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Minamoto Sanetomo, Shogun und Dichter Von Oscar Benl !Hamburgl Die Persönlidlkeit des letzten Sh6guns aus dem Hause Minamoto steht noch immer in einem nur smwer durmdringbaren Dunkel. Der zeitgenössischen Ritter hartes, ja verächtliches Urteil über den unkriegerischen Sohn des großen Yoritomo und, sehr viel später, die schwärmerische Verehrung des gelehrten Kamo Mabuchi für den genialen Dichter haben zu der populären, historisch aber keineswegs be- friedigenden Vorstellung geführt, er sei ein dem Leben gegenüber hilflos versagen- der Poet und schwämlimer Träumer gewesen. Da nur wenig aus seinem Leben überliefert ist und das Azuma-kagami, die wichtigste Chronik jener Zeit, zudem ganz im Sinne von Sanetomos Widersachern, der Familie Hojo, geschrieben ist und daher nur behutsam verwertet werden darf, ist es schwer, sich der geschichtlichen Wahrheit zu nähern. Nun aber finden sim in eben dieser Chronik kleine verstreute Berichte aus Sanetomo's täglichem Leben, die zwar auf den ersten Blick belanglos erscheinen, bei näherem Zusehen jedoch aufschlußreich sind. Auch die Betrachtung seines dichterischen Werkes mag uns manchen Hinweis geben; erhellt sich uns dabei gleichzeitig etwas von der Eigenart und dem Werte seiner Kunst, so ist das bei- nahe schon mehr, als wir billigerweise hoffen dürfen. So gliedert sich unser Versuch, von dem Shogun und Dichter Minamoto Sane- tomo ein neues Bild zu entwerfen, ganz von selbst in drei Teile: die Darstellung seines äußeren Lebens auf dem der damaligen politischen Ereignisse- die wir natürlich nur streifen können -, die Skizze eines Charakterbildes und schließlich den Versuch, etwas über seine Kunst auszusagen. I. Nachdem an allen Tempeln und Schreinen Kamakuras um eine leichte Geburt gebetet worden war, brachte Masako, die Tochter von H6jo Tokimasa, am 9. 8. 1192 einen Knaben, den man Semman nannte, zur Welt. Yoritomo, der kurz vorher zum Sei-i tai-sh6gun ernannt worden war und nunmehr die Macht im Reiche sicher in Händen hielt, war überglücklich. Am 5. 12. des gleichen Jahres gab er seinen Ge- treuen ein festliches Gelage, trat mit dem Kind vor sie hin und bat sie mit beweg- ten Worten, nach seinem Tode für es sorgen zu wollen. Yoritomos rührende Vaterliebe sicherte Semman zweifellos unbeschwerte, ja vielleicht sogar heitere erste Jugendjahre. Der Tod, der Yoritomo aber schon 1199 ereilte, machte alldem ein Ende. Zwar wurde zunächst Semmans Bruder, der im Bogenschießen und Reiten 89

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Minamoto Sanetomo, Shogun und Dichter

Von Oscar Benl !Hamburgl

Die Persönlidlkeit des letzten Sh6guns aus dem Hause Minamoto steht noch immer in einem nur smwer durmdringbaren Dunkel. Der zeitgenössischen Ritter hartes, ja verächtliches Urteil über den unkriegerischen Sohn des großen Yoritomo und, sehr viel später, die schwärmerische Verehrung des gelehrten Kamo Mabuchi für den genialen Dichter haben zu der populären, historisch aber keineswegs be­friedigenden Vorstellung geführt, er sei ein dem Leben gegenüber hilflos versagen­der Poet und schwämlimer Träumer gewesen. Da nur wenig aus seinem Leben überliefert ist und das Azuma-kagami, die wichtigste Chronik jener Zeit, zudem ganz im Sinne von Sanetomos Widersachern, der Familie Hojo, geschrieben ist und daher nur behutsam verwertet werden darf, ist es schwer, sich der geschichtlichen Wahrheit zu nähern. Nun aber finden sim in eben dieser Chronik kleine verstreute Berichte aus Sanetomo's täglichem Leben, die zwar auf den ersten Blick belanglos erscheinen, bei näherem Zusehen jedoch aufschlußreich sind. Auch die Betrachtung seines dichterischen Werkes mag uns manchen Hinweis geben; erhellt sich uns dabei gleichzeitig etwas von der Eigenart und dem Werte seiner Kunst, so ist das bei­nahe schon mehr, als wir billigerweise hoffen dürfen.

So gliedert sich unser Versuch, von dem Shogun und Dichter Minamoto Sane­tomo ein neues Bild zu entwerfen, ganz von selbst in drei Teile: die Darstellung seines äußeren Lebens auf dem Hintergru~d der damaligen politischen Ereignisse­die wir natürlich nur streifen können -, die Skizze eines Charakterbildes und schließlich den Versuch, etwas über seine Kunst auszusagen.

I.

Nachdem an allen Tempeln und Schreinen Kamakuras um eine leichte Geburt gebetet worden war, brachte Masako, die Tochter von H6jo Tokimasa, am 9. 8. 1192 einen Knaben, den man Semman nannte, zur Welt. Yoritomo, der kurz vorher zum Sei-i tai-sh6gun ernannt worden war und nunmehr die Macht im Reiche sicher in Händen hielt, war überglücklich. Am 5. 12. des gleichen Jahres gab er seinen Ge­treuen ein festliches Gelage, trat mit dem Kind vor sie hin und bat sie mit beweg­ten Worten, nach seinem Tode für es sorgen zu wollen. Y oritomos rührende Vaterliebe sicherte Semman zweifellos unbeschwerte, ja vielleicht sogar heitere erste Jugendjahre. Der Tod, der Yoritomo aber schon 1199 ereilte, machte alldem ein Ende. Zwar wurde zunächst Semmans Bruder, der im Bogenschießen und Reiten

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tüchtige Yoriie Nachfolger. Aber es ward bald jedem offenbar, daß Hojo Toki­masa, der bisher dem Minamoto-Hause treu ergebene Vasall, zusammen mit seiner Tochter Masako, die nach ihres Mannes Tod Nonne geworden war, nach Erwei­terung der Hojo-Hausmacht strebten.Yoriie s~tzte zwar entschlossenen Wider­stand entgegen, doch erregte er, wenn wir dem Bericht des Azuma-kagami glauben dürfen, durch seinen ausschweifenden Übermut und vid skandalöse Willkür bald überall Unwillen und schadete so selbst seiner an sich gerechten Sache. Im Kampf gegen ilin wandte sich Tokimasa zunächst gegen seine Freunde; er ließ im J~hre 1200

etwa 'den ehrgeizigen Kajiwara Kagetoki beseitigen und bewies damit der Außenwelt drohend die eigene Entschlossenheit. Als im Frühjahr 1203 Yoriie erkrankte,, be­stimmten Tokimasa 'l,lnd Masako g3:nz offen über seine Nachfolge: der an sich alleinberechtigte fünfjährige Sohn Yoriies namens Ichiman sollte das Jito-Amt in 28 Kwanto-Provinzen sowie das Shugo-Amt in der Kaiserstadt, der elfjährige Semman das Jito-Amt in 38 Kwansai-Provinzen erhalten. Die Bevorzugung Semmans hatte ihren guten Grund. Yoriies Schwiegervater, Hiki Yoshikazu, der die Feinde der Hojo immer mehr um sich zu scharen verstand, hätte zweifellos gern über Ichiman die Macht seines eigenen Hauses vermehrt. Die willkommene Gelegenheit, ihn zu beseitigen, bot sich alsbald. Masako belauschte ihn, als er sich am Krankenlager Yoriies empört über . seine Vernichtung der Hojo beriet, und er wurde, obwohl man ihn vorher gewarnt hatte, bei einem Besucq in Tokimasas Haus kurzerhand erdrosselt. Ichiman's Haus wurde angezündet, Ichiman selbst kam dabei ums Leben. Y oriie konspirierte hierauf mit anderen Freunden, wurde aber dabei verraten, von Masako zur Abdankung gezwungen und in das Shtizenji-Kloster gesteckt, indem er bald darauf umgebracht wurde. .

