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  • CHRISTA DRSCHEID

    Merkmale der E-Mail-Kommunikation

    1 Vorbemerkungen

    Das Schreiben von E-Mails ist heute zur gngigen Kommunikations-praxis geworden und zwar nicht nur in der interpersonalen Kommu-nikation im privaten und beruflichen Bereich, sondern auch in anderenKommunikationssituationen: E-Mails werden in Newsgroups undelektronischen Gstebchern geschrieben, es werden E-Mails berMailinglisten an eine groe Zahl von Empfngern geschickt, und essind E-Mails als Kommentare im Weblog zu lesen. Wie alltglich es ge-worden ist, E-Mails zu schreiben, sieht man auch daran, dass her-kmmliche Briefe einen neuen ideellen Wert erhalten. So heit es in ei-nem Zeitungsartikel mit der berschrift Die Handschrift ist das neue Sta-tussymbol Elektronische Post ist Fast Food. Briefe aber sind HauteCuisine (NZZ am Sonntag, 4.9.2005, S. 109).

    Im Folgenden sollen die verschiedenen Anwendungsdomnen derE-Mail-Kommunikation vorgestellt und aus linguistischer Sicht kom-mentiert werden. Dabei wird zunchst eine Unterscheidung gemachtzwischen den Textsorten, die als E-Mail realisiert werden, und denKommunikationsbereichen, in denen E-Mail genutzt wird (Abschnitt2). Im Anschluss daran folgt eine bersicht ber die gngigsten E-Mail-Anwendungsdomnen (Abschnitte 3 und 4). In diesem Zusammen-hang wird dargelegt, welches die charakteristischen sprachlichenMerkmale des E-Mail-Schreibens sind und worin die Unterschiede zumherkmmlichen Schreiben einerseits und zum SMS- und Chat-Schrei-ben andererseits bestehen. Im Fazit wird ein Blick auf den derzeitigenForschungsstand und auf offene Fragen geworfen (Abschnitt 5).

    2 Textsorten und Kommunikationsbereiche

    Ulrich Schmitz stellt in einem Beitrag mit dem Titel E-Mails kommenin die Jahre fest, dass E-Mails zu einem praktisch universal verwend-baren Mittel allgemeiner Kommunikation herangewachsen (Schmitz2002: 33) sind.1 Dem ist in der Tat so: ber E-Mail werden Bewerbun-

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    1 Vgl. zur Geschichte des Internets und der E-Mail-Kommunikation den berblickin Runkehl/Schlobinski/Siever (1998: 925).

  • gen, Geschftsbriefe, Einladungsschreiben, Anfragen an Behrden, Ur-laubsgre etc. verschickt. Ergnzt werden solche Schreiben hufigdurch Dateianhnge (= Attachments), die nicht nur umfangreicheTexte, sondern auch multimediale Dateien (z. B. Fotos aus dem Urlaub,Grafiken fr die nchste Arbeitsbesprechung) enthalten knnen. Wiedie E-Mail-Forschung zeigt (vgl. Beutner 2002, Voigt 2003), besteht dieTendenz, solche E-Mail-Schreiben etwas nher am Mndlichkeitspoleinzuordnen als herkmmliche Briefe.2 Allerdings ist es keineswegs so,dass E-Mails generell einen informelleren Charakter haben. Eben weildas Textsortenspektrum so gro geworden ist, gibt es mittlerweile auchin der E-Mail die ganze stilistische Variationsbreite, wie wir sie aus her-kmmlichen Briefen kennen.

