MICHAEL KERRIGAN - Weltbild.de · Invasion Griechenlands und Sardi-niens mit sich führte. Diese...

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MICHAEL KERRIGAN

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Ein Komplott der Nazis den Papst gefangen zu nehmen, ein Plan der IRA in Nordirland einzumarschieren, ein geplantes Attentat der Briten auf Hitler oder eine japanische Besetzung des Panama-Kanals – es mag unglaubwürdig klingen, doch während des Zweiten Weltkriegs wurden diese Operationen und andere, die weit hergeholt erscheinen, von Achsenmächten und Alliierten ernsthaft in Erwägung gezogen. G E H E I M P L Ä N E DES ZWEITEN WELTKRIEGS gibt Aufschluss über einige der geheimsten und ungeheuerlichsten Operationen, die während des Krieges geplant waren und den Verlauf der Geschichte bedeutend verändert hätten: vom Vorhaben der Deutschen die britische und amerikanische Wirtschaft durch Falschgeld ins Wanken zu bringen, vom Plan der Briten im Jahr 1945 die Sowjetunion anzugreifen, vom Projekt der Amerikaner die V1-Stützpunkte in Europa unter Feuer zu nehmen und vom wiederum britischen Plan einer Invasion von Norwegen und Schweden 1939/1940.

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M I C H A E L K E R R I G A N

Geheimplänedes Zweiten Weltkriegs

Geheimplänedes Zweiten Weltkriegs

Strategien und Vorhaben, Strategien und Vorhaben, die nie umgesetzt wurdendie nie umgesetzt wurden

M I C H A E L K E R R I G A N

Copyright © 2011 Amber Books LtdDie englische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel World War II plans that never happenedCopyright der deutschen Übersetzung © 2011 Weltbild GmbH & Co. KG, Werner-von-Siemens-Str. 1, 86159 Augsburg

Die Übersetzung von World War II plans that never happened wird im Jahr 2017 nach Vereinbarung mit Amber Books Ltd. veröffentlicht.

Koordination und Bearbeitung der deutschen Ausgabe: Verlagsservice Dr. Helmut Neuberger und Karl Schaumann GmbH Übertragung ins Deutsche: Heinz TophinkeUmschlaggestaltung: der UHLIG, Augsburg, www.coverdesign.netDruck & Bindung: Neografia, a.s. printing house, Martin

Printed in Europe

ISBN 978-3-8289-3944-8

2018 2017Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.

Einkaufen im Internet: www.weltbild.de

EINFÜHRUNG 6

ERSTES KAPITEL 12

1939–1941

ZWEITES KAPITEL 56

1942

DRITTES KAPITEL 98

1943

VIERTES KAPITEL 140

1944

FÜNFTES KAPITEL 164

1945

LITERATUR 188

REGISTER 189

Inhalt

6 E I N F Ü H R U N G

Wir sehen im Zweiten Welt-krieg eines der großen historischen Dramen der

Zeitgeschichte: einen Titanen-kampf zwischen Gut und Böse.Am Boden war er eine Folge erbit-tert geführter Schlachten, die Mil-lionen von Soldaten und ZivilistenLeid und Tod brachte – von denStraßen Londons und Berlins biszum Dschungel Burmas und der

russischen Steppe. Es war wirklichein globaler Krieg, in dem U-Booteim Atlantik Handelsschiffe angrif-fen und auf den Philippinen Gue-rillas gegen japanische Armee -einheiten vorgingen. Island warbesetzt, Australien von Invasionbedroht, die Wüsten Nordafrikaswurden zum Kriegsschauplatz.

Doch hinter den Kulissen fandein eher nüchterner Krieg statt, in

Einführungdem die Kombattanten das Dramazu lenken versuchten. Währendsich Kommandeure im Feld Fintenund Manöver ausdachten, dieihnen im Gefecht Vorteile einbrin-gen sollten, suchten ihre Politikernach den strategischen Initiativen,die den Sieg bringen sollten. Zuihrer Unterstützung zogen Beamte,Geheimdienstler und Funktionärejeglicher Couleur die Fäden und

MacArthur landet am 20. Oktober 1944 auf Leyte, kurz vor der vollständigen Befreiung der Philippinen.

