Mikromesszelle für die Elektrochemie

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b Die Suche nach neuen Anoden-, Kathoden- oder Elektrolytmateria- lien erfordert eine ganze Reihe elektrochemischer Experimente so- wohl an den einzelnen Materialien als auch an kompletten elektroche- mischen Zellen. Beispiele sind cy- clovoltammetrische und impedanz- spektroskopische Untersuchungen, der Lithium-Interkalation in Ano- den- und Kathodenmaterialien, des elektrochemischen Stabilitätsfens- ters und der Leitfähigkeit von Elek- trolyten sowie der Bildung von Pas- sivschichten (SEI) an der Elektro- den/Elektrolyt-Grenzfläche. Leistungsfähige und sichere Energiespeichersysteme benötigen neue Elektrolytmaterialien. Hier findet man mittlerweile eine ganze Bandbreite von flüssigen über gel- artige bis hin zu festen Materia- lien. 1) Elektrolytmaterialien untersuchen b Die Vielfalt der Elektrolytmate- rialien stellt hohe Anforderungen an die Messtechnik und die elek- trochemischen Messzellen. Hierbei ist die Probenmenge eine kritische Größe. Viele der elektrochemi- schen Standard-Messzellen sind für wässrige Elektrolyte mit Volumina von 20 bis 50 mL und mehr kon- struiert. Oft liegen aber gerade im Labormaßstab synthetisierte Mate- rialien nur in Submilliliter-Mengen vor. Auch in der Analyse gealterter und ausgefallener Akkumulatorzel- len (post-morten oder auch forensi- sche Analyse genannt) sind die Pro- benmengen in der Regel sehr klein. Bei diesen Analysen werden die Ak- kumulatorzellen immer wiederkeh- renden Lade- und Entladezyklen unterworfen, bis eine kritische Rest- kapazität beispielsweise von 80 Pro- zent des ursprünglichen Werts er- reicht ist. Anschließend werden sie möglichst zerstörungsfrei geöffnet und die Einzelkomponenten mit verschiedenen Verfahren analysiert, um die Faktoren für die Kapazitäts- abnahme auszumachen. Die bei der forensischen Analyse zur Verfügung stehenden Elektrolytmengen bewe- gen sich bei typischen Testzellen im Milligrammbereich. Aufbau der Messzelle b Für Probenmengen von weniger als einem Milliliter eignet sich das neu entwickelte Messsystem Micro- cell HC, bestehend aus Messaufbau (Abbildung 1) und Regeleinheit. Das System ist modular aufgebaut, so dass Probenwechsel schnell und mit wenig Aufwand möglich sind. Die Basis des Systems ist eine tem- perierbare Plattform, die ein Peltier- element schnell heizt oder kühlt. Auf der temperierbaren Plattform stecken die Herzstücke des Systems – die Messzellen. Elektroden und Tem- peratursensoren werden über das Stecksystem kontaktiert. So verlaufen die Messungen unter Temperatur- kontrolle mit einer Genauigkeit von ± 0,1 K zwischen –40 °C bi +100 °C. Benedikt Huber, Marcel Drüschler, Bernhard Roling Wenn neue Elektrolytmaterialien aus dem Labor nur in sehr geringen Mengen vorliegen, ist eine entsprechend kleine Messzelle erforderlich, um sie zu charakterisieren. Mikromesszelle für die Elektrochemie BAnalytikV Abb. 1. Links: Messzelle für flüchtige Flüssigelektrolyte; rechts: Messsystem Microcell HC (ohne Temperaturregler), bestehend aus temperierbarer Plattform und aufgesteckter Messzelle. 1213 Nachrichten aus der Chemie| 60 | Dezember 2012 | www.gdch.de/nachrichten X

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b Die Suche nach neuen Anoden-, Kathoden- oder Elektrolytmateria-lien erfordert eine ganze Reihe elektrochemischer Experimente so-wohl an den einzelnen Materialien als auch an kompletten elektroche-mischen Zellen. Beispiele sind cy-clovoltammetrische und impedanz-spektroskopische Untersuchungen, der Lithium-Interkalation in Ano-den- und Kathodenmaterialien, des elektrochemischen Stabilitätsfens-ters und der Leitfähigkeit von Elek-trolyten sowie der Bildung von Pas-sivschichten (SEI) an der Elektro-den/Elektrolyt-Grenzfläche.

