrigblau bezeichnet - beinahe frech und herausfordernd an, als wollten sie sagen: „Na los, nun lass mich schon aufsteigen!“ Aber die sinnlichen Lippen, die nur leicht mit Lippenstift nachgezogen waren, verharrten abwartend wie in kussbereiter Haltung, um sich dann entspannt in ein einladendes Lächeln zu verziehen.

„Also …?“, sagte ich, und sie machte einen Schritt auf meine Maschine zu.

Mein Kumpel Kalle, der fast einen Kopf kleiner war als ich, dafür aber drei Jahre älter, kam auch aus Thüringen und fuhr damals eine nicht mehr ganz so neue rote Jawa. Ob sich die große Schwarzhaarige nun wegen mei-nes schöneren Motorrades mit der roten Sitzbank und mit viel Chrom für mich entschieden hatte, oder weil ich der Größere von uns beiden war, das hat sie mir eigentlich auch später nie so richtig verraten.

Wir fuhren also zusammen auf den Rummel nach Anklam, stellten unsere Motorräder ab und schlenderten erst einmal über den Platz, der aber nicht all zu viel zu bieten hatte. Sie Schwarzhaarige, die sich gleich auf mein Motorrad gesetzt und die sich als Marianne vorgestellt hatte, lief anfangs neben mir her, fasste mich dann bei der Hand und hakte sich schließlich wie selbstver-ständlich bei mir unter. Wir fuhren einige Runden Auto-Scooter und sogar einmal mit dem Riesenrad, um letztlich an einer der Schießbuden hängen zu bleiben. Da sowohl Kalle als auch ich bei der Armee in der Schießmann-schaft des Regiments waren, lieferten wir uns einen kleinen Wettkampf.

Das Ergebnis war ein ziemlich umfangreicher Papierblumenstrauß für unsere Motorradbräute. Damit beendeten wir den Rummelbesuch und fuh-ren zurück.

Die schwarzhaarige Marianne hatte sich auf der roten Sitzbank meines Motorrades hinter mir so richtig an mich angekuschelt und hielt mit ihren Armen meinen damals noch schlanken, sportlichen Körper fest umschlun-

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gen. Für einen Moment verharrten meine Blicke auf diesen zarten, feinglied-rigen Händen auf meiner Lederoljacke. Ihre Handgelenke kamen mir so zerbrechlich, fast dünn, vor und das dunkle Armband ihrer kleinen Uhr fand kaum Halt und hing scheinbar leger um das schmale Handgelenk ihres linken Armes.

Mit Schwung fuhr ich los und Marianne hielt sich scheinbar ängstlich an mir fest. Hinter der Ortsdurchfahrt von Kosenow griff ich unbemerkt zum Benzinhahn und drehte ihn zu. Als der Motor zu stottern begann und schließlich ausging, ließ ich die Maschine ausrollen, hielt unter einem der Alleebäume an und tat dabei völlig ahnungslos und überrascht.

Eigentlich wollte ich die heimlich erzwungene Pause dazu nutzen, um bei Marianne die ersten Annäherungsversuche zu starten und sie zu küssen.

Aber die kannte diesen Trick wahrscheinlich schon und hatte mich durchschaut:

„Brauchst nicht so ahnungslos nach dem Fehler zu suchen, mach einfach den Benzinhahn wieder auf, dann können wir weiterfahren“, machte sie meine ersten plumpen Annäherungsversuche zunichte.

Ich stotterte etwas von „keine Absicht …“, war beschämt über meinen Misserfolg und bekam sogar noch rote Ohren, die sie unter dem alten schwarzen Sturzhelm aber glücklicherweise nicht sehen konnte.

Marianne musste wohl nach Hause. Also startete ich meine Maschine wieder und wir fuhren das letzte Stückchen nach Ducherow zurück. Kalle stand mit seiner Braut wartend an der „Gaststätte Mühlenstein“, aber wir hielten nicht an und winkten ihnen nur zu. Ich fuhr nach Mariannes Anwei-sung ganz langsam über das holprige Kopfsteinpflaster in die Hinterstraße hinein, bis sie mir vor einem großen Mehrfamilienhaus auf die Schulter klopfte, damit ich hier anhielt. Beim Absteigen hielt sie sich absichtlich an meiner Schulter fest, beugte sich vor, hauchte mir einen ersten flüchtigen Kuss auf die Wange und lief mit einem „Danke!“ ins Haus. „Nächsten Sonn-tag an der selben Stelle …?“ fragte sie, sich noch einmal nach mir umdre-hend, ohne meine Antwort abzuwarten.