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entwickelten Pläne, um das sichausweitende Kampfgeschehen zuinszenieren. Das hatte natürlichseine Wirkung – wenngleichdurchaus nicht immer die beab-sichtigte. Ihre Entscheidungen(manchmal auch ihre Unentschlos-senheit) schlugen sich nieder imFeld, gaben hier der Kriegsverlaufeine neue Richtung oder verscho-ben dort minimal die Gewichte.

AktionsplanDie Öffnung wichtiger Archive inden vergangenen Jahren ermög-licht es uns heute, hinter die Kulis-sen zu blicken und anhand nochnie gesehener Quellen zu erken-nen, wie die Strategen auf beidenSeiten versuchten, den Gang desGeschehens zu bestimmen.Geheimdienstberichte, Direktiven,Memoranden, Protokolle vonKabinetten und Stäben: Eine riesi-ge Menge an Quellen ist verfügbargeworden, die uns erschöpfendeEinsichten in das Denken dieserStrategen gewähren. Hier reitetChurchill ein Steckenpferd, dortgibt Eisenhower seiner UngeduldAusdruck; ein japanischer Indus-trieller ist begeistert von denFähigkeiten des neuen Superbom-bers, den er zu bauen hofft …

Dieses Buch zeigt auf, wie diePlanung im Hintergrund das vor-dergründige Kriegsgeschehen miteiner Reihe spezifischer Operatio-nen zu beeinflussen hoffte.

Auf dem PapierDer Haken ist natürlich, dass dieam besten ausgetüftelten Plänemeistens schiefgehen. Die Verach-tung des Frontsoldaten für dasHauptquartier und die politische

Führung hinter der Front istsprichwörtlich – und war es injedem Konflikt und zu jeder Zeit.Doch die Unüberwindlichkeit derHierarchie unterstreicht nur dieewige Kluft zwischen Theorie undPraxis, zwischen Plan und Reali-tät: Redensarten wie »Die Lage isthoffnungslos, aber nicht ernst«sind zum Klischee geworden fürdie Diskrepanz zwischen Planungund Realität. Wenn wir sagen,dass dieser oder jener Plan »aufdem Papier« gut aussieht, impli-zieren wir damit, dass er in derPraxis voraussichtlich nicht funk-tionieren wird.

Daher die – oberflächlichbetrachtet vielleicht wunderliche –Entscheidung, sich hier mit Plänenzu befassen, die faktisch nichtumgesetzt wurden. Was kann derWert einer Geschichte dessen sein,das nicht geschah? Wie diesesBuch zeigt, kann er in der Tatbedeutend sein – nicht zuletzt alsironischer Kommentar zu tatsäch-lichen Ereignissen. Die Konturender realen Geschehnisse sind soklar, dass man gern vergisst, wieleicht es hätte anders kommenkönnen; sie werden scheinbarzwangsläufig, obwohl sie es keineswegs waren.

Dies ist ein wichtiger Aspekt,den man allzu leicht aus denAugen verliert. Wenn wir denZweiten Weltkrieg so interpretie-ren, als sei er einer einzigen Liniegefolgt, und die vielen provisori-schen Pläne, die Fehlstarts, dieimprovisierte Ausführung, diebrillanten Ideen, die am Ende zunichts führten, unbeachtet lassen,dann vergessen wir leicht, was derKrieg eigentlich ist.

Hitler füttert ein Rehkitz. Die persönlichenLaunen des »Führers« beeinflussten denVerlauf des Konflikts ebenso stark wieunberechenbar.

Es ist charakteristischfür militärische Proble-me, dass sie nichtsanderem weichen alsder rauen Wirklichkeit.General Dwight D. Eisenhower, 1949

8 E I N F Ü H R U N G

Die Geschichte des Kriegs – oderzumindest ein wesentlicher Aspektdavon – wurde stets in dreifacherAusfertigung abgefasst: Die Entschei-dungen sowohl der politischen alsauch der militärischen Führung einesjeden Kombattanten wurden Tag fürTag akribisch aufgezeichnet, manch-mal sogar Stunde für Stunde. Forscher haben nun in den Archivender kriegführenden Nationen Zugangzu einer Fülle an Informationen. DieSchwierigkeit besteht darin, in derMenge der Dokumente die wirklichbedeutenden zu erkennen.