    Auf die verschiedenen E-Mail-Textsorten und die Unterschiede zwi-schen Geschfts-E-Mails, Liebes-E-Mails etc. und ihren papierenen Ent-sprechungen soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden (vgl. dazudie Beitrge in Ziegler/Drscheid 2002). Im Mittelpunkt stehen viel-mehr die beiden Kommunikationsbereiche, in denen E-Mails ver-schickt werden und aus denen die unterschiedlichen Anwendungsdo-mnen resultieren: die nicht ffentliche und die ffentliche Kommuni-kation. Was die nicht ffentliche E-Mail-Kommunikation betrifft, sofasse ich darunter solche E-Mails, die nur fr denjenigen einsehbarsind, der Zugang zu der Mailbox hat. In diesem Bereich werden E-Mails hufig anstelle von Briefen und Postkarten geschickt, sie erset-zen aber auch Telefonate und Face-to-Face-Gesprche und stehen inKonkurrenz zur SMS. ber SMS knnen zwar ebenfalls in Sekunden-schnelle schriftliche Mitteilungen an ausgewhlte Empfnger geschicktwerden, in der SMS-Kommunikation stehen aber nur wenige Zeichenzur Verfgung und es besteht nicht die Mglichkeit, Dateien mitzu-schicken. Andererseits bietet die SMS die Mglichkeit, den Adressatenauf Schritt und Tritt zu erreichen, was ber E-Mail als einer (noch) sta-tionren Form der Kommunikation nicht der Fall ist. Wie SMS gehenoft aber auch E-Mails in kurzen Abstnden hin und her, so dass dieKommunikation hufig dialogischen Charakter annimmt. Doch das n-dert nichts an der Tatsache, dass es sich bei der E-Mail- wie auch bei derSMS-Kommunikation um eine Form der asynchronen Kommunikationhandelt. Denn anders als im Chat, der die Anwesenheit von Senderund Empfnger notwendig voraussetzt, auch wenn sich diese an rum-

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    2 Koch/Oesterreicher (1994) situieren sprachliche uerungen in einem Kontinu-um zwischen konzeptioneller Mndlichkeit (= Sprache der Nhe) und konzeptio-neller Schriftlichkeit (= Sprache der Distanz). Konzeptionell mndliche ue-rungsformen charakterisieren sie als solche, die durch Ellipsen, Satzabbrche,umgangssprachliche Ausdrcke, Gesprchspartikeln u. a. gekennzeichnet sind.

  • lich entfernten Computern befinden (vgl. Wirth 2005: 67), sind die E-Mail- und SMS-Schreiber nicht im selben virtuellen Kommunika-tionsraum; sie wissen nicht, ob der andere online ist (bzw. sein Handyeingeschaltet hat), und knnen nicht davon ausgehen, dass er unmittel-bar antwortet. Viele Kommunikationsteilnehmer sehen gerade in die-ser Asynchronie einen Vorteil gegenber dem Chatten und Telefonie-ren, wo erwartet wird, dass auf jeden Gesprchsbeitrag sofort eine Re-aktion erfolgt.3

    Kommen wir zum zweiten Bereich der E-Mail-Nutzung, zur ffent-lichen Kommunikation. Auch hier knnen die E-Mails an bestimmtePersonen gerichtet sein, sie werden aber an eine zentrale Adresse ge-schickt, von der aus sie fr alle zugnglich ins Internet gestellt wer-den. Dazu rechne ich die Schreiben in Newsgroups, in Weblogs und inelektronischen Gstebchern. Solche Schreiben tragen Merkmale mas-senmedialer Kommunikation, denn fr sie gilt, dass sie theoretisch einegroe Zahl anonymer, heterogener Rezipienten an unterschiedlichenOrten und in verschiedensten sozialen Positionen erreichen (Hab-scheid 2005: 57). Andererseits stehen diese Schreiben oft in einem Inter-aktionszusammenhang; sie enthalten Kommentare zu Eintrgen imInternet und knnen ihrerseits von anderen kommentiert werden. Siesind also in der Regel keine Ein-Weg-Kommunikation,4 sondern stelleneine neue Form der Interaktion im ffentlichen Raum dar.