Als sie hineinlief, schaute ich wie fasziniert auf ihre schlanken Beine, die der nur knielange Rock frei ließ, und auf die geraden Nähte ihrer feinen Per-lonstrümpfe. Ihre schlanken Fesseln waren wie die eines edlen Reitpferdes, aber ihre Füße schienen trotzdem fest und sicher in den hochhackigen schwarzen Pumps mit diesen kleinen Pfennigabsätzen zu stehen. Einfach bezaubernd, dachte ich und rief ihr noch hinterher: „Ja, am Sonntag …!“

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Meine Motorradtouren hatten jetzt stets ein klares Ziel: Ich hatte aufge-spürt, was ich gesucht hatte und fuhr, so oft es der Dienst in der Armee erlaubte, um mich mit Ihr zu treffen. In der ersten Zeit fuhr mein Kumpel Kalle noch mit, aber seine Bekanntschaft wurde wohl nichts Festes und so fuhr ich dann immer allein zum Treff mit meiner schwarzhaarigen Marianne.

Das Verabreden und das sich Treffen war damals allerdings noch nicht so leicht und problemlos wie heute, wo man einfach zum Telefon griff oder sein Handy aus der Tasche holte. Aber wir fanden trotzdem immer einen Weg und es wurde eine wunderbare und wilde Zeit für uns beide.

So nach und nach hatten wir uns auch unsere Lebensgeschichten erzählt und so hatte ich von Marianne erfahren, dass sie - wie ich es mir schon ge-dacht und auch vermutet hatte - nicht von hier war.

Sie war kurz vor Kriegsende mit ihrer Familie als Umsiedler hierher gera-ten. Geboren wurde sie 1940 in Königsberg. Eigentlich in einem kleinen Ort in unmittelbarer Nähe von Königsberg, aber sie sagte immer in Königsberg, weil ihr kleiner Geburtsort einen etwas merkwürdigen Namen hatte.

Marianne war das vierte Kind einer kinderreichen Familie mit sieben Kin-dern, was ja in dieser noch fernsehlosen Zeit etwas ganz normales war.

Ich kannte das selber auch, denn ich hatte ebenfalls noch fünf Geschwis-ter.

Als ich sie damals kennen lernte, war sie ein fast zwanzigjähriges, hüb-sches und stolzes, schwarzhaariges Mädchen, etwa einssiebzig groß, rank und schlank, und dazu sehr gut gewachsen. Eine richtige Dorfschönheit also.

Sie arbeitete als Friseuse in einem kleinen, privaten Dorfsalon, hatte gera-de erst ausgelernt und ihren Facharbeiterbrief erhalten.

Ja, und stolz war sie wirklich. Sie hatte, wie man so schön sagt, das Herz am richtigen Fleck und sie ließ sich die Butter nicht vom Brot kratzen.

Schon alleine ihr stolzer Gang hatte etwas - für mich jedenfalls - faszinie-rendes an sich. Es war, als stolzierte sie über einen Laufsteg, wie ein Model würde man heute dazu sagen, aber ohne dabei hochnäsig zu sein. Wie hatte sie immer betont: „Unser Vater hat uns beigebracht, dass wir zwar arm sind, dafür aber ehrlich und sauber,“ und darauf war sie stolz.

Obwohl sie in diesem mecklenburgischen Dorf aufgewachsen und groß geworden war, sprach sie kein Plattdeutsch - konnte es aber bei Bedarf auch -, wie die meisten ihrer Mitschüler und Freundinnen.

Sie war eben stolz auf ihre Herkunft, auf Ostpreußen und auf ihr Kö-nigsberg.

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Das wunderbare Hochdeutsch, das sie stets sprach, hatte sie sich bis heu-te erhalten und oft wurde sie deshalb nach ihrer Herkunft gefragt.