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großen Führer der Alliierten, ineinem Handstreich zu entführen?Konnte jemand ernsthaft darangedacht haben, Mussolini durcheinen Bombenangriff auszuschal-ten oder den Papst als Geisel zunehmen?

Aber waren solche Gedankenweniger realistisch als »OperationMincemeat«, der Plan, die Leicheeines Londoner Stadtstreichers alsdie eines hochrangigen Agenten

der Alliierten auszugeben, derPläne einer für 1943 geplantenInvasion Griechenlands und Sardi-niens mit sich führte. Diese Ideewurde nicht nur ausgeführt – siefunktionierte sogar hervorragend.Die vor der spanischen Küste insMeer geworfene Leiche von»Major Martin« wurde ange-schwemmt und geborgen, dieDokumente wurden gelesen – wasdie Deutschen von der InvasionSiziliens ablenkte.

RealitätsprüfungenUnwahrscheinlichkeit muss alsoden Erfolg nicht notwendigerweiseverhindern. Doch Überlegungenaus der Etappe ohne ausreichendeBerücksichtigung der Realitätenim Gefecht neigen immer, an eben-diesen zu scheitern.

Im Übrigen können auch ganzvernünftige Pläne misslingen – soetwa die Operationen Handcuff,Culverin oder Bulldozer wegenfehlender taktischer oder logisti-scher Unterstützung. Eine Flotte,eine Division zur falschen Zeit amfalschen Ort; knappe Transport-oder Artilleriekapazität: AllesMögliche kann ein Erfolgsrezeptzum Scheitern bringen. Entschei-dend ist stets das Warten auf denrichtigen Zeitpunkt. Daran schei-terten die Operationen Sledge-hammer und Roundup, währenddie Operation Overlord ein vollerErfolg wurde.

WunschdenkenSo leicht es ist, über Kommando -stäbe und Politiker zu spotten –auch Frontkämpfer sind nichtgefeit gegen weltfremden Eifer.Für General Douglas MacArthur

FantasiekämpfeIn der Tat ist zu vermuten, dasseine Operation umso wahrschein-licher unrealisiert bleibt, je raffi-nierter sie »geplant« ist. Mankönnte sogar argwöhnen, dassmilitärische Planung schon an sichmaßlos ist. Was sonst sollte manvon dem Plan der Alliierten hal-ten, einen Flugzeugträger aus Eiszu »bauen«, oder von einem derNazis, die »Big Three«, die drei

Große Strategie konnte man im London des »Blitzkriegs« auf den Straßen erleben.

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war die Rückeroberung der Philip-pinen eine Herzensangelegenheit.Sein Enthusiasmus zeigt sich injedem Detail der Operation Tulsa.Zum Glück gelang es den Admira-len der US-Marine, ihn auf denBoden der Tatsachen zurückzuho-len. General Lucian Truscott kom-mentierte Eisenhowers waghalsigePläne für die Operation Satin mitden Worten, sie sei »logistisch ver-nünftig, wenn alles hundertpro-zentig ist«. Das gilt jedoch auchfür einige weitere der hier behan-delten Operationen.

In einigen Fällen ist klar, dassdie Strategen nach einer ArtKönigsweg suchten – dem Ent-scheidungsschlag, der den Siegsicherstellen würde. Das mochtedie Liquidierung einer bedeuten-den Person sein (so war Adolf Hitler das Ziel der britischen Ope-ration Foxley) oder eine »Wunder-waffe« wie Japans U-Flugzeugträ-ger Sen-Toku I-400 oder derAmerikabomber der Deutschen:Beide hätten theoretisch denKriegsausgang verändern können.

Militärische GedankenspieleDies ist also die Geschichte desZweiten Weltkriegs, wie sie hättesein können, wäre nicht dieseroder jener mehr oder weniger fan-tastische Plan an den Klippeneiner sich rasch veränderndenRealität gescheitert. Es ist eineGeschichte voller Ironien, aberauch eine voller Einsichten sowohlin das militärische Denken alsauch in die Realitäten des Kriegs.

Das Sternenbanner weht über Iwo Jima,März 1945 – das triumphale Ende eineschaotischen Feldzugs.