Leistungsfähige und sichere Energiespeichersysteme benötigen neue Elektrolytmaterialien. Hier findet man mittlerweile eine ganze Bandbreite von flüssigen über gel-artige bis hin zu festen Materia-lien.1)

Elektrolytmaterialien untersuchen

b Die Vielfalt der Elektrolytmate-rialien stellt hohe Anforderungen an die Messtechnik und die elek-trochemischen Messzellen. Hierbei ist die Probenmenge eine kritische Größe. Viele der elektrochemi-schen Standard-Messzellen sind für wässrige Elektrolyte mit Volumina von 20 bis 50 mL und mehr kon-struiert. Oft liegen aber gerade im Labormaßstab synthetisierte Mate-rialien nur in Submilliliter-Mengen vor.

Auch in der Analyse gealterter und ausgefallener Akkumulatorzel-len (post-morten oder auch forensi-sche Analyse genannt) sind die Pro-benmengen in der Regel sehr klein. Bei diesen Analysen werden die Ak-kumulatorzellen immer wiederkeh-renden Lade- und Entladezyklen unterworfen, bis eine kritische Rest-kapazität beispielsweise von 80 Pro-zent des ursprünglichen Werts er-reicht ist. Anschließend werden sie möglichst zerstörungsfrei geöffnet und die Einzelkomponenten mit verschiedenen Verfahren analysiert, um die Faktoren für die Kapazitäts-abnahme auszumachen. Die bei der forensischen Analyse zur Verfügung stehenden Elektrolytmengen bewe-gen sich bei typischen Testzellen im Milligrammbereich.

Aufbau der Messzelle

b Für Probenmengen von weniger als einem Milliliter eignet sich das neu entwickelte Messsystem Micro-cell HC, bestehend aus Messaufbau (Abbildung 1) und Regeleinheit. Das System ist modular aufgebaut, so dass Probenwechsel schnell und mit wenig Aufwand möglich sind. Die Basis des Systems ist eine tem-perierbare Plattform, die ein Peltier-element schnell heizt oder kühlt.

Auf der temperierbaren Plattform stecken die Herzstücke des Systems – die Messzellen. Elektroden und Tem-peratursensoren werden über das Stecksystem kontaktiert. So verlaufen die Messungen unter Temperatur-kontrolle mit einer Genauigkeit von ± 0,1 K zwischen –40 °C bi +100 °C.

Benedikt Huber, Marcel Drüschler, Bernhard Roling

Wenn neue Elektrolytmaterialien aus dem Labor nur in sehr geringen Mengen vorliegen,

ist eine entsprechend kleine Messzelle erforderlich, um sie zu charakterisieren.

Mikromesszelle für die Elektrochemie

BAnalytikV

Abb. 1. Links: Messzelle für flüchtige Flüssigelektrolyte; rechts: Messsystem Microcell HC

(ohne Temperaturregler), bestehend aus temperierbarer Plattform und aufgesteckter Messzelle.

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Nachrichten aus der Chemie| 60 | Dezember 2012 | www.gdch.de/nachrichten

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Die Mess- und Regelelektronik sitzt in einem separaten Gehäuse, dadurch kann die Basis flexibel und platzsparend eingesetzt werden, beispielsweise in Handschuhboxen.

Um möglichst unterschiedliche flüssige, gelartige und feste Materia-lien zu untersuchen, gibt es für das Microcell-System eine Reihe ver-schiedener Messzellen. Bei den Messzellen für Flüssigelektrolyte be-trägt das minimale Probenvolumen zwischen 20 µL und 0,8 mL. Es ste-hen offene und geschlossene Zellen zur Verfügung, je nachdem, ob die Probe schwer oder leicht flüchtig ist. Durch das Stecksystem lassen sich die einzelnen Messzellen schnell austauschen, so dass ein Proben-wechsel nur wenige Minuten dauert. Somit lassen sich in kurzer Zeit meh-rere Flüssigelektrolyte charakterisie-ren oder auch aufeinander folgende Messungen an flüssigen, gelartigen und festen Proben durchführen.

Wegen der wachsenden Vielfalt elektrochemischer Energiespeicher-systeme und der steigenden Nach-frage arbeiten wir ständig an neuen Messzellen für das System Micro-cell HC, insbesondere für die Un-tersuchung von Elektrodenmateria-lien für Batterien oder Superkon-densatoren.