Und als ich - wir hatten uns schon etwas näher kennen gelernt - sie bei einer kleineren Meinungsverschiedenheit einmal einen typischen „dickköpfi-gen Fischkopp“ nannte, brauste sie empört auf und erwiderte trotzig: „Ich bin kein Fischkopf, sondern aus Königsberg. Außerdem - lieber ein Fisch-kopf , als ein Holzkopf“, womit sie mir wohl eins auswischen wollte und auf meine Thüringer Herkunft anspielte.

Natürlich haben uns wieder und wieder verabredet und gesehen, waren viel mit dem Motorrad unterwegs und so wurde aus der anfangs flüchtigen und zufälligen Straßenbekanntschaft alsbald mehr. Ich will auch nicht be-haupten, dass Marianne die sogenannte ´Liebe auf den ersten Blick´ war, dann wohl eher schon ein ´gesucht und gefunden´.

Jedenfalls wurden wir bald ein richtiges Pärchen, nicht nur ein motorisier-tes Paar, sondern alsbald auch ein Liebespaar mit einem schicken, neuem Motorrad, auf das inzwischen auch Marianne richtig stolz war.

Drei Wochen nach unserem ersten Treffen, auch an einem Sonntag, woll-te ich mit ihr nach Ückermünde fahren. Ich war ziemlich rasant auf der B 109 bis zu diesem „Café 70“ gefahren, wo wir links abbiegen mussten und hatte mich wohl mit der höheren Schubkraft durch meine Sozia-Braut ver-kalkuliert. Jedenfalls kam ich mit Ach und Krach noch in die Linkskurve, fuhr aber in den an der Ecke liegenden Haufen mit Streumaterial, wo wir mit der Maschine umkippten.

Es war zum Glück nichts weiter passiert, aber Marianne hatte sich am Auspuff den schönen Perlonstrumpf verbrannt und auf der Wade bildete sich eine ziemlich große Brandblase. Gesagt hat sie nichts dazu und auch nicht geweint, sie war ziemlich hart im Nehmen, wie ich mitbekommen hat-te.

Aber der Nachmittag war durch den kleinen Unfall doch etwas getrübt und so brachte ich Marianne wieder nach Hause zurück.

„Was ist denn das für ein doofer Heinrich, der nicht mal richtig mit dem Motorrad fahren kann“, war ihre Mutter über mich hergezogen, als sie bei Marianne die verbrannte Wade behandelte und ihr einen Verband anlegte.

„Mutti, das ist kein doofer Heinrich, der heißt nämlich Heinrich“, hatte Marianne mich in Schutz genommen und verteidigt.

Das alles hatte mir Marianne am Wochenende darauf lachend wiederer-zählt, als wir auf den Darß nach Prerow an den Strand fuhren.

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Natürlich zog mich Marianne zum FKK-Strand, wo ich noch nie gewesen war.

Während ich mich noch schüchtern und neugierig umschaute, hatte sich Marianne schon fast völlig ausgezogen. „Na los, oder schämst du dich et-wa?“ trieb sie mich an, hatte bereits ihren BH in den Sand geworfen und zog sich den Slip aus.

Sie war völlig natürlich und unbefangen, als sie sich neben mir auszog. Für sie schien es das Normalste der Welt zu sein und ihre Unkompliziertheit gefiel mir.

„Komm …“, sagte sie und hielt mir die Hand hin, als ich mich endlich ausgezogen hatte. Wie zwei Kinder rannten wir dann Hand in Hand schnell über den Strand in das erfrischende Wasser hinein, bis wir in Brusthöhe in den leichten Wellen des salzigen Wassers standen und uns glücklich anschau-ten. Das Wasser war zwar nicht kalt, aber Mariannes Brüste hatten sich zu-sammengezogen und die Warzen standen ab wie kleine Knospen an einem Zierstrauch.

„Frierst du, ist dir kalt?“, fragte ich und hätte zu gerne ihre Brüste in mei-ne Hände genommen, um sie zu erwärmen.

„Nein, aber ich kann nicht schwimmen …“, gestand sie mir beinahe kleinlaut und fast beschämt, weil sie doch an der Ostsee geboren und aufge-wachsen war.

Als wir langsam wieder aus dem Wasser gingen, merkte ich beschämt, dass sich auch bei mir etwas ziemlich klein gemacht und zusammengezogen hatte.