    Im Folgenden werden beide Varianten der E-Mail-Kommunikationgetrennt voneinander behandelt. Dabei bin ich mir durchaus bewusst,dass die in Abschnitt 4 vorgestellten Anwendungsdomnen in der Re-gel unabhngig voneinander betrachtet werden; Weblogs und Gste-bcher werden im vorliegenden Band ja auch in separaten Kapitelnbehandelt (vgl. Schnberger, i. d. B., Diekmannshenke, i. d. B.). DieSchreiben in Weblogs und Gstebchern tragen aber ein gemeinsamesMerkmal, was dazu berechtigt, auch sie als E-Mails zu klassifizierenund damit von anderen Kommunikationsformen (Chat, SMS) abzu-grenzen: Es sind schriftliche, zeitversetzte, am Computer bermittelteNachrichten.5 Aus diesem Grunde sollen sie in der hier vorliegenden

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    3 Vgl. Dring (2003: 52): Der asynchrone Austausch erleichtert nicht nur die Kom-munikation, sondern auch die Kommunikationsvermeidung.

    4 Habscheid (2005: 54) beschreibt das Prinzip der Ein-Weg-Kommunikation folgen-dermaen: Systematisch sind Antworten der vielen Empfnger an die wenigenSender freilich nicht vorgesehen. Daran ndert, so Habscheid, auch nichts derUmstand, dass Einzelne als Stellvertreter der Masse eingebunden sind und sichbeispielsweise ber einen Leserbrief beteiligen knnen.

    5 Vgl. die Definition von E-Mail, wie sie in der Online-Enzyklopdie Wikipedianachzulesen ist: eine auf elektronischem Weg in Computernetzwerken bertrage-ne, briefartige Nachricht (http://de.wikipedia.org/wiki/E-Mail) .

  • bersicht ber die Anwendungsdomnen der E-Mail ebenfalls kurzzur Sprache kommen.

    3 Nicht ffentliche E-Mail-Kommunikation

    Wie bereits erwhnt, ist es ein Kennzeichen nicht ffentlicher E-Mail-Kommunikation, dass die E-Mails nur von Personen gelesen werdenknnen, die hierfr eine Zugangsberechtigung haben. In der Regel istdies das Passwort zum Mailserver, von dem der Empfnger seineelektronische Post abruft. Allerdings ist es mglich, dass solche E-Mails, sofern sie nicht verschlsselt sind, im Internet von Dritten aus-gespht werden knnen, die Kommunikation also ffentlich wird. DieSchreiber verfassen ihre E-Mails dennoch in dem Bewusstsein, dass dieTexte nur an ausgewhlte Empfnger gerichtet sind. Darin besteht einwesentlicher Unterschied zur ffentlichen E-Mail-Kommunikation (s. u.).

    Es folgen zunchst zwei Beispiele fr die prototypische Form der E-Mail-Nutzung, die Eins-zu-eins-Kommunikation. Das erste Beispielwurde bernommen aus dem Buch von Ulrich Schmitz, Sprache in mo-dernen Medien. Ulrich Schmitz stellt seinem Kapitel zum Thema E-Maildie folgende E-Mail als Motto voran:

    (1)

    US wrote:> Suche *noch immer* ein Motto frs E-Mail-Kapitel.Nimm doch diese Mail selbst ;)O. (Private E-Mail 24.8.2002)

    Schmitz (2004: 96)

    Im Beispiel wird nur der Text (= Body) der E-Mail dargestellt, derKopf der E-Mail (= Header), der Angaben zum Betreff, zum Absender,zu Absendedatum und Uhrzeit u. a. enthlt, bleibt ausgeblendet. DieMeldung US wrote wurde vom Mailprogramm automatisch erstellt,das Grerzeichen ebenfalls. Es zeigt an, dass der folgende Text als Zi-tat wiedergegeben wird. Das zwinkernde Smiley ;-) ist eines der vielenEmoticons, die in der Internetkommunikation verwendet werden undanzeigen sollen, wie die uerung zu verstehen ist. Auf dieser Meta-ebene liegen auch Abkrzungen wie LOL (Laughing out loud) oderROTFL (Rolling on the floor laughing) oder Inflektive wie *freu*, *grins*(vgl. Schlobinski 2001).

    In (1) handelt es sich um eine Antwort-E-Mail; der Absender hat alsolediglich die Reply-Taste bettigt, den Bezugstext stehen lassen und

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