Yoriies Nachfolger war Semman. Man vermag unschwer zu ermessen, mit welchen Empfindungen er das von Mördern und Intriganten umstandene Amt an­trat. Wie sehr der junge Shogun, der nun den ihm vom Kaiserhof verliehenen Namen, Sanetomo trug, täglich bedroht war, beweist etwa die Notiz des ,Azuma-kagami vom 15. 9. 1203, nach der Masako erfuhr, daß ihm von Tokimasas zweiter Frau, Masa, Gefahr drohe, und sie ihn eilends aus Tokimasas Haus in das ihre holen ließ.

Im nächsten Monat fand die Mannbarkeits-Zeremonie, statt. Am Tage darauf ließ sich Tokimasa das Betto-Amt im Mandokoro übertragen. Und als das Pro­blem einer He.irat Sanetomo·s auftrat, schlug ihm Tokimasa seine Enkelin, die Tochter des Ashikaga Yoshikane vor. Aber der junge Shogun lehnte entschieden ab. An einer noch engeren Verbindung mit dem Hojo-Hause konnte ihm nichts liegen, und er liebte vor allem die rauhe Lebensluft der schwertgewaltigen Krieger. nicht. So ganz anders veranlagt, drängte es ihn vielmehr zu der literarisch-ästheti­schen Kultur des Kaiserhofs und so bat er um eine junge Dame aus dem höchsten HofadeL Es ist nicht zu entscheiden, ob er mit der Wahl seiner Gemahlin aus der Kaiserstadt mehr oder weniger vage politische Vorstellungen eigener An ver~ knüpft hat. Dort aber begrüßte man Sanetomos Neigung und Entschluß vor allem

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deswegen so herzlich, weil man auf diese Weise auf die politische Entwicklung in Kamakura Einfluß zu nehmen gedachte. Bei der Wahl spielte die Hofdame Kenshi, die die Insei-Regierung des ·Exkaisers Gotoba aktiv unterstützte, eine hervor­ragende Rolle. Sie und Masako entschieden sich schließlich für eine Tochter des mit dem Kaiserhaus verwandten Gondainagon Nobukiyo. Als die zwölfjährige Braut Ende 1204 nach Kamakura aufbrach, geschah dies unter ganz besonderer Anteil­nahme des Exkaisers selbst; es war ein politisches Ereignis ersten Ranges, über das auch das Gukwansho und Meigetsuki ausführlich berichten. Tokimasa hatte der Braut 16 junge Ritter in die Kaiserstadt entgegengesandt und es traf ihn tief, daß sein aus der Ehe mit Masa stammender Lieblingssohn Masanori, der unter diesen war und den er vielleicht für sehr große Aufgaben vorgesehen hatte, an einer in der Kaiserstadt sich zugezogenen Krankheit starb. Auch sonst ereignete sich in Ky8to manch un~einer und verhängnisvoller Zank. Tokimasas und Masas Schwiegersohn Hiraga Tomomasa, ,der als Shugo der Kaiserstadt dort die H8j8-Interessen wahrte, kam bei einem Gelage, das er der aus Kamakura eingetroffenen Abordnung gab, mit Hatakeyama Shigeyasu in Streit; wenig darauf verleumdete er ihn bei Masa und diese veranlaßte, daß er mit samt seiner Sippe umgebracht wurde.

In irgendeiner Weise erlebte Sanet?mo dies alles mit, und momten ihn Zank und Mord auch bald nicht mehr verwundern, da sie letzten Endes zu der Art und den Lebensgewohnheiten dieser Leute gehörten, so können wir doch unschwer sein Bedauern ermessen, in dieser Atmosphäre leben zu müssen. Seine Ehe scheint aber glücklich gewesen zu sein. Ruhig und in sim gekehrt, trat seine Frau nach außen kaum in Erscheinung; ihre hohe Bildung und ihr edles Wesen haben ihm wohl über manche Widrigkeit hmweggeholfen. Auf seinen gelegentlichen Reisen begleitete sie ihn nie; hier war immer seine Mutter Masako um ihn. Nur ein einziges Mal fuhr sie mit ihm in einem Wagen zur Kirschblütenschau in die allernächste Umgebung Kamakuras (10. 3. 1217).

Bereits 1205 kam es zu einer Verschwörung der inzwischen immer mächtiger gewordenen Dame Masa gegen Sanetomo. Nachdem ihr Sohn Masanori, auf den sie alle Hoffnung gesetzt hatte, gestorben war, gedachte sie ihren Schwiegersohn Hi­raga Tomomasa an die Macht zu bringen. Wie das Gukwansho beschreibt, kam Masako diese Umtriebe aber zu Ohren, mit einem großen Aufgebot von Rittern ließ sie ihren geliebten Sohn aus Tokimasas Haus in das von Yoshitoki, des zweit­ältesten Sohnes von Tokimasa, bringen und eine starke Leibwache davor auf­stellen. Vermutlich von Masako gedrängt, zog sich Tokimasa völlig aus dem öffent­lichen Leben zurück, er wurde Mönch. Sein Nam"folger war Yoshitoki, der Hiraga Tomomasa durch seine Anhänger in der Kaiserstadt beseitigen ließ. Yoshitoki, der Yoritomo seit d~r Schlacht von Ishibashiyama treu gedient hatte, führte in Kama­kura ein strenges Regiment und war keinesfalls gewillt, seine Familien-interessen aus Respekt vor Y oritomos Sohn hintanzustellen. All dies brachte Sanetomo stark zu Bewußtsein, wie isoliert und völlig machtlos er selber war. Und es ist ebenso wahrscheinlich wie verständlich, wenn er sich manchem Ritter, der sich gegen das

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Bakufu auflehnte, innerlich verbunden fühlte. So etwa mit Wada Yoshimori, für den er sich immer wieder - freilich vergeblich - bei Yoshitoki verwendet hatte, und der 1213 einen gewaltigen Aufstand entfesselte, der das Bakufu in seinen Grundfesten erschüttert hat. Er umzingelte die Regierungsgebäude, griff die Paläste von Yoshi­toki und Hiromoto an, drang schließlich sogar in den N an den ein und setzte ihn in Brand. Sanetomo, der, wie das Azuma-kagami berichtet, noch kurz vor dem Aufstand Boten an ihn geschickt hatte, zog sich in den Hokke-Tempel zurück. Am nächsten Tage aber fiel W ada und damit war der Aufstand und wohl auch eine Hoffnung Sanetomos zu Ende.