Marianne lachte und sagte, während sie sich auf das mitgebrachte Hand-tuch in die sengende Sonne setzte: „Mensch hab dich nicht so. Wir sind sechs Kinder zu Hause und vier davon sind Jungs, denkste ich weiß nicht, wie wir aussehen.“

Ich legte mich bäuchlings neben sie in den Sand und sagte nichts dazu. Es wurde trotz aller anfänglichen, kleinen Peinlichkeiten doch noch ein wunderschöner Sommertag für uns, denn wir waren uns in unserer ganzen Nacktheit noch nie so nahe gewesen wie an diesem Nachmittag.

Nach Hause zu Marianne, zu ihrer Familie, traute ich mich noch nicht und ich war eigentlich erst in den kalten Wintermonaten dazu gezwungen wor-den. Ihre Mutter, eine kleine resolute etwa fünfzigjährige Frau nämlich - Mariannes Vater war bereits vor fünf Jahren an TBC verstorben -, hatte ihre Tochter eines Abends, als wir uns nach einem Treff im Hausflur noch verab-

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schiedeten und verliebt herumknutschten, mit einem lauten und unmissver-ständlichem „Janne!“ ins Haus gerufen.

Marianne nahm mich ohne viel Worte zu machen mit rein in die Woh-nung, genauer gesagt in die Wohnküche, in der sich das tägliche Leben der Familie abzuspielen schien, und stellte mich ihrer Mutter vor: „Das ist der doofe Heinrich, wie du ihn genannt hast“, sagte sie nicht ohne ironischem Unterton in der Stimme und machte so ihrer Mutter unser erstes Zusam-mentreffen etwas peinlich. Obwohl sie schon über die fünfzig war, errötete sie bis an die schon leicht ergrauten Haarwurzeln und brühte uns vor lauter Verlegenheit schnell eine Tasse Kaffee.

Der erste Eindruck musste wohl trotz alledem sehr gut ausgefallen sein, denn wir verstanden uns auf Anhieb prima. Und ich muss auch sagen, dass ich diese dummen Sprüche von der oft zitierten ´bösen Schwiegermutter´ überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte sehr schnell einen Stein bei ihr im Brett und war auch gleich der beste Schwiegersohn ( in spe ), den es auf dieser Welt gab.

Übrigens: Seit diesem Abend, an dem ich den Ruf „Janne“ von ihrer Mutter gehört hatte, seit jenem Abend nannte ich Marianne auch nur noch meine Janne.

Diese Koseform von ihrem Namen gefiel mir sofort, es passte einfach zu ihr.

Und - was ich nun noch feststellen musste und was mir gar nicht gefallen konnte, Janne brannte sich zum Kaffee eine Zigarette an und verleitete auch mich dazu, wo ich doch vor reichlich zwei Jahren das Rauchen wegen meiner sportlichen Betätigung erst aufgegeben hatte.

Seit dieser Zeit wurde ich durch Janne so peu à peu auch wieder zum Raucher, weil ich es einfach widerlich fand, als Nichtraucher eine Frau zu küssen, die geraucht hatte und nach Aschenbecher schmeckte. Das blieb dann leider auch 30 Jahre lang mein Laster.

Meine tolle Maschine aus dem Westen war inzwischen zu unserem schönen Motorrad geworden, mit dem wir uns kennen gelernt hatten, mit dem wir nun durch die gemeinsamen Ausflüge aus dem alltäglichen Umfeld unseres Lebens herauskamen und etwas mehr aus unserer kleinen Welt zu Gesicht bekamen.

Es war für uns ein schönes Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, mit dem Motorrad durchs Land zu fahren und sich dabei den Wind um die Nase wehen zu lassen. Es war unsere Freiheit, mit der wir glücklich waren und es

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gab bei uns niemals das Verlangen nach mehr oder größerer und ausgedehn-terer Freiheit.

Als die Winterzeit vorbei war und es wieder richtiges Motorradwetter wurde, machte ich mit Janne die ersten größeren Touren. Bisher hatten wir ja nur ihre mecklenburgische Umgebung einschließlich des Ostseestrandes abgefahren.

Nun wurde es auch Zeit, dass ich Janne meiner Mutter vorstellte, die sie ja nur aus meinen dürftigen und seltenen geschriebenen Briefen und Karten her kannte.