Beispiel ionische Flüssigkeiten

b In der Messzelle für flüssige Pro-ben wurden unter anderem wässrige Elektrolyte, ionische Flüssigkeiten und organische Elektrolyte unter-sucht, um Informationen über ihre elektrochemische Stabilität und io-nische Leitfähigkeit zu erhalten. Elektrolyte auf Basis organischer Carbonate finden sich beispielswei-se in Lithium-Ionen-Akkus. Unsere Ergebnisse zur temperaturabhängi-gen Ionenleitfähigkeit stimmen gut mit den Herstellerangaben überein. Abbildung 2 zeigt Leitfähigkeitswer-te einer elektrochemisch sehr stabi-len ionischen Flüssigkeit, eines ver-breiteten Batterieelektrolyten für Li-Ionen-Systeme und einer häufig für Kalibrationszwecke verwendeten wässrigen Kaliumchloridlösung. Die Messwerte wurden zwischen –30 °C und 80 °C aufgenommen. Das Elek-trolytvolumen der ionischen Flüs-sigkeit betrug 40 µL, von den ande-ren Elektrolyten wurden 800 µL ver-wendet. Die Messung für eine Probe dauerte weniger als zwei Stunden.

Unter Potenzialkontrolle

b Für viele elektrochemische Me-thoden ist die Potenzialkontrolle einer Arbeitselektrode Vorausset-zung, dies erfordert eine Referenze-lektrode. Die miniaturisierte Refe-renzelektrode für Messungen an kleinen Mengen alternativer Elek-trolyte basiert auf einem Kapillar-system.2) Diese Referenzelektrode lässt sich an verschiedene Elektro-lytsysteme anpassen, beispielswei-se an unterschiedliche ionische Flüssigkeiten oder organische Lö-sungsmittel wie Dimethylsulfoxid.

Messergebnisse für nichtwässrige Elektrolyte lassen sich durch Ferro-

cen als interner Referenz auf die von der Iupac anerkannten Potenzialska-len beziehen. Abbildung 3 zeigt bei-spielhaft temperaturabhängige Cyclo-voltammogramme einer Lösung von Ferrocen (c = 10 mmol·L–1) in der io-nischen Flüssigkeit (N,N)-Bu tyl me -thyl pyr ro li di ni um- tris (pen ta flu oro -ethyl) -tri flu o ro phos phat, [Py1,4]FAP. Die Referenzelektrode bestand aus dem Redoxsystem Ag+/Ag mit der-selben ionischen Flüssigkeit als In-nenelektrolyt. Ein solcher speziell angepasster Innenelektrolyt macht kon ta mina tions sensible elektroche-mische Untersuchungen erst mög-lich. Ein Beispiel ist die Messung der differenziellen Kapazität der Grenz-fläche Metallelektrode/Elektrolyt im Mikromaßstab.3)

Um Messung, Auswertung und Dokumentation weitgehend zu au-tomatisieren, verfügt das System Microcell HC über Schnittstellen zur Hard- und Software der elektro-chemischen Messgeräte (Potentio-staten, Galvanostaten, Impedanza-nalysatoren) der gängigen Herstel-ler. So laufen temperaturabhängige Messreihen automatisch ab, je nach Messgerätesoftware findet dabei be-reits die Auswertung der Messer-gebnisse statt, und die Software gibt die aufbereiteten Daten anschlie-ßend aus (z. B. als Arrhenius-Plot).

Benedikt Huber und Marcel Drüschler, beide

Jahrgang 1984, haben an der Universität Mar-

burg Chemie studiert und arbeiten seit dem

Jahr 2009 als Doktoranden bei Bernhard

Roling in der physikalischen Chemie. Benedikt

Huber forscht an Polyelektrolyten und Lithi-

umsalzen, Marcel Drüschler an Grenzflächen

zwischen ionischen Flüssigkeiten und Elektro-

den. Gemeinsam mit den Werkstätten ihres

Fachbereichs konstruieren sie elektrochemi-

sche Messzellen und entwickeln sie weiter.

www.rhd-instruments.de

[email protected]

Literatur

1) M. Valentine-Urbschat, W. Bernhart,

Powertrain 2020 – The future drives

electric, Roland Berger Strategy Consul-

tants, 2011.

2) B. Huber, B. Roling, Electrochim. Acta,

2011, 56, 6569–6572.

3) M. Drüschler, N. Borisenko, J. Wallauer, C.

Winter, B. Huber, F. Endres, B. Roling,

Phys. Chem. Chem. Phys., 2012, 14,

5090–5099.

Abb. 3. Temperaturabhängige Cyclovoltammogramme einer

Lösung von Ferrocen in [Py1,4]FAP.

Abb. 2. Ergebnisse für die temperaturabhängige Leitfähigkeiten

verschiedener Elektrolyte und Vergleich mit Herstellerangaben.

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