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Erstes Kapitel1939–1941

Einen »Sitzkrieg« darf es den Strategen nach nicht

geben – auch wenn viele Operationen nicht

zustande kamen, entweder weil man sie für falsch

konzipiert oder für undurchführbar hielt oder weil

sie einfach durch die Ereignisse überholt wurden.

Deutsche Truppen rollen im April 1940durch Trondheim: Schon das schiere Tempodes deutschen Vormarschs in Norwegenüberraschte die Alliierten.

Aus konventioneller historischer Perspektive bestimmte eine unab-wendbare Realität den Verlauf der ersten beiden Jahre: die Über -legenheit des Deutschen Reichs an Truppenstärke, Ausrüstung und

Führung – und der große Vorteil durch das Überraschungsmoment. Und diese Perspektive mag durchaus korrekt gewesen sein. Hinter denKulissen freilich stellten sich die Dinge keineswegs so eindeutig dar. Während die Führung der eigentlich sieggewohnten Wehrmacht darüberenttäuscht war, dass sie ihre Pläne nach der ersten Sieges serie nicht in dererhofften Schnelligkeit fortsetzen konnte, sorgte aufseiten der Alliiertenein völlig unbegründeter Optimismus für waghalsige Planungen.Weit davon entfernt, nach Dünkirchen ernüchtert zu sein, war das durchden Blitzkrieg angeschlagene Großbritannien voller Ideen, wie der Kriegnach Deutschland getragen werden könne. Einige dieser Pläne warendefensiv, etwa jene, potenziellen deutschen Interventionen von Island biszu den Azoren zuvorzukommen. Das neutrale Irland wurde zu einemveritablen Schlachtfeld – zumindest in der Fantasie der Geheimdienstebeider Seiten. Und zeitweilig brannte Hitler darauf, eine Invasion Groß-britanniens zu starten, doch seine Pläne kamen einfach nicht voran.

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Erstes Kapitel1939–1941

Einen »Sitzkrieg« darf es den Strategen nach nicht

geben – auch wenn viele Operationen nicht

zustande kamen, entweder weil man sie für falsch

konzipiert oder für undurchführbar hielt oder weil

sie einfach durch die Ereignisse überholt wurden.

Deutsche Truppen rollen im April 1940durch Trondheim: Schon das schiere Tempodes deutschen Vormarschs in Norwegenüberraschte die Alliierten.

Aus konventioneller historischer Perspektive bestimmte eine unab-wendbare Realität den Verlauf der ersten beiden Jahre: die Über -legenheit des Deutschen Reichs an Truppenstärke, Ausrüstung und

Führung – und der große Vorteil durch das Überraschungsmoment. Und diese Perspektive mag durchaus korrekt gewesen sein. Hinter denKulissen freilich stellten sich die Dinge keineswegs so eindeutig dar. Während die Führung der eigentlich sieggewohnten Wehrmacht darüberenttäuscht war, dass sie ihre Pläne nach der ersten Sieges serie nicht in dererhofften Schnelligkeit fortsetzen konnte, sorgte aufseiten der Alliiertenein völlig unbegründeter Optimismus für waghalsige Planungen.Weit davon entfernt, nach Dünkirchen ernüchtert zu sein, war das durchden Blitzkrieg angeschlagene Großbritannien voller Ideen, wie der Kriegnach Deutschland getragen werden könne. Einige dieser Pläne warendefensiv, etwa jene, potenziellen deutschen Interventionen von Island biszu den Azoren zuvorzukommen. Das neutrale Irland wurde zu einemveritablen Schlachtfeld – zumindest in der Fantasie der Geheimdienstebeider Seiten. Und zeitweilig brannte Hitler darauf, eine Invasion Groß-britanniens zu starten, doch seine Pläne kamen einfach nicht voran.

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Operation StratfordDer Plan, einer deutschen Invasion Skandinaviens durch dieBesetzung der schwedischen Erzfelder zuvorzukommen, warviel zu ambitioniert, als dass erwirklich reale Erfolgsaussichtengehabt hätte.

Der oberste alliierte Kriegsrat gabschon bei seinem Pariser Treffenam 5. Februar 1940 grünes Lichtfür die Operation Stratford.Bereits zu diesem Zeitpunkt wur-den die deutschen Intentionen inSkandinavien klar. Der Plan war,in Zentralschweden 100000 Mannzu stationieren, um die Nazi-Inva-soren zu empfangen. Churchillbefürwortete diesen Plan – wie soviele, in deren Verlauf sich die Alli-

ierten übernahmen: Sein Eifer ließden Strategen kaum Chancen,etwas als unrealistisch abzulehnen.

Winstons KriegsspieleSelbst unter dem Aspekt, dassChurchill zuletzt siegte, übersteigtsein Optimismus in der dunkelstenStunde der Alliierten jede Vorstel-lung. Wenn es heißt, Generälewürden scheitern, wenn sie mitden Methoden vergangener Kriegeagierten, so schrak Churchill nichtdavor zurück, Ideen, mit denen erbereits als Marineminister 1914/15gescheitert war, wieder auszugra-ben. Damals hatte ihn die kata-strophale Niederlage in derSchlacht von Gallipoli sein Amtgekostet – und in dem, was er nun

Unten: Schwedens Bergarbeiter erfuhrennie, wie nahe sie dem Krieg waren.

Oben Winston Churchill. Hinter der würde -vollen Haltung des Staatsmannes verbargsich ein Hang zum Abenteuer.

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vorschlug, klang dieses Unterneh-men durchaus nach. Der Schlüssel,so Churchill, sei die Seemacht:

Die große Frage für 1940 ist wieschon 1915, ob und wie die Navyihre restlichen Truppen zur Abkür-zung des Kriegs einsetzen kann.

Er fuhr fort mit Optionen, die erallerdings kaum hatte:

Sollte es zu einer Ausdehnungdes Kriegs auf Skandinavien oderden Balkan kommen, würde ichErsteres in jedem Fall vorziehen.Skandinavien ist uns näher, füreine starke Marine besser geeignet(mit der man zusammen mit Luft-macht sogar auf den Balkan ein-wirken könnte), Deutschland mussdie See überqueren, um nach Skan-dinavien zu kommen, und dieSkandinavier sind echte Männer,die sich gut als Verbündete eignen.

Skandinavien als Nebenkriegs -schauplatz?Selbst wenn Großbritannien unddas schwer bedrängte Frankreichüber die Truppen und die nötige

Logistik verfügt hätten – was sehrfraglich ist –, ist schwer vorstell-bar, wie man einen so großen Auf-wand für ein Unternehmen aneinem Nebenkriegsschauplatzhätte rechtfertigen können. In spä-teren Jahren verärgerte Churchilldie Amerikaner mit seinem Faible

für Umwege – so etwa sein Vor-schlag 1942, die Alliierten solltenbesser über Europas »Schwachstel-len« auf Deutschland vorrückenanstatt direkt durch Frankreich.Man müsse »eine Schlinge um denHals des Feindes legen«. Das istzwar ein plastisches Bild, lässt aberkein rasches Kriegsende erwarten.Churchill war in vieler Hinsichtein ungewöhnlicher Charakter,und diese eigenartige Kombinationvon grimmiger Entschlossenheitund dem Hang zu raffiniertenUmwegen war typisch für ihn.

Schließlich wurden die Alliiertenvon den Ereignissen überrollt, undChurchill musste seine Pläne zuerstzurückstellen und schließlich fal-lenlassen. Dennoch blieb Skandi-navien wichtig. Selbst wenn es dem»Dritten Reich« lediglich Boden-schätze lieferte, hatte es strategi-sche Bedeutung und spielte in denPlanungen der Alliierten deshalbweiterhin eine Rolle.

Oben: Deutsche Flak bewacht die Küste des Finnischen Meerbusens.

Unten: Laut Churchill beherrschten die britischen Zerstörer die Meere.

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Operation Wilfred/Plan R4Der Plan einer Invasion Norwe-gens mit dem Ziel, Deutschlandvon den strategisch wichtigenEisenerzlieferungen aus dem neu-tralen Schweden abzuschneiden,wurde allzu rasch von den Ereig-nissen überrannt.