Also fuhren wir zu Pfingsten zum gegenseitigen Kennenlernen in meine Heimat- und Geburtsstadt nach Jena. Janne und meine Mutter fanden auch gleich zu einander und verstanden sich auf Anhieb. Es war wohl ihre natürli-che Art sich zu geben und sich zu bewegen, ihre Einfachheit, und auch ihre Kontaktfreudigkeit. Sie konnte sowohl gut zuhören, als auch interessant erzählen, ohne etwas zu übertreiben. Ich freute mich für meine Mutter und für mich, dass die beiden so schnell und so gut zueinander gefunden hatten, und es war, als würden sie sich schon eine Ewigkeit gut kennen.

Am Pfingstmontag besuchten wir noch meine väterlichen Großeltern bei Freiberg in Sachsen, die ich auch schon lange nicht mehr gesehen hatte.

Ich sah meiner - mir jetzt ziemlich klein vorkommenden, aber sonst sich kaum veränderten - lieben Großmutter an, wie sie meine Janne zuerst sehr kritisch in Augenschein genommen und genau beobachtet hatte. Aber ich spürte sehr bald, dass mit meiner getroffenen Wahl zufrieden und scheinbar sehr stolz auf ihren großen Enkelsohn war. Mit Tränen in den Augen und winkend stand sie da, sich mit dem Zipfel ihrer blau-weiß getupften Schürze immer wieder die Augen auswischend, als wir durch das Gartentor, das uns Großvater noch aufhielt, nach einigen Stunden wieder davon fuhren.

Unterwegs nach Jena hatten wir noch ein unvergessliches Erlebnis: Ich hätte eigentlich in Freiberg tanken müssen, aber da mir die Schlange an der kleinen Tankstelle zu lang war und es nicht vorwärts ging, fuhren wir weiter, in der Hoffnung, noch bis zur nächsten Autobahntankstelle zu kommen. Denkste!

Kurz vor Hainichen war der Tank leer und wir standen stundenlang am Rande der Autobahn, winkten den wenigen Fahrzeugen, aber es hielt keiner an. Dann hatte ich doch noch Glück: Ein sportliches Westauto, mit dem ich eigentlich gar keinen Kontakt aufnehmen durfte, half uns mit Benzin. Einige

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Tropfen Öl bekamen wir dann nach geduldigem Warten von einem Russen-laster.

Zu Hause bei Muttern angekommen, hatten wir dann noch viel zu erzäh-len.

Ich glaube, dass dieser kleine Abstecher zu meinen Großeltern, mit sei-nen anschließenden Folgen wegen des Ausscherens aus der Warteschlange an der Freiberger Tankstelle, vor allem aber die Geschichte danach, wie wir beide wartend und hoffend an der Autobahn standen, noch lange in Jannes und meiner Erinnerung haften bleiben werden.

Ja, und am Tag darauf, da mussten wir bereits wieder zurückfahren, da war mein verlängerter Pfingstwochenendurlaub nämlich schon wieder zu Ende.

Auch Wochen danach haben wir uns immer wieder gern an unsere ge-meinsamen Erlebnisse erinnert. Es war etwas Gemeinsames, was uns ver-band.

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Familiengründung …

Am Ende des Jahres dann, zum Weihnachtsfest nämlich, verlobten wir uns ´unterm Weihnachtsbaum´, so richtig mit Ringe anstecken, wie das damals noch üblich war. Die Verlobungsfeier wurde zu einem richtig großem Fami-lienfest, bei dem ich auch Jannes Geschwister richtig kennen lernen konnte, die natürlich alle gekommen waren. Von meiner Verwandtschaft war nie-mand dabei, wie auch, es war ja auch nur unsere Verlobungsfeier, die ich meiner Mutter nur kurz auf der geschriebenen Weihnachtskarte mitgeteilt hatte. Nur meinen Freund und Kumpel, der Kalle, den hatte ich eingeladen, schließlich war der ja auch dabei, als ich meine Janne zum ersten Mal gese-hen und auf dem Motorrad mitgenommen hatte.

Um ehrlich zu sein, an so einer großen familiären Festtafel hatte ich noch nie gesessen, obwohl doch nur die nächsten Verwandten von Janne dabei waren, und ich frage mich heute noch, wie wir alle in den nächsten Weih-nachtsfeiertag hinein gekommen sind.