Was Sanetomo in diesen Jahren innerlich bewegte, tritt uns deutlich vor Augen, wenn wir den Bericht des Azuma-kagami vom 15. 6. 1215 über den Besuch des durch den Neuguß des großen T8daiji-Buddhas berühmten chinesischen Abtes Ch'en lesen. Im Jahre 1180 hatte jener dem allmächtigen Yoritomo mit der vor­wurfsvollen Begründung, es klebe zu viel Blut an seinen Fingern, eine Begegnung versagt, aber den wegen seiner Lauterkeit berühmten Sanetomo wünschte er drin­gend kennenzulernen. Dreimal verneigte er sich vor ihm, vergoß Tränen der Freude und sagte dem bescheiden abwehrenden Sh8gun, er- Sanetomo -sei in einem früheren Leben Abt des chinesischen T ~mpels I -wang-shan gewesen, dem er selbst habe dienen dürfen. Nun werde ihm ein Traum klar, erwiderte Sanetomo bewegt, ein Traum vor Jahren, den er nie mehr habe vergessen können. Ein hoher Priester sei da an sein Kopfkissen getreten und habe ihm Ahnliches vermeldet. Sa­netomo fühlte sich mit einem Male mächtig zu der Heimat seines früheren Lebens hingezogen, gleichzeitig mag ihn der Wunsch, auf diese Weise der rohen, ihn um­gebenden Gewalt zu entrinnen, leidenschaftlich ergriffen haben. Und so entschloß er sich auf der Stelle, eine Reise nach China zu unternehmen. Er gab dem wegen seiner technischen Fähigkeiten berühmten Abt den Auftrag, ein Schiff für diesen Zweck zu bauen und ließ sich weder von Yoshitoki noch Hiromoto von seinem Vor­haben abbringen. Das Schiff war im Frühjahr des folgenden Jahres fertig; am 17. Tag des 4. Monats sollte der Stapellauf in Yuigahama stattfinden. Sanetomo erschien, von Yoshitoki und großem Gefolge begleitet, aber das Schiff bewegte sich nicht, mochte man noch so an ihm zerren. Nur wenigen konnte es zweifelhaft sein, daß Yoshitoki im Geheimen Wunder gewirkt hatte und so wurde der Versuch, das Schiff startfähig zu machen, gar nicht mehr wiederholt. Sanetomo · hat bei aller Begeisterung für die Idee von vornherein mit der mehr oder weniger gewaltsamen Verhinderung dieser Reise rechnen müssen, aber vielleicht lag ihm daran, die V er­wirklichung seiner Sehnsucht wenigstens bis zu dem ihm möglichen Ausmaße gedeihen zu lassen. Und so zeigt nicht nur das Scheitern dieses Planes, sondern die­ser selbst schon die Resignation, die allein Sanetomo Kraft gab, in einer ihm so fremden Atmosphäre zu leben.

Seine Seele war der Kaiserstadt zugewendet, wo am Hofe noch die alte, edle Kultur am Leben war. Gewiß, auch dort waren die Augen mehr in die glanzvolle Vergangenheit gerichtet, jene einzigartige Blüte literarisch ästhetischer Kultur, wie

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sie die Nara- und Heian-Zeit ausgezeichnet hatte, war in stetem Niedergang begrif­fen, die politische Macht war zudem völlig in die rauhen Ritterhände des Ost­landes geglitten, aber der dichterisch hochbegabte und um eine Wiederherstellung der Kaisermacht bemühte Exkaiser Gotoba erfüllte unzählige Gemüter mit neuer Hoffnung. Konnte Sanetomo durch eine Ungunst des Schicksals auch nicht persön­lich in der Nähe des großen Herrschers weilen, so wünschte er doch, wenigstens dem Hofrang nach zu seinen Nächsten zu gehören. Hier nur etwa Geltungstrieb sehen zu wollen, wäre ein grundlegendes Mißverständnis von Sanetomos Persönlichkeit. Der Kaiserhof war naheliegenderweise gern gewillt, dem jungen Shogun gefällig zu sein. Mit 25 Jahren war Sanetomo bereits Gon-Chililagon und Generalleutnant der Linken Kaiserlichen Leibwache (Sa-konoe no Chujo.) Yoshitoki hat Sanetomos Streben nach Titeln und Rängen sowie die Bereitwilligkeit des Kaiserhofs, dem zu entsprechen, mit unwilligem Mißtrauen verfolgt. Am 18. und 20. 9. 1216 murrte Yoshitoki offen über die allzu schnelle Laufbahn, war es doch wohl nur ein offenes Geheimnis, daß zwischen dem Exkaiser und Shogun Briefe hin und her gingen. Die drei berühmten "kaisertreuen Gedichte" hat Sanetomo, wie er in einer Nach­schrift andeutet, spontan nach Erhalt eines kaiserlichen Schreibens verfaßt. (Ihre Entstehungszeit ist nicht klar, doch liegt diese zweifellos vor dem Ende des Jahres 1213). Zwei davon lauten:

und:

okimi no

choku wo kashikomi chichiwaku ni

kokoro wa waku to mo

hito ni iwame ya mo

yqma wa sake

umi wa asenamu

yo naritomo kimi ni futagokoro

Des hohen Herrschers Gebot ehrfürchtig in Händen -mag sich mein Herz auch noch so verwirren, es bleibt mir heilig Geheimnis.

Mögen Berge bersten und die Meere vertrocknen,

auch dann noch will ich nur meinem Herrscher allein

waga arame ya mo treu und ergeben sein.

Wie sehr der Exkaiser übrigens auch an der Dichtkunst des Shoguns von Kama­kura Anteil nahm, beweisen etwa die Aufzeichnungen des Azuma-kagami aus den Jahren 1214 und 1218, nach denen für Sanetomo Abschriften von Uta-awase, die am Hofe gehalten worden waren, eintrafen.

Masako mag manche Gründe gehabt haben, warum sie 1218 in die Kaiserstadt ging, um wegen eines Nachf~lgers von Sanetomo vorzufühlen. Sicherlich erfüllte es sie, wie es allgemein hieß, mit großer Sorge, daß Sanetomo noch immer ohne Nach­kommen war und es wohl bleiben würde, aber es erscheint völlig ausgeschlossen, daß sie mit einer mehr oder weniger gewaltsamen Beseitigung ihres doch geliebten und sorgsam behüteten Sohnes einverstanden war. Vielleicht wollte sie ihm, wenn ein geeigneter Nachfolger gefunden war, seinen Rücktritt nahelegen, um so sein Leben für immer gesichert zu wissen, denn weil er seinem ganzen Wesen nach ein

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Fremdkörper in Kamakura war und bleiben mußte, war es ständig gefährdet. Das Azuma-kagami bringt über diese Reise keine Aufzeichnung, aber nach dem Gukwansho verhandelte Masako in der Kaiserstadt vor allem mit der nach wie vor einflußreichen Hofdame Kenshi. Gotoba-In und Yoshitoki bzw. Masako wählten das gleiche Mittel, um politisch entgegengesetzte Ziele zu erreimen. So sehr der Exkaiser durch den neuen, diplomatisch vielleicht noch geschickteren neuen Sh&gun die Zunahme eigenen Einflusses in Kamakura erhoffte, ebenso sehr strebte die Gegenseite danach, durch die Wahl eines der H8j8-Familie gefügigen Mannes aus den Hofkreisen noch umfassendere Macht im Lande zu erlangen und den Anhän­gern der kaiserlichen Restaurationspartei durch einen Sh8gun aus der Nähe des Exkaisers den Wind aus den Segeln zu nehmen. Masako hätte sim gern für <;len Sohn des Exkaisers entschieden, aber der Hof verhielt sim gegen diesen Wunsch abweisend kühl. Um Masako nicht zu verstimmen, setzte Kenshi für sie eine Er­höhung ihres Hofranges durch, ja man gestattete ihr sogar eine Audienz beim Ex­kaiser, doch machte sie davon keinen Gebrauch und kehrte zurück. Was Masako in der Kaiserstadt besprochen oder beschlossen hat, ist nie bekannt geworden; viel­leicht versuchten beide Parteien nur, die Nachgiebigkeit der anderen zu ergründen.

Es ist, als ahnte Sanetomo seinen Untergang. Kaum war Masako aus Ky8to abgereist, da ließ er einen Boten an den Hof schicken, der seine Bitte um Beförde­rung in den Rang eines Generals (Taish8) der Kaiserlichen Leibwache übermitteln sollte. Ein zweiter eilte gleich hinterher und bat den Udaish8-Rang zu übersprin­gen und sogleich den eines Sadaish8 zu übertragen. Der Hof war zunämst ent­schlossen, den ersteren, den ja auch Yoritomo als den höchsten erlangt hatte, zu verleihen, aber als der zweite Bote eintraf, entschloß man sich ohne Zögern für den Sadaish8-Rang. Yoshitoki war entrüstet. Er sandte Hiromoto zu dem so Aus­gezeichneten und hielt ihm vor, bei so schnellem Aufstieg bliebe für seine Nach­kommen nichts mehr übrig. Sanetomo aber antwortete, der Stamm der Minamoto sei mit ihm zu Ende, er sei ohne Nachkommen und wünsche daher um der Ehre seines Hauses willen die Auszeichnung mit dem allerhöchsten Rang, den der Kaiserhof vergeben könne.

Im 10. Monat dieses Jahres wurde er Naidaijin, im 12. Monat erhielt er die allerhöchste Würde, nämlich die des Udaijin. Die Feier, die am 27. 1. des nun fol­genden Jahres 1219 stattfinden sollte, brachte ihm aber den Tod. Nach der Beendi­gung der Feier am Hachimang~ in Kamakura lauerte K~gy8, der zweite Sohn Yoriie's, der als Bett8 des Schreins die Zeremonie geleitet hatte, dem die Stufen herabschreitenden Sanetomo auf und schlug ihm den Kopf ab. Das Gukwansho und M asukagami berichten ausführlich über diese Mordnacht. Man hatte Kugyo wohl Hoffnungen auf das Sh8gunat gemacht; kaum war die Tat vollbracht, da smickte er einen Boten zu Miura Yoshimura mit der Bitte, ihm nun zur Nachfolge zu ver­helfen, doch jener ließ ihn durch seine Leute erschlagen. Man vermutet wohl nicht mit Unrecht, daß Yoshitoki hinter dem Komplott stand. Er hatte bei der Zere­monie am Bachiman-Schrein das Amt des Schwertträgers, aber nach der Feier gab

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er das Amt "wegen Unpäßlichkeit" an Minamoto Nakaakira ab und kehrte nach Hause zurück. Minamoto Nakaakita wurde, als er Sanetomo zu Hilfe eilen wollte, von Kßgy8 erschlagen. Daß Yoshitoki's Leben nun wie durch ein Wunder gerettet war, dürften aus seinem engeren Kreise wohl nur wenige angenommen haben. Auch der Bericht des Azuma-kagami, ein unheilvolles Ereignis in diesem Jahr sei Yoshitoki schon vorher einmal im Traume kundgetan worden, dient wohl nur der ungeschickt verschleierten Absicht, die Schuld auf ein Verhängnis zu schieben, für das er nicht verantwortlich war.

Auch die ausführlichen Berichte, wie etwa vor der Feier Hiromoto, um Sanetomo besorgt, jenen mit Tränen in den Augen gebeten habe, eine Rüstung unter dem Gewande zu tragen oder die Feier am Tage abzuhalten, jener aber auf Zureden von Minamoto Nakaakira dies abgelehnt habe, - auch sie erscheinen ein wenig verdächtig. Vielleicht sind sie ebenso wie das berühmte Gedicht, mit dem Sanemoto vor der Feier von seinem Garten Abschied genommen haben soll, spätere Ein­fügungen, die die Nachwelt an die Unschuld der eigentlich Verantwortlichen glau­ben mamen sollten. Diese·s Gedicht lautet:

ide inaba nushi naki yado to narinu to mo nokiba no ume yo haru wo wasuru na

Mag, wenn ich fort bin, dies Haus auch seinen Herrn verloren haben -ihr Pflaumen am Dachrande, vergeßt mir den Frühling nicht!

Schon Ra i San y 8 in seinem N ihon-seiki vermutet eine Fälschung, und unter den neueren Kritikern weist Kobayashi Hideo darauf hin, daß das leere Pathos dieses Gedichts nicht recht zu Sanetomos lauterer Persönlichkeit passe. Andererseits frei­lich hat es ein von Sanetomo sehr geliebtes Vorbild: ein Gedicht der Prinzessin Shikishi aus dem Shin-Kokinshu. So wenig wir diese Frage der Echtheit dieses wohl berühmtesten Sanetamo-Gedichtes entscheiden können, so völlig unwahrsmeinlich ist aber selbst dann, wenn die Berichte des A~uma-kagami über die dunklen Ahnun­gen von Yoshitoki und Hiromoto vor der Feier spätere Einschiebungen sein soll­ten, die gelegentlich geäußerte Annahme, Sanetomo sei von dem Attentat über­rascht worden. Die Eile, mit der er nam den hömsten Hofrängen gestrebt hatte, ist wie eine Ausstrahlung seiner Todesahnung. Daß er sich seinem Schicksal nicht entzogen hat, kam wohl daher, daß er keine Furcht davor kannte.

Auf die Nachricht von Sanetomos Tod traten über 100 Leute seiner nächsten Umgebung in den geistlichen Stand. Auch seine Frau befand sich darunter. Aus dem H8j8-Hause traf natürlich niemand ähnliche Entscheidungen.

li.

Was für ein Mensch war Sanetomo?

Nam all dem, was wir über die H8j8-Familie und der in ihrem Sinne schrei­benden Verfasser des Azuma-kagami wissen, kann es ni<:ht wundernehmen, wenn

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man dort nicht mit harten Worten über ihn spart. Yoshitoki tadelte (etwa am 7. 12. 1209) bitter, daß er sich so gar nichts aus männlich krieg~rischen ~ertigkeiten und Künsten machte, und es erbitterte ihn, daß er, nachdem er sich endlich zu einem Wettstreit im Bogenschießen und Reiten bereitgefunden hatte, die verlie­rende Partei Sake und Zuspeisen stiften ließ, so daß aus der militärischen Ertüchti­gungsübung ein heiteres Zechen wurde. Mit breitem Behagen erzählt das Azuma­kagami (26. 9. 1213) von der Entrüstung des biederen Haudegens Naganuma Munemasa, den Sanetomo wegen der übereiltheit einer Strafexpedition zurecht­

gewiesen hatte. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, den Übeltäter lebendig einzu­fangen, aber da Nonnen und Damen den Shogun um Nachsicht für jenen angefleht hätten, habe er jenem gerade deswegen den Kopf abgeschlagen. "Wenn dergleichen getadelt wird, wer kann da noch weiter treue Dienste tun?"

Nun, zweifellos war Sanetomo nicht der Mann, um wie sein Vater mit starken, unerbittlichen und immer wieder blutigen Händen das Baku~u aufzubauen oder auch nur zu bewahren. Das Urteil im 6. Buch des Gukwansho, er habe dunh allzu große Sorglosigkeit und infolge seiner literarischen Neigungen das Taisho-Amt Yoritomos "beschmutzt", ist nicht ganz unverständlich. Sanetomo war nicht imstande gewesen, Y oritomos Erbe zu wahren. Das mag ein Mangel an histori~cher Größe sein. Aber über seine menschliche Persönlichkeit erfahren wir erst etwas, wenn wir überlegen, aus welchen Gründen er wohl nie gegen die Macht der Hojo aufgetreten ist. Sicherlich war Tokimasas Hausmacht in den Jahren Yoriies und Sauetornos eigener Unmündigkeit so stark geworden, daß nur ein Mann mit den militärischen Fähigkeiten von Yoritomo dagegen hätte auftreten können. Vielleicht noch wichtiger aber mögen andere Überlegungen gewesen sein. Weichen Sinn hatte es überhaupt, im Interesse der Minamoto-Familie einen Kampf gegen die Hojo zu wagen? Sicher hätten sich viele Freunde und treue Anhänger Yoritomos. bereit­gefunden, für diese Sache ihr Leben zu wagen, gärte es doch unter unzufriedenen. Rittern zu Beginn des Hojo-Regimes immer wieder aufs neue. Aber da sein Neffe Senzai, der unter dem Namen Kligyo 1211 Mönch geworden war von vornherein in feindlieber Abwehr zu ihm stand, war er selbst ja der letzte Sproß dieser Familie. Wofür lohnte da der Kampf? Zudem wäre er nur unter ungeheuren Blut­opfern möglich gewesen, deren bloße Vorstellung ihn wohl mit Grauen erfüllte. Noch entscheidender aber war vielleicht für ihn, daß er an der Institution des Sho­gunats gar nicht interessiert war, sondern mit seinem ganzen Herzen an der alten, friedlichen und vornehmen Kultur des Kaiserhofs hing.

Mag er also auch kein Krieger gewesen sein, er nahm gleichwohl das ihm über­tragene Amt, für das Wohl der ihm Unterstellten zu sorgen, so gewichtig wie möglich. Daß er diese Pflicht nicht vernachlässigte, muß selbst das Azuma­kagami einräumen. Die dreizehn Artikel Shotoku Taishis sind ihm h~iliges Gebot. Bittsteller ließ er stets zu sich, über Anklagen pflegte er direkt und mit besonderer Aufmerksamkeit zu entscheiden. Er läßt Land roden und urbar machen (20. 3. 1207), Wächter aufstellen, um es gegen Räuber zu schützen (13. 4. 1210). Und des

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biederen Naganumas Klage besagt im Grunde nur, daß der Gerechtigkeitssinn Sanetomos sich gegen die Verhängung der Todesstrafe ohne sorgfältige Prüfung der Anklage wehrte. Als Y oshitoki und Hiromoto ihn veranlassen wollten, die Brücke über dem Hirozawa-See nicht wieder instandsetzen zu lassen, da Yoritomo auf ihr gestürzt sei und dies Unheil bedeute, ließ er unter dem Hinweis, die Wohl­

fahrt des Volkes gehe dergleichen Erwägungen vor, die Ausbesserung trotzdem vorne·hmen. Und als durch lange anhaltenden Regen das Volk in Not geriet, dichtete er 1211, von seiner Not tief im Herzen ergriffen:

toki ni yori Zur rechten Zeit ein Segen, sugureba tami no im Obermaß aber dem nageki nari Volk welch Plage!

hachi dai-ryu-o Acht Drachenkönige, ihr,

ame yame tamae macht diesem Regen ein Ende! Als er auf der Straße ein armes, weinendes Waisenkind sah, dichtete er:

itoshi ya Was für ein ] ammerl

miruni namida mo Bei solchem Anblick quillen mir todomarazu unversehens die Tränen: oya mo naki ko no ein elternloses Kind da haha wa tazuneru rufet nach seiner Mutter!

Und sein mitfühlendes Verständnis mit allen Kreaturen kommt m folgendem Gedicht zum Ausdruck:

mono iwanu Auch die der Sprache yomo no kedamono nicht fähigen, vielen Tiere, sura dani mo ja, selbst bei ihnen,

aware naru ka na ya liebe'n - wie ergreifend! -oya no ko mo omou die Eltern ihre Kinder!

Das Bild, das sich ausalldem ergibt, stimmt gut mit dem Urteil des Masukagami

überein: "Jener Hohe Herr bewies in allem eine schöne Seele, er war vornehm und freundlich, voll tiefer Einsicht und selbst da, wo er sich in die Welt der Ritter fügte, von unübertroffener Würde".

Wie sah Sanetomo aus? Die im Jufukuji in Kamakura befindliche Holzbüste zeigt ihn in feierlicher Gewandung, sein Gesicht, aus dem die Augen gleichsam

leuchten, ist voll und rund, der Körper wirkt mit seinen eckigen Schultern aus­gesprochen kräftig. Am nächsten dürfte aber der Wirklichkeit die noch etwas

größere Holzbüste sein, die sich in dem nam seinem Tode von seiner Frau für ihn

erbauten Tempel Daits11ji in Ky&to befindet. Hier ist sein etwas dunkler Bück ganz

nach innen gerichtet. Hier haben wir ihn ganz als Dic;hter vor uns.

III. Aum vor Sanetomo ist in Kamakura gedimtet worden. Es ist also nimts

Absonderliches, daß Sanetomo seine poetische Begabung gerade dort entfaltet hat. Die Begabung hat er wohl von seinem Vater geerbt, der selbst gern gedichtet hat

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und in dieser Kunst eine schöne, ja fast notwendige Bildungsmöglichkeit für den Ritter sah.

Wann Sanetomo zu dichten begonnen hat, ist nicht sicher festzustellen. Das Azuma-kagami berichtet von seinen Gedichten zum ersten Male am 12. 4. 1205, doch besagt dies natürlich keineswegs, daß dies sein erster V ersuch gewesen ist. Kurz vorher war in Ky~to das Shin-Kokinshu fertiggestellt worden. Da in Kama­kura um diese Zeit wegen der erwähnten Hatakeyama-Affäre gefährliche Unruhen herrschten und daher niemand das Werk dorthin zu bringen wagte, ließ es Sane­tomo durch einen seiner Gefolgsleute, Nait6 Tomochika, einen Schüler von Fuji­wara Teika, aus der Kaiserstadt holen. Es mag fraglich erscheinen, ob in dem damals Dreizehnjährigen die unbezwingliche Lust am Dichten damals schon völlig erwacht war, vielleicht wollte er nur die im Shin-Kokinshu enthaltenen Gedichte seines Vaters mit denen anderer Meister vergleichen. Die Lektüre des Werkes hat aber den in ihm schlummernden Genius fraglos bedeutend angeregt, gab es doch in­seiner persönlichen Nähe auch Dichter - wenn auch minderen Ranges, wie etwa T~ no Shigetane,- die ihn beraten konnten.

Von 1205 ab berichtet das Azuma-kagami ständig von dichterischen Veranstal­tungen, wie sie ja seit der Heian-Zeit zur Unterhaltung der geistigen Oberschicht gehörten. Das Jahr 1208 bringt ihm eine hartnäckige Pockenkrankheit, derent­wegen er sich drei Jahre lang nicht mehr in die Öffentlichkeit wagt. Stark entstellt der selbstgewählten Einsamkeit preisgegeben, scheint er sich mit besonderer Hingabe der Dichtkunst gewidmet zu haben. In diesem Jahre war es ~uch, daß er, wie das Azuma-kagami berichtet, "zum ersten Male" das Kokinshu in die Hände bekam. Da dieses Werk damals weit verbreitet war und als die eigentliche klassische Gedichtsammlung galt, darf diese Formulierung wohl nicht allzu wörtlich genom­men werden, aber es besaß insofern für ihn besonderen Wert, als es ein Ritter aus dem Hause seiner Frau als Geschenk aus der Kaiserstadt mitbrachte und von dem berühmten Fujiwara Mototoshi selbst geschrieben war.

1209 sandte Sanetomo Fujiwara Teika durch den schon erwähnten Nait6 Tomo­chika 30 eigene Gedichte zu und bat ihn, sie zu korrigieren. Nach etwa einem Monat brachte Tomochika ihm nicht nur die korrigierten Gedichte zurück, sondern er überreichte gleichzeitig dem freudig überraschten Sanetomo ein Exemplar von Teikas Poetikschrift Kindai-shuka, in der manche von Sanetomos allgemeinen Fragen über das Dichten beantwortet waren. Man kann die Bedeutung dieser Schrift für die weitere dichterische Entwicklung des hochbegabten Sh6gun kaum ü~erschätzen. Teika fordert darin vor allem den Gebra~ch von alten, durch eine lange Tradition mit der Patina vornehmer Würde versehenen Worte, die vom Staub des Alltags befreite dichterische Sprache sowie neue, also eigene und origi­nelle Empfindungen des Dichters. Das von T eika befürwortete H onka-dori, d. h. die Umformungen alter Gedichte mittels gering~r Veränderungen zu völlig neuen, hat Sanetomo sein ganzes Leben hindurch eifrig gepflegt.

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Eine schöne Ermunterung mag auch der Besuch von Kamo Ch6mei im Jahre 1211 bedeutet haben. über den Anlaß seines Besuches wird nichts berichtet, aber er hatte wohl in der Kaiserstadt viel von Sanetomos Begabung gehört und war nun begierig, ihn kennen zu lernen.

Mit Fujiwara Teika scheint Sanetomo auch in den folgenden Jahren korrespon­diert zu haben. In den Jahren 1212 und 1213 übersandte ihm Teika einige Poetik­schriften, 1213 auf Sanetomo's Wunsch das Manyoshu. Kamo Mabuchi hat, wie noch ausgeführt werden soll, dies als den großen Wendepunkt in Sanetomos dich­terischer Entwicklung angesehen.

Blättern wir im Azuma-kagami weiter, so finden wir unverändert Berichte über Sanetomos dichterisches Treiben, dann und wann mit kleinen Erlebnissen gewürzt. So schickte er einmal seinen Lieblingspagen, den Sohn des W ada Y oshimori, in das Haus von Shionoya Tomonari mit einem W eidenzweig, an dem die berühmten Kokinshu-Zeilen "Wenn du es nicht bist I wem denn könnt' ich sie zeigen I die Pflaumenblüten?" befestigt waren und Tomonari begriff sofort und antwortete entsprechend. Oder: während eines prächtigen Schneefalls fand im Haus von Fuji­wara Yukimitsu ein Dicht- und Musikfest statt und als Sanetomo aufbrach, führte ihm der Hausherr ein schwarzes Pferd für den Heimritt vor; er entdedtt, zurückgekehrt, ein an der Mähne befestigtes Gedicht und antwortet, den feinen Geschmack des Yukimitsu tief bewundernd, mit einem eigenen (20. 12. 1213).

Am Ende dieses Jahres stellte Sanetomo seine "Haus"-Sammlung (kashu), das Kinkaishu zusammen. Kin ist der linke Teil des Schriftzeichens von Kama (-kura), kai bedeutet Udaijin (in China verstand man unter den drei kai (chin. huai) die drei höchsten Staatsämter, die in Japan dem Daj6daijin, Sadaijin und Udaijin ent­sprechen). Ob dieser Titel erst nach Sanetomos Tod oder schon vorher geprägt oder gebraucht wurde, ist heute nicht mehr mit Sicherheit festzustellen; ve~mutlich geschah es aber nach seinem Tode.

Von diesem Kinkaishu gibt es heute drei verschiedene Fassungen: a) einen Druck aus der i\ra ]okyo:der zugrunde liegende Text ist, wie das

Nachwort angibt, bald nach Sanetomos Tod, vermutlich von einem Schü­ler Teikas redigiert worden. Die Veranlassung hierzu ging von Fujiwara Y oritsune, dem Nachfolger Sanetomos aus, der ebenfalls die Dichtkunst liebte und seines begabten Vorgängers vielleicht auf diese Weise pietätvoll

gedenken wollte. b) die aus dem Jahre 1782 stammende Fassung des Gunshoruiju (Band 232);

sie ist im Gegensatz zum ] okyo-Text nicht redigiert und daher teilweise

unklar, ja unverständlich. c) ein von Fujiwara Teika zum großen Teil selbst geschriebener Text, den im

Mai 1929 Sasaki Nobutsuna in der Bibliothek der Matsuoka-Familie in Kanazawa entdeckt hat. Er ist als der älteste und allen anderen zugrunde· liegende Text zu betrachten und erlaubt die Lösung vieler Unklarheiten der Fassungen a) und b). Als Nachschrift steht auf diesem zum"Nationalschatz"

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(kokuho) erklärten Manuskript von Teikas eigener Hand das Datum:

1. 12. 3. Jahr Kenryaku (1213).

Die Zahl der Gedichte beträgt im ]okyo-Text 719, davon sind aber drei von anderen Dichtern stammende Gedichte abzuziehen, so daß 716 bleiben; die ein­zelnen Kapitel sind: Frühling mit 132, Sommer mit 47, Herbst mit 132, Winter mit 95, Liebe mit 155 und Verschiedenes mit 155 Gedichten. Der Gunshoruiju-­

Text enthält ebenfalls 719 Gedichte, davon aber ist eines doppelt vertreten und zwei stammen von anderen Dichtern; das Kapitel Frühling hat 111, Sommer 38,

Herbst 118, Winter 76, Glückwunsch 18, Liebe 141, Reise 24, Versd:lledenes 108, Religiöses 15, Erinnerungen 4 Gedichte. Die Teika-Fassung umfaßt 663 Gedichte, die Einteilung ist Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Glückwunsch, Liebe, Reise,

Verschiedenes. Die Zahl des ]okyo-Textes ist mit 716 die höchste. Zu diesem kom­men als weitere Gedichte Sanetomo's 16 aus dem Fujiwakashu, 3, die Takeda Yukichi entdeckt hat, 1 aus dem Azuma-kagami, 3 im Besitz des Hachiman­Schreins von Kamakura, 11 aus dem T osen-rokucho, und schließlich 2, die 1932 im Rokusono-Schrein entdeckt worden sind. Somit beträgt die Zahl der heute bekann­ten Gedichte Sanetomo's 752.

Treten wir nun der überaus schwierigen und leidigen Frage der Stilentwicklung

näher, so muß zunächst gesagt werden, daß sich Sanetomo wie jeder andere Dich­ter seiner Zeit an Vorbildern geschult hat. Ganz schematisch hat man sich seit Kamo Mabuchi angewöhnt, seine dichterische Entwicklung in drei Perioden zu teilen: in solche der Beeinflussung durch Shin-Kokinshu, sodann Kokinshu und

schließlich M anyoshu. Diese Einteilung hat naturgemäß viel gegen sich. Der Ein­fluß des Kokinshu währt bis zu seinem Tode. Inwieweit er überhaupt vom Shin­Kokinshu beeinflußt worden ist, ist stark umstritten.

Wegen seines M anyoshu-Stiles ist Sanetomo berühmt geworden, aber über die Frage, wie es zu diesem gekommen sei, hat sich ein heftiger Gelehrtenstreit erhoben. Mabuchi nahm an, Sanetomo habe das M anyoshu durch das Geschenk dieser Samm­lung durch Teika kennengelernt und seitdem begeistert gepflegt. Diese Auffassung

ist aber seit der Entdeckung des Teika-Manuskriptes hinfällig geworden. Zwischen dem Tag, an dem Sanetomo das Manyoshu von Teika erhielt, bis zur Niederschrift

der Teika-Fassung des Kinkaishu, welches sämtliche wegen ihres "Manyosh-ö-Stils" .berühmten Gedichte bereits enthält, liegen ganze 14 Tage. Es ist unmöglich, daß

sich Sanetomo in so kurzer Frist diesen Stil so anzueignen gewußt hat, daß er selbst darin so trefflich dichten konnte. Es liegt näher anzunehmen, daß er das Manyoshu schon früher in die Hände bekommen und sich langsam in diesem Stil ausgebildet hat. Andererseits ist freilich die im Azuma-kagami· geschilderte

"riesige Freude" Sanetomos über das Geschenk nicht ganz zu erklären, wenn er das Werk schon vorher gekannt hat. So ergibt sich wie von selbst die Vermutung,

daß er einzelne Manyosh&-Gedichte aus anderen Sammlungen wie Kokinshu, Gosenshu, Shuishu, Shin-Kokinshu usw. schon vor Teikas freundlichem Geschenk

kennengelernt h·at, die vollständigen Bände aber erst seitdem besaß. · In den .Fällen,

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in denen eine direkte Nachahmung von Manyoshu-Gedichten im Sinn des Honka­dori vorliegt, diese sich aber in anderen Gedichtssammlungen nicht finden, muß angenommen werden, daß sich Sanetomo je nach Gelegenheit. und Zufall darüber orientiert hat, nicht zuletzt etwa in den zahlreichen Poetikschriften. Im übrigen bedenke man, daß gerade in Sanetomos Zeit das M anyoshu fleißig studiert und empfohlen worden ist. Daß sich auch Sanetomo damit beschäftigte, hat also nichts Merkwürdiges an sich. Erstaunlich ist jedoch die Genialität, mit der Sanetomo zu dem Geist jenes Werkes zurückfand und in diesem völlig eigene Schöpfungen schrieb.

Als Gedichte im M anyoshu-Stil werden seit Kamo Mabuchi neben dem schon erwähnten "yama wa sake" und "toki ni yori" vor allem noch folgende drei Gedichte gerühmt.

o-umi no iso no todoro ni

yosuru nami warete kudakete sakete chiru ka mo

monono/u no yanami tsukurou

kote no ue ni arare tabashiru N asu no shinohara

Die an des weiten Meeres Gestade tosend

brandenden U7ogen zerschellen, zerspritzen bersten und stürzen zusammen.

Auf der Ritter Pfeile im Köcher ordnende

Fausthandschuh prasselt der Hagel herab im Bambusfeld von N asu.

Gerade dieses letzte Gedicht hat sowohl Mabuchis wie auch Masaoka Shikis ganz bes9ndere Bewunderung gefunden; sie loben die durch keine ,,starken"

Wörter hervorgerufene kräftige Stimmung.

Hakoneji wo ware koekureba

U7ie den Hakonepaß ich überschreite, seh ich

I zu no umi ya im lzu-Meer weit oki no kojima ni draußen an ein Inselchen nami no yoru miyu die U7 eilen ·branden.

Von besonderem Interesse ist die Frage, welche Gedichte Sanetomo nad:J. Erhalt des Manyoshu verfaßt hat. Es sind von diesem Zeitpunkt bis zu seinem Tode nicht mehr allzu viele; vielleicht hat ihn da~ Bewußtsein seines baldigen Todes gelähmt, vielleicht aber sind sie verlorengegangen. 53 Gedichte des ]okyo-Textes und 52 des Gunshoruiju-Textes sind in der Teika-Fassung nicht enthalten, könnten also aus dieser Zeit stammen. Außer dem "mononofu" ist aber keines seiner berühmten "Manyoshu~Gedichte" dabei. Es fehlt ihnen der frische Schwung, der jenen eigen

ist. Takeda Yßkichi ist der Auffassung, daß sich Sanetomo in seinen letzten Jahren

eher dem Shin-Kokinsku als dem Manyoshu zugewendet hat. Je intensiver Saueto­rnos Gedanken u.nd Neigungen am Kaiserhofe weilten, wo man das Shin-Kokinshu

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leidenschaftlich liebte, desto mehr glich sich sein eigener Stil diesem an. Sanetomos frühe Gedichte, so führt Takeda Yl1kichi aus, sind ohne großen eigenen Wert, heranreifend erreichte er in seine dem M anyoshu-Stil gleichenden Gedichten seine Vollendung, mit dem Jahre 1213 bricht dies aber plötzlich ab. Sait6 Mokichi ist anderer Auffassung. Nach ihm ist die natürliche Frische, der ungebrochene Schwung, wie er das M anyoshu wohl kennzeiChnet, auch in den Spätgedichten Sanetomos zu spüren. Die Entscheidung über dergleichen Fragen dürfte sehr schwierig sein. Sicher­lich hat auch der Einfluß des Shin-Kokinshu bis an Sanetomos Ende gewährt, aber dies gilt mehr oder weniger auch vom Many8shl1· entsprach seine Neigung für die­sen Stil doch nicht einer zufälligen Mode, sondern einer eigenen kongenialen VeraJ?.­lagung.

Untersuchen wir nun, wie Sanetomos Kunst in seiner Zeit und später gewürdigt worden ist, so ist zunächst die Anerkennung seiner Begabung durch F u j i w a r a Te i k a hervorzuheben, der 25 seiner Gedichte in das Shin-Chokusenshu auf­genommen hat. Auch aus der Tatsache, daß er das Kinkaishu- zum großen Teil­eigenhändig abgeschrieben hat, läßt sich seine Achtung ermessen. In zwei Poetik­schriften, die zwar nicht unmittelbar von ihm selbst stammen, aber doch wohl seine Auffassung wiedergeben, findet er sogar Worte höchste~ Lobes. Im Kiri-hi-oke führt er drei Gedichte (darunter hakoneji wolware koekureba und mononofu nol yanami tsukurou) an und nennt ihn einen "Dichter von so hohem Rang, daß er sich selbst vor Kakinomoto (Hitomaro) nicht zu schämen braucht." In der zweiten Schrift, dem Guhisho, bezeichnet er ihn als einen "erhabenen Dichter" ( taketaru kajinl'; "mengt man seine Gedichte unter die alten Meister, so stehen sie hinter jenen durchaus nicht zurück. Er ist wahrhaftig ein unvergleichlicher Dichter. Immer wenn ich ihn lese, erfüllt Beschämung mein Herz!" Was Teika zu so hohem Lob veranlaßte, war wohl Sanetomos ursprüngliche, ungekünstelte und kraftvoll schlichte Art, die ihm, wie er ja selbst bekannte (vgl. Ton' a' s Seiasho), im Grunde abging. Der Teika jener Zeit ist nicht mehr der des Shin-Kokinshu mit seinem "bestrickenden Glanz" (yoen); der Wandel seines künstlerischen Geschmak­kes ist bereits in dem Sanetomo zugesandten Kindai-shuka zu erkennen und findet sich in der Art seiner Kompilation des Chin-Chokusenshu bestätigt.

Daß der Name des Dichters Sanetomo auch späteren Zeiten bekannt blieb, rührt vielleicht nur daher, daß eines seiner Gedichte in das Hyakunin-isshu Aufnahme gefunden hat. Es lautet:

yo no naka wa tsune ni mo ga mo na nagisa kogu ama no kobune no tsuna de kanashi mo

Möchte die flüchtige Welt doch immer so friedlich währen/ Wie man am Strand da das rudernde Fischerboot am Seile dahinzieht - beglückend/

In den nun folgenden vier Jahrhunderten ist Sanetomos Name kaum mehr besonders hervorgehoben worden. Nur im Shotetsu-monogatari des Zen-Dichters S h 8 t e t s u (1381-1459) findet sich eine lobende Bemerkung über ihn.

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Erst Ba s h f> (1643-1694) hat Sanetomo wieder genannt, falls die Aufzeichnun­gen des H aikai-ichiyoshu wirklich authentischeAußerungen des Meisters wiedergeben. Er verweist dort auf die Frage nach den bedeutendsten Dichtern der "Mittelzeit" auf Sanetomo und Saigyl>. Die Gleichstellung mit Saigyf> ist für Sanetomo ebenso ehrenvoll wie für Bash8 bezeichnend: an beiden gefiel jenem wohl die ursprüngliche Menschlichkeit ihrer Kunst.

Kam o M ab u c h i (1697-1769) hat Sanetomo für einen größeren Kreis gewissermaßen wieder neu entdeckt. In seinem 1742 verfaßten Kokka-hachiron yogen-shui (eine Ergänzungsschrift zu dem Kokka-hachirongen von Ta y a s u M u n e t a k e ) begegnen wir seiner Wertschätzung Sanetomos zum ersten Male. Die berühmtesten Ausführungen über Sanetomo enthält aber sein Vorwort zum Kinkaishu, die Schrift Kamakura U daijin Kashu no hajime ni shiruseru kotoba aus dem Jahre 1760, wo er in fünf überschwänglimen Kapiteln den Manyf>sh~-Stil Sanetomos feiert. Viel aufsmlußreimer als diese etwas übersteigert anmutenden Hymnen ist sein Kommentar zum Kinkaishu (in der ]okyu-Fassung). Hier hat er die seiner Meinung nam guten und sehr guten Gedichte durch ein oder zwei Kreise besonders hervorgehoben; seine Bemerkungen zu manmen Gedichten offenbaren hohe und feine Einsicht in Sanetomos Dichtertum. Der direkte und schlichte Aus­druck des Gefühls ist es, der ihm im Manyoshu und bei Sanetomo so sehr gefällt; alles, was auch nur von ferne her an literarische Technik erinnert, lehnt er ab. Dem Gedichte mono-iwanu I yomo no kedamono etwa versagt er seinen Beifall des­wegen, weil ihm die Verdoppelung des Ausdrucks sura dani mo zu bewußt und literarisch erscheint. Obwohl er gelegentlich ein Gedicht mit der einfachen Begrün­dung, es enthalte keine "alten Worte", zurückweist, hat er doch auch moderne, im Shin-Kokinshu-Stil gehaltene Gedichte mit einem lohenden Zeichen versehen.

Ferner fällt auf, daß er keineswegs nur die männlich und kraftvoll wirkenden

Gedichte lobt, wie nach seinem Vorwort zum Kinkaishu vielleicht angenommen werden könnte. Dies beweist, daß sein kritisches Urteil von seiner Manyoshu­

Leidenschaft keineswegs gänzlich unterjocht worden ist; gleichwohl muß man aber

sagen, daß durch seine intensive Verehrung des "alten Weges" dann und wann

eine gewisse Voreingenommenheit geschaffen wurde. Die drei anderen Schriften, in

denen er Sanetomo ausführlicher erwähnt, sind das Kai-i-ko von 1764, das Nii­

manabi von 1765 und das Ui-manabi aus dem gleichen Jahre. Im Ka-i-ko teilt er,

wie bereits in seinem Vorwort zum Kinkaishu, Sanetomos Entwicklung in drei

Perioden ein, eine höchst schematische Sicht, die aber bis zur Auffindung des Teika­

Manuskripts unwidersprochen gehliehen ist. Im Nii-manabi loht er an Hand von

zwei Beispielgedichten (Hakoneji wo I ware koekureba und mononofu no I yanami

tsukurou) die wundervolle Harmonie von Form, insbesondere Rhythmus, und

Inhalt. Die allgemeine Würdigung im U i-manabi hält sim durchaus im Rahmen

der anderen Sduiften; beigefügt ist ein philologischer Kommentar zu dem Gedicht

yo no naka wa I tsune ni mo ga mo na.

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Es mag überraschen, daß zwei von Haus aus so verschieden veranlagte Persön­lichkeiten wie Teika und Mabuchi (der Teika übrigens entschieden ablehnt!) gleicherweise Sanetomo preisen; die Erklärung liegt darin, daß beide die natürliche Frische und das Ungekünstelte seiner Dichtkunst bewundern und Teika, obgleich er gemeinhin nur als typischer Repräsentant des Shin-Kokinshu und seines yoen­Stils gilt, in der zweiten Hälfte seines Lebens viel Verständnis für den direkten und schlichten dichterischen Ausdruck und auch für . das M anyoshu bewiesen hat.

Mabuchi ist übrigens auch als Dichter Sanetomo sehr nahe; seine "Haus-Samm­lung" hat mit dem Kinkaishft viel gemeinsam, beide enthalten neben Gedichten von Manyoshu-Charakter auch solche, die nach Kokinshu und Shin-Kokinshu klingen. In diesem natürlichen Neben- und Ineinander von altem und neuem Stil besteht die eigentliche Verwandtschaft der beiden Geister. Beide haben in der ersten Phase ihrer dichterischen Entwicklung das Shin-Kokinshu geliebt. Des älteren Mabuchis Urteil über Sanetomo erscheint von seiner gedanklichen Leidenschaft für das M anyoshu etwas getrübt. Als echter Dichter wurzelte Sanetomo durchaus in seiner. Zeit, mag seine Sehnsucht auch rückwärts gewandt sein. Dem Dichter Mabuchi hat er freilich eine unvergleichlich reichere Begabung voraus.

Kagawa Kageshige (Kageki) (1768-1843) trat von vornherein in einer bewußten Opposition gegen Mabuchi auf. Der Begeisterung Mabuchis für das Man­yoshu setzte er die eigene für das Kokinshu entgegen (das er in seinen eigenen Ge­

dichten so stark nachahmte, daß ihn Masaoka Shiki geradezu als "Räuber" gescholten hat). In seinem 46 Jahre nach M ab u c h i's Nii-manabi verfaßten Nii-manabi-iken (Kritik am Nii-manabi) erklärte er, man könne den Ufu (Udaijin) von Kamakura keineswegs als eine von innerer Kraft ( shiki) erfüllte Persönlichkeit ansehen, er sei kein nachahmenswertes Vorbild, und er tadelte mit scharfen Worten insbesondere die Verwendung "alter Worte" bei ihm. Diese Kritik richtet sich aber letzten Endes weniger gegen Sanetomo, der solche "alten Worte" doch nur in den verhält­nismäßig wenigen Gedichten von Manyoshft-Art gebraucht hat, als gegen Mabuchis einseitiges Sanetomo-Bild.

M a s a o k a S h i k i (1867-1902) ist neben Mahnchi der zweite große Sanetomo­Enthusiast. In seinem Essay Uta-yomi ni atauru sho (Brief an ei~en Dichter)

schreibt er: "Offen gesagt, das Waka-Dichten liegt den Menschen seit dem Manyoshu und Sanetomo nicht mehr im Blut. Es erfüllt mit tiefem Bedauern, daß Sanetomo, noch bevor er 30 wurde, also zu einer Zeit, von der ab alles eigentlich doch erst beginnt, ein so tragisches Ende gefunden hat. Wäre er noch weitere 30

Jahre am Leben geblieben, wie viele herrliche Gedichte hätte er uns da noch hinter­lassen! Er ist jedenfalls ein ·Dichter ersten Ranges. Er leckt nicht den restlichen Speichel von Hitomaro und Akahito, und er nährt sich auch nicht von Tsurayukis und T eik~s Resten. Erhaben in eigener Sphäre weilend, wetteifert er art Höhe .mit

den Gipfeln der Berge und an Glanz mit Sonne und Mond. Daher gebührt ihm Bewunderung und Verehrung, und ich empfinde ganz unwillkürlich das Verlangen,

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vor ihm die Knie zu beugen··." Auch in anderen seiner zahlreichen Poetik­Sduiften (etwa Takeda-kawa, Byojo uwagoto) preist er ihn in dieser Art; für ihn ist er der Dichter nach Hitomaro, wie er in einem geradezu rührend anmutenden Gedichte versichert.

Masaoka Shiki steht, während man bis dahin das Kokinshu als Ideal verehrt hat, auf dem Boden des Manyoshu und lehnt das Kokinshu als wertlos ab. Der erwähnte Essay U ta-yomi ni atauru sho bedeutet einen seine Zeit verblüffenden und zu heftigem Widerspruch herausfordernden neuen Standpunkt, der in bewuß­ter Opposition sowohl gegen die letzlieh auf }\eichli zurückgehende Kokinshu-Ver­ehrung wie auch gegen die Hochschätzung des Shin-Kokinshu durch die von Yosano Tekkan vertretene Myojo-Schule aggressiv formuliert ist. So sehr Shikis Vorliebe für Sanetomo seiner "unromantischen" Klarheit der Empfindung und Formulie­rung, seinem Mangel an lyrischem "Überschwang" gilt, so sehr geht seine Begei­sterung für Sanetomos Kunst oft in einen subjektiven und verfälschenden Enthusiasmus über.

Es war für die Sanetomo-Forschung ein wahres Glück, daß S a s a k iN ob u t s u n a, der durch seine Kinkaishu-Ausgabe 1891 Sanetomo im japanischen Volke wieder bekannt machte und 1907 eine objektive Würdigung seiner Persönlichkeit und seines Werkes veröffentlichte, im Jahre 1929 schließlich das Teika-Manuskript des Kinkaishu auffand. Wie schon erwähnt, wurde dadurch Mabuchis Meinung wider­legt, Sanetomo habe sich erst seit dem M anyoshu-Geschenk T eikas für diesen Stil entschieden und sei dann diesem leidenschaftlich bis zu seinem Tode verschrieben gewesen. Seitdem ist man überhaupt Mabuchis und auch Shikis Überschwang gegenüber kritischer und wird damit der Art und Bedeutung Sanetomos gerechter. Der Gelehrte und Dichter S a i t & M o k i c h i , der sich durch seine M anyoshu­

und Sanetomo-Studien gleichermaßen ausgezeichnet hat, hält sich bei all seiner Begeisterung für Sanetomo doch fast immer noch in der rechten Mitte.

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Heianzeit bis zu de"; Anfängen -der Kokuga.ku; in MN Vol. VIII, lNr. 1/2, Tökyö 1952. Kamo Mabuchi Zenshu (Ausgabe-: Kokugaku-in), 4. Bd., Tökyö 1904. Kawa da Jun, Minamoto ·sanetomo (Sammlung: •Reki-<lai-kajin), Tökyö 1938.

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