Der junge Deutsche, so Hitler, solleso »hart wie Kruppstahl« sein.Aber Metalle waren von weitausgrößerer als nur symbolischerBedeutung für ein Land, das dieStrategie des »Blitzkriegs« verfolg-te: Ohne riesige Mengen an Stahlkonnte Deutschland den Kriegnicht lange durchhalten. Doch dieeigenen Erzvorkommen warenbegrenzt. Anfang 1940 schienendie französischen Erzlager in Loth-ringen noch unerreichbar – nie-mand hätte erwartet, dass Frank-reich zu schnell zusammenbrechenwürde. Deutschland importiertebereits Erz aus den arktischenRegionen Schwedens (Kiruna undMalmberget); ein Teil davon kamüber die Ostsee, vieles aber überden norwegischen Hafen Narvik.

Auch die Alliierten schielten aufdas schwedische Erz – wenn auchweniger für sich selbst, als umDeutschland vom Nachschubabzuschneiden. Insofern kam derAusbruch des Finnischen Winter-kriegs 1939 nicht ungelegen. DieNotlage Finnlands war der perfek-te Vorwand für eine Interventiondurch Norwegen und Schweden,vorgeblich, um den Finnen zu hel-fen, doch würde man dabei auchgleich die wichtigen Erzgruben

und Versorgungslinien besetzenkönnen. Doch die skandinavischenStaaten durchschauten dieseAbsicht und weigerten sich, Trup-pen über ihr Territorium marschie-ren zu lassen.

SchattenboxenNun präsentierte Winston Chur-chill einen Alternativplan – oderbesser gesagt gleich zwei. Der erstehieß Operation Wilfred undumfasste die Verminung der nor-wegischen Häfen. Damit verbandsich die Hoffnung, dies werde eine

Der norwegische Hafen Narvik war strate-gisch wichtig – und wurde entsprechendbewacht.

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deutsche Reaktion provozieren,die dann als Rechtfertigung füreine alliierte Invasion Norwegens –ihr Deckname war R4 – herhaltenkonnte. In der Folge würden briti-sche und französische Streitkräfterasch in der Lage sein, nach Nord-schweden vorzustoßen. Ende Märzwaren die anglo-französischenPläne in Antizipation einer deut-schen Invasion bereits im Gange.

Ironischerweise kam diese am 9. April 1940 mit dem Unterneh-men Weserübung – das gerechtfer-tigt wurde durch die (keineswegsfalsche) Überzeugung, dass dieAlliierten ihrerseits die BesetzungNorwegens geplant hatten. DieInvasoren stießen durch Dänemarkund über die Nordsee auf Norwe-gen vor. Schweden, obwohl nachwie vor nicht besetzt, war prak-tisch eingekreist.

Damit war Plan R4 natürlichobsolet geworden, aber da nun soviele Truppen mobilisiert sowieTransport und Ausrüstung bereit-gestellt waren, konnten die Alliier-

ten zumindest Norwegen bei derVerteidigung unterstützen. Dochdann mussten die anglo-französi-schen Kräfte innerhalb wenigerWochen zur Verteidigung Frank-reichs abgezogen werden.

Der Altmark-ZwischenfallDie norwegische Neutralität warvon beiden Seiten von Anfang anmit Argwohn betrachtet worden.Winston Churchill war empört, alsim Februar 1940 norwegische Tor-pedoboote ein Hilfsschiff der deut-schen Kriegsmarine, die Altmark,ohne gründliche Kontrolle in dieHoheitsgewässer ihres Landes ein-fahren ließen – trotz der Tatsache,dass die Altmark britische Kriegs-gefangene an Bord hatte. Am 16. Februar enterte ein Stoßtruppder HMS Cossack die Altmark undbefreite die Männer. Dieser Vorfalltrug zur Hebung der britischenMoral bei: Die Briten waren sowagemutig gewesen, dass sie sogarmit blanken Entermessern ange-griffen hatten.

Die Altmark stand 1940 im Mittelpunkt eines diplomatischen Vorfalls.

General Nikolaus von Falkenhorst befehligtedas Unternehmen Weserübung und berich-tete direkt an Hitler.

Ich berichtete demKriegskabinett telefo-nisch, und es war damiteinverstanden, dass Wil-fred vorangebracht wer-den sollte.

Winston Churchill, April 1940

18 1 9 3 9 – 1 9 4 1 : B R I T I S C H E R P L A N E I N E R I N V A S I O N I R L A N D S

Plan WFalls Deutschland Pläne für eineInvasion Irlands vorbereitete,brauchte Großbritannien nachoffizieller Meinung ebensolche.Und überraschenderweise stimmte die irische Regierungdem sogar zu.

Kritiker der Schweiz argwöhnenschon seit langem, dass einige neu-trale Länder neutraler sind alsandere. Viele in Großbritannienglaubten, die Republik Irlandwerde das Deutsche Reich diskretunterstützen. PremierministerNeville Chamberlain hatte sogardie Vereinigung Irlands erwogenum den Preis eines Beitritts zurAllianz, doch dies hatte das irischeUnterhaus misstrauisch abgelehnt.

Zweifellos herrschten in Teilender irischen Bevölkerung starkeanti-englische Gefühle vor; so hatetwa Eamon De Valera in derdeutschen Botschaft in Dublin1945 nach Hitlers Tod kondoliert.Und zweifellos vertraten viele hart-näckige Republikaner die Ansicht»Der Feind meines Feindes istmein Freund«. Churchill wardüpiert von der Entscheidung desDáil, die irische Neutralität zuwahren.

Häfen und PräventivenAus pragmatischerer Sicht gab esda noch die Tatsache der Vertrags-häfen. Der Anglo-Irische Vertrag,der den Freistaat 1922 etablierthatte, räumte den Briten weiterhinRechte auf Häfen an der Atlantik-küste ein, nämlich Queenstown

(heute Cobh) im County Cork,Berehaven an der Bantry Bay undeinen weiteren nördlich am LoughSwilly in Donegal. Würde Groß-britannien zu einer Zeit, da bereitsklar war, dass die Bedarfsdeckungaus den USA und anderen Übersee-ländern überlebenswichtig seinwürde, den Freistaat besetzen müs-sen, um sich den Zugang zu diesenHäfen zu sichern?

Ferner wurden im Verlauf desSommers 1940 zunehmendGeheimdienstmeldungen abgefan-gen, in denen davon die Rede war,dass die Deutschen mit einem»Unternehmen Grün« einenAngriff auf Irland erwogen. Sollteman also einen Präventivschlagführen? Sollten die Briten sicher-stellen, dass Deutschland Irlandnicht einnehmen konnte, indem siedie Grüne Insel erneut besetzten?

EinigkeitGroßbritannien entschied sichstattdessen dafür, Gespräche mitirischen Politikern und Geheim-dienstoffizieren zu führen. Auspolitischen und taktischen Grün-den blieben diese geheim. Und siewurden mit verschiedenen Parteiengeführt: Während sich De ValerasFianna Fáil zumindest rhetorischstrikt antibritisch gab, zeigte sichdie oppositionelle Fine Gaelzugänglicher. Die Briten knüpftenKontakt zu dem Fine Gael-Vorsit-zenden Richard Mulcahy, um dieMöglichkeiten eines gemeinsamenanglo-irischen Kommandos für diegesamte irische Insel auszuloten.Man hoffte, dass De Valera, wennMulcahy einmal mit an Bord war,nichts anderes mehr übrig bleibenwürde, als dem Zweckbündniszuzustimmen.

Großbritannien verfügte noch über Rechte in Vertragshäfen wie Queenstown (heute Cobh).

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Passwort »Pumpkins«Und das tat er denn auch mehroder weniger widerstrebend. SeinAußenminister Joseph Walshe reis-te mit Colonel Liam Archer vommilitärischen Geheimdienst Irlands(G2) nach London, wo sie sich am24. Mai mit hochrangigen Offizie-ren des britischen Geheimdienstesund des Militärs trafen. Bei Folge-treffen in Belfast und Dublin führ-te Brigadekommandeur DudleyClarke – heute als Gründer der bri-tischen Commandos bekannt –Gespräche mit dem Kommandie-renden General (General Officer

Commanding) Sir Hubert Huddle-ston, seinen leitenden Angestelltenund gleichrangigen Vertretern deririschen Armee.

Armee-Generalstabschef DanielMcKenna stellte klar, dass DeValera jede britische Interventionvor einer deutschen Invasionablehne, doch die Iren würden ein-schlägige Informationen weiter -geben. Weitere Gespräche wurdenmit Frank Aitken geführt, der alsMinister für die Koordination derVerteidigungsmaßnahmen dieGesamtverantwortung für die vonder Republik getroffenen Vorberei-tungen trug.

Die britische Invasion trug denDecknamen »Plan W«. Sie solltenur dann stattfinden, wenn dieIren nach einem deutschen Angriffum Hilfe baten. In diesem Fallesollte John Maffey, Großbritan-niens Repräsentant in Dublin, SirHubert Huddleston in Belfast dasCodewort »Pumpkins« übermit-teln; dies sollte für Huddleston dasZeichen sein, sich mit seinen Trup-pen nach Süden in Bewegung zusetzen. Letztendlich verwelkte dasUnternehmen Grün, denn das Sig-nal wurde nie gesendet.

Oben: Diese Notiz des Kriegskabinetts kon-statiert: »Gegenwärtig ist Eire entschlossen,seine Neutralität unter allen Umständen zuwahren und britischen Kräften nicht zugestatten, das Land zu betreten, sofern derFeind nicht bereits eingedrungen ist.«

Links: Seiner feindseligen Rhetorik zumTrotz half Eamon De Valera den Briten diskret, so weit er dazu in der Lage war.

Plan KathleenEin weiterer Plan für eine irischeInvasion, erträumt von denPatrioten der IRA. Doch die Deutschen kamen zu dem Schluss, dass Kathleen nicht funktionieren konnte.

Die Geschichtsschreibung beharrtdarauf, dass der Zweite Weltkriegmit dem deutschen Einmarsch inPolen am 1. September 1939begann. Doch die Irisch-Republi-kanische Armee (IRA) hatte bereitsacht Monate zuvor, am 1. Januar1939, Großbritannien in allerForm den Krieg erklärt.

Eine schreckliche KomödieEin Scherz? Nicht ganz. Von 1919bis 1921 hatte bereits ein erbitter-ter Unabhängigkeitskrieg mit

Großbritannien getobt. Ihm folg-ten 1922/23 Kämpfe zwischen denRepublikanern, die bereit waren,sich mit den 26 Counties zu eini-gen, die schließlich die RepublikIrland bilden sollten, und jenenRadikalen, die nichts anderesakzeptieren wollten als das Endeder britischen Herrschaft auf dergesamten Insel. Deshalb existiertedie IRA trotz der Unabhängigkeitnoch immer, und deshalb wurdesie in dem Land, das eigentlich ihreHeimat sein sollte, geächtet.

Für die IRA war Ulster ein stän-diges Ärgernis, das es zu beseitigengalt. Die Deutschen sahen inNordirland sowohl Großbritan-niens wundesten Punkt als aucheine Plattform für künftige Luft -angriffe – oder sogar eine Invasion.

DIE WICHTIGEN ABSÄTZE

Oben: Gegenstand: HermannGOERTZWie bekannt ist, landeteGOERTZ mit einem Fall-schirm im County West -meath. Funkgerät und Aus-rüstung setzte er separatab. Seine Absicht war es, imCounty Tyrone zu landen. Sobald er sich nach seinerLandung orientiert hatte,ging er zum ortsansässigen»Dorftrottel«, der sehr beun-ruhigt war, als er sah, dassjemand aus einem Drainage-graben neben der Straßeauftauchte und ihm zurief:»Hallo, ich will etwas vondir.« Um den Mann zu beru-higen, gab GOERTZ ihmeinen Hundertdollarschein.

Unten: In Helds Haus traf GOERTZerstmalig Stephen Hayes,den amtierenden Komman-deur der IRA, anstelle desabwesenden Sean Russell.GOERTZ gewann einenschlechten Eindruck, nichtnur von Hayes selbst, son-dern auch von der Organisa-tion seiner sogenanntenIrisch-RepublikanischenArmee. Allerdings arbeite-ten Held, Hayes und einDritter (inoffiziell, mir aberabsolut nicht bekannt) inHelds Haus den berühmten»Plan Kathleen« aus, ver-fasst in GOERTZ’ Hand-schrift.

Konnte die IRA wirklich als »Deutschlands Geheimwaffe« dienen?

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