Als Janne mir dann im Frühjahr - ich weiß es noch wie heute, es war an ei-nem Samstag im April, ich hatte ein freies Wochenende und meine Janne hatte ihrem 21. Geburtstag - schüchtern eingestand, dass sie ihre Tage nicht mehr bekommen hatte und wir in der letzten Novemberhälfte wahrschein-lich ein Kind haben würden, war ich im ersten Moment ganz schön ge-schockt und sagte eine Weile erst einmal gar nichts.

An heiraten und an eine Ehe hatte ich eigentlich noch nie so richtig ge-dacht.

Wir saßen zusammen, hielten uns bei den Händen und überlegten, wie und wo es denn ´passiert´ sein konnte und kamen letztlich zu dem Schluss, dass es höchst wahrscheinlich am 1. März gewesen sein musste. Da war näm-lich mein großer Ehrentag - Tag der Nationalen Volksarmee - und ich war zum Oberfeldwebel befördert worden.

Meine Janne hatte mich in Eggesin besucht, wir haben natürlich gefeiert und hatten uns dann mit einer Flasche Sekt auf mein Zimmer im Ledigen-wohnheim zurückgezogen, wo wir allein waren und eine wunderschöne Nacht zusammen verbracht hatten. Und nun war das Ergebnis unterwegs.

„Woll´n wir nun heiraten …?“, hatte ich sie leise und fast schüchtern ge-fragt.

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Etwas ungläubig hatte sie mich schon angeschaut, als ich noch fragte: „Entweder gleich oder dann, wenn der kleine Junge auf der Welt ist?“

„Woher willst du denn wissen …“ musste sie lachen. Dann aber wurde sie ernst und sagte beinahe beschämt: „Lieber gleich, bevor etwas davon zu sehen ist.“

„Na gut! Du bist ja heute einundzwanzig geworden, da darfst du ja heira-ten. Ich kümmere mich um einen Termin für nächsten Monat, aber geheira-tet wird in Jena bei meiner Mutter, einverstanden?“

„Einverstanden! Das ist das schönste Geburtstagsgeschenk für mich“, schnurrte sie wie ein Kätzchen, fiel mir um den Hals und küsste mich unend-lich lange.

Ob ich nun heiraten musste, oder ob es damals schon die richtige große Liebe war, das wusste ich zu jener Zeit wohl noch nicht so genau zu sagen. Aber, um es vorweg zu nehmen, so richtig lieb gewonnen hatte ich meine Janne dann mit ihrer fortschreitenden Schwangerschaft, als ihre fraulichen Rundungen und Reize immer anziehender für mich wurden. Es war eine wunderbare Zeit.

Mit einem kurzfristigen Termin Ende Mai auf dem Standesamt in Jena hatte es auch noch geklappt. Also fuhren wir wieder mit dem Motorrad nach Jena, diesmal aber bereits zu dritt, um bei mir zu Hause - bei Muttern in Jena - zu heiraten.

Unsere ´Hochzeitsreise´ war dann geprägt von den Pannen mit dem Mo-torrad, wobei ich mit Hochzeitsreise natürlich nur die Hin- und die Rück-fahrt von Mecklenburg nach Thüringen meinte, mehr war damals nicht drin und mehr konnten wir uns auch noch nicht leisten.

Es fing schon damit an, dass drei Wochen vorher unser geliebtes Motor-rad nicht mehr einsatzbereit war, weil die Kette und das Kettenritzel ausge-leiert waren und unbedingt gewechselt werden mussten.

Von der Sache her kein Problem, aber - ich hatte ja eine Westmaschine und da konnte mir keine unserer Werkstätten helfen. Aber es gab da in Leip-zig eine Art Handelsvertretung, über die ich die benötigten Ersatzteile bestel-len und beziehen konnte, was allerdings einige Wochen dauerte.

Unsere Hochzeitsreise war in Gefahr. Eine Fahrt mit der Eisenbahn kam nicht in Betracht, da wir dabei einen Tag für die Anreise und dann noch einen Tag für die Rückfahrt verbraucht hätten. Bei drei Tagen Sonderurlaub von der Armee für die eigene Hochzeit also indiskutabel und nicht machbar.

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Aber ich fand einen guten Freund, auch einen Feldwebel aus meiner Ein-heit, der uns seine 350er Jawa zu Verfügung stellte, wofür ich mich heute noch einmal ganz herzlich bei ihm bedanken möchte.

Einen Tag vor dem Hochzeitstermin fuhren wir nach dem Frühstück los und wollten am Nachmittag zu Hause in Jena sein. Schließlich war am Abend unser Polterabend, und da wollten wir schon gerne selber mit dabei sein.

Die Fahrt lief ganz ordentlich. Es war die letzte Maiwoche und angeneh-mes Motorradwetter. Auf der Autobahn von Prenzlau in Richtung Berliner Ring dachte ich mir, mit einer 350er Jawa, da konnte ich bestimmt so mit 130 Sachen dahinbrausen, das machte die Maschine schon mit. Denkste …

Wir waren kurz vor der Ausfahrt Bernau, als es passierte. Durch das Mo-torrad ging plötzlich ein Rucken und der Motor schien auszusetzen. Instink-tiv hatte ich ausgekuppelt und war vorsichtig auf die Bremsen gegangen. Glück gehabt!

Janne hatte von alldem nichts mitbekommen, sie war auch technisch nicht so versiert, dass sie das eben Passierte nachvollziehen konnte. Sie fragte mich nur: „Was ist denn, warum fahren wir denn nicht weiter?“

Ich wollte ihr schon sagen, dass wir unsere morgige Hochzeit vergessen können, schluckte den Gedanken aber lieber schnell wieder hinunter.

„Wir haben einen kleinen Motorschaden und müssen in eine Werkstatt“, sagte ich ganz ruhig und begann, das Motorrad am Straßenrand entlang zu schieben. Janne trottete anfangs nur hinterher, aber als sie merkte, wie ich mich abmühte, fasste sie von hinten an den Gepäckträger mit unserem klei-nen Koffer und schob fleißig mit. Zum Glück war die Abfahrt Bernau be-reits in Sichtweite, trotzdem war es noch ein schönes Stück Arbeit - und das einen Tag vor der Hochzeit -, bis wir endlich in Bernau waren und eine Jawa-Werkstatt gefunden hatten.

„Kolbenfresser …!“ bestätigte der Werkstattleiter meine geahnte Diagno-se.

Als ich ihm sagte, dass wir zu unserer eigenen Hochzeit nach Jena woll-ten, lächelte er nur wehleidig. Aber als Janne ihn mit flehenden Blicken bit-tend angeschaut hatte, bekam er wohl Mitleid und sagte seine Hilfe zu. Wir sollten am Nachmittag, aber nicht vor drei Uhr, wieder reinschauen, dann könnte …, versprach er uns.

Was blieb uns schon übrig. Wir machten einen Stadtbummel durch Ber-nau, gingen in eine Gaststätte zum Mittagessen und aßen dann später noch

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irgendwo ein Eis, nur um die Zeit herumzubekommen. Dabei schienen die Uhren hier in Bernau extra langsam zu gehen, jedenfalls kam es mir so vor.

Eine Viertelstunde vor dem genannten Termin standen wir an der Werk-statt und- unsere Maschine war tatsächlich fertig zum Weiterfahren.

„Aber immer schön langsam …“, ermahnte mich der Meister noch, nachdem ich die Rechnung bezahlt hatte, die in meinem Reisebudget natür-lich nicht und schon gar nicht in dieser Höhe eingeplant war.

Ich nahm seine Mahnung ernst und fuhr nicht mehr wie 100 Sachen. Ge-schafft, aber glücklich kamen wir am Abend zu Hause an, wo die Polter-abendgäste bereits mit der Feier begonnen hatten und uns mit lautem Hallo begrüßten.

Wir mussten, um ins Haus zu kommen, bereits über die ersten Scherben steigen, die auf der Treppe vor dem Hauseingang lagen und von denen im Verlaufe des Abends noch einige mehr dazukommen sollten.

Meine liebe Großmutter war auch schon da und Janne umarmte sie bei unserer Ankunft erschöpft von der Reise und weinte sich leise an ihrer Schulter aus.

Sicherlich Freudentränen wegen der bevorstehenden Hochzeit, dachte ich.

Meine Großmutter war übrigens auch die einzige, die mitbekommen hat-te, dass Janne schwanger war und wir zu dritt zur Hochzeitsfeier gekommen waren. Aber sie hielt ihre vermutenden Gedanken wohlweislich für sich und schaute uns nur vielsagend aus verschmitzten Augen an.

Unsere Hochzeit fand ohne viel Trara im engsten Kreis der Familie statt, wir wollten keine großartige Feier. So waren auch nur meine drei jüngeren Geschwister dabei, die noch Zuhause bei Muttern wohnten; meine liebe Oma, allerdings ohne den Großvater, der war zu Hause bei seinen Kanin-chen und den Hühnern geblieben und hütete das Haus; dann war da noch unser Freund Kalle und noch ein guter Freund von uns, der Hannes näm-lich, der auch bei uns in der Einheit diente, wie ich Berufsunteroffizier war und zugleich der dritte Mann in unserem Zimmer im Ledigenwohnheim. Kalle und Hannes, meine besten und langjährigen Freunde, sollten nämlich unsere beiden Trauzeugen sein. Von Seiten der Braut war niemand mitge-kommen, aber das hatten wir ja so abgesprochen, weil die ja alle bei unserer großen Verlobungsfeier zugegen waren.

Eigentlich wollte ich erst in Uniform zur Trauung gehen, aber Janne war dagegen und wollte, dass ich mir einen schönen schwarzen Anzug kaufte. Dabei hatte ich mir mit Kalle zusammen doch erst ein Jahr zuvor so einen

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herrlichen Zweireiher als Ausgehuniform bei einem Privatschneider in Hop-penwalde, einer kleinen Ortschaft zwischen Eggesin und Ückermünde gele-gen, anfertigen lassen. Aber da Janne darauf bestand, hatte ich mir eine Wo-che vor der Hochzeit noch einen guten schwarzen Anzug, im einzigen aber zugleich dem besten Geschäft in Eggesin, anpassen lassen und gekauft.

Meine Janne war ja auch die schönste und modernste Braut, die ich je hatte.

Sie trug allerdings kein langes weißes Kleid mit Schleier und so. Nein, sie hatte ein fesches sektfarbiges und in sich gemustertes Brokatkostüm an, trug weiße Handschuhe und weiße hochhackige Schuhe dazu und hatte ihr halb-langes dunkles Haar zu einer zauberhaften Frisur mit Außenwelle frisiert. Einfach eine wunderbare und hübsche Braut.

Als wir dann am Tag unserer Trauung, es war ein Samstag und es war trübe und nieselte ganz leicht in das vorgefahrene Taxi steigen wollten, hätte Janne doch beinahe ihren schönen Brautstrauß vergessen. Aber meine Großmutter brachte den herrlichsten aller Brautsträuße, dessen dunkelrote Nelken - Rosen waren zu jener Zeit bei uns noch nicht zu haben - mit eini-gen Levkojenblüten in der Farbe von Jannes Kostüm garniert waren, noch hinterher, ehe wir in das Taxi stiegen.

Die eigentliche Trauung im altehrwürdigen Rathaus von Jena, bei der nur Kalle und Hannes als unsere Trauzeugen dabei waren, war eigentlich nur noch ein formaler Akt, denn ein Paar waren wir ja schon lange vorher. Wir steckten uns vor Zeugen unsere Ringe an die andere Hand, küssten uns flüchtig und unterschrieben voller Glück die Urkunde.

Mit dem roten ´Buch der Familie´ in der Hand haben wir das alte Rathaus als nun offiziell verheiratetes Pärchen verlassen, sind in das wartende Taxi gestiegen und noch zum Postplatz zu einem Fotographen gefahren, der da-für bekannt war, dass er ausgezeichnete Bilder machte.

Zuhause wartete die kleine Hochzeitsgesellschaft bereits auf uns, um uns zu gratulieren und um das junge Ehepaar zu beschenken. Dann war in der Stube die Hochzeitstafel gedeckt und wir ließen uns die Thüringer Klöße mit dem festlichen Kaninchenbraten schmecken.

Danach hatten wir noch zwei Tage für uns, um uns von den Anstrengun-gen der letzten Tage etwas zu erholen, und am Mittwoch nach dem Früh-stück hieß es bereits Abschied nehmen, mein Sonderurlaub war nämlich zu Ende.

Diese Rückfahrt als Teil unserer sogenannten ´Hochzeitsreise´ sollten wir aber noch lange in Erinnerung behalten, die hatte es nämlich auch in sich: