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Minderheiten – Schutz ohne Definition möglich? Fallstudie der Situation der Pygmäen in der Demokratischen Republik Kongo DIPLOMARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades Magister an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg Fachbereich: Politikwissenschaft und Soziologie Gutachterin: Prof. Dr. Barbara Wolf-Wicha Eingereicht von: Thomas Lahnthaler Universität Salzburg, November 2007

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Minderheiten – Schutz ohne Definition möglich? Fallstudie der Situation der Pygmäen in der

Demokratischen Republik Kongo

DIPLOMARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades Magister

an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät

der Universität Salzburg

Fachbereich: Politikwissenschaft und Soziologie

Gutachterin: Prof. Dr. Barbara Wolf-Wicha

Eingereicht von:

Thomas Lahnthaler

Universität Salzburg, November 2007

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"We must do more to prevent conflicts happening at all. Most conflicts happen in … countries,

especially those which are badly governed or where power and wealth are very unfairly

distributed between ethnic or religious groups. So the best way to prevent conflict is promote

political arrangements in which all groups are fairly represented, combined with human rights,

minority rights and broad-based economic development."

Kofi Annan, Secretary-General of the United Nations

(Statement on presenting his Millennium Report, 3 April 2000)

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Danksagung

Das Verfassen einer Diplomarbeit stellt einen langwierigen Prozess dar. Am Ende

steht der eigene Name unter dem Endprodukt, das man jedoch ohne die Hilfe vieler

Anderer nicht fertig bringen hätte können. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um

einigen dieser Personen zu danken. Ohne sie wäre mir die Fertigstellung dieser

Arbeit nicht gelungen bzw. wäre diese noch nicht erfolgt.

Ich möchte mich bei meiner Diplomarbeitsbetreuerin und Gutachterin, Frau Professor

Doktor Barbara Wolf-Wicha bedanken, die mir in allen Arbeitsphasen der Studie mit

Rat und initiativen Ideen sehr weitergeholfen hat. Ohne die Motivation von Frau

Professor Wolf-Wicha sowie ihrer Flexibilität und ihrem persönliches Engagement

hätten erhebliche Teile der Arbeit nicht die Form, in der sie sich befinden.

Dank gebührt auch der Wissenschaftsagentur Salzburg sowie der Organisation

Human Rights International (HRI), die mir den Auftrag zur Durchführung dieser

Studie anvertraut haben, und die großes Verständnis und Geduld hinsichtlich des

Zeitrahmens der Fertigstellung bewiesen haben.

Im Laufe der Arbeit zum Verfassen einer Diplomarbeit begibt man sich auf eine

Reise durch Höhen, etwa wenn man unerwartete Informationen erhält, aber auch

Tiefen, wenn man an einem Punkt festsitzt und nicht weiter weiß. Auf dem Weg

durch dieses Wellental stand mir stets meine Familie zur Seite, ohne deren

Motivation und Unterstützung, die ich auch während des gesamten Studiums

genießen durfte, hätte ich an manchen Stellen vielleicht das Handtuch geworfen.

Durch den starken Rückhalt meiner Familie war es mir aber möglich, mich immer

wieder von neuem zu motivieren und alle Hindernisse zu überwinden.

Schließlich möchte ich noch einen großen Dank an alle anderen Beteiligten und

Unterstützer aussprechen, die mir während des Verfassens der Diplomarbeit zur

Seite standen. An meine Freunde, die mich stets motivierten und all meine Launen

ertragen mussten. An alle Informanten und Personen, die mir mit ihrer Erfahrung in

und zu diesem Themengebiet sehr weitergeholfen haben. Ohne diese Expertise und

wichtigen Informationen wäre ich manchmal auf inhaltliche Grenzen gestoßen.

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Danksagung.............................................................................................................. 3

Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... 10

Abbildungsverzeichnis .......................................................................................... 13

1.Einleitung ............................................................................................................. 14

1.1.Persönliche Motivation................................................................................. 14

1.2.Themenstellung ............................................................................................ 15

1.3. Aufbau........................................................................................................... 18

1.4. Einschränkung des Themas ....................................................................... 19

1.5.Methode und Theoretische Grundlage der Untersuchung........................ 20

1.5.1.Transitionstheorie ..................................................................................... 20

1.5.2.Verschiedene Definitionen von Macht ...................................................... 30

1.6. Allgemeines zur Methode............................................................................ 33

2. Minderheitendefintion und Minderheitenschutz .............................................. 35

2.1.Definition des Minderheitenbegriffs ............................................................ 35

2.1.1.Herkunft und Wortsinn.............................................................................. 35

2.1.2. Die Definition des Minderheitenbegriffs bis zur Französischen Revolution

.......................................................................................................................... 36

2.2. Die Entstehung des Modernen Minderheitenbegriffs ............................... 37

2.2.1. Definition von Minderheiten bis zum Zweiten Weltkrieg .......................... 38

2.2.3.Definitionen von Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg ........................ 39

2.2.4.Charakteristika des Minderheitenbegriffs von Capotorti ........................... 42

2.2.5..Exkurs ..................................................................................................... 53

2.2.6.Minderheitenbegriff von Felix Ermacora ................................................... 56

2.2.7. Weitere ausgewählte Definitionen ........................................................... 58

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2.3. Persönliche Kategorien zur Bestimmung von Minderheiten ................... 60

2.3.1. Kulturelle Kriterien ................................................................................... 62

2.3.2. Soziale Kriterien ...................................................................................... 63

2.3.3. Ökonomische Faktoren ........................................................................... 66

2.3.4. Juristische Kriterien ................................................................................. 68

2.3.5. Zusammenfassung der Kriterien und Definition von Minderheiten .......... 71

2.3.6.Die Definition von Minderheit des Autors: ............................................................ 72

3. Geschichte des Minderheitenschutzes............................................................. 73

3.1. Schutz religiöser Minderheiten; 16. bis 18.Jahrhundert........................... 74

3.2. Schutz nationaler Minderheiten im 19.Jahrhundert .................................. 74

3.3. Minderheitenschutz im Völkerbund............................................................ 76

3.4. Verhärtete Fronten nach dem Zweiten Weltkrieg...................................... 80

3.5. Minderheitenschutz in den Vereinten Nationen ........................................ 81

3.5.1. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) 82

3.6. Schutz der Eingeborenenvölker ................................................................. 86

3.6.1. Weitere Definitionen ................................................................................ 88

3.7. Die Afrikanische Union(AU) und die Minderheitenrechte ............................89

4. Zentrale Fragestellungen ................................................................................... 94

4.1. Unterstützende Fragestellungen ................................................................ 94

4.2. Hypothesen .............................................................................................................95

5. Probleme während der Arbeit............................................................................ 97

6. Die Demokratische Republik Kongo (DRC)...................................................... 99

6.1. Geschichte.................................................................................................... 99

6.1.1.Entstehung des staatlichen Gebiets Kongo.............................................. 99

6.1.2. Die Kolonialzeit 1908 – 1960................................................................. 100

6.1.3. Unabhängigkeit 1960 – 1965 oder die Kongowirren.............................. 101

6.1.4. Die Zweite Republik – Mobutus Herrschaft ........................................... 105

6.2. Die Transition der Demokratischen Republik Kongo ............................. 110

6.2.1. Erste Phase der Transition .................................................................... 110

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6.2.2. Die zweite Phase der Transition ............................................................ 112

6.2.3. Übergang zur dritten Phase der Transition............................................ 116

6.2.4. Die Demokratische Republik Kongo heute – Fortsetzung der Transition

........................................................................................................................ 123

6.3. Wichtige Akteure und ihr Einfluss auf das System der Demokratischen Republik Kongo ......................................................................................... 130

6.3.1. Das Militär ............................................................................................. 130

6.3.2. Die Medien ............................................................................................ 130

6.3.3. Die Kirche.............................................................................................. 135

6.3.4. Internationale Akteure und ihr Einfluss in der DRC ............................... 136

6.3.5. Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (MONUC)...... 140

6.4. Allgemeine Informationen und Fakten über die Situation der Demokratischen Republik Kongo............................................................. 145

6.4.1. Geographie............................................................................................ 145

6.4.2. Bevölkerung .......................................................................................... 148

6.4.3. Wirtschaftliche Situation ........................................................................ 151

6.4.4. Krankheiten ........................................................................................... 153

6.4.5. Sprachen ............................................................................................... 156

6.4.6. Religion ................................................................................................. 156

6.4.7. Alphabetisierung.................................................................................... 157

6.4.8. Infrastruktur und Kommunikation........................................................... 159

6.4.9. Situation der Menschenrechte in der DRC ............................................ 159

6.4.10. Weitere Probleme................................................................................ 161

6.5. Minderheitenschutz durch die neue Verfassung..................................... 162

6.5.1. Analyse: ....................................................................................................................... 163

7. Die Pygmäen ..................................................................................................... 165

7.1. Geschichte der Pygmäen .......................................................................... 166

7.2. Etymologie bzw. Wortherkunft.................................................................. 167

7.3. Terminologie .............................................................................................. 167

7.4. Allgemeine Übersicht über die Völker und ihre Siedlungsgebiete ....... 168

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7.5. Ausgewählte Völker und ihre Lebensweise............................................. 171

7.5.1. Die Batwa .............................................................................................. 171

7.5.2. Die Bambuti ........................................................................................... 174

7.5.3. Unterschiede zwischen den Pygmäenstämmen.................................... 175

7.5.4. Traditionelle soziale Struktur eines Pygmäenstammes ......................... 176

7.6. Verständnis von Macht, Herrschaft und Demokratie .............................. 178

7.6.1. Hierarchische Strukturen ....................................................................... 178

7.7.Institutionalismus ....................................................................................... 179

7.7.1. Konfliktlösungsmechanismen ................................................................ 179

7.8. Soziale Beziehungen und Interaktionen in einem Pygmäendorf ........... 180

7.8.1. Gesellschaftsstruktur und Sozialisierung innerhalb eines Dorfes .......... 180

7.8.2. Familienleben ........................................................................................ 181

7.8.3. Ehe ........................................................................................................ 182

7.9. Die unterschiedlichen Lebensweisen und Wirtschaft verschiedener Pygmäenstämme .............................................................................................. 185

7.9.1. Jäger und Sammler ............................................................................... 186

7.9.2. Die Jagd ................................................................................................ 186

7.9.3. Sammler ................................................................................................ 188

7.9.4. Fischer................................................................................................... 188

7.9.5. Töpfer .................................................................................................... 189

7.9.6. Landwirtschaft ....................................................................................... 191

7.10. Alltagsleben und Traditionen einer Pygmäengesellschaft................... 192

7.10.1.Alltag .................................................................................................... 192

7.10.2. Nomadentum....................................................................................... 193

7.10.3. Religion ............................................................................................... 193

7.10.4. Rituale ................................................................................................. 194

7.10.5. Bildung ................................................................................................ 196

7.10.6. Medizin ................................................................................................ 196

7.10.7. Kleidung und Äußeres ......................................................................... 197

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8. Probleme der Pygmäen.................................................................................... 198

8.1. Verweigerung der Rechte.......................................................................... 198

8.1.1. Recht auf Gleichberechtigung bzw. Anerkennung vor dem Gesetz ...... 199

8.1.2. Das Recht zu Jagen und Sammeln ....................................................... 200

8.1.3. Das Recht auf die gleiche juristische Behandlung................................. 200

8.1.4. Recht auf medizinische Versorgung...................................................... 202

8.1.5. Das Recht auf Bildung und Arbeit.......................................................... 203

8.1.5. Das Recht zur Selbstbestimmung ......................................................... 204

8.1.6. Die Verweigerung der Landrechte ......................................................... 205

8.2. Exkurs ......................................................................................................... 208

8.2.1. Der Regenwald in der Demokratischen Republik Kongo....................... 208

8.2.2. Enteignung durch Naturschutzgebiete................................................... 212

8.3. Vorurteile .................................................................................................... 214

8.4. Wirtschaftliche Isolation............................................................................ 216

8.5. Mangelnde politische Repräsentation und politisches Desinteresse ... 217

8.6. Verlust der eigenen Identität..................................................................... 219

8.7. Soziale Probleme ....................................................................................... 220

8.8. Gesundheitliche Bedrohungen................................................................. 221

8.9. Die Auswirkungen des Krieges auf die Pygmäenstämme...................... 221

8.10. Beispiele der Situation der Pygmäen in der DRC.................................. 222

8.11. Beispiele für die veränderten Lebensweisen der Pygmäen ................. 224

8.11.1. Idwji Insel............................................................................................. 224

8.11.2. Kavumu Gebiet.................................................................................... 225

8.11.3. Goma, Masisi und die Rutshuru Gegend............................................. 226

9. NGOs und Projekte zur Hilfe der Pygmäen der DRC.................................. 228

9.1. Ausgewählte Tätigkeiten der Pygmäen.................................................... 228

9.2. Lokale NGOs .............................................................................................. 229

9.2.1. Centre d’accompagnement des Autochtones pygmees et Minoritaires

Vulnerables (CAMV)........................................................................................ 229

9.2.2. Union Pour L’emancipation de la Femme Autochtone (UEFA).............. 232

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9.2.3. Programme d’Integration et de development du peuple Pygmee au Kivu

(PIDP).............................................................................................................. 234

9.3. Internationale NGOs .................................................................................. 235

9.3.1. Pygmee Kleinood .................................................................................. 235

9.3.2.Rainforest Foundation – UK (RF) ........................................................... 236

10. Analyse............................................................................................................ 238

10.1. Persönliche Einschätzung ...................................................................... 246

12. Anhang ............................................................................................................ 256

12.1. Regierung der Demokratischen Republik Kongo.................................. 256

Le Président Son Excellence........................................................................... 256

12.2. Beispiele Verbrechen gegen die Pygmäen ............................................ 258

12.2.1. Exactions by soldiers........................................................................... 258

12.2.2. Expulsion from gold-mines .................................................................. 259

12.2.3. Rapes of girls....................................................................................... 260

12.2.4. Requisition for transport of ammunitions. ............................................ 260

12.2.5. Murder at the work post....................................................................... 260

12.2.6. Arbitrary arrestations. ............................................................................................ 261

14. Literatur ........................................................................................................... 262

14.1. Primärliteratur ......................................................................................... 262

14.2. Sekundärliteratur .................................................................................... 262

14.3. Internetquellen ......................................................................................... 267

14.3.1. Primärliteratur ...................................................................................... 267

14.3.2. Sekundärquellen.................................................................................. 268

14.4. Statistische Quellen................................................................................. 274

14.5. Andere Quellen......................................................................................... 276

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Abkürzungsverzeichnis

ABAKO: Allianz von Bakongo

ABB.: Abbildung

Abs.: Absatz

ACHPR: African Commission on Human and Peoples’ Rights

ACP: Agence Congolaise du Press

AFDL: Alliance des Forces pour la Démocratie et la Libération du Congo-Zaire

AMP: Alliance pour la Majorité Présentielle

AMRE: Allgemeine Menschenrechtserklärung

Art.: Artikel

AU: Afrikanische Union

BIP: Bruttoinlandsprodukt

Bzw.: Beziehungsweise

CAMV: Centre d’accompagnement des Autochtones pygmees et Minoritaires

Vulnerables

CAURWA: Rwandese Community of Indigenous People Organisation (engl.)

CENCO: Conférence Episcopale Nationale du Congo

CIA: Central Intelligence Agency

CIDOPY: Centre d'Information et Documentation Pygmées en DRCongo

DIN: Deutsche Industrie Norm

DRC: Demokratische Republik Kongo

DSP: Division Spéciale Présidentielle; Die Leibgarde des Präsidenten

ECOSOC: Economic and Social Council of the United Nations

Et al.: Et alter; und andere

EU: Europäische Union

EUFOR: European Union Force

FAC Force Aerienne Congolaise

FARDC: Forces Armées de la Republique Démocratique du Congo; Armed

Forces of the Democratic Republic of the Congo

FAO: Food and Agricultural Organization

HAM: Haute Authorite des Media

HIPC: Heavily Indebted Poor Countries

HIV/AIDS: Human Immunodeficiency Virus/Acquired Immunodeficiency Syndrome

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HRC: Human Rights Council

ICCO: Interchurch organisation for development co-operation (engl. Name)

ICHR: International Council on Human Rights

IDP: Internally Displaced People

IGF: Insulin-like growing factor

ILO: International Labour Organization

IMF: International Monetary Fond

IPBPR: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

INGO: International Non-Governmental Organization

IO: International Organization; Internationale Organisation

IPACC: Indigenous People of Africa Coordinating Committee

IZCN: Institut Zairois pour la Conservation de la Nature

K. u. K. Monarchie: Kaiserliche und Königliche Monarchie

LRA: Lord Resistance Army

MLC: Mouvement de Liberation congolais

MONUC: Mission de l’Organisation des Nations Unies en République du Congo

MPR: Mouvement Populaire de la Revolution

MRG: Minority Rights Group

NCA: Norwegian Church Aid

NGO: Non-Governmental Organization; Nicht-Regierungs Organisation

OECD: Organization for Economic Co-operation and Development

OMEC: Observateurs des Médias Congolais

PALU: Parti Lumbumbiste Unifié

PIDP: Programme d’Integration et de Development du peuple Pygmee au Kivu

PMURR: Programme Multisectoriel d’Urgence de Réhabilitation et de

Reconstruction

PRGF: Poverty Reduction and Growth Facility Arrangements

PSURES: Projet de soutien d’urgence à la réunification économique; Projekt zu

unmittelbaren Unterstützung der sozialen und ökonomischen

Wiedervereinigung

RAPY: Réseau des Associations autochtones Pygmées du Congo

RCD: Rassemblement congolais pour la Democratie;

RCD-ML: Rassemblement congolais pour la Démocratie – Mouvement de

Liberation

RF: Rainforest Foundation

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RTGA: Radio Télé Groupe L’Avenir

RTNC: Radio-Television National Congolaise

SMP: Staff-monitored Programme

StIGH: Internationaler Strafgerichtshof

UDM: Union des Democrates Mobituistes

UK: United Kingdom

UMP: Union pour la Nation

UDPS: Union pour la Démocratie et le Progrés Social

UEFA: Union Pour L’Emancipation de la Femme Autochtone

UNESCO: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

UNITA: Union pour l’indépence totale de l’Angola

UNPC: Union National de la Presse Congolaise

UNO: United Nations Organization; Organisation der Vereinten Nationen

UPC: Union of Patriotic Congolese

USA: United States of America

Vgl.: Vergleiche

Z.B.: Zum Beispiel

ZAIRE: Zentralafrikanische Republik

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung.1: Einflussgebiete der verschiedenen Rebellenorganisationen

Abbildung 2: Derzeitige geographische Einteilung der Provinzen der DRC

Abbildung 3: Provinzen der DRC nach der neuen Verfassung von 2006

Abbildung 4: Daten über die Entwicklung der Unterernährung weltweit

Abbildung 5: Vermutete Zahl der Todesopfer aufgrund AIDS in den Jahren

2003 und 2005

Abbildung 6: Voraussichtliche Zahl der Waisen aufgrund von AIDS in den

Jahren 2003 und 2005

Abbildung 7: Zahl der HIV-Infizierungen bei schwangeren Frauen in

Zentralafrika.

Abbildung 8: Alphabetisierungsrate in der DRC im Vergleich.

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1.Einleitung

1.1.Persönliche Motivation

Meine Spezialisierung im Rahmen des Politikwissenschaftsstudiums liegt im Bereich

der Konfliktforschung und dem Studium von Krisen und Ländern, die sich in

langfristigen Konflikten befinden. Ein wichtiger Bestandteil der Konfliktforschung sind

die Menschenrechte. Diese Gruppe der Rechte ist auch speziell für den Bereich der

Minderheitenforschung wichtig und stellt die Basis für einen geeigneten Regelkatalog

für Minderheiten respektive deren Schutz dar.

Viele Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) unterhalten Projekte die sich mit der

Stärkung von Rechten benachteiligter Gruppen und/oder Minderheiten in

verschiedenen Ländern – vielfach Krisengebieten oder Entwicklungsländern. Eine

solche NGO ist Human Rights International (HRI), das seinen Hauptsitz in Italien hat

und sich schon seit mehreren Jahren mit diversen Projekten weltweit engagiert. Das

HRI hat reges Interesse daran ein Projekt in der Demokratischen Republik Kongo

(DRC) zu installieren, das den Schutz und die Stärkung der Rechte der Pygmäen

bzw. ihrer Situation zum Ziel hat. Um allerdings ihr Projekt gezielt auf die Bedürfnisse

und Notwendigkeiten ausrichten zu können, müssen diese untersucht und

festgestellt werden. Aus diesem Grund gab das HRI eine Studie in Auftrag, die diese

Aufgabe erfüllen soll.

Da sich das Thema und die dahinter stehenden Interessen und Pläne mit meinen

eigenen Vorstellungen einer wissenschaftlichen Arbeit zum Abschluss meines

Studiums deckten, entschloss ich mich, mich für den Auftrag zu bewerben und erhielt

den Zuschlag. Die Vorstellung, einen nicht unerheblichen Beitrag zu einem

zukünftigen Hilfsprojekt leisten zu können, war ein zusätzlichen Motivationsfaktor

beim Verfassen dieser Arbeit.

Zusätzlich eröffnete es mir die Möglichkeit, im Rahmen meines speziellen Gebietes

der Konfliktforschung zu arbeiten, da die DRC auf einen sehr großen und blutigen

Konflikt zurückblicken kann, der auch teilweise bis heute nicht wirklich gelöst ist.

Dieser Konflikt hat auch erheblichen Einfluss auf die Situation der Pygmäen sowie

des Restes der Bevölkerung, da die Auswirkung ständig präsent und offensichtlich

ist. Die Arbeit an diesem Thema ermöglicht mir, mein Wissen über den Kongo,

Minderheiten und die Pygmäen im Speziellen zu vertiefen bzw. es mir anzueignen.

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1.2.Themenstellung

In fast allen Ländern der Erden gibt es Teile der Bevölkerung, die sich durch

unterschiedliche Eigenschaften oder Charakteristika ihrer Lebensweise und/oder

ihren Ansichten von dem Großteil der Einwohner des jeweiligen Staates

unterscheiden, die so genannten Minderheiten. Gruppen, in Vielem dem Rest der

Bevölkerung nicht gleich gestellt und oftmals auch diskriminiert. Diese

Diskriminierung erfolgt einerseits von Seiten des Gesetzes und andererseits durch

die Bevölkerung. In Europa und der so genannten ersten Welt ist die Thematik des

Minderheitenschutzes bzw. der Integration der Minderheiten seit mehreren Jahren

ein zentrales Thema auf der politischen Ebene. Es gibt in einigen Ländern bereits

sehr großzügige Regelungen, obwohl es beinahe überall noch Handlungsbedarf gibt.

Auch internationale Organisationen beschäftigen sich aufgrund diverser

Entwicklungen in jüngerer Vergangenheit in zunehmender Zahl mit dem Thema

Minderheitenschutz. Es ist bereits aus nationaler Eben schwer, sich auf eine

Minderheitenschutzpolitik respektive ein entsprechendes Gesetz zu einigen. So

kommt es auch auf internationaler Ebene kaum zu einem Konsens, der den

Minderheitenschutz präzise und explizit regelt. Viele der internationalen

Konventionen, Abkommen oder Definitionen sind sehr allgemein gehalten, was sich

bereits in der Basis des Themas, einer Definition für Minderheiten, deutlich offenbart.

Kleine Erfolge konnten regional in Europa erzielt werden, wobei hier wahrscheinlich

die große Erfahrung der europäischen Staaten mit dem Thema Minderheiten in der

Vergangenheit eine große Rolle spielt. Trotzdem gibt es auch in den europäischen

Staaten noch Handlungsbedarf, da die Länder teilweise unterschiedliche Probleme

zu lösen haben und die gemeinsamen Gesetze sehr allgemein gehalten sind.

Sehr oft besteht auch ein Unterschied zwischen der Theorie und Praxis der

Minderheitenrechte. In vielen Verfassungen sind die Rechte und die Anerkennung

von Minderheiten verankert, aber realpolitisch werden diese nur mangelhaft bzw.

unzureichend umgesetzt. Dabei liegt das Problem vor allem darin, dass es oft keine

adäquaten Schutzmaßnahmen bzw. Sanktionen für Verstöße gegen die Rechte

bezüglich des Minderheitenschutzes gibt. Die Minderheiten sind oft formal

gleichgestellt werden allerdings von Teilen der restlichen Bevölkerung oder anderen

Minderheiten diskriminiert. Diese teilweise latente Benachteiligung der Minderheiten

ist nur schwer zu kontrollieren und zu verhindern und leider zu oft an der

Tagesordnung.

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Ein weiteres Problem ist die Gratwanderung zwischen Integration und Assimilation.

Es besteht in der Wissenschaft seit Jahrzehnten eine Diskussion zwischen

Universalisten und Multikulturalisten, die sich in den letzten Jahren durch viele

politische Veränderungen und dem Zerfall von Vielvölkerstaaten stark intensiviert

hat. Da es auch in der politischen Ebene extreme Auffassungsunterschiede zu

diesem Thema gibt, werden Gesetze und Regelungen sehr allgemein gehalten.

Ist die Diskussion über und die Umsetzung der Minderheitenrechte in den so

genannten entwickelten Ländern bereits schwierig und trotz aller Fortschrittlichkeit

teilweise weit weg davon eine Lösung zu finden, so ist die Lage in den Staaten der

Dritten Welt ungleich schwieriger. Da es in der Informationslandschaft leider extrem

an Berichterstattungen über diverse Entwicklungsländer in Asien, Afrika und

Südamerika mangelt, ist das Bewusstsein bzw. das Wissen über die Situationen in

diesen Regionen sehr gering. Die Informationen, die zugänglich sind, beinhalten

größtenteils Kriegsberichterstattungen, Wahlberichte, Regierungswechsel sowie

Geschehnisse von internationaler Bedeutung. Sehr selten wird über innerpolitische

oder soziale Probleme der regionalen oder lokalen Ebene berichtet. Da die politische

Sphäre in diesen Staaten sehr oft sehr zerrüttet ist, sind sie von Konflikten und/oder

autoritären Herrschaftsformen geprägt. Dabei befinden sich Themen wie die des

Minderheitenschutzes kaum oder gar nicht im Blickfeld der Verantwortlichen der

politischen Ebene. Minderheiten sind in diesen Ländern sehr oft Opfer von

Diskriminierung in verschiedenen Ausmaßen und Formen, Gewalt und schweren

Menschenrechtsverletzungen und nur selten gelingt es Diesen sich national oder

international Gehör zu verschaffen, um für ihre Rechte einzutreten. In manchen

Fällen, vor allem in afrikanischen Staaten, ist die kulturelle und ethnische

Fragmentierung sehr hoch, sodass es zwischen den unterschiedlichen Minderheiten

zu Diskriminierungen und gegenseitigen Benachteiligungen kommt. Dadurch leben

einige Minderheiten auf der niedrigsten Eben und haben keinerlei Rechte und

werden von der politischen Ebene ignoriert und ausgeschlossen.

Die Demokratische Republik Kongo (DRC) ist ein Land mit einer Vergangenheit, die

durch Kriege und Ausbeutung der Bevölkerung geprägt ist. Von einem blutigen

Bürgerkrieg gezeichnet, befindet sich das Land in einer Übergangsphase, und es

wird von allen Seiten versucht, die politische, soziale und ökonomische Ebene zu

stabilisieren. Das Land, das als eines der rohstoffreichsten der Welt gilt, ist von einer

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Bevölkerung besiedelt, die über 200 Ethnien umfasst. Durch diese hohe

Fragmentierung und die vielen bewaffneten Parteien, die die DRC in der

Vergangenheit besetzt haben, ist die Situation für viele der Bevölkerungsgruppen,

vor allem der lokalen Minderheiten sehr schlecht und von Gewalt, Unterdrückung und

einem sehr niedrigen Lebensstandard geprägt. Die Diktaturen, die jahrzehntelang die

Bevölkerung ausbeuteten und deren Rechte minimierten und die instabile politische

Situation nach dem Kriegsende 2004 haben die Situation zusätzlich erschwert.

Minderheiten sind in der DRC kein wichtiges politisches Thema und werden nur

peripher behandelt. Zwar sieht die neue Verfassung Rechte für Minderheiten vor,

allerdings werden der Schutz und die Einhaltung derer nicht kontrolliert.

Eine dieser Minderheiten zeichnet eine Besonderheit aus, die ihren Namen weltweit

bekannt machte – die Pygmäen. Diese Gruppe, die in den Wäldern lebt und als eines

der ältesten Völker gilt, unterscheidet sich bereits optisch durch ihre Körpergröße

vom Rest der Bevölkerung. Die Pygmäen werden sehr selten größer als 1.50 m.

Diese Tatsache sowie ihre Lebensweise, die von der Modernisierung weitestgehend

unbeeinflusst blieb, machen die Pygmäen verwundbar und zur Zielscheibe für

Diskriminierungen. Hinzu kommt, dass sie in den meisten Fällen über keinerlei

Bildung verfügen, da die Kinder hauptsächlich in den Traditionen, die das Überleben

sichern, unterrichtet werden. Die Pygmäen, die in mehreren Ländern Zentralafrikas

siedeln und sich in viele Stämme unterteilen, lebten traditionell in den Regenwäldern

und hatten wenig Kontakt zu anderen Stämmen. Die wieder intensiver gewordene

Abholzung und die damit verbundenen Vertreibungen der Pygmäen aus ihren

Lebensräumen führten dazu, dass die Pygmäen in intensiveren Kontakt mit anderen

ethnischen Gruppen kamen. Ihre Lebensweise und ihre vermeintliche

Rückständigkeit hinsichtlich ihrer technischen Fähigkeiten und ihrer Bildung riefen

hervor dass die Pygmäen von anderen Völkern diskriminiert wurden und werden. Da

sie ihre traditionelle Lebensweise als Jäger und Sammler aufgeben mussten und

wenig Erfahrung mit anderen Arbeiten hatten, leben sie heute meist als Bettler oder

Tagelöhner. Auch der Krieg hatte erheblichen Einfluss auf die Pygmäen, da sie in

den Wäldern wohnten, die als Unterschlupf und Verstecke für diverse Kriegsparteien

dienten. Durch ihre beschränkten Verteidigungsmöglichkeiten wurden sie zur

Zielscheibe für jede Seite des Krieges, und es wurden grauenhafte Verbrechen an

ihnen verübt. Diese Tatsache sowie die nicht vorhandene internationale

Aufmerksamkeit und Berichterstattung über die Pygmäen und ihre Situation

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erschweren die Lage dieses Volkes erheblich bzw. machen diverse Hilfsprojekte

schwer realisierbar.

1.3. Aufbau

Die folgende Studie analysiert die Situation der Pygmäen aus einer historisch-

aktuellen Perspektive. Dabei wird die Untersuchung, um ein möglichst vollständiges

Bild der Lage und Möglichkeiten der Pygmäen darstellen zu können, in drei Teile

geteilt.

Im ersten Teil, der auch die theoretische Basis für die Studie liefert, werden die

Transformations- und die Transitionstheorie sowie der Begriff Macht dargestellt.

Auch das Thema Minderheit wird wissenschaftlich untersucht. Neben der Erklärung

der wissenschaftlichen und internationalen Definitionen des Begriffs wird auch die

historische Entwicklung des Terminus Minderheit dargestellt. Da es international

keine allgemein gültige Definition gibt und die wissenschaftlichen Kriterien, den hier

gestellten Untersuchungen nicht absolut entsprechen, werden vom Autor eigene

Kategorien aufgestellt, wie sich Minderheiten definieren und bestimmt werden

können. Diese Kategorien stellen keinen allgemeinen Anspruch dar, sind jedoch aus

Sicht des Autors für die hier durchgeführte Untersuchung angemessen.

Im zweiten Abschnitt des ersten Teils werden die internationalen Konventionen und

Versuche eines gemeinsamen Rechtskodex für Minderheiten dargestellt. Dabei wird

vor allem die Entwicklung in den Vereinten Nationen analysiert und untersucht; wie

dort die derzeitige Arbeit in diesem Bereich aussieht. Es werden themenspezifisch

auch die Situation bezüglich des Minderheitenschutzes in der Afrikanischen Union

(AU) und die Rechtslage und Initiativen für die Eingeborenenvölker analysiert und

dargestellt.

Der zweite große Teil dieser Studie ist eine Länderanalyse der Demokratischen

Republik Kongo. Dabei wird – um die heutige Situation verstehen zu können – die

historische Entwicklung des Landes dargestellt. Es werden die Kolonialphase sowie

die unterschiedlichen Regime und Regierungen beschrieben und auf ihre Arbeit und

deren Auswirkungen untersucht. Teil der Untersuchung sind die Internationalen

Beziehungen und die Einflüsse der internationalen Gemeinschaft auf die

Geschehnisse und die Politik in der heutigen DRC. Dabei werden der Konflikt und

der Friedensprozess, die die Basis für die heutige Situation darstellen, erklärt.

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Schließlich werden die aktuelle Lage und das politische Klima nach den Wahlen

2006 beleuchtet. Ebenso wird versucht, die Auswirkungen und die politische

Situation hinsichtlich der Minderheiten zu analysieren.

Der letzte Teil der Arbeit widmet sich den Pygmäen und ihrer Lebensweise. Um die

Situation der Pygmäen und ihre schwierige Lage zu verstehen, wird die traditionelle

Art in Einklang mit dem Wald zu leben erklärt. Es werden Geschichte, Riten,

Traditionen, Rechtsauffassung, Hierarchie und Lebensweise der Pygmäen erklärt.

Nach der sozialen Analyse werden die derzeitigen Probleme und die

Diskriminierungen, mit denen das Volk und die Stämme der Pygmäen zu kämpfen

haben, beschrieben, und Rechte angeführt und erörtert, die den Pygmäen verweigert

werden. Schließlich wird die Situation bezüglich des Regenwalds und spezifisch der

Abholzung und der Naturschutzgebiete dargestellt.

Der zweite Teil des Abschnitts über die Situation der Pygmäen stellt einige

Pygmäenorganisationen und internationale Projekte vor, die sich mit dem Schutz des

Volkes beschäftigen.

Abschließend werden in einer Zusammenfassung, respektive einem Resümee, die

Ergebnisse dargestellt, die Fragestellungen beantwortet und die Hypothesen

verifiziert oder falsifiziert. Zudem gibt es noch eine persönliche Einschätzung der

Lage vom Autor.

1.4. Einschränkung des Themas

Die Pygmäen siedeln in mehreren Ländern des zentralen Afrikas. Aber in dieser

Studie werden nur die Pygmäenstämme, die in der DRC siedeln, untersucht.

Die Einschränkung auf der zeitlichen Ebene ist etwas differenzierter zu treffen. Grund

dafür ist die die historische Darstellung, die sich in allen Teilen der Arbeit findet.

Allerdings ist der Fokus auf der Ist-Situation der Pygmäen und dadurch auch des

Systems und der Machtverteilung in der Demokratischen Republik Kongo.

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1.5.Methode und Theoretische Grundlage der Untersuchung

Die DRC stellt einen Staat dar, der seit seiner Unabhängigkeit 1960 verschiedene

Regierungsphasen durchlief. Nach einer beinahe 30 Jahre dauernden Diktatur durch

Mobutu kam es durch einen Putsch zu einem Machtwechsel der allerdings keine

faktische Änderung der politischen Ebene bzw. der Politik als solche. Dadurch und

durch die Chance, die die unmittelbaren Nachbarländer sahen, die eigene Position

zu verbessern, kam es zu einem Krieg, der zehn Jahre dauerte und erhebliche

Folgen für die Region und die Bevölkerung nach sich zog. Dieser Krieg stellte

allerdings auch den Beginn des Systemwandels dar. Die Forschung im Bereich des

Wandels von totalitären und autoritären politischen Regimes in Demokratien ist eine

sehr junge Disziplin in der internationalen und vergleichenden Politikforschung. In

diesem Kapitel wird die Theorie zum Transitionsprozess dargestellt, da sie in der

weiteren Folge für die Untersuchung der Situation der DRC essentiell ist und als

theoretische Basis dient.

1.5.1.Transitionstheorie

Die allgemein anerkannte Definition von Transitionen stammt von O’Donnell und

Schmitter und bezeichnet sie als die Phasen, die zwischen zwei unterscheidbaren

politischen Systemen liegen. Die Transition beginnt mit dem Ende des autoritären

Regimes und endet entweder mit der Herausbildung des institutionellen Rahmens

einer Demokratie, mit der Rückkehr zum Ausgangszustand oder mit einer

revolutionären Situation.1

Viele der Versuche der Theoretisierung der Transitionen von autoritären und

totalitären Systemen in Demokratien enden in Metaphern, was darauf

zurückzuführen ist, dass es sehr viele Unsicherheiten im Rahmen von Transitionen

gibt. Diese Unsicherheiten haben ihren Ursprung in der Wichtigkeit aber

gleichzeitigen Unkalkulierbarkeit von Entscheidungen im Rahmen des Prozesses.

Dieser Mangel an strukturellen Faktoren wird im Rahmen der Transition durch eine

zunehmende Institutionalisierung versucht auszugleichen.2

1 Vgl. Rüb, Friedrich W. (1994). Die Herausbildung politischer Institutionen in Demokratisierungsprozessen, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.) (1994). Systemwechsel 1, Theorien, Ansätze und Konzeptionen, Leske und Budrich, Opladen, S.112. 2 Vgl. Rüb, S.111.

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Die wichtige Rolle der Bildung von Institutionen für den Demokratisierungsprozess ist

in der Wissenschaft über die Transitionen zwar anerkannt, allerdings theoretisch

nicht sehr intensiv ausgearbeitet. Hauptaugenmerk wird dabei auf die Unterschiede

zwischen parlamentarischen Systeme und präsidialen Systemen gelegt, wobei viele

der Autoren davon ausgehen, dass parlamentarische Systemen einen günstigeren

institutionellen Rahmen für einen Demokratisierungsprozess bieten. Nur vereinzelt

wird dies in Frage gestellt, und der Zusammenhang zwischen Regierungs- und

Wahlsystem untersucht. Grundsätzliche Probleme sind die Betrachtung der

Institutionen als unabhängige Variable, wodurch sie in bestimmten Situationen

spezifische Handlungsweisen und gewisse Ressourcen zur Verfügung stellen. Es

gibt kaum Untersuchungen, die Institutionen unter bestimmten Einflüssen, wie

Konflikt- und Konsensprozesse, untersuchen, und wie sie dadurch verändert oder

beeinflusst werden.3

Durch die große Bandbreite von unterschiedlichen Institutionen erleichtert es die

Betrachtung, wenn man die Institutionen und deren Charakteristika auf die

Gemeinsamkeiten reduziert. Diese identifiziert Robert A. Dahl folgendermaßen4:

1. Gewählte Vertreter: Die Besetzung der Regierung erfolgt über die Wahl

und Abwahl von politischen Vertretern.

2. Freie Wahlen: Diese Wahl erfolgt durch freie und regelmäßige Wahlen,

deren Ergebnis nicht manipuliert werden kann.

3. Allgemeines aktives Wahlrecht: Alle Bürger ab einem gewissen Alter

dürfen sich an dieser Wahl beteiligt werden, und niemand darf aufgrund

seiner Abstammung, Meinung oder anderen Gründen benachteiligt

werden.

4. Allgemeines passives Wahlrecht: Jeder kann sich wählen lassen, auch

wenn die Altersgrenze sich von der des aktiven Wahlrechts unterscheidet.

5. Meinungsfreiheit: Jeder Bürger hat das Recht sich frei zu äußern und alle

Umstände uneingeschränkt zu kritisieren.

6. Informationsfreiheit: Jeder Bürger hat das Recht sich frei zu informieren,

was mithilfe verschiedener Quellen durchgeführt werden kann. Diese

müssen zur Verfügung stehen und durch Gesetze geschützt sein.

3 Vgl. Rüb, S.111f. 4 Vgl. Rüb, S.112f.

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7. Vereinigungsfreiheit: Jeder Bürger kann zur Unterstützung seiner

Interessen sich mit anderen zusammenschließen und muss das Recht

haben Parteien oder Organisationen gründen zu können.

Friedbert Rüb fügt in seinem Artikel über die Bildung von Institutionen in

Demokratieprozessen noch zwei Kriterien hinzu5:

8. Dominanz der zivilen Regierung: Die frei gewählte Regierung muss in der

Lage sein, ihre Macht uneingeschränkt ausüben zu können. Sie darf nicht

durch Militär, Geheimdienst oder Sicherheitsbehörden kontrolliert werden,

sondern diese müssen ihrerseits Macht auf diese Teile des Systems

ausüben können. Auch dürfen keine ausländischen Kräfte den

Handlungsrahmen der Regierung einschränken. In jedem Fall wird die

Souveränität des Staates eingeschränkt.

9. Verfassungsrechtliche Vorkehrungen: Diese müssen die Durchsetzbarkeit

von institutionellen Rechten garantieren, die Änderung von den

Bedingungen 1-7 dem einfachen Mehrheitsentscheid entziehen und

bestimmte Verfahren dafür institutionalisieren. Schließlich sollen sie die

Verfassung über diverse Verfahren stellen und Institutionen zu deren

Kontrolle einrichten.

Dieses System ist dann demokratisch, wenn innerhalb des institutionellen Rahmens

diverse Akteure versuchen, ihre Interessen gegenseitig durchzusetzen. Dabei

bestehen Regeln und Normen, die von diesen Akteuren eingehalten werden müssen

und werden. Der Ausgang ist ungewiss, und die Entscheidungen, die anschließend

von den politischen Repräsentanten getroffen werden sind vor der Bevölkerung zu

verantworten. Als nicht-demokratische Systeme gelten jene, in denen Macht

unkontrolliert eingesetzt werden kann. Dadurch werden die Ergebnisse

vorhersagbar.6

Der Ausgangspunkt für Transitionen autoritäre politische Regime und totalitär-

kommunistische Systeme. Die Kennzeichen von autoritären politischen Systemen

sind (1) der geringe Pluralismus in den unterschiedlichen Sphären, der existierte

bevor das autoritäre Regime die Macht übernahm; (2) das Fehlen einer

5 Vgl. Rüb, S.113. 6 Vgl. Rüb, S.113.

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gemeinsamen, umfassenden Ideologie; (3) geringe politische Mobilisierung; (4) eine

starke Exekutive, die unkontrolliert regieren, gleichzeitig aber durch limitierte Wahlen

legitimiert sein kann.

Totalitär-kommunistische Systeme kennzeichnen sich eher durch (1) das Fehlen

eines politischen Pluralismus und die Aufhebung der Trennung zwischen öffentlicher

und privater Sphäre; (2) eine umfassende Ideologie; (3) die das ständige Bestreben,

die Massen politisch und gesellschaftlich zu mobilisieren; (4) alle exekutive Gewalt

durch die Ideologie zu legitimieren und durch deren Durchsetzung zu nutzen, aus.

Diese Systeme werden durch eine Demokratisierung verändert und einem

Reformprozess unterzogen. Das Ziel dabei ist, dass die Macht, die in diesen

Systemen von einem exklusiven Kreis auf ein institutionelles Rahmengefüge

verlagert wird und dadurch kontrollierbar wird und fair aufgeteilt werden kann.

Der erste Schritt der Demokratisierung stellt die Liberalisierung dar. Dabei werden

schrittweise die Regeln, Gesetze und Beschränkungen gelockert und erleichtert.

Diese Änderungen können auch verankert werden, was auch den ersten Schritt einer

Institutionalisierung darstellt, allerdings bleibt die politische Sphäre für andere

Akteure als die Machtinhaber weiterhin verschlossen. Wenn Gruppierungen oder

Personen Zugang zu diesem Elitekreis finden, dann nur unter der Voraussetzung,

dass sie die vorherrschenden Machtverhältnisse anerkennen und akzeptieren. Die

Phase der Liberalisierung läuft dann in die eigentliche Demokratisierung über, wenn

die Macht bzw. die Entscheidungsfähigkeit der herrschenden Elite zu entgleiten

beginnt. Dies eröffnet Möglichkeiten für andere Akteure und stellt den Beginn zur

Bildung von Institutionen dar. Demokratische politische Institutionen können durch

vier Strategien entstehen bzw. gebildet werden7:

1. Durch die Veränderung bestehender politischer Institutionen durch die

Anwendung demokratischer Prinzipien.

2. Durch die Integration von bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossenen

Personen oder Personengruppen in das Konzept der Staatsbürgerschaft.

3. Durch die Erweiterung auf Bereiche, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht in

das demokratiepolitische Verständnis integriert waren.

4. Durch die Neugründung von für ein demokratisches System essentiellen

Institutionen.

7 Vgl. Rüb, S.114f.

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1.5.1.1. Was sind Institutionen?

Rüb fasst in seinem Artikel die verschiedenen Definitionen von Institutionen wie folgt

zusammen:

„Institutionen sind ein relativ dauerhaftes Muster oder normatives Regelwerk sozialer

Beziehungen, die als legitim angesehen werden (oder erzwungen sind) und

entsprechendes Problemlösung- und Regierungspotential enthalten (…) Als normatives

Regelwerk sind Institutionen auf Dauer gestellte, oft rechtlich strukturierte

Verhaltensstandards, die in einer bestimmten Situation diejenigen Handlungen aus

einem weiten Horizont möglicher Handlungen herausfiltern, die für sie angemessen

sind.“8

Politische Institutionen sind eben dieser Verhaltensmuster, die bindende

Entscheidungen und Regulative entwickeln, treffen und deren Durchführung

überwachen. Dabei gibt es politische Institutionen im engeren Sinn (z.B. Verfassung,

Regierung etc.), die die Basis des Systems darstellen und die notwendigen

Mechanismen zur effektiven Durchführung einer Demokratie darstellen, und

politische Institutionen im weiteren Sinn (z.B. Parteien, Verbände, Medien etc.).

Diese Institutionen unterliegen bestimmten Standards, die den Akteuren den

Spielraum vorgeben, innerhalb dessen sie ihre Aktionen tätigen können. Ebenso wird

durch diese Standards auch festgelegt, dass die Institutionen ausschließlich durch

die in der rechtlichen Grundlage verankerten Regeln verändert werden können.

Diese Stabilität ist notwendig, um das System vor einem Rückfall in ein autoritäres

Regime zu bewahren, und die Macht verteilen zu können, um Entscheidungen zu

generieren. Dabei ist auch notwendig, dass diese Institutionen legitimiert sind, was

bedeutet, dass sie einerseits von den Akteuren an sich erwünscht sind, und

andererseits von der Zivilbevölkerung beeinflusst (durch Wahlen) werden können

und dieser auch Rechenschaft schuldig sind. Neben der Voraussetzung der

Legitimität, die für eine zufrieden stellende Arbeit notwendig ist, ist das zweite dafür

verantwortliche Kriterium Effektivität. Das bedeutet, dass die Entscheidungen auch in

den tatsächlich für sie verantwortlichen Organen transparent getroffen werden

müssen.9

8 Zitat in: Rüb, S.116. 9 Vgl. Rüb, S.116f.

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Das Problem, das Institutionen haben, die legitim und effektiv sind, dass sie trotzdem

nicht aus sich heraus stabil sein können. Diese Verantwortung liegt immer bei

externen Kräften, die durch die Kontrolle der Einhaltung der Regeln die Stabilität der

Institutionen gewährleisten. Diese externen Kräfte können sich einerseits aus dem

politischen System an sich und andererseits durch Akteure, die in den Institutionen

und durch sie betroffen sind, konstituieren. Die Entscheidungen, die in den

Institutionen getroffen werden unterliegen der „logic of appropriateness“, was

bedeutet, dass sie an die Situationen und die notwendigen Handlungen angepasst

werden. Jene Entscheidungen, die über die Institutionen getroffen werden, sind nach

der „logic of consequentiality“ gerichtet, von Eigeninteressen geleitet und werden von

Erwartungen über die Folgen von Entscheidungen geleitet.10

Jeglicher Einfluss auf eine politische Institution, ebenso wie die Neu-Gründung hat

Auswirkungen auf die Akteure, die in ihr arbeiten bzw. die Entscheidungen treffen.

Das kann bedeuten, dass diese Institutionen oftmals Akteure überdauern – dies gilt

für den Fall einer Transition – und neuen politischen Spielern eine Plattform bieten

können, auf der sich dann neue Ideen und neue Entscheidungen strukturieren

können. Sollte dabei allerdings die „logic of consequentiality“ dominieren, ist es

allerdings sehr unwahrscheinlich, dass diese Institutionen stabil sind bzw. eine große

Legitimität oder Effektivität aufweisen werden.11

1.5.1.2. Wie werden Institutionen gebildet?

Genauso schwierig und unsystematisch wie die Transition von autoritären und

totalitären-kommunistischen Systemen ist die Bildung von Institutionen. Trotzdem es

als allgemein gültig anzusehen ist, dass „all transitions to democracy are negotiated: some with

representatives of the old regimes and some only among the pro-democratic forces seeking to form a

new system. Negotiations are not always needed to constitute democratic institutions. Democracy

cannot be dictated; it emerges from bargaining”12, gibt es unterschiedliche Phasen und

Vorgänge, in denen Institutionen entstehen. Rüb unterscheidet in seiner Studie fünf

verschiedene Modi, unter denen demokratische Institutionen entstehen können, die

aneinander anschließen, sich auschließen und überschneiden können. Er stellt klar,

dass sie sich nur im Rahmen der Analyse unterscheiden lassen.

10 Vgl. Rüb, S.118. 11 Vgl. Rüb, S.118. 12 Zitat von Przeworski Adam (1991), in: Rüb, S.119.

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Diese fünf Modi sind13:

1. Pakt. Das sind Vereinbarungen, die eine Aufteilung der Macht auf

verschiedene Akteure vornimmt. Ebenso werden bestimmte institutionelle

Rahmenbedingungen fixiert und bestimmte festgelegte Gruppen

ausgeschlossen werden. All das geschieht unabhängig von der

Durchführung möglicher Wahlen.

2. Kompromiss. Dabei wird die Macht geteilt, wobei ausschließlich Verfahren

davon betroffen sind.

3. Demokratische Konkurrenz. Dabei wird die Demokratie als Prinzip zur

Gründung von demokratischen Institutionen angewandt.

4. Kapitulation/Revolution. In diesen beiden Fällen dominiert die

Neugründung von Institutionen, die allerdings Probleme beinhaltet, die bei

verhandelten Institutionen nicht auftreten.

5. Sezession oder andere Formen der Staatenbildung. Dabei werden

Institutionen gegründet, die alte nationale Muster durchbrechen und ein

neues nationalstaatliches System mit bestimmtem Territorium fundieren.

In der Folge werden die Punkte 1 und 4 etwas genauer erläutert, da sie als relevante

Modi für die hier vorliegende Studie der Demokratischen Republik Kongo identifiziert

werden können.

Ad 1) Dieser Modus basiert auf bestimmten politischen Pakten, die durch ihren

substantiellen Inhalt klar festlegen, welche politischen Themen, Institutionen und

Gruppen aus der demokratischen Konkurrenz ausgeschlossen werden. Es werden

zwar demokratische Institutionen gebildet. Diese stellen allerdings im gesamten

System keine Änderung dar, sondern durchbrechen nur teilweise die alten

Strukturen. Die Macht liegt nach wie vor bei den alten Machthabern. So gesehen ist

dieser Prozess der Beginn der Veränderung des alten Systems, wobei die getroffene

Übereinkunft nur so lange Gültigkeit und Stabilität hat, wie die gesamte

Machtkonstellation, in der sie getroffen wurde. Auf die Veränderung der Situation

wird, wenn notwendig, mit einer weiteren Inklusion oder Substitution der politischen

Akteure reagiert, und die alten Pakte durch neue Pakte ersetzt.14

13 Vgl. Rüb, S.119f. 14 Vgl. Rüb, S.120f.

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Ad 4) Politischen Institutionen können auch in Situationen entstehen, die ein

Machtvakuum (etwa bei Kapitulation) darstellen oder eine extreme

Machtkonzentration (z.B. Revolution) darstellen. Obwohl diese beiden Situationen

gegenteilige Extreme darstellen haben sie eine wichtige Gemeinsamkeit hinsichtlich

von Institutionen, deren Neugründung. Im Falle einer Kapitulation etwa besteht keine

Machtposition, da die alten Machthaber keine starke bzw. gar keine

Verhandlungsposition haben. Dadurch existieren auch keine Interessen, auf die man

Rücksicht nehmen müsste, wodurch die alten politischen Institutionen keinerlei

Wichtigkeit haben und neu gegründet werden müssen. Dabei sind die Ideen und die

Vorstellungen der Opposition wegweisend für die Neugründung. Das gleiche

Resultat unter anderen Rahmenbedingungen existiert bei einer Revolution bzw.

einem gewaltsamen Regierungssturz. Dadurch, dass alle Macht in den Händen der

Revolutionäre liegt, werden die Institutionen auch nach ihren Vorstellungen und

Ideen gestaltet. Dies hat in der Regel zur Folge, dass die politischen Institutionen

neu gegründet werden, oder die bestehenden radikal verändert werden. In beiden

Situationen ist die Notwendigkeit der Beständigkeit und der allgemeinen Akzeptanz

essentiell, wodurch keine Experimente bei der Gründung der Institutionen

durchgeführt werden sollten. Vielmehr werden oft bereits bestehende Muster von

politischen Institutionen aus anderen Systemen kopiert, wodurch die notwendige

Legitimation der Idee sichergestellt wird. Zudem wird so die Idee, in welche Richtung

sich die Institution entwickeln sollte, schnell gefunden, und die politische

Verantwortung für die Akteure minimiert. 15

Die Entscheidung wo und an welchem System bzw. welcher politischen Institution

Anleihe genommen wird durch zwei Optionen passieren. Einerseits in der Geschichte

des eigenen Landes bzw. in deren Epochen, die positiv besetzt sind. Andererseits

kann man sich auf Systeme beziehen, die sich in der gleichen Art und Weise

verändert haben und wie die Institutionen in diesen Systemwandeln gebildet

wurden.16

Die Anleihe an den Situation und politischen Landschaften in anderen Ländern oder

in der Geschichte des eigenen Landes bringt bestimmte Gefahren mit sich. Ein

Problem dabei ist die mögliche Übernahme von politischen Institutionen in ein

soziales, kulturelles und politisches Umfeld, das dafür nicht geeignet ist. Dadurch

besteht die Möglichkeit, dass die Ergebnisse nicht wie gewünscht, erhofft und

15 Vgl. Rüb, S.124f. 16 Vgl. Rüb, S.125f.

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erwartet eintreten. Wenn die Veränderung nicht die in sie gesetzten Erwartungen

erfüllen, dann werden sie über einen bestimmten Zeitraum gesehen nicht

angenommen und akzeptiert, wodurch eine erneute Krisensituation entstehen kann.

Dieser Entwicklung ist entgegenzuwirken, indem man nur Teilelemente in die

eigenen neu gegründeten Institutionen übernimmt. Dadurch werden, im günstigsten

Fall, Institutionen gebildet, die eigenen Elemente beinhalten und auf den fremden

Teilelementen aufbauen.

Eine weitere Gefahr sind eventuelle Veränderungen, die zu schnelle und

fundamentale institutionelle Reformen mit sich bringen. Dabei können die in diesen

Institutionen arbeitenden Personen überfordert werden, wodurch ihre Erwartungen

enttäuscht werden und ihr Vertrauen erschüttert wird. Dies hat wiederum zur Folge,

dass die Verantwortlichen sich in einer ähnlichen Situation sehen. Durch diese

doppelte Unsicherheit wird die Legitimität der neuen Institution erheblich vermindert.

Der dritte Punkt ist die Gefahr, dass die neuen Eliten in einem Machtvakuum die

Situation ausnützen, dass es noch keine ausgebildeten und klaren Interessen gibt.

Dadurch können sie leicht das Gefühl haben, dass sie freie Hand haben und ihre

eigenen Interessen durch die neuen Institutionen auf die Bevölkerung wirken lassen,

wodurch diese ihre Aufgaben und ihren Zweck verfehlen. Zudem sind sie nicht

ausreichend legitimiert und haben keine ausreichende problemspezifische

Lösungskompetenz.17

1.5.1.3. Wie demokratisch sind diese Institutionen?

Die Analyse hinsichtlich der effektiven und legitimen Arbeit von politischen

Institutionen, die nach den hier beschriebenen Kriterien gebildet wurden bzw. sich

entwickelt haben muss man auf durch die Aufteilung zwischen Regime und Staat

durchführen. Ein Regime reguliert den Zugang zur politischen Macht und die

Interaktion bzw. Behandlung der Machtlosen durch die Machtinhaber. Dabei kann es

institutionalisiert sein oder nicht. Ein Staat stellt demgegenüber mehr eine stabilere

Form von Herrschaft dar. Diese ist die Basis für eine soziale Beziehung zur

Gesellschaft und ist für deren Verwaltung, Kontrolle und die Verteilung der

Ressourcen verantwortlich. Wichtig ist diese Unterscheidung deshalb, weil

entstehende demokratische Regime auch mit autoritären Mitteln arbeiten können.

17 Vgl. Rüb, S.126f.

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Aus dieser Unterscheidung ergeben sich vier Kombinationen zwischen Regime und

Staat, die sich durch deren Grad an Effektivität und Legitimität feststellen lassen18.

1. Normative politische Organisationen. Diese existieren dann, wenn alle

Merkmale einer Demokratie vollständig ausgebildet sind. Diese

Institutionen haben nicht nur rechtliche sondern auch faktische Gültigkeit.

Die Regeln und Methoden zur Konfliktlösung sind allgemein anerkannt und

akzeptiert. In dieser Kombination besteht eine hohe Legitimität und eine

hohe Effektivität.

2. Nominelle politische Institutionen. In diesem Fall gelten zwar rechtlich alle

demokratischen Prinzipien, diese lassen sich allerdings realpolitisch nicht

umsetzen. Es existieren demokratisch gebildete Institutionen, die mit

demokratisch gewählten Vertretern besetzt sind. Diese haben jedoch keine

Möglichkeit ihre Arbeit effektiv durchzuführen, da sie keine ausreichenden

Problemlösungskapazitäten haben. Diese Systeme sind vielfach durch

informelle Kanäle geprägt. Hier ist die Legitimität hoch aber die Effektivität

sehr gering.

3. Nominative politische Institutionen. Diese Kombination kennzeichnet sich

durch ihre Entstehung durch einen demokratischen Prozess. Sobald die

Macht allerdings verteilt ist, ändern die Machthaber ihre Position und

nutzen ihre Möglichkeiten zur Durchführung der eigenen Interessen. Die

politische Landschaft und die Methoden werden sehr exklusiv und nicht

wirklich transparent. Die Arbeitsfähigkeit dieser Kombination bleibt

allerdings erhalten, wodurch allerdings nicht automatisch im Sinne der

Gesellschaft gehandelt wird. In diesem Fall ist die Legitimität sehr niedrig

aber die Effektivität sehr hoch.

4. Nomadische politische Institutionen. In diesem Gefüge dominiert der

Opportunismus bei der Gründung von Institutionen ebenso wie bei deren

Auflösung. Es ist gekennzeichnet von instabilen Regierungen und

oftmaligen opportunistischen Wechseln von politischen Koalitionen. Hier ist

weder die Effektivität noch die Legitimität sehr hoch.

18 Vgl. Rüb, S.128ff.

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1.5.2.Verschiedene Definitionen von Macht

In Transitionssystemen, wie in den nachfolgenden Institutionen und in der

Minderheitenfrage spielt die Kategorie Macht eine sehr entscheidende Rolle. Im

Laufe der Geschichte der Forschung der Internationalen Politik gab es sehr viele

verschiedene Theorien und Definitionen was Macht ist. Im Folgenden werden die

wichtigsten Definitionen dargestellt, wobei allerdings nicht ausführlich auf die

gesamte Theorie eingegangen wird, die hinter den einzelnen Theorien stecken, da

dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde und nicht den Hauptinhalt bzw. das

Ziel dieser Studie darstellt.

1.5.2.1.Ausgewählte Definitionen von Macht

Der Begriff Macht an sich ist eine soziale Beziehung, deren Auswirkungen, Ursprung

und Funktion nur schwer zu definieren ist. In der Geschichte der

Geisteswissenschaften wurde vielfach versucht, eine allgemein gültige Definition des

Begriffs Macht zu finden. Allerdings ist in den vielen Versuchen der Begriff Macht

beinahe ausschließlich in Kombination mit anderen Variablen zu verwenden bzw.

muss in solch einem Gebilde verstanden werden.

Im Realismus, der bereits in der griechischen Philosophie bei Thukydides (460-400

v.Chr.) Geschichte des Peloponnesischen Krieges seinen Ursprung hatte, wird

Macht das erste Mal als konstituierender und regulierender Faktor der Politik

angesehen. Einige wichtige realistische Denker sind Niccoló Machiavelli, Thomas

Hobbes, Friedrich Nietzsche und Max Weber.19

19 Vgl. Jacobs, Andreas (2003). Realismus, in: Schieder, Siegfried, Spindler, Manuela (Hrsg.) (2003). Theorien der Internationalen Beziehungen, Leske + Budrich, Opladen, S.36.

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1.5.2.1.1.Machtbegriff von Max Weber

Eine der bekanntesten Definitionen ist die von Max Weber, der den Machtbegriff der

klassischen Soziologie einführt hat:

„Macht ist jede Chance, in einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen gegen

Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, woraus diese Chance besteht.“20

Weber sieht Macht auch als soziologisch amorph an, was bedeutet, dass sie formlos

und nicht greifbar ist.

„Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen können

jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer gegeben Macht durchzusetzen.“21

Für Weber ist auch Herrschaft eine entscheidende Variable. Herrschaft stellt für ihn

eine spezielle Form von Macht dar. Er anerkennt, dass es noch weitere Formen gibt,

konzentriert sich in seinen Studien allerdings auf den Herrschaftsbegriff.

„Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren

Personen Gehorsam zu finden.“22

Ein essentieller Faktor für die Macht bei Weber ist die Legitimität der Herrschaft,

wobei sich je nach der Form der Legitimität die Form des Gehorsams, der sich

sowohl freiwillig wie auch unfreiwillig äußern kann, bestimmen lässt. Diese beiden

Formen stellen auch die beiden Pole in Webers Definition von Gehorsam dar.23

Weber unterscheidet schließlich drei reine Typen legitimer Herrschaft24:

1. rationalen Charakters: Glaube an die Legalität gesatzter Ordnungen und

des Ausweisungsrechtes der durch sie zur Ausübung der Herrschaft

Berufenen

20 Zitat Weber, Max (1990). Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Mohr, Tübingen, S.28. 21 Zitat Max Weber, S.28. 22 Zitat Max Weber, S.28. 23 Vgl. Treutler, Michael. Macht, http://gonzo.uni-weimar.de/~weber10/t-u-w/dokus/alpha/html/macht.htm 24 Vgl. Weber, S.122ff.

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2. traditionalen Charakters: Alltagsglaube an die Heiligkeit von jeher

geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autonomität

Berufenen (Personen) (ständisch)

3. charismatischen Charakters: außeralltägliche Hingabe an die Heiligkeit

oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person (‘Führer’)und der

durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen

1.5.2.1.2.Macht bei Hannah Arendt

Bei Hannah Arendt, einer bedeutenden politischen Theoretikerin des

20.Jahrhunderts, spielt neben Macht vor allem der Begriff Gewalt eine wichtige Rolle.

Wobei es entscheidend ist, dass Macht das Ziel ist, zu deren Erreichen es ein

geeignetes Mittel braucht. Durch die rasante technische Entwicklung sieht Arendt die

Mittel als bedeutender an als die Zwecke.25

„Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält“26

Für Arendt treten Gewalt und Macht zusammen auf und sind unterschiedlichen

Konstellationen zu beobachten. Allerdings ist die Gewalt dabei nur in

Ausnahmefällen die dominierende Komponente, da die Herrschaft jeglicher Form

über eine Machtbasis verfügen muss, die sich nicht nur auf Gewalt stützen kann.27

Als spezielle Form der Macht sieht sie die Staatsmacht an. So beschreibt sie das

Phänomen der Revolution, die durch den Gewaltausbruch aufgrund des Ziels des

Erreichens des Machtverlustes entsteht, wie folgt: „Wo Gewalt der Gewalt gegenübersteht hat sich noch immer die Staatsgewalt als Sieger erwiesen“28. Dies ist aber nur dann gültig, wenn

die Organe der Staatsmacht dieser gehorchen. Sie sieht auch die Notwendigkeit und

allgemeine Präsenz von Macht in jedem Gemeinschaftssystem, wogegen Macht

keinen solchen allgemeinen Gültigkeitsanspruch stellen kann. Aus diesem Grund

benötigt Macht, laut Arendt auch keine Rechtfertigung. Sie ist etwas Absolutes und

25 Vgl. Arendt Hannah (2003). Macht und Gewalt, TB, München, Zürich, S.41. 26 Zitat Hannah Arendt, S.45. 27 Vgl. Arendt, S.51. 28 Zitat Hannah Arendt, S.49

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ein „Selbstzweck“, der seine Legitimität in der Vergangenheit und seine

Rechtfertigung in den Zielen, die in der Zukunft erreicht werden wollen, zu finden.

Macht hingegen muss gerechtfertigt werden, was, laut Arendt, möglich ist, jedoch

spricht sie der Gewalt jede Möglichkeit der Legitimität ab.29

1.5.2.1.3.Macht bei Susan Strange

Im Gegensatz zum relationalen Machtbegriff, der bei Weber und den Realisten

vorherrscht und einem Akteur A die Fähigkeit zuspricht, dem Akteur B, auch gegen

dessen Willen, seinen Willen aufzuzwingen bzw. seine eigenen Interessen

durchzusetzen. Strange prägt den strukturellen Ansatz, da sie sehr viele Faktoren in

die diese Interessensdurchsetzung einfließen lässt. Einerseits ist Macht von diversen

Strukturveränderungen abhängig und andererseits wird sie von Verhandlungsformen

auf verschiedenen Eben geprägt. In ihrer Definition ist nicht der Einfluss auf die

territoriale Ebene oder auf die Menschen entscheidend, sondern die Möglichkeit der

Einflussnahme auf die Struktur und deren Veränderungen. Zudem ist strukturelle

Macht in verschiedenen miteinander verbundenen strukturellen Ebenen – wie etwa

Finanzstruktur, Wissensstruktur, Produktionsstruktur etc. – zu finden. Sie anerkennt

dabei die relationale Macht, sieht sie aber als zu vernachlässigen an.30

„Power is simply the ability of a person or group of persons to affect outcomes that their

preferences take precedence over the preference of others.“31

1.6. Allgemeines zur Methode

Die Arbeit folgt einem bestimmten Aufbau. Die Basis liefert eine Analyse der

Situation im Bereich Minderheitenschutz und die bisherigen Versuche der Definition

von Minderheiten. Auf dieser Basis wird dann ein Land, das sich in einem politischen

Umbruch bzw. Neuaufbau befindet allgemein hinsichtlich seiner politischen

Landschaft untersucht. Dabei werden die Machtinhaber und die Probleme

dargestellt. Aufbauend darauf wird eine policy-Analyse betrieben, die sich speziell

29 Vgl. Arendt, S.52ff. 30 Vgl. Bieling, Hans-Jürgen (2003). Internationale Politische Ökonomie, in: Schieder, Siegfried, Spindler, Manuela (Hrsg.) (2003). Theorien der Internationalen Beziehungen, Leske + Budrich, Opladen, S.368ff. 31 Zitat Strange, in: Bieling, S.239.

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auf die Minderheitendefinition und deren Schutz in der Verfassung konzentriert.

Schließlich wird nicht anhand eines Fallbeispiels die Problematik des

Minderheitenschutzes ebenso wie die Probleme bei denen angesetzt werden muss

untersucht.

Die Studie ist auf den deskriptiv-analytischen Ansatz der wissenschaftlichen

Forschung aufgebaut. Dabei basiert die Arbeit primär auf Literaturrecherche von

Originaltexten und Kommentaren sowie Analysen von Situationen. Dazu wurden

Zeitungen, Zeitschriften und Bücher ebenso verwendet, wie Verfassungstexte und

Originaldokumente diverser Organisationen oder Regierungen. Da die Forschung vor

Ort aufgrund der sicherheitspolitischen Lage und vergeblichen Versuchen der

Kontaktaufnahme mit Personen in der DRC nicht möglich war, stützt sich die

Argumentation teilweise auf Sekundärinformationen.

Es wurden auch Gespräche mit Einwohnern des Kongo geführt, die allerdings keinen

Interviewcharakter hatten und als Erfahrungsberichte und zur Absicherung diverser

Informationen dienten. Dabei handelte es sich um informelle Gespräche.

Informationen, die in diesen Gesprächen oder aus in diversen Quellen

unterschiedlich beschrieben werden, wurden nachgeprüft. Sollte durch diese

Nachprüfung auch kein eindeutiges Ergebnis erzielt werden, die Informationen vom

Autor allerdings für essentiell erachtet werden, werden sie angeführt; die Differenzen

in den Informationsquellen allerdings in den Fußnoten angeführt.

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35

2. Minderheitendefintion und Minderheitenschutz

2.1.Definition des Minderheitenbegriffs

Die Festlegung der Rechte von Minderheiten bzw. Personen, die Minderheiten

angehören, ist historisch betrachtet einfacher durchzuführen gewesen als eine

genaue und allgemein gültige Definition der Minderheiten an sich. In beinahe jeder

Phase der Entwicklung des Minderheitenschutzes kam es zu unterschiedlichen

Auffassungen, wie und durch welche Merkmale sich eine Minderheit definiert. Neben

den sich unterscheidenden Definitionsversuchen kam auch noch die Schwierigkeit

der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu tragen. Je nachdem welcher

Studienrichtung ein Forscher angehört, wird der Begriff Minderheit aus einem

anderen Blickwinkel betrachtet. Bis heute ist es nicht wirklich gelungen eine absolute

Definition des Minderheitenbegriffs zu finden. Allerdings gibt es einige Versuche und

dabei mehr oder weniger offiziell anerkannte Begriffsbestimmungen.32

2.1.1.Herkunft und Wortsinn

Etymologisch analysiert leitet sich der Begriff Minderheit von dem Wort „minder“ her.

„Minder“ ist ein germanischer Ausdruck, der eng mit den lateinischen Begriffen

„minus“, „minor“ und „minimus“ verwandt ist und leitet sich ursprünglich aus dem

Mittelhochdeutschen von „minre“ und „minner“ ab. Die Bedeutung dieser Worte wird

heute mit dem Begriff weniger beschrieben.33

Der Ausdruck Minderheit trat im deutschen Sprachraum erstmals 1809 als

Übersetzung aus dem Französischen in Erscheinung. Minderheit ist somit eine

Übersetzung des Fremdwortes „minorité“ bzw. „Minorität“, das durch die

Französische Revolution im deutschen Sprachraum Verwendung fand.34 Minderheit

bedeutet auch Minderzahl was unweigerlich mit Mehrheit bzw. Mehrzahl

zusammenhängt. Damit wird die Voraussetzung für das Bestehen einer Minderheit

deutlich. Nur wenn es eine „größeren Teil einer bestimmten Anzahl von Personen“,

32 Vgl. Eglin, Dieter (1996). Demokratie und Minderheiten – unter Berücksichtigung der Demokratie als Lebensform, der materiellen Schranken von Verfassungsrecht und Diskurstheorie, Peter Lang AG, Berlin, Bern, Frankfurt, New York, Paris, Wien, S.138. 33 Vgl. Krugmann, Michael (2004). Das Recht der Minderheiten. Legitimation und Grenzen des Minderheitenschutzes, Duncker & Humblot, Berlin, S.56. 34 Vgl. Eglin, S.138.

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respektive eine Mehrheit gibt, kann es auch eine Minderzahl bzw. Minderheit geben.

Um diese Bestimmung durchführen zu können, ist eine Definition der Gesamtmenge

von Nöten, damit durch eine Abzählung bei bestimmten Verfahrensweisen, wie z.B.

eine Wahl, eine Mehrheit bzw. eine Minderheit bestimmt werden können.35

2.1.2. Die Definition des Minderheitenbegriffs bis zur Französischen Revolution

Bis zum 18.Jahrhundert waren beinahe ausschließlich religiöse Minderheiten

gemeint, wenn dieses Thema diskutiert wurde. Das Römische Reich hatte innerhalb

der eigenen Grenzen eine schwierige Aufgabe zu lösen, da es auf einer sehr

heterogenen Gesellschaft basierte. Den Schwierigkeiten wurden versucht mit Hilfe

einer toleranten Religion sowie einer gemeinsamen Sprache beizukommen.

Allerdings behielten die ethnischen, religiösen und sprachlichen Gruppen, die durch

die Eroberungen Teil des Reiches wurden, trotz der Assimilationspolitik ihre

jeweiligen Eigenheiten. Bis zum Mittelalter gab es immer wieder Gruppen, die zwar in

sich eine Gemeinschaft bildeten, aber sich an die größere Bevölkerung, derer sie Teil

waren, durch Sprache und Religion anzupassen versuchten. Die Überlieferungen

innerhalb dieser Gruppen sowie die mangelnde Möglichkeit permanenter Kontrollen

der Obrigkeit bewahrten diese Gemeinschaften vor dem Aussterben.

Im Mittelalter spielten hauptsächlich religiöse Minderheiten eine Rolle, die sich gegen

das Christentum auflehnten. Andere Arten von Minderheiten waren damals nicht

Thema, da zwar in den meisten europäischen Ländern unterschiedliche ethnische

Gruppen zusammen lebten, der Begriff allerdings damals ebenso wenig bekannt war,

wie der Ausdruck Nation. Zudem konnte man kein einheitliches Rechtssystem

anbieten. Das System basiert auf Abhängigkeit und Gehorsam, wodurch nicht alle

Menschen die gleiche Position hatten, und die Rechte der einzelnen Gruppen von

der Toleranz der Autorität der jeweiligen Region abhing. Diese Unterschiede waren

von Region zu Region sehr verschieden, da eine Dezentralisierung der Macht

vorherrschte, die es den jeweiligen Herrschaftsbereichen ermöglichte, eigene

Traditionen und Gewohnheiten beizubehalten.36

Beim Augsburger Religionsfrieden vom 25.September 1555 kam es schließlich zur

Anerkennung der protestantischen Religion, was jedoch nicht gleichbedeutend mit

35 Vgl. Krugmann, S.56f. 36 Vgl. Gornig, Gilbert (2001) in: Blumenwitz, Dieter, Gornig, Gilber, Murswiek, Dietrich (Hrsg.) (2001). Ein Jahrhundert Minderheiten- und Volksgruppenschutz, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, S.21.

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einer rechtlichen Gleichstellung war. Die Religion wurde nach wie vor noch von dem

verantwortlichen Landesherrn gewählt bzw. bestimmt, nur die höheren Stände

konnten ihre Religion frei wählen. Diejenigen Untertanen, die sich der Religion nicht

anschließen wollten, konnten ungehindert auswandern. Der Augsburger

Religionsfriede wurde im Vertragswerk des Westfälischen Frieden noch einmal

bestätigt und festgeschrieben. Zu einem ähnlichen Edikt kam es in Nantes 1598,

wodurch die Hugenotten Anerkennung fanden.37

Zusammenfassend kann man festhalten, dass im Mittelalter und der frühen Neuzeit

die Bevölkerung aus verschiedenen Völkergruppen bestand, die nebeneinander

lebten. Dabei spielten weniger die ethnischen Wurzeln eine Rolle als die religiösen

Anschauungen der Menschen. Diese führten immer wieder zu Konflikten. Von einer

Definition eines Minderheitenbegriffs kann jedoch keine Rede sein.

2.2. Die Entstehung des Modernen Minderheitenbegriffs

Die Französische Revolution veränderte die gesellschaftliche Organisation und

brachte neue Konzepte der staatlichen und sozialen Ordnung mit sich. Durch die

Machtverlagerung – weg vom König auf das Volk – wurde der einzelne Bürger

wichtiger für die Gesellschaft und erlangte entscheidenden Einfluss auf das ganze

System. Jeder Mensch innerhalb des Staates hatte dieselben Rechte und Pflichten,

und man war darauf bedacht, jede mögliche Bedrohung für das einheitliche System

zu verhindern. Somit waren Minderheiten speziell in Frankreich nicht mehr

anerkannt, was auch in der französischen Deklaration des Menschen und Bürgers38

festgehalten wurde. Durch diese Erklärung wurde die Ungleichheit zwischen den

einzelnen Menschen und Gruppen praktisch aufgehoben.39

Zur damaligen Zeit war die Situation für Minderheiten nicht einfach, da sie sich durch

die neue Idee der Nation und des einheitlichen Staates bzw. des einheitlichen Volkes

nicht entfalten konnten. Diese Idee des gemeinsamen Ganzen in Form eines

Staatsvolks führte schließlich soweit, dass verschiedene Staatstheoretiker sogar die

Verfolgung von Minderheiten forderten, um jeglichen Partikularismus zu verhindern.

37 Vgl. Gornig, S.22f, sowie weiter oben. 38 Erklärt am 26.August 1789. (Anm. d. Autors) 39 Vgl. Gornig, S.23.

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Wenn diese Konzeptionen erfolgreich gewesen wären, hätten sie vielleicht zum

Aussterben von Minderheiten geführt. Dass dies nicht der Fall ist, liegt an der

Tatsache, dass sich die Staatsgrenzen nicht immer mit dem Staatsvolk decken

mussten. So gab es auch Gruppen, die sich über die Grenzen ihres eigenen Staates

hinaus entfalteten. Zusätzlich waren die Nationalstaatskonzepte teilweise zu

abstrakt, um die Situation der Minderheiten so stark beeinflussen zu können.40

2.2.1. Definition von Minderheiten bis zum Zweiten Weltkrieg

Im 19. und zu Beginn des 20.Jahrhundert wurden Regelungen zum

Minderheitenschutz in zwischenstaatlichen Verträgen festgelegt41 In diesen

Verträgen gab es allerdings im Regelfall keine Minderheitendefinition, da es sich bei

den in den jeweiligen Abkommen behandelten Menschen um spezifische Gruppen

handelte. Obwohl man zwischen drei Minderheitengruppen unterschied –

sprachliche, ethnische, religiöse –, wurden lediglich zwei davon als in den Verträgen

zu schützende eingestuft – die ethnischen und religiösen Minderheiten. Trotz dieser

Einteilung wurden die Minderheiten bzw. der Begriff nicht genau definiert.42

1.6.2.2.Der Minderheitenbegriff in der Zwischenkriegszeit

In die Entscheidungsfindung dieser Verfahren bezüglich der eingereichten Petitionen

war auch der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) in Den Haag eingebunden,

da er zu dieser Zeit das juristische Organ des Völkerbundes darstellte. Dazu fällte er

mehrere Rechtsgutachten, unter anderem eines, in dem es um wechselseitige

Auswanderung respektive die Frage der Gemeinschaften ging. Da dieses Gutachten

jedoch dem Minderheitenschutz zugeordnet wurde, setzte der StIGH den Begriff

„Gemeinschaften“ durch den Begriff „Minderheiten“ gleich und definierte sie als:

„By tradition…the ´community´ is a group of persons living in a given country or locality,

having a race, religion, language and traditions of their own and united by this identity of

race, religion, language and traditions in a sentiment of solidarity, with a view to

preserving their traditions, maintaining their form of worship, ensuring the instruction and 40 Vgl. Gornig, S.23f. 41 Vgl. weiter unten 42 Vgl. Gronig, S.24f.

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upbringing of their children in accordance with the spirit and traditions of their race and

rendering mutual assistance to each other.“43

Diese spezielle Definition bezog sich nur auf die Situation zwischen Griechenland

und Bulgarien, in deren Zusammenhang das oben erwähnte Gutachten beschlossen

wurde. Da sich allerdings diese Entscheidung explizit auf die Gesamtheit des

Minderheitenschutzes bezog, ist davon auszugehen, dass diese Definition auch auf

andere Entscheidungen im Bereich Minderheitenschutz Anwendung fand. Diese

Annahme wird dadurch unterstützt, dass die Definition auch zu späteren

Bestimmungen des Begriffs Minderheit herangezogen wurde.44 Wichtig und bei

dieser Definition zu beachten ist die erstmalige Verwendung von verschiedenen

Kriterien. So sind auf der einen Seite die vier objektiven Kriterien, Rasse, Religion,

Sprache und Tradition und andererseits das subjektive Kriterium, das

Solidaritätsgefühl der Angehörigen charakteristisch für eine Minderheit. Allerdings

betonte der StIGH, dass diese Definition keinen juristischen Gehalt habe.45

2.2.3.Definitionen von Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg

Das allgemeine Völkerrecht sowie die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es

Minderheiten nationaler, sprachlicher, ethnischer und religiöser Natur gibt. Eine

Definition des Begriffs Minderheit existiert jedoch weder im allgemeinen Völkerrecht

noch in der Satzung der Vereinten Nationen. Während die UNO in ihren Arbeiten

immer wieder ohne eine Definition des Begriffs Minderheit oder Gruppe auskam,

findet man im partikulären Völkerrecht wiederholt Erklärungen oder Festlegungen der

Bedeutung der genannten Begriffe. Trotzdem bestanden seitens der Vereinten

Nationen Bemühungen, doch eine Definition formulieren zu können. Die größte

Schwierigkeit dabei stellte die allgemeine Anerkennung durch die Vielzahl der

Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dar.46

43 Entscheidung des StIGH VII (1929/30); Zitat in: Thornberry, Patrick (1997). The UN Declaration on the Rights of Persons belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities: Background, Analysis, Observations, and an Update; in: Phillips, Alan, Rosas, Allan (Hrsg.) (1997). Universal Minority Rights, Åbo Akademis tryckeri, Åbo, S.16-17. 44 Vgl. Scherer-Leydecker, Christian (1997). Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen. Eine Studie zur kulturellen Identität im Völkerrecht, Berlin Verlag A. Spitz GmbH, Berlin, S.41f. 45 Vgl. Gornig, S.27. 46 Vgl. Ermacora, Felix (1988). Der Minderheitenschutz im Rahmen der Vereinten Nationen, Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagbuchhandlung GmbH, Wien, S.39.

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Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Arbeit an dem Aufbau einer Organisation, die

ein System Kollektiver Sicherheit darstellen sollte, im Vordergrund. Im Rahmen der

Gründung der Vereinten Nationen sollte auch die Allgemeine

Menschenrechtserklärung (AMRE) beschlossen werden. In den Vorarbeiten zu

dieser kam es auch zu Versuchen einer Definition von Minderheiten. Der erste

Vorschlag einer Minderheitenschutzbestimmung enthielt folgende Definition von

Minderheit:

„In States inhabited by a substantial number of persons of a race, language or religion

other than those of the majority of the population…”47

Diese Definition wurde von der Unterkommission zur Verhinderung von

Diskriminierung und zum Schutz der Minderheiten, als diese zu den Arbeiten

hinzugezogen wurde, wieder aufgegriffen und etwas modifiziert. Ihr Vorschlag

lautete:

„well defined ethnic, linguistic or religious groups which are clearly distinguished from the

rest of the population, and which want to be accorded differential treatment.“48

An dieser Definition wurden immer wieder kleine Korrekturen vorgenommen. Man

kann nicht von einer allgemein anerkannten Definition sprechen, da viele Staaten

sich nicht auf eine gemeinsame Begriffsbestimmung einigen konnten. Es gab trotz

der AMRE keine einheitliche Bestimmung zum Minderheitenschutz. Verschiedene

weitere Vorschläge konnten ebenso nicht verabschiedet werden, da sich die

Mehrheit der Länder dagegen aussprach. Dadurch beschloss man, sich mit der

Definition der Minderheiten zu beschäftigen. Zu diesem Thema wurde 1950 in der

Unterkommission eine Resolution „on definition of minorities for purposes of

protection by the United Nations“ verabschiedet. Nach einer nochmaligen Änderung

in einer weiteren Tagung enthielt die Resolution folgende Fassung eines

Minderheitenbegriffs:

„… Recognizing that there are among nationals of many states distinctive groups, usually known

as minorities, possessing ethnic, religious, or linguistic traditions or characteristics different from

47 Zitat in: Scherer-Leydecker, S.48. 48 Zitat in: Scherer-Leydecker, S.49.

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those of the rest of the population, and that among these are groups that need to be protected by

special measures, national and international, so that they can preserve and develop the

traditions of characteristics in question;…“49

Diese Auslegung hatte einige Jahre Bestand und wurde vereinzelt als allgemein

gültige Definition angesehen. Allerdings, da die HRC das Mitgliedstaatenspektrum

nicht repräsentierte und auch keines der anderen Gremien diese Definition akzeptiert

hatte, kann man dieser Auffassung nicht folgen. Diese Resolution kann lediglich als

Auslegung von Experten gesehen werden, die in der Unterkommission als Mitglieder

tätig waren, galt jedoch nicht als allgemein anerkannte Begriffsdefinition.50

Von diesen vielen, während des Völkerbundes und den Arbeiten zur Vorbereitung

des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR)

entstandenen, Definitionen wurde schließlich keine im Artikel 27, der sich mit dem

Minderheitenschutz beschäftigt, verankert. Der Minderheitenbegriff wurde offen

gelassen bzw. zur freien Interpretation freigegeben. Durch die Formulierung des

Artikels ist anzunehmen, dass keine Legaldefinition innerhalb des IPBPR

beabsichtigt war.51

Eine Wiederbelebung der Arbeit im Bereich Minderheitenschutz erfuhren die

Vereinten Nationen, als die Unterkommission 1969 in einer Resolution von der HRC

und des ECOSOC ermächtigt wird, einen Sonderberichterstatter einzusetzen. Die

Unterkommission entschied sich daraufhin in einer Abstimmung für den italienischen

Juraprofessor Francesco Capotorti zum Spezialberichterstatter. Dieser wurde

beauftragt, eine Studie zu erstellen, die vor allem auf eine Definition des

Minderheitenbegriffs abzielte und die Stellung von ethnischen, religiösen und

sprachlichen Gruppen in den verschiedenen Gesellschaften analysieren sollte.

Seine 1977 abgeschlossene Arbeit, die den Titel „Study on the rights of persons

belonging to ethnic, religious and linguistic minorities” trägt, wurde der

Unterkommission vorgelegt und trägt folgende Definition des Minderheitenbegriffs:

„A minority is a group numerically inferior to the rest of the population of a State, in a

non-dominant position, whose members – being nationals of the State – possess ethnic,

religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and 49 Zitat in: Scherer-Leydecker, S.72. 50 Vgl. Gornig, S.27ff. 51 Vgl. Krugmann, S.57f.

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show, if only implicitly, a sense of solidarity, directed towards preserving their culture,

traditions, religion or language.”52

Zusätzlich zu dieser Definition empfahl Capotorti, eine Erklärung hinsichtlich eines

allgemeinen Minderheitenschutzes auszuarbeiten, um die im IPBPR festgehaltenen

Rechte für Minderheiten für die Vertragsstaaten, die den Pakt unterzeichnet hatten,

zu konkretisieren. Die Unterkommission griff diesen Vorschlag auf und empfahl der

HRC, eine Deklaration über die Minderheitenrechte basierend auf Artikel 27 des

IPBPR zu verfassen.53

2.2.4.Charakteristika des Minderheitenbegriffs von Capotorti

Der Minderheitenbegriff von Francesco Capotorti wurde zwar noch weiterentwickelt

und verfeinert54, gilt jedoch als der am weitesten verbreitete und kommt dem, was

man als allgemeine Definition bezeichnen kann wahrscheinlich am nächsten. Diese

Bestimmung enthält fünf wichtige Merkmale, die eine Minderheit kennzeichnen:

zahlenmäßige Unterlegenheit, die nicht herrschende Stellung, die Existenz von

ethnischen, religiösen oder sonstigen Unterschieden im Vergleich zum

Mehrheitsvolk, ein Solidaritätsgefühl in Bezug auf Kultur, Tradition oder Sprache und

die Staatsbürgerschaft.55

1.) Zahlenmäßige Unterlegenheit

Hinsichtlich dieses Merkmals untersucht man eine bestimmte Personengruppe auf

zwei Ebenen. Einerseits passiert die Analyse auf der Ebene des Gesamtstaates, und

andererseits wird die regionale Situation untersucht. Dabei ist das Verhältnis der

Gruppe zur Gesamtzahl des ganzen Staates entscheidend. Es besteht die

Möglichkeit, dass die potentielle Minderheit in einer bestimmten Region durchaus die

Mehrheit der dort lebenden Bevölkerung darstellt. Somit ist die Anzahl der Personen

52 Zitat Capotorti in: U.a. Scherer-Leydecker, S:78; Gornig, S.29, Fußnote 45; Ermacora, S.43. 53 Vgl. Scherer-Leydecker, S:77f. 54 Siehe Kapitel Minderheitendefinition von Felix Ermacora. (Anm. d. Autors) 55 Vgl. Röper, Matthias (1993). Das Problem der Definition des Begriffes Minderheit, in: Gabriel, Ingeborg (Hrsg.) (1993). Minderheiten und die nationale Frage. Die Entwicklung in Mittel- und Südosteuropa im Lichte der katholischen Soziallehre, Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien, S.81f.

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nur hinsichtlich der Gesamtzahl der Bevölkerung eines Staates wichtig für die

Bestimmung dieses Kriteriums.56

Eine höchst umstrittene Frage in Bezug auf die numerische Unterlegenheit ist die

Diskussion um die Möglichkeit eines partiellen Minderheitenstatus. Dabei wird

diskutiert, ob die Möglichkeit besteht, dass ein Teil einer Mehrheit in bestimmten

Gebieten als Minderheit gesehen werden kann. In der Forschung besteht vielfach die

Auffassung, dass die Zielvorstellungen des Minderheitenschutzes, wie z.B. die

Erhaltung der Minderheitenidentität in Fällen von regionalen Minderheiten nicht

wirklich wichtig, und diese somit nicht als Minderheiten einzustufen sind.57

Als Gegenargument dazu wird angeführt, dass es immer wieder zu

Assimilationsdruck von regionalen Mehrheiten gegenüber Minderheiten kommt. Dies

trifft speziell dann zu, wenn die Mehrheiten auch eine starke Regierungsposition

haben. Um solche regionalen Minderheiten durch Minderheitenschutz im engeren

respektive nationalen Rahmen schützen zu können, erscheint die Aufnahme solcher

Minderheiten in den „Minderheitenbegriff“ logisch. Allerdings besteht nach wie vor

keine einheitliche Meinung zu diesem Thema.58

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob eine Minderheit

eine gewisse Mindestzahl haben sollte oder nicht. Dabei steht vor allem die

Überlegung im Vordergrund, ob bestimmten Gruppen ein Minderheitenschutz erst zu

Gute kommen sollte, wenn sie ausreichend repräsentiert wäre. Um dies feststellen

zu können, müsste eine bestimmte Untergrenze an Personen festgelegt werden.

Eine Möglichkeit wäre die Einführung eines prozentualen Anteils an der

Gesamtbevölkerung. Als Gegenargument hiezu wird angeführt, dass es doch primär

um den Schutz der Minderheit an sich geht und es deshalb keine Beschränkung auf

einen Personenkreis geben darf, der eine bestimmte Zahl an Personen umfasst. Man

müsste die Gruppe – unabhängig, wie viele Personen sie umfasst – an sich auf ihre

Schutzbedürftigkeit untersuchen. Dieses müsste allerdings nach anderen Kriterien

geschehen und nicht nach der zahlenmäßigen Unterlegenheit. Somit ist die

Entscheidung von Fall zu Fall zu treffen.59

Der Begriff Minderheit kann auch auf mehrere Minderheiten, die in einem Staat

nebeneinander leben, angewandt werden. Dadurch ist nicht die klassische Situation

56 Vgl. Krugmann, S.63. 57 Vgl. Niewerth, Johannes (1996). Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten und ihre Durchsetzung im Völkerrecht, Duncker & Humblot GmbH, Berlin, S.32f. 58 Vgl. Niewerth, S.33. 59 Vgl. Krugmann, S.64f.

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entscheidend, in der eine große Mehrheit einer einzigen Minderheit

gegenübersteht.60

Schließlich ist die generelle Frage zu stellen, in wie weit dieses Kriterium Gültigkeit

hat? Wenn man Beispiele heranzieht, wie etwa die schwarze Mehrheit in diversen

afrikanischen Staaten, ist eine Minderzahl kein bedeutendes Kriterium für einen

Minderheitenstatus.61

Kritik des Autors

Wie auch schon in der Erklärung angeführt gibt es zu viele Beispiele für Länder oder

Konstellationen in Staaten in denen der größere Bevölkerungsteil nicht die

Machtposition innehat. Aus diesem Grund wird deutlich, dass die geringere Zahl ein

nicht entscheidendes Merkmal zur Bestimmung einer Minderheit ist. Zudem gibt es

eine Unmenge an Minderheiten, die als solche anerkannt sind, aber eine größere

Zahl haben als andere Gruppen desselben Landes. Würde es nun nach diesem

Kriterium gehen, so würde diese Minderheit den anderen Gruppen gegenüber eine

Mehrheit darstellen.

So ist dem grundsätzlich zuzustimmen, dass eine geringere Zahl an Mitgliedern eine

Minderheit darstellt, diese aber lediglich im mathematischen Sinn und nicht

zwangsläufig als Minderheit, wie sie in dieser Studie definiert wird.62

2.) Keine herrschende Stellung

In Zusammenhang mit diesem Kriterium ist Auffassung bzw. Verwendung des

Begriffs Herrschaft in mehrerer Hinsicht problematisch. Ein wichtiger Faktor ist die

Legitimation der Herrschaft innerhalb eines Staates. In Demokratien – so wird in der

Theorie vorausgesetzt – gibt es dieses Problem nicht, da die Angehörigen des

Volkes zugleich Herrscher und Beherrschte sind. In nicht-demokratischen

Gesellschaften ist die Legitimation nicht von beiden Seiten gewährleistet, wodurch

die Staatsform nicht zur Definition des Minderheitenbegriffs herangezogen werden

kann.63

60 Vgl. Niewerth, S.34. 61 Vgl. Krugmann, S:65. 62 Vgl. Minderheitendefinition im Schlussteil. (Anm. d. Autors) 63 Vgl. Krugmann, S,66.

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Wenn man davon ausgeht, dass in einer Demokratie das Verhältnis zwischen dem

herrschenden Teil und dem beherrschten Teil idealtypisch gelöst ist, fallen unter den

hier zu erklärenden Minderheitenbegriff nur Personen, die keine Staatsangehörigen

sind. Da Staatsangehörigkeit jedoch auch ein Kriterium der Minderheitendefinition

von Capotorti ist, kann der Begriff nicht in diesem Sinne verstanden, respektive

verwendet werden.64

Wenn ein Staat in Form einer Demokratie regiert und das Modell der Repräsentation

verwirklicht wird, ist eine Definition von Minderheiten zusätzlich erschwert, da man

zwischen Personen unterscheiden muss, die am Herrschaftsprozess beteiligt und

solchen, die nicht beteiligt sind. Die zweite Gruppe fällt klar unter die Gruppen, die

eine nicht herrschende Stellung einnehmen. Schwierig wird es, wenn die Personen

am Herrschaftsprozess in irgendeiner Form, wie z.B. durch ein Parlamentsmandat

oder eine Koalitionsbeteilung als schwächere Partei, beteiligt sind. Es wäre gegen

den Sinn der Minderheitendefinition, diese Gruppen vor die Wahl zu stellen, an der

Regierung beteiligt zu sein oder den Status einer Minderheit inne zu haben. Um dies

zu umgehen, könnte man den Status einer möglichen Minderheit dahingehend

formulieren, dass diese keine einflussreiche Stellung haben sollte bzw. darf. Da die

Befugnisse schwer zu trennen sind und dies für jeden Einzelfall wieder speziell zu

untersuchen wäre, kann man festhalten, dass die eine Gruppe von Menschen, die

eine nicht herrschende Stellung innehat, nur eine Minderheit sein kann, wenn keine

Befugnisse respektive Möglichkeiten vorhanden sind, um alleine Entscheidungen zu

treffen. Die Situation zwischen den beiden Gruppen in nicht-demokratischen

Systemen ist meist klarer definiert, weil die Positionen sehr stark polarisieren.65

Allerdings ist das Kriterium der nicht herrschenden Stellung nicht nur auf die

politische Macht zu reduzieren. Vielmehr ist dieses Merkmal auch auf die

wirtschaftliche, soziale und kulturelle Stellung einer Gruppe innerhalb des Staates hin

zu untersuchen.66 Die Gruppe der Weißen in Südafrika stellt zwar zahlenmäßig eine

Minderheit dar, konnten aber nicht als solche im völkerrechtlichen Sinn anerkannt

werden. Erst durch die geänderte Gesellschaftsstruktur und die damit verbundene

Schwächung der Position der Weißen, könnte diese Gruppe rein völkerrechtlich auch

als Minderheit angesehen werden.67 Dem Ziel des Minderheitenschutzes würde als

64 Vgl. Krugmann, S.66f. 65 Vgl. Krugmann, S.66f. 66 Vgl. Ermacora, S.43 u. Niewerth, S.34f. 67 Vgl. Niewerth, S.34f.

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allerdings weiterhin widersprechen, die Weißen in Südafrika als zu schützende

Minderheit anzuerkennen.68

Schließlich ist allerdings die Schutzbedürftigkeit einer Minderheit, die in Demokratien

an der Machtausübung beteiligt ist, zu hinterfragen. Die Frage ist, ob es einen

besseren Schutz als die Möglichkeit, an der Machtausübung unmittelbar teilnehmen

zu können, gäbe. Hier ist die Problematik, dass der Terminus „Schutzbedürftigkeit“ in

der Definition Capotortis nicht enthalten ist. Aus diesem Grund sind die Meinungen in

der Wissenschaft geteilt, ob der Begriff weiter zu differenzieren sei69 oder nicht.70

Kritik des Autors

Auch in diesem Fall ist die Kritik bereits in der Erklärung enthalten. Die Bezeichnung

„keine herrschende Stelle“ ist sehr leicht irreführend, da in demokratischen Systemen

die Herrschaft bzw. Macht, die Politik zu bestimmen, in der Regel auf mehrere

Parteien bzw. das Parlament verteilt ist. Somit besteht durchaus die Möglichkeit für

Minderheitengruppen, die Politik auf gewisse Art und Weise mitzugestalten. Sollte

dies allerdings nicht der Fall sein, so besteht eine Diskriminierung. Im Verständnis

sowie der Minderheitendefinition in dieser Studie ist dies eine Notwendigkeit für das

Zugeständnis des Status als Minderheit. Somit erscheint es dem Autor logischer und

allgemeiner, dieses Kriterium mit „Zugang zum politischen System“ zu bezeichnen. In

Diktaturen stellt sich die Situation wieder anders dar. In solchen Systemen kann, da

oftmals kein Teil der Bevölkerung realen Zugang zum politischen System hat, dieses

Kriterium nicht als Charakteristikum für eine Minderheit gelten.

3.) Religiöse, sprachliche oder ethnische Eigenschaften

a.) Religiöse Minderheiten

Als eine religiöse Minderheit wird eine Gruppe bezeichnet, die sich eindeutig zu einer

Religion bekennt und diese auch ausübt. Um dies tun zu können, ist die

Religionsfreiheit notwendig, die zwei Elemente hat. Einerseits das Recht eine

Religion anzunehmen, und andererseits die Freiheit, eine Religion auf

68 Vgl. Ermacora, S.43f. 69 Vgl. Krugmann, S.67f. 70 Vgl. Ermacora, S.43f u. Niewerth, S.34f.

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verschiedenste Arten auszuüben. Beide Elemente sind völkerrechtlich durch den

Artikel 18 des IPBPR geschützt.71

Um eine Minderheit nach religiösen Maßstäben zu sein, muss diese Gruppe einer

Religion angehören, die sich von der der Mehrheit unterscheidet. Dies trifft auch auf

atheistische Gesellschaften zu. Die Wahl der Religion, die nach Artikel 18 IPBPR

jedem/r frei steht, ist ein subjektives Kriterium, das als Bestimmungsmerkmal einer

Minderheit ausreicht. Durch diese Wahlmöglichkeit eröffnet sich auch für einzelne

Personen die Chance, zu einer anderen Religion zu wechseln und dadurch eventuell

auch Mitglieder einer Minderheit zu werden. Ohne objektives Merkmal ist allerdings

die Bestimmung einer Minderheitengruppe nicht möglich bzw. unzureichend. Eine

objektive Betrachtung sollte vorwiegend an die Tradition anknüpfen. Dieser Ansatz

hat zur Folge, dass sich nur die lang bewährten, traditionellen Religionen als

Kriterium für eine Minderheitenbestimmung eignen. Somit würden neuere Religionen

keine wichtige Rolle für den Minderheitenschutz spielen bzw. nicht davon erfasst

werden. Unabhängig davon ist der Wechsel von einzelnen Menschen zwischen den

Religionen wesentlich und teilweise notwendig, um für diese das Überleben zu

sichern.72

b.) Sprachliche Minderheiten

Grundsätzlich sind die Merkmale bezüglich Bestimmung hinsichtlich der sprachlichen

Eigenschaften ähnlich wie die der religiösen Eigenheiten. Der einzige Unterschied

ist, dass die sprachlichen Merkmale ausschließlich objektiver Natur sind. Die

sprachliche Selbstständigkeit einer Gruppe ergibt sich, wenn diese schriftlich

und/oder mündlich, öffentlich oder privat eine Sprache verwendet, die weder

Nationalsprache oder Dialekt ist und von der Mehrheitssprache abweicht. Dadurch,

dass in dieser Definition auch die rein mündliche Sprache erfasst wird, ist der Kreis

der Sprachminderheiten sehr weit zu ziehen. Erst bei den Dialekten kommt es zu

einer Grenzziehung, denn diese sind nicht mehr als eigene Sprachen anerkannt.73

71 Vgl. Thornberry, S.191, Anmerkung 1. 72 Vgl. Krugmann, S.71ff. 73 Vgl. Krugmann, S.71ff.

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c.) Ethnische Minderheiten74

Die Definition als ethnische Minderheit ist im Vergleich zu Sprache und Religion sehr

schwierig. Dabei ist vor allem der Begriff Ethnizität75 mit Vorsicht zu genießen, denn

dabei wird sehr oft vergessen, dass dieser neben genetischen auch kulturelle und

historische Elemente enthält. Dabei ist auch sehr wichtig, dieses Kriterium von dem

Begriff Rasse, der bis 1950 von der Unterkommission benutzt wurde, klar

abzugrenzen, da dieser nur genetische Elemente enthält.76 So kann eine Minderheit

auch existieren, wenn es keine biologischen Gemeinsamkeiten gibt. Allerdings ist es,

wenn es genetische Eigenschaften einer Gruppe gibt, immer eine ethnische

Minderheit.77

Das ethnische Kriterium ist im Vergleich zu den bisher erläuterten Charakteristika die

eher exklusiven Effekt haben sollten, ein konstituierendes Element für Minderheiten.

Allerdings ist Ethnizität ein Begriff, der viele Facetten und Unterbegriffe in sich

vereint. Da dieses Kriterium nun eine Basis schaffen soll, um den

Minderheitenschutz relativ generell gestalten zu können, wäre eine genauere

Definition des Begriffs von Vorteil.78

Die sprachlichen und religiösen Eigenheiten sind regelmäßig Charakteristika von

ethnischen Minderheiten. Allerdings sind beide bzw. jedes für sich keine

notwendigen Kriterien für eine Klassifizierung einer ethnischen Minderheit als solche.

Dementsprechend ist jedoch auch die gemeinsame Ethnizität, wie die beiden

anderen, keine zwingende Eigenschaft einer Minderheit.79

Eine weitere Eigenschaft einer ethnischen Minderheit ist ein

Gemeinschaftsbewusstsein, das jedoch schwer zu bestimmen bzw. zu messen ist.

Dennoch wird es in der Wissenschaft und den Vereinten Nationen als wichtiges

Element einer ethnischen Minderheit angeführt.80

Kritik des Autors

Diese Einteilung ist schwierig, da durch die kulturellen Merkmale oftmals nur eine

faktische Minderheit entsteht. Damit ist die Größe der Minderheit gemeint. Wenn 74 Ethnische Minderheiten werden an anderer Stelle ausführlicher behandelt. (Anm. d. Autors). 75 Für ausführlichere Informationen siehe Kapitel Ethnizität. (Anm. d. Autors) 76 Vgl. Thornberry, S.159f. 77 Vgl. Niewerth, S.68f. 78 Vgl. Krugmann, S.69. 79 Vgl. Niewerth, S.37f. 80 Vgl. Ermacora, S.46; Krugmann, S.73;

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etwa nur ein Teil der Bevölkerung einer bestimmten Konfession angehört, die sich

von der restlichen Bevölkerung unterscheidet, ist diese zwar praktisch eine

Minderheit, aber nur durch die geringere Anzahl der Personen. Zu einer Minderheit

wie hier definiert, wird diese Gruppe erst durch eine Diskriminierung und

Ausgrenzung, die aufgrund der Religion entsteht. Selbiges gilt für die Sprache sowie

die ethnische Herkunft. Allerdings ist Ethnizität aufgrund des vielseitig auslegbaren

Verständnisses etwas schwieriger einzugrenzen.

4.) Solidaritätsgefühl

Ein schwieriges Kriterium ist die Feststellung des Solidaritätsgefühls der einzelnen

Mitglieder zur Minderheit. Dieses Kriterium ist ausschließlich subjektiv. Diese

Eigenschaft wurde von Capotorti in seine Definition aufgenommen, weil er

befürchtete, dass Gruppen, die sich von der Mehrheit eindeutig durch die erwähnten

Merkmale unterscheiden, ihren Minderheitenstatus auf lange Sicht nicht beibehalten

können, weil der Wille und die Solidarität innerhalb der Gemeinschaft fehlen könnten,

die gemeinsame Tradition und Kultur weiterzugeben.81

Ein nur nach innen ausgelebtes Solidaritätsgefühl kann zur Konstituierung einer

Minderheit nicht ausreichen, deshalb muss der Zusammenhalt auch nach außen

gezeigt werden. Das hat den Hintergrund, dass eine Minderheit auch als solche nach

außen erkennbar sein muss, da man der Gruppe sonst keine Schutzbedürftigkeit

zusprechen kann. Diese Tatsache ist dahin gehend auch gefährlich, da ein solches

Zeigen von Solidarität und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe in manchen Fällen den

Grund für eine Diskriminierung darstellen können.82

Solidaritätsgefühl ist deshalb ein subjektives Kriterium, weil es beeinflussbar und

veränderbar ist. Auch in Zusammenhang mit Religion ist bereits in gewisser Art und

Weise ein bestimmter Grad an Solidarität von Nöten, um sich mit der Religion sowie

deren Gläubigen identifizieren zu können. Diese Tatsache wird allerdings in diesem

Zusammenhang oft übersehen oder als selbstverständlich angesehen. Ähnliches ist

auch hinsichtlich der sprachlichen Minderheiten zu beobachten.83

Die Meinungen in der Wissenschaft über die Gültigkeit des Solidaritätsgefühls als

Bestimmungsmerkmal sind geteilt. Viele hinterfragen die Notwendigkeit dieses

Kriteriums. Das Problem ist, dass selbst wenn das Solidaritätsgefühl einer/s 81 Vgl. Niewerth, S.38. 82 Vgl. Krugmann, S.78f. 83 Vgl. Niewerth, S.38ff.

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einzelnen Angehörigen einer Minderheit nicht mehr vorhanden ist, die genetischen

Eigenschaften – sofern diese vorhanden sind – weiter bestehen. Die Betroffenen

können somit auf ihre Rechte als Minderheitsangehörige verzichten, obwohl sie

faktisch noch dazu gehören.84

Kritik des Autors

Solidaritätsgefühl als Kriterium zu verwenden ist durch den ausschließlich

subjektiven Charakter nicht wissenschaftlich. Das Solidaritätsgefühl ist nicht messbar

und kann nur eingeschätzt werden. Aus diesem Grund kann es nicht als Merkmal

einer Minderheit herangezogen werden und muss separat, als ergänzende

Information behandelt werden. Eine weitere Frage, die sich bei dem Begriff

Solidarität stellt ist, wie sie sich äußert bzw. zu bestimmen ist; ob das durch verbale

Äußerungen geschieht oder durch Aktionen bestätigt werden muss. Außerdem ist

nicht klar, ob das Solidaritätsgefühl einer einzelnen Person zu werten ist, das von

mehreren Personen oder das der gesamten Gruppe. Ein weiterer strittiger Punkt ist

die Möglichkeit, sich zu mehreren Gemeinschaften zugehörig zu fühlen, wodurch

sich die Frage stellt, welche dieser Identitäten die wichtigste. Auch, ob diese

miteinander kollidieren bzw. sich gegenseitig blockieren.

Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass ein Volk mit einem gemeinsamen Namen

bezeichnet wird, sich allerdings in unterschiedliche Gruppierungen bzw. Stämme

unterteilt. Diese einzelnen Stämme können durchaus untereinander verfeindet sein,

jahrzehntelange Fehden austragen oder in weit voneinander entfernten Regionen

leben und dennoch als eine gemeinsame Minderheit gelten. Als Beispiele hierfür sind

die Yanumami85 und die Pygmäen, die Gegenstand dieser Arbeit sind, anzuführen.

Diese Unklarheiten bezüglich des Begriffes machen es unmöglich, ein Gefühl als

normatives Kriterium einer Definition zu verwenden. Man kann es, wenn es gelingt,

es mess- und bestimmbar zu machen, als ergänzendes Charakteristikum einer

bestimmten Minderheit verwenden, nicht aber zu deren Definition.

84 Vgl. Krugmann, S.79ff. u. Niewerth, S.38f. 85 Die Yanumami sind ein Urwaldvolk, das im Amazonas lebt und in der ersten Hälfte des 20.Jahrhundert entdeckt wurde. (Anm. d. Autors)

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5.) Staatsbürgerschaft

Dieses Kriterium ist vermutlich der brisanteste Punkt der Charakteristika der

Minderheitendefinition, da es einige Konsequenzen mit sich bringt. Der Internationale

Pakt über Politische und Bürgerliche Rechte (IPBPR) ist grundsätzlich für alle gültig,

wie es in Art. 2 festgehalten ist. Er beinhaltet jedoch einige Artikel, die sich nur auf

einzelne Gruppen beziehen. Die Auslegung von Art. 27, der ja für den

Minderheitenschutz wichtig ist, ist nicht wirklich klar definiert und lässt viel Spielraum

für Interpretation.86

Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass Ausländer – Personen, die nicht in Besitz

der Staatsbürgerschaft sind – keine Rolle bzw. keinen Anspruch auf

völkerrechtlichen Minderheitenschutz innerhalb eines Staates haben, da sie einer

lediglich faktischen oder soziologischen Minderheit angehören. Ausländer müssten

somit unter dem Fremdenrecht bzw. dem Ausländerrechts des jeweiligen Staates

behandelt werden. Staatenlose fallen weder unter die eine noch die andere

Rechtssprechung87.

Das Interesse der Staaten kann somit darin liegen, das Konfliktpotential, das in

Zusammenhang mit Minderheiten entsteht, so gering wie möglich zu halten und

deshalb den Minderheitenbegriff auszuweiten. Andererseits liegt das Interesse der

Staaten sicherlich auch darin, die Minderheiten ihres Staates, die nicht auf dem

Souveränitätsgebiet beheimatet sind, in jeglicher Form zu schützen und zu

unterstützen.88

Ein weiteres Dilemma bezüglich dieses Kriteriums ist die Tatsache, dass die

Anerkennung der Staatbürgerschaft durch ein mit Mehrheitsbeschluss

verabschiedetes Gesetz erfolgt. Somit sind die Angehörigen einer (potentiellen)

Minderheit schon von der Mehrheit abhängig, um ein wichtiges Kriterium für den

Minderheitenstatus überhaupt erfüllen zu können. Das Problem ist nun, wenn man

sich entscheiden sollte, diese Voraussetzung in der Definition wegzulassen, dann

würde man die Staaten der Migration der Minderheiten wehrlos aussetzen. Wenn alle

sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind und diese Gruppen sofort den

Minderheitenstatus erhalten würden, wären die Staaten gezwungen, jegliche Art von

Minderheit zu schützen. Schwierig wird die Situation hinsichtlich der Ausländer. Hier

86 Vgl. Krugmann, S.73. 87 Vgl. Krugmann, S.74. 88 Vgl. Krugmann, S.75.

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herrscht die Meinung vor, dass das Kriterium der Staatsbürgerschaft teilweise

ersetzbar sein sollte.89

Ein Vorschlag eines möglichen Ersatzes ist eine Idee, die bereits im Völkerbund

Anwendung fand. Damals gab es die Regelung, dass man über einen bestimmten

Zeitraum in einem Gebiet ansässig sein muss. Dies ist eine spezielle Art von

Ausländerregelung. Diese sieht für den Wechsel des Aufenthaltsortes einer Person,

der durch diverse Umstände wie z.B. Staatszerfall hervorgerufen wurde, ohne die

Staatsbürgerschaft anzunehmen, spezielle Rechte dieser Person vor. Schwierig

dabei ist die Definition des Zeitraums, in dem sich die Betroffenen in der für sie

neuen Heimat aufhalten müssen. In dem völkerrechtlichen Schrifttum wird die Dauer

mit „mehreren Jahrzehnten“90 definiert. Jegliche Dauer muss sich dem Vorwurf der

Willkür stellen, da es keine allgemeine Definition für den Zeitraum gibt. Es gibt viele

unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema, wobei eine Gruppe, die seit drei

Generationen in diesem Land lebt, allgemein Anerkennung findet.91

Kritik des Autors

Hinsichtlich der Staatsbürgerschaft ist eine Argumentation sehr schwierig, da es auf

das jeweilige Staatssystem ankommt. Wenn ein Staat in sich zerrüttet und von

Bürgerkrieg gezeichnet ist bzw. sich in einem solchen befindet, dann ist das Thema

Staatsbürgerschaft ein nicht akzeptables Kriterium. Einerseits besteht die

Möglichkeit, dass es kein demokratisches System ist, und die Staatsbürgerschaft

willkürlich oder nur eingeschränkt vergeben wird. Andererseits kann die Regierung

zerrüttet und nicht allgemein anerkannt sein und im Post-Kriegszustand keine

umfassende Staatsgewalt ausüben, wodurch die Vergabe der Staatsbürgerschaft

ebenfalls ein schwieriges Verfahren darstellt. Grundsätzlich ist Staatsbürgerschaft

aber ein wichtiger Punkt, den es zu untersuchen gilt, wenn eine Minderheit bestimmt

werden muss.

89 Vgl. Krugmann, S.76f. 90 Zitat in: Studnitz, v. E.-J. (1993). Politische Vertretungen von Minderheiten- und Volksgruppenrechten auf verschiedenen staatlichen und zwischenstaatlichen Ebenen, in: Blumenwitz (1993), S.18. 91 Vgl. Krugmann, s.77ff.

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2.2.5..Exkurs

2.2.5.1.Ethnizität

Ethnizität als solche gewann speziell in Europa erst in der Renaissance eine große

Bedeutung. Durch die Revolutionen, der Bildung der Nationalstaaten und dem damit

verbundenen Prozess der Vereinheitlichung wird die Rolle der ethnischen Gruppen

immer wichtiger. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass sich durch die

entstandenen Nationen gleichzeitig auch dementsprechende Mehrheiten gebildet

haben, wodurch die ethnischen Gruppen zu Minderheiten wurden. Allerdings gibt es

für Ethnizität es unterschiedliche Konzepte, Ansichtsweisen und Verwendungen in

der sozialwissenschaftlichen Forschung.

Friedrich Heckmann, ein deutscher Politikwissenschafter und Soziologe, untersucht

das soziologische Konzept Ethnizität, indem er den genetischen Faktor bzw. die

biologische Komponente völlig außer Acht lässt. Er unterscheidet dabei einzelne

Kategorien, die sich in dem Begriff bzw. Konzept Ethnizität verbinden.

Heckmann erklärt, dass der Begriff Ethnizität als solcher erst seit der Studie

„Ethnicity. Theory and Experience“ von Glazer und Moynihan, eine wichtige Rolle in

der Minderheitenforschung spielt. Der Autor listet dabei eine Reihe von

Einzelaspekten verschiedener Wissenschafter auf und versucht schließlich anhand

der Konzepte von Esser und Nassehi ein allgemeines Konzept von Ethnizität zu

entwerfen.92

Die Arbeit Essers ist auf die traditionellen Theorien von Weber, Marx, Parsons und

Luhmann aufgebaut, deren Thesen zum Thema ethnische Differenzierung und

moderne Gesellschaft er untersucht und kritisch unter die Lupe genommen hat. Allen

erwähnten Theorien ist gemein, dass sie von einem Verschwinden der ethnischen

Differenzierung in der modernen Gesellschaft ausgehen, wogegen Esser

argumentiert, dass gerade die Moderne eine solche Differenzierung fördert.

Allgemein sieht Esser schließlich in der zunehmenden Bedeutung von Ethnizität eine

Modernisierungslücke, die, wenn sie geschlossen würde, als Grundlage für ethnische

Differenzierung entfiele.93

Nassehi hingegen kritisiert Esser, dass dieser den von ihm kritisierten Theoretikern

doch Recht gibt, indem er die ethnischen und nationalen Semantiken aus dem

92 Vgl. Heckmann, Friedrich (1992). Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter-ethnischer Beziehungen, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, S.56. 93 Vgl. Heckmann, S.33f.

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Diskurs der Moderne ausblendet. Nassehi selbst geht davon aus, dass nicht mehr

Religion, Sprache und eigene Geschichtsschreibung die Kategorien sind, die eine

Identität definieren, sondern durch neue ethnische Semantiken ersetzt wurde.94

Grundsätzlich wird in der Forschung über Ethnizität in zwei unterschiedliche Arten

von Theorien unterschieden, primordiale und situationale. Die beiden Forscher, die

sehr eng mit den jeweiligen Theorien in Verbindung gebracht werden, sind Geertz

(Primordiale) und Barth (Situationale).

In Geertz Theorie wird angenommen, dass Ethnizität und ethnische Gruppenbildung

zu den Grundbedingungen der menschlichen Existenz gehören. Zu solchen

Gegebenheiten gehören des Weiteren Nachbarschaft und Lebensverbindung. Neben

diesen sind auch Gegebenheiten inkludiert, „die davon herrühren, daß man in eine bestimmte

religiöse Gemeinschaft geboren wurde, dass man eine bestimmte Sprache oder sogar einen

bestimmten Dialekt spricht und bestimmten sozialen Praktiken folgt.“ Geertz erklärt in seiner Theorie weiter:

„Diese Übereinstimmungen des Blutes, der Sprache, der Sitten usw. haben in sich und

treiben aus sich heraus ungeheure und zeitweilig überwältigende Konsequenzen. Man

ist an seinen Verwandten, seinen Nachbarn, seinen Glaubensbruder ipso facto

gebunden, nicht nur aufgrund persönlicher Anziehung, taktischer Notwendigkeit,

gemeinsamen Interesses oder auferlegter moralischer Verpflichtungen, sondern letztlich

zu einem erheblichen Teil durch die Kraft einer unbeschreiblichen absoluten Bedeutung,

die den besonderen Bindungen selbst zugeschrieben wird.“95

Daraus wird deutlich, dass die Menschen nicht als Individuen geboren werden

respektive ihr Leben verbringen, sondern in diversen Bereich an andere Individuen

gebunden sind. Entweder werden diese Bindungen durch diverse Interessen

gestärkt, oder sie sind latent und kommen erst bei bestimmten Gelegenheiten zum

Vorschein und werden für die Durchsetzung von Interessen benutzt.96

Die situationale Theorie hingegen betrachtet den anderen Aspekt und sieht in

Ethnizität nicht notwendigerweise den Grund für die Bildung von ethnischen

Gruppen. Vielmehr stellt diese eine Möglichkeit dar, sich in Gruppen

zusammenzuschließen, wenn eine solche Zusammenarbeit für die Durchsetzung von 94 Vgl. Heckmann, S.34f. 95 Zitat Geertz, Clifford, in: Rex, John (1990). „Rasse“ und „Ethnizität“ als sozialwissenschaftliche Konzepte, in: Dittrich, Eckhardt, J., Radke, Frank-Olaf (Hrsg.) (1990). Ethnizität. Wissenschaft und Minderheiten, Westdeutscher Verlag, Opladen, S.146. 96 Vgl. Rex, S.146f.

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Interessen dient. Somit kann Ethnizität entweder bei Interessensdurchsetzung zum

Vorschein kommen, oder latent bleiben, wenn es der Zusammenarbeit eher dienlich

ist.97 Die Konzentration der Forschungen der Vertreter dieser Theorie liegt auf den

oberflächlichen Merkmalen von verschiedenen Gruppenkoordinationen. Dabei ist

speziell die Situation, in denen sich Gruppen aufgrund ihrer Ethnizität

zusammenschließen und sich gegen andere Gruppen organisieren, wichtig für die

Untersuchung, da dies regelmäßig in Situationen von rassischen oder ethnischen

Konflikten geschieht. Um die Situationen richtig untersuchen zu können, muss man

zuerst die Charakteristika anführen, die durch diverse andere Studien in Bezug auf

rassische und ethnische Konflikte und ebensolche Gruppen festgestellt wurden. So

kann erstens festgehalten werden, dass es gewisse primordiale Prämissen gibt, die

in einerseits biologische Faktoren und andererseits in territoriale und kulturelle

Beziehungen unterteilt werden können. Diese Prämissen gibt es immer, und sie

können somit auch latente Grundlage des Zusammenschlusses einer ethnischen

Gruppe sein. Daraus ergibt sich auch das zweite Charakteristikum, das darin liegt,

dass diese latenten Prämissen jederzeit aktiviert werden können, wenn es darum

geht, einzelne Menschen zu Gruppen zusammenzuschließen. Trotzdem diese

Zusammenschlüsse oft nur zur Durchsetzung bestimmter Interessen entstehen, so

kann es Situationen geben, in denen die oben erwähnten latenten Eigenschaften

evident bleiben und dadurch ethnische Gruppen respektive Gruppierungen

hervorbringen. Schließlich können viertens auch noch Situationen entstehen, die den

entstandenen Konflikt so schwerwiegend werden lassen, dass die Dominanz einer

Gruppe gegenüber der anderen so groß wird, sodass ständige ethnische Konflikte

entstehen.98

Durch die oben angeführten Beispiele wird deutlich, dass die beiden Theorien

komplementär verwendet werden bzw. je nach Fallbeispiel angewandt werden

können und werden. Heckmann definiert Ethnizität wie folgt:

„Ethnizität bezeichnet die für individuelles und kollektives Handeln bedeutsame

Tatsache, daß eine relativ große Gruppe von Menschen durch den Glauben an eine

gemeinsame Herkunft, durch Gemeinsamkeiten von Kultur, Geschichte und aktuellen

Erfahrungen verbunden sind und ein bestimmtes Identitäts- und Solidaritätsbewusstsein

besitzen.“99

97 Vgl. Heckmann, S.33. 98 Vgl. Rex, S.147f. 99 Zitat in: Heckmann, S.56.

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Diese Definition entspricht auch der hier verwendeten Annahme des Begriffs, wobei

festgehalten werden muss, dass der Autor die biologischen Faktoren, die zweifelsfrei

ein Teil von Ethnizität sind, unter der Formulierung „…gemeinsame Herkunft…“

versteht.

2.2.6.Minderheitenbegriff von Felix Ermacora

Felix Ermacora, der sich sehr intensiv mit dem Thema Minderheitenschutz

auseinandersetzt, erachtet es für notwendig, die allgemeine Definition von Capotorti

zu erweitern, um die verschiedenen Minderheiten, die in den Vereinten Nationen

behandelt werden sollen, mit einzubeziehen. Dabei sieht er zwei Aspekte, die für

eine möglichst umfassende Definition wichtig sind – einen soziologischen und einen

rechtlichen Gesichtspunkt. Letzterer gliedert sich wieder in drei Teilbereiche, nämlich

die innerstaatliche, die regionale und die völkerrechtliche Rechtslage. Entscheidend

in diesem Fall ist, dass die völkerrechtliche Ebene über der innerstaatlichen steht, da

andernfalls schwer eine allgemein gültige Minderheitenschutzregelung zu erzielen

wäre. Die Definition hinsichtlich der soziologischen Auslegung ist deshalb absolut

notwendig, da nur mit Hilfe einer solchen Begriffsbestimmung die Hauptaufgabe des

Minderheitenschutzes, eine der Schutz diverser Rechte sowie der Kampf gegen

Menschenrechtsverletzungen, möglich ist. Erst durch eine Definition kann eine

Minderheit als solche erkannt und geschützt werden.100

Ermacora ist der Ansicht, dass die Definition von Capotorti die von allen am

weitesten gefasste ist. Trotzdem bedarf es noch Ergänzungen, um sich mit allen

verschiedenen Minderheiten auseinander setzen zu können, die Ermacora auflistet.

Er beginnt damit, die von den Vereinten Nationen in den fünfziger Jahren zu Gunsten

des Begriffs „ethnische Minderheiten“ aufgegebene Einteilung in rassische und

nationale Minderheiten wieder aufzugreifen, da Ermacora sie für unverzichtbar hält.

Als Grund dafür sieht er die Verwendung des Begriffs Rasse, der biologisch zu

verstehen sei und Gruppen oder Individuen bezeichne, die über spezielle genetische

und/oder physische Veranlagungen verfügen. Diese Bestimmung ist seiner Meinung

nach sehr spezifisch für Ureinwohner eines bestimmten Landes und hätte dann

große Bedeutung, wenn ein Gruppen- bzw. Zugehörigkeitsgefühl besteht und es gilt,

die Ureinwohner als „Volk“ oder als „Minderheit“ zu bestimmen, wie sie in

100 Vgl. Röper, S.83.

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unterschiedlichen Artikeln des IPBPR101 definiert sind. Zu dem Element „Rasse“

kommen noch weitere charakteristische Elemente wie Religion, Sprache und

Ethnizität. Aus diesem Grund schlägt er folgende Ergänzungen zur Definition

Capotortis vor, wobei er sich am Recht der Vereinten Nationen orientiert102:

Religiöse Minderheiten: Solche Minderheiten bekennen sich zu einer Religion, die

sich von der Staatsreligion und dem religiösen Bekenntnis der Mehrheit des Volkes

unterscheidet. Als religiöse Minderheit ist speziell auch eine Personengruppe

anzuerkennen, die sich zu einer Religion bekennt, während die

Bevölkerungsmehrheit atheistische Tendenzen verfolgt, eine freie Ausübung von

Religion verboten ist und die Gruppe an deren Ausübung interessiert ist.103

Rassische Minderheiten: Solche Minderheiten haben ihre eigene Geschichte, Kultur

und Sprache. Die Mitglieder dieser Gruppen müssen sich über ihre Zugehörigkeit zur

Gruppe bewusst sein und unterscheiden sich von anderen Teilen der Bevölkerung

speziell durch biologische Faktoren.104

Sprachliche Minderheiten: Als solche Minderheiten werden Gruppen bezeichnet,

deren Mitglieder sich öffentlich und/oder privat in Wort und/oder Schrift einer eigenen

Sprache bedienen, die sich von der allgemein anerkannten und angewandten

Sprache in dem jeweiligen Gebiet unterscheidet und diese nicht als Nationalsprache

angesehen wird. Als vorrangiges Interesse der Gruppe gilt der Schutz dieser

Sprache.105

Ethnische Minderheiten: Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die ihre eigene

Sprache, Kultur und Geschichte besitzt und ein Gruppenbewusstsein und -gefühl

aufweist. Wichtig hierbei ist, dass die Mitglieder dieser Gruppen ihre Besonderheiten

schützen bzw. aufrechterhalten wollen.106

101 Volk wird in Artikel 1 des IPBPR definiert und „Minderheiten“ in Artikel 27. (Anm. d. Autors) 102 Vgl. Röper, S.84 u. Ermacora, S.44f. 103 Vgl.Ermacora, S.45. 104 Vgl. Ermacora, S.45. 105 Vgl. Ermacora, S.46. 106 Vgl. Ermacora, S.46.

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Nationale Minderheiten: Hinsichtlich dieser Gruppe von Minderheiten kritisiert

Ermacora indirekt die Tatsache, dass es keine ausreichende Abgrenzung respektive

Unterscheidung zwischen nationaler, ethnischer und sprachlicher Minderheit im

internationalen Recht gibt. Er definiert eine nationale Minderheit als Gruppe, die über

alle notwendigen Charakteristika einer ethnischen Minderheit verfügt, zudem

allerdings den Willen aufweist, als Gruppe die Rechte wahrzunehmen, die es ihr

ermöglicht, am politischen Prozess auf einer bestimmten Ebene bzw. einem

bestimmten Gebiet teilzunehmen, ohne dadurch den Status als Minderheit zu

verlieren.107

2.2.7. Weitere ausgewählte Definitionen

2.2.6.1. Emerich K. Francis

Für Emerich K. Francis definiert sich eine Minderheit als eine Gesamtheit von

Personen, „die im jeweiligen gesellschaftlichen Ganzen durch charakteristische

Merkmale hervorstechen und in einem typischen Verhältnis zur Mehrheit stehen.“108

Diese sehr weit gefasste Definition war für Francis sinnvoller als eine spezielle und

eng angelegte Bestimmung. Grund dafür war einerseits die Möglichkeit, mehrere

Aspekte und unterschiedliche Auffassungen mit einzubeziehen. Andererseits sah

Francis das Problem darin, dass man bei einer engeren und präziseren

Begriffsbestimmung die einzelnen Merkmale nicht verwenden könnte, da diese

unterschiedlich seien und je nach historischer Betrachtung wechseln könnten.

Grundsätzlich besteht die Definition von Francis aus vier Elementen. Diese sind das

gesellschaftliche Ganze, die charakteristischen Merkmale, das spezifische Verhältnis

zur Mehrheit sowie die Mehrheit selbst. Die Bedeutung der einzelnen Teile ist

differenziert, und die Wichtigkeit verschiebt sich je nach Fallstudie bzw.

Betrachtungsweise.109

Francis sieht im ersten Element, dem gesellschaftlichen Ganzen, entweder die

Staatsnation, die Bevölkerung eines Staates oder eine andere Gesamtgesellschaft.

Eglin sieht die Notwendigkeit der ausdrücklichen Erwähnung von Staatsnation und

Staatsbevölkerung als nicht notwendig, da die Gesamtbevölkerung diese beiden

107 Vgl. Ermacora, S.46. 108 Zitat Francis, Emerich K., in Francis, Emerich K. (1960). Minderheiten, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.)(1960). Staatslexikon. Recht – Wirtschaft - Gesellschaft, Bandangabe 5, Freiburg, Sp.715. 109 Vgl. Eglin, S.149.

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Begriffe ohnehin abdecken würde und diese spezifische Ausprägungen seien. Er

kritisiert, dass in diesem Verständnis die kleineren sozialen Ebenen, in denen

Minderheiten existieren können, außer Acht gelassen werden.110

Die charakteristischen Merkmale einer Minderheit beurteilt Francis durch Rasse,

Kultur, Religion und Volkstum bzw. Nationalität. Dabei wird speziell der Bereich

kulturelle Merkmale sehr allgemein gehalten, da z.B. Sprache, Sitte oder äußerliche

Merkmale wie etwa Trachten darunter fallen. Das Problem hinsichtlich dieses

Aspekts ist die Tatsache, dass die Definition der charakteristischen Merkmale sehr

eng gefasst ist, weil sie hauptsächlich auf subjektive Aspekte abzielt. Minderheiten

sind allerdings auch oft durch diverse objektive Charakteristika111 zu bestimmen.

Außerdem finden in dieser Bestimmung von Francis die politischen Minderheiten

keine Erwähnung, da sie nicht unter den Bereich Kultur fallen. Diese stellen

allerdings eine wichtige Gruppe dar.112

Der dritte Teil ist das Verhältnis zur Mehrheit, worunter die strukturelle Unterordnung,

die Herrschaft, die Feindschaft oder die Herabsetzung und die ungleiche Behandlung

fallen. Dabei werden sämtliche Konstellationen zusammengefasst, die auch in der

Definition von Capotorti unter dem Ausdruck „nicht herrschende Stellung“ verwendet

werden.113

Die Mehrheit an sich wird von Francis als zahlenmäßig überlegenes Teilgebilde der

Gesellschaft, als Element der Gesellschaft, das Herrschaft ausübt oder als

Gesamtgesellschaft bezeichnet. Bei dieser Kategorie ist ein Problem der

Bestimmung von Minderheiten gut gelöst, da das qualitative und das quantitative

Merkmal114 in die Charakterisierung miteinbezogen werden, und somit verschiedene

Standpunkte mit diesem Argument erklärt werden können.115

2.2.6.2.Definition von William M. Newman

Die Bestimmung von Newman ist im Vergleich zu der von Francis etwas spezifischer

und weniger abstrakt. Er sieht Minderheiten als Gruppierungen von Personen, „that

vary from the social norms and archetypes in some manner, are subordinate with

110 Vgl. Eglin, S.149. 111 Solche sind z.B. Esseigenschaften (Vegetarier) oder sexuelle Orientierung. (Anm. d. Autors); vgl. u.a. Eglin, S.150) 112 Vgl. Eglin, S.149f. 113 Vgl. Eglin, S.150. 114 Unter das qualitative Merkmal fallen Diskriminierung und Behandlung, während die quantitative Bestimmung nur die reine zahlenmäßige Überlegenheit beinhaltet. (Anm. d. Autors) 115 Vgl. Eglin. S.150.

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regard to the distribution of social power, and rarely constitute more than one-half of

the population of the society in which they are found.”116 Nach dieser Definition muss

in der jeweiligen Gesellschaft ein Normenkonsens vorherrschen, von dem sich die

Minderheiten offensichtlich durch ihre sozialen Normen und Verhaltensweisen

abheben. Dies ist eine sehr objektive Definition, da die Minderheiten nach ihrem

Abweichen durch eben solche Merkmale beurteilt, respektive bestimmt werden.117

Zu diesem Element muss ein deutlicher Machtunterschied zu Gunsten der Mehrheit

bestehen. Außerdem sieht Newman in seiner dritten Voraussetzung die

zahlenmäßige Unterlegenheit als essentielles Merkmal einer Minderheit. Durch das

Wort „…rarely…“ wird jedoch auch eine mögliche andere Konstellation bezüglich der

numerischen Situation mit eingeschlossen.118

Diese erwähnten Theorien – speziell die Capotortis und Ermacoras – sind die am

meisten anerkannten Theorien in diesem Bereich. Trotzdem erscheinen sie dem

Autor aufgrund der angeführten Kritikpunkte nicht wirklich adäquat für die hier

durchgeführte Studie. Aus diesem Grund wird am Ende der Analyse aufbauend auf

den Ergebnissen versucht, eine eigene Minderheitendefinition zu formulieren und die

dem Autor notwendig erscheinenden Kriterien zu definieren bzw. zu erklären.

2.3. Persönliche Kategorien zur Bestimmung von Minderheiten

Grundsätzlich ist an den Kriterien Capotortis sowie der Erweiterung Ermacoras als

solche nicht viel auszusetzen, da es durch die Argumentation und die Hintergründe

der Definitionen deutlich wird, wieso diese als Kriterien gewählt wurden. Jedes

einzelne Element ist in sich schlüssig und in der Minderheitenbestimmung ein

wichtiges Kriterium. Allerdings ist der Autor der Meinung, dass die einzelnen

Elemente nicht ausreichen, um eine Bestimmung von Minderheiten durchführen zu

können. Zudem werden einige wichtige Felder des sozialen Systems eines Volkes

nicht miteinbezogen.

Generell ist zu sagen, dass die ersten Merkmale sehr allgemein sind und spezifische

Situationen für einzelne Minderheiten nicht zur Genüge erklären bzw. bestimmen

können. Die Charakteristika sind nicht für Einzelfälle anzuwenden und aus dem

116 Zitat Newman, William M., in: Eglin, S.150. 117 Vgl. Eglin, S.150f. 118 Vgl. Eglin, S.151.

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Grund nicht ausreichend. Das könnte auch ein möglicher Grund sein, wieso die

erklärten Kriterien nicht allgemein anerkannt sind.

Hinsichtlich der einzelnen Punkte sind die Kritiken bereits angeführt. Ergänzend ist

noch zu erwähnen, dass ein Solidaritätsgefühl der Meinung des Autors nach kein

entscheidendes Charakteristikum einer Minderheit ist.

Die Gültigkeit der Kriterien Capotortis ist nicht anzuzweifeln, allerdings wird hier

durch den Autor versucht, eine eigene Klassifikation von Kriterien durchzuführen.

Dies wird hinsichtlich des weiteren Inhalts der Arbeit als schlüssig und Ziel führend

erachtet. Der Grund dafür ist, dass an späterer Stelle eine Analyse der sozialen

Integration der Pygmäen in das System der Demokratischen Republik Kongo

durchgeführt wird. Zu diesem Zweck werden diverse Ebenen untersucht und, um

eine schlüssige Argumentation durchführen zu können, werden die

Merkmalsbestimmungen einer Minderheit an diese Ebenen angepasst definiert.

Grundsätzlich stützen sich diese Kriterien nicht so sehr auf allgemeine Elemente zur

Definition von Minderheiten sondern versuchen, die jeweilige untersuchte

Volksgruppe hinsichtlich Kriterien zu untersuchen, die in einem größeren Kontext zu

sehen sind. So wird die Einteilung aufgrund sozioökonomischer Kriterien

vorgenommen, um die Situation bereits hinsichtlich ihrer Integration bzw. Isolation in

der Gesellschaft des jeweiligen Landes zu untersuchen. Aus diesem Grund sieht die

folgende Einteilung nachstehende Kriterien vor:

a.) Kulturelle Kriterien

b.) Soziale Kriterien

c.) Ökonomische Kriterien

d.) Juridischer Kriterien

Anhand dieser Kriterien ist – wie in der Folge dargestellt wird – eine unfassende

Analyse über den Status eines Volkes bzw. einer Volksgruppe zu treffen, wodurch

schließlich auch eine Einstufung als Minderheit entschieden werden kann.

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2.3.1. Kulturelle Kriterien

Diese Kriterien decken sich sehr stark mit der Einteilung, die Ermacora getroffen hat.

Allerdings möchte sich der Autor hier nicht darauf beschränken, die Minderheiten

nach ihren kulturellen Charakteristika zu kategorisieren, sondern sieht sie als

Eigenschaften, die zur Definition bzw. Bestimmung des Minderheitenstatus einer

Gruppe dienen. Einige Argumente wurden schon an anderer Stelle ausführlich

erläutert und werden hier teilweise lediglich der Vollständigkeit halber angeführt,

jedoch nicht ausführlicher behandelt. Sollten sich die Argumente mit denen

Ermacoras decken, wird darauf hingewiesen.

2.3.1.1. Sprache

Die Sprache kann in verschiedener Weise zur Einstufung als Minderheit beitragen.

Dabei ist von der Situation auszugehen, dass die Sprache der Gruppe sich nicht mit

der offiziellen Landessprache deckt. Bei gleicher Sprache ist dieses Kriterium nicht

geeignet, um den Status einer Gruppe einzustufen.

Grundsätzlich stellen Sprachbarrieren Hindernisse dar, die Gruppe in den Rest der

Bevölkerung einzugliedern. Allerdings muss man untersuchen, wie groß die

Probleme zwischen den einzelnen Teilen wirklich sind. So etwa, ob die zu

analysierende Gruppe die offizielle Landessprache beherrscht oder nicht. Wenn sie

sie beherrscht liegen die Gründe für die mangelnde Integration nicht im Bereich der

Sprachbarrieren. Dadurch würde das Kriterium Sprache nicht mehr in die

Minderheitendefinition miteinbezogen werden können. Ausnahme ist die freiwillige

Verweigerung der jeweiligen Gruppe, die Sprache zu benutzen, wodurch sie sich

selbst quasi in eine diskriminierende Situation manövriert und somit durchaus als

Minderheit angesehen werden können.

2.3.1.2. Religion

Religion unabhängig gesehen ist kein Kriterium, das definitiv zu einer

Minderheitenbestimmung herangezogen werden kann. Religion kann allerdings

durchaus eine Ursache für Diskriminierung sein, wenn die untersuchte Gruppe keine

Religion hat oder einer anderen als die Mehrheit der Staatsbürger angehört. Dadurch

kann es zu Ausgrenzung und Nicht-Anerkennung kommen. Dies ist allerdings in der

Regel nur dann der Fall, wenn im Staat keine Religionsfreiheit besteht, oder die

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Religion nicht offiziell anerkannt ist. Sollte dies der Fall sein, dann wird die Gruppe zu

einer religiösen Minderheit, wie sie Ermacora beschreibt. Allerdings ist eine andere

Religion nicht automatisch ein Faktor zur Einstufung einer Minderheit. Vielmehr sind

die Randbedingungen und die Rechtslage des Staates dafür entscheidend, ob die

Gruppe als Minderheit eingestuft werden muss oder die Gruppe nur einer anderen

Konfession angehört.

2.3.1.3. Ethnizität

Der Begriff Ethnizität ist sehr vielseitig zu verstehen und aus diesem Grund wird hier

auch ein eigenes Kapitel zu dessen Erklärung verwendet. Grundsätzlich werden

durch die Ethnizität die gemeinsame Geschichte sowie die Werte der Gruppe bzw.

der jeweiligen Kultur in den Vordergrund gerückt. Sollten diese Werte, wie etwa

Sprache, Religion, Herkunft etc., von denen des Restes der Einwohner des Staates

divergieren, ist die Gruppe schon als „anders“119 zu sehen. Sollte dieses Verständnis

der anderen Kultur der untersuchten Gruppe von der Mehrheit der Bevölkerung zu

einer Ab- bzw. Ausgrenzung führen, dann ist die Gruppe als Minderheit einzustufen.

Ethnizität ist aber auch eine mögliche Basis für ein Zusammengehörigkeitsgefühl

innerhalb der Gruppe, wodurch sich die Gruppe auch selbst abgrenzen kann. Unter

dieser Abgrenzung wird hier der Versuch verstanden, die eigenen kulturellen,

sprachlichen und religiösen Wurzeln bzw. Anschauungen nicht mit jenen des

Großteils der Bevölkerung zu vermischen. Durch dieses Verhalten manövriert sich

die untersuchte Gruppe in manchen Fällen selbst in eine Minderheitenposition.

2.3.2. Soziale Kriterien

Diese Gruppe umfasst die meisten und objektiv betrachtet die wichtigsten Punkte zur

Einstufung einer Gruppe bzw. zur Bestimmung deren Minderheitenstatus. Sie enthält

verschiedene Bereiche, die eine generelle Analyse der Gruppe in sich sowie

innerhalb der gesamten Gesellschaft ermöglichen. Dabei steht vor allem der Zugang

zu wichtigen Einrichtungen bzw. die Möglichkeit, diverse Grundrechte in Anspruch zu

nehmen im Vordergrund. Grundsätzlich ist in allen folgenden Punkten nicht von

119 Unter anders ist hier die Unterscheidung gemeint. Die Verwendung des Begriffs impliziert hier keine wie auch immer gearteten negativen Konnotationen. Der Autor möchte lediglich auf die Tatsache hinweisen, dass diese Unterscheidungen vom Rest der Bevölkerung wahrgenommen und oftmals als nicht gleich somit anders gesehen werden. (Anm. d. Autors)

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deren Exklusivität zu sprechen. Viele Aspekte hängen auch von der Entwicklung und

Organisation bzw. Interesse des jeweiligen Volkes ab, diese Rechte in Anspruch zu

nehmen.

2.3.2.1. Zugang zum medizinischen System

In der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1946 wurde auch

festgelegt, dass das Recht auf Gesundheit zu den Grundrechten eines jeden

Menschen zählt. In vielen Ländern gibt es keine allgemeine Krankenversorgung,

allerdings zählt es zu den eigentlichen Pflichten eines Staates eine solche zu

gewährleisten. Grundsätzlich ist es in Ländern, die politisch zerrüttet sind, schwierig,

eine funktionierende medizinische Versorgung zu gewährleisten, da das Budget und

diverse andere Ressourcen oft in anderen Bereichen verwendet werden. Aus diesem

Grund kommt die Krankenversorgung oft zu kurz und ist nicht für alle Teile der

Bevölkerung leicht zugänglich.

Bezüglich der Bestimmung einer Minderheit ist diese Kategorie deshalb

entscheidend, weil der Zugang zur Krankenversorgung bzw. des Krankenschutzes

oft nur für Teile der Bevölkerung gilt. Wenn nun eine Gruppe, deren Status innerhalb

eines Staates als unbestimmt gilt bzw. bezüglich des Krankenschutzes diskriminiert

wird, dann ist dies grundsätzlich als Eigenschaft zur Einstufung als Minderheit zu

werten. Grund dafür ist die Benachteiligung gegenüber den anderen Teilen der

Bevölkerung in einem entscheidenden Bereich der Grundrechte des Einzelnen wie

auch der Gemeinschaft.

Entscheidend hierbei ist neben dem allgemeinen Status der Zugänglichkeit auch die

Stellung bzw. Position gegenüber anderen Bevölkerungsteilen oder ethnischen

Gruppen innerhalb des Staates. Sollte diesen gegenüber eine Diskriminierung

bestehen, dann ist die benachteiligte Gruppe als Minderheit einzustufen.

Natürlich ist hier die Gesamtsituation des Staates zu beurteilen, denn – wenn das

Gesundheitssystem eines Staates als Gesamtes nicht funktioniert respektive nicht

existent ist – dann ist die Situation etwas differenzierter zu betrachten. Des Weiteren

muss man die Bereitschaft seitens der Gruppe, sich der angebotenen

Krankenversorgung zu bedienen, ebenso in die Analyse mit einbeziehen. Ist eine

Gruppe nicht sehr modern organisiert oder greift auf traditionelle Medizin zurück,

kann man nicht von einer Diskriminierung sprechen, wenn es sich um eine freiwillig

getroffene Entscheidung handelt.

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2.3.2.2. Bildung

Mit der Bildung verhält es sich ähnlich wie mit der Krankenversorgung. Bildung ist

essentiell für die Fundamente einer funktionierenden Gesellschaft, von der

Staatsebene bis in eine kleine Gruppe. Bildung ist ebenso wie die medizinische

Versorgung Aufgabe des Staates, denn es müssen diverse Ressourcen wie z.B.

Schulen von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden.

Ist nun aus diversen Gründen einer Gruppe der Zugang zur Bildung verwehrt, dann

ist diese Gruppe diskriminiert und als Minderheit gegenüber dem Rest der

Bevölkerung zu sehen.

Hier gilt Ähnliches wie für die Kategorie Gesundheit. Es muss zumindest die

Möglichkeit bestehen, Bildung in Anspruch nehmen zu können. Die Wahl liegt somit

bei den Mitgliedern respektive der Gruppe, diese Möglichkeiten zu nutzen oder nicht.

In dieser Kategorie gibt es noch eine entscheidende Schwierigkeit, die in vielen

Fällen zur unbeabsichtigten Diskriminierung führen kann, die Sprache. Speziell in

afrikanischen Ländern, gibt es viele verschiedene Stämme und Gruppen, die nicht

die jeweilige offizielle Landessprache sprechen. Dies ist auf mangelnde Bildung

zurückzuführen und kann nur von Seiten des Staates behoben werden, indem das

Erlernen einer gemeinsamen Sprache gefördert wird, ohne die Sprache(n) der

einzelnen Minderheiten zurückzudrängen. Das könnte eine einschüchternde und

bedrohende Wirkung auf die Gruppierungen wirken und deren Offenheit gegenüber

der Mehrheit bzw. dem fremden System beeinträchtigen.

2.3.2.3. Arbeit

Der Zugang zum Arbeitsmarkt als Kategorie ist ein diffiziles Problem. Die Möglichkeit

einer Arbeit nachzugehen hängt von vielen Faktoren ab. Einerseits sind die

Anerkennung und der legale Aufenthalt im jeweiligen Staat essentiell für eine

mögliche Teilnahme am Arbeitsmarkt. Wenn nun eine Gruppierung nicht anerkannt

ist und deren Mitglieder nicht als legale bzw. offiziell anerkannte Personen im Staat

gesehen werden, dann ist ihnen der Arbeitsmarkt auch nicht zugänglich, wodurch

eine Diskriminierung entsteht. Andererseits gibt es Faktoren wie Bildung und

Sprache, die ein mögliches Arbeiten verhindern könnten. Somit existieren auf der

einen Seite mögliche juristische bzw. ideologische und auf der anderen Seite soziale

Faktoren, die einen Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren können.

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2.3.3. Ökonomische Faktoren

2.3.3.1. Entwicklung

Der Begriff „Entwicklung“ kann in vielen verschiedenen Bereichen als

Untersuchungsgegenstand sowie zur Einstufung einer Minderheit dienen. Dabei

kann er in unterschiedlichsten Weisen gedeutet, verstanden und untersucht werden.

Der Terminus wird hier als Entwicklung der gesellschaftlichen Strukturen oder

Modernisierung der analysierten Gruppe ausgelegt.

Wenn sich eine Gruppe von dem Rest der Bevölkerung durch diverse

diskriminierende Elemente unterscheidet, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass

dieser Teil der Bevölkerung unterentwickelt120 ist. Die Strukturen der untersuchten

Gruppe können durchaus den gleichen Modernisierungsstandard des Rests der

Bevölkerung haben, lediglich diverse soziale Strukturen sind als Ursachen einer

Diskriminierung zu sehen. Diese Situation ist für dieses Kriterium nicht

ausschlaggebend.

Dieses Kriterium, also Entwicklung, zielt darauf ab, eine mögliche Rückständigkeit

der untersuchten Gruppe im Bereich der Modernisierung herauszuarbeiten. Diese

eventuelle Unterentwicklung kann einerseits ebenso Grund für die erwähnten

Diskriminierungen sein, andererseits kann eine Unterentwicklung auch der

entscheidende Grund für die Einstufung als Minderheit sein. Grundsätzlich gehen

eine rückständige Entwicklung der Bevölkerungsgruppe und eine schlechte

Integration sowie Benachteiligung gegenüber dem Rest der Bevölkerung Hand in

Hand.

Entwicklung ist somit ein entscheidendes Kriterium für die Einstufung als Minderheit.

Zwar ist es nicht unbedingt essentiell, dass eine Minderheit, die als solche eingestuft

ist, in ihrer Modernisierung rückständig ist, jedoch ist eine Gruppe definitiv eine

Minderheit, wenn eine solche Rückständigkeit besteht. Somit ist Entwicklung im hier

angewandten Verständnis ein entscheidendes Kriterium für die Bestimmung einer

Minderheit. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass die untersuchte Gruppe

auch eine Minderheit sein kann, wenn keine Unter- bzw. rückständige Entwicklung

besteht.

120 Unterentwickelt wird nicht als negativer Begriff verstanden, sondern beschreibt lediglich, dass die Entwicklungsstufe in Richtung Modernisierung nicht die gleiche ist, sondern rückständig.

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2.3.3.2. Zugang zur Wirtschaft

Ein Teilbereich der oben angesprochenen Entwicklung einer möglichen Minderheit ist

dessen wirtschaftliche Situation bzw. wirtschaftliche Integration. Dabei muss nach

Meinung des Autors die zu analysierende Gruppe als eigenständiger Gegenstand

analysiert werden und hinsichtlich der wirtschaftlichen Möglichkeiten innerhalb und

nach außen untersucht werden. Eine Unterscheidung und gewisse Unabhängigkeit

der wirtschaftlichen Situation zwischen dem Rest des Staates und der untersuchten

Gruppe ist eine Vorraussetzung für eine Analyse.

In erster Linie muss die Hauptwirtschaftsquelle der jeweiligen spezifischen Gruppe

analysiert werden. Daraus können bereits Schlüsse gezogen werden, in wie weit die

Gruppe in das gesamte System des Landes integriert ist. Entscheidend dabei sind

neben der Bildung und Arbeitssituation, die wirtschaftlichen Zweige, die innerhalb der

untersuchten Gruppe bzw. in Verbindung mit dem Staat und eventuell anderen

Staaten betrieben werden. Diese Wirtschaftszweige liefern auch die Informationen

über wichtige Punkte, die zu untersuchen sind. Dabei wird klar, welche Industrien

wichtig sind und mit welchen Rohstoffen gearbeitet und gehandelt wird. Wichtig

dabei ist auch, ob die einzustufende Gruppe die Kontrolle über diese

Wirtschaftszweige hat oder nur als verarbeitendes bzw. unterstützendes Medium,

z.B. als Arbeiter, dient. Die Kontrolle über diverse Rohstoffe oder Wirtschaftszweige

würde die Gruppe in eine Position bringen, in der es ihr möglich ist, Macht

auszuüben. Dadurch würde ihre Stellung innerhalb des Staates so wichtig, dass sie

außer einem etwaigen numerischen Minderheitenstatus keine Einstufung als

Minderheit erhalten würde. Macht ist ein entscheidender Faktor, der noch an anderer

Stelle behandelt wird.

Einzige Ausnahme dieser Situation ist eine mögliche Unterscheidung der

Wirtschaftszweige zwischen dem Land und der untersuchten Gruppe. Dies könnte

etwa dann eintreten, wenn die Gruppe sich selbst versorgt und einen anderen

Lebensstandard – in der Regel einen niedrigeren – hat als der restliche Staat.

Somit wird auch in diesem Fall deutlich, dass die hier beschriebenen Kriterien sehr

eng miteinander verknüpft sind, und es kein Kriterium gibt, das exklusiv als

entscheidender Faktor für eine Einstufung als Minderheit gelten kann.

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2.3.3.3. Integration

Die Frage der Integration ist heikel und dennoch eines der wichtigsten Kriterien für

die Bestimmung des Minderheitenstatus einer Bevölkerungsgruppe. Dieses

Untersuchungskriterium ist in gewisser Weise das Basiselement für alle anderen

Merkmale, da alle bisher beschriebenen Punkte die Integration in dem jeweiligen

Bereich beinhalten. Da diese Untersuchung sich auf die sozio-politische Ebene

bezieht, wird hier die Definition von Integration der Sozialwissenschaften, im

Speziellen der Soziologie, herangezogen.

Dabei wird Integration als Wiederherstellung eines Ganzen durch diverse Prozesse

verstanden. Dadurch werden das Verhalten sowie das Bewusstsein nachhaltig

verändert. Diese Prozesse können einerseits zwischen einzelnen Individuen oder

zwischen Gruppen bzw. Bevölkerungsteilen stattfinden. Durch Integration sollen

neue soziale Strukturen und Ordnungen gebildet werden. Entscheidend dabei ist die

Unterscheidung zwischen Assimilation und Integration. Unter Integration soll auf

keinen Fall die Eingliederung verstanden werden, die dazu führt, dass eine Gruppe

von Personen gezwungen ist, ihre eigene Kultur und ihre eigenen Werte aufzugeben.

Vielmehr sollten sie ihre eigenen Werte und ihre Kultur in die neue Ordnung

einbringen und somit überhaupt erst zur Bildung einer solchen beitragen.121

Hier wird der Begriff Integration im speziellen dahingehend ausgelegt, in wie weit der

untersuchte Teil der Bevölkerung bzw. die Gruppe, die als Forschungsgegenstand

dient, in diverse Bereiche des alltäglichen sozialen und ökonomischen Lebens

eingegliedert ist.

2.3.4. Juristische Kriterien

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, werden die Kriterien, die von Capotorti und

Ermacora erarbeitet wurden, nicht außer Kraft gesetzt, sondern nur in abgewandelter

Form verwendet. Aus diesem Grund kommt es hier zu einer teilweisen Wiederholung

bereits angeführter Argumente. Dies dient allerdings dazu, die Vollständigkeit der

selbst aufgestellten Kriterien zu gewährleisten. Zudem werden auch nur bei

121 Vgl. Kobi, Emil E (1994). Was bedeutet Integration? Analyse eines Begriffs, in: Eberwein, Hans (1994).Behinderte und Nichbehinderte lernen gemeinsam. Handbuch der Integrationspädagogik, Weinheim, Basel, S.71-79.

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Charakteristika, zu denen es Ergänzungen gibt, diese Erweiterungen angeführt. Zu

den anderen Punkten wird nur auf andere Stellen in der Arbeit verwiesen.

2.3.4.1. Nicht herrschende Stellung

Dieses Kriterium wird sowohl von Capotorti wie auch Ermacora als ein

entscheidendes gesehen. Dem ist voll und ganz zuzustimmen. Auch wenn es

historische und moderne Ausnahmen dieses Kriteriums gibt, wie etwa die Apartheit

in Südafrika, ist dieses Merkmal absolut notwendig. Das Verständnis in dieser Studie

sieht eine Minderheit als eine in irgendeiner Form benachteiligte

Bevölkerungsgruppe. Durch eine herrschende Stellung kann auch eine kleinere

Gruppe nicht mehr als Minderheit, wie sie in dieser Untersuchung definiert ist,

verstanden werden.

Die Formulierung „Herrschende Stellung“ kann im weiteren Sinne auch als Macht

definiert werden. Im weiteren Sinne deshalb, weil Macht auch in Teilbereichen

wichtig sein kann. Man kann z.B. auch in einem Wirtschaftszweig über eine mächtige

Position verfügen, aber nicht in einer herrschenden Stellung sein. Allerdings bringt

die herrschende Stellung fast ausschließlich – mit Ausnahme von

Stellvertreterregimes – eine unmittelbare Machtposition der Herrscher mit sich. Diese

Position ermöglicht es, verschiedene Gruppen aber auch Individuen zu

diskriminieren, wodurch eine Minderheitensituation erst durch die

Herrschaftskonstellation hervorgerufen wird. Diese Möglichkeit, diese Situation

herbeizuführen, verdeutlicht weiters, wieso dieses Kriterium entscheidend für einen

möglichen Minderheitenstatus ist.

2.3.4.2. Möglichkeit des Zugangs zum politischen System

Dies ist ein entscheidender Faktor, denn wenn einer Gruppe des Staates der Zugang

zum politischen System verwehrt wird, dann ist das eine klare und schwerwiegende

Diskriminierung. Jeder Bürger des Staates muss die Möglichkeit haben, das System

des jeweiligen Staates mitzugestalten, um seine positive sowie negative Kritik an den

Machthabern ausdrücken zu können. Das beinhaltet auch, dass jeder Bürger die

Regierung abwählen kann, wenn es in seinem Interesse liegt. Sollte den Mitgliedern

einer gesamten Gruppe der Zugang zum politischen System verwehrt sein, dann ist

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das eine Diskriminierung und macht die Gruppe automatisch zu einer Minderheit, die

allerdings nicht anerkannt ist.122

Dieses Kriterium hängt direkt zusammen mit dem Kriterium Staatsbürgerschaft von

Capotorti. Wie oben erwähnt, sollten Bürger das Recht haben zu wählen. Die

Tatsache, dass Bürger durch die Staatsbürgerschaft zu solchen gemacht werden, ist

sehr bedeutend für die Verleihung des Wahlrechts. Es gibt Staaten in denen es

unterschiedliche Regelungen gibt, wodurch auch „permanent residents“ das

Wahlrecht verliehen bekommen können. Allerdings ist die Situation in solchen

Ländern sehr schwierig, in denen das legislative Netzwerk nicht so weit

fortgeschritten ist, dass alle Einwohner des Staates eine Staatsbürgerschaft haben.

Die Ursache dafür kann in verschiedenen Dingen liegen, wie z.B. instabile politische

Lage, Analphabetismus oder Größe des Landes. Das ändert in vielen Fällen nicht die

Tatsache, dass die Mitglieder der Gruppen teilweise schon seit Jahrhunderten auf

den jeweiligen Staatsgebieten – die sich auch geändert haben können – ihren

Lebensraum haben. Durch diverse Grenzverschiebungen können diese Gruppen ihre

territoriale Staatszugehörigkeit auch wechseln. Solche Gruppen, wenn sie zudem in

ihrer Entwicklung rückständig sind, haben meist keinen Zugang zum politischen

System und sind dadurch in einen (nicht anerkannten) Minderheitenstatus gedrängt.

Zwar muss eine Gruppe aufgrund ihrer Möglichkeiten, ihres Politikverständnisses

und/oder ihres Desinteresses die Möglichkeit zur Partizipation in der politischen

Ebene nicht in Anspruch nehmen, allerdings muss diese vorhanden sein, um eine

inklusives System darzustellen.

2.3.4.3. Anerkennung123

Dieser Punkt ist eigentlich kein Kriterium, da er aber unter dem juristischen Aspekt zu

verstehen ist, wird er hier angeführt. Der Ausdruck Anerkennung wird hier als

Tatsache verstanden, dass die aktuelle Regierung des jeweiligen Landes die

Bevölkerungsgruppe als offizielle Minderheit anerkennt und ihr dadurch diverse

Sonderrechte gegenüber anderen Gruppen zugesteht. Dies führt allerdings lediglich

dazu, dass der Status offiziell ist und sich dadurch diverse Rechte für die jeweiligen

Gruppen ergeben bzw. niedergeschrieben werden. Diese Rechte können einerseits

122 Siehe anerkannte und nicht anerkannte Minderheiten weiter untern in dieser Studie. 123 Die Anerkennung ist ein juristischer Prozess, der sich nicht unmittelbar mit dem Inhalt dieser Arbeit deckt, weshalb die eigentlichen juristischen Vorgehensweisen nicht genauer behandelt werden. Zudem sind die Prozedere in jedem Land verschieden, und der Fokus hier auf dem Ergebnis und dem Status und weniger dem Prozess liegt. (Anm. d. Autors)

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im Zugang zum politischen System bestehen, andererseits können sie den

bestimmten Gruppen auch kleine Vorteile zugestehen.

Interessant ist die Unterscheidung zwischen anerkannten Minderheiten und nicht

anerkannten Minderheiten. Anerkannte sind solche, die von der jeweiligen Regierung

akzeptiert werden und somit als Teil des Staates bzw. der Bürger des Staates gelten.

Unter nicht anerkannten Minderheiten wird hier eine Gruppe verstanden, die sich

durch ihre kulturellen Merkmale von dem Rest der Bevölkerung unterscheidet, aber

von der jeweiligen Regierung nicht als Minderheit anerkannt werden. Dies ändert

allerdings nichts an der Tatsache, dass die Gruppe als Minderheit gesehen werden

muss, wenn sie in gewissen hier angeführten Bereichen benachteiligt ist.

2.3.4.4. Zahlenmäßige Unterlegenheit

Zahlenmäßige Unterlegenheit wird in der in dieser Studie verwendeten Definition zur

Minderheitenbestimmung nicht als Kriterium gesehen, da, wenn ein oder mehrere

der oben beschriebenen Kriterien zutreffen, auch eine zahlenmäßig größere Gruppe

als Minderheit eingestuft werden.

2.3.5. Zusammenfassung der Kriterien und Definition von Minderheiten

Die oben angeführten Einteilungen sowie Kriterien der einzelnen Kategorien sind

eine persönliche Auflistung der dem Autor notwendig erscheinenden

Definitionsmerkmale zur Bestimmung des Minderheitenstatus einer Gruppe. Grund

für die eigene Auflistung von Kriterien und Einteilung von Kategorien ist die nach

Ansicht des Autors unzureichende wissenschaftliche Kategorisierung bisher.

Dabei sei darauf hingewiesen dass, um eine Minderheit als solche einstufen zu

können, nicht alle Kriterien erfüllt sein müssen. Es genügt in manchen Fällen, wenn

nur ein Kriterium erfüllt ist, dass man eine Gruppe als Minderheit einstufen kann. Im

Idealfall, um die Bestimmung zu erleichtern, werden jedoch mehrere Kriterien erfüllt,

und die Einstufung ist eindeutig und nicht leicht zu kritisieren bzw. anzuzweifeln.

Die vielleicht entscheidenden Kriterien sind definitiv die juridischen, denn die

Merkmale und Kriterien in den anderen Kategorien ergeben sich beinahe

ausschließlich aus diesen. Der Zugang zum politischen System ist eine

entscheidende Voraussetzung für die Möglichkeit, die Situation verändern zu

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können. Sobald eine Gruppe aufgrund wie auch immer gearteter Begründung keinen

Zugang zum politischen System hat, wird ihr die Anerkennung als Teil der

Gesellschaft bzw. Gemeinschaft innerhalb des Staates verweigert.

2.3.6.Die Definition von Minderheit des Autors:

„Eine Minderheit ist ein – nicht notwendigerweise zahlenmäßig geringerer – Teil der

Bevölkerung oder eine Gruppe innerhalb eines Staates, die sich durch kulturelle,

soziale, ökonomische und/oder juristische Kriterien vom Rest der Bevölkerung

unterscheidet oder abgrenzt und aufgrund eines oder mehrerer dieser Kriterien nicht

die gleiche Behandlung wie der Rest der Bevölkerung des Landes.“

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3. Geschichte des Minderheitenschutzes

Der Minderheitenschutz, einer der wichtigsten Bestandteile des heutigen

Völkerrechts, kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Der

Minderheitenschutz, wie man den Begriff heute weithin versteht und auslegt, hat sich

im Laufe der Zeit durch verschiedene Stadien entwickelt. Basierend auf den Ideen

von Jean Bodin, respektive seiner Definition des Souveränitätsbegriffs, verstand man

die Gewalt des Staates124 innerhalb des jeweiligen Grenzgebietes als omnipotent.

Allerdings ist die erste erwähnenswerte Entwicklung in diesem Bereich erst im

16.Jahrhunderts anzusiedeln, da es zu dieser Zeit die ersten offiziellen

Vereinbarungen zwischen verschiedenen Staaten gab. In der Zeit zwischen 16. und

18. Jahrhundert gab es weitere bzw. vermehrt Bestimmungen in einzelnen

Verträgen, die das Thema „Schutz von Minderheiten“ mehr oder weniger detailliert

regelten. Die Regelungen wurden bis in 19.Jahrhundert in verschiedenen Abkommen

und Verträgen noch in unterschiedlicher Art vertieft bzw. erweitert, wodurch immer

mehr und unterschiedliche Gruppen von Minderheiten einbezogen wurden. Welche

Art von Minderheiten durch diese Übereinkommen geschützt wurde, war je nach

Region und politischer Lage verschieden.

Die Situation bestimmter Personengruppen, die im Interessensgebiet eines anderen

Staates lagen, war unterschiedlich geregelt. Etwa gab es Abkommen über Personen,

die sich im Gebiet anderer souveräner Staaten befinden; daraus entwickelte sich im

Laufe der Zeit das Fremdenrecht im Völkerrecht125. Auf der anderen Seite gab es

zwischenstaatliche Verträge über Gruppen von Menschen innerhalb eines Staates,

die sich durch gemeinsame Religion, Sprache oder national-ethnische Herkunft mit

einem anderen Staat verbunden fühlen. Diese Vereinbarungen stellten die ersten

zwischenstaatlichen Regelungen im Rahmen des Minderheitenschutzes dar.126

124 Allerdings ist unter „Staat“ nicht das heutige Konzept von Nationalstaat zu verstehen, sondern das Verständnis zu damaligen Zeit gemeint. (Anm. d. A.) 125 Das Fremdenrecht sieht vor, dass dem Fremden im Aufenthaltsstaat ein Mindeststandard an menschenrechtlicher Behandlung zuteil wird, die vom Heimatstaat durch diplomatische Mittel eingefordert werden kann. Das Ermessen über den Schutz des Reisenden liegt beim Heimstaat und in wie weit dieser die Aufenthaltsinteressen unterstützen will. Wenn die innerstaatlichen Mittel für ein Einschreiten der Regierung nicht vorhanden sind, dann ist die Einzelperson schutzlos. In: Lillich, Richard B. (1984). The Human Rights of Aliens in Contemporary International Law, Manchester University Press, Manchester, S.44ff. 126 Vgl. Scherer-Leydecker, S.29.

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3.1. Schutz religiöser Minderheiten; 16. bis 18.Jahrhundert.

Die Reformation und die damit verbundenen Glaubenskriege im Laufe des

16.Jahrhunderts hatten entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Schutzes

von Minderheiten in Europa. Durch die Auseinandersetzungen kam es fast in allen

Länder und Regionen dazu, dass Angehörige anderer als der in diesem Gebiet

erwünschten Religion, ausgegrenzt, gefoltert wurden oder teilweise mit Gewalt

gezwungen wurden, dem jeweiligen Glauben beizutreten.

Durch den Augsburger Religionsfrieden wurden den religiösen Minderheiten, die es

zu dieser Zeit am ehesten zu schützen galt, noch kein expliziter Schutz gewährt. Es

war darin lediglich die Zwangsbekehrung verboten, jedoch waren die

Andersgläubigen gezwungen, durch das „ius emigrandi“ in das Souveränitätsgebiet

eines anderen Herrschers zu siedeln, um dessen Religion anzunehmen. Erst später

wurde diese Verordnung durch das Duldungsgebot ersetzt, das den Gläubigen auch

gestattete, ihre eigene Religion auszuüben.127

In späteren Friedensverträgen, in denen es zu Landesabtretungen der besiegten

Mächte an einen andersgläubigen Herrscher kam, wurden weitere Artikel und

Klauseln festgeschrieben, wodurch die religiösen Minderheiten geschützt wurden.

Der wichtigste und zugleich bekannteste dieser Verträge ist der Westfälische

Friede.128

Die Vereinbarungen zwischen europäischen Staaten und dem Osmanischen Reich

werden traditionell dem Fremdenrecht zugeordnet. Darin wurden spezielle

Schutzbestimmungen und Privilegien für Ausländer zur Ausübung der christlichen

Religion erlassen. Ausländer wurden damals allerdings nicht dem gültigen

Minderheitenbegriff zugeordnet.129

3.2. Schutz nationaler Minderheiten im 19.Jahrhundert

Gegen Ende des 18.Jahrhunderts begann sich in Westeuropa – speziell durch die

Lehre von Rousseau und die französische Revolution unterstützt – die Idee des 127 Vgl. Pöllinger, Sigrid (2001). Minderheitenprobleme und Minderheitenschutz. Das Engagement internationaler Organisationen, neuer wissenschaftlicher Verlag, Wien, S.19f. 128 Weitere Beispiele für solche Vereinbarungen sind: Westfälischer Friede (1648); Oliva (1660) zwischen Schweden, Polen dem deutsch-römischen Kaiser und Brandenburg; Nimwegen (1678), Ryswijk (1697) zwischen den Niederlanden und Frankreicht; Breslau (1742); Paris (1763); Warschau (1773); Protokoll von 1814, Wiedervereinigung von Belgien und Holland; in: Scherer-Leydecker, S.30. 129 Vgl. Scherer-Leydecker, S.30f.

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Nationalstaatsdenkens auszubreiten und zu festigen. Dadurch wurden in

Zentraleuropa Einigungs- und in Süd- und Osteuropa Autonomiebewegungen gegen

die Vielvölkerstaaten, wie z.B. die K.u.K. – Monarchie und das Osmanische Reich,

ausgelöst130.

In beinahe allen Dokumenten, die bis zum Ersten Weltkrieg unterzeichnet wurden

und Gebietssezessionen bzw. Friedensvereinbarungen darstellten, gab es eine

Optionsklausel. Diese sicherte den nationalen Minderheiten, die sich durch diese

territorialen Änderungen bildeten, das Recht der freien Abwanderung zu.131

Die erste wichtige Bestimmung hinsichtlich der Repräsentation und des Schutzes

nationaler Minderheiten findet sich in der Schlussakte des Wiener Kongresses von

1815:

„Les Polonais, sujets respectifs de la Russie, de l'Autriche et de la Prusse, obtiendront

une représentation et des institutions nationales, réglées d'après le mode d'existence

politique, que chacun des gouvernements auyquels ils appartiennent jugera utile et

convenable de leur accorde. 132

In der Akte wurde geregelt, dass die Minderheiten der Polen in Preußen, Österreich

und Russland, je nach Maßgabe der Gesetzeslage, nationale Repräsentationen und

Institutionen erhalten sollten.

Die Problematik des Minderheitenschutzes verschärfte sich in der Zeit bis zum

Ersten Weltkrieg zusehends, da die Desintegrationsbestrebungen in den

Vielvölkerstaaten erheblich zunahmen. In weiteren Dokumenten bis zum Ersten

Weltkrieg wurden Klauseln zum Minderheitenschutz festgeschrieben. Einen

erheblichen Einfluss auf die Entwicklungen im Bereich Minderheiten hatte die

Situation in der Habsburger Monarchie. Allerdings kann trotz zunehmender Normen

zu dieser Problematik noch nicht von einem internationalen Minderheitenrecht

gesprochen werden. Die Einhaltungen bzw. Wahrung der Rechte der Minderheiten

lagen weiterhin im Ermessen der jeweiligen Mächte.133

130 Vgl. Scheyrer-Leydecker, S.31. 131 Vgl. Kimminich, Otto (1980). Regelungen der Minderheiten und Volksgruppen in der Vergangenheit, in: Wittmann, Fritz; Bethlen, Stefan (Hrsg.), Volksgruppenrecht. Ein Beitrag zur Friedenssicherung. Berichte und Studien der Hans-Seidel-Stiftung, Band 15, Olzog, Wien, München, S.37ff. 132 Artikel 1, Absatz 2. der Schlussakte des Wiener Kongresses. (9.Juni 1815), http://www.histoire-empire.org/articles/congres_de_vienne/acte_du_congres_de_vienne_02.htm. 133 Vgl. Bartsch, Sebastian (1995). Minderheitenschutz in der Internationalen Politik. Völkerbund und KSZE/OSZE in neuer Perspektive, Westdeutscher Verlag, Opladen, S.64f.

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3.3. Minderheitenschutz im Völkerbund

Durch das Ende des Ersten Weltkriegs wurde die nationale Ordnung der

Vielvölkerstaaten durcheinander geworfen, und es bildeten sich neue Staaten. Das

Problem der Minderheiten in den verschiedenen Teilen Europas wurde sehr deutlich,

da die jeweiligen Minoritäten nicht bereit waren, mit den neuen Regierungen

zusammenzuarbeiten. Somit entstand eine Vielzahl von Spannungen. Vor allem in

Ländern mit großen und einflussreichen Minderheitenanteilen134 entstanden

Konflikte. Hintergrund für diese Probleme war der zu der damaligen Zeit

zunehmende Nationalismus. Die neu gebildeten Territorien wurden von den dort

ansässigen Mehrheiten als ihre neuen Staaten und die Minderheiten als Gefahr für

deren dauerhaften Bestand angesehen. Aus diesem Grund waren die Gruppen,

welche die Vorherrschaft in einem Staat innehatten, bestrebt, die Bevölkerung zu

homogenisieren, wodurch die Minderheiten gezwungen werden sollten, sich

unterzuordnen. Zudem waren Bestrebungen erkennbar, wonach sich die

herrschenden Gruppen auch um den Schutz bzw. die Wahrung der Sicherheit für

ehemalige Staatsangehörige, die in anderen Ländern zu Minderheiten wurden,

bemühten. Neben diesen Bemühungen hatten die Staaten auch das Interesse, diese

Minderheiten für revisionistische Zwecke zu nutzen.

Der Neuansatz im Bereich Minderheitenschutz, der nach dem Ersten Weltkrieg

einsetzte, hatte zwei Ursachen. Einerseits der akute Handlungsbedarf, der durch die

erwähnten Konfliktherde in den neuen Ländern bestand; andererseits sahen die

Siegermächte die Möglichkeit den unterlegenen Staaten Vorschriften und

Verpflichtungen bezüglich des Minderheitenschutzes aufzuerlegen.135

Die Vorstellung, dass das Problem der Minderheitenintegration bzw. des

Minderheitenschutzes zu größeren und langfristigen Konflikten führen könnte,

veranlasste die Siegermächte des Ersten Weltkriegs ein System zu schaffen, das die

Grundlagen des Minderheitenschutzes festlegen sollte. Dieses wurde im Rahmen

der Friedenskonferenz in Versailles verhandelt. Neben der angestrebten Stabilität

wurde dort auch eine allgemeine Friedensordnung nach den Haager Konferenzen

diskutiert. Der Vorschlag von dem amerikanischen Präsident Wilson, der in seinem

14-Punkte-Programm vom 8.Jänner 1918 eine mögliche Nachkriegsordnung

134 Beispiele hierfür sind: Polen 30,8%, Rumänien 28,1%, Jugoslawien 28%, Griechenland 31,5%, Tschechoslowakei 34,5%, Ungarn 10,5% und Bulgarien 16,6%; in: Pöllinger, S.26. 135 Vgl. Bartsch, S.65f.

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präsentierte, führte schließlich zur Gründung des Völkerbunds, der am 20.Jänner

1920 seine Arbeit aufmachen.136 Wie wichtig eine Lösung der

Minderheitenproblematik für die Friedenssicherung ist, formulierte Wilson am

31.5.1919 in einer Plenarsitzung der Friedenskonferenz folgendermaßen:

„Nothing, I venture to say, is more likely to disturb the peace of the world than the

treatment which might, in certain circumstances, be meted out to the minorities.“137

Die offensichtliche Problematik bezüglich der Minderheiten und der Druck eine

geeignete Lösung zu finden, hätten allein nicht ausgereicht, um die Vorschriften und

Regelungen zu installieren, da es unter den neu gegründeten Ländern einige Gegner

solcher Schutzmaßnahmen gab. Ein weiterer Grund für die letztendliche Schaffung

der Grundlage eines Minderheitenschutzsystems waren die kurzzeitig

vorherrschenden Machtkonstellationen, die den Großmächten spezielle Positionen

einräumten. Sie nutzten diese Stellung, um einer Reihe von Staaten die

Minderheitenschutzbestimmungen aufzuerlegen, ohne sich selbst an diese

Regelungen zu halten. Durch die mächtigen Positionen während der Pariser

Friedenskonferenz konnten die Großmächte ihre Anerkennung der neu gegründeten

Staaten von einigen Bedingungen abhängig machen. Diese seit dem späten

19.Jahrhundert durchaus übliche Praxis war hinsichtlich der rechtlichen Position nicht

ganz klar festzulegen und unter den Staatsmännern sehr umstritten. Allerdings

wurde diese Art der diplomatischen Vorgehensweise ungeachtet der Diskussionen

praktiziert.138

Die Satzung des Völkerbundes bestand aus 26 Artikeln, die neben anderen

Verpflichtungen für die Mitgliedsstaaten die Friedenssicherung und die Souveränität

der einzelnen Mitgliedstaaten gewährleisten sollten. Der Völkerbund war das erste

System einer schriftlich fixierten kollektiven Sicherheit und hatte mit einem

Schiedsgericht ein Organ, welches zur Streitbeilegung herangezogen werden sollte.

Für den Fall einer Verletzung der Regelungen sah die Satzung Sanktionen vor, die

gegen den jeweiligen Mitgliedstaat einzusetzen waren. Die wichtigsten Organe

136 Vgl. Pöllinger, S.25f. 137 Zitat in: Bartsch, S.66. 138 Vgl. Bartsch, S.66.

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waren die Bundesversammlung aller Mitglieder, die in Genf tagte, der

Völkerbundsrat139 und das Sekretariat in Genf.140

Die ersten Entwürfe vor der Gründung der Organisation zur Miteinbeziehung des

Minderheitenschutzes in die Statuten wurden durch die Kommission, die mit der

Ausarbeitung des Völkerbundpaktes beauftragt war, verhindert. Trotz dieser

anfänglichen Ablehnung wurden auch nach der Gründung weitere Initiativen verfolgt,

die Minderheitenschutzbestimmungen in die Statuten zu verankern. Immer wieder

wurde dabei in den Erklärungen die Hoffnung ausgedrückt, dass sich auch Staaten,

die nicht dem Bündnis angehörten, an die Standards in der Satzung halten würden.

Allerdings fand die Ansicht, wonach Erklärungen des Völkerbunds als internationales

Gewohnheitsrecht allgemeine Gültigkeit besaßen, nicht viele Anhänger und

entsprach nicht der zeitgemäßen Staatenpraxis.141

Die Großmächte spielten während dieser Entwicklung die Rolle eines Vermittlers und

versuchten, so viele Länder wie möglich zum Minderheitenschutz zu verpflichten, da

darauf abgezielt wurde, die neuen Staaten zu stabilisieren. Einerseits sollte einem

möglichen Irredentismus142 sowie einer Illoyalität der Minderheiten vorgebeugt

werden. Andererseits sollten Umstände geschaffen werden, durch die es den

Minderheiten möglich werden sollte, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen

und mit den neuen Regierungen zu kooperieren. Langfristig war das Ziel einer

solchen, die Minderheiten nicht mehr als Gruppen mit Sonderrechten zu sehen,

sondern als Teil der Bevölkerung des Landes.

Neben dem Ziel, Mittel- und Südosteuropa zu stabilisieren, waren die Großmächte

auch um die Schaffung eines dauerhaften internationalen Friedens bemüht. Durch

die Gründung des Völkerbunds war eine institutionelle Basis geschaffen worden, die

durch die Schaffung spezieller Minderheitenrechte respektive deren Einhaltung und

Schutz gestützt werden sollte. Dieses Argument für die Einführung solcher

Regelungen wurde allerdings von den zum Minderheitenschutz verpflichteten

Ländern – hauptsächlich waren dies die neu gegründeten Staaten sowie die

Verlierermächte – heftig kritisiert, da einige Siegermächte sich nicht an solche

139 Mitglieder waren: Großbritannien, Frankreich, Italien bis 1937; Japan bis 1933; Deutschland 1926 – 1933 als ständige Mitglieder und 9 nicht-ständige Mitglieder, die für 3 Jahre gewählt wurden. Die USA traten nicht bei, weil der amerikanische Senat die Ratifizierung des Versailler Vertrages ablehnte. 140 Vgl. Pöllhuber, S.26f. 141 Vgl. Scherer-Leydecker, S.33f. 142 Irredentismus der: Geisteshaltung der Irredenta. Irredenta die: …2. Politische Unabhängigkeitsbewegung, die den Anschluss abgetrennter Gebiete an das Mutterland anstrebt; in: Duden. Das große Fremdwörterbuch (2000), Dudenverlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, S.650.

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Bestimmungen gebunden sahen. Dies führte zu Spannungen zwischen den

Ländern.143

Da trotz der unterschiedlichen Auffassungen der einzelnen Staaten die Wichtigkeit

des Themas Minderheitenschutz erkannt wurde, setzte der Oberste Rat des

Völkerbunds eine „Kommission für neue Staaten und Minderheitenschutz“ ein. Die

Aufgabe dieser Kommission war unter anderem die Formulierung von Verträgen

zwischen den Alliierten und ihren ehemaligen Feindstaaten sowie die Prüfung und

Definition der zu akzeptierenden Normen.144

Bis 1925 wurden die Regelungen bezüglich des Minderheitenschutzes auf Vorschlag

der britischen Verhandler mit den jeweilig betroffenen Staaten in individuellen

Verträgen geregelt. So wurden für die besiegten Staaten Österreich, Bulgarien,

Ungarn und der Türkei die speziellen Bedingungen bereits in einem eigenen Kapitel

in den zwischen 1919 und 1923 geschlossenen Friedensverträgen festgeschrieben,

welche besagten, dass alle „…Staatsangehörigen, die einer Minderheit nach Rasse,

Religion oder Sprache angehören…“145 zu schützen seien. Eine andere

Vorgehensweise wurde bei den anderen Staaten146 gewählt. Diese verpflichteten

sich in den Pariser Verträgen separate Minderheitenschutzbestimmungen mit den

Alliierten auszuhandeln. Diese wurden in den Jahren 1919 und 1920 abgeschlossen.

Zu diesen Abkommen zählten noch fünf weitere zwischen 1920 und 1924

geschlossen Verträge147 sowie fünf unilaterale Erklärungen148. Diese Abkommen

wurden vom Völkerbund durch Resolutionen zur Kenntnis genommen.149

Die Normen zum Minderheitenschutz wurden bereits im Laufe der Pariser

Friedensverträge ausgearbeitet, wurden jedoch erst zu Beginn der 1920iger Jahre

durch Verfahren aktiv angewandt. Ein solches Verfahren wurde im Oktober 1920

beschlossen, und sah das Einreichen einer Petition vor. Diese konnte von einzelnen

Personen, Gruppen oder NGOs in Gang gesetzt werden und musste an den

143 Vgl. Bartsch, S67ff. 144 Vgl. Pöllinger, S.27f. 145 Zitat aus dem Artikel 67 des Vertrages von Saint-Germain-en-Laye vom 10.9.1919 in: Schweitzer, Michael, Rudolf, Walter (Hrsg.) (1985). Friedensvölkerrecht, 3.Auflage, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Baden-Baden, S. 253. 146 Polen, Tschechoslowakei, Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen – dem späteren Jugoslawien, Rumänien und Griechenland; in: Scherer-Leydecker, S.35. 147 1.Polen und die freie Stadt Danzig bezüglich der polnischen Bevölkerung in Danzig; 2.Schweden und Finnland bezüglich der schwedischen Minderheit auf Åland; 3.Polen und Deutschland bezüglich der deutschen Minderheit in Oberschlesien; 4.Griechenland und der Türkei bezüglich der gegenseitigen Minderheiten; 5.Litauen und den Alliierten und Assoziierten Hauptmächten bezüglich der deutschen Minderheit im Memelland; in: Scherer-Leydecker, S.35. 148 Albanien, Litauen, Lettland, Estland und der Irak erklärten, ihren Minderheiten angemessenen Schutz zu gewähren, da es von bestimmten Staaten als Bedingung für einen Beitritt zum Völkerbund verlangt wurde; in: Scherer-Leydecker, S.35. 149 Vgl. Scherer-Leydecker, S.35f.

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Völkerbund gerichtet werden. In der Folge wurde die Petition an alle Mitglieder

verteilt. Allerdings war nur der Generalsekretär selbst in der Lage, die Zulässigkeit

der Petition anzuerkennen, und forderte im gegebenen Fall die betroffene Regierung

auf, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Beide Dokumente, die Petition und die

Stellungnahme, wurden von einem Dreierkomitee150 geprüft und entweder weiter

behandelt oder zurückgewiesen.151

Dabei hatte das Dreierkomitee drei Handlungsoptionen. Erstens konnte es

entscheiden, dass der Fall so gravierend war, dass er sofort vor vom Völkerbundrat

behandelt werden musste.152 Zweitens konnte der Fall als so unbedeutend eingestuft

werden, dass sich der Völkerbund nicht weiter damit befassen musste. Diese

Entscheidung wurde bei 35% aller eingereichten Petitionen getroffen. Drittens konnte

das Komitee schließlich einen Auftrag an die Minderheitensektion des Sekretariats

des Völkerbundes geben, dass diese die betroffene Regierung auffordert, weitere

Informationen zur Verfügung zu stellen. Dies erfolgte meist durch informelle

Gespräche zwischen Vertretern der Regierung und dem Direktor der Sektion.

Allerdings waren die Einreichenden der Petitionen meistens nicht anwesend,

trotzdem wurden dabei mögliche Lösungen besprochen, die alle zufrieden stellen

konnten. Beendet war ein Verfahren meist dann, wenn die beklagte Regierung

Zusagen machte, wonach die kritisierten Punkte geändert werden würden. Allerdings

wurde dies nur in seltenen Fällen korrigiert.153

3.4. Verhärtete Fronten nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte das Thema Minderheitenschutz im

internationalen Bereich nicht wirklich eine vordergründige Rolle. Man konzentrierte

sich weniger auf einzelne Minderheiten als auf die Definition und den Schutz der

allgemeinen Menschenrechte. Grund dafür waren die beiden Blöcke, die bezüglich

dieses Themas harte Linien verfolgten. Im Westen waren die USA durch ihre

Philosophie von Assimilation der Kulturen, die auch sehr starken Einfluss auf die

westeuropäischen Länder sowie Indien hatte. Die Sowjetunion und Jugoslawien

150 In der Ratssitzung vom 10.Oktober 1920, in der auch die Einführung von Petitionen zur Problembehandlung beschlossen wurde, wurde auch festgelegt, dass diese Anträge durch Ad-hoc-Dreierkomitees geprüft werden sollten. Diese setzten sich jeweils aus dem Ratspräsidenten und zwei, von ihm ernannten, Mitgliedern zusammen. Ad-hoc deshalb, weil sie zu jeder Petition neu zu bilden waren; in: Bartsch, S.93. 151 Vgl. Pöllinger, S.28f. 152 Dies geschah nur vierzehn Mal in der Geschichte des Völkerbundes. Bartsch (96).) 153 Vgl. Bartsch, S.91ff.

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waren insbesondere Befürworter von Minderheitenschutz, wodurch diese

Diskussionen auch auf die allgemeine Verhärtung zwischen Ost und West abfärbte.

Zudem war des Deutsche Reich, das als vehementester Vertreter des

Minderheitenschutzes und Minderheitenschutzes in der Zwischenkriegszeit galt, als

Verlierermacht nicht in der Position, in diese Debatte einzugreifen. Einen weiteren

Einfluss hatte die Situation in Afrika. Dort wurden die Staaten größtenteils durch

koloniale Minderheiten regiert. Deshalb versuchte man, das Streben nach

Selbstbestimmung bzw. Rechten für einzelne Gruppen so gering wie möglich zu

halten, um die Macht aufrechterhalten zu können. Das Streben nach Rechten zur

Selbstbestimmung für ethnische Minderheiten wurde als Grundstock für die

Möglichkeit der Erlangung der Unabhängigkeit der kolonialisierten Staaten

angesehen. Allgemein sah man das System des Minderheitenschutzes durch das

Versagen des Völkerbundes als Experiment, das versagt hat.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass unmittelbar nach dem Zweiten

Weltkrieg von den Siegermächten Interessen hinsichtlich eines allgemeinen

Schutzes der Menschenrechte verfolgt wurden, dabei allerdings anfangs keine

spezifischen Regelungen und Normen zum Schutz der Minderheiten beschlossen

wurden.154

3.5. Minderheitenschutz in den Vereinten Nationen

Die oben erwähnten Schwierigkeiten bzw. unterschiedlichen Positionen im Bereich

Minderheitenschutz wurden vor allem in den Diskussionen zur Gründung der

Vereinten Nationen offenkundig. Bereits in der Charta vom 26.Juni 1945 wurde in

Art. 1 Abs. 3, Art. 13, 55, 62 und 76 festgehalten, dass die Organisation den Schutz

der Menschenrechte sowie Grundfreiheiten als eine ihrer Hauptaufgaben sah.

Allerdings war in dieser Charta, ebenso wie bei der Satzung des Völkerbundes, nicht

detailliert der Minderheitenschutz als ein Teilbereich festgehalten.155

Am 10.Dezember 1948 wurde die AMRE von der Generalversammlung der

Vereinten Nationen verabschiedet. Sie wird als eines der wichtigsten Dokumente des

20.Jahrhunderts156 speziell hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes angesehen.

154 Vgl. Thornberry, S.17f. 155 Vgl. Scherer-Leydecker, S.47. 156 Vgl. Heidelmeyer, Wolfgang (1997). Die Menschenrechte. Erklärungen, Verfassungsartikel, Internationale Abkommen, 4.Auflage, Paderborn, München, Wien, Zürich; 43ff.

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Bezüglich der Minderheitenthematik wurde am gleichen Tag eine Resolution

verabschiedet, die den Titel „Fate of Minorities“ trägt. Darin wurde festgehalten, dass

die Vereinten Nationen „could not remain indifferent to the fate of minorities157“, es aber zum

damaligen Zeitpunkt sehr schwierig war eine gemeinsame Lösung zu finden. Die

Situation wurde aus dem Grund so heikel und prekär eingestuft, weil man sich nicht

in der Lage sah, die Umstände, die in jedem Staat sehr spezifisch waren, speziell

und einzeln zu behandeln.158

Wenn man die Spannungen in den folgenden fünf Jahrzehnten betrachtet, die

zwischen den Mächten des Kalten Krieges herrschten, war diese Übereinkunft als

gute Basis anzusehen, da so ein Abkommen wahrscheinlich in späteren Jahren nicht

mehr möglich gewesen wäre.159

3.5.1. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)

Schon in der Resolution „Fate of Minorities“ wurde deutlich, dass die Notwendigkeit

für ein Handeln der Vereinten Nationen hinsichtlich einer allgemein gültigen

Regelung des Minderheitenschutzes durchaus gegeben war. Deshalb wurde die

Menschenrechtskommission und ihre „Sub-Commission on Prevention of

Discrimination and Protection of Minorities“160 beauftragt, die Probleme der

Minderheiten in einer Arbeitsgruppe gründlich zu analysieren und eine ausführliche

Studie zu erstellen, um eine Basis für mögliche Maßnahmen zu schaffen. Die

Unterkommission kam im Rahmen von Diskussionen 1950 zu dem Schluss, dass der

wohl effektivste Weg, dem Problem entgegenzuwirken, der war, eine Verankerung

zum Minderheitenschutz in dem bereits vorgeschlagenen IPBPR zu beschließen. Die

Differenzen zum damaligen Zeitpunkt lagen in den Auffassungen, welche Gruppen

geschützt werden sollten. So standen z.B. auf der einen Seite die Sowjetunion, die

einen Schutz lediglich für die „nationality groups“ forderte, während auf der anderen

Seite z.B. Jugoslawien stand, das zu den nationalen Gruppen auch ethnische,

religiöse und kulturelle Gruppen schützen wollte. Eine wichtige Frage war auch, ob

die Gruppen nur geschützt werden sollten, oder ob es ihnen ermöglicht werden

sollte, ihre eigene Identität durch diverse Institutionen oder Medien zu entwickeln

157 Zitat in: Pentassuglia, Gaetano (2002). Minorities in international law. An introductory study, Council of Europe Publishing, Strasbourg, S.97. 158 Vgl. Ermacora, S.19 u. S.98. 159 Vgl. Pöllinger, S.31. 160 Dieses Organ wird an anderer Stelle dieser Studie ausführlicher erklärt. (Anm. d. Autors)

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bzw. weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang kam auch die Diskussion auf,

ob der Staat diese Institutionen fördern oder diese lediglich anerkennen sollte. Der

erste Entwurf der Arbeitsgruppe für diesen Artikel lautete:

„Ethnic, religious and linguistic minorities shall not be denied the right to enjoy their own culture, to profess and practice their own religion, or to use their own language.“161

Diese Formulierung „minorities“ wurde kritisiert und schließlich durch „persons

belonging to minorities“ ersetzt. Hintergrund für diese Änderung war die Befürchtung,

durch diese kollektive Formulierung eventuell Sezessionsgedanken auszulösen,

wenn man den Artikel als ausschließliches Gruppenrecht ansieht. Um aber die

Kollektivität des Artikels nicht ganz zu verlieren, wurde die Formulierung durch den

Zusatz: ergänzt „in community with the other members of their group“. 162

Der Vorschlag wurde mit den Änderungswünschen 1950 angenommen und 1953

nochmals um einen kleinen Zusatz erweitert, da man in den lateinamerikanischen

Ländern fürchtete, die Einwanderungsgruppen, die Minderheiten bilden könnten,

wären in der Lage, die Stabilität der jeweiligen Staaten zu gefährden. Deshalb wurde

ergänzt, dass die in dem Artikel beschriebenen Minderheiten bereits existieren

müssen. Dieser Vorschlag führte wiederum zu heftigen Diskussionen über weitere

Veränderungen der Begriffe, welche allerdings schließlich nicht mehr umgesetzt

wurden. Die Formulierung des Artikels, wie er schließlich im IPBPR stehen sollte,

wurde allerdings nicht mehr geändert, da die meisten Staatsvertreter ihre

Zustimmung zum Ausdruck brachten.163

Die Vereinten Nationen machten schließlich im Bereich internationaler

Minderheitenschutz einen weiteren entscheidenden Schritt. Neben der Konvention

über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (die so genannten

„modernen“ Menschenrechte), wurde am 19.Dezember 1966 der „Internationale Pakt

über die bürgerlichen und politischen Rechte“(die „klassischen“ Menschenrechte),

verabschiedet.164

161 Vgl. UN Doc. E/CN.4/Sub.2/112. 162 Vgl. Pentassuglia, S.97f. 163 Vgl. Scherer-Leydecker, S.63ff. 164 Vgl. Ermacora, S.25ff, Blumenwitz (1994), u.a.

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Die ausgearbeitete Formulierung wurde in Artikel 27 des IPBPR verankert und lautet:

„In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen

solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen

Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion

zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.“165

Die – zum damaligen Zeitpunkt – nötigen 35 Ratifikationen waren am 23.März 1976

erreicht, wodurch der Pakt in Kraft trat. Ein entscheidender Unterschied zur AMRE

war, dass der IPBPR für die Staaten, die ihn annahmen, bindende Pflichten mit sich

brachte. Der Artikel 2 des Pakts verpflichtet die Vertragsstaaten noch zusätzlich, die

in der Konvention festgelegten Rechte ausdrücklich für alle ihrer Staatsgewalt

unterstehenden Personen „ohne Unterschied wie insbesondere Rasse, des Geschlechts, der

Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen

Herkunft…oder sonstigen Status zu gewährleisten.“166 Weitere wichtige Teile für Minderheiten

zur Verwirklichung ihrer Identität sind Teile der Artikel 18, 19 und 22, die Gedanken-,

Gewissens- und Religionsfreiheit zum Inhalt haben. Bis heute haben 134 Staaten

den IPBPR ratifiziert.167

Es gab nach der Verabschiedung des IPBPR immer wieder Diskussionen über die

Rolle des Staates bzw. welche Voraussetzungen dieser zu schaffen hätte, um die

Verwirklichung der in der Konvention festgelegten Rechte gewährleisten zu können.

Einige Experten waren der Meinung, dass der Staat aktiv sein müsste und sowohl

Ressourcen als auch den legalen Rahmen zu modifizieren hätte. Andere

argumentierten, dass diese beiden Bereiche getrennt von einander zu betrachten

seien. Es kam zu keiner wirklichen Einigung. Die Generalversammlung der Vereinten

Nationen veröffentlichte eine Resolution, wonach die Artikel des IPBPR nicht gegen

die bereits allgemein gültige Gesetzgebung verstoßen sollten, sondern als

ergänzend zu sehen seien. Es wurde allerdings immer deutlicher, dass in diesem

Bereich noch viel Arbeit auf die Vereinten Nationen zukam.168

Die oben angeführten Probleme waren nur ein Teil der Unklarheiten und

Schwierigkeiten, welche die Formulierungen im IPBPR mit sich brachten. Aus

diesem Grund empfahl die Menschenrechtskommission dem Wirtschafts- und

165 Zitat in: Heidelmeyer, Wolfgang (1997), S.244. 166 Zitat in: Heidelmeyer, S.235f. 167 Vgl. Scherer-Leydecker, S.69f. 168 Vgl. Thornberry, S.24f.

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Sozialrat (ECOSOC) die Ausarbeitung einer Studie, die das Minderheitenkonzept

analysieren und Möglichkeiten eröffnen sollte, wie man die Prinzipien aus dem

IPBPR praktisch umsetzen könnte. ECOSOC genehmigte dies im Jahr 1969 und

beauftragte wiederum die Menschenrechtskommission, eine solche Untersuchung in

die Wege zu leiten. Der Auftrag wurde schließlich 1971 an den italienischen

Professor Francesco Capotorti vergeben, der auch Mitglied der Unterkommission

und später Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen war.169

Der Bericht wurde 1979 fertiggestellt und trägt den Titel „Study on Rights of Persons

Belonging to Ethnic, Religious and Linguistic Minorities”. Darin liefert er einerseits

eine Definition des Minderheitenbegriffs, der bis heute mit geringen Änderungen die

wichtigste Definition darstellt und empfiehlt andererseits die Vorbereitung einer

Erklärung der Rechte für Mitglieder von Minderheiten im Rahmen der in Artikel 27

IPBPR. Ein Zeichen, wonach die Menschenrechtskommmission dieser Idee positiv

gegenüber stand war die Einsetzung einer „Open-Ended Working Group“ zur

Ausarbeitung eines Textes im Rahmen ihrer Sitzung 1978. Gleichzeitig reichte

Jugoslawien einen Vorschlag ein, der von der Arbeitsgruppe bearbeitet wurde. 170

Nachdem wichtige Fragen und Probleme weitgehend durch die intensive Mitarbeit

von den einzelnen Regierungen geklärt wurden, wurde der Vorschlag am 21.Februar

1992 von der HRC und ECOSOC angenommen und an die Generalversammlung

weitergeleitet. Schließlich wurde die „Declaration on the Rights of Persons Belonging

to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities“ durch Einstimmigkeit am

18.Dezember 1992 in der Resolution 47/135 beschlossen.171

1995 etablierten die Vereinten Nationen eine Arbeitsgruppe, die sich mit der

Vorbeugung gegen die Diskriminierung von Minderheiten beschäftigt. Die

Arbeitsgruppe tritt jährlich für fünf Tage in Genf zusammen und dient primär als

Diskussionsplattform. Einerseits will man durch die Arbeit in dieser Gruppe das

gegenseitige Verständnis und die Akzeptanz zwischen den Minderheiten sowie

zwischen Minderheiten und den Regierungen erhöhen. Andererseits werden

friedliche Konfliktbeilegungen besprochen, die auch die Minderheiten aktiv

involvieren. Die Gruppe ist ein zunehmend wichtigeres Instrument

Minderheitenschutz.172

169 Vgl. Ermacora, S.29. 170 Vgl. Pentassuglia, S.111. 171 Vgl. Eglin, S.156. 172 Vgl. Working Group of Minorities, Office of the United Nations High Commissioner of the Human Rights, http://www.ohchr.org/english/issues/minorities/group/main.htm.

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3.6. Schutz der Eingeborenenvölker

1982 gründeten die Vereinten Nationen die „Working Group on Indigenous

Populations“, die ein Unterorgan der „Sub-Commission on the Promotion and

Protection of Human Rights“ war. Dies traf sich jährlich in Genf und setzte sich aus

Experten zusammen. Die Arbeitsgruppe war allerdings auch für Vertreter von

Eingeborenenvölkern zugänglich, ebenso wie für Vertretern von internationalen und

nationalen NGOs. Die Aufgabe war einerseits die Untersuchung der Einhaltung des

Schutzes und die Förderung der Rechte für Eingeborenenvölker, andererseits die

Diskussion über neue Entwicklungen zum effektiven Schutz der Eingeborenen. 1985,

in demselben Jahr, in dem ein Fond für die Angelegenheiten der Eingeborenenvölker

eingerichtet wurde, begann die Arbeitsgruppe mit dem Entwurf einer Deklaration der

Rechte für Eingeborenengruppen, der 1993 an die Sub-Kommission übermittelt

wurde. Die Definition von Minderheiten in diesem Entwurf lautet, wie folgt:173

“Indigenous peoples have the collective and individual right to maintain and develop their

distinct identities and characteristics, including the right to identify themselves as

indigenous and to be recognized as such.”174

“Indigenous peoples have the collective right to determine their own citizenship in

accordance with their customs and traditions. Indigenous citizenship does not impair the

right of indigenous individuals to obtain citizenship of the States in which they live.”175

Der Entwurf liegt derzeit bei dem 2006 neu gegründeten Human Rights Council, und

viele, insbesondere Oberhäupter eingeborener Gemeinschaften, hoffen auf eine

Einigung über eine Deklaration der Rechte der Eingeborenenvölker im Sepmtember

2007.176

173 Vgl. Working Group of Minorities, Office of the United Nations High Commissioner of the Human Rights. 174 Article 8, The Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities. Draft United Nations declaration on the rights of indigenous peoples, 1994, http://www.unhchr.ch/huridocda/huridoca.nsf/(Symbol)/E.CN.4.SUB.2.RES.1994.45.En?OpenDocument. 175 Article 32, The Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities. Draft United Nations declaration on the rights of indigenous peoples, 1994, http://www.unhchr.ch/huridocda/huridoca.nsf/(Symbol)/E.CN.4.SUB.2.RES.1994.45.En?OpenDocument. 176 Vgl. UN News Center. Indigenous leaders voice hope that UN assembly will soon adopt rights declaration, 6.9.2007, http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=23728&Cr=indigenous&Cr1.

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Die International Labour Organization (ILO) war die erste internationale Organisation,

die Aktionen zum Schutz der Eingeborenenvölker setzte. Seit der Gründung im Jahr

1919 setzte sich die ILO für die sozialen und ökonomischen Rechte für diejenigen

Gruppen ein, deren Traditionen, Bräuche und/oder Sprache von anderen Gruppen

bedroht werden. 1957 verabschiedete die ILO die Konvention 107 (heute 169), die

die erste internationale Übereinkunft war, die sich spezifisch mit dem Schutz der

Völker einsetzt, die durch die dominanten Kulturen in ihren Staaten bedroht werden.

Dabei betont diese Konvention, dass die Bestimmung der Identität eines Volkes

essentiell für ihr Überleben sei. Dies gilt für alle Eingeborenenvölker, inklusive

Waldvölker und verschiedene Pygmäengruppen. Zum damaligen Zeitpunkt wurden

Eingeborenen- und Stammesvölker als rückständig und kurzweilig angesehen. Man

sah es als zentrales Thema, sie in die Hauptgesellschaft einzugliedern, was durch

Assimilation oder Integration geschehen sollte.177

1986 berief die ILO ein Treffen ein, indem auf die Tatsachen reagiert wurde, dass die

Eingeborenenvölker sich immer stärker in der internationalen Politik etablierten und

aktiv wurden. So sah man sich gezwungen, die Konvention von 1957 zu

überarbeiten. Während des Beratungsprozesses zwischen 1987 und 1989 wurden

viele Eingeborenenvölker miteinbezogen, um die neue Lage und Situation ihrer

Völker darzulegen. Schließlich wurde 1989 die Konvention 169 angenommen, die

zwar noch dieselben Inhalte hat, aber zudem das Recht auf das Leben der

Eingeborenenvölker ohne Beeinflussung ihrer Kultur und ihrer Werte beinhaltet,

sodass sie ihre Identität nicht verlieren. Bisher haben lediglich 17 Staaten diese

Konvention ratifiziert. Für 18 Staaten ist die Konvention 107 noch gültig. Die DRC hat

keine der beiden Konventionen anerkannt. Zwar wurde seitdem keine neue

Konvention beschlossen, die ILO arbeitet jedoch intensiv in dem Bereich des

Schutzes von Eingeborenenvölkern.178

Elemente von Stammesvölkern nach der Konvention 169:

• Traditioneller Lebensstil

• Kultur und Lebensweise unterscheiden sich zu anderen Teilen der nationalen

Bevölkerung, z.B. Lebensunterhalt, Bräuche, Sprache etc.

• Eigene soziale Organisation und traditionelle Bräuche und Gesetze

177 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). Minorities Under Siege – Pygmies Today In Africa, aktualisiert am 31.8.2007, http://www.irinnews.org/InDepthMain.aspx?InDepthId=9&ReportId=58605. 178 Vgl. International Labour Organization (2003). ILO Convention on Indigenous and Tribal Peoples 1989 (No.169), A Manual, S.5f.

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Elemente eines Eingeborenenvolkes nach der Konvention 169:

• Traditioneller Lebensstil

• Kultur und Lebensweise unterscheiden sich zu anderen Teilen der nationalen

Bevölkerung, z.B. Lebensunterhalt, Bräuche, Sprache etc.

• Eigene soziale Organisation und Institutionen

• Leben über einen historisch kontinuierlichen Zeitraum in einer bestimmten

Region, bevor andere das Land übernahmen oder bezogen179

3.6.1. Weitere Definitionen

Definition der Weltbank:

For purposes of this policy, the term “Indigenous Peoples” is used in a generic sense

to refer to a distinct, vulnerable, social and cultural group possessing the following

characteristics in varying degrees:

• self-identification as members of a distinct indigenous cultural group and

recognition of this identity by others;

• collective attachment to geographically distinct habitats or ancestral territories

in the project area and to the natural resources in these habitats and

territories;

• customary cultural, economic, social, or political institutions that are separate

from those of the dominant society and culture; and

• an indigenous language, often different from the official language of the

country or region.180

Definition von Martínez Cobo

“Indigenous communities, peoples and nations are those which, having a historical

continuity with pre-invasion and pre-colonial societies that developed on their territories,

consider themselves distinct from the other sectors of societies now prevailing in those

179 Vgl. International Labour Organization, S.7. 180 Vgl. The World Bank Operational Manual (2005). Indigenous Peoples, January 2007, http://wbln0018.worldbank.org/Institutional/Manuals/OpManual.nsf/tocall/0F7D6F3F04DD70398525672C007D08ED?OpenDocument.

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territories, or parts of them. They form at present non-dominant sectors of society and

are determined to preserve, develop and transmit to future generations their ancestral

territories, and their ethnic identity as the basis of their continued existence as peoples,

in accordance with their own cultural patterns, social institutions and legal systems. In

short, Indigenous Peoples are the descendants of a territory overcome by conquest or

settlement by aliens.”181

Diese sind die am meisten anerkannten Definitionen von Eingeborenenvölkern. Viele

Internationale Organisationen und Organe der Vereinten Nationen haben diverse

Projekte installiert und Erklärungen zur Unterstützung der Eingeborenenvölker

abgegeben. Die Eingeborenenrechte sind von vielen nationalen Regierungen noch

nicht anerkannt, was vielleicht auch darin begründet liegt, dass es keine allgemeine

Definition bzw. eine Erklärung der Vereinten Nationen zu diesem Thema gibt.

3.7. Die Afrikanische Union(AU) und die Minderheitenrechte

Die Afrikanische Union wurde 1963 als regionale Organisation gegründet und diente

ursprünglich hautsächlich dazu, den Folgen des Kolonialismus entgegenzuwirken.

Bis zum heutigen Tage sind, bis auf Marokko, alle afrikanischen Staaten Mitglieder

der AU.

Das Prinzip, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Staaten einzumischen,

war der Grund dafür, dass sich die Staaten nicht bzw. kaum für Verletzungen der

Menschenrechte in den einzelnen Staaten interessierten. Erst 1981 verfasste die AU

eine Afrikanische Charta der Rechte für Menschen und Völker, die 1986 in Kraft trat.

Darin wurde auch vereinbart, dass ein Gerichtshof zu diesem Thema eingerichtet

werden würde. Bis 1999 haben bis auf Eritrea alle Staaten diese Charta

übernommen. Im Vergleich mit anderen bekannten Erklärungen zu

Menschenrechten, wie etwa der European Convention on Human Rights deckt die

Afrikanische Charta eine breitere Fülle an Rechten ab. Allerdings gibt es keine

unmittelbare Referenz zu Minderheiten, die als solche definiert sind. Erst als 1994

die AU Versammlung der Staats- und Regierungschefs in ihrer Erklärung „the protection

of the ethnic, cultural, linguistic and religious indentity of all our peopel, including national minorities, and

181 Vgl. Arbeitsdefinition aus dem Bericht an die UN Sub-Commission on the Prevention of Discrimination of Minorities von Martinéz Cobo (1986), in: International Work Group on Indigenous Affairs, Who are the indigenous peoples, http://www.iwgia.org/sw310.asp.

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the creation of conditions conductive to the promotion of this identity”182 verlangten, wurde man

auf die Minderheiten aufmerksam.

1999 wurden von der African Commission on Human and Peoples’ Rights (ACHPR)

drei Experten mit einer Studie zur Situation der Minderheiten in Afrika beauftragt.

Man kam zu dem Schluss, dass man eine Arbeitsgruppe einrichten müsste, die sich

mit der Situation der indigenen Völker in Afrika auseinandersetzt. Ihr Auftrag sollte es

sein, ein Konzept über die indigenen Völker zu erstellen und die Implementierung der

Afrikanischen Charta zu untersuchen.183

Trotzdem der Begriff Minderheit grundsätzlich vermieden wird, gibt es einige Artikel

der Afrikanischen Charta, die auch für Minderheiten eine erhebliche Bedeutung

haben bzw. für diese angewandt werden können. Der einzige Artikel, in dem die

ACHPR sich unmittelbar mit Minderheiten auseinandersetzt ist der Artikel 2, der die

Basis des Verbots der Diskriminierung darstellt. In diesem Artikel wird festgelegt,

dass die Rechte der Charta „without distinction of any kind such as race, ethnic group, colour,

sex, language, religion, political or any other opinion national and social origin, fortune, birth or other

status.“184 für jeden gültig sein müssen. In diesem Zusammenhang wurde auch betont,

dass diese Erklärung sich mit der, von den Vereinten Nationen beschlossenen,

Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and

Linguistic Minorities deckt.

In der Charta ist auch verankert, dass jeder die gleiche Behandlung und den gleichen

Schutz vor dem Gesetz erhalten soll185 und, dass der Staat für den Schutz der

individuellen Werte und die Anerkennung derer durch den Rest der Gemeinschaft

verantwortlich ist186.

Die Kommission und die Charta umgehen neben der Definition einer Minderheit auch

die Definition von Volk. Dies lässt den Schluss zu, dass die, in der Charta

verankerten, Rechte auch für Minderheiten gelten. Schwierig wird die Frage, wenn es

zum Selbstbestimmungsrecht kommt. Die Einschränkung der Selbstbestimmung ist

dann gegeben, wenn es die territoriale Integrität eines Staates in Frage stellt. Nur in

einem Fall wurde die Selbstbestimmung bisher in Betracht gezogen, in der Provinz in

Katanga in ZAIRE, der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Dabei wurde

allerdings, wie oben beschrieben, festgehalten, dass die Menschen von Katanga

182 Zitat aus Declaration on a Code of Conduct for Inter-African Relations, in: Pamphlet No.6 of the UN guide for Minorities. Minority Rights under the African Charter on Human and Peoples’ Rights, S.1. 183 Vgl. Pamphlet No.6 S.1. 184 Zitat in: Pamphlet No.6, S.2. 185 Vgl. Artikel 3. 186 Vgl. Artikel 17.

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eine teilweise Selbstbestimmung ausüben dürfen. Diese müsse allerdings mit der

nationalen Politik von ZAIRE konform gehen. Schließlich gibt es zum Thema

Entwicklung im Artikel 22 die Festlegung, dass alle Völker das Recht haben, sich

ökonomisch, sozial und kulturell frei zu entwickeln.187

Über die Rechte und Pflichten der Individuen wurden auch Artikel verfasst, die eine

Stärkung der Solidarität beinhalten. Ebenso sind die einzelnen Personen verpflichtet,

sich gegenseitig zu respektieren und jegliche Art von Diskriminierung zu

vermeiden.188

Trotz dieser Rechte gibt es auch Beschränkungen in der Charta, da einige Punkte

angeführt werden, die die Reichweite des Regelwerks beschränken können. So ist

es notwendig, dass die Rechte mit dem jeweiligen nationalen Recht konform gehen

müssen. Für dieses Faktum gibt es unterschiedliche Formulierungen in den

einzelnen Paragraphen, welche allerdings auch einigen Spielraum für

Interpretationen lassen.189

Die ACHPR setzt sich aus elf Mitgliedern zusammen, die „chosen from amongst African

personalities of the highest reputation, known for their high morality, integrity, impartiality, and

competence in matters of human and peoples’ rights”190, und für sechs Jahre im Amt sind und

wieder gewählt werden können. Diese werden von ihren Regierungen nominiert und

arbeiten als individuelle Kommissare.191

Die ACHPR trifft sich zweimal pro Jahr für mindestens 15 Tage in jeweils einem

afrikanischen Staat und ist für die Kontrolle und Beobachtung der Implementierung

der Charta in den afrikanischen Staaten verantwortlich. Ihren Hauptsitz respektive ihr

Sekretariat hat sie in Banjul, Gambia, wo sie auch gegründet wurde. Der Sekretär

der ACHPR wird vom Generalsekretär der AU ernannt und präsentiert der

Generalversammlung einmal jährlich einen Bericht über die Aktivitäten des ACHPR.

Die Entscheidungen über Resolutionen werden ebenfalls in der

Generalversammlung getroffen.192

Das Mandat der ACHPR ist sehr allgemein formuliert und sieht die Aufgaben der

Kommission darin, die Menschenrechte zu schützen, sie zu bestärken und die

Charta hinsichtlich der Auslegungen zu untersuchen. Die Methoden, die dazu

angewandt werden können, die Menschenrechte zu schützen, sind nicht genau

187 Vgl. Pamphlet No.6, S.2f. 188 Vgl. Artikel 28, Artikel 29. 189 Vgl. Pamphlet No.6,, S.3. 190 Zitat von der ACHPR (2007). Members, http://www.achpr.org/english/_info/members_achpr_en.html. 191 Vgl. ACHPR (2007). Members, http://www.achpr.org/english/_info/members_achpr_en.html. 192 Vgl. ACHPR. Rules of Procedure, http://www.achpr.org/english/_info/rules_en.html.

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festgelegt. Es wird lediglich der Auftrag, diese zu schützen, angeführt. Bezüglich

einer möglichen Auslegung bzw. Interpretation muss ein Mitgliedstaat oder ein

Individuum diese einfordern. Hinsichtlich der Bewerbung der Menschenrechte, soll

die ACHPR Analysen und Untersuchungen durchführen, die sich mit den Problemen

in Afrika beschäftigen. Weiters sollen Seminare und Workshops zur Bildung im

Bereich Menschenrechte veranstaltet werden. Dabei wird auch darauf abgezielt, mit

internationalen Organisationen und Akteuren zusammenzuarbeiten und durch

Entwicklung von legislativen Maßnahmen, den Schutz der Menschenrechte zu

gewährleisten.193

Die Charta definiert nicht explizit, wer, außer den Mitgliedstaaten, die Beschwerde

einbringen kann. Dabei ist auch nicht spezifisch von Individuen und NGOs die Rede.

Vielmehr wird von so genannten „other communications“ gesprochen. Es ist

Individuen und NGOs, auch außer-afrikanischen, möglich, eine Verletzung gegen die

Charta anzuzeigen. Die Beschwerden müssen auch nicht mit dem Einvernehmen der

Opfer eingebracht werden. Grundsätzlich sieht die Charta sieben Kriterien vor, die

eine Beschwerde erfüllen muss, um von der ACHPR untersucht zu werden:

1. Die Beschwerde darf nicht anonym sein, allerdings darf der Name der

Geheimhaltung der Kommission unterliegen.

2. Die Beschwerde muss Verletzungen der gültigen Rechte unter der Charta

betreffen.

3. Die Beschwerde darf über keine politischen Inhalte und Hintergründe verfügen

und nicht in diffamierender Sprache verfasst sein.

4. Der Bericht darf nicht ausschließlich auf Medienberichten basieren, diese sind

jedoch zu Unterstützung der Beweislast zulässig.

5. Die Beschwerde muss in einer angemessen Zeit nach dem Rechtsbruch

übermittelt werden.

6. Die Kommission behandelt keinen bereits auf andere Weise gelösten Fall.

7. Die Beschwerde darf erst übersandt werden, wenn alle anderen

Beilegungsstrategien versucht bzw. durchlaufen wurden.194

Die Untersuchung basiert anfangs auf einer Phase der Kommunikation. Der Staat,

gegen den die Beschwerde erhoben wurde, wird aufgefordert zu den Vorwürfen

Stellung zu nehmen. Sollte der Staat dieser Aufforderung nicht nachkommen bzw.

193 Vgl. ACHPR, Mandate, http://www.achpr.org/english/_info/mandate_en.html. 194 Vgl. Pamphlet No.6, S.5f.

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die Möglichkeit nicht nutzen, so kann die Kommission die Anschuldigungen als wahr

akzeptieren. Der Artikel 46 der Charta ermöglicht die ACHPR alle möglichen

Maßnahmen zur Aufklärung der Beschwerde zu ergreifen. Meistens werden die

betroffenen Parteien von der Kommission zu Anhörungen eingeladen. Wenn die

Treffen bzw. der schriftliche Informationsaustausch scheitert, so hat die ACHPR auch

die Chance vor Ort Untersuchungen durchzuführen. Nach den Untersuchungen wird

ein Bericht verfasst, der das Ergebnis der Kommission beinhaltet. Die Kommission

kommt zu ihrem Urteil und könnte dem Staat zu Kompensationszahlungen oder

anderen Maßnahmen raten. Die Entscheidungen haben allerdings keine zwingende

Bindung für die einzelnen Staaten. Auch, wenn die ACHPR nicht notwendigerweise

die Fälle durch Übereinkommen regeln muss, so ist das ihre bevorzugte

Herangehensweise. Die Ergebnisse werden nicht veröffentlicht, wodurch sie auch

nur schwer zugänglich sind, und die Arbeit der ACHPR kaum Beachtung fand bzw.

findet.195

Als NGO ist es möglich, einen Beobachterstatus zu erlangen. Als Voraussetzung für

eine Gewährleistung eines Beobachterstatus ist eine Übereinstimmung der Ziele des

NGOs mit den Ideen der Charta der AU und der Afrikanischen Charta über die

Rechte des Menschen und der Völker essentiell. Die Bewerbung für die

Genehmigung eines solchen Status muss mindestens drei Monate vor der Sitzung

eingereicht werden. Danach wird die NGO in seiner Struktur und seinen Aktivitäten

untersucht. Seit 1991 sind NGOs ständige Beobachter bei Sitzungen der ACHPR,

sind allerdings nicht in die Verteilung der Ergebnisdokumente eingebunden und

unterliegen einem strengen Verhaltenskodex während der Sitzungen. 196

195 Vgl. Pamphlet No.6, S.7f. 196 Vgl. Pamphlet No.6, S.8f.

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4. Zentrale Fragestellungen

In wie weit ist in der Demokratischen Republik Kongo die Transition abgeschlossen,

wer sind die zentralen Akteure und Machtinhaber? Wie sieht dabei die Rolle der

Internationalen Gemeinschaft aus?

In wie weit sind die neu gegründeten Institutionen dazu in der Lage effektiv und

legitim zu arbeiten und wodurch wird ihre Arbeit behindert?

In wie weit sieht die neue Verfassung der Demokratischen Republik Kongo einen

effektiven Minderheitenschutz vor, wie wird Minderheit definiert und wie sieht die

realpolitische Situation aus?

In wie weit gelingt es den Pygmäen sich zu organisieren und wird ihre Organisation

durch interne Problemen (unterschiedliche Vorstellungen zwischen den Völkern,

mangelnde Homogenität etc.) oder mit externen Faktoren (Schwierigkeiten bei der

Kommunikation, Behinderung durch Behörden etc.) zu kämpfen?

4.1. Unterstützende Fragestellungen

Wie wird Minderheit international definiert und gibt es eine anerkannte Definition?

Wie weit ist die Internationale Gemeinschaft im Bereich Minderheitenschutz und wie

wird dies auf Nationalstaaten implementiert?

Wie entwickelte sich die die politische Landschaft in der Demokratischen Republik

Kongo bis zu ihrer heutigen Form?

Wodurch endete der Krieg und wer sind/waren die zentralen Akteure während des

Transitionsprozesses?

Wie sieht die Gesellschaft der Pygmäen aus und in weit besteht ein

Gemeinschaftsgefühl innerhalb zwischen den einzelnen Stämmen?

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Wie sieht das Verständnis von Macht und Politik bei den Pygmäen aus?

Mit welchen Problemen haben die Pygmäen zu kämpfen und durch wen bzw. worin

haben diese ihren Ursprung?

In wie weit besteht Interesse seitens der Pygmäen an der Problemlösung bzw. an

der politischen Ebene teilzuhaben und wie sehen die Möglichkeiten ihrer

Organisation aus?

4.2. Hypothesen

1. Durch den Mangel und die Schwierigkeit, sich auf eine gemeinsame und allgemein

gültige Minderheitendefinition zu einigen, ist es auch nicht möglich eine bestimmte

Strategie und ein Regelwerk zum Schutz von Minderheiten zu formulieren. Sowohl

der Schutz wie auch die Definition liegen in der freien Wahl der Staaten.

2. Die Demokratische Republik Kongo befindet sich trotz der Durchführung der

ersten freien Wahlen nach wie vor in einer Transition, da die derzeitige Regierung

und die anderen Institutionen über zu wenig Erfahrung auf politischer Ebene

verfügen und dadurch nicht effektiv zu arbeiten in der Lage sind.

3. Die Macht liegt nicht ausschließlich bei den durch die Wahlen bestimmten

Personen, da die Regierung und die mit ihr zusammenarbeitenden Institutionen

keine uneingeschränkte Souveränität über das gesamte Staatssystem ausüben

kann. Zudem sind die Einflüsse und der Druck der Internationalen Gemeinschaft ein

Faktor, der die Unabhängigkeit und die Macht der neuen Regierung in der DRC

einschränkt.

4. Durch die nach wie vor instabile Lage des Kongo, sind internationale Akteure

hinsichtlich ihrer Bemühungen und Aktivitäten sehr vorsichtig. Die internationale

Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes ist gering und an viele Bedingungen

gebunden.

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5. Die politische Landschaft in der Demokratischen Republik Kongo ist sehr stark

fragmentiert, wodurch sich entscheidende Reformen nur sehr schwer umsetzen

lassen und die politische Wiedergeburt des Staates nur sehr langsam vor sich geht.

6. Durch die Verfassung sind alle Minderheiten des Landes legal geschützt,

allerdings gibt es, da es keine Definition von Minderheit gibt, keinen wirksamen

Mechanismus zum praktischen Schutz dieser Gruppen.

7. Durch das System und die traditionelle Lebensweise der Pygmäen ist es ihnen nur

schwer möglich sich in ein politisches System einzugliedern bzw. daran teilzuhaben.

Lediglich eine geringe Elite versucht diese traditionellen Grenzen zu umgehen und

die Politik aktiv mitzugestalten.

8. Mangelnde Bildung und schwierige bis unmögliche Kommunikation der Pygmäen-

Stämme der unterschiedlichen Länder untereinander und mit der Außenwelt machen

eine effektive Organisation unmöglich.

9. Die unterschiedlichen Lebenssituationen und Probleme sowie die teilweise

Assimilierung von einzelnen Pygmäenstämmen in den verschiedenen Ländern

erschweren die Organisation der Pygmäen untereinander zusätzlich und

beeinflussen die Homogenität des Volkes erheblich, wodurch ihre Position

geschwächt wird.

10. Durch die radikalen Einflüsse von außen auf das Leben und die Lebensweise der

Pygmäen sind diese gezwungen sich auf neue Situationen einzustellen, was ihnen

nur sehr schwer gelingt und wodurch sie vielfach ihre Identität verlieren.

11. Die Pygmäen fallen nicht unter den Schutz der Verfassung, da sie einerseits

größtenteils keine Staatsbürger sind und andererseits nicht unter den in der

Verfassung verwendeten Minderheitenbegriff fallen.

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5. Probleme während der Arbeit

Während den Forschungen zu dieser Studie wurde deutlich, wie wenige

Informationen über die Pygmäen verfügbar sind bzw. wie gering der Wissenstand

über dieses Volk ist. Es gibt kaum Dokumente oder Texte, die aktuell sind und die

Situation der Pygmäen analysieren oder beschreiben. Die meisten Informationen

sind auf den Internetseiten von NGOs zu finden, wobei diese teilweise durchaus

kritisch zu hinterfragen sind. Da dies eine wissenschaftliche Arbeit darstellt, in der

subjektiv eine Situation analysiert werden soll, ist es mitunter gefährlich, Texte oder

Informationen zu verwenden, die von Organisationen stammen, die teilweise als

Propaganda bzw. zum Zweck der Finanzierung ihrer Projekte dienen. Da sich die

Texte und Berichte allerdings sehr stark ähneln, wurde versucht, die Fakten, die sich

nachprüfen lassen in diese Studie einzuarbeiten.

Es wurden für diese Arbeit keine offiziellen Interviews gemacht. Die ersten

Erfahrungen aus Gesprächen mit Einwohnern der DRC führten zu der Entscheidung

die Gespräche auf informeller Basis zu führen. Grund dafür war einerseits die

Warnung, dass während der Gespräche mit Kongolesen das Thema Pygmäen mit

Vorsicht zu genießen sei, da viele der Einwohner der DRC Vorurteile gegen das

Waldvolk hegen und es vielen Kongolesen unangenehm ist, über die Pygmäen zu

sprechen. Hintergrund, so wurde mir erklärt, ist die Tatsache, dass die Situation, in

der sich die Pygmäen befinden, allgemein bekannt ist, und viele Kongolesen dazu

tendieren, die Augen vor dieser Situation zu verschließen. Ich kann diese

Einschätzung aus meinen persönlichen Erfahrungen bestätigen und entschied mich

das Thema Pygmäen nur dann zu erwähnen, wenn ich es für bedenkenlos hielt.

In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion über das Thema Minderheiten

kam in den in den 60iger Jahren ein neuer Begriff hinzu, die „Indigenous Peoples“,

die in weiterer Folge der Arbeit als Indigene Völker oder Eingeborenenvölker

bezeichnet werden. Indigene Völker sind in dem Dialog über die Rechte für

Minderheiten bereits als eigenes Themengebiet ausgegliedert. Hier wird allerdings

die Meinung vertreten, dass die indigenen Völker eine besondere Art Minderheiten

sind und aus diesem Grund nicht unabhängig vom Minderheitenschutz behandelt

werden sollten. Einer der Unterschiede bzw. notwendigen Erweiterung, die gemacht

werden müssen, um den Begriff Minderheiten auch Indigene Völker vollständig mit

einzubeziehen, ist die Frage des Rechtes auf Landbesitz. Da die Diskussion, ob

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indigene Völker eine eigene Kategorie darstellen oder als Minderheiten behandelt

werden müssen, würde den Rahmen dieser Arbeite sprengen. Hier wird die Ansicht

vertreten, dass die Indigenen Völker in beinahe allen Fällen die Kriterien, die als

Grundlage zur Minderheitenbestimmung gelten und die Basis dieser Arbeit bilden,

erfüllen. Aus diesem Grund entschied sich der Autor, die Indigenen Völker in dieser

Studie auch als Minderheiten zu bezeichnen und den speziellen Aspekt des

Landrechts mit einzubeziehen, da dieser im Fall der Pygmäen einen zentralen

Problempunkt darstellt. In der Folge werden Indigene Völker, mit Ausnahme des

Kapitels über deren Definition, als Minderheiten bezeichnet.

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6. Die Demokratische Republik Kongo (DRC)

Da es sich bei dieser Studie um eine Fallstudie einer bestimmten Minderheit in der

DRC handelt, wird in diesem Teil die Situation in der Demokratischen Republik

Kongo analysiert, die innerstaatliche politische Landschaft sowie die Beziehungen

zwischen den einzelnen Hauptakteuren der Politik untersucht und erklärt. Um

allerdings die heutige Situation untersuchen zu können, muss man auch die

historische Entwicklung aufbereiten. Da dies nicht das primäre Thema dieser Studie

darstellt und die historischen Entwicklungen der DRC sehr viele Facetten umfassen,

wird die Geschichte nur in groben Zügen dargestellt.

6.1. Geschichte

6.1.1.Entstehung des staatlichen Gebiets Kongo

Das Interesse an dem Kontinent Afrika als Siedlungsgebiet wuchs im 19.Jahrhundert

stetig und sehr schnell. Hintergrund dafür waren einerseits die industrielle

Entwicklung und andererseits die zunehmende Industrialisierung und die damit

verbundene Vielfalt an Möglichkeiten, die sich in Afrika boten, neue Produkte zu

entwickeln und auf den Markt zu bringen. Des Weiteren wurde der afrikanische

Kontinent zusehends und auch im Landesinneren erkundet und kartographiert. Otto

von Bismarck lud die Vertreter der wichtigsten Länder197 ein, um an einer Konferenz

zur Zusammenarbeit in Afrika teilzunehmen.

„Beim Umgang mit Barbaren ist die Despotie eine legitime Form der Regierung,

vorausgesetzt, sie bezweckt deren Besserung.“198

Diese wurde am 15.November 1884 eröffnet. Inhalt war die Aufteilung des

Kontinents, denn im Rahmen der Konferenz wurden Rechtsnormen beschlossen, die

den Erwerb einer Kolonie sowie die damit verbundenen Rechte und Pflichten

regelten. Da das Kongo-Becken das rohstoffreichste Gebiet in Afrika war, versuchten

197 Die Teilnehmerländer waren die USA, die Türkei, Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Portugal, Spanien, Russland und Schweden-Norwegen (Personalunion), in: Kongoakte in deutscher Übersetzung (1885). Band 0 93 Deutscher Reichstag, http://mdz1.bib-bvb.de/cocoon/reichstag/Blatt_rtb093,0332.html. 198 Zitat John Stuart Mill, Essay on Liberty, in: Matthiesen, Kalala Illunga (2005). Die demokratische Republik Kongo. Eine Analyse aus staatstheoretischer, verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Sicht, Waxmann Verlag GmbH, Münster, S.23, Fußnote 30.

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alle Länder Einfluss darauf zu erlangen. Am Ende der Konferenz wurde die so

genannte Kongoakte unterzeichnet. Diese regelte den Zugang aller Nationen zum

Handel im Kongo-Becken und bedeutete einen privaten Triumph für Leopold II., dem

es gelang, seinen privaten Anspruch auf den Kongo mit Hilfe seiner

Kongogesellschaft zu rechtfertigen. Zu dieser Zeit wurde im Kongo die Idee des

Liberalismus aufgebaut, was bedeutete, dass Religions- und Versammlungsfreiheit

herrschte.199

Bis zum Jahr 1908 verfügte der Kongo über keine Verfassung. Die Hoheitsgewalt lag

ausschließlich beim König von Belgien, Leopold II., der auch die Verwaltungs- und

Militärbeamten ernannte, die ihm auch direkt unterstanden. Seine Regentschaft und

die damit verbundenen Methoden wurden vielfach und weltweit kritisiert, was auch

dazu führte, dass er schließlich sein Privateigentum Kongo aufgab. Er übergab es

dem belgischen Staat und handelte dem belgischen Staat eine hohe Kommission

ab.200 Kurz vor der endgültigen Übergabe vernichtete er alle seine Kongo-Akten.201

„Ich werden ihnen meinen Kongo geben aber sie haben kein Recht zu erfahren, was ich dort getan

habe.“202

6.1.2. Die Kolonialzeit 1908 – 1960

Am 15.November 1908 wurde aus dem Freistaat Kongo offiziell eine belgische

Kolonie mit Namen „Congo Belge“203. Die Gesetzgebungsgewalt lag nach wie vor in

Belgien, doch mittlerweile im Parlament. In der kolonialen Charta war das politische

Statut des Belgisch-Kongo verankert, das gleichzeitig auch als Verfassung diente.

Die Verwaltung der Kolonie oblag dem Kolonialministerium, welches sich in sechs

Referate gliederte. Vor Ort befand sich ein Generalgouverneur, der dem Belgisch-

Kongo vorstand und seinen Sitz in Léopoldville (dem heutigen Kinshasa) hatte..204

Die Artikel 2-5 der Verfassung enthielten die Grund- und Freiheitsrechte der

Einwohner des Kongo. Allerdings wurden die Kongolesen gegenüber den Belgiern

199 Vgl. Matthiesen, S.23f. 200 Vgl. Follath, S.73. Erich (2007). Land der Finsternis, in: Spiegel Special. Geschichte. Afrika. Das umkämpfte Paradies 2/2007, Spiegel – Verlag Rudolf Augstein GmbH& Co KG, Hamburg, S.73. 201 Vgl. Matthiesen, S.25. 202 Zitat Leopold II., in: Hochschild, Adam (2001). Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen, Klett-Cotta, Freiburg, S.414. 203 In weiterer Folge als Belgisch-Kongo bezeichnet. (Anm. d. Autors) 204 Vgl. Kanu, Gertrud/ Indongo-Imbanda, Iseewanga. Geschichte Kongo I, http://www.kongo-kinshasa.de/geschichte/geschichte2.php.

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nicht als gleichberechtigt angesehen. Grundsätzlich sah die Kolonialverwaltung eine

Unterordnung der Einheimischen vor, wofür es allerdings Ausnahmeregelungen gab.

So wurde etwa Kongolesen, die eng mit den Belgiern zusammenarbeiteten, ein

beschränktes Recht auf Partizipation an der politischen Sphäre eingeräumt. Zudem

blieb den Häuptlingen und traditionellen Stammesführen ihre Autorität in lokalen und

prinzipiell unwichtigen Dingen grundsätzlich erhalten, und sie konnten nach der

traditionellen Rechtssprechung entscheiden. Der staatliche Verwaltungsapparat

kümmerte sich hauptsächlich um den Erhalt der Ordnung und diverser

Sicherheitsmaßnahmen.205

Während der Herrschaft von Léopold II. gelang es ihm im Kongo den, auf der

Berliner Konferenz vereinbarten freien Handel in der Region, latent zu unterwandern

bzw. zu umgehen. Grund dafür war einerseits, dass der Staat ein Monopol etabliert

hatte, das für die wichtigsten Exportgüter galt. Zudem wurde mit Hilfe zweier Dekrete

die Vorherrschaft auf die ländlichen Gebiete und die Arbeit der Einheimischen

gesichert. Von dieser Einschränkung der Handelsfreiheit profitierte auch der

Belgisch-Kongo, und dieses Modell fand auch in einer späteren Regierungsperiode

des Kongo noch einmal Anwendung.206

6.1.3. Unabhängigkeit 1960 – 1965 oder die Kongowirren

Durch die Machtübernahme der Liberalen in Belgien kam es in den 50iger Jahren zu

einigen Reformen im Belgisch-Kongo, die eine Gleichstellung der autochthonen

Bevölkerung gewährleisten sollten jedoch praktisch ohne Effekt blieben. Zur selben

Zeit schritt die Entkolonialisierung zusehends voran, wobei Belgien die Dynamik

dieses Prozesses verkannte. Ein Artikel eines belgischen Professors, der die

Entkolonialisierung forderte Artikel wurde im Belgisch-Kongo zum Anlass

genommen, die eigenen Ideen eines unabhängigen Staates zu formulieren. So

wurde von kongolesischen Intellektuellen unter der Führung von Joseph Ileo207, und

unter der Schirmherrschaft von Kardinal Abbé Malula, dem Erzbischof von Kinshasa,

ein Manifest mit dem Titel „Manifeste de la conscience africaine“ veröffentlicht, in

dem auch vehement die mittelfristige Unabhängigkeit des Kongo gefordert wurde.

205 Vgl. Matthiesen, S.27. 206 Vgl. Matthiesen, S.29. 207 Joseph Ileo war später auch Ministerpräsident von 5.9.1960 bis 2.8.1961 und von 1990 bis zu seinem Tod 1994. (Anm. d. Autors)

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Diese Veröffentlichung löste eine Diskussion aus, und es gab ein wichtiges

Gegenmanifest der Gruppe ABAKO (Allianz von Bakongo), das die unmittelbare

Unabhängigkeit, die sofortige Erteilung der politischen und individuellen Rechte

sowie die Erlaubnis zur Gründung von Parteien forderte.208

Um diese Manifeste zu entkräften und den Ideen etwas entgegenzuwirken,

präsentierte der belgische König Baudouin I. die Idee einer belgisch-kongolesischen

Gemeinschaft. Er erließ das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie

Meinungsbildung sowie die Erlaubnis zur politischen Betätigung. Es wurden vier

Parteien gegründet; die ersten Wahlen fanden allerdings erst drei Jahre vor der

Unabhängigkeit statt und beschränkten sich auf die drei großen Städte Léopoldville

(Kinshasa)209, Elisabethville (Lubumbashi) und Jadotville (Likasi). Nach diesen

Wahlen wurde die Parteilandschaft im Kongo zusehends fragmentierter, und es

wurden laufend neue Parteien gegründet. Es kam immer wieder zu neuen auch

teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen. Zudem waren die Parteien von einem

starken ethnischen Partikularismus geprägt und hatten bis auf die Forderung nach

der Unabhängigkeit des Kongo wenige bis keine Gemeinsamkeiten hatten.

Grundsätzlich konnte man die Parteien allerdings zwei Strömungen zuordnen. Auf

der einen Seite gab es den Block, der auch die Föderalisten genannt wurde, der sich

für eine sofortige Unabhängigkeit der Provinz Léopoldville aussprach und das

restliche Volk als noch nicht bereit für eine sofortige Unabhängigkeit sah. Dem

gegenüber stand der Block der Unitaristen, die sich für einen zentral regierten Kongo

aussprachen.210

Zu Beginn des Jahres 1960 trafen sich 155 Delegierte211 und 16 unabhängige

Berater zu einem Runden Tisch in Brüssel, um die Frage der Unabhängigkeit des

Kongo zu klären. Dabei nahmen die Parteien eine einheitliche Position ein und

koordinierten ihre Interessen. Zudem gaben sie den anwesenden Investoren die

Zusage, die Bildung einer totalitären Regierung zu verhindern und ein

demokratisches Staatssystem aufzubauen.212

So wurde der Kongo nach den Grenzen, die bei der Berliner Konferenz vereinbart

wurden, in die Unabhängigkeit entlassen, deren Datum mit dem 30.Juni 1960

festgelegt wurde. Den Unitaristen gelang es auch, die Teilnahme von Patrice

Lumumba, der zum damaligen Zeitpunkt bereits ein halbes Jahr inhaftiert war, weil 208 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo I. 209 Die Namen in den Klammern sind die heutigen Namen der Städte. (Anm. d. Autors) 210 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo I. 211 100 Kongolesen und 55 Belgier. (Anm. d. Autors) 212 Vgl. Matthiesen, S.29.

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die Belgier versuchten seinen Aufstieg zu verhindern, durchzusetzen.213 Die ersten

Wahlen fanden noch vor der Erlangung der eigentlichen Unabhängigkeit am 25.Mai

1960 statt und wurden von Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen

begleitet. Das Ergebnis sah schließlich Joseph Kasavubu als Präsidenten und

Patrice Lumumba als Premierminister vor, und die in Belgien ausgehandelte

Verfassung trat in Kraft. Diese sah einen Föderalstaat mit einem Mehrparteiensystem

vor.214

Die faktische Unabhängigkeit dauerte nicht allzu lange, da der junge Staat nicht fähig

war, die auf ihn zukommenden Probleme zu lösen bzw. ihnen entgegenzuwirken.

Diese Situation wurde von den Belgiern gezielt hervorgerufen, da man seitens

Belgiens hoffte, im Fall von Problemen zu Hilfe gerufen zu werden.215

Die Regierung Lumumba hatte keine Gelegenheit, eine stabile und funktionierende

politische Sphäre für eine wirtschaftliche und soziale Basis zu schaffen, da sich die

staatliche Basis sukzessive auflöste, und die Einigung der Regierung schnell

abnahm.216

Das Militär lehnte sich gegen die Regierung auf, da man sich ungerecht behandelt

fühlte und kritisierte, dass die Gleichberechtigung nicht innerhalb des Militärs

angewandt wurde. Unmittelbarer Auslöser für die Kongowirren war der Konflikt von

General Janssens und seinen Soldaten. Es folgten die Besetzung mehrerer Städte

und offene Konflikte mit der belgischen Armee. In weiterer Folge erklärte Moise

Tshombe, ein Sezessionistenführer, Katanga, die rohstoffreichste Provinz des

Kongo, für unabhängig. Die Folge war ein Krieg zwischen den belgischen Truppen in

der Katanga–Provinz und der nationale Armee. Doch auch innerhalb der Regierung

kam es zu Spannungen zwischen Präsident Kasavubu und Lumumba.217

Auch internationale Politik spielte eine wichtige Rolle im Kongo, da der inzwischen

ausgebrochene Kalte Krieg sich auch in Afrika zeigte. Sowohl die USA wie auch die

Sowjetunion wollten den Kongo aufgrund seiner Rohstoffe um jeden Preis und

versuchten, ihren Einfluss geltend zu machen. Seitens der Sowjetunion versuchte

man, Lumumba zu überzeugen, sich auf die russische Seite zu schlagen. Obwohl

den Amerikanern bekannt war, dass Lumumba ein Nationalist war und keine großen

213 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo I. 214 Vgl. Matthiesen, S.29f. 215 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo II. http://www.kongo-kinshasa.de/geschichte/geschichte3.php. 216 Vgl. Matthiesen, S.30. 217 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo II.

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Sympathien für den Kommunismus hegte, wurde man in den USA unsicher und

unterstellte Lumumba die Kooperation mit den Kommunisten.218

Noch im Juli 1960 beschloss man in den Vereinten Nationen UN-Truppen in den

Kongo – respektive nach Katanga – zu entsenden und forderte den gleichzeitigen

Abzug der belgischen Truppen. Die Gräben zwischen Kasavubu und Lumumba

waren so tief, dass es schließlich im Herbst 1960 zur gegenseitigen Entlassung kam.

Dieses Machtvakuum wurde von Joseph Désiré Mobutu, der zum damaligen

Zeitpunkt Staatssekretär war, ausgenutzt, und er übernahm im Namen der Armee die

Macht.219

Lumumba, der sich auf dem Weg nach Stanleyville befand, wurde von Mobutus

Soldaten mit der Unterstützung der USA, die ihre Hubschrauber zu Verfügung

stellten, verhaftet. Nach einiger Zeit wurde er nach Katanga gebracht, wo er

ermordet wurde. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute unklar. Wie

weit die Unterstützung der USA ging ist nicht restlos geklärt. Ebenso ist nicht ganz

eindeutig, welche Rolle die UNO in diesen Tagen spielte. Viele meinen, dass man ihr

in der Position von Dag Hammarskjöld auch eine gewisse Teilschuld geben

müsse.220 Tatsache ist, dass die Ermordung Lumumbas nicht absolut gegen die

Interessen der UNO zum damaligen Zeitpunkt war.221

In den folgenden vier Jahren wurden die verschiedensten Sezessionsversuche und

Krisen aufgrund von UNO-Interventionen oder durch Mobutus Armee beendet

respektive abgewandt. Bis 1965 beschränkte sich Mobutu auf seine militärische

Position. Erst als sich die von Tshombe 1964 gebildete Regierung als sehr instabil

herausstellte und sich Präsident Kasavubu und Premierminister Tshombe zerstritten

hatten, nutzte Mobutu die Situation und übernahm durch einen unblutigen

Militärputsch am 25.Oktober 1965 die Macht im Kongo und verbot für fünf Jahre

jegliche politische Aktivitäten.222

218 Vgl. Follath, S.73f. 219 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo II. 220 Vgl. Witte, Ludo de (2001). Regierungsauftrag Mord. Der Tod Lumumbas und die Kongokrise, Forum-Verlag, Leipzig. 221 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo II;Follath, S.74. 222 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III, http://www.kongo-kinshasa.de/geschichte/geschichte4.php; Follath, S.74.

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6.1.4. Die Zweite Republik – Mobutus Herrschaft

Nach seiner Machtübernahme änderte Mobutu seinen Namen in Mobutu Sese Seko

Kubu Ngbendu wa za (Waza)223 Banga224. Die Unterstützung der Nationalisten und

ehemaligen Anhängern von Lumumba sicherte er sich durch scheinbare Sympathie

für die Politik Lumumbas, den er zum Nationalhelden erklärte.225 Er spielte bereits zu

Beginn seiner Herrschaft sehr stark mit der Angst der Menschen, die ihn umgaben

bzw. in der politischen Sphäre tätig waren. So setzte er etwa Minister ein, die, wenn

sie sich zu sicher fühlten und selbstständig zu handeln begannen, wieder entlassen

wurden. Mobutu sah den Staat als sein Privateigentum und bediente sich auch

regelmäßig an der Staatskasse. Diese war teilweise noch durch die Politik von

Léopold II. gefüllt.226 Das politische System bestand größtenteils aus der

Einheitspartei Mouvement populaire de la revolution (MPR), die auch gleichzeitig als

eine Institution angesehen werden kann. Die zentralen und wichtigsten Organe der

MPR waren der Gründer-Präsident (Président-Fondateur) selbst, der Kongress, das

Politbüro sowie das Zentral- und Exekutiv-Komitee. Das Parlament (Conseil legislativ

national) wurde für fünf Jahre gewählt und bestand aus, ausschließlich von der

Parteiführung aufgestellten Volkskommissaren (Commisaires du Peuple). Zudem

gab es noch regionale Parlamente. Die Kontrollaufgaben des Parlaments waren

faktisch außer Kraft gesetzt und die Verteilung der Gewalten nicht vorhanden, da der

Präsident eigene Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit durchsetzen und

verwirklichen wollte.227

Mobutus Ziel, den Kongo kulturell unabhängig228 zu machen, stand zuerst im

Schatten des Erreichens des Ziels der Erlangung der politischen und wirtschaftlichen

Unabhängigkeit. Die Ideen Mobutus waren deutlich in die Richtung orientiert, wonach

die wirtschaftlichen Geschäfte in seiner Hand liegen sollten. Im Jahr 1967 wurde

auch das Gesetz Bakajika erlassen, das der Republik die Vollmacht über jegliche

Staatsgüter und die absolute Hoheit über alle Gebiete, Minen und Forste des

gesamten Staatsgebiets verlieh.. Diese und andere Aktionen waren der Beginn der

223 In unterschiedlichen Quellen gibt es unterschiedliche Schreibweisen für den Namen. (Anm.d. Autors) 224 Sein Name wird mit zwei Bedeutungen übersetzt. 1.„allmächtiger Krieger, der durch seine Ausdauer eine Eroberung an die andere reiht“ und 2.„der starke Hahn, der keine Henne unbestiegen lässt“, in: Follath, S.74. 225 Vgl. Matthiesen, S.31. 226 Vgl. Follath, S.74. 227 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 228 Die kulturelle Unabhängigkeit wollte Mobutu durch Authentizität erreichen. Authentizität ist das Konzept der Klärung zwischen dem Verhältnis der afrikanischen Kultur zur europäischen Kultur. Konkreter wurde eine Rückbesinnung auf die afrikanischen Werte gefordert, in: Kopfmüller, Simone (1999). Politische Ideen zur Unabhängigkeitsbewegung, in: Informationen zur politischen Bildung, Nr.264, München, S.35-37.

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Verstaatlichungsperiode und ermöglichten durch diverse Gesetzesänderungen auch

die teilweise aktive Beteiligung der Kongolesen an der Ausbeutung des

Mineralienreichtums. Am 24.Juni 1967 wurde die Verfassung, die im Vergleich zu

den vorangegangenen sehr revolutionär war, verabschiedet. Darin war neben der

wirtschaftlichen Unabhängigkeit auch die gleichmäßige Verteilung des Reichtums

verankert, wodurch Jeder Wohlstand erlangen könnte und die Möglichkeit haben

sollte, sich moralisch und geistig zu entfalten.229

Die Verfassung sah auch ein Ein-Parteien-System vor, wodurch sich Mobutu seine

politische Unantastbarkeit sicherte. Während seiner Reisen durch das Land

inszenierte er sich als Landesvater, der sich fürsorglich um seine Landsleute

kümmerte. Er spielte auch sehr stark mit der Authentizität, für die er sich selbst

verantwortlich sah. Im Mai 1967 veröffentlichte er das Manifest von N’Sele. Neben

der Gründung der Einheitspartei MPR definierte dieses Manifest auch die neue

politische Philosophie des Landes. Darin ging es um die Authentizität. Inhaltlich war

es eine Verherrlichung der vorkolonialen Strukturen und Werte. Das Land wurde in

diesem Zug am 21.Oktober 1971 in Zentralafrikanische Republik (ZAIRE)

umbenannt, eine neue Flagge entworfen und die Nationalhymne geändert. 1972

wurden alle christlichen Vornamen geändert und im ganzen Land wurden Anzüge

abgeschafft und gegen traditionelle Kleidung getauscht. Die Schwierigkeiten, die

hinter der Authentizität, wie sie Mobutu im Kongo zur Ideologie machen wollte,

steckten, konnten nie ganz kaschiert werden. Der Kongo war in seiner Geschichte

ein multikultureller Staat und beherbergte viele verschiedene Völker mit

unterschiedlichsten Traditionen, Sprachen und Geschichten.230

Seinen Status innerhalb des Landes konnte Mobutu durch seine enorme

Ausstrahlung und ein strenges Regime erhalten. So ließ er 1966 vier Putschisten vor

ein Militärgericht stellen, das binnen weniger Tage das Todesurteil verhängte,

welches vor 50.000 Menschen durch Aufhängen vollstreckt wurde. Jeden Abend

erschien Mobutu im Fernsehen, um zu seinem Volk zu sprechen. Er stellte sich dabei

als aus dem Himmel herabblickender – manchmal streng, manchmal freundlich –

Vater des Volkes dar.231

Außenpolitisch war Mobutu sehr stark mit den Amerikanern verbunden. Das Regime

Mobutus unterstützte auch die Opposition UNITA232 in Angola, welche die

229 Vgl. Matthiesen, S:32f. 230 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 231 Vgl. Follath, S.74. 232 Union pour l’indépence totale de l’Angola. (Anm. d. Autors)

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sozialistisch-kommunistische Regierung des Landes bekämpfte. Mobutu versorgte

die UNITA mit Waffen und wurde dabei auch von der CIA233 unterstützt. Die

Unterstützung lag auch daran, dass es im Kongo Vorkommen von

atomwaffenfähigen Uranium sowie anderen wichtigen Rohstoffen gab. Aus diesem

Grund förderten die USA den Kongo und somit Mobutu mit mehreren Millionen Dollar

pro Jahr.234 Mobutu war allerdings keineswegs eine Marionette der Amerikaner, denn

es gelang ihm im Laufe seiner Herrschaft diese zu manipulieren, um so mehr Profit

für sich herauszuschlagen. Etwa drohte er, als ihm die Wirtschaftshilfe zu gering war,

sich dem Kommunismus anzunähern, woraufhin er von den Amerikanern mehr

Unterstützung erhielt. Er stellte den USA auch einen Luftwaffenstützpunkt zu

Verfügung, brüskierte sie aber gleichzeitig immer wieder durch verbale Ausfälle. Das

Ende des Kalten Krieges ist gleichbedeutend mit dem Anfang des Endes der Ära

Mobutu. 235

In den Jahren vor dem Ende des Kalten Krieges war Mobutu auch gezwungen, die

Wirtschaft des Landes in eine andere Richtung zu lenken. Da die öffentlichen und

verstaatlichten Unternehmen des Landes scheiterten, war er gezwungen, die

Bedingungen des Internationalen Währungsfonds (IMF) und der Weltbank zu

akzeptieren und private Unternehmen durch die öffentliche Hand des Staates zu

fördern. Da sich im Kongo an sich wenige wettbewerbsfähige Firmen befanden,

wurde durch eine starke Liberalisierung des Marktes der Weg für ausländische

Investoren frei gemacht. Die wirtschaftliche Lage des Kongo litt ebenso unter den

geringen Rohstoffpreisen, die zu diesem Zeitpunkt am Weltmarkt herrschten wie

unter den stark reduzierten finanziellen Unterstützungen der ehemaligen

Kolonialmacht Belgien und der USA, die nach dem Ende des Kalten Krieges kein

Interesse bzw. keinen Vorteil darin sahen, den Kongo zu unterstützen. Das

internationale Image des Kongo war von Korruption geprägt, und die

Staatsverschuldung wuchs bis 1990 auf 8,6 Milliarden Dollar236. Die gebildete Elite

und die Opposition waren durch die internationalen Medien über die Situation

informiert. Die Mittelschicht war im Laufe der Jahre völlig verschwunden, und es gab

nur noch eine kleine reiche Elite und den Rest des Landes, der in Armut lebte.

Menschen wurden regelmäßig Opfer von Übergriffen der Division Spéciale

233 Central Intelligence Agency. (Anm. d. Autors) 234 Vgl. Matthiesen, S.36. 235 Vgl. Follath, S:74. 236 Das war rund 90% des damaligen Bruttoinlandprodukts (BIP), in: Matthiesen, S.134.

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Présidentielle (DSP), und die Arbeitslosigkeit stieg rapide an, um nur einige

Probleme der damaligen Situation zu nennen.237

All diese Faktore trugen erheblich dazu bei, dass Mobutu dem internationalen

Drängen nach der Demokratisierung schließlich nachgeben musste. Es erfolgte die

Gründung autonomer Gewerkschaften, die Pressefreiheit und die Erlaubnis für

Aktivitäten von Studentenbewegungen erteilten. Die Zeitungen, die hautsächlich in

der Hauptstadt Kinshasa publiziert wurden, übten ständig herbe Kritik an der

Regierung, woraufhin sich immer wieder Repressalien und

Einschüchterungsversuche ereigneten. Zudem versuchte der Staatschef, das

Unvermeidliche – seine Absetzung – durch eine von ihm ernannte

Übergangsregierungen, von ihm befohlene Plünderungen und organisierte

Einkaufstrips nach Europa hinauszuzögern.238

Die anfänglich begrenzte Zahl von Parteien wurde schnell hinfällig, da sich unzählige

Gruppierungen zusammen schlossen und neue Parteien gründeten. Mobutu wollte

dem entgegenwirken, indem er selbst die Unterstützung einiger neu gegründeter

Parteien vorantrieb, damit diese später die MPR unterstützten bzw. sich mit ihr

zusammenschlossen. Die Folge war eine völlige Zersplitterung der

Parteienlandschaft, worauf die wichtigsten Oppositionsparteien mit einem

Zusammenschluss, der Heiligen Allianz, reagierten. Diese setzte Mobutu durch ihre

Forderung nach einer souveränen nationalen Konferenz unter Druck, welcher dieser

1991 auch nachkam. Bei der Einberufung kam es jedoch zu Ungereimtheiten, da die

unterschiedlichen Regionen unterschiedlich proportional repräsentiert waren. Es wird

vermutet, das diese Zusammenstellung willkürlich war, um später einen Grund für

ihre Auflösung anführen zu können, welche 1992 von Mobutu vollzogen wurde. Die

darauf folgenden Unruhen und Auseinandersetzungen forderten mehrere Tote, und

Mobutu war gezwungen, auf den internationalen Druck zu reagieren und die

souveräne Nationalkonferenz wieder einzuberufen. Faktisch hatte allerdings auch

zum damaligen Zeitpunkt der Präsident noch die Macht und Befehlsgewalt über

sämtliche Exekutivorgane und wurde zudem von seiner Leibgarde der DSP vor

diversen Attentaten beschützt.239

Der Nationalversammlung gelang es schließlich trotz der nach wie vor

vorherrschenden Uneinigkeit 1994, neben der Ausarbeitung einer neuen Verfassung

für die dritte Republik eine Übergangsregierung zu bestimmen und die Mitglieder des 237 Vgl. Matthiesen, S.36f. u. S.132ff. 238 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 239 Vgl. Matthiesen, S.60ff.

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Parlaments durch Wahlen einzusetzen. Diese Verfassung sah, wie auch schon die

Verfassung von 1960 eine demokratische Regierungsform für den Kongo vor:

„Soucieux de restaurer les valeurs morales et spirituelles, de garantir notre

indépendance politique, économique et culturelles, …das le cadre du projet de la

nouvelle société démocratique; …“240

Die Gültigkeit dieser Verfassung wurde mit der Dauer von 15 Monaten begrenzt und

sollte mit dem 9.April in Kraft treten. Nach Ende der Gültigkeit der Verfassung sollte

auch das Mandat Mobutus am 9.Juni 1995 enden.241 Innerhalb dieser Zeit war

geplant, auf allen Ebenen Wahlen durchzuführen. Allerdings kam es durch

unterschiedliche Auffassungen zum Streit zwischen dem Präsidenten der

Übergangsregierung und dem Übergangsparlament über die Auslegung von Artikeln.

Denn in Artikel 118 und 119242 waren die Amtszeiten der Institutionen und des

Präsidenten unbestimmt definiert und sollten bis zum Amtsantritt eines gewählten

Parlaments respektive eines gewählten Staatspräsidenten dauern. Die geplanten

Wahlen fanden nicht statt, wodurch der Plan, den Kongo mit Hilfe der Verfassung in

die dritte Republik zu führen, scheiterte.243

Das Ende Mobutus kam schließlich abrupt. 1996 wurde die Alliance des Forces pour

la Démocratie et la Libération du Congo-Zaire (AFDL) bestehend aus verschiedenen

Gegnern Mobutus unter der Schirmherrschaft von Ruanda und Uganda, gegründet.

Das Bündnis, das ursprünglich zur Grenzsicherung gedacht war, entwickelte eine

Eigendynamik. Es hatten aber auch viele andere afrikanische Länder Interesse

daran, Mobutu abzusetzen, weshalb sie die AFDL auch aktiv unterstützten.244 Die

Amerikaner duldeten die Rebellion, die nach acht Monaten – größtenteils unblutig –

in der Absetzung Mobutus 1997 ihr Ende fand. Dieser erlag drei Monate später im

Exil in Marokko seinem Krebsleiden. Der Führer der AFDL Laurent Désiré Kabila

wurde am 29.Mai 1997 als Präsident vereidigt.245

240 Zitat aus Préambule de Acte Constitutionel de la Transistion de la Republique du ZAIRE (1994). http://fr.wikisource.org/wiki/Acte_constitutionnel_de_la_transition_de_la_R%C3%A9publique_du_Za%C3%AFre_(1994-1997). 241 Vgl. Artikel 53 und 93 des Acte Constitutionel de la Transistion de la Republique du ZAIRE (1994). 242 Acte Constitutionel de la Transistion de la Republique du ZAIRE (1994). 243 Vgl. Matthiesen, S.122ff. 244 Auf Seiten der AFDL waren auch Burundi, Angola und Zimbabwe. Teilweise fanden sich auch Söldner aus Eritrea und Äthiopien unter den Truppen. Mobutu wurde vom Sudan, Frankreich, Kuweit und Togo unterstützt, in: Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 245 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III.

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6.2. Die Transition der Demokratischen Republik Kongo

Bereits in den letzten Jahren der Herrschaft von Mobutu waren die ersten Anzeichen

eines Liberalisierungsprozesses zu erkennen. Die Liberalisierung stellt auch nach

der Transitionstheorie den ersten Schritt einer Demokratisierung dar. Mobutu war

gezwungen, das Organisationsverbot aufzuheben, die teilweise Pressefreiheit

einzuführen, den wirtschaftlichen Raum zu öffnen und die Ein-Parteien-Landschaft

zu pluralisieren. Diese Schritte sind typische Merkmale des beginnenden

Systemwandels, wie er in der Transitionstheorie erklärt wird. Damit begann die

Transition in der Demokratischen Republik Kongo, die sich in mehrere Phasen

gliedert.

6.2.1. Erste Phase der Transition

6.2.1.1. Die Herrschaft Laurent Désiré Kabilas: Altes, neu verpackt

Kabila, der nach seiner führenden Rolle beim Sturz von Diktator Mobutu, zum

Präsidenten vereidigt wurde, wurde zu Beginn seiner Machtübernahme als Befreier

angesehen und gefeiert. Er erließ kurz nach seinem Amtsantritt ein Dekret 003, das

noch im Mai Kraft trat.246 Darin wurde er als Präsident mit allen Befehlsgewalten

ausgestattet, und die gesamte Staatsgewalt lag in seiner Hand. Zudem wurden

jegliche politische Aktivitäten verboten247, und er beförderte alle existierenden

politischen Parteien ins politische Abseits. Die Hoffnungen auf eine Demokratisierung

des Landes und somit einen Neuanfang zerschlugen sich schnell, da durch den

Erlass dieses Dekrets deutlich wurde, dass es wieder eine Militärdiktatur geben

würde. Auch die wirtschaftliche Situation verbesserte sich nicht, da auf notwendige

Reformen verzichtet wurde.248

Die Situation wurde noch zusätzlich verstärkt, da es den militärischen Unterstützern

von Kabila gelang, sich wichtige Positionen im Staat zu sichern. So genannte

Schlüsselpositionen wurden von kongolesischen Tutsi oder Banyamulenge, einem

Volkstamm, der mit den Tutsi aus Ruanda und Burundi verwandt ist, besetzt.

246 Vgl. Matthiesen, S.38f. 247 Vgl. Decrét-loi 003/97 de la République démocratique du Congo (1997). http://fr.wikisource.org/wiki/D%C3%A9cret-loi_003/97_de_la_R%C3%A9publique_d%C3%A9mocratique_du_Congo_%281997%29. 248 Vgl. Follath, S.75.

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Hintergrund für diesen Schachzug war die Absicht Ruandas, die Hutu-

Flüchtlingslager im Osten des Landes zu zerstören. In diesen Lagern befanden sich

viele Milizen, die für das Massaker in Ruanda von 1994 verantwortlich waren. Die

ruandische Armee unternahm ihre Kriegszüge auf kongolesisches Gebiet von

Ruanda aus und tötete 1996 und 1997 auf diesem Weg 200.000 Hutu-Flüchtlinge.

Ein Versuch der UN, diese Verbrechen aufzuklären wurde von Kabilas Regierung

erfolgreich verhindert. Die Opposition versuchte vergeblich, durch vehemente

Forderungen, den Präsidenten zum Einlenken zu zwingen und mit der UNO

zusammenzuarbeiten, doch das unkooperative Handeln des Kongo isolierte das

Land auf internationaler Ebene zusehends. Als Reaktion auf diese Entwicklung, die

nach wie vor schlechter werdende Wirtschaftslage und den massiven Widerstand

gegen seine Regierung, lockerte Kabila seine unantastbare Machtstellung und

suchte den Dialog mit der Opposition. Er berief eine konstitutionelle Kommission ein,

die einen Verfassungsvorschlag entwarf und einen detaillierten Zeitplan für die

Durchführung dieser Reformen vorlegte.249

6.2.1.2. Veränderung der politischen Landschaft unter Laurent-Desiree Kabila

Laut diesem Plan sollte im April 1998 ein Parlament einberufen und zwei Monate

später vom Präsidenten vereidigt werden. Die Verfassung sollte nach der

Legitimation durch eine Volksabstimmung im Dezember desselben Jahres in Kraft

treten. Außerdem sollte eine Volkszählung durchgeführt werden, damit die

Volksabstimmung sowie spätere Wahlen ihre Gültigkeit haben würden. Als

Staatsform wurde ein präsidiales System angestrebt, wobei der Präsident ein

fünfjähriges Mandat haben sollte und es keinen Premierminister gäbe. Dafür wurde

der Posten eines Vizepräsidenten eingeführt. Die Minister der Regierung sollten

keinem Misstrauensvotum ausgesetzt sein und dem Parlament gegenüber nicht

verantwortlich sondern lediglich vom Präsidenten abhängig sein. Das Parlament

sollte vom Präsidenten einberufen werden, wobei dieser sich nach den Kompetenzen

und öffentlichen Ansehen der möglichen Parlamentarier zu richten hatte. Des

Weiteren sollte der Nationalrat legislative Möglichkeiten haben und über die

Exekutive bestimmen können.250

249 Vgl. Matthiesen, S.39. 250 Vgl. Matthiesen, S.39ff.

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Zu Beginn der Regierungsarbeit keimte Hoffnung unter der Bevölkerung auf, denn

die Reformen schienen anfangs ihre Wirkung zu zeigen. Die Währung stabilisierte

sich und die Sicherheit im Land kehrte zurück. Allerdings mangelte es den meisten

Ministern an Kompetenz, um weitere Reformen durchführen zu können. Zudem

schreckte mangelndes diplomatisches Geschick internationale Organisationen davor

ab, im Kongo tätig zu werden bzw. die Regierung zu unterstützen. Gesetze wurden

immer wieder willkürlich geändert, Minister ausgetauscht, wodurch es der Regierung

an einer langfristigen Planung fehlte. Dies führte zu einer Unsicherheit und stetig

abnehmendem Vertrauen innerhalb der Bevölkerung.251

6.2.2. Die zweite Phase der Transition

Die Gründe für das Scheitern des Versuchs Kabilas sind klar auszumachen. Neben

dem Versuch, sich die Macht durch Gewalt und Unterdrückung zu sichern, zwang

Kabila dazu, dieselben Methoden und Maßnahmen zu ergreifen, wie sein Vorgänger.

Allerdings misslang der Versuch die Kontrolle zu erlangen, was einerseits auf die

politischen Akteure zurückzuführen ist, die aus verschiedenen Ländern kamen und

ihre eigenen Interessen verfolgten. Andererseits und gleichzeitig als Folge dieser

politischen Landschaft führte die mangelnde Kooperation Kabilas zu einer

internationalen Isolation. Kabila war gezwungen, um nicht völlig die Kontrolle zu

verlieren, dem Druck der internationalen Gemeinschaft nachzugeben und die

ausländischen Regierungsmitglieder und somit deren Machtambitionen aus dem

Kongo zu entfernen. Gleichzeitig leitete er eine neue Liberalisierung ein, um seine

Machtposition zu erhalten. Da es allerdings anfangs zu keinem Machtverlust

seinerseits kam, kann nicht von einem neuen Beginn einer Transition gesprochen

werden. Vielmehr wird eine neue Phase dieser eingeleitet, die sich durch den

Versuch einer Revolution und in einem Krieg manifestiert hat.

251 Vgl. Matthiesen, S.41.

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6.2.2.1. Ausbruch des Ersten Afrikanischen Weltkriegs

Die Zusammenarbeit mit Ruanda und Uganda verschlechterte sich ebenso

zusehends, da es Kabila nicht gelang, den Osten des Landes zu befrieden. Innerhalb

des Landes gab es zwei Rebellionen. Eine, die sich gegen Kinshasa richtete und von

Rebellen geführt wurde, die sich gegen jede Art von Fremdherrschaft richteten. Eine

zweite, die sich von Rebellen aus Uganda und Ruanda gegen diese beiden Länder

richtete. Kabila stellte die Schürfverträge, die mit den beiden Ländern abgeschlossen

wurden in Frage, reduzierte die Forst-Konzessionen, von denen Uganda im Norden

profitierte auf Null und entließ alle Minister, die aus den beiden Ländern kamen. Als

er zudem noch im Juli/August 1998 jegliche Armeetruppen der beiden Länder, die

sich auf dem Gebiet des Kongo befanden, des Landes verwies, wurden einige

zentrale Städte im Osten und Westen des Landes von den Armeen dieser beiden

Länder besetzt. Die Truppen wurden auch von, im Kongo lebenden Banyamulenge,

ehemaligen Anhängern Mobutus und enttäuschten Mitgliedern der AFDL unterstützt.

Diese Koalition gründete im Osten des Landes die Rassemblement congolais pour la

Democratie (RCD), und im Norden des Landes gründete Uganda das Mouvement de

Liberation congolais (MLC), die den Norden des Landes auch besetzen konnte.

Schließlich spaltete sich im Mai 1999 noch die RCD-Befreiungsbewegung (RCD-ML)

mit der Unterstützung von Uganda von der RCD ab. 252

Da die Versuche, Kabila abzusetzen scheiterten, starteten die ruandische und

ugandische Armee eine große Offensive, und es gelang den Truppen mit Hilfe von

Teilen der meuternden kongolesischen Armee wichtige Stützpunkte im Süd-Westen

des Landes zu besetzen, wodurch Kinshasa wochenlang ohne Wasser und Strom

war. Es herrschte Lynchjustiz, und die Hauptstadt konnte nur durch die

Unterstützung der Armeen von Angola, Zimbabwe und Tschad gerettet werden.

Ebenso verteidigten die Truppen dieser Länder die Diamantenminen im Osten des

Landes, da sie die größte Einnahmequelle Kinshasas darstellten.253

Die Tatsache, dass der Konflikt sich beinahe ausschließlich um die Kontrolle der

Rohstoffe drehte, wurde auch von internationalen Organisationen nicht übersehen.

Der Bericht der UNO-Kommission beschäftigt sich mit der illegalen Ausbeutung der

252 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV, http://www.kongo-kinshasa.de/geschichte/geschichte5.php. 253 Vgl. Braeckman, Colette (1999). Der Kongo und seine Nachbarn. Im Hinterland herrscht Selbstbedienung, in: Le Monde Diplomatique. Deutsche Ausgabe vom 12.11.1999, http://www.monde-diplomatique.de/pm/1999/11/12/a0226.text.name,askNyQ8VD.n,33, S.1ff.

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Rohstoffe in der Demokratischen Republik Kongo.254 Der Zweite Kongo-Krieg

forderte auch unter der Bevölkerung des Kongo eine immense Zahl an Opfern – in

unterschiedlichen Quellen von 2,5 bis drei Millionen Toten - wovon ungefähr ein

Drittel Kinder waren. Des Weiteren litten ungefähr 16 Millionen Menschen an

Unterernährung, und es gab cirka zwei Millionen Binnenflüchtlinge.255

Wie viele Rebellegruppen, wie viele Länder, die gegeneinander kämpften, wirklich an

dem „Ersten Afrikanischen Weltkrieg“256 beteiligt war, ist nicht genau bekannt.

Manche sprechen davon, dass von der Krise im Kongo„…sechs Staaten auf die eine oder

andere Weise tangiert werden…“257, andere sehen sogar noch mehr Länder aktiv in den

Krieg verwickelt.258

ABB.1. Einflussgebiete der verschiedenen Rebellenorganisationen259 gelb: von der Regierung in Kinshasa kontrolliert grün: RCD: Kongolesische Sammlung für die Demokratie/Goma (Azarias Ruberwa, Ruanda) rosa: MLC: Front für die Befreiung des Kongo (Jean-Pierre Bemba, Uganda) blau: Gebiet umkämpft zwischen MLC, RCD-N, RCD-K-ML, UPC und RCD-ML u.a. 254 Final report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo. United Nations, UN Doc: S/2002/1146, 16 October 2002. (Anm. d. Autors) 255 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV. 256 Diese Bezeichnung stammt von Albright, Madleine. (Anm. d. Autors) 257 Zitat von Braeckman, Colette. 258 Vgl. Lucius, Robert von (1999). Kabilas Freunde und Feinde, in Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), vom 2.7.1999, http://fazarchiv.faz.net/webcgi?WID=64243-4210957-72000_1. 259 Grafik von Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV.

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6.2.2.2. Das Ende der Regierung Kabila I – Beginn des Friedensprozesses

Im Laufe des Konflikts gab es verschiedene Bemühungen, die verfeindeten Parteien

an einen Tisch zu bringen. So wurde in Lukasa/Sambia mit Hilfe zahlreicher

einflussreicher afrikanischer Staatsmänner260 versucht, die Kriegsparteien in der

größten post-kolonialen Friedenskonferenz zu versammeln. Der dabei entworfene

Plan legte neben einem Waffenstillstand, dem Truppenrückzug und der Befriedung

der Region auch eine langfristige Strategie vor, um die politische Situation zu

regeln.261 Die unterschiedlichen Motive der Teilnehmer der Konferenz machten eine

praktische Umsetzung des Abkommens von Lusaka unmöglich. Prinzipiell ging es

jedem der Teilnehmer um die Kontrolle der Rohstoffe. Zudem wollte Ruanda seine

Grenzen gegen die nach wie vor vom Kongo aus operierenden Hutu-Milizen

schützen. Die kongolesischen Rebellen verlangten von Kabila die Weiterführung des

begonnenen und versprochenen Demokratisierungsprozesses des Landes, und

Kabila selbst wollte nur seine Machtposition erhalten. Diese stark von einander

abweichenden Interessen verhinderten, dass das Abkommen von Lusaka jemals

umgesetzt wurde.262

Laurent-Désiré Kabila wird schließlich am 16.Jänner 2001 in Kinshasa Opfer eines

Attentats. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht restlos geklärt. Die am

weitesten verbreitete These ist, dass er durch seine Leibwächter ermordet wurde.

Andere sprechen auch von einem Anschlag durch Kadogo, dem Heer seiner

Kindersoldaten. Die Nachfolge war nicht geregelt, so beschlossen die Mitglieder

seiner Regierungspartei einen Nachfolger zu ernennen. Die Wahl fiel auf seinen

Sohn, Joseph Kabila, der am 21.Jänner 2001 in Kinshasa vereidigt wurde.263

Hinsichtlich der Theorie um die Bildung von Institutionen ist klar zu erkennen, dass

alte institutionelle Rahmenbedingungen durch neue Akteure mit weiterhin subjektiven

Machtambitionen besetzt wurden. Diese Tatsache sowie das allgemeine Scheitern

der Neugründung von politischen Institutionen, die effektiv und legitim arbeiten

konnten, waren hauptverantwortlich für das Scheitern L.-D.Kabilas.

260 Mandela, Nyerere, Mbeki, Chiluba, Gaddafi und Masire, in: Matthiesen, S.42. 261 Vgl. Lucius, Robert von, S.1ff. 262 Vgl. The Economist (2000). In the heart of the darkness, 7.12.2000. 263 Vgl. Matthiesen, S.42.

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6.2.3. Übergang zur dritten Phase der Transition

In der Geschichte der Demokratischen Republik Kongo wird, wenn von einer

Transition gesprochen wird, nur eine Phase in der Entwicklung gemeint; jene nach

dem Ende des Friedensprozesses rund um den zweiten Kongokrieg. Die Transition,

wie bereits erwähnt, begann jedoch wesentlich früher. Bereits während der

Herrschaft Mobutus wurde die Liberalisierung und somit der Theorie nach die

Transition eingeleitet. Der Friedensprozess, der den zweiten Kongokrieg beendet hat

stellt, nach der hier vertretenen Ansicht, den Übergang zur dritten Phase der

Transition, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist, dar. In der dieser Phase

versuchten die Akteure, die an dem Konflikt beteiligt waren, ihre jeweiligen

Positionen zu festigen und den größtmöglichen Vorteil hinsichtlich ihren

Machtambitionen herauszuschlagen. Der Friedensprozess ist als richtungweisend für

die aus im entstandenen Transitionsregierung anzusehen. Da hier auch erstmals der

Begriff an sich erwähnt ist, wird deutlich, dass die Intentionen, das politische System

des Kongo zu verändern, intensiver und zielorientierter waren. Allerdings muss noch

einmal betont werden, dass hier die Meinung vertreten wird, dass der

Friedensprozess lediglich einen Übergang zwischen zwei Phasen der Transition

darstellt und nicht den Beginn einer solchen.

6.2.3.1. Die Anfänge des Friedensprozesses und seine Akteure – Beginn der

Regierung Joseph Kabila

Die vorrangige Aufgabe von Joseph Kabila war die Stabilisierung des Landes und die

Schaffung einer neuen politischen Ordnung. Zudem wollte er demokratische

Strukturen installieren und eine neue Verfassung erarbeiten. Die Richtung von

Kabilas Reformen wurde sehr stark durch die internationale Gemeinschaft

beeinflusst, die erheblichen Druck ausübte. Diesem Druck versuchte Kabila sich

einerseits anzunehmen und ihm andererseits entgegenzuwirken, indem er viele – vor

allem westliche – Länder besuchte, mit denen der Kongo vor und teilweise auch

während der Krise traditionell gute Beziehungen gepflegt hatte.264 Außerdem hatte

der neue Präsident auch wichtige politische Entscheidungen zu treffen. Joseph

264 Vgl. Tshiyembé, Mwayila (2003). Der Kongo und seine Suche nach Frieden. Grundgesetz für einen Staat ohne Staat, in: Le Monde Diplomatique, Deutsche Ausgabe, 11.7.2003, http://www.monde-diplomatique.de/pm/2003/07/11/a0065.text.name,asktQ2sRW.n,45.

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Kabila wusste, dass er auf die Opposition und die Zivilgesellschaft angewiesen war,

wenn er den Kongo reformieren und ein erfolgreicher Präsident sein wollte. Aus

diesem Grund öffnete auch das erste Dekret 001/2001, das am 17.Mai 2001

erlassen wurde, die politische Sphäre wieder Parteien und Gruppierungen. Neben

dieser Änderung gab er noch einige Zusagen für weitere Reformen vor allem im

wirtschaftlichen aber auch im menschenrechtlichen Sektor. So sagte er zu, alle

Gefängnisse in Kinshasa, die nicht der Gerichtsbarkeit unterstanden, aufzulösen. Er

wollte die Wirtschaft an die modernen Systeme anpassen, indem er den Waren- und

Dienstleistungsverkehr, den Diamantenhandel und die Wechselkurse zu

liberalisieren plante. Um Zeichen zu setzen, dass es ihm Ernst war mit einem

Wandel im Kongo, entließ er die Hardliner des Militärregimes seines Vaters und

versuchte, der ethnischen Politisierung des Landes ein Ende zu bereiten.265

Er zeigte auch im Gegensatz zu seinem Vater aktives Interesse, das in Lusaka

unterzeichnete Abkommen zu realisieren und signalisierte so eine

Konzessionsbereitschaft zu einem erneuten innerkongolesischen Dialog. Es kam aus

diesem Grund auch kurz nach dem Amtsantritt von Kabila zu einem erneuten Treffen

in Lusaka, das den Friedensprozess wieder in Gang bringen sollte. Die

Verhandlungen wurden von Ketumire Masire, dem AU-Vertreter, geleitet, der noch

von Laurent Désiré Kabila abgelehnt wurde von Joseph Kabila jedoch Unterstützung

für seine Arbeit erhielt. Das erste Treffen unter dem neuen Präsidenten zu Beginn

des Jahres 2001266 brachte einige kleine Teilerfolge mit sich. So konnte man sich

darauf einigen, dass von den Rebellengruppen einige Unterabkommen bzw.

Vereinbarungen früherer Verhandlungen unterzeichnet wurden. Darin waren

Rückzugsvereinbarungen getroffen worden, die nun verpflichtend für die Besetzer

der unterschiedlichen Provinzen werden sollten.267

Diese Entwicklung und die Erlaubnis der Stationierung der Mission de l’Organisation

des Nations Unies en République du Congo (MONUC) beiderseits der Frontlinie

ermöglichten die Vorbereitung zu einer Konferenz zum innerkongolesischen Dialog

im Oktober 2001 in Addis Abeba (Äthiopien). Allerdings wurde diese Konferenz unter

der Leitung von Masire schnell wieder abgebrochen, da deutlich wurde, dass es zu

großen Interessensdifferenzen zwischen den Verhandlungsteilnehmern gab.

Schließlich kam es nach einigen weiteren Treffen268 und der Ausräumung der

265 Vgl. Matthiesen, S.67. 266 15.-16.Februar 2001. (Anm. d. Autors) 267 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV. 268 Diese fanden in New York, Abuja (Nigeria) und Genf statt. (Anm. d. Autors)

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Differenzen der Verhandlungsparteien doch noch zu einem innerkongolesischen

Dialog. Dieser fand von 25.2. – 19.4. 2002 in Sun City (Südafrika) statt und endete

mit einem partiellen Rahmenabkommen. Dieses sah vor, dass die legislativen,

exekutiven und judikativen Aufgaben auf die unterschiedlichen Gruppierungen

aufgeteilt werden sollten. Dabei sollten sowohl die Rebellengruppen wie auch die

Zivilgesellschaft in die politische Sphäre und die Reformbewegung innerhalb des

Kongo inkludiert werden. Bei den Gesprächen, die schließlich zur Unterzeichnung

führen sollten, kam es allerdings wieder zu Differenzen zwischen den beiden

Hauptunterzeichnern, der Regierung und der MLC269. Das Scheitern der Gespräche

führte dazu, dass der Status quo wieder vorherrschte und das Land in verschiedene

Teile unterteilt wurde, die von den einzelnen Rebellengruppen kontrolliert wurden.270

Dabei kam es auch wieder vermehrt zu Kriegshandlungen zwischen einzelnen

Gruppierungen.271

6.2.3.2. Das Ende des Friedensprozesses – Einigung über die Transitionsverfassung

Die Regierung Kabila gab die Friedensbemühungen jedoch nicht auf. Sie

verhandelte getrennt mit Ruanda und Uganda und konnte Teilerfolge erzielen.

Allerdings wurde durch intensiven Einsatz der UNO, der AU und Südafrikas auch der

innerkongolesische Dialog mit allen Kriegsparteien fortgesetzt. Dieser fand

schließlich in drei Stufen statt.

Das erste Treffen im Oktober war eine Basis für weitere Verhandlungen, in denen die

Prinzipien festgelegt und von allen akzeptiert wurden. Diese sahen drei Hauptpunkte

vor:

• Alle Teilnehmer des innerkongolesischen Dialogs sollten aktive Positionen

und Rollen in der Verwaltung der Wandlung des Kongo einnehmen.

• Die führenden Positionen sollen während der Übergangsphase von den

gleichen Personen besetzt werden.

• Die Macht sollte aufgeteilt und dabei das System der Inklusivität angewandt

werden.

269 Jean Pierre Bemba war der Anführer der MLC. (Anm. d. Autors) 270 Die Gebiete wurden von folgenden Gruppierungen regiert: Kinshasa (Regierung), Gemena (MLC), Bunia (RCD-K-ML), Goma (RCD-Goma), Isiro (RCD-N) und Wamba dia Wamba (RCD-ML). (Anm. d. Autors) 271 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV.

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Bei dieser Verhandlung einigte man sich auch darauf, wie die Regierung bzw. das

gesamte politische System im Kongo organisiert werden sollte. Die Auffassungen

über die politische Verteilung der Macht waren zu diesem Zeitpunkt sehr

unterschiedlich. Während die Regierung in Kinshasa davon ausging, dass die Macht

auf wenige Staatsmänner verteilt ist, traten die Rebellengruppen, allen voran die

RCD-Goma und die MLC, für eine vertikale Aufteilung der Macht auf die

verschiedenen Ebenen ein.

Während des zweiten Treffens kam es zu weiteren unterschiedlichen Auffassungen

über die Teilung der Verantwortlichkeit, die Führung der nationalen Armee, die

gebildet werden sollte, über die Sicherung der Hauptstadt Kinshasa sowie die

Besetzung der wichtigen Positionen in der Übergangszeit. Deshalb wurde die

Konferenz abgebrochen und erst im Dezember 2002 fortgesetzt. Die vom 9.-

17.Dezember dauernde Konferenz fand in Pretoria (Südafrika) statt und endete mit

der Unterzeichnung eines Abkommens über die Transitionszeit im Kongo. Die

Übergangsverfassung (Constitution de la Transition), ein Dokument über die

Sicherung der Stadt Kinshasa, die Bildung einer nationalen Armee und die

Institutionen der Übergangsphase wurden am 3.März 2003 von allen

Verhandlungspartnern unterzeichnet und am 1.April 2003 von der Vollversammlung,

die in Sun City tagte, verabschiedet. Die Übergangsverfassung wurde am 4.April

2003 in Kraft gesetzt.272

Die wichtigsten Punkte der Übergangsverfassung273 waren:

• Die Bekenntnis zu den demokratischen Werten; (Préambule)

• Die Anerkennung der UN-Menschenrechtscharta und der Erklärung der

Menschenrechte der AU; (Préambule)

• Die Anerkennung der Grenzen von 1960 und die Teilung in zehn Provinzen274

mit der Hauptstadt Kinshasa;

• Die Bestellung eines Präsidenten und vier Vize-Präsidenten, die bis zum Ende

der Transition im Amt bleiben sollen. Die vier Vize-Präsidenten fielen den

beiden großen Rebellengruppen (RCD, MLC), der Regierung und der

Opposition zu;

• Der Präsident ist der Oberbefehlshaber der nationalen Armee; 272 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV. 273 Constitution de la Transition,. www.grandslacs.net/doc/2811.pdf. 274 Diese waren: Batundu, Bas-Congo, Equateur, Kasai-Occidental, Kasai-Oriental, Katanga, Maniema, Nord-Kivu, Province Orientale und Sud-Kivu. (Artikel 5).

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• Die Macht liegt beim Volke des Kongo;

• Einsetzung eines Parlaments, Senats, Obersten Gerichtshofs und anderen

Gerichtsbarkeiten und ihre jeweiligen Aufgaben;

• Einführung von Institutionen zur Sicherung der demokratischen Werte;

• Wahlen sollten innerhalb der darauf folgenden drei Jahre durchgeführt

werden;

• Bekenntnis zur Verurteilung und dem Verbot jeglicher Diskriminierung einer

Minderheit aufgrund ihrer Sprache, Religion oder anderer kultureller Werte;

„Tous les Congolais sont égaux devant la loi et ont droit à une égale

protection des lois. Aucun Congolais ne peut, en matière d'éducation et

d'accès aux fonctions publiques ni en aucune matière, faire l'objet d'une

mesure discriminatoire, qu'elle résulte de la loi ou d'un acte de l'exécutif,

en raison de sa religion, de son sexe, de son origine familiale, de sa

condition sociale, de sa résidence, de ses opinions ou de ses

convictions politiques, de son appartenance à une race, à une ethnie, à

une tribu, à une minorité culturelle ou linguistique.“275

6.2.3.3. Die Transitionsregierung und ihre Machtverhältnisse

Die vier Vize-Präsidenten waren auf die Vertragsparteien wie vorgesehen aufgeteilt.

Die beiden Vize-Präsidenten, die aus den Rebellengruppierungen kamen waren

Jean-Pierre Bemba (MLC) und Adolphe Unusumba (RCD). Kabila ernannte 36

Minister und 25 Vize-Minister und teilte die Ministerien auf.276 Die bisherige

Regierung von Joseph Kabila behielt die Ministerien für Inneres, Finanzen, Industrie

und Energie. Die RDC übernahm die Ministerien für Verteidigung, Wirtschaft und die

Staatsbetriebe. Die MLC erhielten die Ministerien für äußere Angelegenheiten,

öffentliche Arbeiten und Haushalt. Die nicht bewaffnete Opposition war für das

Justizministerium und den Bergbau verantwortlich.277 Das Parlament bestand aus

500 und der Senat aus 120 Vertretern. Diese setzten sich aus den Vertretern von

275 Vgl. Artikel 17, Constitution de la Transition. Dieser Artikel wurde später auch wortwörtlich in die neue Verfassung übernommen. (Anm. d. Autors) 276 Vgl. Stroux, Daniel (2003). Rohstoffe, Ressentiments und staatsfreie Räume. Die Strukturen des Krieges in Afrikas Mitte, in: Internationale Politik und Gesellschaft, 2/2003, http://www.fes.de/ipg/IPG2_2003/ARTSTROUX.HTM. 277 Vgl. Friedensvertrag für Kongo (3.4.2003). Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.4.2003.

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acht Gruppen zusammen, den bereits genannten, der Opposition, der Regierung, der

Zivilgesellschaft278, den Mayi-Mayi Milizen und im Nord-Kivu operierenden

Abspaltungen der Rebellengruppen. Die Übergangsphase war auf ein Maximum von

30 Monaten festgelegt. Danach sollten die Kongolesen in der Lage sein, ihre

Vertreter in unabhängigen Wahlen zu bestimmen.279

6.2.3.4. Probleme der Transitionsregierung

Die Truppen Ruandas traten bereits 2002 durch ein bilateral verhandeltes

Abkommen ihren Rückzug an. Jedoch kam es auch nach dem Amtsantritt der

Übergangsregierung zu Meldungen, wonach die ruandischen Rebellen nach wie vor

in die Organisation der RCD involviert und aktiv waren. Zu diesem Zeitpunkt zogen

sich auch Angola und Zimbabwe endgültig militärisch aus dem Kongo zurück.280 Die

Truppen Ugandas zogen sich offiziell im März 2003 vom Gebiet der DRC zurück.281

Nachdem die beiden Länder mit ihren Truppen aus den besetzten Gebieten im Osten

des Kongo abgezogen waren, hinterließen sie ein Machtvakuum, das sich schnell

diverse Warlords und Milizen ausnutzten. Die Warlords sahen in der Fortführung des

Krieges einen wirtschaftlichen Nutzen für sich selbst, während die Milizen ihre

Kämpfe meist aus ethnischen Hintergründen führten und so Landegewinne und

Racheakte erzielen bzw. verüben wollten.282

Die Hauptakteure in den darauf folgenden Wochen und Monaten waren die UNO, die

seit 2000 eine Mission im Kongo hatte (MONUC), die Regierungen Ruandas und des

Kongo und die Milizen und Rebellengruppen im Osten des Landes. Neben den

zahlreichen kleinen Zusammenstößen zwischen Rebellengruppen, die von Uganda

bzw. Ruanda unterstützt wurden, kam es auch zu ernsten Massakern und

kriegerischen Auseinandersetzungen, die herbe Rückschläge für den

Friedensprozess bedeuteten. So stand der Kongo aufgrund diverser

Auseinandersetzungen und Vorwürfen seitens Kabila, wonach Ruanda die Rebellen

im Osten des Landes nach wie vor unterstützen würde, am Rande eines erneuten

Krieges (2004). Die Situation war so gespannt, dass die größte Rebellengruppe

RCD, die durch die Unterstützung Ruandas gegründet wurde, ihre Mitarbeit an der

278 Diese setzte sich aus unterschiedlichen Berufsgruppen, Ethnien, Vereinen, Konfessionen und Regionen zusammen, in: Tshiyembé, Mwayila (2003). 279 Vgl. Stroux, Daniel (2003). 280 Vgl. Stroux, Daniel (2003). 281 Vgl. Congo Civil War, in: GlobalSecurity.org. Military, http://www.globalsecurity.org/military/world/war/congo.htm, zuletzt bearbeitet am 17.12.2006. 282 Vgl. Scheen, Thomas (2005). Krieg um des Krieges Willen, das große Morden in Bunia, in: FAZ, 22.5.2003.

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Regierung aussetzte und so deren Arbeit blockierte.283 Teilweise sahen sich sogar

die UN-Truppen nicht in der Lage, die Situation zu beruhigen und unter Kontrolle zu

bringen, wie z.B. bei einem Massaker in Nord-Kivu 2002 deutlich wurde.284 Die

Massaker und anderen zahlreichen Gewaltverbrechen, die in der Region verübt

wurden, führten dazu, dass die Region Ost-Kongo von der UNO im März 2005 zur

„world’s worst humanitarian crisis“ erklärt wurde.285

Trotz der instabilen Situation und der Besetzung des Nord-Ostens des Landes durch

die Rebellengruppe Lord Resistance Army (LRA) gelang es der Übergangsregierung

Kabila am 17.Mai 2005 einen Verfassungsentwurf zu verabschieden. Sie sah einen

dezentralisierten Einheitsstaat vor, in dem allerdings die Macht des Staatschefs

geschwächt werden sollte, da ihm ein Premierminister zur Seite gestellt wurde, der

nicht von ihm ernannt werden, sondern vom Parlament gewählt würde. Die Kritik an

diesem Verfassungsentwurf war sehr groß, da dieses Ergebnis hinter verschlossen

Türen erzielt wurde. Allerdings wurde anerkannt, dass die Beteiligten sich einig

waren. Um in Kraft zu treten, musste die Verfassung durch eine Volksabstimmung

angenommen werden.286

Diese Abstimmung fand im Dezember des Jahres 2005 statt und der

Verfassungsentwurf wurde von 85% der 25 Millionen Wahlberechtigten

angenommen. Diese Zahl ist aus dem Grund beeindruckend, da es durch die Größe

und generelle infrastrukturelle Situation kaum Kommunikationsmöglichkeiten gab.

Insgesamt muss man die Verfassung als Erfolg für diejenigen sehen, die den

Einfluss des Staates zurückdrängen wollten. Die Verfassung sah die Aufteilung des

Landes in 26 Provinzen vor. Zudem sollten die Einnahmen des Staates 60 zu 40

Prozent auf Kinshasa und die Provinzen aufgeteilt werden. Die Verwaltung der

Bodenschätze sollten dezentralisiert werden, was jedoch auch die Gefahr der

Korruption auf regionaler Ebene erhöhte.287

283 Vgl. Johnson, Dominik (2004). Ratlosigkeit in Kongos „Kaltem Krieg“, in: TAZ, 31.8.2004, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2004/taz_040831.php. 284 Vgl. Conflict History: DR Congo (2006). International Crisis Group, http://www.crisisgroup.org/home/index.cfm?action=conflict_search&l=1&t=1&c_country=37, zuletzt bearbeitet Dezember 2006. 285 Vgl. Humanitarian Crisis: Congo Worst (2005). Global Policy Forum, http://www.globalpolicy.org/security/issues/congo/2005/0316worst.htm. 286 Vgl. Johnson, Dominik (2005a). Eine Nachkriegsverfassung für den Kongo, in: TAZ, 17.5.2005, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2005/taz_050517.php. 287 Vgl. Braeckman, Colette (2006). Die dritte Plünderung des Kongo, in: Le Monde Diplomatique, Deutsche Ausgabe, 7.7.2006, http://www.monde-diplomatique.de/pm/2006/07/07/a0035.text.name,asktQ2sRW.n,7.

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6.2.4. Die Demokratische Republik Kongo heute – Fortsetzung der Transition

Nach dem Ende der Übergangs- oder Transitionsperiode sollte der Kongo durch die

ersten freien Wahlen in die dritte Republik entlassen werden. Gleichzeitig sollte

dieses Ereignis das Ende der Transition und den Übergang zu einer gewandelten

politischen Landschaft im Kongo darstellen. Neue Institutionen sollten gebildet sein,

die Regierung sollte in der Lage sein, effektiv arbeiten zu können und zudem durch

die Wahlen legitimiert sein. Die Wirklichkeit sieht allerdings in vielen Bereichen nach

wie vor anders aus, weshalb hier auch die Ansicht vertreten wird, dass sich die

Transition in der Demokratischen Republik Kongo nach wie vor in Mitten des

Prozesses befindet. In der Folge werden die Akteure und das politische System der

Demokratischen Republik Kongo von heute dargestellt und wie es sich aus den

ersten freien Wahlen entwickelte. Dabei werden auch die internationalen Einflüsse

dargestellt.

6.2.4.1. Die Parlamentswahlen 2006/2007 und ihre zentralen Akteure

Der ursprüngliche Termin für die Wahlen war im Juni 2005. Die Erklärung des

Vorsitzenden der unabhängigen Wahlkommission Apollinaire Malu-Malu288 Anfang

2005, dass die Wahl verschoben werden müsste, löste das Entrüstung in der

Bevölkerung aus. Er erklärte, dass die Umsetzung der geplanten Ziele viel zu

langsam verlaufen würde. Es würde durch mangelnde logistische und technische

Möglichkeiten erst später als geplant zu einer Registrierung der Wähler kommen.

Dadurch würde man die Wahlen nicht zum geplanten Zeitpunkt durchführen können.

Diese Aussagen spiegelten das wieder, das viele Beobachter bereits befürchtet

hatten. Es war offensichtlich, dass die Umsetzung des Friedensabkommens sehr

langsam vor sich ging. Sollten die Wahlen nicht bis zum Ende Juni 2005 – dieses

Datum ist gleichbedeutend mit dem vorgesehenen Ende der Übergangsregierung –

durchgeführt werden, so könnte sich die Regierung ihre Amtszeit zweimal um jeweils

sechs Monate verlängern. Die größte Partei des Landes, die Union pour la

Démocratie et le Progrés Social (UDPS), die jedoch nicht im Parlament vertreten

288 Appolinaire Malu-Malu wurde 2004 als Präsident der Unabhängigen Wahlkommission der Demokratischen Republik Kongo eingesetzt. Diese sollte ursprünglich bis Ende Juni 2005, später bis Juni 2006, die Durchführung der ersten freien Wahlen des Landes organisieren. Neben dieser Funktion ist Malu-Malu katholischer Geistlicher und Rektor der Universität Graben in Butembo im Ostkongo. Johnson, Dominik (2006a). Wahlfälscher unschädlich machen, in. TAZ, 9.2.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060209.php.

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war, protestierte gegen diese Verlängerung und argumentierte, dass nach dem

30.Juni die Macht in der Hand des Volkes liegen würde. Zudem wurde das

Versprechen Kabilas betont, das den Rücktritt der gesamten Regierung für den Fall

ankündigte, dass diese ihre Amtsgeschäfte nicht bis Ende Juni 2005 erledigen

konnte. Auch in der Regierung selbst kam es zu Differenzen, da Vize-Präsident

Jean-Pierre Bemba den Rückzug seiner MLC aus der Regierung androhte, wenn

Kabila seine Forderungen nach personellen Änderungen nicht erfüllen würde.289

Die Aufstände, die durch diese Ankündigung entstanden, forderten 19 Todesopfer

und über 100 Verletzte. In Kinshasa brachte ein Streik, der „Ville Morte“ genannt

wurde, das öffentliche Leben komplett zum Erliegen. Die Wahlen wurden schließlich

auf den 18.Juni 2006 verschoben, wodurch beide Möglichkeiten zu Verlängerung der

Amtszeit ausgenutzt werden mussten.290

Die Wahlen wurden von der Wahlkommission und der UN-Mission als die

schwierigsten aller Zeiten eingestuft. Die Infrastruktur des Landes, die Größe und die

ungeheuer große Einwohnerzahl von 60 Millionen Menschen erschwerten die

Vorbereitungen erheblich. Die Schwierigkeiten waren politischer Natur. Die

Abstimmung über die Verfassung, die als eine Art Generalprobe zur Wahl gesehen

wurde, verlief ohne größere Zwischenfälle. Allerdings dauerte es sechs Wochen,

bevor der oberste Gerichtshof das Ergebnis bestätigte. Erst nach dieser Bestätigung

konnte die Verfassung in Kraft treten und das Parlament Wahlgesetze

verabschieden. Diese waren notwendig, um die Vorbereitungen für die Wahlen

treffen zu können.291

Als schließlich die Verfassung des Kongo in Kraft getreten und die Wahlgesetze

formuliert waren, kam es erst nach Verzögerung zur Unterzeichnung derselben. Die

logistischen Probleme blieben allerdings weiterhin aufrecht. Verschiedene Parteien

waren nicht zufrieden mit den Wahlkreisen (RCD) oder der Wählerregistrierung

(UDPS). Obwohl die Vorbereitungen sehr kurz waren, sollte der Wahltermin von

18.Juni bestehen bleiben. Der Termin war auch hinsichtlich der Planung für die

internationale Sicherungstruppe der EU wichtig, die vorsah, die sichere und friedliche

Durchsetzung der Wahlen zu unterstützen.292

289 Vgl. Johnson, Dominik (2005b). Aufstand im Kongo gegen Wahlverzögerer, in: TAZ, 12.1.2005, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2005/taz_050112.php. 290 Vgl. Schadomsky, Ludger. Vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, in: Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/themen/ZY9LA5,0,0,Vor_den_Pr%E4sidentschafts_und_Parlamentswahlen.html. 291 Vgl. Johnson, Dominik (2006b). Die schwierigste Wahl der Welt, in: TAZ, 10.2.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060210.php. 292 Vgl. Johnson, Dominik (2006c). Weg zu Wahlen im Kongo frei, in TAZ, 11.3.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060311.php.

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Der Termin für Juni wurde bereits im März abgesagt, da sich zu wenige Kandidaten

für die über 500 Parlamentssitze angemeldet hatten. Auch ein Termin im Juli schien

zuerst unwahrscheinlich, weil sich schließlich 9.587 Kandidaten für die

Parlamentswahl angemeldet hatten und die Wahlkommission mit der Registrierung

nicht fertig wurde. Die Liste der 33 Präsidentschaftskandidaten stand bereits früh

fest. Finanzielle Unsicherheiten sowie ein Boykott der Opposition führten auch dazu,

dass der Termin für die Wahl schwierig zu fixieren war.293

Schließlich konnte man sich im Mai 2006 doch auf einen Termin für die Wahl einigen,

den 23.Juli 2006.

Danach setzte die Phase des Wahlkampfs ein, in dessen Verlauf die UN-Truppen

immer wieder im Mittelpunkt standen, da es sehr häufig zu Bedrohungen und

Einschüchterungen kam. Deshalb hatte die UNO für die jeweilige betroffene Partei,

meistens Oppositionsparteien, Schutz zu gewährleisten. Es kam zu Blockaden der

Spitzenkandidaten der Oppositionsparteien durch so genannte Spezialeinheiten. Es

wurden Gerüchte über mögliche Putschversuche laut, die seitens der Herausforderer

gegen Kabila durchgeführt werden sollten.294 Generell bildeten sich die beiden

Blöcke Kabila gegen Bemba, die beide als aussichtsreichste Kandidaten für das Amt

des Präsidenten gehandelt wurden. Der größte Streitpunkt war das in der Verfassung

verankerte Ende der Amtszeit mit dem 30.Juni 2006. Da die Wahlen erst einen

Monat später stattfinden würden, und das Ergebnis erst für November erwartet

wurde, war unklar, wer das Land in der Zwischenzeit regieren sollte. Deshalb wurde

versucht, den politischen Dialog wieder in Gang zu bringen. Diese Unklarheit, die

Angst vor den möglichen Reaktionen auf das Ergebnis der Wahl und die sich immer

stärker verhärtenden Blöcke von Kabila295 und Bemba296 trugen dazu bei, dass die

Situation im Land wieder unsicherer wurde. Kabila argumentierte mit seiner Bilanz

seit der Machtübernahme 2001 während Bemba mit seinem Slogan „100 Prozent

Kongolese“ das Thema Nationalismus in den Mittelpunkt rückte. Er spielte damit

darauf an, dass Kabila ruandischer Abstammung sei und deshalb auf keinen Fall

gewählt werden könnte. Kabila versuchte sich vergleichsweise als gemäßigt

darzustellen, indem er einen den bekanntesten Reformpolitiker des Landes, Olivier

Kamitatu, auf seine Seite zog. Dies wurde auch von seinen ausländischen

293 Vgl. Misser, Francois, Johnson, Dominik (2006). Kongos Wahlen stehen in den Sternen, TAZ, 20.4.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060420.php. 294 Vgl. Veit, Alex, Johnson, Dominik (2006). Ein schmutziger Wahlkampf in Kinshasa, in: TAZ, 25.5.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060526.php. 295 Sein Wahlbündnis hieß Allianz der präsidialen Mehrheit. (AMP). (Anm. d. Autors) 296 Sein Wahlbündnis hieß Zusammenschluss kongolesischer Nationalisten (Renaco). (Anm. d. Autors)

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Unterstützern als positiv angesehen, da Kamitatu während der Regierungsarbeit für

Ordnung sorgen sollte.297

Auch ein Datum konnte nicht über die großen logistischen und technischen

Schwierigkeiten hinwegtäuschen, die während der Wahl entstehen würden. Es galt,

galt es in einem Land, das die Größe Westeuropas hatte und dessen Provinzen nur

über Luftwege miteinander verbunden waren, eine geordnete Wahl zu organisieren.

Wahlberechtigt waren beinahe 26 Millionen Menschen, die 33

Präsidentschaftskandidaten und 9.632 Parlamentskandidaten entscheiden mussten

bzw. konnten. Der Termin im Juli ermöglichte auch die Planung der EUFOR-Truppe,

deren Einsatz vom UN-Sicherheitsrat genehmigt wurde und vier Monate dauern

sollte. Diese Truppe sollte die MONUC, deren Stärke zu diesem Zeitpunkt 17.000

Mann betrug, unterstützen.298

Die Wahl fand schließlich erst am 30.Juli 2006 statt. Die Wahlzettel hatten die

enormen und ungewöhnlichen Ausmaße von sechs Seiten DIN A1 und eine Seite

DIN A3. Grund dafür war die riesige Anzahl an Kandidaten, über die die Wähler zu

entscheiden hatten.299 Weil die meisten Kongolesen weder lesen noch schreiben

können, fanden sich neben den Namen der Kandidaten auch Bilder und die Symbole

der jeweiligen Parteien, denen sie angehörten.300

Die Wahlbeteiligung lag bei 70.5 Prozent der registrierten Wähler, also bei 18

Millionen Kongolesen. Diese konnten in ungefähr 55.000 Wahllokalen ihre Stimme

abgeben. Insgesamt waren am Wahltag zu den 1.500 Mitarbeitern der Wahlbehörde

250.000 Wahlhelfer im Einsatz. Sie wurden von der Wahlabteilung der MONUC

unterstützt. Zudem verfolgten rund 1.500 internationale und 47.500 nationale

Beobachter sowie 1.500 Journalisten die Wahl und den Wahlverlauf. Schließlich

waren noch rund 460.00 Delegierte der unterschiedlichen Parteien in den

Wahllokalen anwesend. Die Wahl, die inklusive des Verfassungsreferendum mit rund

450 Millionen US$ den teuersten Vorgang, der jemals von der internationalen

Gemeinschaft darstellte, wurde weitgehend als frei und transparent eingestuft.301

Um als Präsident festzustehen, musste einer der Kandidaten die absolute Mehrheit –

somit mehr als 50 Prozent der Stimmen – erhalten. Dieses gelang im ersten 297 Vgl. Stroux, Daniel (2006). Wahlen im Kongo: Das Ende einer langen Transition?, in: GIGA Focus Africa, Nummer 9, 2006, S.2f. 298 Vgl. Johnson, Dominik (2006d). Wahltermin im Kongo festgelegt, in: TAZ, 2.5.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060502.php. 299 Vgl. Göbel, Alexander (2006). Keine Garantie für demokratische Wahlen im Kongo, in: Welt, 25.7.2006, http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2108718,00.html. 300 Vgl. Reker, Judith (2006). 9000 plus 33 ergibt Hoffnung, in: Der Tagesspiegel, 31.7.2006, http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die-Dritte-Seite;art705,2284101. 301 Vgl. Stroux, Daniel (2006), S.2ff.

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Wahlgang jedoch keinem der Kandidaten. Der Wahlsieger war Joseph Kabila mit

44,81 Prozent aller Stimmen. Erster Verfolger war Jean-Pierre Bemba mit 20,03

Prozent der Stimmen. Dadurch wurde klar, dass eine Stichwahl notwendig wurde.

Allerdings kam es nach der Veröffentlichung wie befürchtet zu

Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der einzelnen Parteien. Der

Oberste Gerichtshof wollte auch den Termin für die Stichwahl, der mit 29.Oktober

veranschlagt war, als verfassungswidrig ablehnen. Als Grund dafür wurde die 15-

Tage Frist angegeben, die zwischen dem Veröffentlichen der Wahlergebnisse und

dem Stichwahltermin liegen müsse. Kritisiert wurde, dass der Termin der

Anerkennung des Ergebnisses von der Wahlkommission für den 31.August und der

Termin für die Stichwahl erst am 29.Oktober, wodurch diese Frist überschritten

wurde, vorgesehen war. Dem gegenüber wurde von der Wahlkommission

argumentiert, dass man die Stichwahl aus logistischen Gründen nicht vorverlegen

könne, und es auch durch die Verfassung keine genaue Regelung gäbe.

Unterstützung erhielt die Wahlkommission auch aus dem Ausland, da man schon vor

der Durchführung der Wahl beschloss, eine allfällige Stichwahl auf den gleichen Tag

wie die Wahl der elf Provinzparlamente legen zu wollen. Der Termin, sollte die Wahl

am 29.Oktober durchgeführt werden, brachte die Gefahr mit sich, aufgrund der

Probleme mit der Einhaltung der Frist nicht anerkannt zu werden.302

Vor der Stichwahl kam es am 20.August in der Hauptstadt Kinshasa zu schweren

Auseinandersetzungen zwischen den Leibwachen Kabilas und jenen von Bemba.

Kinshasa galt auch als unsicherstes und gefährlichstes Gebiet während der Wahlen.

Die Stichwahl fand schließlich am 29.August statt. Beide Kandidaten betonten im

Vorfeld, sie würden den begonnenen Friedensprozess so schnell wie möglich

abschließen und für Sicherheit und Demokratie im Land sorgen.303

Das Ergebnis, das mit Spannung erwartet wurde, kürte Joseph Kabila zum Sieger. Er

gewann die Wahl mit 58 Prozent der Stimmen gegenüber den 42 Prozent, die für

Bemba stimmten. Bemba wollte die Niederlage nicht anerkennen, da die von ihm

selbst angeordneten Auszählungen ihn mit 52,2 Prozent als Sieger führten. Er

beschwerte sich auch darüber, dass 10 Prozent seiner Wähler nicht in den Regionen

wählen konnten, in denen sie registriert waren.304 Obwohl Kabila in absoluten Zahlen

302 Vgl. Johnson Dominik (2006e). Kongos Wahl fraglich, in: TAZ, 15.9.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060915.php. 303 Vgl. IRIN (2006a). DRC: Voting begins, marking completition of long democratic transition, 29.10.2006, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=61434. 304 Vgl. IRIN (2006b). DRC: Bemba rejects poll results, 17.11.2006, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=61589.

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auf 9,34 Millionen Stimmen kam und Bemba nur auf 6,86 Millionen Stimmen,

erklärten die Verbündeten Bembas ihn zum moralischen Wahlsieger, da er in sechs

der elf Provinzen des Kongo die Mehrheit erzielen konnte.305

Bevor der Oberste Gerichtshof die Einsprüche ablehnte, kam es vermehrt zu

Zusammenstößen zwischen enttäuschten Anhängern Bembas und den Anhängern

Kabilas. Das Land stand wieder am Rande eines Bürgerkriegs. Nach der Erklärung

von Kabila zum Wahlsieger am 27.November 2006 konnte erst die Aussage

Bembas, wonach eine starke Opposition führen wollte, die Situation wieder

beruhigen. Bemba betonte allerdings weiterhin seine Zweifel an der Gültigkeit des

Endergebnisses, da viele Ungereimtheiten während der Wahl stattfanden.306

Kabila wurde am 6.Dezember 2006 angelobt und als Präsident der Demokratischen

Republik Kongo vereidigt. Er ernannte zur Überraschung Vieler Antoine Gizenga

zum Premierminister. Gizenga, der bereits Staatsekretär unter Patrice Lumumba

war, wurde im ersten Wahlgang Dritter und unterzeichnete eine

Unterstützungserklärung für Kabilas Wahlbündnis vor dem zweiten Wahlgang.307

6.2.4.2. Die neue Regierung Kabila – Institutionen, Akteure, Machtverhältnisse

Joseph Kabila, der Sohn des ehemaligen Präsidenten Laurent-Desire Kabila, wurde

am 27.November 2006 vom Obersten Gericht der Demokratischen Republik Kongo

zum Sieger der Stichwahl zum Präsidenten des Staates erklärt. Er wurde, trotz

einiger Proteste vom Herausforderer Bemba am 6.Dezember vereidigt. Laut neuer

Verfassung dauert seine Amtszeit sieben Jahre. Als Premierminister berief er

Antoine Gizenga ein, der schon unter Patrice Lumumba der Regierung angehörte,

während der Diktatur Mobutus allerdings 1965 in die Sowjetunion ins Exil musste und

dort 27 Jahre lebte, bevor er zurück in den Kongo kam. Grund für die Ernennung

zum Premierminister war die Unterstützung, die Gizenga Kabila für den Fall zusagte,

dass er an der Regierung beteiligt würde. Gizenga, der ebenfalls in der Wahl zum

Präsidenten kandidierte, erreichte im ersten Durchgang den dritten Platz. Vor der

305 Vgl. Johnson, Dominik (2006f). Bemba lehnt Wahlniederlage ab, in: TAZ, 16.11.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_061116.php. 306 Vgl. IRIN (2006c). DRC: Bemba condemns poll ruling but ready to lead opposition, 29.11.2006, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=61677. 307 Vgl. Bavier, Joe (2006). Congo names opposition veteran Prime Minister, in: Reuters, 30.12.2006, http://www.alertnet.org/thenews/newsdesk/L30447160.htm.

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Stichwahl ging er bzw. seine Partei, die Lumumbistische Vereinigte Partei (PALU),

ein Bündnis mit Kabilas Wahlbündnis AMP308 ein.309

Nach der Ernennung Gizengas dauerte es mehr als einen Monat, bis die Liste der

Minister veröffentlicht wurde. Die neue Regierung unter der Leitung Gizengas hat

insgesamt 60 Minister. Davon sind sechs Staatsminister, 24 Minister und 20 Vize-

Minister.310 Diese Liste wurde am 27.Februar von der Nationalversammlung mit einer

großen Mehrheit angenommen.311

Das Parlament der Demokratischen Republik Kongo besteht aus zwei Kammern,

dem Senat und der Nationalversammlung.

Die Nationalversammlung setzt sich aus 500 gewählten Vertretern zusammen. In der

derzeitigen Koalition wird die AMP durch die PLU, UDM312 und andere Alliierte

unterstützt und dominiert mit einer klaren Mehrheit. Dieser

Parteienzusammenschluss hat auch die Mehrheit in den wichtigsten Ausschüssen313

der Nationalversammlung. Die größte Oppositionspartei, Bembas Union pour la

Nation (UMP), verfügt über 125 Sitze in der Nationalversammlung und hat den

Vorsitz in zwei Ausschüssen.314

Die AMP von Präsident Kabila verfügt neben der Mehrheit im Parlament über eine

Mehrheit in sieben von elf Provinzparlamenten.315 Zudem stellt die Partei neun von

elf Gouverneuren und Vize-Gouverneuren in den Provinzen. Die UMP stellt einen

Gouverneur und hat in vier Provinzen die Mehrheit. Das Rassemblement Congolais

pour la Démocratie (RCD), das bis kurz nach der Regierungsbildung mit der AMP

formlos kooperiert hatte, stellt ebenso einen Gouverneur.316

Der Senat setzt sich aus 108 Senatoren zusammen. Obwohl die Senatoren ihre

jeweilige Provinz repräsentieren, haben sie ein nationales Mandat. Die Kandidaten

für einen Senatorensitz können entweder individuell antreten oder sich von den

politischen Parteien aufstellen lassen. Die Senatoren werden vom Provinzparlament

gewählt und haben zwei Stellvertreter. Sie werden für eine Dauer von fünf Jahren

gewählt und können wieder gewählt werden. Das Mandat wird dann gültig, wenn die

Fähigkeiten des Kandidaten als passend für den Senat eingestuft worden und gilt, 308 Alliance pour la Majorité Présidentielle (Anm. d. Autors). 309 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches, http://www.kongo-kinshasa.de/politisches/index.php. 310 Für die genaue Auflistung siehe Anhang. (Anm. d. Autors) 311 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches. 312 Union des Democrates Mobituistes. (Anm. d. Autors) 313 Diese sind: Wirtschaft und Finanzen, Verteidigung, internationale Beziehungen, Umwelt und Naturressourcen sowie Infrastruktur und Raumordnung. (Anm. d. Autors) 314 Politik, Verwaltung und Justiz und Soziales und Kulturelles. (Anm. d. Autors). 315 Der Kongo hat zwar nur zehn Provinzen aber auf der politischen Ebene wird Kinshasa als eigene Provinz angesehen. (Anm. d. Autors) 316 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches.

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bis der Senat neu zusammengesetzt wird. Schließlich gilt noch die Mitgliedschaft der

ehemaligen Präsidenten auf Lebenszeit.317

Obwohl die AMP eine große Mehrheit im derzeitigen Senat innehat – mehr als 60

von 108 Sitzen – wurde nicht ihr Kandidat als Präsident des Senats gewählt sondern

einer der Unabhängigen, Kengo wa Dondo.318

6.3. Wichtige Akteure und ihr Einfluss auf das System der Demokratischen

Republik Kongo

6.3.1. Das Militär

Die Situation der Armee ist schwierig. Viele der derzeitigen Personen in höheren

Positionen waren einst Rebellenführer oder Milizen. Nach der Friedensvereinbarung

von Ituri 2004 wurde ihnen Generalamnestie zugesichert.319 Die Forces Armées de la

Republique Démocratique du Congo (FARDC) gliedern sich in Army, Navy und

Congolese Air Force (Force Aerienne Congolaise, FAC). Das wehrpflichtige Alter

bzw. die Bereitschaft ist von 18 bis 45 Jahre verpflichtend. Die Anzahl der möglichen

zu aktivierenden Männer in diesem Alter betrug 2005 ungefähr 11.3 Millionen. Davon

wurden 6.5 Millionen als für den Militärdienst vorbereitet angesehen. Die jährlichen

Ausgaben für das Militär betrugen 2006 2.5 Prozent des BIP. Der Oberbefehlshaber

ist der Präsident der DRC.320

6.3.2. Die Medien

Durch die Machtübernahme von Joseph Kabila sollte in der DRC wieder so etwas

wie Pressefreiheit eingeführt werden. Die Praxis sah vor allem im Wahlkampf jedoch

anders aus. Die Journalisten wurden von der jeweiligen Gegenseite bedroht und

teilweise sogar inhaftiert, um nicht kritisch gegen den jeweiligen Kandidaten

schreiben zu können.321

317 Vgl. Constitution de la Repbulique du Congo, http://www.presidentrdc.cd/constitution.pdf. 318 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches. 319 Vgl. Der Standard (2006). Friedensvereinbarung für Ituri, 27.Oktober 2006, http://derstandard.at/. 320 Vgl. Central Intelligence Agency (2007). CIA World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/cg.html, aktualisiert am 16.8.2007. 321 Vgl. Konrad Adenauer Foundation (2005). SADC Media Law: A Handbook for Media Practitioners. A comparative overview of media laws and practice in Lesotho, Tanzania and the Democratic Republic of Congo, Volume 3, November 2005, http://www.kas.de/proj/home/pub/82/1/dokument_id-8939/index.html, S.108f.

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Die mediale Landschaft in der DRC ist sehr unüberschaubar. Dies liegt zu einem

sehr großen Teil daran, dass sich das Land nach wie vor in einer Übergangsperiode

befindet und keine nationale Einheit darstellt. Eine Studie aus dem Jahr 2005, die die

Situation der Medien in der DRC durch Interviews von Journalisten analysieren

sollte, schätzt die Anzahl der Zeitungen landesweit auf mehr 175. Die meisten davon

sind in privatem Besitz. In den Interviews wurde auch deutlich, dass sich die

Medienlandschaft beinahe ausschließlich auf die städtischen Regionen konzentriert,

da es kaum Informationen über regionale Zeitungen gibt. Die meisten Zeitungen gibt

es in Kinshasa, wovon acht täglich erscheinen.322 Drei dieser acht beziehen direkte

Unterstützung von der Regierung. Der Rest der Zeitungen erscheint zwischen ein-

und dreimal wöchentlich.

Viele der Zeitungen sind nicht finanziell unabhängig, wodurch auch ihre Neutralität

beeinträchtigt wird. Inhaltlich findet man in den Zeitungen meist Kommentare und

Analysen der Situationen als faktische Berichte über Ereignisse. Es gibt zwar keine

Zeitung, die unmittelbar von der Regierung kontrolliert wird, aber die Chefredakteure

zweier Zeitungen arbeiteten in der Regierung. Es gibt auch eine Nachrichtenagentur,

die vom Staat organisiert ist, die Agence Congolaise du Press (ACP).323

Im Rahmen der Studie der Konrad Adenauer Foundation wurden zahlreiche

Journalisten interviewt und über ihre Erfahrungen befragt. Viele der Journalisten

waren sehr interessiert daran, ihre Meinung zu sagen, bestanden aber auf strengste

Geheimhaltung, da in der DRC noch immer keine reelle Pressefreiheit besteht. Es ist

der Presse zwar gelungen, sich stärker Gehör zu verschaffen, da es den Medien

durch politisches Chaos gelungen war, mehr und ausführlicher zu berichten, als es in

den Regimes zuvor der Fall war. Viele der Journalisten beschrieben sehr ausführlich

die Repression, die unter dem Mobuturegime herrschte. Dabei zeichnete es die

Situation als äußerst gewalttätig gegenüber den Journalisten aus, denn es kam zu

Folter, Missbrauch und Morden an Journalisten, die durch die damaligen

Regierungstruppen durchgeführt wurden. Auch unter L.-D. Kabila gab es keine

wirkliche Änderung der Situation. Während man die derzeitige Lage der

Medienlandschaften respektive der Journalisten als besser als in den Jahrzehnten

zuvor bezeichnen kann, gibt es nach wie vor noch keine reelle Pressefreiheit, wie sie

propagiert wurde. Es gab 2005 nach wie vor noch Fälle von illegalen Verhaftungen,

322 L’analyst, Boyoma, Elima, Le Palmares, Le Potentiel, L’ouragan, L’avenir und Le soft. (Anm. d. Autors) 323 Vgl. Konrad Adenauer Foundation (2005). SADC Media Law: A Handbook for Media Practitioners. A comparative overview of media laws and practice in Lesotho, Tanzania and the Democratic Republic of Congo, Volume 3, November 2005, http://www.kas.de/proj/home/pub/82/1/dokument_id-8939/index.html, S.108f.

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Drohungen, unbegründete Schließungen von Verlagen und teilweise Morde an

Journalisten. Weniger drastisch ist die Situation nur in der Hauptstadt Kinshasa, wo

nach Meinung der Journalisten eine größere Pressefreiheit herrscht. Dies führten die

Interviewpartner hauptsächlich auf die Anwesenheit der internationalen

Organisationen und NGOs zurück. Auch die Observateurs des Médias Congolais

(OMEC) und die Union National de la Presse Congolaise (UNPC) sind in den Augen

der Journalisten sehr wichtig. Die OMEC untersucht einzelne Fälle von inhaftierten

Journalisten und leitet die Ergebnisse an die UNPC weiter. Diese hat mehr Einfluss

und auch die Macht, den Journalisten wieder eine Akkreditierung zu erteilen.324

Die Journalisten identifizierten die größten Probleme der Medien in der

Demokratischen Republik Kongo:

• Zu wenig Training im Bereich Journalismus. Es gibt nur eine

Ausbildungsstätte für Journalisten. Oftmals verfügen die Journalisten nicht

über ausreichende Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung. Dadurch werden

sie oft aufgrund z.B. diffamierender Schreibweise verhaftet.

• Zu geringe Kenntnisse über die Rechtslage der Medien in der DRC.

Hintergrund dafür ist der schwere Zugang zu den erlassenen Gesetzen. Die

OMEC versuchte mit einem Kodex, der über die Rechte der Journalisten

aufklärt, dem entgegenzuwirken.

• Die schlechte Bezahlung der Journalisten. Das führt dazu, dass viele sich

gegen mehr Geld dazu verleiten lassen, Unwahrheiten zu schreiben.

• Belästigung und Missbrauch durch das Militär. Die Journalisten sind oft den

Armeeführern willkürlich ausgeliefert.

• Die Schwierigkeiten beim Zugang zu den Informationen, die von der

Regierung verwaltet werden. Hintergrund dafür ist, dass die Regierung keine

Kritik an ihrer Arbeit lesen bzw. hören möchte. Aus diesem Grund verweigert

sei sehr oft die Herausgabe von Informationen.325

Man muss die mediale Sphäre im Kongo in zwei Bereiche unterteilen, um sie

entsprechend zu analysieren. Einerseits ist der Sektor der Printmedien sehr groß und

wichtig und andererseits gibt es die elektronische Medienlandschaft.

324 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.109ff. 325 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.112f.

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Neben den oben angeführten generellen Problemen der Journalisten gibt es in den

unterschiedlichen Bereichen noch zusätzliche und spezifischere Probleme. Im

Printmediensektor ist das Problem sehr oft, welches Thema der Journalist in seiner

Berichterstattung behandeln darf. Diese sind:

• Durch die Macht des Militärs schrecken viele Journalisten davor zurück, über

die Aktivitäten und die Organisation der Armee zu berichten. Ein Grund für

diese Schwierigkeit ist die Zusammensetzung bzw. die Eingliederung der

ehemaligen Rebellenführer in die gemeinsame kongolesische Armee. Viele

Aktionen des Militärs sind auch nicht legal, aber die Gefahr, die durch die

mächtige Armee besteht, ist bei einer Berichterstattung durch die Journalisten

sehr groß.

• Schlechte Regierungsarbeit. Bei dem Versuch, über Probleme und Fehler, die

die Regierung während ihrer Arbeit gemacht hat bzw. macht, zu berichten,

wurden viele Journalisten bedroht und verhaftet.

• Korruption. Die Journalisten schrecken davor zurück, über Bestechungen und

korrupte Beamten, die sich innerhalb der Regierung wie auch des juristischen

Systems befinden, zu berichten. Als Grund dafür geben sie die enge

Beziehung an, die zwischen den juristischen Beamten und den

Sicherheitsbeamten bestehe.

• Die Nationalität des Präsidenten. Dieses Thema ist sehr diffizil, da es sehr viel

Spekulation über die Herkunft von Joseph Kabila gibt. Es gibt Gerüchte,

wonach Kabila aus Ruanda stamme und nicht der leibliche Sohn von L.-D.

Kabila sei. Diese Situation ist aufgrund der generell gespannten Lage

zwischen der DRC und Ruanda sehr vorsichtig zu behandeln. Viele der

Journalisten wollten nicht einmal vage über dieses Thema sprechen, da sie es

als zu gefährlich ansahen.

• Die Vorwürfe des Kannibalismus gegen die MLC. Viele Journalisten forschen

nicht nach, ob etwas hinter den Vorwürfen steckt bzw. vermeiden das Thema

komplett, da sie Angst vor der Rache dieser Gruppe haben.326

In der DRC gibt es ungefähr 25 TV-Stationen und einen staatlichen Sender. Der

größte Sender ist Radio-Television National Congolaise (RTNC). Die Kontrolle

dieses Rundfunksenders ist in staatlicher Hand. Die Mitarbeiter sind

326 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S113.ff.

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Staatsangestellte, und der Direktor wird direkt durch den Präsidenten ernannt. Der

Sender sendet kostenlos und deckt mit seinem Netz das gesamte Gebiet der DRC

ab.327 Andere wichtige TV-Sender sind RTGA, Raga TV und Digital Congo, die alle

private Rundfunksender sind und beinahe eine nationale Reichweite haben.328

Wie in vielen afrikanischen Ländern stellt das Radio eine der wichtigsten

Informationsquellen der DRC dar. 2005 gab es ungefähr 122 Radiostationen, die

nicht unter der Kontrolle der Regierung standen. Die meisten davon waren regionale

oder religiöse Sender. Der nationale Sender heißt La Voix du Congo. Der

Regierungssender überträgt seine Sendungen in den häufigsten Landessprachen,

und er operiert in zwölf verschiedenen regionalen Stationen. In den meisten

Landesteilen – speziell ländlichen - sind allerdings nur kommunale Radiosender zu

empfangen. Die Wichtigkeit und Unabhängigkeit der nationalen Radios wurde im

Jänner 2005 deutlich, als der Minister für Presse und Information diesen Stationen

Nachrichtenverbot erteilte.329

Die steigende Anzahl der Radio- und TV-Sender kann man durchaus als eine

Liberalisierung der Medienlandschaft deuten. Zudem kommt die Einrichtung einer

Haute Authorite des Media (HAM), die beide Sektoren, die Print- und die

elektronischen Medien, kontrollieren. Trotzdem haben die Interviewten auch hier

Probleme angeführt, die die Pressefreiheit einschränken würden.

• Die geringe Macht der HAM, da diese ständig durch die drei, für diesen Sektor

verantwortlichen, Ministerien kontrolliert und unterwandert würden.

• Die Macht der Regierung, die TV- und Radiostationen jederzeit abzuschalten.

Die Regierung ist auch bereit dies zu tun, wenn die Notwendigkeit bestünde,

wie im Jahr 2005.

• Der Mangel an moderner Ausrüstung.330

Die Situation für die Journalisten in der DRC hat sich in noch nicht wirklich

verbessert, wie die Reporter ohne Grenzen, eine Organisation zum Schutz der

Pressefreiheit, in einem kurzen Bericht 2006 veröffentlichen. Es gibt nach wie vor

Todesdrohungen und illegale Inhaftierungen gegenüber kritischen Journalisten.331

327 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.109. 328 Vgl. BBC News (2007). Country profile: Democratic Republic of Congo, 16.6.2007, http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/africa/country_profiles/1076399.stm. 329 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.109. 330 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.115f. 331 Vgl. Reporters without Borders. Democratic Republic of Congo – Annual Report 2006, http://www.rsf.org/article.php3?id_article=17396&Valider=OK.

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135

6.3.3. Die Kirche

In der DRC sind mehr als 50 Prozent der Menschen Angehörige der katholischen

Kirche. Die Kirche war schon seit Beginn der Unabhängigkeit 1960 einer der

wichtigsten politischen Akteure und war durch die Conscience Africaine auch sehr

intensiv an der Ausarbeitung eines Kodex für einen unabhängigen Kongo beteiligt.

Nach der Machtübernahme von Mobutu stellte die Kirche den wichtigsten und

effektivsten Gegner des Regimes dar. Die Conférence Episcopale Nationale du

Congo (CENCO) ist die einflussreichste kirchliche Institution der DRC. Diese

Bischofskonferenz ist auch sehr stark politisch engagiert und hat sich die Aufgabe

gestellt, den Aufstieg eines neuen Mobutus mit allen Mitteln verhindern zu wollen.

Aus diesem Grund stellte man sich seitens der Kirche auch gegen eine Stationierung

der EUFOR-Truppen. Man befürchtete seitens der Kirche, dass die starke

Unterstützung des Westens eine ähnliche Situation erzeugen würde wie unter dem

Regime Mobutus, der sehr stark vom Westen unterstützt wurde. Auch erinnerte man

sich an die Truppe von ca. 1.500 Marokkanern, die zur Zeit Mobutus ins Land

eingeflogen wurden, um diesen zu beschützen.332

Der Einfluss der Kirche wird auch in der Medienwelt deutlich. Beinahe die Hälfte der

TV-Sender und ein Großteil der Radiosender senden religiösen respektive

christlichen Inhalt.333 Ein sehr wichtiges Medium ist der staatliche Sender RTNC, der

grundsätzlich von der Regierung finanziert und kontrolliert wird, aber sehr intensiv

von Seiten der Kirche genutzt wird. Die Mitarbeiter sind zwar zwischen dem Einfluss

der Kirche und den Interessen der Geldgeber gespalten, aber in Kinshasa geht der

Glaube meist tiefer als die politische Loyalität, wodurch die Kirche in diesem Sender

sehr einflussreich ist. Dieser Einfluss wurde auch vor der Wahl 2006 genutzt, um die

Kongolesen zur Wahl zu bewegen und dem Zweifel an der Neutralität der

Wahlbehörde Ausdruck zu verleihen.334

In der DRC gibt es die größte katholische Gemeinschaft in Afrika, da mehr als 50

Prozent der Kongolesen diesem Glauben angehören. Zwar ist der Kongo hinsichtlich

seiner ethnischen Herkünfte und regionalen Unterscheidungen sehr gespalten, aber

die katholische Kirche stellt die größte und einflussreichste nationale Organisation

332 Vgl. Udo, Jacob (2006). Information Intervention in Violently Divided Societies: A critical Discourse Analysis of ‘Peace Radio’ News in the Democratic Republic of Congo, http://www.personal.leeds.ac.uk/~icsfsp/papers_files/files/Jacob_Udo_paper.doc. 333 Vgl. Konrad Adenauer Fonudation, S.109. 334 Vgl. Udo, Jacob.

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dar. Zudem zeichnet sich die Kirche für viele Schulen, Krankenhäuser und sozialen

Leistungen verantwortlich, wodurch man die Stimme der Kirche als sehr einflussreich

und autoritär bezeichnen kann.335

Allerdings ist die Tätigkeit der Kirche im Kongo und in Afrika generell auch kritisch zu

betrachten. Die Leistungen in den vorwiegend ländlichen Gebieten sind oftmals mit

Missionstätigkeiten und Taufen verbunden. Das geschieht in vielen Fällen nicht

freiwillig sondern stellt notwendige Gegenleistungen dar.

6.3.4. Internationale Akteure und ihr Einfluss in der DRC

Die drei Jahrzehnte Ausbeutung unter dem Regime Mobutu und der Rückzug der

internationalen Investoren nach Ausbruch des zweiten Kongokrieges hinterließen

ihre Spuren. Während des Zweiten Kongokrieges kam es zur Besetzung von zwei

Drittel des Ostens des Landes durch die Armeen von Uganda, Burundi und Ruanda.

Die Kontrolle über dieses Gebiet brachte den Rebellengruppen und den

Besetzerländern die Kontrolle über die Minengebiete, die in dieser Region liegen.

Durch diese Kontrolle kam es zur Ausbeutung der Rohstoffe zum eigenen Nutzen.

Dies veranlasste den Sicherheitsrat der UNO im Juni 2000 ein Komitee einzurichten,

um die illegale Ausbeutung der Bodenschätze und Rohstoffe in der Demokratischen

Republik Kongo zu untersuchen. Das „Panel of Experts on Illegal Exploitation of

Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of

Congo“, das sich aus sechs Experten zusammensetzte, veröffentlichte einen

Endbericht ihrer Untersuchungen Ende 2002. Dieser Bericht bzw. die darin

gefundenen Ergebnisse sorgten international für Aufsehen und das Mandat zu einer

weiteren Untersuchung wurde von der UNO um ein Jahr verlängert. Ende 2003

veröffentlichte die Expertengruppe schließlich ihren endgültigen Abschluss-Bericht

mit Ergänzungen zum Endbericht von 2002. Darin wurde auch beschrieben, welche

Probleme aus dem Bericht 2002 schon gelöst wurden, welche Länder sich kooperativ

zeigten und welche Probleme nach wie vor nicht bearbeitet werden.336

Der (vorläufige) Endbericht von Oktober 2002 listete nach einer zwei-jährigen

Untersuchung sehr detailliert die Aktivitäten der Rebellengruppen, der

Besetzerländern, der Regierung der DRC und verschiedener damit vernetzter Firmen

335 Vgl. Udo, Jacob. 336 Vgl. UN Doc. S/2003/1027

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auf. Diese Ergebnisse waren sehr genau und reichten von Berichten von

Kampftätigkeiten über die Möglichkeiten des Verdienstes der jeweiligen Gruppen an

den Bodenschätzen bis hin zur Ausbeutung und genauen Prozedere der Nutzung

von verschiedenen Rohstoffen im eigenen Interesse. Im Bericht kam die

Expertengruppe zum Schluss, dass in diesen illegalen Handel viele Akteure involviert

sind und die Geschäfte, die damit gemacht werden, internationale Ausmaße

annehmen. Es wurde aufgedeckt, dass es auch in einem sehr großen Ausmaß um

Waffenhandel und die damit verbundenen Kämpfe ging. Durch die Untersuchungen

wurde auch deutlich, dass es sich in den Kämpfen nicht ausschließlich um ethnische

Auseinandersetzungen handelte, sondern die Hintergründe die Kontrolle über die

rohstoffreichen Gebiete des Landes darstellten. Als Empfehlungen waren Sofort-

Maßnahmen, Reformen von Institutionen und Beobachtung der Ereignisse im Bericht

vermerkt. Es wurden auch die Wichtigkeit der Umsetzung des Friedensabkommens,

und der damit verbundene Abzug der Truppen der Besetzerländer stark betont.

Schließlich fügten die Expertengruppen im Anhang Listen hinzu, die Firmen und

Privatpersonen enthielten, gegen die man finanzielle Strafen bzw. Reiseverbot

erteilen sollte. Ebenso fanden sich die Namen der internationalen Konzerne, die

gegen die Richtlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und

Entwicklung (OECD), die als Grundlage der Untersuchungen herangezogen

wurden.337

Die wirtschaftliche Situation entspannte sich ein wenig, als Joseph Kabila die Macht

im Kongo übernahm. Er erneuerte die internationalen Kontakte und konnte durch

seine aktiven Bemühungen im Friedensprozess auch die wichtigen internationalen

Organisationen wie Weltbank und IMF zur Unterstützung bewegen. So wurde seitens

dieser Organisationen Kabilas Regierung Anfang März finanzielle Unterstützung

zugesagt und ein Strukturanpassungsprogramm in Aussicht gestellt, falls diese

binnen sechs Monaten bestimmte Reformen umsetzen würde. Zuerst versuchte man

seitens der Regierung die Inflation zu stoppen, indem man die Währung, den

kongolesischen Franc, um 300 Prozent abwertete.338

Durch die erfolgreichen Verhandlungen von Sun City und der Aussicht auf möglichen

Frieden im Kongo, sagten die Weltbank und weitere Geldgeber anlässlich eines

Treffens Ende 2002 eine finanzielle Unterstützung von 3.9 Milliarden US-Dollar für

den Zeitraum 2004-2006 zu. Dieses Geld würde die finanziellen Ressourcen des

337 Vgl. UN Doc. S/2002/1146. 338 Vgl. Matthiesen, S.67ff.

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Staates verdoppeln. Dazu bekam der Kongo noch die Millionen, die durch ein zum

damaligen Zeitpunkt laufendes Programm der Weltbank in der DRC noch ausbezahlt

werden sollten. Bei diesem Programm handelte es sich um das Multisektorale

Programm zum Wiederaufbau und der Rehabilitation (PMURR)339. Zudem sollte der

Kongo ab 2004 in den Genuss der HIPC-Initiative340 kommen. Diese sollte 8.95

Milliarden US-Dollar vom damaligen Schuldenstand 13.9 Milliarden tilgen. Der Rest

sollte gestrichen werden.341

Mit dieser Zusage für die finanzielle Unterstützung kam es allerdings auch zu

Schwierigkeiten. Ein Großteil des Geldes – rund 70 Prozent – sollte in Straßenbau,

Wasser- und Stromversorgung fließen. Der Rest sollte für die Entwicklung der

Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit verwendet werden. Die Unterstützungen

waren mit Bedingungen verbunden. Die wichtigste, die auch im Bericht der UN als

essentiell beschrieben wurde, war die Demilitarisierung im Osten des Landes. Damit

begannen die Probleme, da bei der oben angeführten Unterstützung kein Geld für

die Demobilisierung vorgesehen war. Dies wurde laut Weltbank schon früher

geregelt. Allerdings ist unklar, wie viel Geld wirklich an den Kongo überwiesen

wurde, da es keine schriftlichen Vereinbarungen gibt. Ebenso ist die Anzahl der

Kämpfer, die es zu entwaffnen gilt, sehr ungenau. Zudem wußte niemand, ob bei den

Subventionen Gelder für die Beamten im öffentlichen Dienst vorgesehen sind. Diese

Verantwortung wurde seitens der kongolesischen Regierung bei den internationalen

Geldgebern gesehen.

Schließlich nahm noch der politische Wettbewerb nach der Zusage der Gelder

erheblich zu. Jean-Pierre Bemba, der Vize-Präsident und ehemalige Rebellenführer,

flog spontan zum Treffen nach Paris, um die internationalen Konzernchefs und

Investoren zu begrüßen und so Lobbying zu betreiben. Dies wurde seitens der

Unterstützer Kabilas als Affront und als eine öffentliche Aktion gegen die Interessen

der Demokratischen Republik Kongo gesehen. Da auch die Verteilung der Gelder im

traditionell über politische Loyalitäten bzw. Intrigen lief, waren die Unternehmer im

Osten mit dem Ergebnis der Verhandlungen nicht sehr zufrieden, weil sie sich von

ehemaligen Mitstreitern, die die Seite gewechselt haben, verraten fühlten. So 339 Vgl. Misser, Francois, Johnson, Dominik (2007). Weihnachtsbescherung für Kongo, in: TAZ, 27.12.2003, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2003/taz_031227.php. 340 The HIPC Initiative is a comprehensive approach to debt reduction for heavily indebted poor countries pursuing IMF- and World Bank-supported adjustment and reform programs. To date, debt reduction packages have been approved for 30 countries, 25 of them in Africa, providing US$35 billion (net present value terms as of the decision point) in debt-service relief over time. Ten additional countries are potentially eligible for HIPC Initiative assistance and may wish to avail themselves of this debt relief., in: International Monetary Fund (2007). A Factsheet. Debt Relief under the (HIPC) Initiative, April 2007, http://www.imf.org/external/np/exr/facts/hipc.htm. 341 Vgl. Matthiesen, S.68.

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bahnten sich im Osten erneut Konflikte an, und es kam nach einem Boykott der

Unternehmer beinahe zu einer Unterbrechung aller Kommunikationsmöglichkeiten

nach Goma. Erst durch ein spätes Einlenken der Regierung kam es zu einer

Einigung, und ein Krieg konnte verhindert werden.342

Das Programm, das der IMF 2002 im Kongo startete, trug den Titel Poverty

Reduction and Growth Facility Arrangements (PRGF). Dieses Programm wurde im

März 2006 noch bevor der letzte Report beendet werden konnte. Der Grund dafür

war, dass die Ziele und Vorgaben, die gefordert wurden, teilweise nicht erreicht

wurden. Manche Reformen konnten nicht rechtzeitig durchgeführt werden. Der IMF

empfahl daraufhin ein Programm durchzuführen, das von April bis Oktober dauern

sollte und den Titel Programme relais du consolidation (PRC) trug. Ziel dieses

Programms war:

„The authorities are requesting a staff-monitored program (SMP) for April 1-December

31, 2006. The main objectives of the SMP are to preserve macroeconomic stability

during the elections and give the authorities the opportunity to establish a track record of

policy implementation, which would pave the way for a successor Poverty Reduction and

Growth Facility (PRGF) arrangement.”343

Ein Report vom März 2007 sieht die Ziele des SMP als nicht erfüllt an. Es kam

demnach zu einer Überschreitung des Budgets und einer entscheidenden

Verschiebung der Umsetzung von Reformen, speziell in der zweiten Hälfte des

Jahres 2006. Generell wurden einige Punkte festgehalten, bei denen die Entwicklung

nicht wie erhofft bzw. geplant voranging.

Das reale Wirtschaftswachstum reduzierte sich auf cirka 5 Prozent.

Die Inflation stieg im Vergleich zum Vorjahr auf 18.2 Prozent an. Die Prognose

lag bei 9.5 Prozent.

Der Kongolesische Franc wurde um 15 Prozent abgewertet.

Die internationalen Reserven sind nach wie vor gering.

Die Preise stiegen um vier Prozent in den ersten beiden Monaten 2007.

342 Vgl. Misser, Francois, Johnson, Dominik (2007). 343 Vgl. IMF (2006). Democratic Republic of the Congo: Staff-Monitored Programme, http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2006/cr06259.pdf.

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Der Bericht wies explizit auf die Notwendigkeit von unmittelbarem Handeln hin.

Allerdings wurde anerkannt, dass die neue Regierung zugesichert hat, weitere

Reformen durchzuführen und die Wirtschaft zu stabilisieren. Der IMF bekräftigte

auch sein Interesse, mit der Regierung der DRC zusammenzuarbeiten und tat dies

auch in Form einer beratenden Tätigkeit bei den Budget-Entwürfen.344

6.3.5. Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (MONUC)

Im Jahr 2000 beauftragte der Generalsekretär der Vereinten Nationen eine

Expertengruppe mit einer Analyse der Anforderungen an derzeitige und künftige

Friedensmissionen der UNO. Vorsitzender der Kommission war Lakhdar Brahimi,

weshalb der Bericht auch Brahimi-Bericht genannt wurde. Als Ergebnis definiert der

Bericht drei wichtige Grundvoraussetzungen, die für den Erfolg künftiger Missionen

notwendig seien:

1. die tragfähige politische Unterstützung der UN-Mitglieder;

2. eine rasche Entsendung robust ausgestatteter – also für den tatsächlichen

Gebrauch militarisierter Mittel vorbereitete – Friedenstruppen;

3. eine umfassende Strategie, wodurch der Frieden in der Region dauerhaft

aufrechterhalten werden kann;345

Nach Ausbruch des Zweiten Kongokrieges 1998 reagierte die UNO erst acht Monate

nach Beginn der Kämpfe auf die Situation mit der UNO-Resolution 1234, die eine

Beteiligung der UNO an der Schlichtung und den Bemühungen um ein

Friedensabkommen vorsah. Kritisch wurde diese späte Reaktion auch aus dem

Grund betrachtet, weil die UNO auch in Ruanda vier Jahre346 zuvor den Genozid

nicht verhindern konnte, und man fürchtete, dass die verzögerte Reaktion ähnliche

344 Vgl. IMF (2007). Statement to the Conclusion of an IMF-Mission to the Democratic Republic of the Congo. Press release No 07/55, 19.3.2007, http://www.imf.org/external/np/sec/pr/2007/pr0755.htm. 345 Vgl. Griep, Ekkehard (2002). Neue Maßstäbe für die UN-Friedensmissionen. Der Brahimi-Bericht und seine Folgen: eine Bestandsaufnahme, in: Zeitschrift für die Vereinten Nationen, Nr.2, April 2002, http://www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/PUBLIKATIONEN/Zeitschrift_VN/VN_2002/VN_02_2002.pdf. 346 In Ruanda starben nach Schätzungen 1994 zwischen 500.000 und 1.000.000 Menschen, während die internationale Reaktion auf die Geschehnisse sehr zurückhaltend war. Die UNO war seit dem Friedensabkommen von Arusha durch Blauhelme vertreten, welche allerdings nicht in den Völkermord, der 1994 stattfand, ein. Sie wurden schließlich sogar, als das Abkommen scheiterte, im April 1994 durch die Resolution 912 erheblich reduziert. Hauptverantwortlich für eine Reduktion und nicht, wie vom Generalsekretär der UNO vorgeschlagen, eine Aufstockung waren die USA. Trotz aller frühen Warnzeichen für den Ausbruch von Gewalt konnte man den Entwicklungen nicht rechtzeitig entgegensteuern, in: Matthiesen, Fußnoten 264 u. 265, S.76.

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Folgen haben könnte. Schließlich reagierte auch die UNO und entsandte einen

Sonderbeauftragten, der an den Friedensverhandlungen teilnehmen sollte.347

Man einigte sich schließlich auf das Abkommen von Lusaka, das neben einigen

wichtigen Punkten zum Übergang des Kongo in die Demokratie auch die Einrichtung

einer gemeinsamen Militärkommission vorsah. Der UN-Sicherheitsrat lobte die

Ergebnisse des Abkommens von Lusaka und entschied, als ersten Schritt 90

Beobachter in die Hauptstädte der Unterzeichnerländer sowie die gemeinsame

Militärkommission zu entsenden. Als zweiten Schritt sandte man 500 Beobachter

zum selben Zweck.348 Schließlich beschloss man die Resolution 1291, die

gleichzeitig das Gründungsdokument für die Mission des Nations Unis pour le Congo

(MONUC) darstellten. Diese Mission hatte in Kinshasa ihren Hauptsitz, und die im

Kongo stationierten Blauhelme waren dafür verantwortlich, den Frieden im Osten des

Landes zu sichern. Die Präsenz der UNO war nicht von allen Kongolesen gern

gesehen. Man erinnerte sich an die zweifelhafte Rolle, die die UNO zur Zeit

Lumumbas und in Zusammenhang mit dessen Tod gespielt hatte. Aus diesem Grund

stand man den im Kongo stationierten UN-Truppen sehr skeptisch gegenüber.349

Durch die Situation, die sich in den darauf folgenden Jahren nicht wirklich zum

Positiven veränderte, stieg die Zahl der UN-Soldaten sukzessive an. Die Obergrenze

war 2001 mit 5.500 Mann festgesetzt worden. Diese Grenze war im Jahr 2002 mit

3.800 Mann bei weitem nicht erreicht. Zudem wurde diese Obergrenze Ende des

Jahres 2002 auf 8.700 Mann angehoben. Im Februar 2003 betrug die Stärke des

UN-Kontingents 4.386 Mann.

Die Situation änderte nichts an der Tatsache, dass diese Truppenstärke für die

Größe des Landes350 viel zu gering war. Im Vergleich dazu waren in dem sehr

kleinen Staat Sierra Leone351 über 12.000 UN-Soldaten im Einsatz. Das bedeutete,

dass im Verhältnis im Kongo ein UN-Soldat für 12.688 Einwohner zuständig war und

in Sierra Leone nur für 405 Einwohner. Neben diesem Problem war auch das Mandat

der Schutztruppe nicht ausreichend formuliert. So war es den Soldaten nur erlaubt,

Personen zu beschützen, die einerseits unmittelbar von Gewalt bedroht wurden und

sich andererseits in der Nähe eines Standorts der Blauhelme befanden.352 Dies

347 Vgl. Matthiesen, S.74. 348 Vgl. UN Doc. S/1999/1279. 349 Vgl. Matthiesen, S.75. 350 2.344.410 km², das ist in etwa vergleichbar mit der Größe Westeuropas. (Anm. d. Autors) 351 71.740 km² (Anm. d. Autors) 352 Vgl. Debiel, Tobias (2002). Friedenseinsätze der UN in Afrika und ihre Folgen. Bilanz, Lehren und (mangelnde Konsequenzen, in: Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, Nr.2, April 2002, http://www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/PUBLIKATIONEN/Zeitschrift_VN/VN_2002/VN_02_2002.pdf.

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führte dazu, dass trotz der Anwesenheit der UN-Soldaten in den großen Städten wie

Kisangani und Bunia schwere Übergriffe auf die Zivilbevölkerung stattfanden.353

Die Verabschiedung der Resolution 1291 zur Gründung der MONUC basiert nicht auf

den Empfehlungen des Brahimi-Reports. So schreiben die Sachverständigen im

Report:

„As a political body, the Security Council focuses on consensus-building, even though it

can take decisions with less than unanimity. But the compromises required to build

consensus can be made at the expense of specificity, and the resulting ambiguity can

have serious consequences in the field if the mandate is then subject to varying

interpretation by different elements of a peace operation, or if local actors perceive a less

than complete Council commitment to peace implementation that offers encouragement

to spoilers. Ambiguity may also paper over differences that emerge later, under pressure

of a crisis, to prevent urgent Council action. While it acknowledges the utility of political

compromise in many cases, the Panel comes down in this case on the side of clarity,

especially for operations that will deploy into dangerous circumstances. Rather than

send an operation into danger with unclear instructions, the Panel urges that the Council

refrain from mandating such a mission.“354

Die UNO verabschiedete aus diesem Grund im Juli 2003 ein Mandat, in dem die

Mission bis Ende Juli 2004 verlängert und die Truppenstärke auf 10.800 Soldaten

erhöht wurde. Zudem wurde ein Waffenembargo über die östlichen Regionen des

Landes verhängt.355 Die UN-Truppen wurden von Juni bis September 2003 von einer

EU-Truppe verstärkt. Die Mission der EU trug den Titel Artemis und stand unter

französischem Kommando. Insgesamt waren 1.500 Soldaten daran beteiligt, und der

Auftrag war die Unterstützung der UN-Truppen in der Krisenregion Ituri im Nord-

Osten es Landes.356

Das Mandat wurde wiederholt verlängert und schließlich, da es ständig zu Beschuss

von UN-Truppen durch die Rebellen kam, und bei solchen Angriffen immer wieder

Blauhelme getötet wurden, beschloss der UN-Sicherheitsrat am 29.März 2005 die

Resolution 1592. Durch diese Resolution waren die UN-Truppen ermächtigt, alle

notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Bevölkerung und sich selbst im Kongo

353 Vgl. Matthiesen, S.76f. 354 Vgl. UN Doc. A/55/305-S/2000/809, Ziffer 56, http://www.un.org/peace/reports/peace_operations/. 355 Vgl. UN Doc. S/2003/1493. 356 Vgl. Matthiesen, S.77.

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zu schützen und aktiv gegen bewaffnete Gruppen jeglicher Art im Ituri vorzugehen.357

Die UNO ging daraufhin härter gegen die rund 15.000 Milizen vor, die im Ituri

vermutet wurden, und es gelang den Blauhelmen auch, einen Großteil davon zu

entwaffnen bzw. deren Führer festzunehmen. Die Truppenstärke betrug zu diesem

Zeitpunkt ungefähr 16.700, was in der Resolution 1565 als Maximalzahl beschlossen

wurde.358

Aufgrund der bevorstehenden Wahlen, die im Jahr 2005 immer wieder verschoben

wurden, richtete sich die UNO Ende 2005 an die EU um Unterstützung durch ein

europäisches Kontingent. Der Grund dafür war die Tatsache, dass die Europäer in

dieser Region sehr angesehen und respektiert waren, und die UNO jede Hilfe

gebrauchen konnte, um die Ruhe in der Hauptstadt Kinshasa zu

aufrechtzuerhalten.359

Am 25.April 2006 verabschiedete der Sicherheitsrat der UNO die Resolution 1671,

die einen militärischen Einsatz der EU-Truppen temporär genehmigte. Ursprünglich

war der Einsatz für vier Monate anberaumt, allerdings war eine Verlängerung sehr

wahrscheinlich und wurde aus diesem Grund auch bereits vorab genehmigt. Der

Name der Mission war EUFOR RD Congo. Die Operation sollte von einem

deutschen Kommandanten geleitet werden und die unmittelbare Einsatzleitung hatte

ein französischer Generalmajor über.360 Die Truppe, die eine Stärke von 2.400 Mann

hatte, setzte sich aus Militärs aus 16 Ländern zusammen, wobei die größten

Kontingente aus Frankreich (850) und Deutschland (780) kamen.361

Die Mission endete schließlich wie geplant am 30.November 2006, obwohl sowohl

Frankreich, Belgien wie auch einige INGO wie Oxfam und Human Rights Watch auf

eine Verlängerung drängten. Die Handlungsfähigkeit der EU-Truppen blieb allerdings

noch bis zum 15.Dezember aufrecht.362

Durch die Entwicklungen nach der Wahl verlängerte die UNO ihr Mandat noch

weitere Male. Das derzeitige Mandat läuft bis zum 31.Dezember 2007, dies wurde in

der Resolution 1756 beschlossen. Darin wird auch erwähnt, dass die Verlängerung

des Mandats notwendig ist, da die Vereinten Nationen ihre Aufgabe, die DRC in ihrer

357 Vgl. UN Doc. S/2005/1592. 358 Vgl. UN Doc. S/2004/1565. 359 Vgl. SPD-Bundestagsfraktion (2006). Kongo hofft auf EU-Hilfe, in: AG Friedensforschung der Unversität Kassel, 14.3.2006, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Kongo/eu.html. 360 Vgl. Eufor RD Congo (2006), in: Informationsdienst für Politik. Polixea Kommunal, 7.7.2006, http://www.polixea-portal.de/index.php/Lexikon/Detail/id/125104/name/EUFOR+RD+Congo. 361 Vgl. Ling, Martin (2006). EUFOR-Mission vor er heißen Phase, Neues Deutschland, in: AG Friedensforschung der UNI Kassel, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Kongo/einsatz.html. 362 Vgl. Johnson, Dominik (2006g). EU-Truppe im Kongo trotz des Abzugs aktiv, in: TAZ, 25.11.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_061125.php.

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Entwicklung zu unterstützen, realisieren müssten.363 Die derzeitige Stärke der

Truppen ist insgesamt 18.384 uniformiertes Personal. Davon sind 16.619 Militärs,

729 militärische Beobachter, 1.036 Polizisten. Diese werden durch 930

internationales ziviles Personal, 2.042 kongolesisches Personal und 606 UN-

Volunteers unterstützt. Bisher forderte der Einsatz in der MONUC 109 Todesopfer.364

6.3.5.1.Exkurs

Während des Einsatzes im Kongo kam es Ende 2004 zu einem großen Skandal, da

den UN-Truppen der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen, Vergewaltigung und

Involvierung in Prostitution vorgeworfen wurde.365 Die UNO startete eine große

Aktion zu Untersuchung der Vorfälle. Schließlich wurde von der UNO eine Null-

Toleranz Politik gegenüber sexuellen Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung

eingeführt. Da es schon Vorfälle in der Vergangenheit bei anderen UN-Missionen

gab, versuchte man, durch einen strengeren Kodex die UN-Truppen besser

kontrollieren zu können. Neben einer Sperrstunde für das militärische Personal

wurde auch jeglicher Kontakt zur zivilen Bevölkerung außerhalb des Dienstes

untersagt. Ebenso war es dem militärischen Personal untersagt, zivile Kleidung zu

tragen. Personal, das verurteilt wurde, wurde vom Dienst enthoben, und die

Führungen der betroffenen Einheiten wurden ausgetauscht.366

Seit Sommer 2007 gibt es erneut Vorwürfe gegen die UN-Blauhelme in der

Demokratischen Republik Kongo. UN-Soldaten aus Pakistan sollen in einen illegalen

Handel mit Gold und dessen Schmuggel verwickelt sein. Handelspartner sollen dabei

Hutu-Milizen im Osten des Landes gewesen sein. Auch indische Soldaten sollen in

illegale Aktionen verwickelt sein, indem sie Lebensmittelrationen gegen Gold an die

Hutu-Milizen verkauft haben sollen. Diese Milizen sind auch unmittelbar

verantwortlich für den Genozid in Ruanda von 1994, in dem ungefähr 800.000

Menschen ermordet wurden. Die Vorwürfe wurden seitens der UNO bestätigt, und es

wurde unmittelbar eine Untersuchung eingeleitet.367

363 Vgl. UN Doc. S/2007/1756. 364 Vgl. United Nations Organization Mission in the Democratic Republic of the Congo. Democratic Republic of Congo – MONUC – Facts and Figures, 30.Juni 2007, http://www.un.org/depts/dpko/missions/monuc/facts.html. 365 Vgl. Loconte, Joseph (2005). The U.N. Sex-Scandal, in: The Weekly Standard, 3.1.2005, http://www.weeklystandard.com/Content/Public/Articles/000/000/005/081zxelz.asp?pg=1. 366 Vgl. Fleshman, Michael (2005). Tough UN line on peacekeeper abuses. Actions initiated to end sexual misdeeds in peacekeeping missions, in Africal Renewal, Vol. 19, April 2005, http://www.un.org/ecosocdev/geninfo/afrec/vol19no1/191peacekeep.htm. 367 Vgl. Johnson, Dominik (2007). Neue Skandale um die UN-Blauhelme im Kongo, in: TAZ, 16.7.2007, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2007/taz_070716.php.

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6.4. Allgemeine Informationen und Fakten über die Situation der

Demokratischen Republik Kongo

6.4.1. Geographie

Durch die Größe des Kongo und die Teilung des Landes durch den Äquator ist das

Klima sehr unterschiedlich. Grundsätzlich herrscht das Äquatorialklima, das

kontinuierlich warm und feucht ist. Allerdings unterscheidet sich das Klima je nach

Breitengrad und Höhenlage. Im Norden des Landes ist acht Monate im Jahr

Regenzeit, worauf unmittelbar die Trockenzeit folgt. Im Süden des Landes herrscht

eher westropisches Klima, das sich durch Jahreszeiten auszeichnet und nur drei bis

maximal sechs Monate Trockenzeit hat. In Kinshasa wird der Unterschied zwischen

den Trocken- und Regenzeiten schon sehr deutlich. Die Trockenzeit hier beträgt

maximal vier Monate. Durch die großen Gebirge gibt es allerdings auch teilweise

alpines Klima, und es fällt Schnee auf den höchsten Punkten (3.000m – 5.119m)368

Die Demokratische Republik Kongo ist mit einer Fläche von 2.345.410 km² der

drittgrößte Staat Afrikas. 97 Prozent des Landes sind Festland während nur drei

Prozent Wasser ist. Die DRC hat nur eine 37km lange Küste, die in Zentralafrika

liegt. Die Außengrenzen des Landes sind 10.730 km lang. Die Nachbarländer sind

Angola, Uganda, Ruanda, Burundi, Zentralafrika, Tansania, Sambia und Sudan.369

Der größte und längste Fluss des Landes ist der Kongo und das Kongobecken mit

seinen tropischen Regenwäldern nimmt mit einer Fläche von ca. einer Million km²

ungefähr 50 Prozent des Landes ein. Grundsätzlich sind mehr als zwei Drittel des

Landes mit Regenwald und anderen Wäldern bedeckt. In den Savannen und

Wäldern des Landes findet sich eine ungeheure Vielfalt an Tieren und Pflanzen. Das

bekannteste und von vielen Experten als das gelungenste Experiment bezeichnete

Gebiet ist der Albert-Nationalpark, der 1929 gegründet wurde. Ebenso im Kongo

beheimatet sind die Berggorillas, die berühmtesten Gorilla-Kolonien der Welt.370

368 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geographie, http://www.kongo-kinshasa.de/geografie/klima.php. 369 Vgl. Geography facts on Congo, United Nations Permanent Missions, http://www.un.int/drcongo/geography.htm. 370 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geographie.

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Die Demokratische Republik Kongo gliedert sich in zehn Provinzen, wobei Kinshasa

während der Wahlen eine eigene Provinz darstellt.

ABB.2. Derzeitige geographische Einteilung der Provinzen der DRC371

371 Grafik nach Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches.

1. Sud-Kivu 2. Bandundu 3. Bas-Congo 4. Équateur 5. Kasai-Occidental 6. Kasai-Oriental 7. Katanga 8. Kinshasa 9. Maniema 10. Nord-Kivu 11. Orientale

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Die Anzahl der Provinzen ändert sich drei Jahre nach dem In-Kraft-Treten der neuen

Verfassung, am 18.Februar 2006, in 25. Kinshasa erhält zudem den Status einer

Provinz und beherbergt auch weiterhin die nationalen Institutionen.372

Abb. 3. Provinzen der DRC nach der neuen Verfassung von 2006373

372 Vgl. Artikel 2, Constitution de la Repbulique du Congo, http://www.presidentrdc.cd/constitution.pdf, abgelesen am 19.8.2007.

Province Capital 14. Ituri Bunia

15. Haut-Uele Isiro

16. Tshopo Kisangani

17. Bas-Uele Buta

18. Nord-Ubangi Gbadolite

19. Mongala Lisala

20. Sud-Ubangi Gemena

21. Équateur Mbandaka

22. Tshuapa Boende

23. Tanganyika Kalemie

24. Haut-Lomami Kamina

25. Lualaba Kolwezi

26. Haut- Katanga

Province Capital 1. Kinshasa Kinshasa

2. Kongo central Matadi

3. Kwango Kenge

4. Kwilu Kikwit

5. Mai-Ndombe Inongo

6. Kasaï Luebo

7. Lulua Kananga

8. Kasaï oriental Mbuji-Mayi

9. Lomami Kabinda

10. Sankuru Lodja

11. Maniema Kindu

12. Sud-Kivu Bukavu

13. Nord-Kivu Goma

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Die Souveränität auf dem Staatsgebiet wurde durch den zweiten Kongokrieg 1998

stark angegriffen, als Ruanda, Burundi und Uganda rund zwei Drittel des Landes mit

Hilfe von Rebellentruppen besetzten. Diese Besetzung hinderte die Regierung in

Kinshasa zwar an der Ausübung der Hoheitsgewalt, änderte allerdings nichts an der

territorialen Souveränität. Da diese Souveränität auch die Möglichkeit der Ausübung

der Hoheitsgewalt auf eigenem Territorium voraussetzt, und diese durch die

Besetzung der Rebellentruppen eingeschränkt war, stellte dies eine Verletzung des

Grundsatzes der territorialen Souveränität dar. Die DRC reichte daraufhin eine Klage

beim Internationale Gerichtshof (IGH) ein, wonach Ruanda, Burundi und Uganda das

Gewaltverbot der UNO und der AU verletzt hätten. Die Verfahren im IGH wurden

unterschiedlich behandelt. So erklärte sich der IGH für den Fall Ruanda nicht wirklich

zuständig, da zwar die DRC als Vertragsstaat die Zuständigkeit des IGH für diese

Angelegenheit anerkannte, nicht aber Ruanda.374 Der Fall von der DRC gegen

Burundi wurde auf Anfrage der DRC selbst 2001 aufgegeben375 und im Fall der DRC

gegen Uganda kam es zu einer Urteilsfindung, die allerdings weitere

Untersuchungen empfiehlt.376

6.4.2. Bevölkerung

Die Daten über die Bevölkerung der Demokratischen Republik Kongo sind in den

meisten Fällen nicht aktuell. Dies hängt unmittelbar mit den Entwicklungen und

Schwierigkeiten zusammen, die das Land in den letzten Jahren durchlaufen hat. Die

CIA hat in ihrer Datenbank eine Hochrechnung auf Basis der Zahlen der vergangen

Jahre entwickelt und stellt die aktuellsten Zahlen zur Verfügung, wobei auch hier mit

Ungenauigkeiten zu rechnen ist. Die Zahlen, die in diesem Kapitel angegeben

werden sind teilweise nicht als ganz exakt anzunehmen. Es wird vom Autor versucht

die aktuellsten Zahlen aus verschiedenen Quellen anzugeben, um ein möglichst

373 Grafik aus Congo Planète 18.12.2006, http://congoplanete.com/pictures/congo/new_congo_map_provinces_1.jpg,; Provinznamen aus Artikel 2 der Verfassung der Demokratischen Republik Kongo. 374 Vgl. International Court of Justice (2006). Armed Activities on the territory of the Congo (New Apllication: 2002) (Democratic Republic of Congo v. Ruanda). Summary of the Judgement of 3 February 2006, 3.2.2006, http://www.icj-cij.org/docket/index.php?sum=642&code=crw&p1=3&p2=3&case=126&k=19&p3=5. 375 Vgl. International Court of Justice (2006a). Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic v. Burundi) Press Release 2001/2, 1.Februar 2001, http://www.icj-cij.org/docket/index.php?pr=655&code=cb&p1=3&p2=3&p3=6&case=115&k=1d. 376 Vgl. International Court of Justice (2006b). Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo, (Democratic Republic of Congo v. Uganda), 19.12.2005, http://www.icj-cij.org/docket/index.php?p1=3&p2=1&code=co&case=116&k=51.

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vollständiges Bild zu geben, wie die Situation in der DRC heute ist. Dabei wird auch

versucht, einen Vergleich mit früheren Zahlen zu geben, um die Entwicklung ein

wenig darzustellen.

Die errechnete Einwohnerzahl des Kongo wird von der CIA auf 67.751.512

Menschen geschätzt.377 Damit liegt die DRC, was die Anzahl der Bevölkerung

anbelangt an der 19.Stelle weltweit.378

Von der Bevölkerung sind in etwa 47.6 Prozent jünger als 14 Jahre und beinahe die

Hälfte zwischen 14 und 64 Jahre alt. Von diesen knappen 98 Prozent der

Bevölkerung ist die Aufteilung zwischen den Geschlechtern beinahe ausgeglichen.

Erst bei der Bevölkerungsgruppe, die älter als 64 Jahre ist und ungefähr 2.6 Prozent

der Bevölkerung ausmacht, ist der Anteil der Frauen ungefähr eineinhalb mal so groß

wie der der Männer.

Aufgrund dieser Verteilung ist das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung 16.1

Jahre. Der männliche Teil der Kongolesen ist durchschnittlich 15.8 Jahre alt,

wogegen das Durchschnittsalter der Frauen cirka 16.4 Jahre alt beträgt.

Die Wachstumsrate der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren erheblich

gesteigert. Während die Wachstumsrate 2003 noch ca. 2.9 Prozent pro Jahr379

betrug, waren es 2005 ungefähr 3 Prozent380 und schließlich 2007 3.39 Prozent.381

Die durchschnittliche Lebenserwartung in der DRC war von 2000 bis 2005 erheblich

von den Ereignissen des Krieges beeinflusst. Sie betrug in diesen beiden Jahren, die

als Anhaltspunkte gelten, 42.4 bzw. 44 Jahre382. Die aktuell errechnete

Lebenserwartung für die gesamte Bevölkerung ist 57.2 Jahre. Dabei werden die

Männer durchschnittlich 54.97 Jahre und die Frauen 59.5 Jahre alt.383

Der aktuelle Prozentsatz weist auf eine jährliche Geburtenrate von durchschnittlich

42.96 Babys pro 1.000 Einwohner, also cirka 4.3 Prozent hin. Eine kongolesische

Frau bringt durchschnittlich 6.37 Kinder im Laufe ihres Lebens auf die Welt. Die

377 „note: estimates for this country explicitly take into account the effects of excess mortality due to AIDS; this can result in lower life expectancy, higher infant mortality and death rates, lower population and growth rates, and changes in the distribution of population by age and sex than would otherwise be expected.”, in: Central Intelligence Agency (2007). CIA World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/cg.html, aktualisiert am 16.8.2007. 378 Vgl. CIA, Rank Order – Population, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/rankorder/2119rank.html. 379 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Bevölkerung, http://www.kongo-kinshasa.de/bevoelkerung/index.php. 380 Vgl. The World Bank (2007). Congo, Dem. Rep. Data Profile, April 2007, http://devdata.worldbank.org/external/CPProfile.asp?SelectedCountry=ZAR&CCODE=ZAR&CNAME=Congo%2C+Dem.+Rep.&PTYPE=CP. 381 Vgl. CIA (2007). The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/cg.html. 382 Vgl. The World Bank. 383 Vgl. CIA, The World Factbook.

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Säuglings- bzw. Kindersterblichkeit – eingerechnet werden Todesfälle von Kindern

im ersten Lebensjahr bei 1.000 Lebend-Geburten wird mit 6.5 Prozent angegeben.

Dabei liegt der Prozentsatz bei den männlichen Säuglingen mit 7.15 Prozent deutlich

höher als bei den weiblichen mit 5.93 Prozent.384 Obwohl sich der Prozentsatz von

12.9 Prozent385 bereits deutlich verringert hat, ist die Zahl im internationalen

Vergleich immer noch sehr hoch.

Die Migrationsrate gibt eine Erklärung für die Anzahl aller Personen, die im Laufe auf

1.000 Personen gerechnet während eines Jahres ins Land immigrieren bzw. daraus

emigrieren. Dabei wird die Größe der Bevölkerung in der Mitte des Jahres als Basis

für die Rechnung herangezogen. Die Zahl der Migrationsrate gibt Aufschluss

darüber, in wie weit die Zu- bzw. Abwanderung zur allgemeinen

Bevölkerungswachstumsrate beiträgt.386 Die Migrationsrate in der DRC beträgt 1,28

Prozent pro Jahr387.388

Die Situation bezüglich der Unterernährung in der Demokratischen Republik Kongo

hat sich in den Jahren des zweiten Kongokrieges dramatisch entwickelt. In der DRC

waren in den Jahren 1990-92 cirka 31 Prozent der Bevölkerung unterernährt – die

Einwohnerzahl betrug damals etwa 38.8 Millionen Menschen. Die Hilfs- und

Entwicklungsprojekte hatten unter dem Einfluss des zweiten Kongokrieges keinen

Effekt, und so waren zwischen 2001 und 2003 ungefähr 72 Prozent der in der

Zwischenzeit auf 51.3 Millionen Menschen angewachsenen Bevölkerung

unterernährt. In absoluten Zahlen bedeutete das, dass zwischen 1990-92 12.2

Millionen Menschen und 2001-03 37 Millionen Menschen an Unternährung litten.389

6.4.2.1. Ethnische Gruppen

Es ist unklar wie viele ethnische Gruppen es in der DRC gibt. Die Schätzungen

gehen von 200390 bis 250391. Der Großteil der Bevölkerung gehört den Bantu an. Die

vier größten ethnischen Gruppen sind die Luba (18%), die Mongo (17%), die Kongo 384 Vgl. CIA, The World Factbook. 385 Vgl. The World Bank. 386 Vgl. CIA (2007). The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/docs/notesanddefs.html#2112. 387 Vgl. CIA, The World Factbook. 388 Alle angegebenen Zahlen aus dem World Factbook sind für 2007 errechnet. (Anm. d. Autors) 389 Vgl. Food an Agriculture Organisation of the United Nations (2006). The State of Food Insecurity in the World 2006, ftp://ftp.fao.org/docrep/fao/009/a0750e/a0750e00.pdf. 390 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Bevölkerung. 391 Vgl. CIA. The World Factbook.

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(14%), die alle Bantustämme sind und die Mangbetu-Azande (10%). Diese vier

Stämme machen bereits mehr als 50 Prozent der Gesamtbevölkerung der DRC

aus.392

ABB. 4. Daten über die Entwicklung der Unterernährung weltweit393

Der Prozentsatz der Menschen, die Zugang zu sauberem Wasser hatten lag im Jahr

2004 bei 46 Prozent und hat sich in den zehn Jahren davor nur um drei Prozent

gesteigert. Die Prozentzahl der Menschen mit Zugang zu Sanitäranlagen betrug im

Jahr 2004 30 Prozent, verdoppelte sich aber seit 1990.394

6.4.3. Wirtschaftliche Situation

Die Demokratische Republik Kongo zählt zu den an Rohstoffen reichsten Ländern

der Welt. Allerdings gilt sie gleichzeitig als eines der ärmsten Länder weltweit. Die

Währung des Landes ist der Kongolesische Franc. 1 US-Dollar sind 437

Kongolesische Francs, und 1 Euro sind 597.833 Kongolesische Francs.395 Die

392 Vgl. CIA, The World Factbook und Kanu/Indongo-Imbanda, Bevölkerung. 393 Grafik von Food and Agricultural Organization. 394 Vgl. United Nations Development Programme (2006). Human Development Report. Beyond scarcity: Power, poverty and global water crisis, Congo, Dem. Rep. of the, http://hdr.undp.org/hdr2006/statistics/countries/data_sheets/cty_ds_COD.html. 395 Currency Converter, Stand am Montag, dem 27.8.2007, in: http://www.oanda.com/convert/classic.

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Inflation beträgt 18.2 Prozent. Das jährliche Budget liegt bei ungefähr $700 Millionen

Dollar, wogegen die jährlichen Ausgaben bei zwei Milliarden Dollar liegen.396

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des gesamten Landes wurde 2006 auf $44.44

Milliarden geschätzt. Allerdings wird diese Zahl von den internationalen

Wirtschaftsexperten als nicht wirklich passend angesehen, um die wirtschaftliche

Stärke des Landes einstufen zu können. Aus diesem Grund gibt es das BIP, das

auch den Wert der Währung im internationalen Markt mit einrechnet. Nach dieser

Methode betrug das BIP in der DRC 2006 ungefähr $7.98 Milliarden. Dadurch ergibt

sich ein pro Kopf ein BIP von ungefähr $700 und ein jährliches Wachstum von

ungefähr 6.8 Prozent. Die Aufteilung des BIP ergab, dass der Agrarsektor 55 Prozent

des BIP ausmachte, der industrielle Sektor 11 Prozent und der Dienstleistungssektor

34 Prozent.397

Die organisierten Arbeitnehmer bzw. die Gewerkschaften hatten im ganzen Kongo

2006 cirka 15 Millionen Mitglieder. Allerdings gibt es keine Angaben über die

Verteilung der Gewerkschaften auf die drei Sektoren. Ebenso gibt es keine Angaben

über die Höhe der Arbeitslosenrate in der DRC.398

Die wichtigsten Industriezweige sind Bergbau, weitere Verarbeitung von Rohstoffen,

chemische Verarbeitung, Textilindustrie, Zement und Reparaturen von Schiffen.

Produkte, die dabei produziert werden, sind Kaffee, Zucker, Palmöl, Kautschuk, Tee,

Mais, diverse Früchte, Zigaretten, Schuhe, verschiedene Textilien und

Holzprodukte.399 Die wichtigsten Rohstoffe sind: Kupfer, Kobalt, Coltan, Diamanten,

Uran und Gold.400

Hauptexportgüter sind Diamanten, Kupfer, Kaffee und Kobalt. Aus dem Export dieser

Güter wurden 2004 ungefähr $1.1 Milliarden eingenommen, wobei die wichtigsten

Abnehmerländer Belgien (33,4%), China (24.1%), Chile (8.9%), Finnland (8.2%) und

die USA (5.4%) sind. Gleichzeitig importierte die DRC 2004 Produkte um ungefähr

$1.32 Milliarden. Hauptsächlich kamen die Importe aus Südafrika (19.5%), Belgien

(11.8%), France (9.4%), Kenia (7.5%), Sambia (6.5%) und der Elfenbeinküste (4.8%)

und bestanden aus Lebensmittel, Maschinen zum Abbau von Rohstoffen und

anderen Tätigkeiten, Transportzubehör und Treibstoffe.401

396 Vgl. CIA The World Factbook. 397 Vgl. CIA The World Factbook. 398 Vgl. CIA The World Factbook. 399 Vgl. CIA The World Factbook. 400 Kanu/Indongo-Imbanda, Wirtschaft, http://www.kongo-kinshasa.de/wirtschaft/index.php. 401 Vgl. CIA. The World Factbook.

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Die Auslandsverschuldung beträgt nach wie vor noch etwa zehn Milliarden US-

Dollar. Allerdings laufen Programme zum Schuldenabbau und der Stabilisierung der

Wirtschaft.

6.4.4. Krankheiten

Die Gefahr, in Kontakt mit tropischen Krankheiten zu kommen, ist im Kongo sehr

hoch. Die häufigsten Krankheiten sind bakterielle und protozoale (infektiöse Diarrhö,

Hepatitis A und Typhus). Diese Krankheiten können sowohl durch Kontakt mit

Wasser als auch durch Nahrungsmittel übertragen werden. Die häufigsten

Infektionskrankheiten sind Malaria, Pest und die Schlafkrankheit. Allerdings ist die

Gefahr, an diesen Infektionen zu erkranken, regional beschränkt, in diesen Regionen

allerdings sehr hoch. Schließlich kann man an Schistosomiasis bzw. Bilharziose,

einer Wurminfektion, erkranken. Eine Übertragung dieser Krankheit ist nur durch

Wasser möglich. Die Sterblichkeitsrate in der DRC beträgt 10.34 pro 1.000

Menschen pro Jahr also umgerechnet 1.03 Prozent. 402

6.4.4.1. HIV/AIDS

Die aktuellste Analyse über die Situation in der DRC bezüglich der Ausbreitung und

der neu- bzw. bereits infizierten Personen sind aus den Jahr 2003 und 2005 im

Vergleich und stammen von der UNAIDS/WHO. Die Zahlen sind – wie in allen

Ländern der Welt nur geschätzt – da man die Dunkelziffer nie genau berechnen

kann.

In der DRC breitet sich das HIV/AIDS Virus sehr rasant aus. Man rechnet mit einer

Ansteckungsrate von cirka vier Prozent jährlich. Die größte Zahl an Infektionen

entsteht durch heterosexuellen Kontakt. Am meisten gefährdet sind Frauen in der

Altersgruppe bis 20 bis 29 Jahre und Männer im Alter zwischen 30 und 39 Jahren.

Sehr stark betroffen sind auch Kinder, denn eine Vielzahl hat einen oder beide

Elternteile schon durch Krankheit verloren, die durch AIDS ausgelöst wurde.

402 Vgl. CIA, The World Factbook.

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Die höchsten Infektionsraten sind unter Menschen, die im sexuellen Gewerbe tätig

sind, der Armee, Gefangenen, Fernfahrern, Minearbeitern und Blutspendern.403

ABB. 5. Vermutete Zahl der HIV-Erkrankungen Ende in den Jahren 2003 und 2005.

ABB. 6: Vermutete Zahl der Todesopfer aufgrund AIDS in den Jahren 2003 und 2005.

403 World Health Organization (WHO) (2005). Summary Country Profile for HIV/AIDS Treatment Scale-up, Dezember 2005, http://www.who.int/hiv/HIVCP_COD.pdf.

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Abbildung 7: Voraussichtliche Zahl der Waisen aufgrund von AIDS in den Jahren 2003 und 2005.

Abbildung 8: Zahl der HIV-Infizierungen bei schwangeren Frauen in Zentralafrika.

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Die allgemeinen Ausgaben für die Krankenversorgung lagen 2004 bei cirka 4

Prozent verglichen mit dem gesamten BIP des Landes. Die Aufteilung der Kosten

zwischen dem Staat und Privatpersonen lag bei 28.1 zu 71.9 Prozent. Der Staat

verwendete insgesamt nur 7.3 Prozent des gesamten Budgets für die medizinische

Versorgung. Die staatlichen Ausgaben pro Kopf für ein Jahr betrugen je nach

Wechselkurs zwischen 1.3 und 4.3 US-Dollar. Die privaten Ausgaben betrugen

zwischen 4.7 und 15.3 US-Dollar. Dazu ist noch anzumerken, dass es in der DRC

kein Sozialversicherungssystem gibt.404

In der DRC gab es im Jahr 2004 5.827 Ärzte, das bedeutete, dass auf 100.000

Menschen durchschnittlich elf Ärzte kamen. Zudem gab es 28.789

Krankenschwestern, gleichbedeutend mit 53 pro 100.000 Menschen, und 159

Zahnärzte im ganzen Land.405

6.4.5. Sprachen

Ebenso wie bei den ethnischen Gruppen ist es unklar, wie viele Sprachen in der

DRC wirklich gesprochen werden. Manche Quellen gehen von über 200

verwendeten Sprachen aus. Diese Sprachen unterteilen sich in 25 linguistische

Gruppen. Neben Französisch, das auch die offizielle Amtssprache ist, gibt es noch

vier nationale Sprachen. Diese sind: Lingala, Suaheli, Kikongo und Tshiluga. Lingala

ist die Sprache, die hauptsächlich in der Hauptstadt Kinshasa gesprochen wird.406

6.4.6. Religion

Die große Mehrheit der Bevölkerung, 50 Prozent, gehört dem römisch-katholischen

Glauben an. Ungefähr 20 Prozent sind Protestanten, zehn Prozent zählen sich zum

kimbanguistischen Glauben407, ebenso zehn Prozent Moslems und schließlich

404 Vgl. World Health Organisation (2006a). WHO Statistical Information System, Core Health Indicators the latest data from multiple WHO sources, Democratic Republic of the Congo, http://www.who.int/whosis/database/core/core_select_process.cfm?country=cod&indicators=nha#. 405 Vgl. World Health Organisation (2006b). World Health Statistic 2006, http://www.who.int/entity/whosis/whostat2006.pdf. 406 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Bevölkerung. 407 Vgl. Kumbanguismus ist eine Religion, die ihren Ursprung im Christentum hat und 1921 gegründet wurde. Der spirituelle Führer, Diangienda, der Sohn von Simon Kimbangu, war der oberste Führer der kimbaguistischen Kirche von 1959 bis 1992 definiert den Kimbanguismus als „le christianisme le Christianisme résultant de l'ensemble des actions et enseignements de Simon Kimbangu“. Kimbangu der Namenspatron der Kirche wird als Prophet angesehen und verehrt. Die Kirche ist vor allem in Afrika vertreten und ein Viertel der Mitglieder sind

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glauben auch etwa zehn Prozent der Bevölkerung an einheimische Religionen oder

gehören Sekten an.408

6.4.7. Alphabetisierung

Bezüglich der Alphabetisierungsrate bietet die UNESCO Vergleichszahlen zwischen

den Jahren 2001 und 2005. Die Untersuchung bezieht sich einerseits auf Personen,

die älter als 15 Jahre sind und andererseits auf die Teilgruppe der jungen Menschen

zwischen 15 und 24 Jahren. Für das Jahr 1990 stehen keine Zahlen zur Verfügung.

Abbildung 8: Alphabetisierungsrate in der DRC im Vergleich.. 409

Es deutlich zu beobachten, dass die Zahlen in allen Gruppen bzw. bei beiden

Geschlechtern in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind. Dies lässt auf ein

Problem am Bildungssektor bzw. zu wenige Ausgaben in diesem Bereich schließen.

Die schulische Bildung ist im Kongo grundsätzlich in Grundschule (Primary level) und

mittlere Bildung (Secondary level) eingeteilt. Beide Stufen laufen jeweils über sechs

Jahre. Die Pflichtschulzeit beträgt jedoch nur acht Jahre. Der Prozentsatz der Kinder,

Kongolesen. Sie orientiert sich in ihrer Lehre sehr stark am christlichen Glauben, in: Kimbanguisme, Kimbanguisme.net, 2005, http://www.kimbanguisme.net/kimbanguisme/kimbanguisme.htm. 408 Vgl. CIA. The World Factbook. 409 Tabelle von UNESCO Institute for Statistics (2005). UIS Statistics in Brief. Education in Democratic Repulic of Congo, http://stats.uis.unesco.org/unesco/TableViewer/document.aspx?ReportId=121&IF_Language=eng&BR_Country=8920.

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die sich im Grundschulalter befinden und eingeschult sind, hat in den letzten 20

Jahren rapide abgenommen. Waren 1985 noch ungefähr 86.5 Prozent in Schulen,

sind es 2005 nur noch 61.7 Prozent. Allerdings hat sich diese Zahl in den letzten fünf

Jahren nicht mehr verringert, was auf ein mögliches Entgegenwirken gegen diese

Stagnation schließen lässt. Ungefähr 38.9 Prozent durchlaufen die gesamte Dauer

der Grundschule. Auch diese Zahl stagnierte seit 1990 als noch etwa 46.1 Prozent

alle sechs Jahre Grundschule erfolgreich abschlossen, ist jedoch seit 2000 auf dem

gleichen Level geblieben. Der Prozentsatz der Schüler, die eine Klasse wiederholen

müssen, blieb über die Jahre mit geringen Schwankungen konstant mit leichten

Tendenzen nach unten und lag im Jahr 2005 bei ungefähr 16.3 Prozent.

In der mittleren Bildung ist die Entwicklung über die Jahre nicht so drastisch wie im

Bereich der Grundschule. Waren 1985 noch ungefähr 22.7 Prozent aller Kinder der

Altergruppe im Bereich der mittleren Reife eingeschult, erreichte dieser Prozentsatz

seinen Höhepunkt im Jahr 1995 mit 23.9 Prozent, worauf fünf Jahre später der

Tiefpunkt mit nur 18 Prozent eingeschulte Kinder folgte. Im Jahr 2005 stieg die Rate

wieder auf 22.1 Prozent an.

Im Bereich der höheren Bildung gibt es keine aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2005.

Die Zahlen der Weltbank aus dem Jahr 2000 geben einen Prozentsatz von 1.4 an. 410

Im Jahr 2005 kamen im Grundschullevel ungefähr 34.3 Kinder auf einen Lehrer.

Wenn man den stagnierenden Prozentsatz der eingeschulten Kinder im

schulpflichtigen Alter heranzieht, könnte man sagen, dass der Prozentsatz in etwa

gleich gebelieben ist. Im Bereich der mittleren Bildungsstufe kamen im Jahr 2005 auf

einen Lehrer ungefähr 14.5 Kinder.

Der Gender Parity Index bezüglich der Einschulung in Grundschule und Mittelschule

beträgt 0.7. Bei einem Wert von eins wäre das Verhältnis zwischen den

Geschlechtern ausgeglichen. Diese Zahl lässt darauf schließen, dass im Jahr 2005 –

wie auch in den Vergleichswerten in den Jahren zuvor – deutlich mehr männliche als

weibliche Kinder eingeschult wurden. Dass die Mehrzahl der eingeschulten Schüler

männlich ist, ergibt sich aus dem Vergleich mit anderen Statistiken411.

Der Prozentsatz der Schüler, die in nicht-öffentlichen Schulen eingeschult wurden,

betrug im Jahr 2005 11.1 Prozent im Bereich der Grundschule und 13.4 Prozent im

Bereich der mittleren Bildung. Dabei ist die Entwicklung im Bereich der mittleren

410 Vgl. The World Bank (2007). Summary Education Profile: Congo, Dem. Rep., http://devdata.worldbank.org/edstats/SummaryEducationProfiles/CountryData/GetShowData.asp?sCtry=ZAR,Congo,%20Dem.%20Rep. 411 Diese Tatsache geht z.B. aus der Statistik der UNESCO hervor. (Anm. d. Autors).

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Bildung sehr auffällig, da im Jahr 1995 noch 25.7 Prozent der Kinder in privaten

Schulen eingeschult wurden.412

Die Zahlen über die staatlichen Ausgaben für das Bildungssystem sind in allen

Datenbanken als „keine Angabe“ eingetragen, wodurch sie auch immer wieder mit

null beziffert werden.

6.4.8. Infrastruktur und Kommunikation

Die DRC verfügte 2004 über ein Straßennetz von ungefähr 153.500 km, wovon

lediglich 2.800 asphaltiert waren. Diese Zahlen dürften in der Zwischenzeit

wesentlich höher liegen; allerdings sind das die aktuellsten, die in diversen

Statistiken angeführt werden. Zudem gibt es im Kongo 15.000 km an Wasserwegen

und 5.136km Eisenbahnverbindungen. Weiters gibt es 234 Flughäfen, wovon

allerdings nur 25 asphaltierte Landebahnen haben. Die Pipelines, die durch das Land

verlegt sind, sind für Erdgas 54km und für Erdöl 78km lang. Die demokratische

Republik Kongo verfügt auch über ein Schiff – einen Tanker.413 Die Fluglinien im

Kongo gelten nicht nur aufgrund der unmodernen Flughäfen als äußerst unsicher. Da

sie viele Sicherheitsstandards nicht erfüllen, haben alle Fluglinien ein Flugverbot für

Europa erteilt bekommen, weshalb diese Fluglinien größtenteils nur regional

verkehren.414

Die Kommunikation in der DRC ist sehr schwierig. Es gibt ungefähr 10.500

Leitungen, die in Gebrauch sind. 2005 besaßen cirka 2.74 Millionen Kongolesen ein

Mobiltelefon, allerdings ist die Netzauslastung sehr gering. Es gab 2005 ungefähr

1.778 offizielle Internetstandpunkte, und es wurde mit 140.600 Benützern

kalkuliert.415

6.4.9. Situation der Menschenrechte in der DRC

Die Umsetzung der allgemeinen Menschenrechte, wie sie die Vereinten Nationen in

ihrer Erklärung der Menschenrechte definiert haben, setzt einen funktionierenden

Staat voraus. Dies bedeutet, dass die politische Elite und Machtinhaber die 412 Vgl. The World Bank (2007). 413 Vgl. CIA. The World Factbook. 414 Tortschanoff, Monika, Emailkorrespondenz. 415 Vgl. CIA. The World Factbook.

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Verpflichtungen, die sie gegenüber dem Völkerrecht haben, akzeptieren und

einhalten. 1981 wurde die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der

Völker von der AU verabschiedet und trat 1986 in Kraft. Bis 1999 hatten bis auf

Eritrea alle afrikanischen Mitgliedstaaten die Charta übernommen.416

Die Menschenrechte im Kongo wurden in den letzten Jahrzehnten sukzessive

verletzt und missachtet. Unter dem Regime Mobutus kam es zu Standgerichten und

unmittelbaren Todesurteilen, deren Vollstreckungen durch das Militär vollzogen

wurde. Dabei beriefen sich Mobutu aber auch sein Nachfolger Kabila auf die

Notstandssituation, die den Schutz des Individuums außer Kraft setzt. Somit blieb

nur die Militärgerichtsbarkeit in Kraft, wodurch die Aktionen gerechtfertigt waren.

Durch die Übergangsverfassung kam es zu einigen Verfahrensfehlern, während die

neuen Richter und die neue Gerichtsbarkeit ernannt werden sollten, die allerdings

wieder behoben werden konnten.417

Die Demokratische Republik Kongo hat wie jeder Staat das Völkerrecht zu achten

und zu respektieren. Dies gilt für Inländer ebenso wie für Ausländer, die sich auf dem

Staatsgebiet aufhalten. Auch wenn sich der Staat im Krieg befindet, muss ein

Mindeststandard an Menschenrechten gewährleistet werden, da das Völkerrecht als

Gewohnheitsrecht gilt und so einen allgemeinen Rechtsstatus hat.418

Die Instrumente zur Einhaltung der internationalen Pakte haben sich geändert, und

verschiedene internationale Akteure, speziell NGOs, gewannen an Einfluss. So kam

es Ende der 90iger Jahre vermehrt zu Anklagen und Verurteilungen von ehemaligen

Kriegsverbrechern. Jedoch brachte dies auch Unklarheiten über die Immunität der

höchsten Politiker eines Staates mit sich. Die betraf den ehemaligen kongolesischen

Außenminister, der 1998 in Belgien gefangen genommen wurde. Er wurde wieder

freigelassen. Allerdings wurde festgestellt, dass die Immunität der Politiker zwar vor

nationalen Regierungen gilt, solange Personen im Amt sind, aber die internationale

Strafgerichtsbarkeit nicht eingeschränkt werden darf.419

In der DRC wurde in den vergangenen Jahrzehnten unter den verschiedenen

Präsidenten oftmals gegen die Menschenrechte verstoßen. Es gab bis 2006 keine

demokratischen Wahlen bzw. keine offene politische Ebene. Es wurde vielfach, wie

von Human Rights International, Amnesty International und anderen Organisationen

416 Vgl. Matthiesen, S154. 417 Vgl. Matthiesen, S.155f. 418 Vgl. Matthiesen, S.156f. 419 Vgl. Matthiesen, S.160ff.

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beklagt, gegen das Verbot der Folter verstoßen und eine Vielzahl an

Menschenrechtsverbrechen begangen.420

In der derzeitigen kongolesischen Verfassung werden die Menschenrechte

anerkannt und es wird betont, diese sind unter allen Umständen zu beachten und

anzuerkennen. Ebenso wird auf das Verbot der Diskriminierung einer Minderheit

festgeschrieben:

„Aucun Congolais ne peut, en matière d’éducation et d’accès aux fonctions publiques ni

en aucune autre matière, faire l’objet d’une mesure discriminatoire, qu’elle résulte de la

loi ou d’un acte de l’exécutif, en raison de sa religion, de son origine familiale, de sa

condition sociale, de sa résidence, de ses opinions ou de ses convictions politiques, de

son appartenance à une race, à une ethnie, à une tribu, à une minorité culturelle ou

linguistique.“421 Zudem wird in der Verfassung darauf hingewiesen, dass die Regierung Maßnahmen

zu ergreifen hat, Bevölkerungsgruppen vor der Diskriminierung zu schützen, aber es

wird nicht erklärt, wie genau diese Maßnahmen aussehen sollen. Ebenso wird

festgehalten, dass die Personen, die gegen diesen Artikel oder einen anderen, der

die Menschenrechte beschreibt, verstoßen, mit Strafverfolgung zu rechnen haben.

Allerdings sind diese Strafen auch nicht festgeschrieben.

Schwierig ist auch die Formulierung Kongolesen, denn – wie an anderer Stelle erklärt

– ist für den Inhalt dieser Studie die Definition einer Minderheit essentiell. Wenn nun

ein Teil des Volkes nicht als Kongolesen anerkannt wird, dann wird der Schutz unter

der Verfassung juristisch schwierig.

6.4.10. Weitere Probleme

In der DRC ist aufgrund der kriegerischen Handlungen seit 1998 die MONUC mit

einer militärischen Truppe anwesend. Zurzeit befinden sich 18.000 Blauhelme im

Kongo, und zwar zum größten Teil im Osten. Eines der größten Probleme sind die

zwischenstaatlichen Konflikte mit den Nachbarländern. Viele der Flüchtlinge suchen

in den Regionen im Osten des Landes Zuflucht. Diese kommen hauptsächlich aus

Angola (106.772), Ruanda (42.360), Burundi (19.032), Uganda(18.954) und dem 420 Vgl. Matthiesen, S.162ff. 421 Article 13, La Constitution de la République Démocratique du Congo.

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Sudan (11.723). Schwierig ist die Situation im Nord-Osten des Landes, in dem sich

die ULRA im Ituri-Urwald aufhält und über dieses Gebiet nach wie vor noch die

Kontrolle hat. Das Problem in dieser Region ist auch, dass die Grenzziehung nicht

wirklich eindeutig ist. Zu den Flüchtlingen der Nachbarländer kommen noch die

Internally Displaced People (IDP), deren Zahl seit dem Ausbruch der Kämpfe auf

ungefähr 1.1 Millionen geschätzt wird.

Weitere große Probleme sind die große Produktion von Cannabis, welches allerdings

hauptsächlich im Kongo konsumiert wird, wodurch jedoch ein großes Drogenproblem

entsteht. Das korrupte und schwache Banksystem würde sich ideal zur Geldwäsche

anbieten, allerdings ist die Attraktivität für internationale Geldwäscherbanden nicht so

groß, weil das Finanzsystem nicht wirklich funktioniert.422

6.5. Minderheitenschutz durch die neue Verfassung

Dieses Kapitel basiert auf einer Interpretation der neuen Verfassung, die 2006 in

Kraft trat. Es gibt durch die kurze Amtszeit der ersten frei gewählten Regierung keine

Studien und Ergebnisse, in wie weit die neue Verfassung bzw. die aktuelle

Regierung Einfluss auf die Minderheitenpolitik respektive deren Schutz hatte.

Der Verfasser versucht hier aufgrund einer Analyse der Verfassung eine persönliche

Einschätzung der Minderheitenpolitik zu treffen und den Schutz der gewährleistet

wird zu identifizieren.

Das Wort Minderheit kommt in der Verfassung zweimal vor. Das erste Mal in Artikel 3

des ersten Kapitels. Dabei wird festgelegt, dass kein Kongolese aufgrund diverser

Merkmale, Traditionen, Glaubensanschauungen, soziale Umstände etc. diskriminiert

werden darf. In diesem Artikel wird auch festgestellt, dass die kein Kongolese

aufgrund der Zugehörigkeit zu einer kulturellen oder sprachlichen Minderheit

diskriminiert werden darf.423

Der zweite Artikel in dem das Wort Minderheit vorkommt ist der Artikel 51. Darin wird

festgelegt, dass der Staat dafür verantwortlich ist, ein friedliches und harmonisches

Zusammenleben aller ethnischen Gruppen des Landes zu unterstützen und

422 Vgl. CIA. The World Factbook. 423 Vgl. Artikel 13, Kapitel 2 der Verfassung der Demokratischen Republik Kongo, die seit Februar 2006 in Kraft ist.

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sicherzustellen. Zusätzlich werden in diesem Artikel die Unterstützung und der

Schutz aller angreifbaren oder verletzbaren Gruppen und Minderheiten des Landes

versichert und ihre Selbstverwirklichung gefördert.424

6.5.1. Analyse:

Zwar findet in der Verfassung – wenn auch nur zweimal – der Begriff Minderheit

Verwendung, allerdings ist nirgendwo eine Definition zu finden. Im Kongo finden sich,

wie an anderer Stelle erwähnt, über zweihundert ethnische Gruppen. Es ist schwierig

zu beurteilen, welche Gruppierungen davon Minderheiten sind und welche nicht.

Ein weiteres Problem ist die Formulierung „kulturelle“ Minderheiten. Der Begriff

kulturell lässt viel Spielraum für Interpretationen, wogegen sprachliche Minderheiten

dem, was man eine Definition nennen kann, am nächsten kommt, da die offiziellen

Landessprachen festgelegt sind. Somit darf laut Verfassung keine Gruppe

kongolesischer Bürger diskriminiert werden, die eine andere Sprache spricht als die

offiziellen Landessprachen.

Dies führt zum nächsten und vielleicht größten Problem bzw. Unklarheit im Bezug

auf Minderheiten in der DRC. Die Formulierung „kein Kongolese“ ist bereits sehr

exklusiv. Dadurch werden jegliche Mitglieder von Gruppen, die keine Staatsbürger

sind, von diesem Artikel nicht erfasst. Somit können auch Gruppen von Nicht-

Kongolesen keinen Status einer Minderheit in der DRC erlangen.

Solche Gruppen können aus eben diesem Grund auch nicht vom Artikel 51 erfasst

und dadurch geschützt werden. Neben dieser Exklusivität gewährt allerdings der

Artikel, trotz der Feststellung, dass es Aufgabe des Staates ist für Frieden zwischen

ethnischen Gruppen zu und Minderheiten zu schützen, keinen ausreichenden

Schutzmechanismus. Es wird nicht erwähnt – weder in diesem Artikel noch in einem

anderen der Verfassung – wie diese Minderheiten zu schützen sind und was bei

einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot geschieht. Neben dem Fehlen

eines Schutzmechanismus gibt es also auch keinen Sanktionsprozess. Auch die

Verantwortlichkeiten für den Schutz der Minderheiten sind nicht verteilt und klar

definiert.

Diese Tatsache erweckt den Eindruck, dass es keine Bemühungen und

Bestrebungen eines effektiven Minderheitenschutzes angestrebt werden. Dies ist

424 Vgl. Artikel 51.

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auch nicht möglich, da es zu diesem Zweck eine klare Definition des Begriffs

Minderheit geben müsste, die allerdings nicht formuliert wurde. Dadurch lässt die

Verfassung sehr viel Spielraum für Interpretationen. Die Regierung jedoch ist nicht

gezwungen zu handeln, wenn es sich um keine Kongolesen handelt und kann

generell sehr subjektiv entscheiden, welche Gruppe als Minderheit einzustufen ist, da

sie, wenn sie keine sprachlichen Voraussetzungen erfüllen, kulturelle Eigenschaften

ausweisen müssen, die allerdings ebenso nicht klar definiert sind.

Welche Probleme man als Volk, das auf dem Staatsgebiet der Demokratischen

Republik Kongo lebt haben kann, wenn man als Minderheit nicht anerkannt ist, wird

im folgenden Kapitel anhand des Volkes der Pygmäen beschrieben. Deren Stämme

kämpfen neben der Diskriminierung durch die Bevölkerung auch um die

Anerkennung vor dem Gesetz. Die Gründe dafür werden durch die Analyse der

Formulierungen in der neuen Verfassung offensichtlich.

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7. Die Pygmäen

Das Volk der Pygmäen, die als Fallstudie für die Minderheitenpolitik und die

Akzeptanz der Minderheiten in der DRC herangezogen wird, wird in diesem Kapitel

behandelt. Neben der Geschichte werden hier auch die unterschiedlichen Stämme

und ihre Siedlungsgebiete angeführt und beschrieben. Obwohl der Fokus in dieser

Studie auf dem Gebiet des Ostens der Demokratischen Republik Kongo liegt,

werden auch die Siedlungsgebiete in Uganda, Ruanda und Burundi partiell

miteinbezogen, da auch in diesen Ländern Pygmäen beheimatet sind. Dies ist

deshalb interessant, da dies verschiedene Stämme sind, die auch teilweise differente

Lebensweisen verfolgen und sich anders in die jeweiligen Gesellschaften integrieren

oder integriert haben. Es wird auch versucht, die unterschiedlichen Gruppen genauer

zu beschreiben. Dabei liegt der Fokus vor allem auf den beiden Stämmen, den

Batwa und Bambuti, die im Kongo ihr Siedlungsgebiet haben.

Es wird auch versucht, die soziale Ordnung, die Lebensweise und die Beziehung

zum Lebensraum darzustellen. Dazu kommen natürlich die Probleme, die sich

hinsichtlich der Akzeptanz bzw. durch Diskriminierung ergeben und mit denen die

Pygmäen zu kämpfen haben. Dabei werden auch Beispiele für

Menschenrechtsverletzungen und die Erfahrungen, die die Pygmäen während der

Kriege in der Region machten, angeführt.

Schließlich wird noch versucht, die Zusammenschlüsse in Form von NGOs, die den

Pygmäen gelangen, zu erklären.

Abschließend werden noch einige INGOs und deren Arbeit für die Pygmäen und zu

deren Schutz beschrieben und versucht darzustellen, welche Probleme sie täglich

und kontinuierlich in ihrer Arbeit behindern.

Bis heute gibt es wenige Studien, die das Leben der Pygmäen. Sie leben sehr

zurückgezogen und meist in Regionen, in denen Kriegshandlungen an der

Tagesordnung stehen, wodurch sich die Forscher oftmals nur schwer zu den

Pygmäen vordringen können bzw. sich ständiger Bedrohung von gewalttätigen

Übergriffen gegenüber sehen. Die meisten und aktuellsten verfügbaren

Informationen gibt es bei unterschiedlichen internationalen Organisationen bzw.

NGOs, die in Projekten zum Schutz oder der Unterstützung der Pygmäen arbeiten.

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In dieser Arbeit wird auch der Begriff Pygmäen verwendet, da er in der Wissenschaft

der am häufigsten verwendete Begriff für die Gesamtheit der Gruppen ist. Wenn hier

das Leben von spezifischen Gruppen dargestellt wird, dann werden diese namentlich

angeführt. Der Begriff Pygmäen wird hier in keiner Weise als beleidigend oder

erniedrigend verwendet.

7.1. Geschichte der Pygmäen

Moderne DNA-Analysen weisen darauf hin, dass ein Pygmäenstamm, die Mbuti, die

im Kongobecken siedeln, einen der ältesten Vorfahren der Menschheit darstellen.

Aus diesem Volk und den Khoisan, einem Volk aus Botswana – so wird vermutet –

hat sich wahrscheinlich die gesamte Menschheit entwickelt. Die Forscher nehmen

an, dass zwischen den letzten 70.000 und 140.000 Jahren eine Gruppe von 2.000

Individuen dieser beiden Gruppe nach Norden gewandert ist und die heute südlich

der Sahara lebenden Bauernstämme der Bantu begründete. Von da an wanderten

die menschlichen Urahnen auf alle Kontinente. Es wird zwar nicht ausgeschlossen,

dass es noch weitere Populationen in Afrika gab, allerdings gibt es keine Beweise.

Die Entwicklung des Volkes verlief aufgrund der schwankenden natürlichen

Gegebenheiten in Zyklen, und die Populationsdichte stieg erst vor 35.000 Jahren

rapide an.425

Die erste Erwähnung der Pygmäen ist bei den Ägyptern bekundet. Bereits vor 4.000

Jahren waren sie im Ägyptischen Reich bekannt. Händler brachten sie als

Attraktionen für den Pharao mit. Grund dafür war ihre Fähigkeit zu tanzen. Aufgrund

dieser gaben ihnen die Inschriften in Denkmälern den Namen Gottestänzer.426 Die

erste nennenswerte Studie gab es 1933 von Paul Schebesta427. Das Buch „The

Forest People“ von dem amerikanischen Anthropologen Colin Turnbull aus dem Jahr

1961 ist die bisher ausführlichste Studie des sozialen Lebens der Pygmäen.428

425 Vgl. Jahn, Andreas (2003). Nur 2000, in: Spektrumdirekt. Die Wissenschaftszeitung im Internet, 29.Mai 2003, http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/619209. 426 Vgl. Mazzucato, Antonio (2002). Die Pygmäen. Geschichte des ältesten Volkes des Urwalds, Gesellschaft für bedrohte Völker, 13.3.2002, http://www.gfbv.it/3dossier/africa/pigmei-de.html. 427 Vgl. Among Congo Pygmies (Anm. d. Autors) 428 Vgl. Muis, Ruud. Pygmies, in: Pygmeen Kleinood, Generelle Information, http://www.pygmee.nl/pygmy_algemeen.html.

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7.2. Etymologie bzw. Wortherkunft.

Der Ursprung des Wortes liegt im Lateinischen „pygmaei“ und Griechischen

„pygmaio“ und bedeutet „ein Stamm von Zwergen“. Homer und Herodot nehmen in

ihren Werken auf dieses Volk Bezug und beschreiben ihren Lebensraum mit Indien

oder Äthiopien. Die Bedeutung konnte früher auch auf eine Maßeinheit angewandt

werden, welche die Länge vom Ellenbogen bis zu den Fingerknöcheln bezeichnet

hat. Im 17.Jahrhundert wurde der Ausdruck auf Schimpansen und Orang-Utans

angewandt. Erst 1863 wurde der Begriff durch die Europäer auf die Afrikanischen

Stämme übertragen.429

7.3. Terminologie

Pygmäe ist ein wissenschaftlich verwendeter Ausdruck von kleinwüchsigen Jägern

und Sammlern, früheren Jäger und Sammler-Völkern, die im zentralen Afrika rund

um den Äquator in Regenwäldern leben. Die Pygmäen selbst verwenden diesen

Namen für sich selbst kaum, da sie den Namen sehr häufig in Zusammenhang mit

Beleidigungen und herablassenden Aussagen über sich hören. Einige Aktivisten der

Pygmäen benutzen den Begriff und somit besteht eine schleichende Akzeptanz.

Grund dafür ist der Vorteil, den sie darin sehen, mit den gemeinsamen Urvölkern der

Region, in der sie leben identifiziert zu werden. Zudem wollen sie Solidarität mit

anderen Stämmen der Pygmäen in der Region zeigen. Die meisten

Pygmäenstämme ziehen es vor mit ihren ethnischen Bezeichnungen angesprochen

zu werden, die sie auch bestimmten Regionen zuordnen, wie z.B. Bambuti, der Ituri-

Regenwald (DRC), Baaka, der Lobaye-Regenwald (Zentralafrikanische Republik)

oder Bambendjelle, der Ndoki-Regenwald (Congo-Brazzaville).430 Wie die

verschiedenen Pygmäen-Völker selbst bezeichnet werden wollen, ist sehr stark von

der Region abhängig.

Die Pygmäenstämme siedeln in verschiedenen Ländern in Zentralafrika. Ein Beispiel

für einen solchen Stamm sind die Batwa, die sowohl in Uganda, Ruanda wie auch in

der DRC ihre Siedlungsgebiete haben. Durch diese Verstreuung sprechen sie viele

Sprachen und bezeichnen sich je nach Region unterschiedlich. In Nord-Kivu in der 429 Vgl. Harper, Douglas (2001). Online Etymolgy Dictionary, http://www.etymonline.com/index.php?l=p&p=38. 430 Vgl. Lewis, Jerome (2000). The Batwa Pygmies of the Great Lakes Region. Minority Group International Report, S.5.

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DRC nennen sie sich wechselweise Batwa oder Bambuti, wobei sich jedoch alle

verschiedenen Gruppen zur Herkunft als Batwa bekennen und sich auch so

größtenteils selbst so bezeichnen. Wie sensibel das Thema „Bezeichnung der

Pygmäen“ ist, zeigt auch die Tatsache, dass der Name Batwa eine ebenso

ambivalente Bedeutung hat wie das Wort Pygmäen. Lediglich der Ton der Stimme,

mit der man das Wort ausspricht, gibt Auskunft darüber, ob man es als Beleidigung

meint oder Respekt bezeugt. Manche der Batwa, die in Burundi leben und sich selbst

als weiterentwickelt sehen, fühlen sich persönlich angegriffen, wenn sie als Batwa

bezeichnet werden. Sie bevorzugen Abaterambere (Menschen die sich

weiterentwickeln) benannt zu werden.431

Das Wort –twa ist in den Bantu-Sprachen – zu diesen zählen auch die Sprachen der

Pygmäen – eine Bezeichnung für Jäger und Sammler und frühere Jäger- und

Sammler-Völker, die als Ureinwohner der Region gelten. Die Vorsilbe Ba-432

bedeutet Menschen und ist die Form des Plural. Die Vorsilbe Mu- ist die Form des

Singulars, somit ist ein Mutwa eine Person des Stammes der Batwa.433

7.4. Allgemeine Übersicht über die Völker und ihre Siedlungsgebiete

Die Anzahl der Pygmäen wird auf zwischen 150.000434 und 500.000435, teilweise

900.000436 Menschen geschätzt. Die Zahl lässt sich schwer definieren, weil eine

Erfassung durch die Zerstreuung der Stämme und den geringen Wissenstand sehr

schwer ist.

Die Besonderheit, die die Pygmäen auszeichnet, ist ihre Körpergröße, die das Maß

von 1.50m selten überschreitet. Die durchschnittliche männliche Größe der Pygmäen

– der Bambuti der DRC – liegt bei 1.44m, die verglichen mit der Durchschnittsgröße

in der DRC, die bei 1.70m liegt, sehr gering ist.437 Die geringe Körpergröße ist

zunächst in der ersten Wachstumsphase nicht festzustellen. Bis zur Pubertät verläuft

das Wachstum genauso wie bei normalwüchsigen Menschen. Ab diesem Zeitpunkt

431 Vgl. Lewis, S.5. 432 Vgl. Mazzucato. 433 Vgl. Lewis, S.5. 434 Vgl. BBC Online. In Pictures: The Pygmies-Struggle, http://news.bbc.co.uk/2/shared/spl/hi/picture_gallery/05/africa_pygmies0_struggle/html/2.stm. 435 Vgl. lmm/re/kr/he (2007). Central Africa: HIV/AIDS a threat to the indigenous forest communities, IRIN, 15.Mai 2007, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=72155. 436 Laut dem Minister für soziale Angelegenheiten gibt es in der DRC 900.000 Pygmäen, in: IRIN, S.23. 437 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006).

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wird von den Körpern der meisten Pygmäenvölker weniger Wachstumsfaktor IGF438

produziert, wodurch sie nur geringere Größen erreichen.439 Bis auf dieses Merkmal

gibt es allerdings keinen genetischen Unterschied zu den restlichen afrikanischen

Stämmen und Völkern. Ebenso gibt es kulturell und sprachlich keine spezifischen

Eigenschaften der Pygmäen respektive keine eigene Sprachenfamilie der

Pygmäenvölker. Die Sprachen gleichen sehr oft denen der nahe gelegenen

Bantudörfern, in deren Nähe die Pygmäen siedeln bzw. mit deren Gesellschaft sie

leben.440

Es gibt viele verschiedene Völker, wobei sich die Unterscheidung der Gruppen

manchmal sehr schwierig gestaltet, weil die Stämme teilweise verwandt sind. Aus

diesem Grund lässt sich schwer feststellen, wie viele verschiedene Völker es gibt

und welche davon nur eine Untergruppe eines anderen Volkes darstellen.

Die Pygmäen verteilen sich auf insgesamt neun Staaten im zentralafrikanischen bzw.

äquatorialen Afrika. Es gibt Siedlungen in Ruanda, Burundi, Uganda, der

Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, Kamerun,

Äquatorial Guinea, Gabun und Kongo-Brazzaville.441

Die wichtigsten Völker sind:

• Die Bambuti: Sie unterscheiden sich in drei Gruppen. Aka, die im Norden der

DRC und in Teilen der Zentralafrikanischen Republik leben und mit Speeren

jagen. Ihre Sprache heißt Mangbetu. Efe, die im Osten der DRC leben, mit

Hilfe von Pfeil und Bogen jagen und deren Sprache Lese ist. Schließlich noch

die Sua, die hauptsächlich Fischer sind, Bira sprechen und im Süden des

Landes leben.

• Der Fluss Ubangui teilt den afrikanischen Regenwald in Ost- und Westseite.

Westlich des Flusses lebt ein Pygmäenvolk, dass sich selbst Binga nennt. Auf

der östlichen Seite leben die Batwa. Siedlungen der Batwa finden sich neben

dem Osten der DRC auch in Ruanda, Uganda und Burundi.

• Die Baka, die ungefähr 40.000 Menschen umfassen und Halbnomaden sind,

leben im Süden und Süd-Osten von Kamerun. Sie sind Jäger und Sammler.

438 Insulin-like growing factor. (Anm. d. Autors) 439 Vgl. Afrika-Online. Pygmäen, http://afrika-online.com/rkongo/bevoelkerung/pygmaeen/index.html. 440 Vgl. Dembner, S.A., Forest Peoples in the Central African rain forest: focus on the pygmies, Food and Agricultural Organization of the United Nations, http://www.fao.org/docrep/w1033e/w1033e03.htm. 441 Vgl. Dembner.

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• Im Süden Kameruns leben auch ungefähr 3.700 Pygmäen, die den Bakoga –

Bagyeli angehören.

• In Zentral-Kamerun lebt eine kleine Gruppe Pygmäen, die sich Medzan

nennen. Ihre Zahl beträgt weniger als 1.000 Menschen.

• Die Bangombe und Bambinga leben in Gabun.442

Dies ist nur eine geringe Auswahl der verschiedenen Stämme, die in Zentralafrika

leben. Es gibt noch kleinere, die regional verteilt sind. Alle diese Gruppen

unterscheiden sich nicht nur durch ihre Siedlungsgebiete, sondern haben

unterschiedliche Sprachen, Bräuche und Technologien. Ebenso gibt es Gruppen, die

sich unterschiedlich weit in die Gesellschaft integriert haben und teilweise assimiliert

sind.443

Der Lebensraum der Pygmäen ist beinahe ausschließlich der tropische Regenwald

im zentralen Afrika, weshalb sie auch oftmals als „forest people“ bezeichnet. Es gibt

zwei unterschiedliche Arten von Regenwald, der von den Pygmäen bewohnt wird.

Den Primären Wald, der sich grundsätzlich durch hohe Bäume (30-50m), die durch

ihre dichten Kronen kaum Sonnenstrahlen durchlassen, kennzeichnet. Die

Temperaturen liegen zwischen 25° und 32° Celsius tagsüber und 15° und 20°

Celsius während der Nacht. Es herrscht extrem hohe Luftfeuchtigkeit, die zwischen

77 und 99 Prozent liegt. Der sekundäre Wald bezeichnet Gebiete, die auf Flächen

entstanden, die gerodet wurden und als Landwirtschaftsflächen verwendet und

wieder aufgegeben wurden. Die Vegetation unterscheidet sich zum primären Wald

durch ein wesentlich dichteres Unterholz, das durch Rodungen entstand. Unter den

Bäumen, die teilweise hunderte Jahre alt sind, gibt sehr viele Edelholzbäume wie

z.B. Mahagoni oder Teak, die sich gut zur Herstellung von Möbeln eignen. Zudem

gibt es eine Vielfalt an Tieren, die diesen Lebensraum nutzen und ideale

Lebensbedingungen vorfinden.444

Die Entstehung bzw. Gründung von Nationalparks hatte für die Pygmäen in der DRC

zur Folge, dass die Pygmäen der DRC jetzt größtenteils die Gegend um den Kivu-

See bewohnen. Die Pygmäen wurden von dem Land, das bereits ihre Vorfahren

schon seit Generationen bewohnten, vertrieben.445

442 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). 443 Vgl. Dembner. 444 Vgl. Mazzucato. 445 Vgl. Muis, Ruud. Kivu/Virunga, in: Pygmeen Kleinood, http://www.pygmee.nl/pygmy_kivu.html.

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Derzeit gibt es sechs Nationalparks in der DRC, die als Weltkulturerbe der UNESCO

angesehen werden. Der Erste war der Virunga Nationalpark, der 1979 zum

Weltkulturerbe erklärt wurde. Dem folgten 1980 der Garamba und Kahuzi-Biega

Nationalpark und 1984 der Salonga Nationalpark. Schließlich wurde 1996 auch noch

das Okapi Wildlife Reserve zum Weltkulturerbe erklärt. Mit Ausnahme des Salonga

Nationalparks, der im Westen des Landes liegt, befinden sich alle anderen Orte im

Ituri-Urwald im Osten des Landes.446 Diese Nationalparks hatten wesentlichen

Einfluss auf die Umsiedelung der Pygmäen.

7.5. Ausgewählte Völker und ihre Lebensweise

Im folgenden Kapitel wird die Lebensweise der Pygmäen in der DRC dargestellt.

Diese Formen des sozialen Lebens und des Jagdverhaltens werden anhand der

beiden Völker Batwa und Bambuti dargestellt. Während die Batwa neben der DRC

auch in Uganda, Ruanda und Burundi Siedlungen haben, sind die Bambuti bzw. die

Stämme, denen die Bambuti angehören, ausschließlich in der DRC beheimatet. Da

sich deren Lebensweise nicht sehr extrem von der der restlichen Stämme

unterscheidet, wird auch hier der Begriff Pygmäen verwendet.

7.5.1. Die Batwa

Die Batwa sind wahrscheinlich die größte Gruppe der Pygmäen und werden

zwischen 70.000 und 90.000 Menschen geschätzt. Die Population der gesamten

Pygmäen ist schwer festzustellen, weil die Dörfer auf einer cirka 100.000 km² großen

Fläche weit verteilt sind. Die Batwa machen in den Ländern, die sie besiedeln nur

etwa zwischen 0.02 und 0.7 Prozent der Bevölkerung aus und haben kein politisches

Gewicht – welcher Art auch immer.

In den vergangenen Jahrhunderten hatten die Batwa teilweise einen sehr hohen

Stellenwert in ihren Siedlungsregionen. Sie wurden auch als die Eigentümer der

Wälder angesehen. Sie lebten traditionell von der Jagd, Honig sammeln und anderen

Produkten aus den Wäldern. Diese tauschten sie gegen andere notwendige Dinge

aus den Dörfern. Die Batwa-Frauen sammelten Früchte und Gemüse und arbeiteten 446 Vgl. United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation. About World Heritage, Democratic Republic of Congo, aktualisiert am 31.August 2007, http://whc.unesco.org/en/statesparties/cd.

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für die Bauern. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts hatten einige Chiefs der Batwa einen

so hohen Status, dass sie sogar Abgaben von ihren Nachbarn fordern konnten. Doch

etwa zu diesem Zeitpunkt begann sich die Situation zu ändern. Durch die

Abholzungen des Regenwaldes verloren die Batwa ihre Unabhängigkeit.447

Die Batwa sehen sich selbst als kolonialisiert. Zuerst wurden sie von Bauern, später

von Viehzüchtern und schließlich von Europäern unterdrückt. Das größte Problem

der Batwa war das Verschwinden ihres Lebensraums, des Regenwaldes durch

Abholzung, und die Unfähigkeit, sich gegen Invasoren erfolgreich zur Wehr zu

setzen. Der Wald wurde in Farm- und Weideland umgewandelt und später für Game

Parks448 und Militärzwecke verwendet. Die Dekolonisation ist nach wie vor eines der

wichtigsten Themen für die Pygmäen, auch nachdem die Europäer das Land bereits

verlassen haben.449

Durch die Abholzung und das Verschwinden ihres Lebensraumes, durch

Desinteresse an langfristigen Strategien entschieden sich die Batwa für die „Quick-

Return“ – Methoden, durch sie die Ernte unmittelbar wieder verbrauchten. Sie waren

auch gezwungen, ihre Berufe an die neue Situation anzupassen und verdingen sich

unter anderem als Töpfer, Schmiede, Kesselflicker oder Sänger.450

Die Batwa der DRC sind gegenüber ihren Stammesmitgliedern in den östlichen

Ländern in einer etwas besseren Situation bezüglich ihres Lebensraumes, denn in

der DRC gab es historisch weniger Abholzung als in den anderen Ländern, da kaum

Viehzucht praktiziert wurde. Allerdings beginnt sich die Situation auch in der DRC

sukzessive zu verschlechtern, da auch hier der Regenwald in zunehmendem Maße

abgeholzt wird bzw. Game Parks und Reservate gebildet werden.

Neben den wirtschaftlichen Problemen, die entstanden, nachdem es den Batwa

verboten wurde, ihre traditionellen Lebens- und Arbeitsweisen auszuüben, besteht

eine extreme Diskriminierung gegenüber den Batwa. Die restliche Bevölkerung

vermeidet es, mit den Batwa gemeinsam zu essen oder zu trinken, verweigert ihnen

den Zutritt in ihre Häuser und würde sie nie als Ehe- oder Sexualpartner annehmen.

Grund dafür sind die Stereotypen, mit denen die Batwa zu kämpfen haben. Sie

447 Vgl. Survival International (2007). Survival. The Movement for Tribal People. Discrimination and the „Pygmy“, http://www.survival-international.org/material/20. 448 Game Parks sind Orte für Touristen und Einheimische in denen sie die Möglichkeit haben, wilde Tiere aus der Nähe zu beobachten und durch Rundfahrten in Geländewagen möglichst nah an dieser heranzukommen. Die Tiere werden dabei meist in ihrer natürlichen Umgebung gehalten und es wird nicht in die Nahrungskette eingegriffen. 449 Vgl. Lewis, S.5. 450 Vgl. Lewis, S.5.

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werden als unzivilisiert und ungepflegt angesehen und aufgrund ihrer Lebensweise

als unterentwickelt gehandelt.451

Die Batwa haben, wie auch der Rest der Bevölkerung der DRC, sehr stark unter dem

Krieg gelitten bzw. leiden nach wie vor darunter. Im Gegensatz zum Rest der

Bevölkerung haben die Pygmäen keine Reserven. Aufgrund ihrer Lebensweise

haben sie keine Nahrungsmittel oder sonstige Ressourcen in Vorrat, wodurch sie

sich eventuell über Krisenzeiten hinweg retten können. Aufgrund ihrer Lebensweise

sind sie auch sehr leicht angreifbar für jegliche Kriegspartei. Manchmal wurde sogar

versucht, sie in den Krieg mit einzubeziehen, indem man sie zwang Waffen zu tragen

und zu verwenden. Ihre gesamte Situation, die Armut und der mangelnde politische

Schutz, erleichterte die mögliche Manipulation und Ausnutzung der Batwa durch

andere Gruppen erheblich.

Trotz der großen Schwierigkeiten ist es 1991 einigen Batwa in der DRC und Ruanda

gelungen, eine Organisation zu gründen, die sich für die Rechte der Batwa einsetzt.

Die Gründung dieser Organisationen hatte zur Folge, dass auch Batwa in anderen

Ländern begannen, sich zu organisieren, bis sich schließlich auch international eine

unterstützende Gruppe für die Batwa einsetzt. Ebenso gibt es Gruppen, die

gewährleisten, dass die Kommunikation zwischen den Gruppen effektiv funktioniert.

Diese ersten Entwicklungen leiteten einen Prozess ein, in dem sich die Batwa auch

international dafür einsetzen können, dass ihre Rechte geschützt werden und sie

auch gleichzeitig mit Organisationen zusammenarbeiten, die Minderheitenrechte und

Rechte für Indigene Völker als zentrales Thema ihrer Projekte haben.452

Die Batwa zeichnet auch aus, dass sie eine sehr enge Gemeinschaft haben. Sie

ehren ihre Traditionen und Vorfahren. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen, sind

sich jedoch bewusst, dass sie eine wichtige ethnische Gruppe der Region sind. Sie

haben einen sehr engen Zusammenhalt und rücken die Tatsache in den

Vordergrund, dass sie alle zu einem Stamm gehören, wodurch sie eine starke

Gemeinschaft bilden, obwohl sie in weiten Teilen des Landes verteilt sind.453

451 Vgl. Lewis, S.5. 452 Vgl. Lewis, S.6. 453 Vgl. Lewis, S.6.

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7.5.2. Die Bambuti

Die Bambuti leben ausschließlich in der DRC und bewohnen den Ituri-Regenwald,

der cirka 59.000 km² an Fläche umfasst. Sie unterteilen sich in drei Gruppen, die Efe,

die Aka und die Sua, die alle jeweils andere Sprachen sprechen und in anderen

Regionen siedeln.454 Die Intonation der Worte macht es den Bambuti der

unterschiedlichen Stämme jedoch möglich, sich gegenseitig zu erkennen bzw. sich

teilweise sogar zu verständigen.455

Die Population der Bambuti wird zwischen 30.000 und 40.000456 geschätzt, und sie

leben traditionell als Jäger und Sammler. Da sie, wie wissenschaftlich belegt ist, der

älteste Stamm der Pygmäen sind, war es ein Mitglied der Mbuti, das in den

historischen Schriften Ägyptens Erwähnung fand. Nach diesen Erwähnungen fanden

sich auch in Werken Homers und Aristoteles Erwähnungen über die Bambuti;

allerdings waren sie in diesen Wesen eher mythische Personen als reale Menschen.

Im Laufe der Jahre baute sich ein Mythos um die Bambuti auf, der darauf basierte,

dass man so gut wie kein Wissen über die Pygmäen besaß. Man stellte sie als

Monster dar, die durch die hohen Baumkronen des Ituri-Regenwaldes schwebten.

Erst durch die Erforschung des afrikanischen Kontinents im 19.Jahrhundert konnten

diese Mythen korrigiert werden.

Durch die Kolonisierung des Kongo veränderte sich die Situation für die Bambuti im

Ituri extrem. Viele Bauern der Bantu-Völker waren durch die Kolonialisten

gezwungen, ihre Ländereien zu verlassen und an den Rand des Ituri-Regenwaldes

zu siedeln. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Art Zweckgemeinschaft zwischen

den Bambuti und den Bantu. Die Bantu sahen die Pygmäen zwar als minderwertige

Heiden aus dem Urwald an, fanden aber einen Nutzen darin, mit den Pygmäen

Handel zu treiben. Grund dafür war, dass die Bantu Angst hatten, im Urwald zu jagen

und nur durch Pygmäen ihre Fleischversorgung sichern konnten. Im Gegenzug

waren die Mbuti ebenfalls abhängig vom Handel, da sie ihre Dörfer mit Dingen

versorgen mussten, die auf den Feldern der Bantu wuchsen. Aus Sicht der Bambuti

bestanden keine Verpflichtungen gegenüber den Bantu, und sie gingen nur auf den

454 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). 455 Vgl. Martin, Marlene M.. Society – Pygmies – Mbuti, http://lucy.ukc.ac.uk/EthnoAtlas/Hmar/Cult_dir/Culture.7865. 456 Diese Schätzung stammt aus dem Jahr 1968. Die aktuelle Zahl ist nicht erfasst. Eine Schätzung aus dem Jahr 1993 geht von einer Zahl um die 16.000 Menschen aus. (Anm. d. Autors)

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Handel ein, wenn sie ihre Forderungen erfüllt sahen. Nachdem ihre Bedürfnisse

befriedigt waren, zogen sie sich wieder in den Regenwald zurück.457

Die Situation wurde allerdings für die Bambuti schwieriger, da sie durch die

Abholzung des Regenwalds und die verschiedenen Kriegen von ihrem Lebensraum

zusehends vertrieben wurden. Die Bambuti mussten in die gleichen Gebiete ziehen,

die die Bantu bewohnten. Diese nutzten die Situation und ihre technische

Überlegenheit aus und begannen, die Pygmäen sukzessive für sich arbeiten zu

lassen.458 Manche Organisationen sprechen von Ausbeutung und Unterdrückung.459

Die Basua, einer der drei Stämme, die zu den Bambuti zählen, leben von der

Fischerei. Durch die Gründung von Nationalparks wurden sie von den für sie

lebensnotwendigen Flüssen abgeschnitten. Sie mussten von den Nationalparks die

Erlaubnis einholen, in den Gebieten weiter fischen, Holz und Kräuter sammeln zu

dürfen. Jagen war generell verboten. Die Basua waren zwischen den 60iger und

80iger Jahren zu einer Touristenattraktion geworden, was auch die

Haupteinnahmequelle ihres Lebens wurde, allerdings blieben zu Beginn der 90iger

Jahre aufgrund der Kriegswirren die Touristen zunehmend aus.460

Obwohl die Bambuti politisch kein Gewicht bzw. keine politischen Rechte in ihrem

Land haben, beteiligen sie sich auch an den Zusammenschlüssen und NGOs, die

sich mit den Rechten der Pygmäen auseinandersetzen. Sie haben, ebenso wie alle

anderen Pygmäenstämme, einen sehr starken Bezug zu ihrer Herkunft. Vielleicht ist

dies bei den Mbuti noch tiefer verankert, als bei anderen Stämmen, da sie als

Ältestes der Pygmäen-Völker angesehen werden.

7.5.3. Unterschiede zwischen den Pygmäenstämmen

Die hier beschriebene traditionelle Lebensweise sowie die Bräuche und Werte

werden heute hauptsächlich von den Pygmäen in der DRC praktiziert. Sie stellt zwar

auch die Basis für die anderen Stämme dar, aber es gibt auch Unterschiede

zwischen den Pygmäenstämmen in den unterschiedlichen Bereichen.

Primär unterscheiden sich die Sprachen der einzelnen Stämme, wobei es regional

durchaus Gemeinsamkeiten gibt bzw. eine Verständigung möglich ist. Während

457 Vgl. The Mbuti of ZAIRE, http://www.ucc.uconn.edu/~epsadm03/mbuti.html. 458 Vgl. Muis, Ruud. Pygmies, in: Pygmeen Kleinood, http://www.pygmee.nl/pygmy_algemeen2.html. 459 Vgl. Mazzucato. 460 Vgl. Survival International (2007).

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manche Stämme ähnliche oder die gleichen Sprachen sprechen, wie ihre

benachbarten ethnischen Gruppen, sprechen andere Teile der Pygmäen

unterschiedliche Sprachen und Dialekte.

Auch bei Ritualen gibt es Unterschiede. So praktizieren manche Stämme, wie

beschrieben, den Brauttausch, wogegen andere auf eine Mitgift bestehen. Bei der

Jagd, die auch eine Art Ritus darstellt, gibt es ebenso verschiedene Methoden, die

praktiziert werden. So verwenden die Mbuti hautsächlich Netze und es ist das

gesamte Dorf miteinbezogen. Andere Stämme jagen ausschließlich mit Pfeil und

Bogen oder mit Speeren. Die beeinflusst auch die Dauer der Jagd erheblich, denn

während die Netzjagd nur einen Tag dauert, kann die Jagd mit Pfeil und Bogen oder

Speeren mehrere Tage dauern.

Weitere Unterschiede sind noch in der Ernährung, dem Familienleben, der Erziehung

und dem Kontakt mit dem Rest der Bevölkerung zu beobachten. Beim Vergleich der

Stämme ist auch zu beobachten, dass sich die Lebensweise von weit entfernten

Stämmen oft mehr ähnelt als die von regional näheren.461

7.5.4. Traditionelle soziale Struktur und Organisation eines Pygmäenstammes

Die Pygmäen sind zu einem großen Teil noch nomadische Völker und folgen, obwohl

es in manchen ihrer derzeitigen Lebensräume nicht mehr möglich ist, nach wie vor

den Traditionen des Jagens und Sammeln. Allerdings waren sie gezwungen, ihre

Lebensweise den Entwicklungen anzupassen und leben nicht mehr ausschließlich

bzw. teilweise überhaupt nicht mehr vom Jagen und Sammeln. Diese

Veränderungen hatten auch teilweise Auswirkungen auf die ihre sozialen Strukturen

und Organisationen. Größtenteils leben die Pygmäen zwar noch als Nomaden, aber

in zunehmender Zahl werden sie zu Halbnomaden.462

Die Pygmäen leben in zwei Arten von Dörfern bzw. Lagern. Ein Dorf ist meist in der

Nähe eines Bantu-Dorfes, da es den Handel und den Austausch der Güter

erleichtert. Das Jagdlager befindet sich etwa bis zu einer Stunde vom Dorf entfernt,

da dies zu Jagdzwecken weiter im Inneren des Regenwaldes liegt. Es besteht meist

aus Hütten, die aus Zweigen und Ästen gebildet sind.463

461 Vgl. Hewlett, Barry S. Cultural Diversity among African Pygmies, http://www.vancouver.wsu.edu/fac/hewlett/cultdiv.html. 462 Vgl. Lewis, S.8. 463 Vgl. Mazzucato.

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Eine Dorfgemeinschaft besteht aus ungefähr 60 bis 80 Menschen. Diese bestehen

zu meist nicht mehr als zehn verschiedenen Familien, die jeweils eine der 15 bis 20

Hütten bewohnen. Diejenigen Hütten, die unbewohnt sind, dienen dem

gesellschaftlichen Zweck und werden von allen genutzt, wie etwa

geschlechterspezifische Erziehung. Weiters gibt es eine Gemeinschaftshütte, die für

gemeinsame Veranstaltungen sowie Schule verwendet wird. In manchen Dörfern gibt

es auch eine Hütte für durchreisende Gäste. Alle Hütten des Lagers sind im Kreis

aufgebaut. In der Mitte des Dorfes bzw. Lagers befindet sich Platz, die hauptsächlich

als Tanzfläche dient.464

Die Hütten in den Dörfern haben eine rechteckige Form und sind 5-6m lang, 3-4m

breit und ungefähr 2-2.5m hoch. Diese werden innerhalb eines Tages von den

Familien gebildet werden. In den Hütten gibt es keine Einrichtungsgegenstände und

die Betten bestehen aus ein bis zwei Bananenblättern, die in der Nähe der

Feuerstelle aufgestellt sind, die in der Mitte der Hütte liegt. Die Familienmitglieder

schlafen nackt oder leicht bekleidet in der Nähe der Glut, und ihre Kleidung ist an

Lianen aufgehängt, die zwischen den Pfählen gespannt werden. Die Töpfe und

Pfannen werden in der Ecke abgestellt oder befinden sich draußen, wo auch ständig

gekocht wird. Der Rauch des Feuers hält die Moskitos fern. 465

Die Jagdlager der Pygmäen sind ähnlich aufgebaut, wie ihre Dörfer. Die Hütten sind

ebenso kreisförmig angeordnet haben aber mit 3-4m Durchmesser und 1.5-2m Höhe

eine geringere Größe. Zum Bau dieser Hütten wird nicht so starkes Material

verwendet. Großer Wert wird auf die Stabilität des Daches gelegt, da es zu sehr

schweren Regenfällen kommen kann. Diese Niederschläge dauern selten mehr als

zwei Stunden an und werden von den Pygmäen als ideale Duschmöglichkeiten

angesehen. Die Eingänge der Hütten sind in die Dorfmitte gerichtet, können

allerdings im Konfliktfall auf die Rückseite der Hütte verlegt werden. Erst nach der

Konfliktbeilegung wird der Eingang wieder nach vorne verlegt. Die Hütten, die

hauptsächlich als Nachtlager zu Erholung von der Jagd dienen, sind ungefähr ein bis

zwei Monate bewohnbar.466

Der Bau eines Hauses ist grundsätzlich die Aufgabe der Frau, obwohl zwischen den

Geschlechtern Gleichberechtigung herrscht. Die Männer, die sich am Hüttenbau

beteiligen, üben nur bestimmte Tätigkeiten aus. Die Frauen suchen den Platz aus,

auf dem die Hütte gebaut wird und die Männer können sich an der Findung sowie 464 Vgl. Mazzucato. 465 Vgl. Mazzucato. 466 Vgl. Mazzucato.

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dem Bau der Hütte beteiligen, dürfen jedoch, nach der Tradition der Pygmäen den

Frauen ihre Ansichten nicht aufzwingen. Männer sind auch für die schwereren

körperlichen Arbeiten während des Hausbaus verantwortlich. Die Aufgaben sind klar

verteilt und dürfen nicht unfreiwillig geändert werden.467

7.6. Verständnis von Macht, Herrschaft und Demokratie

7.6.1. Hierarchische Strukturen

Die Pygmäen kennen keine Hierarchie im weit verbreiteten Verständnis. Es gibt in

einem Dorf bzw. einer Gemeinschaft keinen Anführer, Häuptling oder sonstigen

Obersten. Neben der Gleichheit der Geschlechter herrscht auch Gleichheit zwischen

den unterschiedlichen Altersgruppen. Jede/r wird als wichtiger Teil der Gemeinschaft

angesehen, der unverzichtbar ist. Aus diesem Grund werden die Entscheidungen in

einer Pygmäengesellschaft auch gemeinsam – dabei sind auch die Kinder

miteinbezogen – und durch einen Konsens getroffen. Es gibt keinen anderen Weg,

zu einer Entscheidung zu kommen.

Es gibt Familienoberhäupter, die allerdings nur eine moralische Funktion haben,

jedoch ebenso wie jeder Andere im Dorf keine Entscheidungskompetenz. Im Dorf

gibt es auch ein Oberhaupt, das sich durch ihre Lebensweisheit auszeichnet.

Allerdings hat auch dieses Mitglied nur eine moralische Vorbildfunktion, da es hoch

geschätzt und seine Lebensweise als richtungweisend angesehen wird. Auch dieses

„Oberhaupt“ hat nur eine Beraterfunktion, da – wie schon erwähnt – die

Entscheidungskompetenz und somit die Macht bei der Gemeinschaft liegt.468

Die Führungspositionen, die es in eingeschränktem Maße gibt, hängen auch von den

jeweiligen Situationen ab, in der Entscheidungen zu treffen sind. Die Gemeinschaften

akzeptieren dann Mitglieder, die eine große Erfahrung in dem zu diskutierenden

Bereich haben, als Autorität in diesem Zusammenhang. Dabei können diese

Personen auch spezielle und teilweise repräsentative Aufgaben erfüllen, wie etwa bei

Ritualen, Feiern oder als Medium zur Außenwelt. Wenn jedoch diese Spezialisten

ihre Kompetenzen überschreiten und zuviel Macht oder Kontrolle ausüben wollen,

kann es zu erheblichem Widerstand in der Gemeinschaft kommen, der in einem 467 Vgl. Mazzucato. 468 Vgl. Mazzucato.

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Ausschluss gipfeln kann. Die mangelnde Unterstützung kann zu einem Problem

werden, wenn es um gemeinsame politische Repräsentation der Pygmäen geht.

Vielfach wird das System der Pygmäen auch zu einem Problem, wenn es darum

geht, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Delegationen wollen oft mit einem

einzelnen Verantwortlichen oder einer Führungsgruppe kommunizieren, was sich bei

den Pygmäen oft sehr schwierig gestaltet. Allerdings sind die Pygmäen, auch wenn

sie ihre eigenen Werte sehr hoch halten, daran interessiert mit der Umwelt zu

interagieren. Sie sprechen viele Bantu-Sprachen, um den für sie notwendigen

Handel treiben zu können.469

7.7.Institutionalismus

7.7.1. Konfliktlösungsmechanismen

Die Pygmäen haben keine regulierten Mechanismen, um Konflikte beizulegen bzw.

zu schlichten. Allerdings gibt es eine Art Gericht, das aus der gesamten

Gemeinschaft besteht. Wenn es ernstere Streitfälle gibt, treten alle Dorfbewohner

zusammen und Jeder, auch die Kinder, kann seine Meinung abgeben. Anschließend

wird von allen gemeinsam unter der moralischen Leitung der Vorsitzenden in dieser

Situation ein Urteil gefällt. Das Urteil soll dazu dienen, den Streit beizulegen, wird

aber unter dem Konsensprinzip gefällt. Zwar hat der Geschädigte das Recht auf eine

Entschädigung, allerdings muss er zum Versöhnungsessen, das traditionell

veranstaltet wird, das Essen beisteuern. Diese Form des Gerichts kommt selten vor

und wird nur dann eingesetzt, wenn es entweder ernste Fälle zu verhandeln gibt,

oder die Probleme auf andere Weise nicht gelöst werden konnten.470

Die Pygmäen sind an einer schnellst möglichen Konfliktlösung interessiert, da sie

eine sehr harmonische Gesellschaft sind und von ihrem Zusammenhalt leben.

Meistens wird erfolgt eine Streitbeilegung durch Humor und Spaß. Dabei gibt es

einen Verantwortlichen im Dorf, der sich als Clown dafür verantwortlich sieht, den

Streit zu schlichten. Er versucht dies durch Scherze oder Mimik, die beide

Streitparteien von dem eigentlichen Thema ablenken und die Aufmerksamkeit auf ihn

richten soll. Er versucht dann durch Späße die Situation zu entschärfen. Colin

Turnbull, ein Anthropologe, der lange Zeit seines Lebens mit den Pygmäen lebte, 469 Vgl. Lewis, S.8. 470 Vgl. Mazzucato.

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zählte innerhalb eines Jahres 142 Dispute in einen Pygmäendorf. Der Großteil der

Auseinandersetzungen handelte sich um Essen, sexuelle Probleme, Beziehungen zu

Bantu, Diebstahl und Territorium. Die meisten davon lösten sich allerdings sehr

schnell und wurden von den Beteiligten oft ad acta gelegt, bevor sie eskalierten. Die

Pygmäen versuchen auch, Konflikte bzw. Krieg mit anderen Stämmen zu

vermeiden.471

7.8. Soziale Beziehungen und Interaktionen in einem Pygmäendorf

7.8.1. Gesellschaftsstruktur und Sozialisierung innerhalb eines Dorfes

Die Struktur eines Dorfes, der größten zusammen lebenden Gemeinschaft in einem

Pygmäenstamm, besteht aus ungefähr 10 bis 15472 Familien, und höchstens 80

Personen. Jede Familie besteht aus durchschnittlich sechs Personen, den beiden

Eltern und ca. vier Kinder. Jede Pygmäenfrau bringt im Laufe ihres Lebens sieben

bis acht Kinder zur Welt. Allerdings werden aufgrund der schwierigen

Lebensbedingungen und der hohen Kindersterblichkeit durchschnittlich nur vier bis

fünf erwachsen.473 Die Erblinie wird in der männlichen Linie zurückverfolgt bis zu

einem gemeinsamen männlichen Vorfahren.474

Die gesamte Gesellschaftsstruktur der Pygmäen basiert auf der Familie. Primär auf

der Kernfamilie (Vater, Mutter, Kinder) und sekundär auf der erweiterten Familie

(Großeltern, Tanten/Onkel, Cousinen/Cousins). Der erweiterte Kreis der Familie

spielt allerdings eine zweitrangige Rolle. Den höchsten Stellenwert in einer

Pygmäengesellschaft hat das Individuum. Zur guten und sicheren Entwicklung

dieses Individuums ist die Kernfamilie verantwortlich. Zum Wohl der Kernfamilie trägt

wiederum der erweiterte Kreis der Familie bei. Im Vergleich dazu sind bei den Bantu

die Familie und der Clan wichtiger als das Individuum. Der Clan spielt bei den

Pygmäen so gut wie keine Rolle.475

471 Vgl. Peaceful Societies (2007). Peaceful Societies. Alternatives to Violence and War. Encyclopaedia of Selected Peaceful Societies, Mbuti, http://www.peacefulsocieties.org/Society/Mbuti.html. 472 Im Normalfall gibt es in einem Dorf nicht mehr als 20 Familien. Durch die extrem veränderten Lebenssituationen gibt es mittlerweile Pygmäen-Dörfer, die auch 50 Familien beherbergen. Allerdings sind das keine Dörfer, die vom Jagen und Sammeln leben, da dies mit so einer großen Anzahl Menschen nicht möglich wäre. (Anm. d. Autors) 473 Vgl. Mazzucato. 474 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures, http://www.everyculture.com/wc/Brazil-to-Congo-Republic-of/Efe-and-Mbuti.html. 475 Vgl. Mazzucato.

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7.8.2. Familienleben

Obwohl Clans und Gruppen keine wichtige Rolle in der Gemeinschaft der Pygmäen

spielten, ist diese sehr stark auf Teilung von Ressourcen ausgelegt. Es besteht ein

sehr intensives Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb einer Gruppe, was sich unter

anderem in gegenseitiger Unterstützung manifestiert. Es ist moralisch verpflichtend

sich gegenseitig zu helfen, wenn ein anderes Mitglied der Gruppe bzw. des Dorfes in

Not ist. Dafür ist auch keine Gegenleistung bzw. Zurückzahlung zu verlangen. Wenn

notwendig, können die anderen Gruppenmitglieder diese Hilfe auch einfordern. Diese

Teilung der Ressourcen dient dazu sozialen Ungleichheiten aufzuheben und schafft

eine große Ausgeglichenheit im ökonomischen und sozialen Bereich.476

Die Gesellschaft der Pygmäen gilt hinsichtlich der Gleichberechtigung als eine der

am weitesten entwickelten der Welt. In einer Pygmäengemeinschaft gelten Mann und

Frau als gleichberechtigt. Keiner von beiden hat in einer Familie das Recht, über den

anderen zu bestimmen. Entscheidungen müssen in einem Konsens getroffen

werden. Sollte dies nicht gelingen, so kann Jeder nach seinem eigenen Gefühl

entscheiden, wobei diese Entscheidung dem/der anderen nicht aufgezwungen

werden darf.477

Die Aufgaben sind allerdings schon teilweise auf die Geschlechterrollen aufgeteilt.

So ist die Jagd zwar gemeinschaftlich organisiert, aber bestimmte Waffen, wie etwa

Pfeil und Bogen, sind ausschließlich den Männern vorbehalten. Deshalb müssen die

Frauen ebenso wie die Kinder sich mit anderen Waffen ausrüsten, um an der Jagd

teilnehmen zu können. Andererseits ist das Bauen der Hütten, ebenso wie die

Standortbestimmung für diese, die Aufgabe und das Recht der Frauen. Dabei

werden den Männern nur bestimmte Tätigkeiten zugewiesen. Die Kindererziehung ist

die Aufgabe beider Elternteile und wird in den ersten Lebensjahren der Kinder auch

so ausgeübt. Ab dem fünften Lebensjahr werden Beziehungen zwischen Mutter und

Tochter sowie zwischen Vater und Sohn intensiver, da sie ihre Kinder auf die

spezifischen Aufgaben und Lebensbereiche vorbereitet werden. Die Erziehung der

Kinder dauert von der Geburt bis zur Ehe.478

Zum Zeitpunkt des Einsetzens der Pubertät werden Mädchen und Jungen in

getrennte Hütten gebracht und unter der Aufsicht der Erwachsenen gestellt. Dies soll

476 Vgl. Lewis, S.8. 477 Vgl. Mazzucato. 478 Vgl. Mazzucato.

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verhindern, dass es zu vorehelichem und/oder innerfamiliären sexuellen Kontakt

zwischen den Geschlechtern kommt.479

Ein Dorf, das ausschließlich aus Verwandten unterschiedlicher Grade besteht, hat

einen sehr engen und starken Familienzusammenhalt sowie soziale Verantwortung.

Wenn ein Kind verwaist, wird es sofort von Verwandten der Verstorbenen

aufgenommen. Alle Kinder des Dorfes rufen alle Männer und Frauen des Dorfes mit

Vater und Mutter. Alle, die eine Generation älter sind werden als Großmutter und

Großvater angesprochen, und Jeder der gleichen Generation als Bruder bzw.

Schwester. Die Alten und Kranken werden in der Gemeinschaft gepflegt und

umsorgt, solange sie die Gruppe nicht gefährden. Allerdings muss dieser Entschluss

gemeinsam getroffen werden und es gab auch schon Fälle, in denen schwer

Verwundete trotzdem in der Gemeinschaft behalten wurden. Neben Verwundeten

werden auch behinderte und extrem kranke Menschen von der Dorfgemeinschaft

gepflegt.480

7.8.3. Ehe

Bei den Pygmäen geht das Werben von der Seite des Mannes aus, der sich nach

einem geschlechtsreifen, heiratsfähigen Mädchen umsehen muss. Dabei muss er

allerdings die Verwandtschaftsgrade beachten und darf kein Mädchen zur Braut

nehmen, das enger als zum fünften Grad mit ihm verwandt ist, wodurch er in

Nachbardörfer wandern muss. Wenn er ein Mädchen gefunden und mit ihm eine

Vereinbarung getroffen hat, setzt er seine Familie davon in Kenntnis. Daraufhin folgt

ein Prozess, in dem sich die Familien in sehr diskreter Art und Weise über einander

informieren, um die moralische Integrität der jeweils anderen Familie herauszufinden.

Wenn diese zu beiderseitiger Zufriedenheit ist, informiert die Familie des Jungen die

Familie der zukünftigen Braut, dass auch sie ein Mädchen hätte, das zu verheiraten

wäre. Dies dient dazu, dass es nicht, wie in anderen Gesellschaften eine Brautsteuer

gibt, sondern einen Brauttausch. Hintergrund ist, dass die Anzahl der Dorfbewohner

konstant bleibt. Sobald sich alle Familien aller Brautleute geeinigt haben,

versammeln sich die Mädchen und Jungen aus einem Dorf und ziehen singend und

tanzend in das andere Dorf, wo sie bis zur Hochzeit bleiben. Am Tag der Hochzeit

479 Vgl. Mazzucato. 480 Vgl. The Great Human Diasporas, http://www.mc.maricopa.edu/dept/d10/asb/anthro2003/lifeways/diasporas/.

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sind alle Verwandten aller Brautleute anwesend und es kommt zu Austausch der

beiden Bräute. Die gesamte Zeremonie und die anschließende Feier dauert einen

Tag und eine Nacht..“481

Ehen verlaufen grundsätzlich monogam, weil es weniger Frauen gibt. Scheidungen

sind allerdings sehr häufig und werden oft von Frauen eingeleitet. Eine Scheidung

kann einfach durch das Packen der Sachen und die Mitnahme der kleinen Kinder

vollzogen werden. Die Frau zieht dabei zurück zu ihrer Familie. Wenn unter den

mitgenommenen Kindern Jungen sind, dann kehren sie, sobald sie alt genug sind,

um zu jagen, zu ihrem Vater zurück.482

Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen respektive die Ehen unterliegen

strengen gesellschaftlichen Regeln.

1. Es darf keine Beziehungen zwischen Familienmitgliedern geben, die enger als

der fünfte Verwandtschaftsgrad miteinander verwandt sind.

2. Die Anzahl der Kinder für jedes Paar wird auf der Basis der Dorfgemeinschaft

errechnet. Kein Dorf darf die Größe von 60-80 Personen überschreiten. Es

gibt natürliche Faktoren, die die Zahl der Dorfbewohner immer wieder

reduzieren bzw. beschränken. Einerseits ist dies die hohe Kindersterblichkeit,

die bei 40 Prozent liegt; anderseits muss ein angemessener Abstand

zwischen den Geburten der Kinder eingehalten werden, der bei zwei bis drei

Jahren liegt. In der Zwischenzeit müssen die Paare entweder abstinent

bleiben, oder sich traditioneller Verhütungsmittel, die die Fruchtbarkeit des

Mannes oder der Frau vermindern, bedienen.

3. Die Erziehung ist bis zum ungefähr fünften Lebensjahr die Verantwortung

beider Elternteile, anschließend sind die jeweiligen Geschlechter enger

verbunden, da die Eltern die Kinder auf ihr Leben vorzubereiten haben.

Die Erziehung der Kinder baut auf drei Prinzipien auf:

1. Freiheit. Die Pygmäen legen sehr viel Wert darauf, dass die Kinder ihre

eigenen Erfahrungen machen und schränken sie aus dem Grund auch nicht

ein. Die Kinder werden nie aus Veranstaltungen von Erwachsenen

ausgeschlossen, sei es die Jagd oder diverse traditionelle Feste. Ebenso ist

den Eltern wichtig, dass die Kinder den Umgang mit Werkzeugen, Feuer und

481 Vgl. Mazzucato. 482 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures.

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Waffen lernen. Kindern jeglicher Altersstufen ist der Zugang zu Waffen erlaubt

bzw. wird teilweise sogar gewünscht.

2. Initiative. Die Kinder werden motiviert, im Laufe ihres Erwachsenwerdens und

ihres Lernprozesses immer wieder selbst Initiative zu ergreifen, neue Dinge zu

lernen und herauszufinden. Dabei wird vor allem auf Spiele gesetzt. Diese

Spiele finden entweder unter den Kindern statt oder zwischen Kindern und

Erwachsenen. Die erwachsenen Pygmäen empfinden es keineswegs als Last,

mit den Kindern zu spielen, vielmehr sehen sie es als notwendige Aufgabe,

um die Kinder entsprechend zu erziehen. Es wird in der Gesellschaft der

Pygmäen auch keine Nachahmung der Kinder bzw. keine so genannte

Babysprache gebraucht.

3. Verantwortung. Die Kinder der Pygmäen lernen sehr schnell, dass sie den

Wald schätzen und seine Gesetze achten müssen. Dabei wird vor allem auf

die Gefahren hingewiesen, die im Regenwald lauern könnten. Diese reichen

von einem Schlangenbiss bis zu einer giftigen Liane. Die Pygmäen haben

einen sehr großen Respekt vor dem Regenwald und sind sich bewusst, dass

sie alles vom Wald bekommen, was sie benötigen.483

Die Eltern haben die Aufgabe, ihre Kinder auf das Leben in der Dorfgemeinschaft

sowie innerhalb einer Ehe vorzubereiten. Neben den Vorbereitungen der Kinder auf

die Jagd und die bestimmten Techniken, die beim Fischfang oder Sammeln diverser

Produkte des Waldes essentiell sind, werden die Kinder auch im Bau von Hütten

unterrichtet. Dabei werden bereits die Geschlechterrollen aufgebaut, weshalb die

Technik nur den Mädchen beigebracht wird. Die Geschlechterrollen an sich sowie

das Familienleben stellen einen eigenen Bereich dar, in dem die Eltern ihre Kinder

unterrichten. Speziell im Initiationsritus wird dieses Thema fokussiert. Dabei werden

die Jungen in den Wald geführt, wo sie alles über die Traditionen und das Wissen

über den Stamm erfahren. Interessant hier ist, dass die Zeremonie von einem Bantu-

Angehörigen geleitet wird, wodurch offensichtlich wird, dass dieses Ritual von den

Bantu übernommen wurde. Schließlich werden die Kinder noch in Gesang und dem

Umgang mit Instrumenten unterrichtet. Diese zählen ebenso wie die Tänze zu den

Fähigkeiten, für die die Pygmäen weltbekannt sind und die auch die Basis für ihre

Kultur bilden.484

483 Vgl. Mazzucato. 484 Vgl. Mazzucato.

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7.9. Die unterschiedlichen Lebensweisen und Wirtschaft verschiedener

Pygmäenstämme

Die Gesellschaft der Pygmäen lebt in ihren Traditionen als Jäger und Sammler. Die

Situation hat sich durch die teilweise Umsiedelung und die Vertreibung aus ihren

Wäldern zunehmend verschlechtert, und ihr Lebensstil ist kaum mehr in der

traditionellen Weise umzusetzen. Grundsätzlich kann man die Pygmäen in drei

Kategorien einteilen: Jäger und Sammler, Fischer und Handwerker. Es gibt auch

vereinzelt Bauern, die zwar an Zahl zunehmen, aber noch zu wenige sind, um eine

große Gruppe zu bilden.485

Die Pygmäen sind ein Volk, das über keine Aufbewahrungs- bzw.

Konservationstechniken verfügt. Aus diesem Grund jagen, fischen oder sammeln sie

nur so viel, wie sie als Dorfgemeinschaft für einen Tag brauchen. Grundsätzlich

betreiben die Pygmäen keinen Handel im herkömmlichen Sinn, sondern stellen die

meisten Dinge, die sie zum Leben brauchen, selbst her, z.B. Waffen, Jagdutensilien

und die meisten Alltagsgegenstände.486

Was sie nicht selbst haben, aber unbedingt brauchen wird durch Tausch mit den

Bantu gewonnen. Allerdings gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder

Bemühungen, dieses System zu unterwandern bzw. zu umgehen. Die Pygmäen

wurden auch zu kommerziellen Jagdzwecken missbraucht, da vermehrt Händler ihre

Dörfer passierten und Handel mit den Pygmäen trieben. Hintergrund ist der Anstieg

an benötigtem Fleisch von den Dörfern am Rande des Regenwalds. Durch die

Händler, die das traditionelle System der Handelsbeziehungen zwischen Bauern und

Pygmäen umgehen, werden die Pygmäen ebenso Teil des monetären

wirtschaftlichen Systems. Zudem werden die Bestände der Wildtiere durch die

kommerzielle Jagd gefährdet und das System, von dem die Pygmäen zentral

abhängig sind, wird aus dem Gleichgewicht gebracht.487

485 Vgl. Lewis, S.8. 486 Vgl. Mazzucato. 487 Vgl. Dembner.

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7.9.1. Jäger und Sammler

Die Pygmäen, die im Wald leben und sich vom Jagen und Sammeln ernähren,

nennen sich selbst Impunyu488. Ungefähr 7.000 Impunyu haben keinen direkten

Zugang zum Wald, weil ihnen dieser oftmals durch Verwaltungsbehörden verwehrt

wird. Viele dieser Pygmäen leben am Rand des Waldes und der landwirtschaftlichen

Gebiete und nutzen den Wald nicht mehr wirklich als Lebensraum, sondern nur noch

als Lieferant für die lebensnotwendigen Nahrungsmittel. Die Impunyu leben als

Halbnomaden, was bedeutet, dass sie zwar mit den Tieren mitwandern, aber auch

manchmal längere Zeiträume an einem Ort verweilen, wenn sie genug Produkte für

ihren täglichen Bedarf vorfinden. Neben dem Erwerb ihrer täglichen Nahrungsmittel,

sind die Impunyu auch schon ein Teil des monetären Handelssystems, da sie

Produkte, die sie im Wald finden bzw. Handarbeiten, die sie aus solchen anfertigen

neben dem Tausch gegen andere Sachprodukte auch gegen Geld verkaufen. Zudem

bieten sie ihre Mitarbeit auf den Feldern gegen Geld an.489

Das Grundprinzip der Pygmäen wäre Unabhängigkeit und kein persönliches

Besitztum. Das Prinzip ist, dass jede/r die Dinge, die gejagt bzw. gesammelt wurden,

für sich und die Familie verwenden darf. Allerdings gilt – wie schon an anderer Stelle

erwähnt – das Prinzip des gegenseitigen Helfens und des Teilens. Die Situation wird

jedoch zunehmend erschwert, da von einigen Pygmäengruppen Handel mit Profit

betrieben wird, was absolut gegen die traditionellen Grundsätze der Pygmäen

verstößt.490

7.9.2. Die Jagd

Nachdem bis zum heutigen Tage die Pygmäen größtenteils von der Jagd und vom

Sammeln der Produkte des Regenwaldes lebten, haben sie auch bestimmte

Methoden, Praktiken und Traditionen dafür. Jeder Clan hat das Recht auf eine

Fläche im Regenwald von einer bestimmten Größe. Die Clans dürfen sich zwar frei

auf den Flächen anderer Pygmäendörfer bewegen, haben jedoch kein Recht dort zu

488 Diese Bezeichnung wird von den Batwa für ihr Volk verwendet. Von den Batwa leben ca.7000 in den Wäldern. Wie weit diese Bezeichnung auch für die Bambuti zutrifft ist nicht genau festzustellen, allerdings ist der Lebensstil sehr ähnlich und die Umstände für die Jagd bzw. die Methoden die gleichen, wodurch hier generell der Begriff Impunyu verwendet wird. (Anm. d. Autors) 489 Vgl. Lewis, 8f. 490 Vgl. Mazzucato.

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jagen oder sammeln.491 Allerdings wird das Jagdgebiet vom jeweiligen Stamm nicht

als Eigen- oder Besitztum angesehen, sondern als Fläche, die der Gemeinschaft die

Existenz sichert. Dem Glauben der Pygmäen nach, kann kein Mensch auch nur ein

einziges Stück Natur besitzen. Im Jagdgebiet befinden sich die Jagdlager, die

ungefähr eine Stunde Fußmarsch voneinander entfernt sind.

Es gibt zwei verschiedene Arten, wie die Pygmäen jagen. Einerseits praktizieren sie

die individuelle Jagd und andererseits jagen sie in Gruppen.

Bei der Individualjagd ist ein einzelner Jäger mit seinem Hund unterwegs. Diese

Hunde spüren kleinere Tiere im Unterholz auf, die dann vom Jäger mit der Lanze

oder Pfeil und Bogen erlegt werden. Die erlegte Beute gehört ausschließlich dem

Jäger und seiner Familie.

Die Gemeinschaftsjagd ist ein Großereignis des Dorfes, woran sich jedes Mitglied

beteiligt. Wenn es Säuglinge gibt, dann werden diese auf den Rücken der Mutter

gebunden und auch mit auf die Jagd genommen. Zur Gemeinschaftsjagd, die auch

zwei bis drei Monate dauern kann, wird das Dorf, das sich in der Regel in der Nähe

einer Bantu-Siedlung befindet kollektiv verlassen und die Dorfgemeinschaft zieht für

die Dauer in die Jagdlager.492

Die eigentliche Jagd findet dann in dem Gebiet statt, das unmittelbar an das

Jagdlager angrenzt, in dem sich die Gemeinschaft gerade befindet. Dieses Gebiet

wird für ungefähr zwei Wochen durchkämmt, dann zieht die Gemeinschaft weiter und

Jagd in einem anderen Teil ihrer Jagdzone. Gejagt wird mit Pfeil und Bogen, Lanzen,

Hunden und Netzen. Dabei werden die Peilspitzen in ein Gift getaucht, um den Tod

der getroffenen Tiere zu garantieren.493

Die Gemeinschaftsjagd wird von einem Jagdführer koordiniert, der, wie andernorts

erwähnt, eine temporäre und spezifische Führungsposition übernimmt, da er über

sehr viel Erfahrung bei der Jagd verfügt. Diese Person kann aber muss nicht die

gleiche sein wie das Oberhaupt des Dorfes. Jegliche Aktivitäten werden von ihm

bestimmt, organisiert und koordiniert. Jedem Mitglied der Gemeinschaft fallen dabei

bestimmte Aufgaben zu. Diese müssen im Zusammenspiel sehr gut funktionieren,

um den Erfolg der Jagd zu garantieren. Sobald ein Tier erlegt wurde, wird es in die

Höhe gehalten, um den Ahnen und Gott zu danken. Die Beute wird zu gleichen

Teilen auf alle aufgeteilt. Einzige Ausnahmen sind der Besitzer des Netzes, der ein 491 Vgl. Lewis, S.9. 492 Vgl. Mazzucato. 493 Vgl. Mazzucato.

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Bein behalten darf, und derjenige, der das Tier getötet hat, der den Hals behalten

darf. Am ersten Tag wird in der Regel die ganze Beute verzehrt, um innerhalb der

Gemeinschaft die Lust auf Fleisch ein wenig einzudämmen. In den folgenden Tagen

wird ein Teil der Beute geräuchert, um sie später am Markt im Bantu-Dorf gegen

landwirtschaftliche Güter zu tauschen. Zwar ist das ganze Volk zur Jagdphase

unterwegs, allerdings beteiligen sich nicht alle unmittelbar am Beutezug. Meist

bleiben die Älteren im Jagdlager und passen auf die Kinder auf, die nicht zur Jagd

mitgehen. Grundsätzlich steht es allerdings jedem/r frei, an der Jagd teilzunehmen.

Da Pfeil und Bogen ausschließlich Männern vorbehalten sind, müssen sich die

Frauen und Kinder, die an der Jagd teilnehmen mit Macheten oder Stöcken

bewaffnen.494

7.9.3. Sammler

Das Sammeln der Produkte des Waldes ist primär die Aufgabe der Frauen, aber

auch Männer und Kinder beteiligen sich manchmal am Sammeln für die tägliche

Nahrung. Es werden Pilze, Wurzeln, wilde Früchte ebenso wie Insekten und kleine

Tiere gesammelt.

Neben den oben angeführten Dingen, sammeln die Pygmäen auch Honig für den

Eigengebrauch bzw. Handel in den Bantu-Dörfern. Das Sammeln des Honigs ist

stark jahreszeitenabhängig und kann zwischen Juni bis Ende August gesammelt

werden. Beim eigentlichen Prozess des Sammelns bedienen sich die Pygmäen

einfachen aber effektiven Methoden, die Bienen auszuräuchern, um so an den Honig

zu gelangen. Das erste Stück wird in den Wald geworfen, um sich bei den Ahnen zu

bedanken. Danach gönnt sich der Sammler selbst ein wenig Honig als

Entschädigung für die erlittenen Schmerzen.

7.9.4. Fischer

Die Bambuti betreiben den Fischfang eher als Nebenbeschäftigung während es

kleine Gruppen der Batwa gibt, die vom Fischfang leben. Diese Gruppen leben in der

DRC rund um den Kivu-See sowie anderen Seen und auf kleinen Inseln. Ihre Zahl

494 Vgl. Mazzucato.

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dürfte zwischen 3.000 und 4.000 Menschen liegen, wobei sie kaum genau zu

bestimmen ist. Ihre ganze Ökonomie ist auf die Fischerei ausgerichtet. Sie handeln

mit den Bantu Fische gegen landwirtschaftliche Nahrungsmittel oder Geld. Zudem

stellen sie Paddel, Kanus, Körbe und Fischfallen her, die sie ebenso verkaufen.

Teilweise sind sie auch als Töpfer tätig, leben allerdings nicht hauptberuflich davon.

Die Batwa in diesen Gebieten werden jedoch immer wieder daran gehindert in

Booten auf den Seen zu fischen, da sie keine Lizenz besitzen.495

Der Fischfang der Mbuti wird, wie die Jagd, individuell oder gemeinschaftlich

durchgeführt. Dabei wird nicht zwischen den Geschlechtern und Altergruppen

unterschieden, sondern jede/r kann jede Aufgabe erfüllen. Der Ertrag wird auf Alle

gleichmäßig aufgeteilt.496

7.9.5. Töpfer

Die Pygmäen, die zu dieser Gruppe zählen – größtenteils Batwa – haben

ursprünglich keine große Tradition als Töpfer. Ihre Entwicklung wurde sehr stark von

den Einwanderern beeinflusst, die prägend für die Veränderung der

Lebensbedingungen respektive des Lebensraumes der Pygmäen waren. Als

Einwanderer in den Wäldern, die von den Batwa bewohnt wurden, ankamen und

diese in immer größerem Maße in Weide- und Farmland umwandelten, mussten die

Pygmäen ihre Lebensweise an die neuen Bedingungen anpassen. Sie boten neben

ihren Diensten als Jäger und Sammler auch an, die Bauern auf ihren Feldern zu

unterstützen oder diese zu beschützen. Zudem arbeiteten sie als Handwerker und

die Frauen als Töpferinnen. Durch die zunehmende Zerstörung des Regenwaldes

nahm die Abhängigkeit der Einwanderer von den Pygmäen sukzessive ab.

Gleichzeitig verschlechterte sich auch die Meinung über die Lebensweise der

Pygmäen und ihre Diskriminierung nahm zu. Die Batwa versuchten dem

entgegenzuwirken, indem sie sich reiche und einflussreiche Beschützer suchten und

deren Traditionen und Nachnamen annahmen. Sie fungierten auch immer wieder als

Spione oder Überbringer von Nachrichten eingesetzt. Trotzdem es manchen

Pygmäen – speziell in Ruanda – gelang, in hohe Positionen geadelt zu werden, blieb

der Großteil der Batwa in der untersten Bevölkerungsschicht. Der Lebensstil hatte

495 Vgl. Lewis, S.9. 496 Vgl. Mazzucato.

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sich zu dieser Zeit bereits erheblich verändert, da ein Großteil der Wälder in Farm-

und Weideland umgewandelt wurde, und die Batwa größtenteils keinen Zugang mehr

zum Regenwald hatten. Durch diese Entwicklung wurden sie in immer größerem

Ausmaß abhängig von der Töpferei der Frauen. Diese Abhängigkeit verdeutlichte

und erhöhte die Wichtigkeit der Frauen in der gesamten Gemeinschaft erheblich, da

die Männer ohne Land und Jagderlaubnis kaum mehr etwas zum Lebensunterhalt

der Familie beitragen konnten. Diese Entwicklung führte auch zu zunehmenden

Problemen innerhalb der Gesellschaft der Batwa, da die Männer durch die geringe

Wichtigkeit in der Gemeinschaft dazu neigen, dem Alkohol zu verfallen. Ebenso

werden viele Ehen geschieden, und die meisten Frauen haben im Laufe ihres

Lebens mehrere Ehemänner. Wenn die Frauen krank sind und nicht arbeiten

können, bleibt der Großteil des Einkommens der Familie aus, und es kommt zu

Problemen und Krankheiten aufgrund von Hunger.497

Die Töpferei hat auch sozial für die Batwa eine sehr große Bedeutung. Wie an

anderer Stelle beschrieben, stehen bei den Pygmäen die gemeinsame Tätigkeit und

die Zusammenarbeit der Dorfgemeinschaft im Vordergrund. Das Töpfern ist –

ebenso wie bei Jagen und Sammeln – eine Tätigkeit, in die beinahe das gesamte

Dorf involviert ist.

Viele der Bauern verweigern den Batwa den Zugang zur Erde, die für die Produktion

essentiell ist. Andere verkaufen sie zu Preisen, die sich die Pygmäen nicht leisten

können. Dieselbe Situation zeigt sich hinsichtlich des Feuerholzes und der Gräser,

die gesammelt werden müssen, um die Feuerstellen erhitzen zu können. Die

Pygmäen riskieren Geldstrafen, körperliche Züchtigungen und Inhaftierung, wenn sie

beim illegalen Sammeln erwischt werden. Obwohl die Töpferei zusehends weniger

Profit für die Pygmäen abwirft, halten sie trotzdem an dieser aufgrund der sozialen

Wichtigkeit für die Gemeinschaft daran fest.498

Durch die schwieriger werdende Situation bezüglich des Zugangs zum notwendigen

Sand, dem Holz und den Gräsern entstehen auch innerhalb der Batwa-

Gemeinschaften Brüche und zunehmende gesellschaftliche Probleme. Neben

Alkoholismus sind die Pygmäen durch die immer geringer werdenden Einnahmen

aus der Töpferei gezwungen, Tagesarbeiten anzunehmen und zu betteln. Neben der

sozialen Isolierung, die durch solche Arbeiten und Geldbeschaffungsmethoden für

die einzelnen Batwa entsteht, sind diese Tätigkeiten nicht besonders ertragreich.

497 Vgl. Lewis, S.9f. 498 Vgl. Lewis, S.10.

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Zudem kommt es zu Auflösungen von Familien aufgrund der Probleme mit den

Nahrungsmitteln. Hunger und die sozialen Probleme aufgrund des Bettelns und der

geringen Einkommen zerrüttet die Gemeinschaft der Pygmäen zusehends. Die Risse

innerhalb der Gesellschaft führen auch dazu, dass die Gruppen und Gemeinschaften

kleiner werden. In weiterer Folge dazu sind die Pygmäen immer schwerer dazu in

der Lage, sich gegen die Diskriminierung und andere sozialen Probleme zu wehren.

Die veränderte ökonomische Situation erschwert es den Pygmäen auch, sich in einer

Identität wieder zu finden, wodurch sich viele der Batwa zunehmend an die

Gesellschaften der Nicht-Pygmäen anpassen und ihre Traditionen aufgeben.499

7.9.6. Landwirtschaft

In manchen Gebieten sind die Pygmäen auch sesshaft geworden und haben

begonnen, Ackerland zu bebauen. Grund dafür ist unter anderem zu intensive Jagd,

wodurch die Tiere immer weniger werden und nicht mehr für alle ausreichen. Es gibt

jedoch in bestimmten Regionen auch Initiativen und teilweise sogar Schenkungen für

Pygmäen, mit der Aufgabe, als Bauern sesshaft zu werden. Diese Programme sind

allerdings nicht nach den Bedürfnissen oder Traditionen der Pygmäen respektive

ihrer sozialen Beziehungen untereinander sowie zur Außenwelt ausgerichtet. Die

Organisation und Planung dieser Programme ist so unzureichend, dass viele der

Pygmäen nach Ende der Schenkungen und, wenn die Zeit zum Honigsammeln

beginnt, wieder in die Wald und somit in ihre gewohnte Umgebung und ihr

gewohntes Leben zurückkehren.

Es gibt auch Pygmäen, die freiwillig sesshaft geworden sind und in den Dörfern in

der Nähe des Waldes leben und Felder bebauen. Sie haben ihren ursprünglichen

und traditionellen Lebensstil allerdings nicht ganz aufgegeben, sondern verbringen

einen Teil des Jahres im Wald und sind auch von Produkten aus dem Regenwald

abhängig. Die sesshaften Pygmäen, die dem Ackerbau nachgehen, unterstützen in

sehr vielen Fällen ihre Stämme, die nach wie vor in den Wäldern wohnen, was die

große Solidarität und Verbundenheit der Pygmäen untereinander widerspiegelt. Der

Anteil der Bauern unter den Pygmäen ist allerdings nach wie vor sehr gering.500

499 Vgl. Lewis, S.10f. 500 Vgl. Dembner.

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7.10. Alltagsleben und Traditionen einer Pygmäengesellschaft

7.10.1.Alltag

Ein typischer Tagesablauf in einem Pygmäendorf beginnt um 5.30 Uhr, wenn das

Dorfoberhaupt aufsteht und mit der Glut des Vorabends das Feuer in der

Gemeinschaftshütte (Barca) anzündet. Mit diesem Feuer werden dann die

Feuerstellen in den Hütten angezündet. Anschließend wandert das Dorfoberhaupt

durch das Dorf und verteilt moralische Ratschläge und etwaige Aufgaben für den Tag

an die Dorfbewohner, die sich noch in ihren Hütten befinden. Nachdem alle

aufgestanden sind, wird, sofern welche übrig sind, mit den Essensresten des

Vorabends gefrühstückt. Anschließend gehen die Dorfbewohner ihren jeweiligen

Tagesaufgaben nach. Die Frauen sammeln Früchte und andere Dinge im Wald,

während die Männer jagen, fischen oder ihre Felder bebauen501. Sollten die

Dorfbewohner keiner dieser Tätigkeiten nachgehen, können sie auch die

vorgeschlagenen Aufgaben des Dorfoberhauptes erfüllen. Schließlich gibt es noch

eine Gruppe, die das Dorf nicht verlässt und Netze flickt oder andere Sachen

repariert bzw. neue Waffen herstellt. Die täglichen Arbeiten nehmen ungefähr zwei

bis drei Stunden in Anspruch. Anschließend besteht der Alltag aus

Gemeinschaftstätigkeiten. Die Frauen kochen und bereiten sich auf den abendlichen

Tanz vor, indem sie sich mit Farben bemalen. Die Männer spielen mit den Kindern

oder erzählen von ihren Jagderlebnissen oder von den Ereignissen im Dorf – dabei

werden auch die Geschehnisse im Bantu-Dorf besprochen.

Im Laufe des Tages essen die Dorfbewohner manchmal Kleinigkeiten in Form einer

Banane, denn die einzige richtige Mahlzeit ist am Abend nach Sonnenuntergand

zwischen 18 und 19 Uhr. Nach dem Essen wird getanzt und gesungen und vor der

Barca zusammen gesessen und Unterhaltungen geführt. Viele dieser Tänze dienen

nicht nur zur Unterhaltung, sondern werden auch bei Ritualen aufgeführt.502

501 Viele Pygmäen haben in den letzten Jahren ihren Lebensstil geändert und betreiben Landwirtschaft. Siehe dazu auch im Kapitel Wirtschaft. (Anm. d. Autors) 502 Vgl. Mazzucato.

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7.10.2. Nomadentum

Grundsätzlich wird in Nomaden und Halbnomaden unterschieden. Herumziehende

Nomaden haben keinen fixen Platz an dem sie siedeln. Auch wenn ein geringer Teil

konstant sesshaft geworden ist, leben die Pygmäen traditionell als Halb-Nomaden.503

Sie folgen den Tieren und wechseln ihre Lager immer wieder. Dabei wird darauf

geachtet, dass die Lager in der Nähe der Peripherie sind, um mit den Bantu Handel

betreiben zu können.504 Die Pygmäen wechseln ihre Lager innerhalb eines Gebietes,

das das jeweilige Dorf beaufsichtigt und in dem ausschließlich diese

Dorfgemeinschaft das Recht hat zu jagen. Dabei werden manche Lager für eine

bestimmte Zeit unbewohnt zurückgelassen, aber die Pygmäen kehren nach der

Jagd, die meist den Grund für den Wechsel des Lagers darstellt, wieder dorthin

zurück. Die Pygmäen verlassen dieses Gebiet nie freiwillig. Neben der erzwungen

Vertreibung können nur die Eroberung durch ein anderes Volk oder eine

Naturkatastrophe einen Grund für einen Wechsel des Gebietes darstellen.505 Ein

weiterer Grund, warum das Dorf oder Jagdlager aufgegeben wird ist der Tod eines

Dorfmitglieds.506

7.10.3. Religion

Die Pygmäen haben keine Religion, wie sie im herkömmlichen Sinn verstanden wird.

Es gibt keine Priester oder religiösen Kultstätten. Vielmehr sehen die Pygmäen Gott

als allzeit anwesende Kraft und Gesamtheit. Gott drückt sich für sie darin aus, dass

sie in Einklang mit dem Regenwald leben, und dieser ihnen alle Dinge, die sie zum

(Über-)Leben brauchen liefert.507 Man findet in der Religion und Gottesansicht der

Pygmäen auch einen Teil des Glaubens manch anderer afrikanischer Stämme

wieder. Diese sehen auch den wichtigsten Gott Muungu als denjenigen an, der für

die Natur und den Regenwald im Speziellen verantwortlich ist. Aus diesem Grund

bedanken sich die Pygmäen bei erfolgreicher Jagd neben den Ahnen auch bei

Muungu.508

503 Vgl. Mazzucato. 504 Vgl. The Mbuti of ZAIRE. 505 Vgl. Mazzucato. 506 Vgl. Lewis, S.9. 507 Vgl. Mazzucato. 508 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures.

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7.10.4. Rituale

In der Kultur der Pygmäen spielen Tanz und Gesang eine zentrale Rolle. Es werden

verschiedene Riten ausgeführt, die einen bestimmten religiösen Charakter haben,

aber keinem speziellen Ablauf folgen. An einem beliebigen Ort, der von der

Gemeinschaft ausgewählt wird, wird von einem Dorfbewohner das Ritual geleitet. So

kann etwa um ein Feuer, das am Fuße eines Baumes entzündet wurde, gebetet

werden. Dabei handelt sich um einen beliebigen Baum und das Feuer muss auch

nicht auf bestimmte Weise entfacht werden. Die Gebete sind beliebige Formeln,

keine fixen Verse und richten sich an Gott und die Ahnen. Eine beliebige Person

kann diese Gebete sprechen bzw. das Beten leiten. Dies kann das Dorfoberhaupt

oder der Älteste des Dorfes, der Jagdführer oder ein anderes Mitglied der

Gemeinschaft, das Lust dazu hat. Es werden bei bestimmten Ritualen – wie vor der

Jagd – auch Steine verwendet. Die Steine sind aber nur in dieser Situation heilige

Gegenstände und werden nach dem Ritual liegen gelassen. Auch andere

Gegenstände wie Wasser, Äste etc. sind bei jedem Ritual neu und werden ersetzt.509

Neben der Stärkung der Gemeinschaft wird vor allem zu bestimmten Anlässen ein

Ritual durchgeführt. Dazu gehören unter anderem das Erwachsenwerden der

Mädchen und das Anjo, ein Ritual, mit dem das Wetter beeinflusst werden soll und

man Stürme oder starke Regenfälle bis nach der Jagd hinauszögern will.510

Einer dieser Bräuche ist das Nkubi, das Initiationsritual der männlichen Pygmäen.

Durch diesen Ritus wird der Pygmäenjunge zum richtigen Mann. Dabei werden die

neun bis elf-jährigen Jungen beschnitten und in den Wald gebracht. Erst nach einer

gewissen Zeit werden sie wieder vollständig in die Gesellschaft integriert. Auch

Mädchen haben ein ähnliches Ritual, bei dem sie jedoch nicht in den Wald gebracht

werden, sondern vom gesamten.511

Sobald bei den Mädchen die Menstruation einsetzt, wird von der Gemeinschaft ein

Tanz organisiert, bei dem sich Mädchen und Jungen vor den Augen der

Gemeinschaft gegenseitig umgarnen. Zusätzlich bekommen die Mädchen eine

509 Vgl. Mazzucato. 510 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures. 511 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004). The Pygmies of the Great Lakes. An assessment of the Batwa/Bambuti Situation in Burundi and Eastern part of the Democratic Republic of Congo and Batwa/Bambuti Organisations in Bukavu (DRC) and Bujumbura (Burundi), Norwegian Church Aid Occasional Paper Series No 02/2004, S.13f

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Tätowierung auf die Brust, zum Zeichen, dass sie geschlechtsreif und heiratsfähig

sind.512

Viele der Aktivitäten werden von beiden Geschlechtern ausgeführt, wodurch eine

gegenseitige Akzeptanz und Toleranz essentiell ist. Um spielerisch mit dem anderen

Geschlecht umgehen zu lernen haben die Pygmäen ein Spiel, das sehr stark dem

normalen Seilziehen ähnelt. Dabei stellen sich die Männer und Jungen auf der einen

und die Frauen und Mädchen auf der anderen Seite auf. Sie beginnen zu ziehen.

Wenn die Seite der Männer beginnt zu gewinnen, verlässt ein Mann/Junge seine

Seite und wechselt auf die Seite der Frauen. Er beginnt dabei durch eine imitierte

Frauenstimme die Frauen zu motivieren und anzustacheln. Sobald die Frauenseite

zu dominieren beginnt, wechselt eine Frau oder ein Mädchen auf die Seite der

Männer und spornt diese durch eine imitierte Bassstimme an, stärker zu ziehen. Das

Spiel setzt sich so fort und endet meist in einem gemeinschaftlichen Gelächter.513

Die Pygmäen respektive die Bambuti sehen ihren Wald als heiligen Ort an, und sie

ehren und bewundern diese Schöpfung. Sie sehen ihn als Platz des Friedens und

sind bei jeder kleinsten Störung gewarnt. Wenn etwa während der Nacht etwas im

Dorf passiert, dann glauben die Bambuti, dass der Grund für dieses schlechte

Ereignis die Nachtruhe des Waldes ist. Aus diesem Grund versuchen sie ihn mit

ihren Gesängen zu wecken.514 Für diesen Anlass gibt es ein spezielles Ritual, das

gleichzeitig das wichtigste der Pygmäen ist. Dieses Ritual ist das Molimo. Der Name

bezeichnet einerseits den Brauch an sich und andererseits die Trompete, die dafür

verwendet wird. Die Trompete wird aus Holz angefertigt und wird zwischen den

Gebräuchen in einem Baum aufbewahrt. Das Interessante daran ist, dass trotz aller

Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft der Pygmäen, dieses Ritual

ausschließlich den Männern und Jungen vorbehalten ist. Am Beginn des Tages, an

dem das Ritual stattfinden soll, wird aus allen Hütten des Dorfes Feuerholz und

Speisen gesammelt. Dies soll die Einigkeit und den Zusammenhalt innerhalb des

Dorfes darstellen. Am Abend entzünden die Männer in der Dorfmitte ein Feuer und

beginnen zu tanzen und zu singen. Die Frauen und Mädchen müssen in ihren Hütten

bleiben und die Türen verschlossen halten. Zu einem gewissen Zeitpunkt während

des Singens und Tanzens verlassen die jungen Männer das Feuer und gehen in den

Wald, um die Molino zu holen. Auf dem Weg zurück stoppen sie immer wieder, um

die Molino in Wasser zu tauchen, sie mit Blättern und Schmutz zu reiben, als 512 Vgl. Mazzucato. 513 Vgl. Peaceful Societies (2007). 514 Vgl. Peaceful Societies (2007).

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Symbole für alle vier Elemente. Wenn der Gesang am intensivsten ist, zieht die

Jugend in das Dorf und unterstützt mit dem Gesang der Molino die anderen

Dorfbewohner. Das Ritual kann einen bis zu vier Tage dauern.515

7.10.5. Bildung

Grundsätzlich lernen die Kinder der Pygmäen die notwendigen Dinge zum

Überleben. Sie sind in die Tätigkeiten des Alltags eingegliedert und lernen von klein

auf das Leben mit und vom Wald. In Pygmäendörfern gibt es keine Schulen. Diese

sind meist in den benachbarten Bantu-Dörfern und meistens viel zu teuer für die

Pygmäen. Vielen der Pygmäen ist es auch nicht möglich, ihre Kinder in die Schule zu

schicken. Einerseits aufgrund auf der zu hohen Kosten, andererseits tragen durch

die heutige Situation die Kinder meist einen Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie

bei, da die Eltern nicht auf die Kinder als Einkommensquelle verzichten können. Die

meisten der Pygmäen sind Analphabeten, und es gibt nur wenige Pygmäen die eine

höhere Bildung als zwei Jahre Grundschule haben. Der Prozentsatz jener, die eine

mittlere Bildung abgeschlossen haben, liegt bei 0.5 Prozent der Bevölkerung516.517

7.10.6. Medizin

Die Pygmäen haben bei ihrer Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 16

Jahren. Grund dafür sind die vielen infektiösen Krankheiten, mit denen die Pygmäen

zu kämpfen haben. Es gibt kaum Pygmäen, die älter als 60 Jahre werden, aber

wichtig ist, hier zu erwähnen, dass viele dieser Altersangaben auf Schätzungen

basieren, da Alter, gemessen in Jahren, für die Pygmäen keine Rolle spielt. In Afrika

und in der DRC ist der Zugang zum Gesundheitssystem bzw. eine

Gesundheitsversorgung sehr schlecht. Die Pygmäen haben keinen Zugang zu

solchen Einrichtungen. Sie pflegen ihre Kranken und Alten in den Dörfern mithilfe der

traditionellen Medizin.518

515 Vgl. The Mbuti of ZAIRE. 516 Diese Zahl stützt sich auf die Batwa-Pygmäen. Von der gesamten Pygmäenbevölkerung gibt es keine genauen Statistiken. (Anm. d. Autors) 517 Vgl. Lewis, S.15. 518 Vgl. The Great Human Diasporas, http://www.mc.maricopa.edu/dept/d10/asb/anthro2003/lifeways/diasporas/.

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Viele der infektiösen Krankheiten, die die Pygmäen bedrohen, wurden von

Europäern ins Land gebracht und werden von den Bantu auf die Pygmäen

übertragen. In einer typischen Pygmäengemeinschaft sind 20 Prozent der Menschen

krank. Die am weitesten verbreiteten Krankheiten sind Malaria, Augeninfektionen,

Wurminfektionen, Framboesia519, Lungenentzündungen, Tetanus und andere virile

Erkrankungen. Zudem wird auch HIV/AIDS zu einer zunehmenden Bedrohung für die

Pygmäen. Die meisten Pygmäen sind Analphabeten und sind sich der Gefahr durch

das HI-Virus nicht bewusst bzw. denken, sie könnten davon nicht betroffen werden.

Auch sexuelle Übergriffe durch die Armee und Rebellengruppen verbreiten das Virus

immer schneller innerhalb der Pygmäengruppen. Die medizinische Versorgung ist

sehr limitiert bis nicht vorhanden. 520

7.10.7. Kleidung und Äußeres

Die Pygmäen tragen traditionell Kleidung um ihre Hüften, der Rest des Körpers ist

nicht bekleidet. Diese Kleidungsstücke, die von Männern hergestellt werden,

bestehen aus der inneren Rinde der Kletterpflanze. Der Herstellungsprozess beginnt

nach dem Sammeln der Rinde mit dem Stampfen dieser. Anschließend wird das

Material nass gemacht und so lange bearbeitet, bis es weich ist und als

Lendenschurz verwendet werden kann. Allerdings ist auch bei den Pygmäen

vermehrt der westliche Einfluss zu beobachten, da andere Textilien in zunehmendem

Maße verwendet werden.

Status und Aussehen der Pygmäen werden durch Narben in Gesicht und Körper

gehoben. Frauen tragen teilweise Perlenhalsbänder. Ebenso werden von beiden

Geschlechtern die Zähne geschliffen, um ihr Auftreten zu verbessern.521

519 Das sind himbeerartige Wucherungen auf der Haut. (Anm. d. Autors)

520 Vgl. lmm/re/kr/he (2007). Central Africa: HIV/AIDS a threat to the indigenous forest communities, IRIN, 15.Mai 2007, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=72155. 521 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures.

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8. Probleme der Pygmäen

In den vergangenen Kapiteln wurden bereits einige der großen Probleme, mit denen

die Pygmäen heute zu kämpfen haben angeführt und erwähnt. Diese sind jedoch nur

ein Teil der langen Liste an Schwierigkeiten, Bedrohungen und Diskriminierungen,

mit denen die Pygmäen in Zentralafrika und respektive der DRC zu kämpfen haben.

Diese Probleme sind ausschließlich durch Einfluss von außen entstanden und haben

neben der schwierigen Position der Pygmäen zur Außenwelt auch die innere

Zerrüttung und Unsicherheit der Bevölkerung zur Folge. In der Folge wird versucht,

diese Bedrohungen für die Kultur und das Volk der Pygmäen darzustellen und zu

beschreiben. Dabei wird auch teilweise die Situation der Pygmäen in anderen

Ländern miteinbezogen. Dies dient einerseits dazu, einen Vergleich zwischen den

unterschiedlichen Pygmäenstämmen und andererseits zwischen Pygmäen vom

gleichen Stamm in unterschiedlichen Ländern darzustellen. Zudem soll ein möglichst

komplettes Bild der Situation der Pygmäen in Zentralafrika gegeben werden, und da

fast alle Stämme mit den gleichen Bedrohungen kämpfen, wird von den Pygmäen als

Gesamtheit gesprochen. Der Fokus liegt allerdings auf den Gruppen in der DRC, und

es wird speziell erwähnt, wenn Gruppen bzw. Stämme aus anderen Ländern

miteinbezogen werden.

Die Pygmäen haben in der heutigen Zeit mit mehreren großen Problemen zu

kämpfen. Grundsätzlich ist das größte Problem die Diskriminierung. Diese entsteht

durch Vorurteile, Ausgrenzung und Verweigerung jeglicher Rechte. Zudem kommt

der Verlust des Lebensraumes, der für die Lebensweise der Pygmäen essentiell ist.

Entweder werden sie aufgrund der Errichtung von Nationalparks und Reservaten

vertrieben, oder der Wald wird abgeholzt und ausverkauft. Diese Gründe führen

schließlich zu Problemen innerhalb der Pygmäengesellschaft. Neben Zerrüttung der

Gemeinschaften, kommt es zum Verlust der Identität der Pygmäen.

8.1. Verweigerung der Rechte

Durch die ACHPR, die auch die Demokratische Republik Kongo anerkannt hat,

sollen jegliche Minderheiten das Recht haben gleich behandelt zu werden. Das

Problem im Fall der Pygmäen ist, dass – bevor man sie schützen bzw. gegen

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Verletzungen ihrer Rechte vorgehen kann – zu definieren ist, welchen Status das

Volk der Pygmäen ist bzw. ob sie als Minderheit oder Eingeborenenvolk von der

jeweiligen Gesetzgebung geschützt werden. Im Fall der Pygmäen ist diese

Einstufung sehr schwierig. Einerseits sind viele Stämme der Pygmäen in ihren

Ländern nicht als offizielle Bürger anerkannt, andererseits wird zwar in einigen

Ländern von Rechten für Pygmäen gesprochen, diese in Praxis allerdings nicht

angewandt bzw. eingehalten.522

8.1.1. Recht auf Gleichberechtigung bzw. Anerkennung vor dem Gesetz

Während für den Großteil der Pygmäen in den letzten Jahren keine Verbesserung

ihrer Situation bzw. ihrer Rechte festgestellt werden konnte, gibt es doch Länder, in

denen die Pygmäen anerkannt sind und ihnen die gleichen Rechte wie den anderen

Staatsbürgern zugestanden werden. In Kamerun etwa ist dies der Fall, aber das

Problem der Pygmäen ist, dass sie diese Rechte erst in Anspruch nehmen können,

wenn sie im Besitz eines nationalen Personalausweises sind. Um diesen zu

bekommen, müssen sie im Besitz einer Geburtsurkunde sein, was für viele Pygmäen

allerdings unmöglich ist, da sie zu sehr weit entfernten Verwaltungsbüros reisen

müssten, wofür sie weder die Möglichkeiten noch die Zeit haben.523

Zusätzlich sind die Daten über die Pygmäen meist sehr ungenau bzw. nicht

vorhanden, da sie in den Wäldern leben und schwer zu registrieren sind, selbst

selten Kontakt zu administrativen Einrichtungen haben und keine Bemühungen

seitens der Verwaltung unternommen werden, dies zu ändern. Die Kinder der

Pygmäen befinden sich bereits von ihrer Geburt an in einer schwierigen Lage, da sie

nicht als Staatsbürger des Landes respektive der DRC geboren werden sondern

staatenlos sind. Die Situation ist auch für erwachsene Pygmäen diffizil. Ihnen wird

die Freiheit, sich zu organisieren oder umzusiedeln untersagt. Die Eigentümer der

Länder, auf denen sie siedeln, zwingen sie zur Arbeit oder anderen Leistungen.

Ohne die nötigen Personalausweise sind die Pygmäen wie ein staatenloses Volk

innerhalb eines Staates.524 Refugees International beschreibt die Situation in der

DRC folgendermaßen.

522 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). 523 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). 524 Vgl. Lewis, S.14.

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„While other citizens are issued birth certificates and identity cards free of charge, Batwa

must undergo an involved bureaucratic process. Without these cards, it is difficult do

enrol in schools and receive government-funded health care, which are otherwise

guaranteed to other vulnerable people in the country.”525

Neben den genannten Rechten und Möglichkeiten, die man in der DRC als

Staatsbürger hat, eröffnet ein Personalausweis auch das Recht Land zu erwerben

bzw. zu besitzen. Die Probleme der Landrechte der Pygmäen werden an anderer

Stelle noch ausführlicher behandelt.526

8.1.2. Das Recht zu Jagen und Sammeln

Die Pygmäen sind traditionell Jäger und Sammler. Trotzdem in den meisten

Konventionen, die sich mit den Rechten von Minderheiten oder

Eingeborenenstämmen beschäftigen und für das Recht eben dieser Gruppen auf

freie Ausübung ihrer Kultur eintreten, gibt es teilweise Diskrepanzen mit der

normalen Gesetzgebung. In den meisten Ländern und Gebieten ist es generell

verboten zu jagen und zu sammeln. Im Vergleich zu anderen ethnischen Gruppen,

denen die Jagd ebenfalls verboten ist, trifft dieses Verbot die Pygmäen, die ihren

Lebensraum im Wald haben ungleich härter. Das Verbot ihre traditionelle Jagd

auszuüben ist eine Bedrohung für den Lebensstil der Pygmäen, da ihre Kultur Jagen

und Sammeln als zentralen Inhalt hat und zum Überleben vorsieht.527

8.1.3. Das Recht auf die gleiche juristische Behandlung

Auch hinsichtlich dieses Rechts wird die ACHPR nicht eingehalten bzw. respektiert.

Die Pygmäen haben in gerichtlichen Verfahren oft eine sehr geringe bis keine

Chance auf einen positiven Rechtsbescheid für sich. Vielen der Pygmäen, wenn sie

gegen benachbarte Bantu vor Gericht ziehen wollen würden, fehlen die

entscheidenden Mittel und sehr oft auch die Courage. Zudem gibt es viele Berichte

von Pygmäen, wonach sie die Unterstützung eines Nicht-Pygmäen bräuchten, bevor

525 Zitat Refugees International, in: IRIN In-Depth Report (2006). 526 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). 527 Vgl. Lewis, S.14.

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ihr Anliegen Gehör fände bzw. etwas dagegen getan würde. Es gibt auch Berichte,

denen zu Folge die Richter sich mit den Bantu zusammenschlossen, um Land von

den Pygmäen zu gewinnen oder ernste Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen.

Als häufigster Grund für eine ungleiche Behandlung der Pygmäen von der Justiz wird

der nicht-offizielle Status als Staatsbürger angeführt. Ohne Personalausweis oder

offizielles Dokument haben die Pygmäen nur sehr selten die Chance auf Gehör in

Rechtsfragen.528

Beispiel:

Im Jahr 1995 wurden vier Batwa verdächtigt, einen der berühmtesten Gorillas des

Khuzi-Biega Nationalpark getötet zu haben. Seitens der Behörden des Nationalparks

wollte man ein Exempel statuieren, um sicher zu stellen, dass keine Pygmäen mehr

innerhalb des Parks jagen würde. Man inhaftierte die vier Verdächtigen und sie

warteten in der Untersuchungshaft elf Monate, bevor es zu einer Verhandlung kam.

Während dieser Zeit waren sie immer wieder Folterungen und Schlägen ausgesetzt.

Ihr Anwalt beschrieb ihren Zustand wie folgt:

„The sight was horrific, resembling a concentration camp. All the inmates looked

unhealthy and hungry. The author his four clients outside but they seemed to have lost

their power of speech. A green substance was growing on their skin. One of them was

suffering from a seriously infected wound. A few days later … one of them had

recovered his speech and recounted that they had been severely tortured to make them

confess, and that they were unable to get food because many prisoners did not want to

share food with them, on the grounds that they were Pygmies, dirty and uncivilized. In

addition even their families were denied to visits.”529

Während der Verhandlung waren die Pygmäen nicht in der Lage ihre Verteidigung

sehr gut zu organisieren und ihr Recht auf einen Rechtsbeistand wurde nicht

beachtet. Auch von Seiten des Richters wurden keine Bemühungen unternommen,

dieses Recht zu sichern. Schließlich konnte der Staatsanwalt jedoch keine Schuld

nachweisen und die vier Pygmäen wurden entlassen.530

528 Vgl. Lewis, S.14. 529 Zitat Barume, in: Lewis, S.21f. 530 Vgl. Lewis, S.21f.

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8.1.4. Recht auf medizinische Versorgung

Traditionell leben die Pygmäen in Einklang mit dem Wald und suchen in allen

möglichen Lebenssituationen Schutz im Wald. Der Regenwald stellt auch einen

zentralen Faktor in der Medizin der Pygmäen dar, da sie sich größtenteils auf

traditionelle Heilungsmethoden stützen. Dafür sind drei Gründe zu identifizieren.

Erstens sind die Pygmäen bekannt für ihr Wissen und die Verwendung der Kräuter

und anderer Substanzen des Waldes zur Heilung von Krankheiten. Die traditionellen

Rezepte heilen zwar die meisten aber nicht alle Krankheiten. Für die Erkrankungen,

für die die Pygmäen kein Heilmittel haben, müssten sie moderne Ärzte aufsuchen,

allerdings ist der Zugang zu moderner medizinischer Versorgung extrem schwierig

bzw. beinahe unmöglich für die Pygmäen.

Zweitens haben, wie schon erwähnt, die Pygmäen kaum offizielle Dokumente oder

finanzielle Mittel. Zu diesen offiziellen Dokumenten zählt auch ein Gesundheitspass,

der notwendig ist, um Zugang zu den Kliniken zu bekommen. Wenn den Pygmäen

dies gelingt, haben sie meistens nicht die finanziellen Mittel, um Ärzte bzw.

Untersuchungen zu bezahlen. Nachdem die traditionellen Mediziner sehr oft

Naturalien oder Dienstleistungen als Bezahlung akzeptieren, ziehen die Pygmäen

deren Dienste vor. Außerdem sind die Pygmäen in den Ländern, in denen ihnen

aufgrund ihres Status Zugang zu freien medizinischen Leistungen vom Gesetz her

zustehen würde, oft nicht ausreichend bzw. gar nicht über ihre Rechte informiert bzw.

aufgeklärt.

Der dritte Grund, weshalb die Pygmäen weiterhin auf traditionelle Medizin setzen ist

die Tatsache, dass sie auch in diesem Bereich Opfer von Diskriminierungen sind. In

vielen medizinischen Projekten, werden sie nicht berücksichtigt. Grund dafür ist sehr

oft die schwer zu erreichende Gegend, in der die Pygmäen leben. Pygmäen, denen

es gelang, genug Geld aufzutreiben, um eine Behandlung bezahlen zu können,

berichteten oft von Gewalttätigkeiten und Erniedrigungen gegen sie. Vielen wurde

nicht gestattet, sich in den Warteräumen aufzuhalten wie die anderen Patienten.

Aber auch seitens des medizinischen Personal wurden, Berichten zufolge,

Diskriminierungen gegenüber den Pygmäen offensichtlich. So wurden sie erst an die

Reihe genommen, nachdem alle anderen behandelt wurden oder sie wurden

weggeschickt, wenn sie nicht zur vereinbarten Zeit kamen.531

531 Vgl. Lewis, S.15.

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8.1.5. Das Recht auf Bildung und Arbeit

Viele Pygmäen haben keine Bildung. Wenige besuchten oder besuchen zumindest

einige Zeit die Grundschule und ganz wenige Ausnahmen haben eine volle

Schulbildung. Grund dafür ist, dass die Pygmäen sich oftmals die Schule nicht leisten

können. Dies hat verschiedene Ursachen; so werden die Jahreszeiten abhängigen

Aktivitäten nicht berücksichtigt – auch wenn es sich um spezielle Schulen für

Pygmäen handelt. Ebenso sind die finanziellen Mittel meist nicht ausreichend,

wodurch die Kinder oftmals nicht länger als ein bis zwei Jahre die Grundschule

besuchen können. Die Eltern müssen auch in vielen Fällen die Kirche besuchen,

damit ihre Kinder in der Schule aufgenommen werden, die von der Kirche erhalten

wird. Dies stellt auch einen kleinen Vorteil für die Kinder dar, da sie in diesen

Schulen in der Regel weniger Erniedrigungen ertragen müssen. Ein weiterer Grund

für die geringe Bildung der Pygmäen ist die Tatsache, dass viele der Kinder von

ihren Eltern zum Betteln in die Dörfer geschickt werden, und die Familien nicht auf

dieses zusätzliche – oft sogar einzige – Einkommen verzichten wollen bzw. können.

Diejenigen Batwa, die genug finanzielle Mittel haben, um in die Schule zu gehen,

werden dort erniedrigt und schlecht behandelt. Dies geht einerseits von den

Mitschülern aus, die das Essen der Batwa auf Verbotenes untersuchen oder nicht mit

ihnen auf einer Bank sitzen wollen. Andererseits kommt es auch zu

Diskriminierungen von Seiten der Lehrer, indem sie Provokationen und

Erniedrigungen durch andere Kinder nicht ahnden bzw. verhindern, weil sie

möglicherweise selbst Antipathie gegen die Pygmäen-Kinder hegen.532

Die Pygmäen, die in den Genuss von höherer Bildung kamen, erfahren

Diskriminierung am Arbeitsmarkt, indem ihnen deutlich vor Augen geführt wird, dass

die Bildung nicht primär ist. In der Regel werden sie abgewiesen, wenn sie sich für

Arbeitsplätze bewerben, für die sich auch Mitglieder anderer ethnischer Gruppen

interessieren. Pygmäen bekommen generell selten normal und regelmäßig bezahlte

Arbeiten, da sie vielfach gegenüber anderen Mitarbeitern benachteiligt werden und

ihnen ihr Lohn/Gehalt nicht rechtzeitig und nicht in vollen Bezügen ausbezahlt wird.

Zudem kommt es auch am Arbeitsplatz zu Diskriminierung sozialer und beruflicher

Art. Durch die schlechte Situation der Pygmäen am Arbeitsplatz wird das Vorurteil

der unintelligenten Pygmäen gestärkt.533

532 Vgl. Lewis, S.15. 533 Vgl. Lewis, S.15.

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8.1.5. Das Recht zur Selbstbestimmung

In Art. 22 der ACHPR wird festgestellt, dass jedes Volk das Recht auf

Selbstbestimmung und Bestimmung über die eigene Zukunft haben soll bzw. muss.

Dies trifft auf die Pygmäen mehrerer Hinsicht nicht zu. Die Entwicklungspolitik und

Planungen bezüglich der Pygmäen achten, respektieren und beziehen ihre

traditionellen Werte überhaupt nicht mit ein. Die Lebensweise der Pygmäen wird oft

von Außenstehenden falsch eingeschätzt und analysiert wird. So wird ihre Tradition,

als Jäger und Sammler zu leben, als rückständige Entwicklung angesehen, wobei es

allerdings Untersuchungen gibt, wonach die Pygmäen eine bessere Ernährung

haben als die meisten anderen ethnischen Gruppen. Die Modernisierung der

Methoden der Jagd bzw. der Waffen zur Jagd für die Pygmäen wird von Seiten der

Behörden gezielt verhindert, indem man sie keine Schusswaffen erwerben lässt und

sie generell an der Jagd hindert, und auch wenn sie jagen könnten, dürften sie ihre

Fleisch nicht verkaufen. Es werden immer wieder Projekte geplant, die den Pygmäen

neue Erwerbstätigkeiten bzw. andere Lebensstile eröffnen sollen. Allerdings wird

dabei nicht auf die Bedürfnisse der Pygmäen eingegangen bzw. diese werden nie in

die Planung miteinbezogen. In vielen Fällen verschieben sich die Abhängigkeiten der

Pygmäen in Richtung einer Institution, und diese Projekte haben schwere

Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Pygmäen, da es zur Spaltung in progressive

und traditionelle Gruppen von Pygmäen kommen kann. Projekte, die Pygmäen durch

Schenkungen zur Landwirtschaft bringen wollten, lösten Konflikte mit den

benachbarten Bauern aus. Viele waren eifersüchtig und sahen die Pygmäen als

Konkurrenten um die ohnehin geringe Ernte. In vielen Dörfern führte dies dazu, dass

Einwohner die Projekte für die Pygmäen zu sabotieren versuchten. Sie setzten

Behörden unter Druck, um die Kontrolle über die Vergabe der Ressourcen für die

unterschiedlichen Projekte zu erlangen und so die Pygmäen benachteiligen zu

können. Die Pygmäen, die durch diese Projekte Erfolg haben und ihre Situation

stabilisieren können, werden zur Zielscheibe für verbale und physische Attacken. In

vielen Fällen wird ihnen Land gestohlen, was teilweise sogar mit dem Wissen der

lokalen Behörden geschieht. Die Situation der Pygmäen wird allerdings in vielen

Fällen auch missbraucht. Es werden Projektpläne aufgestellt und die Förderungen

werden in vielen Fällen veruntreut, wodurch die Pygmäen vielfach sehr misstrauisch

diversen Projektplänen gegenüberstehen. Durch diverse Initiativen seitens der

Pygmäen gibt es auch geringe Erfolge für Projekte, die sich individuell auf die

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Situation der Pygmäen einstellen. Allerdings wird bei diesen Projekten auf akute

Probleme reagiert, wogegen die Langzeitstrategien und die Interessen der Pygmäen

größtenteils außer Acht gelassen werden. Es gibt kaum Strategien, die eine

Verbesserung und Akzeptanz als Staatsbürger zum Inhalt haben bzw. fördern.534

8.1.6. Die Verweigerung der Landrechte

Die Basis für die Lebensweise der Pygmäen ist der Wald bzw. das Land auf dem sie

leben. Der Boden und die Gegend, in der die Wälder der Pygmäen liegen bieten

einen sehr guten Nährboden für Ackerbau und Weideland. Diese Möglichkeiten

führten auch dazu, dass vor etwa 500 Jahren Bantu die Gegend rund um den

äquatorialen Regenwald zu besiedeln begannen. Diese Siedler begannen den

Regenwald abzuholzen und das Land in Weide- und Ackerland umzuwandeln. Durch

diese Entwicklung verloren die Pygmäen zusehends ihre Landanteile und waren

teilweise sogar gezwungen, ihren Lebensstil zu ändern und andere Berufe

anzunehmen.535

Die Pygmäen sehen sich, den Besitz von Land betreffend, mehreren Problemen

gegenüber. Eines ist die Anerkennung der traditionellen Rechte an der jeweiligen

Fläche Land. Die meisten afrikanischen Länder haben das System der Eintragung in

ein Grundbuch und bestimmten Bezeichnungen und Aufzeichnungen über die

Eigentümer von Ländereien von den westlichen Ländern – primär durch die

Kolonisierung – übernommen. Dadurch wird das traditionelle Besitztum der Pygmäen

bzw. die Weitergabe des Landes von Generationen zu Generationen ignoriert. Die

Pygmäen sind mit der Fläche Land, auf der sie siedeln, sehr eng verbunden, und

jeder Stamm hat sein eigenes Territorium, das von anderen Clans respektiert wird.

Zwar kann man sich frei auf dem Land des anderen Dorfes bewegen, allerdings hat

nur diese Gemeinschaft das Recht dort zu jagen und zu sammeln. Pygmäen

verlassen ihr Territorium auch sehr selten, weil sie mit den dort verfügbaren

Ressourcen sehr vertraut sind und aus diesem Grund eine ideale Lebensgrundlage

vorfinden. Augrund der gemeinsamen Verwaltung bzw. des gemeinsamen Besitzes

des Landes durch die Pygmäen geraten sie in Konflikt mit dem Gesetz. In der DRC

wird durch die Rechtslage kein kollektiver Landbesitz anerkannt.

534 Vgl. Lewis, S.15f. 535 Vgl. Jackson, S.3.

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„Although the vast mjority of people in sub-Saharan Africa hold land under customary

law, their right to do so are almost never recognized under existing national laws.”536

Allerdings gibt es auch in diesem Fall Ausnahmen, denn neben Individuen ist auch

offiziell anerkannten Institutionen der Besitz von Land erlaubt.537

Ein weiteres Problem ist das Verbot der Jagd in den meisten Gebieten im Regenwald

des zentralen Afrikas. Vielfach wird Jagen und Sammeln als eine Verschwendung

fruchtbaren Landes angesehen. Diese Ansicht führt auch zu der Argumentation, dass

die Eigentumsrechte nicht anwendbar sind, wenn das Gebiet zum Jagen und

Sammeln als gesetzeswidrige Tätigkeiten genutzt wird. Dagegen wird es als nutzvoll

angesehen, wenn die Fläche zur Landwirtschaft genutzt wird, und es garantiert nach

allgemeiner Ansicht die exklusive Nutzung bzw. das Eigentumsrecht über diese

Ländereien. Die Flächen werden meist als frei verfügbar eingestuft und Bauern

eignen sich diese Ländereien ohne Rücksicht auf die Situation bzw. die

Besitztumssituation der Pygmäen an. Durch die basisdemokratische

Gesellschaftsordnung der Pygmäen ist eine effiziente Gegenwehr gegen die

Zwangsenteignung sehr oft unmöglich, da sich die Gruppe nur schwer organisieren

lässt.538

Ein zusätzliches Hindernis, das es vielen Pygmäen in der DRC unmöglich macht

Land zu erwerben ist, die bereits erwähnte Notwendigkeit eines Dokuments, das die

Staatsbürgerschaft nachweist. Viele Behörde verweigern den Pygmäen die

notwendigen Dokumente, oder diese haben aufgrund finanzieller oder anderer

Probleme keine Möglichkeit welche zu erwerben. Diese Verweigerung der

Staatsbürgerschaft ist eine Diskriminierung gegenüber den Pygmäen – aber auch

andere ethnische Gruppen sind betroffen – und ihr Recht auf Landerwerb wird ihnen

dadurch verwehrt.539

Grundsätzlich kann man in drei Arten der Enteignung von Pygmäen hinsichtlich ihrer

Ländereien unterscheiden540:

• Enteignung durch Übergriffe, Einschüchterung und Diebstahl. Wenn Pygmäen

Land besitzen, dann kommt es immer wieder zu Berichten, wonach die 536 Zitat Nelson, John, Forest Peoples Project, in: IRIN, S.9. 537 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S:9. 538 Vgl. Lewis, S.17. 539 Vgl. IRIN, S:9f. 540 Vgl. Lewis, S.17.

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benachbarten Bauern und Landbesitzer deren Grenzen willkürlich auf das

Land der Pygmäen ausdehnen. Diese Erweiterung des eigenen Besitzes geht

oft schleichend voran, kann aber auch in großen Schritten passieren. Diese

widerrechtlichen Aneignungen werden oft von Einschüchterungen und

Bedrohungen begleitet, wodurch die Pygmäen nur selten lokale Behörden

einschalten. Weitere Gründe für seltene Versuche, die Behörden um Hilfe zu

bitten, ist der Zweifel, ein faires Verfahren zu erhalten und die häufige

Verwicklung dieser in die illegale Enteignung der Pygmäen.

• Enteignung durch den Verkauf des Landes. Viele Pygmäen, die Ländereien

besitzen, leben nach wie vor nach den Traditionen ihrer Kultur, die des Teilen

in Notsituationen als essentiell und Grundlage der Gemeinschaft der Pygmäen

ansehen. Deshalb geben sie auch immer wieder mittel- und obdachlosen

Pygmäen Unterschlupf und teilen ihre Nahrung mit den anderen

Stammesmitgliedern. Das führt allerdings in den meisten Fällen dazu, dass

die Nahrungsmittel nicht reichen und sie Hunger leiden müssen. Diese

schwierige Situation der Pygmäen ruft die Nachbarn auf den Plan. Es wird den

Landbesitzern oft angeboten, ihr Land gegen Nahrung abzukaufen. Aufgrund

der schwierigen Situation sind diese oftmals dazu bereit ihr Land zu

verkaufen. In anderen Fällen wird Alkohol dazu eingesetzt, die Pygmäen zum

Verkauf ihres Landes zu bringen, was in vielen Fällen auch dazu führt, dass

die Pygmäen ihr Land für einen extrem geringen Preis verkaufen. Durch diese

Methoden verloren viele der Pygmäen einen Großteil ihres Landbesitzes.

Auch die Regierungen verkaufen teilweise die privaten Ländereien der

Pygmäen, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, die Steuern zu zahlen.

• Vertreibung. Durch die Zusammenarbeit von internationalen Geldgebern,

Regierungen und lokalen Autoritäten, kam es zur Gründung von Nationalparks

und der gleichzeitigen Vertreibung der lokalen Pygmäenbevölkerung.

Auch, wenn die Pygmäen durch Hilfe von NGOs, der Kirche oder durch

Schenkungen durch die Regierung Land erhalten, so sind dies individuelle

Besitztümer. Diese Situation macht die Pygmäen sehr verwundbar für An- bzw.

Übergriffe auf ihr Eigentum durch Nachbarn oder lokale Behörden. Der Verlust ihres

Landes bedeutet für die Pygmäen oft den Absturz in die extreme Armut.541 Viele

541 Vgl. Jackson, S.3.

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bleiben allerdings in der Nähe ihrer ehemaligen Besitztümer bzw. des Landes ihrer

Vorfahren und leben als Pächter oder Hausverwalter. In vielen Gebieten in der DRC

werden die Pygmäen auch als Sklaven gehalten, da man die Ansicht vertritt, dass die

Pygmäen, die sich auf dem Land befinden auch dem Landbesitzer als Eigentum

zustehen.542

8.2. Exkurs

8.2.1. Der Regenwald in der Demokratischen Republik Kongo

Die DRC hat die drittgrößten Ressourcen an Regenwald weltweit mit einem Achtel

der gesamten Fläche. Die mehr als 125 Millionen Hektar Wald bedecken ungefähr 52

Prozent des Landes und 47 Prozent des gesamten Kongo-Beckens. Die acht

Nationalparks und Reservate, die es in der DRC gibt, umfassen 180.000 km², also

ungefähr 7.7 Prozent des nationalen Regenwaldes. Die DRC hat viele Konventionen

unterzeichnet, die den Schutz der nationalen Naturgebiete bzw. des Regenwaldes

zum Inhalt haben.543

Der Regenwald in der DRC blieb im letzten Jahrzehnt im Vergleich zu dem anderer

Länder Zentralafrikas zu einem sehr großen Teil vor der Abholzung verschont,

obwohl die Konzession einer Fläche von der Größe Großbritanniens an eine Holz-

Gesellschaft aus Zimbabwe und der DRC verkauft und zur Abholzung freigegeben

wurde. Der Grund für diese Verschonung des kongolesischen Regenwaldes liegt zu

einem sehr großen Teil in dem acht Jahre dauernden Bürgerkrieg, der vor allem in

den Waldgebieten des Landes tobte. Dabei spielte Holz als Ressource keine wirklich

große Rolle als Ursache für den Konflikt, aber der Regenwald an sich war ein

zentraler Teil des Krieges. Viele der Firmen, die mit der Abholzung des Regenwaldes

in der DRC beschäftigt waren, zogen ihre Arbeiter zurück, da die Situation zu

gefährlich war. Die Rebellen, Milizen und Armeen nutzten die großen Waldgebiete,

um sich zu verschanzen und ihre Operationen aus den Verstecken zu koordinieren

und zu führen. Außerdem sahen die im Wald stationierten Truppen das Holz des

Waldes auch als Handelsobjekt, um an Waffen zu kommen und nutzten diese

Situation aus. Ein weiterer Grund für die Firmen, sich aus dem Kongo 542 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. 543 Vgl. Barume, Albert Kwokwo (2003). Le nouveau code forestier congolais et les droits des communautés des forêts. Atelier sur le Processus de Mise en Oeuvre du Code Forestier de la République Démocratique du Congo et de ses Normes d’Application, Kinshasa, 17-19 novembre 2003, S.3f.

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zurückzuziehen waren die mangelnden Möglichkeiten des Transports des Holzes.

Die Rebellen und andere bewaffnete Gruppen kontrollierten die Flüsse,

insbesondere den Kongo, und das Wegesystem, welches in der DRC sehr schlecht

ausgebildet ist.544

Aus dieser Sicht hat der Frieden eine negative Auswirkung auf die Situation des

Regenwaldes in der DRC. Durch die Friedensabkommen wird das Gebiet wieder

sehr interessant für internationale Holzfirmen. Im Laufe der Friedensverhandlungen

haben sich viele der Gesellschaften wieder mit Firmensitzen in Kinshasa

eingerichtet. Kinshasa aus dem Grund, weil es das Zentrum der Holzverarbeitung ist

und fast alle Transporte von Holz in Kinshasa landen. Das Interesse an den

Ressourcen des Regenwaldes war nach dem Krieg so groß, dass es für viele

kleinere Firmen unmöglich war, den Wettbewerb zu bestreiten, da ihnen die

finanziellen Mittel fehlten. Auch die Tatsache, dass die Regierung der

demokratischen Republik zum damaligen Zeitpunkt als eine der korruptesten der

Welt galt, lockte viele große Konzerne an, die auch an der Abholzung der

südamerikanischen Wälder beteiligt waren.545

Der Code Forestier – Gesetzeskodex über den Regenwald – wurde im August 2002

verschiedet. Dieser neue Gesetzesentwurf war nur eine Überarbeitung des Gesetzes

aus dem Jahr 1941, an dem nur einige institutionelle Änderungen und

Überarbeitungen in der Verwaltungsebene vorgenommen wurden. Insgesamt ist der

neue Entwurf allerdings inklusiver und versucht eine allgemeine Beteilung an dem

Thema Regenwald zu erreichen. Darin wird auch vorgesehen, dass die Vergabe der

Konzessionen genau verwaltet wird und eröffnet den lokalen Verwaltungskomitees

theoretisch erstmals die Möglichkeit der aktiven Mitsprache an der Vergabe der

Konzessionen.546

Drei Monate zuvor konnte sich die Weltbank, die seit dem Beginn der

Friedensverhandlungen 2001 die DRC wieder finanziell unterstützte, und die

Übergangsregierung unter Joseph Kabila auf ein Moratorium einigen, in dem

vereinbart wurde, dass die Regierung die Vergabe von weiteren Konzessionen zur

Abholzung des Regenwaldes aussetzen sollte und alte nicht verlängern sollte. Seit

diesem Zeitpunkt hat die DRC bis April 2006 107 neue Verträge mit Holzfirmen

abgeschlossen, insgesamt waren es zu diesem Zeitpunkt 156

544 Vgl. Baker, Murl, Clausen, Robert, Kanaan, Ramzy, N’Goma, Michel, Roule, Trifin, Thomson, Jamie. Conflict Timber: Dimensions of the Problem in Asia and Africa, Volume III, African Cases, S.11f. 545 Vgl. Baker, et al. S.11f. 546 Vgl. Baker, et al. S.24f.

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Einschlagskonzessionen über eine Fläche von insgesamt 21 Millionen Hektar

Regenwald. Im Gegenzug wurden nur wenige Gebiete unter Schutz gestellt. Ebenso

wurden nicht, wie in dem Gesetz von 2002 vorgesehen, die von den Holzfirmen

eingenommenen Steuern für Rekultivierungsprojekte verwendet, da sie in einem

Großteil der Fälle gar nicht bezahlt wurden. Die Weltbank, der vorgeworfen wird,

dass sie nicht wirklich darum bemüht war, die Durchsetzung des Moratoriums zu

überwachen und zu forcieren, führt derzeit Untersuchungen durch, wer die Steuern

bezahlt hat.547

Jährlich könnten laut Prognose in der DRC ungefähr 14 Millionen m³ Holz produziert

werden. Durch die unsichere Situation gewinnt die Produktion erst seit der

Friedensvereinbarung wieder an Gewicht. Die Produktion ist allerdings nach wie vor

nur ein geringer Teil der nationalen Wirtschaft, da pro Jahr nur zwischen 150.000

und 200.000 m3 Holz produziert werden.548

Die wichtigsten Gebiete der Holzindustrie sind im Osten des Landes, wo 80 Prozent

des Holzes produziert werden. Das größte Waldgebiet ist der Ituri-Regenwald im

Nord-Osten des Landes. In dieser Region wird auch deutlich, wie inaktiv die

Regierung bei der Kontrolle der Lizenzvergabe und der illegalen Holzfirmen ist, die in

diesen Gebieten arbeiten. Durch die unterschiedlichen Zahlen ist eine genaue

Berechnung und die Kontrolle der jährlichen Abholzung sehr schwierig. Die vielen

illegalen Holzkonzerne, die in den konzessionierten Regionen der DRC, die beinahe

ein Viertel der gesamten Fläche ausmachen arbeiten, tragen erheblich dazu bei,

dass die Abholzung des Regenwaldes in der DRC immer schneller voranschreitet.549

Der Kodex von 2002 sieht auch den Schutz der Gruppen und Völker, die in den

Wäldern leben vor. Von einer Arbeitsgruppe wurden drei Rechte identifiziert, die

essentiell sind, um ein Volk, das in den Regenwäldern lebt, insbesondere die

Pygmäen zu schützen.

• Das Besitztumsrecht über die Fläche, auf der sie leben.

• Das Recht, die Fläche zu benutzen, um ihre ökonomischen, sozialen und

religiösen Traditionen ungehindert leben zu können.

• Das Recht, die Ressourcen zu nutzen, die auf dem Gebiet natürlich

vorzufinden sind.

547 Vgl. Greenpeace (2007). Angriff auf das grüne Herz Afrikas. Zusammenfassung des Greenpeace-Reports „Carving up the Congo“, 04/2007, S.1ff. 548 Vgl. Baker, et al., S.64. 549 Vgl. Forests Monitor (2007). The Timber Trade and Poverty Alleviation. Upper Great Lakes Region, June 2007, S.17ff.

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Diese Arbeitsgruppe untersuchte auch den Kodex von August 2002 hinsichtlich

dieser Punkte. Dabei kam sie zu den Schlüssen, dass das Besitztumsrecht nicht

explizit erwähnt ist. Es gibt allerdings immer wieder Formulierungen, die implizit die

Bevölkerung, die lange dort gelebt hat, als Besitzer identifizieren. Direkt formuliert ist

dies jedoch nicht.

„Les droits d’usage forestiers des populations vivant à l’intérieur ou à proximité du

domaine forestier sont ceux résultant de coutumes et traditions locales pour autant que

ceux-ci ne soient pas contraires aux lois et à l’ordre public. Ils permettent le prélèvement

des ressources forestières par ces populations, en vue de satisfaire leurs besoins

domestiques, individuels ou communautaires.“550

Bezüglich des Rechts der Benutzung der Fläche wird in vier zentrale Bereiche

unterschieden. Es wird Völkern, die dort leben, das Recht zugestanden, die

Ressourcen die sie brauchen, zu nutzen. Die Formulierungen zu diesem Thema

werden als Balanceakt gesehen, um Rechte zu gewähren aber gleichzeitig

Ausbeutung zu verhindern. Im Kodex wird auch erwähnt, dass es den Völkern

möglich ist, die Konzession für ihr Gebiet zu erlangen, um es zu verwalten. Es wird

auch festgelegt, dass die Einwohner keinen Zoll zahlen müssen und die Straßen und

Wege frei benutzen können, zudem ist es ihnen erlaubt, an allen infrastrukturellen

und anderen positiven Entwicklungen des Gebiets teilzuhaben. Schließlich wird noch

die Höhe der Steuer festgelegt, dabei werden keine Kompensationszahlungen an die

einheimische Bevölkerung vorgesehen.

Der letzte Punkt sieht vor, dass die Völker, die im Wald leben in die Pläne und

Projekte bezüglich des Regenwaldgebietes, in dem sie angesiedelt sind,

miteinbezogen werden sollen. Im Kodex ist das Recht an der Teilnahme an einem

Beratungskomitee verankert.

Allerdings kommt die Kommission zu dem Schluss, dass ein Regelwerk zur

Überwachung der Gesetze fehlt und einige der Formulierungen sehr unspezifisch

sind und überarbeitet werden müssten.551

Die praktische Umsetzung sieht anders aus, da die Kontrollmechanismen fehlen und

die Vertreibungen der Pygmäen von ihren Ländern von Holzfirmen initiiert und von

550 Article 36, Loi 011/2002 Du 29 Aout 2002 Portant Code Forestier, JURICONGO, S.7. 551 Vgl. Barume, Albert Kwokwo (2003), S.3f.

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lokalen Behörden in manchen Fällen unterstützt werden. Die zunehmende

Abholzung bzw. der Verkauf der Konzessionen über große Gebiete des

Regenwaldes bedroht die Pygmäen bzw. ihren Lebensraum erheblich.552

8.2.2. Enteignung durch Naturschutzgebiete

In den 90iger Jahren intensivierte man die Bemühungen, die Regenwälder des

zentralen Afrikas zu schützen. Durch viele Projekte in den einzelnen Ländern der

Region begann man mit Hilfe ausländischer Investoren Naturschutzgebiete und

Reservate zu errichten. Durch diese Erlässe, wonach bestimmte Regionen zu

Naturschutzgebieten erklärt wurden, gab es erhebliche Auswirkungen auf

verschiedene Eingeborenenstämme und insbesondere auf die Pygmäenstämme in

den unterschiedlichen Regionen.553 Ein Beispiel für solche Auswirkungen ist die

Situation der Batwa in der Region des Kahuzi-Biega National Parks.

Der Kahuzi-Biega National Park wurde 1980 von der UNESCO zum Weltkulturerbe

erklärt. Die Räumung des Gebiets begann schon in den späten 60iger Jahren und

man siedelte bis 1980 gewaltsam 580 Batwa-Familien aus der Region aus.

„We did not know they were coming…It was early in the morning. I heard people in

uniforms with guns. Then suddenly one of them forced the door of our house and started

shouting that we had to leave immediately because the park is our land. I first did not

understand because all my ancestors have lived on these lands. They were so violent

that I left with my children.”554

Das Institut Zairois pour la Conservation de la Nature (IZCN) vertrieb zwischen 3.000

und 6.000 Batwa aus ihren Dörfern, ohne dass Vorbereitungen oder Pläne getroffen

bzw. gemacht wurden wie man den Batwa helfen könnte. Die Lebensweise der

Batwa Pygmäen in dieser Region wurde binnen kurzer Zeit unmöglich gemacht, da

sie auf dem Regenwald als Lebensraum, Nahrungslieferant und spirituellem Zentrum

nicht mehr aufgebaut werden konnte. Neben der Vertreibung aus dem Lebensraum,

in dem die Batwa über Jahrhunderte ihre Heimat hatten, wurde ihnen auch noch die

552 Vgl. Greenpeace (2007), S.1ff. 553 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. 554 Zitat einer Mutwa Witwe, in: IRIN, In-Depth Report (2006), S.10.

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Schädigung desselben nachgesagt. Die neu installierten Parkwächter sahen die

Pygmäen als Wilderer und Bedrohung für das Naturschutzgebiet. Als Grund dafür

wurde das Wissen der Batwa über den Regenwald und die Tiere, die darin leben,

angeführt. Wenn es zu Todesfällen in der Tierpopulation des Khahzi-Bielga National

Park kommt, dann stehen in jedem Fall primär die Pygmäen unter Verdacht. Da sie

als akute Bedrohung für das Gebiet angesehen werden, werden Batwa, die die

Regeln des Naturschutzgebietes gebrochen haben, sehr brutal behandelt, um die

Pygmäen in Zukunft davor abzuschrecken, das Gebiet wieder zu betreten. Durch die

schlechte Behandlung der vier Batwa, die beschuldigt wurden, einen der

berühmtesten Gorillas der Regionen getötet zu haben, sollten die anderen Pygmäen

abgeschreckt werden. Trotz unmenschlicher Zustände und der Folter, die die

Gefangen während ihrer Untersuchungshaft erdulden mussten, konnte ihnen keine

Schuld nachgewiesen werden und sie wurden freigelassen. Allerdings sind die

Folgen für die Pygmäen der Region bis heute fatal. Bereits mehr als 50 Prozent der

damals Vertriebenen starben in der Zwischenzeit. Ebenso ist die

Säuglingssterblichkeit in diesem Pygmäenstamm extrem hoch.555

„…since we were expelled from our lands, death is following us. We bury people nearly

every day. The village is becoming empty. We are heading towards extinction. Now all

the old people have died. Our culture is dying too.”556

In anderen Regionen, auch außerhalb der DRC, sind ähnliche Vertreibungen zum

Zweck der Gründung von Nationalparks zu beobachten. Die Batwa Bevölkerung hat

neben ihrem Anspruch auf das Land in der Region den Regenwald über

Jahrhunderte nicht geschädigt. Einige der Batwa wurde auch von der UNESCO als

Parkwächter eingestellt, da ihre Fähigkeiten und ihr Wissen über den Regenwald

geschätzt werden. Im Gegensatz zu den Batwa erhielten andere Gruppen, die

Regenwald in Ackerland umgewandelt haben, Kompensationszahlungen und ihre

Rechte auf das Eigentum des Landes wurde anerkannt und respektiert.557

Kompensationen blieben deshalb oft aus, weil die Projekte meist ausschließlich auf

die Natur aufgebaut waren, und die Bevölkerung, die in diesen Gebieten wohnte,

nicht in die Planung miteinbezogen wurde. Während des Projektes kam man nur zu

dem Schluss, dass man die Pygmäen aus der Region aussiedeln müsste, aber es 555 Vgl. Lewis, S.21f. 556 Zitat einer Mutwa aus Kalehe (DRC), in: IRIN, In-Depth Report (2006), S.9. 557 IRIN, In-Depth Report (2006), S.10.

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gab keine weiteren Planungen zu deren Unterstützung bzw. Hilfe bei deren

veränderter Lebenssituation. Es wird vielfach kritisiert, dass die Projektplaner die

Pygmäen überhaupt nicht in die Projekte mit einbeziehen, sondern ihre eigenen

Ideen der Konservierungsmaßnahmen verwirklichen. Viele sind der Meinung, dass

die Projektplaner sehr stark vom Wissen der Pygmäen profitieren würden. Zudem

wären die Batwa seit sehr langen Traditionen untrennbar mit dem Regenwald

verbunden und es läge auch in ihrem Interesse, den Regenwald zu konservieren,

wodurch sie ein sehr wichtiger Partner für die Projekte wären. Ebenso wäre ihnen

geholfen und sie würden ihren Lebensraum und ihre Traditionen bzw. ihre

Lebensweise nicht verlieren.558

Obwohl es bei manchen Organisationen ein kleines Umdenken erfolgt und es

Initiativen gibt, dass die regionalen Völker und Stämme Entschädigungen bekommen

bzw. in die Projekte miteinbezogen werden, gibt es bei der Umsetzung und

Verteilung der Förderungen bzw. Kompensationen nach wie vor Schwierigkeiten und

viele der Gelder landen bei den falschen Gruppen.559

8.3. Vorurteile

Die Vorurteile gegen die Pygmäen, die auch einige der Hauptgründe für die

Diskriminierung der Pygmäen bzw. ihre schlechte Lebenssituation darstellen,

bestanden, seit man das erste Mal mit den Pygmäen Kontakt hatte bzw. sie

entdeckte. Grund dafür ist ihre kleine Statur und ihre Lebensweise, die von der

Modernisierung beinahe gar nicht beeinflusst wurde. Sie wurden sogar als Affen

bezeichnet und als solche behandelt. Zur Weltausstellung in New York wurde Ota

Benga, ein Pygmäe aus dem Kongo, der damals noch belgische Provinz war,

eingeflogen und ausgestellt. Der damals 23-jährige Benga wurde nach der

Ausstellung in den Zoo in der Bronx in New York gebracht, wo er in einem Affenkäfig

leben musste. Er beging 1916 Selbstmord. 560

Außerhalb Afrikas gibt es nach wie vor Vorurteile gegenüber die Pygmäen. Vor allem

die Tierschützer aus Nordamerika und Europa stigmatisieren die Pygmäen in der

DRC als Wilderer und Gefahr für die vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Die

558 Vgl. Lewis, S.22. 559 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. 560 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.10.

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Folgen sind, dass die Parkwächter der Nationalparks die Pygmäen, die in der Nähe

der Schutzgebiete siedeln, regelmäßig attackieren.561

Die Situation der Pygmäen im zentralen Afrika ist von Vorurteilen und Stereotypen

geprägt. Die Bantu haben die Handelsbeziehungen und ihre technische

Fortschrittlichkeit gegenüber den Pygmäen ausgenutzt, um diese zu unterwerfen.

Zuerst ein schleichender Prozess wurde die Unterdrückung in den letzten

Jahrzehnten immer offensichtlicher. Durch die Veränderung der Lebensräume durch

einerseits die zunehmende Immigration und andererseits die Abholzung und

Vertreibung des dem Regenwald, wurden die Pygmäen zunehmend abhängig von

den Bantu, wodurch sich ihre Position rapide verschlechterte. Nachdem die Bantu,

die zuerst ebenso von den Pygmäen abhängig waren, sich aus dieser Abhängigkeit

lösen konnten, begannen sich die Ansichten und Meinungen über die Pygmäen zu

verschlechtern.562

Heute werden die Pygmäen als grundsätzlich wild und unzivilisiert angesehen. Man

hält sie für schmutzig, faul, dumm, und es wird allgemein davon ausgegangen, dass

man ihnen nicht trauen kann. Zudem hält man sie für Untermenschen, sozial und

körperlich unterentwickelt sind, weshalb sie auch nur zu niederen Tätigkeiten

herangezogen werden können.563 Die Diskriminierung findet sehr offen statt und man

gibt ihnen Namen, die sie klar als Pygmäen stigmatisieren und herabsetzen564. Der

Lebensstil der Pygmäen wird als abschreckendes Beispiel und als unmoralisch

beschrieben. Sie werden nicht als gleichwertige Menschen angesehen, und dieses

Argument wird auch immer wieder als Rechtfertigung für Gewalt und anderen

Verbrechen.565

Diese Vorurteile führen auch zu einer strikten Trennung der Pygmäen von dem Rest

der Bevölkerung. Dabei werden ihre Lebensgewohnheiten als Begründung

herangezogen, da diese durch das Nomadentum, eher Tieren ähneln würde, als

Menschen. Die Arten der Diskriminierung und Ausgrenzung, die die Pygmäen durch

ihren unmittelbaren Nachbarn erfahren, sind teilweise extremer Natur. Viele

Menschen weigern sich, mit den Pygmäen zu speisen oder mit ihnen auf derselben

561 Vgl. Lewis, S.6. 562 Vgl. Lewis, S.6. 563 Vgl. Jackson, Dorothy. Indigenous Forest Peoples Under Threat, http://www.indigenous-info-kenya.org/publications/Nomadic%20News%207%20Resources%20in%20Indigenous%20Peoples'%20Lands%202004/Indigenous%20Forest%20Peoples%20Under%20Threat.pdf, S.1. 564 Solche Namen sind: Abayanda (in der negativen Bedeutung: Menschen die stehlen), Abashenzi (unzivilisierte Menschen), Abashezi (Hexen/r), Gutyoza (verachtete Menschen), Intarima (Menschen die unfähig sind, als Bauern zu arbeiten), Abaryantama (Menschen die Hammel essen) und Abaterampango (Menschen, die Antilopen essen, welche als ekelhaftes Essen gehandelt werden), in: Lewis, S.13. 565 Vgl. Lewis, S.13.

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Bank zu sitzen. Pygmäen müssen auf öffentlichen Plätzen immer am Rand bleiben.

Wenn sie etwas verkaufen, müssen sie weit weg von den anderen Verkäufern sitzen

und müssen ihr Wasser an anderen Quellen schöpfen als der Rest des Dorfes.

Zudem verweigern die meisten Bantu jegliche sexuelle oder andere

partnerschaftliche Verbindung mit Pygmäen. Pygmäen haben so gut wie keine

individuellen Rechte. Die Peiniger bleiben oft ohne Strafverfolgung, weil sich die

Pygmäen selbst nur sehr schlecht bzw. gar nicht vor Gericht verteidigen können.566

8.4. Wirtschaftliche Isolation

Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in den Ländern rund um die Große Seen

Region respektive der DRC hat den Lebensraum und die Lebensweise der Pygmäen

stark verändert und in fast allen Fällen extrem verschlechtert. Diskriminierung, die

wachsende Bevölkerung, die Abholzung des Regenwaldes und die bewaffneten

Konflikte sind dafür verantwortlich, dass viele der Pygmäen ihren Lebensraum

verlassen mussten. Viele von ihnen änderten ihren Lebensstil, scheiterten aber

daran, sich in die Gesellschaft einzugliedern und leben in den meisten Fällen in

Armut als Menschen zweiter Klasse, ohne oder mit kaum Zugang zu medizinischer

Versorgung, Bildung, Landbesitz und Arbeit. Durch die Lebensweise der Pygmäen,

die auf Tauschen aufgebaut ist, haben sie kaum bzw. keine Erfahrung mit Geld bzw.

dem Finanzmarkt. Aus diesem Grund sind auch auf dem wirtschaftlichen Sektor

extrem isoliert.

Das Wissen über den Regenwald und alternative Medizin ist in der neuen sozialen

Umgebung, in der sich viele Pygmäen heute zurechtfinden müssen, wertlos. Zudem

ist ihre Ausgangsposition durch die ethnische Diskriminierung, die sie erfahren

müssen, sehr schwierig und erschwert die Interaktion mit der Außenwelt aus der

Sicht der Pygmäen noch zusehends.567

Durch die Aufsplitterung der Pygmäen in Dörfer und ihre Lebensweise, die keine

Aufsparungen von Ressourcen vorsieht, ist das Kapital der Pygmäen zu investieren

sehr gering bzw. in den meisten Fällen nicht vorhanden. Zudem gibt es bei den

Pygmäen nur kollektiven Besitz, wodurch die ökonomischen Möglichkeiten für den

Einzelnen noch zusätzlich vermindert werden. Dieser Mangel an ökonomischem

566 Vgl. Lewis, S.14. 567 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.11.

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Gewicht und Einfluss schließt die Pygmäen beinahe vollständig aus der Wirtschaft

des jeweiligen Landes aus.

In einer Studie des International Council on Human Rights (ICHR) wird die

mangelnde Bildung als einer der Hauptgründe für den Ausschluss aus der Wirtschaft

identifiziert. Der mangelnde Zugang zu Bildung zog sich durch die verschiedenen

Regierungsphasen von der Kolonisierung bis zur heutigen Regierung. In der

Vergangenheit wurde verabsäumt, den Pygmäen grundlegende Bildung

beizubringen. Auch die heutige Situation hat den Zugang zu Bildung für die Pygmäen

nicht verbessert. Die Integration der Pygmäen in den Arbeitsmarkt ist durch

Analphabetismus beinahe unmöglich. Die mangelnde Berücksichtigung durch die

Regierung wird auch durch die mangelnde politische Repräsentation der Pygmäen

verstärkt. Das ICHR stuft die Situation in der Zukunft noch schwieriger ein, da sich

die Wirtschaft und die Gesellschaft immer schneller entwickelt und die afrikanische

politische Situation dem internationalen Standard noch unterlegen ist. Aus diesem

Grund werden die Pygmäen aufgrund mangelnder politischer Repräsentation ihre

Lage nur schwer verbessern können und weitere ökonomische Ausgrenzung

erfahren.568

8.5. Mangelnde politische Repräsentation und politisches Desinteresse

Viele der Regierungen in Zentralafrika räumen den Pygmäen keine Rechte ein, sich

selbst zu organisieren oder zu repräsentieren. Durch die dadurch entstandene

Diskriminierung, Gewalt und Armut wurden die Pygmäen sozial isoliert. Sie haben

keinerlei Möglichkeiten, sich politisch Gehör zu verschaffen und verfügen über keine

Institutionen, die ihre Rechte verteidigen könnten. Zwar fühlen sich die Pygmäen

solidarisch mit anderen Pygmäenstämmen, sie haben jedoch durch ihre

Aufsplitterung und kleinen Gruppen oft keine Möglichkeiten sich zu organisieren,

wodurch sie politisch kein Gewicht haben. Ein weiteres Problem ist die Machtstruktur

in herkömmlichen Institutionen, die komplett konträr zur Lebensweise der Pygmäen

ist. In der Kultur der Pygmäen gibt es nur Konsensentscheidungen und kein fixes

Oberhaupt somit auch keinen dauerhaften Ansprechpartner für etwaige

Verhandlungen. Diese Tatsache wird oft kritisiert und führt dazu, dass die Pygmäen

aus Projekten und Initiativen ausgeschlossen werden. Neben der mangelnden

568 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.11f.

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Führungsstruktur in den Pygmäengemeinschaften, spielen auch die Vorurteile eine

große Rolle in der mangelnden Inklusion in die politische Sphäre. Die Pygmäen

werden als unterentwickelt, unrein und unintelligent angesehen und aus diesem

Grund regelmäßig aus Entscheidungen, die die Öffentlichkeit betreffen,

ausgeschlossen. Dies führt dazu, dass viele Hilfsprojekte die Pygmäen

ausschließen, wodurch sich die Situation für die Pygmäen weiter verschlechtert.569

Obwohl die DRC seit Februar 2006 eine neue Verfassung hat, die den Minderheiten

Rechte und Schutz zusichert, hat sich die Situation für die Pygmäen nicht wirklich

verändert. Viele Pygmäen beklagen die weiterhin andauernde Diskriminierung und

den Ausschluss aus dem öffentlichen und politischen Leben. Ein Beispiel dafür ist,

dass es keinen Abgesandten der Pygmäen in der Regierung oder im Parlament gibt,

das jedoch das ganze Land repräsentieren sollte. Vielfach ist das Problem auch die

mangelnde Information bzw. das mangelnde Wissen über die neue Verfassung bzw.

die Rechte und den Schutz, der damit verbunden ist. Dies liegt einerseits daran, dass

die Pygmäen größtenteils keine ausreichende Bildung haben und andererseits

daran, dass keine Initiativen unternommen werden, die Pygmäen darüber

aufzuklären. Durch ihre Stellung als Randgruppe herrscht unter den Pygmäen ein

Desinteresse an Politik. Sie sehen keine Möglichkeit, aktiv in das politische

Geschehen eingreifen zu können, weil sie gegenüber der sich in der Mehrzahl

befindlichen Bantu im Nachteil sind. Aus diesem Grund hat sich auch kein Pygmäe

zur Wahl aufstellen lassen. Das Desinteresse der Pygmäen an Politik drückt sich

auch in der Zurückhaltung bei der Teilnahme an Wahlen oder Abstimmungen aus.

Wenige Pygmäen ließen sich registrieren, was auch mit dem Prozess der Erlangung

eines Personalausweises zusammenhängt. Neben dem Desinteresse herrscht

innerhalb der Pygmäen vielfach der Glaube vor, dass sie als extrem kleiner Teil der

Gesamtbevölkerung keinen Einfluss auf das Ergebnis haben. Zudem zweifeln sie

daran, dass sie als Volk von der neuen Regierung bzw. den gewählten Politikern

eine Verbesserung ihrer Lage respektive Hilfe erwarten können. Da nur Bantu

gewählt werden können, würden auch nur Bantu profitieren. Aus diesem Grund sei

eine Wahlteilnahme nicht von großem Nutzen, so die Annahme in der

Pygmäengemeinschaft der DRC.570

569 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.12. 570 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.23f.

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8.6. Verlust der eigenen Identität

Viele Organisationen, speziell Batwa Gruppen, treten vehement für die Durchsetzung

der Rechte der Pygmäen ein, weil sie befürchten, die Pygmäen würden ihre Identität

verlieren. Die verschiedenen Stämme der Pygmäen sind durch die Vertreibung von

ihren Lebensräumen in den Regenwäldern zu Änderungen in ihrer Lebensweise

gezwungen worden. Sie mussten andere Arbeit annehmen und versuchen, sich ihren

Lebensunterhalt anders zu verdienen als durch Jagen und Sammeln. Die Angst der

Pygmäen-Repräsentanten ist die vollständige Assimilation anstelle einer Integration

der Pygmäen. Der Unterschied ist, dass bei der Assimilation die eigene Kultur

verloren geht, wogegen bei der Integration die Kultur der jeweils integrierten Gruppe

respektiert wird und zu großen Teilen erhalten bleibt.571

Die Identität der Pygmäen respektive der Batwa stützte sich in der Geschichte

ausschließlich auf die ökonomischen Praktiken. Die ursprüngliche Identität als

ausschließlich Jäger und Sammler ist heute nur noch in sehr wenigen Stämmen

vorhanden. In vielen Fällen veränderten sich die Tätigkeiten der Pygmäen und sie

wurden Handarbeiter. Somit erweiterte sich die Identität als Jäger und Sammler um

die Identität als Handwerker und Bastler. Als der Tauschhandel mit den

Handarbeitsgegenständen nicht mehr reichte, um den Lebensunterhalt zu sichern,

und das Jagen und Sammeln durch Gesetze verboten wurde und die Pygmäen aus

dem Regenwald vertrieben wurden, wurden in vielen Stämmen die Frauen zu den

Hauptverdienern der Familie indem sie töpferten. Doch auch die Töpferei wird

zusehends schwieriger und wirft oft nicht mehr genug Profit ab, um die Familie zu

ernähren. Sehr viele Pygmäen arbeiten nun als Tagelöhner, Knechte oder betteln,

um an Geld für die Ernährung der Familie zu kommen. Durch diese Situation

befinden sich viele Pygmäen in einer Identitätskrise. Die Männer, die nicht mehr als

Jäger und Sammler leben können und zusätzlich ihre Position als Ernährer der

Familie immer mehr verlieren, und die Frauen, weil sie ihre Tradition als Töpferinnen

nicht mehr so ausüben können und die erworbene Position und wichtigere Stellung

innerhalb der Familie dadurch wieder in Gefahr sahen.

Um dieser Unklarheit und den Zweifeln über die eigenen Identität zu entgehen,

entscheiden sich viele Pygmäen, insbesondere diejenigen, die nicht mehr in den

Wäldern leben, sich zu assimilieren. Teilweise ist diese Entwicklung auch die einzige

571 Vgl. Lewis, S.7.

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Möglichkeit für die Pygmäen zu überleben. Auch organisierte Gruppen, die in

Städten oder größeren Dörfern, leben treten für eine Assimilierung ein, um die

Situation der Pygmäen zu verbessern. Die Versuche der Assimilierung führen jedoch

in den meisten Fällen nicht zu dem gewünschten Resultat, da die Diskriminierung

weiterhin besteht, und die Pygmäen trotz der Aufgabe ihrer alten Lebensweise nicht

wirklich als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Auch

hinsichtlich ihrer Religion gibt es Assimilierungstendenzen. Allerdings liegt dies meist

darin begründet, dass sich die Pygmäen Profite und Almosen erhoffen. Sehr selten

spielt wirkliches Interesse an dem anderen Glauben eine Rolle für die Annahme

einer anderen Religion.

Diese Entwicklungen sind in den östlichen Ländern des zentralen Afrikas stärker zu

beobachten, während in der DRC durch den hohen Anteil der Pygmäen, die noch in

den Wäldern wohnen, weniger andere Lebensweisen vorzufinden sind. Die Pygmäen

der DRC haben im Vergleich zu den anderen Pygmäenstämmen in den

Nachbarländern besseren Zugang zu ihrem ursprünglichen Lebensraum, wobei die

Tendenz zu Vertreibung und Enteignung und in weiterer Folge zum Verlust der

Identität sehr stark denen in den anderen Staaten, in denen Pygmäen leben,

ähnelt.572

8.7. Soziale Probleme

Neben den Problemen, die zwischen den Pygmäen und der Außenwelt bestehen,

gibt es auch innerhalb der Gesellschaft immer öfter Zerrüttungen und Streitigkeiten.

Der Zusammenhalt und die Gemeinschaft sind die Basis für das Überleben und die

Lebensweise der Pygmäen. Die veränderten Situationen wirken sich allerdings auch

auf die einzelnen Dörfer und Familien aus. Der Wechsel zu den Frauen als

Haupternährer der Familie, wie es bei den Töpfer-Gemeinschaften der Fall ist,

stürzte die Männer dieser Gemeinschaften in eine tiefe Krise. Viele der Männer

suchten ihr Heil im Alkohol, wodurch sie auch andere Aufgaben innerhalb der Familie

nicht mehr erfüllen konnten. Dadurch kam es zu vielen Scheidungen und viele

Familien zerbrachen.573

572 Vgl. Lewis, S.10f. 573 Vgl. Lewis, S.10.

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Die Gemeinschaften werden auch bedroht, da sich die Pygmäen zusehends mit

Bantu mischen. Obwohl es viele der Bantu bzw. anderen ethnischen Stämme strikt

ablehnen, Ehen mit Pygmäen einzugehen, haben die Frauen der Pygmäen teilweise

einen sehr hohen Stellenwert, da man ihnen reinigende Kräfte zugesteht. So

verlieren die Pygmäen ungefähr 14 Prozent ihrer Frauen an andere ethnische

Gruppen, und die Anzahl der Männer und Frauen ist zu Ungunsten der Männer sehr

oft unausgeglichen. Dies führt zu Konflikten und Streit innerhalb der einzelnen Dörfer

und führt oft zu Zerrüttungen.574

8.8. Gesundheitliche Bedrohungen

Die Pygmäen lebten sehr lange isoliert von vielen anderen Bevölkerungsteilen.

Durch die Veränderung des Lebensraumes und der Lebenssituation ist es für die

Pygmäen auch hinsichtlich der Krankheiten und gesundheitlichen Bedrohung

gefährlicher geworden Viele infektiöse Krankheiten, insbesondere HIV/AIDS treten

vermehrt auf. Nach wie vor ist Malaria die häufigste Todesursache unter den

Pygmäen, und es gibt einige Projekte, die die Vorsicht und das Wissen über die

Infektionsmöglichkeiten erhöhen sollen. HIV/AIDS ist in den letzten Jahren immer

gefährlicher für die Pygmäen geworden, da sie, durch die Abholzung des Waldes in

immer engeren und häufigeren Kontakt mit anderen ethnischen Gruppen kamen und

dadurch auch in Kontakt mit HIV/AIDS. Zudem herrscht in der Bevölkerung der

allgemeine Glaube, dass Geschlechtsverkehr mit Pygmäenfrauen eine reinigende

und heilende Wirkung hat, was natürlich erheblich zur Verbreitung beträgt. Der

mangelnde Zugang zu medizinischer Versorgung trägt auch zu der schlechter

werdenden Situation der Pygmäen bei.575

8.9. Die Auswirkungen des Krieges auf die Pygmäenstämme

Der Regenwald um die Großen Seen stellt auch den Hauptschauplatz der

zahlreichen Konflikte der Region dar, in die alle Länder – teilweise zu

unterschiedlichen Zeitpunkten – involviert waren. Dabei stellte der Wald einen

Zufluchtsort für diverse bewaffnete Gruppen dar. Diese Situation hat sich in der DRC 574 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures. 575 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.8.

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trotz des Friedensabkommens und des Rückzugs der ruandischen und ugandischen

Armee nicht geändert. Nach wie vor verstecken sich die Interahamwe, ruandische

Hutu-Milizen, und Mayi-Mayi, Milizen aus der DRC in den Regenwäldern im Osten

der DRC. Durch die kriegerischen Handlungen und den Unterschlupf, den die

verfeindeten Gruppen in den Wäldern suchen, werden die Pygmäen, die meist genau

in diesen Regionen siedeln, erheblich bedroht. Viele flohen aus der Region und

leben zurzeit weit von ihrem normalen Lebensraum weg. Andere Pygmäen, die ihre

Dörfer nicht aufgaben, sind größtenteils Gefangene im Zentrum des Konflikts. Zu

keiner Seite loyal sind die Pygmäen durch alle kriegerischen Gruppen leicht

verwundbar. Die Interahamwe, die am meisten gefürchtete Miliz in der Region,

überfallen, vergewaltigen und ermorden regelmäßig Pygmäen und schrecken auf

ihrem Weg durch den Regenwald vor keinem Gewaltverbrechen zurück. Die Mayi-

Mayi haben laut Berichten die Pygmäen immer wieder dazu gezwungen, dass sie zu

Waffen greifen und aktiv in den Kampf eingreifen. Da die Mayi-Mayi aus dem Wald

heraus attackieren und operieren werden die Pygmäen sehr oft für Mayi-Mayi

gehalten und man nimmt Rache an ihnen, respektive einem ihrer Dörfer. Dabei gab

es Berichte, wonach einige Pygmäen in Standgerichten erschossen wurden und ihr

Dorf niedergebrannt wurde. Wenn die Soldaten sich aus dem Wald zurückgezogen

haben, kommen die Mayi-Mayi Milizen zu den Dörfern der Pygmäen und

misshandeln sie ihrerseits, da sie Kooperationen mit den Soldaten vermuten. Diese

Situation verdeutlicht die Verwundbarkeit und Schutzlosigkeit der Pygmäen

gegenüber beiden, respektive allen Kriegsparteien. Viele der Pygmäen wurden auch

aus diesem Grund zu nationalen Flüchtlingen, allerdings gibt es keine genauen

Zahlen.576

8.10. Beispiele der Situation der Pygmäen in der DRC577

Die Diskriminierung der Pygmäen sowie andere Benachteiligungen und

Ausnutzungen, die oben angeführt wurden, sind in auch in der DRC an der

Tagesordnung und beeinflussen das Leben der Pygmäen sehr. Die Situation der

Pygmäen in der DRC ist sehr schlecht und das manifestiert sich in unterschiedlichen

Bereichen.

576 Vgl. Lewis, S.25. 577 Siehe Anhang für einige Beispiele für Übergriffe an der Bevölkerung der Pygmäen in der DRC. (Anm. d. Autors)

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223

Auch wenn in der DRC im Vergleich zu anderen Ländern der Regenwaldanteil und

der Anteil der Pygmäen, die in den Wäldern leben noch ziemlich hoch sind, können

auch diese immer schwerer und seltener ihre traditionelle Lebensweise verfolgen.

Grund dafür ist die intensive Abholzung der Regenwälder, die neben der geringeren

Waldfläche auch erhebliche Auswirkungen auf die Tierwelt hat. Aufgrund des Lärms

der Maschinen fliehen die Tiere, und die Pygmäen müssen oft wochelang wandern,

um geeignete Tiere für die Jagd zu finden, wodurch sie oft Hunger leiden. Ebenso

handeln die Abholzungsfirmen gegen das kongolesische Recht, indem sie keinerlei

Unterstützung oder Kompensationen für die Pygmäenfamilien zu Verfügung stellen.

Die Pygmäen werden neben der Abholzung auch aufgrund anderer Bedrohungen

von ihren Wohnflächen vertrieben. Eigentum ist in der DRC nur Staatsbürgern

gestattet. Da die meisten Pygmäen keine offiziellen Papiere besitzen, können sie

kein Land erwerben. Durch diese Situation und die Bedrohung seitens der Bantu, die

oft Vertreibung oder Ländereiendiebstahl zur Folge hat, müssen die Pygmäen oft für

Andere arbeiten und werden dabei oft ausgenutzt und als Sklaven gehalten. Sofern

es Bezahlung gibt, erfolgt diese meistens nur in Form von Essen.

Die Pygmäen haben zu extrem geringer Zahl Zugang zu Bildung. In der Provinz

Orientale haben nur zwei von 1.000 Pygmäen die Möglichkeit, Bildung in Anspruch

zu nehmen. Seitens der Behörden und Politiker wird erklärt, dass es bereits

Initiativen gäbe, diese niedrige Zahl zu erhöhen und die Situation zu verbessern.

Allerdings steht die Verbesserung der Bildungssituation für die Pygmäen schon seit

Jahren auf der Agenda der Regierung ohne verwirklicht zu werden. Diese Tatsache

wird seitens der Regierung auch den Pygmäen selbst zugeschrieben, da diese es

vorziehen, ihre traditionelle Lebensweise zu leben und das Angebot der Regierung,

sie in die moderne Welt einzuführen ausschließen würden.

Ein sehr großes Problem der Pygmäen ist die weit verbreitete Armut. Ohne ihren

traditionellen Lebensraum haben sie oftmals keine Mittel, um zu überleben. Sie

müssen betteln und leben auf der Straße. Obwohl die Regierung betont, dass die

Pygmäen nicht ärmer wären als andere ethnische Minderheiten, gibt es Situationen,

die das Gegenteil offensichtlich machen. Es gibt Familien, die komplett nackt sind

und auf der Straße leben, weil sie keine Möglichkeiten und Mittel haben sich zu

kleiden. Pygmäenkinder, die die Möglichkeit haben, die Schule zu besuchen, haben

oft keine Kreiden und Tafeln und müssen ihre Aufgaben und ihre Mitschrift auf Blätter

ritzen, wodurch sie riskieren, dass alles verloren geht.

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224

Der Krieg hatte erheblich Auswirkungen auf die Bevölkerung und deren Leben. Da

sie von allen Kriegsparteien als potentielle Spione und Kollaborateure angesehen

wurde, da man sie für leicht käuflich hielt, wurde sie von allen Seiten attackiert und

missbraucht. Man zwang die Pygmäen dazu, die Soldaten durch den Wald zu führen,

die so einen Vorteil gegenüber den anderen Parteien erlangten. Sie wurden zur

Teilnahme am Krieg gezwungen. Man benutzte sie als menschliche Schutzschilder

und als Träger der Kriegsbeute. Zudem wurden sie als Spione eingesetzt, allerdings

ist das derzeit größte Problem der Missbrauch und die Vergewaltigungen der

Mädchen und Frauen der Pygmäen. Neben den physischen Schäden, die den

Pygmäen zugefügt wurden und werden, sind die unheilbaren psychischen Schäden

oft das viel größere Problem.

Auch in Friedenszeiten werden die Pygmäen als Menschen zweiter Klasse bzw. wie

Tiere behandelt und diskriminiert. Es gibt Berichte von Augenzeugen, die sahen,

dass Pygmäen mit toten Stammesoberhäuptern lebendig begraben wurden. In der

Bantugesellschaft ist es zwar verboten, sexuelle Beziehungen zu Pygmäen zu

haben, allerdings gibt es viele heimliche sexuelle Kontakte, die auch darin begründet

sind, dass den Pygmäenfrauen heilende Kräfte zugeschrieben werden. Sollten

Pygmäenfrauen aus diesen Kontakten schwanger werden, sind sie gezwungen dies

zu verbergen, um keine Züchtigungen oder andere schwere Strafen über sich

ergehen lassen zu müssen. Diese Praktiken sind der Regierung bekannt und in

Stellungnahmen wird darauf hingewiesen, dass diese mittlerweile durch das Gesetz

verfolgt würden, was allerdings in der Praxis nicht oft umgesetzt wird.578

8.11. Beispiele für die veränderten Lebensweisen der Pygmäen

Im Rahmen einer Studie, die von der Norwegian Church Aid durchgeführt wurde,

besuchten die Autoren vier Gegenden, um die Lebenssituation der Pygmäen zu

untersuchen und ihre Bedürfnisse zu definieren.

8.11.1. Idwji Insel

578 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.23.

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Die Insel Idwji liegt in der Mitte des Kivu-Sees, und es wurden darauf vier Dörfer

besucht. Insgesamt leben ungefähr 6.500 Pygmäen auf Idwji. Die Insel ist unterteilt in

zwei Verwaltungsbereiche, für die jeweils ein Oberhaupt zuständig ist. Die Pygmäen

auf der Insel sind Bambuti und absolut abhängig von der Toleranz des Oberhaupts,

der Besitzer des Landes ist und sie jederzeit von der Insel vertreiben kann. Die

Bambuti leben hauptsächlich als Bauern, Fischer und Handwerker. Sie haben

keinerlei Mittel und leben in sehr einfachen Verhältnissen. Das Oberhaupt akzeptiert

sie auf der Insel solange sie arbeiten und er sie als nutzvoll ansieht. In

Verhandlungen mit dem Oberhaupt konnten sich die Pygmäen auf einen Kauf des

Landes einigen, auf dem sie arbeiten, allerdings können sie den Preis nicht

aufbringen.

Die Fischer haben ein paar kleine Boote mit jedoch sehr wenig Ausrüstung, mit der

sie auf dem See fischen. Für die Benutzung des Sees haben sie eine Gebühr von

fünf US-Dollar zu entrichten, die allerdings für die meisten zu teuer ist. Aus diesem

Grund werden Viele beim Fischen ohne Lizenz erwischt und hart bestraft.

Es gibt auch einige Wildtiere auf der Insel aber bis auf ein paar kleine Tiere, die

erlegt wurden, als sie an den Dörfern vorbeikamen, jagen die Pygmäen nicht, weil es

ihnen nicht erlaubt ist. Alle der besuchten Pygmäen wurden auf der Insel geboren,

weshalb sie auch keinen Bezug zum Wald haben, in dem ihre Vorfahren lebten. Sie

wissen zwar, wie diese lebten, haben aber kein Interesse an dieser Lebensweise.

Die Lebenssituation der Pygmäen ist durch den Mangel an Nahrung und den

geringen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung sehr schlecht. Es gibt

eine hohe Kindersterblichkeit und die vorhandenen Schulen und Ärzte können von

den Pygmäen aufgrund der zu hohen Preise nicht besucht werden.

Die Liste der Bedürfnisse der vier Dörfer nach Priorität geordnet sieht so aus:

1. Land (dessen Besitz)

2. Bessere Ausrüstung zur Landwirtschaft und Fischerei

3. Bildung

4. Bessere Häuser

5. Gesundheit

8.11.2. Kavumu Gebiet

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Die Forscher besuchten zwei Dörfer in der Nähe des Kahuzi-Beiga Nationalparks, in

denen die vertriebenen Pygmäen aus dem Gebiet des Parks leben. Diese Pygmäen

hatten traditionell als Jäger und Sammler gelebt und wurden in eine völlig neue und

andere Umgebung vertrieben. Sie haben keinen Zugang mehr zu den Ressourcen im

Park. Wenn sie innerhalb des Parks gefangen werden, droht ihnen Gefängnis oder

eine sehr hohe Geldstrafe (US$ 200). Ein weiteres Problem, unter dem die Pygmäen

leiden, ist die Aufsplitterung der Pygmäengesellschaft aus dem jetzigen Nationalpark

in viele kleine Dörfer. Vor der Vertreibung bestand enger Kontakt zwischen den

Dörfern.

In dem Gebiet, in dem die Pygmäen jetzt leben, sind sie oft Ziel für die Interahamwe

Milizen, die sich in diesem Gebiet verstecken. Die Dorfbewohner berichteten von

Überfällen, bei denen das gesamte Dorf zerstört wurde und alle Ressourcen

gestohlen wurden.

Sie leben in Häusern, die in sehr schlechtem Zustand sind, haben zu wenig

Nahrungsmittel und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, obwohl eine Klinik

in der Nähe ist. Als sie eine Malaria und Cholera Epidemie hatten, wurde ihnen dort

die medizinische Versorgung verweigert.

Trotzdem sie ein gutes Verhältnis zu den Behörden haben, gelingt es ihnen nicht, die

Flächen, auf denen sie wohnen, zu kaufen. Sie fühlen sich wie Flüchtlinge, weil sie

Angst haben, jederzeit aus ihrem Dorf vertrieben zu werden. Immer wieder kommen

weitere Bambuti und finden als Flüchtlinge Unterschlupf in den Dörfern. Befragt nach

ihren Prioritäten, gaben sie folgende an:

1. Bessere Häuser

2. Land

3. Bildung

4. Ausrüstung für Landwirtschaft

5. Medizinische Einrichtungen

8.11.3. Goma, Masisi und die Rutshuru Gegend

In der Region um Goma nahe an Grenze zu Ruanda und Uganda besuchten die

Forscher sechs Dörfer. Bis auf zwei Dörfer waren die Pygmäen in dem Besitz des

Landes auf dem sie lebten. Sie waren entweder schon seit Generationen auf dem

Land, da ihre Vorfahren die Wälder verlassen haben, oder sie waren durch den Krieg

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gezwungen, ihre Siedlungen im Regenwald zu verlassen. Die Gegend ist noch

immer von militärischen Einheiten besetzt, und es gibt immer wieder Berichte von

Übergriffen an Pygmäen. Die Pygmäen in diesen Dörfern wollen bis auf einige

Ausnahmen nicht mehr zurück in die Wälder, leben aber dennoch in einer sehr

schwierigen Situation. Sie haben keinen Zugang zu Wasser, keine Ressourcen und

keine Ausrüstung, um Landwirtschaft zu betreiben. Ebenso wie in den anderen

Gegenden haben sie keine Möglichkeit auf medizinische Versorgung. Zudem fühlen

sie sich sehr stark von den Bantu diskriminiert Ihre Liste der Prioritäten sah aus, wie

folgt:

1. Land

2. Bessere Häuser

3. Bildung

4. Wasser

5. Medizinische Versorgung579

579 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004). The Pygmies of the Great Lakes. An assessment of the Batwa/Bambuti Situation in Burundi and Eastern part of the Democratic Republic of Congo and Batwa/Bambuti Organisations in Bukavu (DRC) and Bujumbura (Burundi), Norwegian Church Aid Occasional Paper Series No 02/2004, S.20ff.

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9. NGOs und Projekte zur Hilfe der Pygmäen der DRC

Im folgenden Kapitel werden einige Bewegungen, Projekte und Initiativen nationaler

und internationaler NGOs beschrieben. Aus diesem Grund werden zuerst einige

lokale NGOs und deren Aktivitäten und Initiativen aufgelistet und schließlich ein paar

internationale NGOs, die sich mit den Pygmäen und der Verbesserung ihrer Situation

beschäftigen, beschrieben. Dabei werden auch die Projekte kurz erläutert und die

Ziele bzw. Fortschritte erklärt.580

Die Batwa Organisationen sind seit 1994 in der ständigen Arbeitsgruppe über die

Eingeborenen Völker der Vereinten Nationen aktiv und versuchen, an einer

Verbesserung der Situation für das Volk der Pygmäen sowie einem allgemein

gültigen Regelwerk zu arbeiten. 1998 traten auch die Batwa Organisationen aus der

DRC der Arbeitsgruppe bei und waren bis zu deren Ende 2005 ständige Teilnehmer.

9.1. Ausgewählte Tätigkeiten der Pygmäen

Eine Delegation der Pygmäen aus der DRC forderte in einer Präsentation vor dem

Dauerhaften Forum der Vereinten Nationen für Angelegenheiten der eingeborenen

Völker581:

1. die Weltbank auf, zu erklären, wieso sie sich in einem Projekt zu

unmittelbaren Unterstützung der sozialen und ökonomischen

Wiedervereinigung (PSURES)582 nicht an bestimmte Direktiven für die

Vorgehensweise gegenüber eingeborenen Völker hielt.

2. die PSURES auszusetzen, bis eben dieser Operationsmodus angewandt wird.

3. die Regierung der DRC auf, unmittelbare Maßnahmen einzuleiten, die der

Armut unter den Pygmäen entgegenwirken.

4. die Regierung der DRC auf, eine Analyse einzuleiten, die die Umwelteinflüsse

auf die Pygmäen zu untersuchen, bevor weitere Konzessionen für die

Waldgebiete vergeben werden.

580 Vgl. Lewis, S.7. 581 Vgl. CAMV (2005). Declaration of the Pygmies’ organization of DRCongo at the 4th session of the United Nations Permanent Forum for the Indigenous issues in New York, Pygmies Echo, No.18, August 2005, S.7. 582 Projet de soutien d’urgence à la réunification économique. (Anm. d. Autors)

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Es gibt seit einigen Jahren auch Treffen zwischen den jungen Pygmäen aus Ruanda,

Burundi und der DRC in einem der Länder. Dabei werden die aktuellen und

wichtigsten Probleme der Pygmäen erörtert und Theorien zur Beseitigung dieser

besprochen. Diese Treffen finden meist unter der Schirmherrschaft eines

internationalen NGOs statt und werden in Zusammenarbeit mit den lokalen Gruppen

organisiert.

Außerdem sind die Pygmäen mittlerweile immer weitreichender in der Lage, sich zu

organisieren und für ihre Rechte einzutreten. So kam es 2005 zu einem Marsch von

2.300 Pygmäen, die in der Provinz Orientale in der Stadt Isiro für ihre Rechte

demonstrierten. Dies war die erste offizielle Demonstration der Pygmäen. Nach der

Demonstration kam es zu einer offiziellen Kundgebung und der vehementen

Forderung nach mehr Rechten für die Pygmäen.583

Dies sind nur zwei Beispiele für die zunehmende Organisation der Pygmäen. Die

lokalen NGOs sind in großem Maße für diese Organisation mitverantwortlich.

9.2. Lokale NGOs

Trotzdem es in manchen Ländern verboten ist, gelang es in Burundi zu Beginn der

90iger Jahre einigen Pygmäen, sich zu organisieren und eine NGO zu gründen.

Dieser Erfolg zog weitere Gründungen von NGOs mit sich und sukzessive bildete

sich ein Netzwerk von Pygmäen-NGOs, die auch über die Grenzen hinweg

zusammenarbeiteten.584

9.2.1. Centre d’accompagnement des Autochtones pygmees et Minoritaires Vulnerables (CAMV) 585

Das CAMV wurde am 29. Februar 1995 gegründet und hat seinen Sitz in Bukavu,

einer Stadt in der DRC an der Grenze zu Ruanda. Gegründet wurde es von

gebildeten Bambuti, die einerseits selbst die schwierige Situation der Pygmäen erlebt

haben und andererseits die Leiden anderer Pygmäen beobachten konnten. 583 Vgl. (2004). Declaration of the Pygmies’ organization of DRCongo at the 4th session of the United Nations Permanent Forum for the Indigenous issues in New York, Pygmies Echo, No.18, August 2005, S.7. 584 Lewis, S.6. 585 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004), S.33ff.

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Das Hauptziel des CAMV ist die absolute und globale Integration des Volkes der

Pygmäen in die moderne Gesellschaft zu sichern.

Weitere Ziele sind

• Die Rechte der eingeborenen Pygmäen zu schützen und

zu verteidigen.

• Die Aufklärung der Pygmäen über ihre Rechte und

Pflichten. Dies soll durch Seminare, Workshops, etc.

geschehen.

• Den Pygmäenfamilien durch humanitäre Hilfe

beizustehen.

• Aktivitäten: Entwicklungshilfe (Kleidung, Pflanzen,

Ausrüstung, etc.)

• Information und Kommunikation (Verfassen von Studien,

etc.)

• Bildung, Forschung und Training (Die CAMV hat kleine

Büros gegründet, die in verschiedenen Pygmäendörfern,

in denen Freiwillige als Lehrer arbeiten.

• Arbeit mit Themen, die mit Menschenrechten

zusammenhängen.

• Umweltschutz

• HIV/AIDS

9.2.1.1. Tätigkeitsbereich

Die Priorität ihres Tätigkeitsbereichs in den östlichen Teilen der DRC und dabei

speziell in der Provinz Süd-Kivu. Allerdings breitet sich ihr Tätigkeitsbereich immer

weiter Richtung Norden aus und es bestehen bereits Komitees der CAMV in der

Provinz Nord-Kivu. Das CAMV ist eine nationale Organisation, die in der ganzen

DRC tätig ist und hat auch regen Kontakt mit Organisationen in Brunundi.

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9.2.1.2. Netzwerk

Die CAMV verfügt über lokale, regionale und internationale Partner und verfügt somit

über ein sehr fundiertes Netzwerk.

Lokale Partner: CARITAS, RAPY (Netzwerk der Pygmäen für die östliche DRC)

Regionale Partner: IPACC586 (Südafrika), CAURWA587 (Ruanda)

Internationale Partner: MRG588–UK, Rainforest Foundation – UK, ICCO589 (Holland),

Front Line (Irland),

9.2.1.3. Finanzierung

Die CAMV finanziert sich grundsätzlich selbst und bekommt nur geringe

Förderungen von internationalen Sponsoren. Die Finanzierung des NGOs wird auch

intern überprüft und überwacht. Die Finanzierung kann nach Anspruch geändert

werden.

9.2.1.4. Analyse der Arbeit

NCA hat in einem Report das CAMV als eines der wichtigsten und glaubwürdigsten

NGOs, die sich mit Pygmäen beschäftigen, eingestuft. Durch die jahrelange Arbeit

gelang es dem CAMV sich in den Siedlungsgebieten der Pygmäen zu etablieren. Die

Organisation wird auch unter den Pygmäen angesehen und geschätzt, weil sie ihnen

in der Vergangenheit helfen konnten. Zudem wurde das CAMV als glaubwürdig

hinsichtlich ihres Hauptzieles eingestuft. Dies ist deshalb von großer Bedeutung, weil

der Unterschied zwischen Integration und Assimilation oft nicht beachtet wird. Die

Arbeit des CAMV wird hinsichtlich dieser Frage als eindeutig integrativ und somit

Kultur erhaltend eingestuft. Einziger Kritikpunkt der NCA ist die mangelnde

Transparenz im finanziellen Bereich, da es keine externe Kontrolle der Finanzierung

gibt.

586 Indigenous People of Africa Coordinating Committee. (Anm. d. Autors)

587 Rwandese Community of Indigenous People Organisation. (Anm. d.Autors) 588 Minority Rigths Group (Anm. d. Autors) 589 Interchurch organisation for development co-operation. (Anm. d. Autors)

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9.2.2. Union Pour L’emancipation de la Femme Autochtone (UEFA) 590

Die Etablierung der UEFA war zu Beginn sehr schwierig, da von vielen Männern

nicht toleriert bzw. akzeptiert wurde, dass die NGO sich nur für die Frauen einsetzt.

Die UEFA wurde 1998 gegründet und beschäftigte sich mit Themen wie Gesundheit,

Hygiene und Alphabetisierung. Ein Projekt für Mikro-Kredite scheiterte an

Missverständnissen und zu wenig Information. Andere Projekte scheiterten meist an

der Sabotage und den Attacken der Interahamwe. Ihre Zielgruppe sind die Bambuti-

Frauen in Süd-Kivu.

Ihre Ziele sind:

• Wieder stärker Bewusstscheinschaffung auf der Ebene der Basis

insbesondere unter Frauen.

• Unterstützung der sozioökonomischen, legalen und kulturellen

Initiativen für Frauen in der DRC und in Afrika generell.

• Aufklärung über die Möglichkeiten der gegenseitigen Hilfe unter

Eingeborenenfrauen,

• Diskriminierung der Bambuti-Frauen

• Unterstützung langfristiger Entwicklungshilfeprojekte

• Schaffung von Plattformen auf denen sich Eingeborenenfrauen

Gehör verschaffen können.

• Mutter/Kind Schutz

Neben aktiver Entwicklungshilfe im Bereich des Aufbaus von Schulen, Unterstützung

bei der Umstellung der Wirtschaft auf Viehzucht und Hilfe bei der

Handarbeitsproduktion, arbeitet die UEFA auch an der aktiven Aufklärung der

Pygmäen über die respektive ihre Menschenrechte. Zudem arbeiten sie speziell mit

Frauen die Opfer von Gewalt wurden – auch innerhalb der Gesellschaft der

Pygmäen bzw. ihrer eigenen Männer.

590 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004), S.35ff.

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9.2.2.1. Tätigkeitsbereich

Die UEFA hat Büros in Kinshasa, Bukavu und Goma. Sie haben einige Beobachter in

unterschiedlichen Dörfern der Pygmäen. Ihr Hauptzielgebiet ist die Provinz Süd-Kivu.

9.2.2.2. Netzwerk

Das Netzwerk der UEFA ist nicht sehr groß. Es gibt nicht viele Kooperationen.

Hauptpartner ist RAPY591 aus Ruanda.

9.2.2.3. Finanzierung

Die UEFA hat ihre eigene Finanzverwaltung und übermittelt jedes Jahr einen

kontrollierten Bericht über die finanziellen Tätigkeiten der UEFA. Sie werden als

solide Organisation akzeptiert und haben eine solide finanzielle Basis.

9.2.2.4. Analyse der Arbeit der UEFA

Die NCA stuft die Arbeit der UEFA als sehr wichtig für die Stärkung der Pygmäen

ein, da sich die Organisation primär mit den Frauen beschäftigt. Die Mitarbeiter und

Koordinatoren werden als sehr engagiert eingestuft. Außerdem sieht die Analyse die

Inhalte als essentiell für die Entwicklung der Frauenrechte an und die Organisation

an sich als finanziell gesichert und fundamentiert.

591 Reseau des Associations Autochtones Pygmees – Network of Pygmy Indigenous Organisations. (Anm. d. Autors)

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9.2.3. Programme d’Integration et de development du peuple Pygmee au Kivu (PIDP) 592

Das PIDP, das sich mit Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Entwicklung für die

Bambuti beschäftigt, wurde 1991 gegründet. Die Organisation publiziert alle drei

Monate einen Rundbrief und betreibt eine Radiosendung. In dieser Sendung, die

„Die Stimme der Vergessenen“ heißt wird jeden Montag in Französisch gesendet

Jeden Freitag wird eine Sendung für die Bambuti in Swahili gesendet.

Die Ziele dieses NGOs sind einerseits die Stärkung und der Schutz der Rechte und

der Interessen andererseits und die Anerkennung der Rechte der Bambuti. Des

Weiteren sollen die Pygmäen in einen sozioökonomischen Entwicklungsprozess

integriert werden.

Um diese Ziele zu verwirklichen, unterstützt das PIDP die Pygmäen hinsichtlich der

Wahrung und der Information über ihre Rechte. Es gibt einige Projekte im Bereich

Gesundheit, Hausbau, Bildung und Unterstützung bei Vieh- und Landwirtschaft.

Zudem ist das PIDP auch im Umweltschutz aktiv, um den Lebensraum der Pygmäen

zu erhalten. Ihr Tätigkeitsgebiet ist in Süd- und Nord-Kivu und Maniema tätig.

Das PIPD greift auf ein weltweites aber auch lokales Netzwerk zurück, um bei den

Projekten Unterstützung zu finden. Lokal und regional arbeiten sie mit anderen

NGOs zusammen, die sich mit Minderheitenschutz und speziell den Pygmäen

beschäftigen. Internationale Partner findet das PIDP sowohl in INGOS wie auch IOs.

9.2.3.1. Finanzierung:

Die PIDP hat eine eigene Buchhaltung und übermittelt Berichte über ihren

finanziellen Status und haben, wenn es verlangt wird, externe Prüfer.

592 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004), S.38ff.

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9.2.3.2. Analyse der Arbeit der PIDP

Durch die organisatorischen Probleme, die es immer wieder innerhalb der

Organisation gab, entstanden Spannungen in den Beziehungen zwischen

dem PIDP und den anderen Organisationen. Zudem wird es als kritisch

angesehen, dass das PIDP nicht Mitglied des RAPY-Netzwerks ist, welches

unter den Pygmäen sehr hohes Ansehen genießt. Allerdings konnte seitens

des PIDP kein Grund genannt werden, wieso man die Mitgliedschaft

zurückzog.

9.3. Internationale NGOs

9.3.1. Pygmee Kleinood593

Diese NGO ist in Holland ansässig und arbeitet seit 1989 mit den Pygmäen in der

DRC. Dabei arbeiten die Mitarbeiter durch regelmäßige Besuche und Initiativen mit

lokalen Unterstützern und Sympathisanten eng zusammen. Diese Unterstützung ist

auch essentiell für den Erfolg der Arbeit der NGO, da sie sehr klein ist. Durch das

große Wissen, dass die Mitarbeiter im Laufe der Jahre über die Pygmäen, der

Lebensweise und Kultur erwerben konnten, sind sie auch für viele andere größere

NGOs wichtige Ansprechpartner und ein wichtiger Bestandteil des Netzwerks für

Pygmäen.

Die Projekte beziehen sich auf die Bildung der Pygmäen im Erwachsenenbereich

und für Kinder, und die Information über die Möglichkeiten und Rechte, eine

Organisation auf der Ebene der Basis zu schaffen. Auch medizinische Unterstützung

ist eines der wichtigsten Projekte, ist aber aufgrund der mangelnden Medikamente

und speziell aufgrund der finanziellen Lage sehr schwierig effizient durchzuführen.

Ein weiteres sehr großes Projekt, das in den letzten Jahren immer mehr an

Bedeutung gewonnen hat, ist der Kampf gegen die immer schneller

voranschreitende Abholzung des Regenwaldes und somit der Zerstörung des

Lebensraumes der Pygmäen.

Die NGO Pygmees Kleinood arbeitet, neben den internationalen NGOs, auch sehr

eng mit einem Informationszentrum CIDOPY in Goma zusammen, mit dem sie auch

in verschiedenen Projekten kooperieren. 593 Vgl. Pygmeen Kleinood, Generelle Information.

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Die Probleme, mit denen die NGO zu kämpfen hat, sind neben der Finanzierung die

häufige Unwissenheit und die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit den

Pygmäen. Vielfach, so der Leiter des Institutes, sei zu beobachten, dass die

Entwicklungshelfer oder Projektplaner kein Wissen über die Lebensweise der

Pygmäen hätten und aus diesem Grund nicht effizient mit ihnen zusammenarbeiten

könnten.

9.3.2.Rainforest Foundation – UK (RF) 594

Die RF hat mehrere Projekte in den Ländern des zentralen Afrikas, um die Pygmäen

zu unterstützen und den Regenwald zu schützen. Eines der Projekte wurde 2003 mit

lokalen NGOs zusammen gestartet, und hieß „Strengthening the Rights of the Pygmy

People in Cameroon, Republic of Congo and DRC“.

Im Rahmen dieses Projektes gab es große Initiativen, um die Situation der Pygmäen

auf allen Ebenen und Problembereichen, mit denen die Pygmäen zu kämpfen haben,

zu verbessern. Neben der Zusammenarbeit mit den lokalen Partnern kam es im

Rahmen dieses großen Projektes zu intensiver Unterstützung von 40 lokalen NGOs

für deren Projekte.

In einer Analyse des Projektes kam es zu Verbesserungen in einigen Bereichen:

• Erweiterung des Wissens und Bewusstseinsbildung über die Rechte des

Volkes der Pygmäen unter der verschiedenen Akteuren und den Pygmäen

selbst.

• Teilweise Änderungen der Wahrnehmungen und Einstellung zu den Pygmäen.

• Vielfache Installation von effektiven Mechanismen zum Schutz der Rechte der

Pygmäen.

• Stärkung der Möglichkeiten der lokalen NGOs und

Eingeborenenorganisationen.

• Information über den Gesetzeskodex über den Regenwald.

• Beginn der Verzeichnung der Pygmäengemeinschaften auf den Karten.

• Größere Miteinbeziehung der lokalen NGOs in die Projektplanung.

• Intensiveres Lobbying im internationalen Bereich.

594 Diese Liste lässt sich sowohl bei den NGOs wie auch bei den IOs noch länger fortsetzen. Hier sind nur einige Beispiele angeführt. (Anm. d. Autors)

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Trotz geringer Fortschritte in den oben angeführten Bereichen gibt es nach wie vor

noch sehr viel Handlungsbedarf bezüglich der Rechte der Pygmäen in den

zentralafrikanischen Ländern. In allen Bereichen besteht weiterhin sehr großer

Rückstand auf die anderen ethnischen Gruppen. Die Diskriminierung der Pygmäen

ist weiterhin tagtäglich offensichtlich und die Rechte werden vielerorts weiterhin

ignoriert.595

Es gibt noch weitere zahlreiche internationale NGOs und IOs, die sich mit dem

Schutz der Pygmäen beschäftigen. Einige dieser NGOs sind, IPACC (Südafrika),

Forest People Project oder Survival International. Die Internationalen Organisationen

sind neben der Vereinten Nationen die EU, FAO, UNESCO oder die Weltbank.

595 Vgl. Asfaha, Shoa (2006). Strengthening the Rights of Pygmy People in Cameroon, Republic of Congo and the Democratic Republic of Congo, Rainforest Foundation, May 2006, S.5ff.

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10. Analyse

Eine Tatsache überschattet die Diskussion der Wissenschaft sowie der nationalen

und internationalen Gemeinschaft seit Beginn der Diskussion um die Minderheiten im

16.Jahrhundert vor ein Problem, nämlich: „Wie lautet die Definition für Minderheit?“.

Über die Jahre hat sich die Definition von Minderheit stark gewandelt bzw. wurde

verbreitert und damit nicht unbedingt spezifischer. Wurde ersten Jahrhunderten nach

dem erstmaligen vorsichtigen Antasten der Diskriminierung von Volksgruppen der

Begriff Minderheit noch sehr vorsichtig und in Zusammenhang mit dem Grund für die

Diskriminierung, etwa Religion oder Sprache, genannt, so versuchte man im letzten

Jahrhundert eine allgemein gültigere Definition zu schaffen. Um es vorweg zu

nehmen, diese Aufgabe ist meiner Meinung nach aus mehreren Gründen

gescheitert.

Viele Wissenschafter haben versucht Kriterien aufzustellen, die allgemeine Gültigkeit

haben und eine Minderheit als solche zu definieren. Trotz Definitionen, die zwar

anerkannt sind, weil sie der Vorstellung einer Definition am nächsten kommen, gibt

es keine allgemein gültige bzw. keine definitiven Kriterien, die zur Bestimmung der

Minderheiten dienen. Die am meisten anerkannten Definitionen versuchen zwar eine

umfassende und generelle Definition von Minderheiten zu geben, doch das ist

meiner Meinung nach nicht gelungen. Es gibt unzählige Minderheiten rund um den

Globus und dadurch ist es nur schwer möglich vier oder fünf Kriterien zu bestimmen,

die eine Minderheit definieren. Dabei sind grundsätzlich nicht die Kriterien an sich

unzutreffend, sondern man muss die Analyse und Eigenschaften eine Ebene tiefer

ansetzen. Die Merkmale, die Minderheiten, um sie umfassend und generell zu

gestalten, müssen in verschiedene Kategorien aufgespaltet und restrukturiert

werden. Am Ende dieser Studie wird ein Versuch unternommen, dies zu tun, wobei

darauf hingewiesen werden muss, dass diese, von mir erstellten Definitionskriterien

auch keine allgemeine Gültigkeit besitzen. Diese Merkmale erschienen mir als

logische und passend hinsichtlich der hier durchgeführten Analyse der Situation der

Pygmäen. Zudem wird versucht die Definitionskriterien möglichst allgemein gültig zu

bestimmen.

Das Thema Minderheitenschutz hat sich im Laufe der Jahrhunderte parallel mit dem

Begriff entwickelt, was bedeuten soll, sehr langsam und unbestimmt. Die ersten

Bestrebungen, Minderheiten zu schützen bezogen sich nur auf religiöse

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Minderheiten. Später kamen nationale Minderheiten hinzu. Erste Versuche einer

allgemeinen Rechtsgrundlage zum Schutz von Minderheiten wurden im Rahmen der

Gründung des Völkerbundes unternommen. Diese scheiterten ebenso wie spätere

Versuche in den Vereinten Nationen oder anderen internationalen bzw. regionalen

Staatenbünden. Die Verabschiedung der Menschenrechtscharta durch die Vereinten

Nationen ist als Erfolg einzustufen kann aber nicht spezifisch auf Minderheiten

angewandt werden. Dies ist ein allgemein gültiger Rechtskatalog, welcher alle

Menschen umfasst. In Bezug auf Minderheiten muss jedoch in vielen Fällen auf die

jeweiligen Umstände Rücksicht genommen werden, welche es oft verlangen, dass

diese Gruppen geschützt werden.

Erst durch den Internationalen Pakt über die zivilen und politischen Rechte wird das

Thema Minderheiten, wenn auch nicht wirklich zentral, behandelt. Die Vereinten

Nationen intensivierten ihre Arbeit in den 80iger Jahren und gründeten

Arbeitsgruppen und Kommissionen, die sich mit dem Schutz von Minderheiten

beschäftigen. Ein Grund, warum es keine allgemeine Regelung zum

Minderheitenschutz gibt, ist die Tatsache, dass die Definition, die in den

Diskussionen der Vereinten Nationen verwendet wird, nicht von allen anerkannt wird.

Ebenso sind die Staaten oft sehr unterschiedlich gewillt, Souveränität abzugeben,

wodurch sich nur sehr schwer eine Einigung zum Thema Minderheiten erzielen lässt.

Neben den Bemühungen der Vereinten Nationen gab es auch in Afrika Abkommen

über Minderheitenschutz. Diese Rechte wurde allerdings nicht explizit in einer

Deklaration für den Schutz von Minderheiten festgelegt, allerdings gab es eine

Erklärung über die Rechte der Menschen, worin auch Paragraphen verankert, die

sich mit den Rechten der Minderheiten beschäftigen. Dieses Abkommen ist von allen

afrikanischen Staaten, mit Ausnahme Marokkos, angenommen worden. Trotzdem ist

dies kein effektives Organ, das dem Schutz von Minderheiten dient. Es ist eine

Institution, die sich zwar Verletzungen bezüglich der Menschenrechte erkennen und

feststellen kann, hat aber keinerlei Sanktionsmandat. Die Rechte für die

Minderheiten im Abkommen der Afrikanischen Union sind zwar verankert, aber es

gibt keine wirksamen Mechanismen, um deren Einhaltung zu überprüfen.

Diese mangelnde Effektivität im Bereich Minderheitenschutz hängt klar mit dem

Fehlen einer allgemeinen Definition des Begriffs zusammen. Es ist schwierig etwas

zu schützen, von dem man nicht weiß, was es wirklich ist. Es steht nach wie vor den

Staaten frei, eine eigene Definition für sich zu finden und leider geschieht das oftmals

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sehr subjektiv. Der Status einer Minderheit wird in vielen Fällen von Fall zu Fall

entschieden bzw. verliehen, wodurch nicht alle Gruppen, die vielleicht andere

Kriterien als die geforderten erfüllen, die sie ebenso zu einer Minderheit machen

würden, geschützt werden. Diese Problematik bestätigt die erste Hypothese, die

dieser Studie zugrunde liegt, wonach es keinen effizienten Minderheitenschutz bzw.

kein Regelwerk hinsichtlich dieses gibt, da bisher keine allgemein anerkannte

Definition des Begriffs Minderheit entworfen werden konnte.

Die Demokratische Republik Kongo, auch ein Mitglied der Afrikanischen Union, gilt

als eines der gefährlichsten und am meisten zerrütteten Länder der Welt. Die lange

Geschichte als Kolonialstaat Belgiens und die damit verbundene Ausbeutung

hinterließen bis heute ihre Spuren.

Mit der Machtübernahme von Mobutu begannen drei Jahrzehnte Diktatur, die von

Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen und Korruption geprägt waren. Während

dieses Regimes durchlief das Land mehreren Richtungswechsel hinsichtlich ihrer

politischen Strategien unterzogen. Nachdem Mobutu sich ursprünglich als Retter der

Nation – für den er sich bis zu seinem Tod 2003 hielt – gab und eine Politik einführte,

die wieder auf die Wurzeln der afrikanischen Traditionen setzte und die Wirtschaft

verstaatlicht wurde, wechselte er aufgrund internationaler Einflüsse gegen Ende

seiner Amtszeit zu einer liberaleren Politik. Diese Wandlung der Politik leitete auch

den Prozess der Transition, wie er theoretisch definiert wird, ein. Mobutu war durch

eine schwächer werdende Machtposition, sowohl aufgrund externer wie interner

Faktoren, eine teilweise Liberalisierung einzuleiten. Dadurch wurde ein

Transitionsprozess begonnen, der sich in mehrere Phasen gliederte.

Mobutu wurde durch einen Militärputsch, der unblutig durchgeführt wurde, als

Präsident abgesetzt, und sein Nachfolger war Laurent Desirée Kabila. Auch unter

seiner Herrschaft kam es zu keiner realen Verbesserung, was die

Menschenrechtssituation sowie die allgemeine Situation im Land betraf. Da diese

erste Phase bzw. der erste Versuch eines Systemwandels im Kongo nicht von Erfolg

gekrönt war, wurde durch den Versuch der militärischen Machtübernahme und dem

Ausbruch des zweiten Kongokrieges die zweite Phase der Transition eingeleitet.

Während des Krieges und nach dem Scheitern der ersten Friedensbemühungen, die

sehr stark von internationalen insbesondere afrikanischen Akteuren eingeleitet

wurden. fiel L.-D. Kabila einem Attentat zum Opfer und sein Sohn wurde als

Präsident eingesetzt. Die Bevölkerung hoffte auf einen schnellen erfolgreichen

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Friedensprozess, da der Kongo zu diesem Zeitpunkt sehr stark zerrüttet und von den

Auswirkungen des Krieges gezeichnet war. Dies stellte sich allerdings als sehr

langwierig heraus, weil die Allianzen, die sich in der Zwischenzeit auf beiden Seiten

bebildet haben, durch ihre unterschiedlichen Forderungen nur schwer einigen

konnten. Schließlich kam es durch die Vermittlung Südafrikas und der Afrikanischen

Union zu einer Übereinkunft, die den Truppenabzug der Invasoren vorsah. Diese

Einigung stellte den Übergang in die dritte Phase der Transition dar. Die

Verhandlungspartner einigten sich auf eine Transitionsverfassung und -regierung, die

ihre Arbeit aufnehmen und den Staat auf die ersten freien Wahlen vorbereiten sollte.

Zudem arbeitete man innerhalb der neuen Regierung an einer neuen Verfassung, die

Ende 2005 in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde.

Diese Verfassung trat dann im Februar 2006 in Kraft. Die Wahlen, die schließlich im

Herbst 2006 stattfanden und die Regierung, die zu Beginn 2007 ihre Arbeit aufnahm

bedeuteten allerdings nicht, wie vielfach angenommen das Ende der

Transitionsperiode. Die Theorie geht davon aus, dass die Institutionen, die neu

gegründet werden, effektiv und legitim arbeiten müssen, um eine Demokratisierung

zu gewährleisten. Im Fall des Kongo ist dies allerdings noch nicht vollständig

gegeben. Die Institutionen sind bisher nominell, weil das Prozedere und die

Aufgabenverteilung sowie die Besetzung nach demokratischen Prinzipien verlief.

Allerdings ist die Regierung nicht in der Lage auf dem gesamten Staatsgebiet ihre

Macht auszuüben. Dadurch ist sie in ihrer Handlungsfreiheit und Souveränität

eingeschränkt. Diese Tatsache macht deutlich, dass der Demokratisierungsprozess

noch nicht abgeschlossen ist und sich die DRC nach wie vor im Transitionsprozess

befindet.

Diese Umstände bzw. diese Situation deckt sich mit den Annahmen in den

Hypothesen zwei und drei, die dieser Arbeit zugrunde liegen, wodurch diese

verifiziert werden können.

Dass Kabila versuchte, die DRC wieder international zu etablieren und die Kontakte

und Unterstützung der internationalen Akteure für die Stabilisierung des Landes zu

bekommen, zeigte sich bereits vor seiner Wahl während der Übergangsphase

deutlich. Der internationale Einfluss in der DRC ist seit dem Beginn der

Friedensverhandlungen wieder verstärkt worden. So gab es Zusagen für

Unterstützungen der Weltbank und des IMF, bei erfolgreichen

Friedensverhandlungen.

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Auch die Vereinten Nationen sind in der DRC seit Ausbruch des Krieges 1998 mit

einer Mission namens MONUC vor Ort. Diese Mission umfasst mittlerweile mehr als

18.000 Soldaten und wurde erst kürzlich verlängert. Dabei ist neben der

Stabilisierung und Überwachung der Situation, die Demilitarisierung der Milizen in

den östlichen Urwaldregionen eine zentrale Aufgabe der MONUC-Truppen.

Die internationale Gemeinschaft ist an einem Wiederaufbau des Kongo interessiert

und bemüht sich auch um diesen. Allerdings ist die Unterstützung an die eigene

Initiative der Machtinhaber in der DRC gebunden. Man will dabei seitens der

internationalen Akteure in der Lage sein, sich ohne großen Protest zurückziehen zu

können, wenn sich die Lage wieder verschlechtert. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen

Hilfen unterstützt die UN-Friedensmission die kongolesische Regierung auf ihrem

Territorium. Diese Mission jedoch ist seit Beginn durchwachsen und zeigt ebenso die

Unsicherheit der internationalen Akteure, im Kongo aktiv zu werden.

Grundsätzlich ist durch diese Fakten die Hypothese fünf zu verifizieren.

Die Regierung Kabila jun. hat auch mit Hilfe der neuen Verfassung einige

Reformpläne, die sich allerdings in vielen Fällen nur schleichend umsetzen lassen.

Trotz der Mehrheit im Parlament und der Beschlussfähigkeit ist die politische

Landschaft nach wie vor instabil, weil sie aus Koalitionen besteht, die teilweise auch

nicht als sehr stabil angesehen werden können. Ein weiterer Grund für die Probleme

bei der Regierungsarbeit ist, dass die Staatsgewalt, wie bereits erwähnt, nach wie

vor nicht über das ganze Staatsgebiet ausgeübt werden kann. In vielen Gebieten, vor

allem im Osten verschanzen sich weiterhin viele Milizen aus Uganda und Ruanda

sowie Rebellengruppen. Diese kontrollieren viele Gebiete, wodurch die Verwaltung

dieser Gebiete seitens der Regierung sehr schwierig ist.

Die Situation der DRC ist geprägt von sozialen Problemen der Bevölkerung.

Allerdings ist es durch die Größe des Landes und die große Bevölkerung schwer die

gesamte Auswirkungen und die Situationen nur schwer zu analysieren. Ebenso

lassen die Zahlen über Bildung und medizinische Versorgung aus den letzten Jahren

auf eine nach wie vor sehr schlechte Situation schließen. Auch die Tatsache, dass

die Regierung erst seit einem halben Jahr offiziell im Amt ist und die

Übergangsphase von vielen Machtkämpfen geprägt war, trägt zur nach wie vor

schlechten sozialen Situation innerhalb der DRC bei. Ob diverse Initiativen der

Regierung Wirkung zeigen wird sich erst in den Jahren untersuchen lassen, da es an

aktuellen Statistiken und Zahlen mangelt.

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Somit ist die Hypothese sechs deutlich zu verifizieren.

Die neue Verfassung sieht auch den Schutz von Minderheiten hinsichtlich ihrer

Sprache und Kultur vor. Allerdings werden darin keine Schutzmechanismen an sich

beschrieben. Das bedeutet, dass alle Kongolesen, die einer Minderheitengruppe

angehören, das Recht auf die freie Ausübung ihre Kultur haben, ohne deswegen

diskriminiert zu werden. Schwierig hierbei ist der Begriff Kongolesen. Dies legt nahe,

dass nur Staatsbürger von diesem Schutz betroffen sind. Die fehlende Definition

lässt auch hier sehr viel Spielraum für Interpretationen.

Dieser Teil unterliegt einer persönlichen Analyse der Verfassung des Autors und ist

nicht wissenschaftlich fundiert, da die Regierung noch zu kurz im Amt ist, um

nennenswerte Ergebnisse erkennen zu können. Aufgrund dieser Interpretation der

Verfassung ist die Hypothese sieben grundsätzlich zu verifizieren.

Eine ethnische Gruppe bzw. ein Volk, das in diese Grauzone der Verfassung fällt

sind die Pygmäen. Die Pygmäen sind ein Volk, das aus unterschiedlichen Stämmen

besteht und sich auf mehrere Länder Zentralafrikas, in denen es Regenwalgebiete

gibt, verteilt.

Die Kultur der Pygmäen zeichnet sich durch eine Art Symbiose mit dem Regenwald

aus, da sie alles, was sie zum Leben brauchen, darin finden können. Außerdem ist

die Gesellschaft auf beinahe absolute Gleichberechtigung ihrer Mitglieder

unabhängig von Geschlecht und Alter aufgebaut. Innerhalb eines Pygmäendorfes

gibt es auch kein Oberhaupt, das heißt Macht im herkömmlichen Sinne ist nicht

bekannt. Das Oberhaupt einer Gemeinschaft ist nur ein aufgrund seiner Erfahrung

angesehener Dorfbewohner, der ausschließlich als moralischer Berater dient. Wenn

Führungsrollen vergeben werden, so geschieht dies ausschließlich temporär und für

spezifische Bereiche. Ebenso wird in den Dörfern basisdemokratisch entschieden,

wodurch jedes Mitglied der Gemeinschaft den gleichen Stellenwert hat. Diese

Konsensentscheidungen sind institutionalisiert und vermutlich das, unserem

Verständnis von Politik am nächsten kommende, Element der Kultur der Pygmäen.

Vielfach besteht keine Bildung und existiert kein Wissen bzw. Verständnis über

politische Prozesse und Vorgehensweisen. Dadurch haben die Pygmäen auch keine

Vorstellung, wie das größere System, in dem sie sich befinden funktioniert. Teilweise

besteht auch kein Interesse dies zu ändern, da sie in ihren Subsystemen und mit

ihren traditionellen Lebensweise bisher erfolgreich waren, wodurch sie keinen Grund

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sehen, das ändern zu wollen. Diese Ansicht hängt allerdings unmittelbar mit dem

Bildungsgrad zusammen, denn Pygmäen, die in den Genuss von einer höheren

Bildung gekommen sind – und davon gibt es nach wie vor erschreckend wenige –

erkennen den unmittelbaren Zusammenhang der Situation der Pygmäen mit deren

mangelnden Verständnis des Systems. Mangelnde Bildung ist auch der Grund für die

Schwierigkeiten, die eigenen Interessen zu kommunizieren. Dadurch ist eine

Verbesserung der Situation zusätzlich erschwert.

Dies verifiziert Hypothesen acht und neun.

Es gibt Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Stämmen der Pygmäen.

Diese sind einerseits sprachlich und andererseits in der Lebensweise begründet.

Viele der Pygmäen, die nicht in der DRC siedeln gehen anderen Lebensformen

nach. Teilweise sind die Pygmäen auch in die Gesellschaft assimiliert, wobei diese

Initiativen oft von den Stämmen selbst ausgingen, da sie ihre traditionelle

Lebensweise nicht mehr ausüben konnten. Weitere Unterschiede liegen in diversen

Riten und Jagdformen. Allerdings ist die Verbindung der Pygmäen zum Wald sehr

traditionell und viele Stämme und Dörfer nach wie vor essentiell.

Es besteht ein Selbstverständnis als Pygmäen, aber diese kulturellen und

sprachlichen Unterschiede erschweren eine wirkliche Homogenität. Vielfach spielt

auch das mangelnde oder Nicht-Wissen über die Situation und die Tatsache, dass

die anderen Stämme mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind dazu, dass die

Organisation erschwert wird. Es gibt Organisationen und Gruppierungen auch von

Seiten der Pygmäen selbst, allerdings haben diese mit erheblichen

Kommunikationsproblemen zu kämpfen und schaffen es nur schwer, sich zu

koordinieren. In manchen Fällen mangelt es auch an Unterstützung, weil die

Situation in den verschiedenen Ländern Zentralafrikas unterschiedlich ist. In

manchen Ländern sind die Pygmäen bereits teilweise integriert bzw. wurden

assimiliert, wodurch sie sich in einer anderen Situation befinden als andere Stämme

in Nachbarländern.

Die Pygmäen, die in der DRC leben kämpfen mit erheblichen Problemen, ihre Kultur

erhalten zu können. Viele Dorfgemeinschaften wurden von dem Land, das sie seit

Generationen, teilweise sogar seit Jahrhunderten, bewohnen, vertrieben. Sie wurden

gezwungen, neue Lebensweisen anzunehmen, wodurch viele als Bauern, Töpfer,

Handwerker oder Fischer arbeiten und versuchen, ihren Lebensunterhalt zu

verdienen. Durch diese neuen Lebensweisen waren intensiver mit der restlichen

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Bevölkerung konfrontiert, die starke Vorurteile gegen die Pygmäen hegt und sie

dementsprechend diskriminiert. Viele der Pygmäen arbeiten, nachdem sie von ihrem

Land vertrieben wurden, als Tagelöhner und Knechte.

Die unterschiedlichen und neuen Lebensweisen führen sehr oft auch zu

innergemeinschaftlichen Konflikten. Viele Pygmäen haben Schwierigkeiten mit ihrer

eigenen Identität, die sie im Laufe der Geschichte immer wieder änderten. Von

Jägern und Sammlern wurden sie teilweise zu Handwerkern, zu Bauern oder

Töpfern. Allerdings war es ihnen durch Diskriminierung teilweise auch nicht möglich,

diese Berufe auszuüben bzw. ihren Lebensunterhalt dadurch zu bestreiten. Die

veränderten Identitäten führten auch innerhalb der Dörfer zu Differenzen, da die

Männer ihre Rolle als Haupternährer der Familie teilen mussten bzw. teilweise

verloren. Aus diesem Grund fühlten sich viele Pygmäenmänner nutzlos und suchten

Trost im Alkohol, was zu weiteren Problemen führte. Viele Familien sind zerrüttet

oder zerbrochen, und die Pygmäen scheitern zusehends daran, ihre eigene Identität

zu finden.

Dadurch werden durch diese Argumentation die Hypothesen neun und zehn

verifiziert.

Als vielleicht größtes Problem neben der Diskriminierung und als Basis aller anderen

Benachteiligungen und Verweigerung aller Rechte ist die Staatsbürgerschaft. In der

DRC gelten die Rechte für alle Staatsbürger, die im Besitz eines Personalausweises

sind. Die Pygmäen, die oft nicht über ihre Rechte aufgeklärt sind, verfügen aus

mehreren Gründen sehr selten über eine Staatsbürgerschaft. In vielen Fällen sind die

Verwaltungsbehörden zu weit von ihren Siedlungsgebieten entfernt. Zudem fehlen

ihnen oft die nötigen Unterlagen bzw. das nötige Geld. Oft wird ihnen die Ausstellung

eines Ausweises auch einfach verweigert. Da viele Pygmäen keinen Ausweis

besitzen, wird sehr oft damit argumentiert, dass ihnen offiziell keine Rechte

zustünden, weil sie keine Staatsbürger der DRC sind.

Der Ausweis und die damit verbundene Anerkennung als Staatsbürger ist auch die

einzige Möglichkeit sich Zugang zum politischen System zu verschaffen. Eine

Registrierung für Wahlen und Abstimmungen ist nur für Bürger der DRC möglich. Es

gibt keine Repräsentanten der Pygmäen auf der politischen Ebene, weder national

noch regional. Viele der Pygmäen interessieren sich nicht für Politik oder sie

resignieren und gehen nicht zu den Wahlen bzw. lassen sich nicht nominieren, weil

sie sich keine Chancen auf einen Gewinn ausrechnen.

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Die Pygmäen haben kaum Zugang zu Bildung, Arbeit und medizinischer Versorgung.

Sie werden aus ihren Lebensräumen vertrieben und haben keinen Anspruch auf das

Land, obwohl sie es seit Jahrhunderten bewohnen. Ihnen werden ihre Rechte

verweigert, weil sie in vielen Fällen keine offiziellen Staatsbürger der DRC sind.

Zudem sind sie Opfer von Diskriminierungen seitens der restlichen Bevölkerung, die

von Vorurteilen gestützt werden. Die Pygmäen der DRC erfüllen mehrere der, in

dieser Arbeit verwendeten, Kriterien zur Definition von Minderheiten. Dadurch ist

festzuhalten, dass das Volk die Voraussetzungen für die Einstufung als Minderheit in

mehreren Bereichen erfüllt, allerdings verhindert die vielfach fehlende

Staatsbürgerschaft und die mangelnde Definition einer Minderheit seitens der

Regierung des Kongo einen solchen Status und die damit verbundene Zuerkennung

der Rechte.

Dadurch ergibt sich die Verifizierung der Hypothese elf.

10.1. Persönliche Einschätzung

Im Bereich Minderheitenschutz ist beinahe in jedem Land der Welt ein großer

Handlungsbedarf. In der heutigen Gesellschaft ist Migration ein erheblicher

Bestandteil der Kommunikation und Entwicklung auf internationaler Ebene. Durch

diese Migration entstehen Bevölkerungsgruppen, die sich aufgrund der Fremdheit in

dem Land, in das sie emigriert bzw. immigriert sind, primär zu anderen Mitgliedern

ihres Heimatlandes respektive ihrer kulturellen Wurzeln orientieren. Durch diese

Zusammenschlüsse entstehen neue Gruppen und Teile der Bevölkerung, die als

Minderheiten angesehen und dementsprechend behandelt werden. Diese

Behandlung sieht in vielen Ländern Westeuropas zwar eine relative Gleichstellung

gegenüber der restlichen Bevölkerung des Staates – in manchen Fällen bestehen

auch Rechte bezüglich der Erhaltung der Kultur – vor, allerdings ist diese meist

faktisch und realpolitisch nicht zu beobachten. Viele der Minderheiten werden

teilweise latent, in manchen Fällen auch öffentlich, diskriminiert und benachteiligt,

was zu einer weiteren Verschließung gegenüber der, in diesem Staat beheimateten,

Bevölkerung respektive Mehrheit kommt.

Diese „neuen“ Minderheiten erweitern meistens nur einen Kreis von Minderheiten,

die schon seit langer Zeit in den jeweiligen Ländern beheimatet sind. Durch die, sich

im Lauf der Geschichte immer wieder verändernden, Grenzen, ist es in vielen Fällen

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sogar so, dass die heute als Minderheiten eingestuften Völker, Volksgruppen und

Stämme schon auf dem Staatsgebiet gesiedelt haben bevor es ein solches war.

Diese Gruppen werden in der Wissenschaft und im internationalen Dialog meist als

Indigene Völker bezeichnet. Allerdings sind auch diese Gemeinschaften

Minderheiten, die sich nicht nur durch zahlenmäßige Unterlegenheit auszeichnen.

Solche Gruppen werden aufgrund einer oder mehrerer Unterschiede zum Großteil

der Bevölkerung diskriminiert und aus der innerstaatlichen Gemeinschaft latent – in

manchen Fällen auch offensichtlich ausgeschlossen.

Die Tatsache, dass es keine allgemein gültige Definition von Minderheiten gibt ist

meiner Meinung nach in den verschiedenen Arten von Minderheiten begründet. In

der internationalen Gemeinschaft ist es sehr schwer sich auf Definitionen zu einigen,

die von allen Staaten anerkannt werden. Durch die unterschiedliche Erfahrung und

die unterschiedlichen Formen von Minderheiten, die in den einzelnen Staaten leben,

haben die Länder unterschiedliche Vorstellungen wodurch sich eine Minderheit

definiert. Jeder Staat will seine Definition in der allgemeinen enthalten haben. So

wurde auch im Fall der Minderheiten, wie bei anderen Gelegenheiten zuvor, das

Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners angewandt. Die in den Vereinten

Nationen respektierte Definition stammt von Capotorti und umfasst fünf Kriterien.

Obwohl sie niemand als allgemeine Definition akzeptiert, wird kein Versuch

unternommen, eine adäquatere zu finden. Möglicherweise liegt das daran, dass

einzelne Staaten die Definition des Begriffes bewusst verzögern, da durch diese eine

Deklaration über den Schutz von Minderheiten der nächste Schritt wäre. Dadurch

wären viele Staaten möglicherweise gezwungen, ihre Politik zu ändern, um nicht in

Konflikt bzw. unter den Druck der internationalen Gemeinschaft zu geraten.

Ein internationaler Minderheitenschutz ist realpolitisch in weiter Ferne. Viele Länder

sind nicht gewillt eine allgemein gültige Deklaration zu diesem Thema zu erarbeiten

respektive zu beschließen. Für viele Länder ist die Minderheitenpolitik auch leider nur

ein Randthema, was, meiner Meinung nach, sehr kurzsichtig ist. Viele Probleme, vor

allem auch im sozialen Bereich, liegen in Rissen innerhalb Regional gibt es kleine

Erfolge bezüglich gemeinsamer Regelwerke in diesem Bereich, was auch darin

begründet liegt, dass einerseits weniger Staaten sich auf eine gemeinsame Politik

einigen müssen und andererseits ähnliche Erfahrungen mit vielfach den gleichen

Minderheitengruppen gemacht haben. Allerdings gibt es auch trotz regionaler

Abkommen teilweise keinen wirksamen Minderheitenschutz, da es an Kontroll- und

Sanktionsmechanismen mangelt. Speziell im afrikanischen Raum hat man den

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Eindruck, dass das Abkommen über die Menschenrechte nur pro forma beschlossen

wurde, da in der Praxis keine Umsetzung zu erkennen ist. Bis zu einem effektiven

Schutz für Minderheiten ist es noch ein weiter Weg. Meiner Meinung nach ist ein

solcher nicht möglich, wenn keine allgemeine Definition von Minderheiten gefunden

wird, die so explizit wie möglich sein muss. Andernfalls würde zu viel Spielraum für

subjektive Interpretationen gelassen werden und die Staaten könnten

Schutzmaßnahmen für potentielle Minderheiten innerhalb ihrer Grenzen

verschleppen und willkürlich auslegen.

Dass vor allem im afrikanischen Raum der Schutz von Minderheiten sehr wichtig ist,

aber gleichzeitig beinahe unmöglich ist, umzusetzen, ohne Druck von außen zu

erzeugen, liegt in der ethnischen Fragmentierung des Landes begründet. Es gibt

zwar in der Afrikanischen Union ein Abkommen, das die Menschenrechte die Rechte

von Minderheiten festlegt, aber auch hier fehlt eine Minderheitendefinition. Alle

afrikanischen Staaten mit Ausnahme Marokkos haben dieses Abkommen anerkannt

und ratifiziert. Der die Kommission, die von der AU zu diesem Thema eingesetzt ist,

kein aktives Mandat hat, sondern mehr als Untersuchungskommission gesehen

werden muss, die lediglich Streitschlichtungsverfahren durchführen und

Empfehlungen abgeben kann. Faktisch ist die Situation der Minderheiten in allen

afrikanischen Ländern sehr schlecht. Viele der Regierungen sind von Instabilität und

Korruption geprägt, wodurch ihre Priorität auf der Erhaltung der eigenen Politik liegt.

Traditionell wird in den Staaten Afrikas keine nachhaltige Politik betrieben, da sie

entweder despotisch beherrscht werden oder die Überlebensdauer der politischen

Elite zu kurz ist, und die Gesetze von der Nachfolgeregierung wieder geändert

werden.

Eines dieser Länder, das gleichzeitig auch als eines der größten Krisengebiete der

Welt gilt, ist die Demokratische Republik Kongo. Das Land gilt als eines der Länder

mit den meisten Rohstoffen, insbesondere Rohstoffe, die es teilweise nur in der DRC

gibt, steht aber wirtschaftlich und international ganz unten auf den

Entwicklungslisten. Die Situation, die natürlich aufgrund der langen Diktatur und des

anschließenden verheerenden Krieges sehr instabil und nach wie vor von Gewalt

geprägt ist, kann nur durch beträchtliche Hilfe der internationalen Gemeinschaft

verbessert werden. Das gilt für die innen- und die außenpolitische Lage. Oberstes

Ziel muss es sein, die Sicherheit im Osten des Landes insbesondere in den

Regenwaldgebieten wieder herzustellen. Solange die Regierung nicht die

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uneingeschränkte Staatsgewalt im gesamten Territorium der DRC ausüben kann, ist

eine effektive Politik nicht möglich.

Die Regierung Kabila jun., die seit etwas mehr als einem halben Jahr im Amt ist,

kann natürlich noch keine konkreten Erfolge verzeichnen, da die Zeit noch zu kurz

ist. Allerdings glaube ich, dass diese Erfolge auch über lange Sicht in Grenzen halten

werden, weil es Kabila nur schwer gelingen wird, die Bevölkerung zu vereinen. Seine

Vorhaben als Präsident und die Reformen, denen er das Land unterziehen will

klingen sehr engagiert, allerdings hat er mit mehr als einem Problem zu kämpfen.

Er hat keine absolut konforme Regierung bzw. Mehrheit im Parlament. Durch die

Notwendigkeit, ein Wahlbündnis mit einzugehen, um die Wahl zu gewinnen, muss es

ihm gelingen, mehrere Interessen zu vereinen. Seinen Unterstützern ist diese

Situation durchaus bewusst, weshalb sie auch ihren Einfluss jederzeit geltend

machen können und ihre eigenen Interessen einfließen lassen bzw. durchsetzen.

Kabila als Präsident hat zwar die Mehrheit bei den Wahlen erhalten, ist aber regional

in den Ballungsräumen teilweise sehr deutlich hinter seinem Konkurrenten Bemba

geblieben. Dies liegt mitunter auch darin begründet, dass er Gerüchten zu Folge kein

geborener Kongolese ist. Dass diese Meinung nicht nur als Verleumdung angesehen

wird, zeigten meine Erfahrungen in Gesprächen mit Kongolesen. Durch diese

mangelnde Akzeptanz ist es für ihn schwer Reformen durchzuführen, hinter denen

die gesamte Bevölkerung steht.

Sein Enthusiasmus bezüglich der Verbesserung des Landes ist zu bewundern,

allerdings muss er, meiner Meinung nach, aufpassen, dass er nicht zu viel zu schnell

will. Es hat den Anschein, dass sehr viele Projekte gleichzeitig angefasst und

durchgeführt werden sollen. Dahinter ist allerdings nicht wirklich eine Strategie zu

erkennen. Durch die mangelnde Erfahrung, die in der DRC im Bereich der

Entwicklung von nachhaltiger Politik und der Durchführung von politischen Reformen

und Projekten besteht, bin ich der Meinung, dass dies nicht der richtige Weg ist.

Das wird auch darin deutlich, dass die Interessen über ein sehr breites Spektrum

gelagert sind. Kabila will das Land international wieder etablieren und pflegt die

außenpolitischen Kontakte. Gleichzeitig will er die Wirtschaft ankurbeln und die DRC

auch auf innenpolitischen Ebene durch soziale Reformen und Veränderungen des

Systems zu stabilisieren. Durch die mangelnde Kontrollmöglichkeit und Loyalität des

Verwaltungs- und Finanzapparates ist der Kongo nach wie vor sehr attraktiv für

Geldwäsche und Korruption. Wodurch das Fortschreiten der Reformen innerhalb des

Landes nur sehr langsam vorangeht.

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Ein weiteres Indiz dafür, dass die Politik nicht wirklich nachhaltig geplant wird,

sondern sehr stark aus ad hoc Reformen besteht, ist der Ausverkauf des

Regenwaldes, der nach dem Krieg in zunehmendem Maße intensiviert wurde. Trotz

internationaler Bemühungen, die Konzessionsvergabe zu verlangsamen, ist gut ein

Viertel des kongolesischen Regenwaldes an Holz-Konzerne vergeben und somit zu

Abholzung freigegeben. Dadurch wird deutlich, wie stark einerseits der Einfluss der

globalen Wirtschaft ist und andererseits, wie sehr die wirtschaftliche Situation des

Landes im Fokus der politischen Pläne der Regierung steht.

Wichtig für Kabila wird es sein, die internationale Hilfe, die in sehr großem

Finanzrahmen bereits zugesichert und auch teilweise überwiesen wurde effizient und

gezielt einzusetzen. Erst durch innere Stabilität wird die Position des Landes und der

Regierung sicherer. Kabila muss sich bewusst werden, dass er das Volk, auch in den

Ballungsräumen, dazu bringen muss, seine Pläne zu unterstützen. Allerdings muss

er diverse zugesicherte Verbesserungen für das Volk auch verwirklichen, um seine

Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Des Weiteren muss Kabila die Regierung und das Parlament davon überzeugen,

langfristige politische Pläne zu erstellen und die Reformen nach ihrer Priorität zu

reihen. Er muss erkennen und vor allem akzeptieren, dass keine effektive

Umsetzung der Initiativen möglich ist, wenn in allen Bereichen gleichzeitig gearbeitet

wird. Durch den Krieg und die jahrzehntelange Diktatur fehlt es an vielen Strukturen,

die aufgebaut werden müssen, um eine Basis für weitere Reformen zu schaffen. Hier

sind auch internationale Organisationen gefordert.

Hinsichtlich der Minderheitenpolitik in der DRC gibt es zwar durch die neue

Verfassung juristische Anerkennung und Gleichstellung der Minderheiten. Allerdings

fehlt es an praktischer Umsetzung dieser. Während der ersten Zeit und durch die,

bereits erwähnten, Schwierigkeiten der Ausübung der Staatsgewalt auf dem

gesamten Staatsgebiet, sollte die Regierung der DRC auf die Unterstützung der

MONUC und anderer internationaler Organisationen hinsichtlich des Schutzes von

Minderheiten setzen. Speziell in den östlichen Regionen, wo es nach wir vor immer

wieder Kampfhandlungen gibt, sollten die internationalen Truppen mit der nationalen

Armee bzw. Exekutive zusammen arbeiten, um die Situation zu überwachen. Diese

Zusammenarbeit besteht auch teilweise, allerdings ist auch zu verstehen, dass die

Regierung in Kinshasa die Situation selbst unter Kontrolle bringen möchte. Das ist,

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meiner Meinung nach, in dieser Situation eine nicht wirklich leicht zu lösende

Aufgabe.

Die Kultur der Pygmäen ist in vieler Hinsicht weiter fortgeschritten, als manche

Gesellschaft in entwickelten Ländern. Die Lebensweise sowie die Fokussierung des

Gemeinsamen sind die Basis für eine enge Verbundenheit innerhalb eines Dorfes.

Zwar ist sehr wahrscheinlich, dass auch bei einer Gewährung von Landbesitz die

Situation für die Pygmäen nicht wirklich leichter wird. Sollten sie in den

Regenwäldern bleiben können, wird ihre Lebensweise über kurz oder lang ihren

Ansprüchen nicht mehr genügen, da sie mittlerweile auf bestimmte Entwicklungen

respektive die Modernisierung angewiesen sind. Ihre Lebensweise hat durchaus sehr

viele moderne Elemente, wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Inklusion aller

Mitglieder der Gemeinschaft, Konfliktlösungsmechanismen oder Gewohnheitsrecht.

Auch, wenn man hierzu erwähnen muss, dass die Konflikte, die in Pygmäendörfern

stattfinden, oft von geringeren Problemen gekennzeichnet sind. Trotzdem ist die

Methode der Konfliktvermeidung und die gegenseitige Anerkennung und Akzeptanz

bewundernswert und zeugt von hohen moralischen Grundsätzen.

Primär ist hier die medizinische Versorgung zu erwähnen. Durch den in den letzten

Jahren intensiver gewordenen Kontakt mit der Welt außerhalb ihres eigentlichen

Lebensraums, des Waldes, kamen sie auch mit Krankheiten in Berührung, für die

ihre traditionelle Medizin keine Heilmittel kennt. Auch Bildung ist in diesem

Zusammenhang ein zentraler Punkt, der in der Zukunft sicher notwendig ist, in der

Pygmäenkultur einzuführen. Diese Änderungen sind aus dem Grund notwendig, weil

die Pygmäen, auch bei Beibehaltung ihrer traditionellen Lebensweise, in Zukunft in

sehr engem Kontakt mit der Außenwelt stehen werden. Um annährende gleiche und

faire und gleiche Möglichkeiten in dieser Interaktion zu haben, braucht es einen

höheren Bildungsstandard innerhalb der Gesellschaft der Pygmäen. Diese Bildung

inkludiert auch die Aufklärung über ihre Rechte.

Diese Veränderungen und Modernisierungen müssen allerdings in kleinen Schritten

und sehr vorsichtig durchgeführt werden. Man muss die Lebensweise und Prioritäten

im Leben der Pygmäen versuchen zu verstehen, um bestimmte Neuigkeiten

einführen zu können. Zu viele Veränderungen in zu kurzer Zeit können die

Gemeinschaften zersplittern und die Kultur, die es gilt zu bewahren, nachhaltig

verändern oder zerstören.

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Allerdings muss auch innerhalb der Pygmäen hinsichtlich ihrer Behandlung und

Initiativen zu ihrem Schutz unterschieden werden, da viele bereits von der

traditionellen Lebensweise abgekommen sind, und in anderen Umgebungen bzw.

Situationen leben. Diese gilt es nun in die Gesellschaft des Kongo zu integrieren und

trotzdem ihre Kultur und Traditionen zu schützen. Das größte Problem, das dabei in

den Griff zu bekommen ist, ist die Diskriminierung und die Vorurteile, die innerhalb

der restlichen Bevölkerung bestehen. Hier liegt es an der Regierung Maßnahmen zu

setzen, die solche Benachteiligungen und Erniedrigungen verbieten. Das

Entscheidende ist allerdings, dass die Einhaltung dieser Regelungen und Gesetze

auch kontrolliert werden, und bei einer Missachtung bestraft werden. Da die Situation

der Diskriminierung in sehr vielen Fällen auch von den lokalen Verwaltungsbehörden

unterstützt wird, gilt es diese auszutauschen bzw. zu bestrafen, wenn solche Fälle

bekannt werden. Dabei bin ich der Meinung wird es auch notwendig sein, wie bereits

erwähnt, mit den internationalen Truppen zusammenzuarbeiten.

Auch wird notwendig sein, von internationaler Seite Druck zu erzeugen.

Insbesondere, wenn es Menschenrechtsverletzungen, wie es im Fall der Pygmäen

sehr oft geschieht, bekannt werden. Ohne internationalen Druck wird die Regierung

der DRC keine effektiven Maßnahmen gegen die Diskriminierung der Pygmäen

unternehmen. Druck auch hinsichtlich der Anerkennung der Pygmäen als

Staatsbürger der DRC, denn diese mangelnde Anerkennung bzw. die fehlenden

Ausweise für Pygmäen stellen einen Basisgrund für die schlechte Situation dieses

Volkes dar. Es ist natürlich eine schwierige Situation, da man der Regierung eines

Staates nicht vorschreiben kann, wen sie als Staatsbürger zu akzeptieren hat, doch

aufgrund der Menschenrechtsverletzungen kann international Druck ausgeübt

werden, denn diese sind universal gültig. Meiner Meinung nach müsste die erste

Reaktion der DRC sein, die Staatsbürgerschaft der Pygmäen zu sichern, denn erst

dann fällt das Argument weg, wonach ihnen keinerlei Rechte zustünden. Erst, wenn

die Rechtslage klar ist, dann können weitere Maßnahmen unternommen werden.

Hinsichtlich des Landebesitzes ist die Situation schwierig, da dies eine eindeutig

rechtliche Frage ist, die nicht so leicht zu klären ist. Sobald die Konzessionen verteilt

sind, liegt das Recht der Waldnutzung bei den Holzkonzernen. Diese können frei

über das Land verfügen und vertreiben in vielen Fällen die Pygmäen von ihrem Land,

das sie teilweise seit Jahrhunderten bewohnt haben. Zwar ist vorgesehen, dass die

Firmen Maßnahmen zu unternehmen haben, um den Pygmäen zu helfen, sich an die

neue Situation anzupassen, wird dies so gut wie nie erfüllt. Hier ist wiederum die

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Regierung gefragt, die Einhaltung der Gesetze zu garantieren. Eine Vertreibung oder

Umsiedelung zu verhindern ist in den meisten Fällen schwierig bis unmöglich, sobald

eine Konzession verteilt ist. Allerdings muss gewährleistet sein, dass die Dörfer

adäquate Ersatzlebensräume bzw. Unterstützung, die auch ihrer Lebensweise

entspricht erhalten.

Anders stellt sich die Situation in den Nationalparks dar. Dort ist eine Vertreibung

wider das Recht. In vielen Fällen vertreiben die Verwaltungsbehörden die Pygmäen

willkürlich und unter falschen Anschuldigungen. Die Pygmäen lebten seit

Jahrhunderten in diesen Lebensräumen, ohne ihnen zu schaden, und könnten dies

auch weiter tun. Es ist sehr kurzsichtig, ein Volk, das mit der Lebensweise im

Regenwald vertraut ist, wie nur wenige andere weltweit, aus einem Gebiet zu

vertreiben, das geschützt werden sollte. Die Pygmäen haben sich durch ihre

Geschichte und ihre Lebensweise zu einem Teil des Waldes gemacht. Sie haben

durchaus Rechte auf das Leben in einem geschützten Raum, da es auch gilt ihre

Kultur zu schützen, die eine der ältesten und am geringsten beeinflussten der Welt

anzusehen ist. Da die Rechte der Naturschutzgebiete vielfach weiterhin bei der

Verwaltung der DRC liegt, ist es an der Regierung die Situation so umzusetzen, wie

es im Rechtskodex über den Regenwald verankert ist. Die Waldvölker in die Arbeit

im Regenwald mit einzubeziehen und von ihrem Wissen zu profitieren. Zudem muss

ihnen das Nutzungsrecht zugestanden werden, solange es keine Einigung über die

Ansprüche auf den Besitz des Landes gibt.

Generell liegt es an der Regierung der Demokratischen Republik Kongo die

Pygmäen zu schützen. Dies muss einerseits durch die generelle Anerkennung als

offizielle Staatsbürger geschehen. Dieser Status muss auch ohne Dokumente

bestehen und akzeptiert werden, um eine Diskussion über ein Zugeständnis über

diverse Rechte – medizinische Versorgung, Bildung, Arbeit, etc. – generell zu klären.

Andererseits muss garantiert und überwacht werden, dass diese Rechte auch

eingehalten werden, und die bestehende Diskriminierung sukzessive verringert wird,

um so eine Integration in die Gesellschaft der DRC zu ermöglichen. Die Integration

als gleichwertige Mitglieder der Bevölkerung, die derzeit so gut wie nicht vorhanden

ist, darf allerdings keinesfalls zur Folge haben, dass die Kultur und die Traditionen

der Pygmäen verändert bzw. ausgelöscht wird. Diese Kultur hat so viele Werte und

Verfahrensweisen, die teilweise die sogar in demokratischen Systemen nicht in

dieser Form zu finden sind – Gleichberechtigung der Geschlechter,

Konfliktlösungsmechanismen etc.. Solange die Lebensweise der Pygmäen nicht mit

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der der restlichen Bevölkerung kollidiert bzw. diese erschwert, was aufgrund der

mangelnden Modernisierung bzw. dem zurückgezogen Leben nicht wirklich zu

befürchten ist, muss gewährleistet werden, dass sie dieser auch nachgehen können.

Dies inkludiert auch die Nutzung des Lebensraumes, da ihre Traditionen nur dort

aufrechterhalten werden können. Die Frage des Besitzes muss juristisch geklärt

werden, allerdings muss die Nutzung und die Erlaubnis diese Gebiete weiter

besiedeln zu können garantiert werden.

Hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen, die immer wieder dokumentiert

werden, ist die internationale Gemeinschaft gefordert, Druck auszuüben, um die

Pygmäen zu schützen. Auch, wenn es nur ein kleines Volk ist, gilt auch für sie die

allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Diese müssen eingehalten werden und

Verletzungen in jedem Fall und mit aller möglichen Härte verfolgt werden.

Die Bildung des Netzwerkes für Pygmäen, das schon weltweit Mitglieder hat, ist eine

sehr positive Entwicklung. Zwar sind in den lokalen NGOs in vielen Fällen keine

Pygmäen selbst am Werk, allerdings wird die Zahl immer größer. Auch die

Zusammenarbeit mit und Initiativen der internationalen NGOs sind sehr wichtig und

zeigen auch bereits große Auswirkungen auf die Situation der Pygmäen. Viele

Bildungs- und medizinische Projekte sind essentiell für viele der Pygmäendörfer in

der DRC und eine große Unterstützung für deren schlechte Situation. Allerdings

mangelt es an internationaler Anerkennung und Aufmerksamkeit für die

Unterstützung dieses Volkes. Vielleicht gelingt es durch die internationalen NGOs

diese Situation in den nächsten Jahren zu verändern und zu verbessern, sowie das

Netzwerk zu vergrößern. Weitere Probleme, wie die Finanzierung der Projekte und

die Zusammenarbeit mit der Regierung bzw. lokalen Behörden, die oft nicht gegeben

ist, sind nur schwer zu verändern bzw. zu verbessern, da es in diesen Bereichen

sehr viel auf äußere Unterstützung bzw. Kooperation ankommt. Die Initiativen

bestehen jedoch, die Projekte auszuweiten und zu intensivieren.

In diesem Fall ist nicht nur die Kultur der Pygmäen, die eine der ältesten der Welt ist,

bedroht, sondern auch die Umwelt und die Einhaltung der Menschenrechte. Die

Pygmäen sind ein Beispiel für eine Minderheit, die keinerlei Rechte besitzt, und diese

Situation gilt es zu ändern und zu verbessern. Nicht nur für die Pygmäen, für viele

Minderheiten der Welt, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Es gilt jedes

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Menschenleben und jede Kultur zu schützen und zu achten. Bleibt zu hoffen, dass

diese Pflicht bald international verpflichtend und durch entsprechende

Sanktionierungsmaßnahmen geschützt wird, und viele Kulturen, trotz aller

Unterschiede, gemeinsam und miteinander leben können.

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12. Anhang

12.1. Regierung der Demokratischen Republik Kongo596

Le Président Son Excellence

Joseph KABILA KABANGE

MINISTRES D'ETAT MINISTÈRES

François Joseph Mobutu

Nzanga Ngbangawe : Agriculture

Denis Kalume Numbi :Intérieur, décentralisation et

sécurité

Antipas Mbusa Nyamwisi :Affaires étrangères et

de la coopération internationale

Sylvain Ngabu Chumbu :Enseignement supérieur et

universitaire

Pierre Lumbi Okongo :Infrastructures, travaux publics et

reconstruction

Nkulu Mitumba Kilombo : Ministre d’Etat près le Président

MINISTRES :

Godefroid Mayobo Mpwene Ngantien : Ministre près le Premier ministre

Chikez Diemu :Défense nationale et

des anciens combattants

Georges Minsay Booka : Justice

Olivier Kamitatu Etsu : Plan

Ignace Gata Mavinga : Intégration régionale

Athanase Matenda Kyelu : Finances

Adolphe Muzito : Budget

596 United Nations Permanent Mission, Democratic Republic of Congo, the Government, http://www.un.int/drcongo/government.htm.

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Jeannine Mabunda Lioko : Portefeuille

Sylvain Joël Bifwila Tchamwala : Economie nationale

Toussaint Tshilombo Send :Information, Presse et

communication nationale

Simon Mboso Kiamputu : Industrie

Kasongo Ilunga : Commerce extérieur

Jean François Ekofo Panzoko : Petites et moyennes entreprises

Remy Henri Kuseyo Gatanga :Transports et

voies de communication

Charles Mwando Nsimba : Développement rural

Maker Mwangu Famba :Enseignement primaire,

secondaire et professionnel

Sylvanus Mushi Bonane : Recherche scientifique

Victor Makwenge Kaput : Santé publique

Martin Kabwelulu Labilo : Mines

Salomon Banamuhere Baliene : Energie

Lambert Mende Omalanga : Hydrocarbures

Marie-Ange Lukiana Mufwankol :Travail et

de la prévoyance sociale

Zéphyrin Mutu

Diambu-di-Lusala Nieva : Fonction publique

Martin Bitijula Mahimba :Affaires sociales et

de la solidarité nationale

Philomène Omatuku

Atshakawo Akatshi : Condition féminine

Pardonne Kaliba Mulanga : Jeunesse et des sports

Liliane Pande Muaba : Affaires foncières

Laurent-Simon Ikenge Lisambola : Urbanisme et habitat

Kyamusoke Bamusulanga

Nta-Bote :

Postes, téléphones et

télécommunications

Didace Pembe Bokiaga : Environnement

Elias Kakule Mbahingana : Tourisme

Marcel Malenso Ndodila : Culture et des arts

Eugène Lokwa Ilwaloma : Droits humains

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Jean-Claude Muyambo Kyassa : Affaires humanitaires

VICE-MINISTRES

Joseph-Davel Mpango Okundo : Intérieur

Daruwezi Mokombe : Sécurité

Alain Lubamba wa Lubamba : Affaires étrangères

Colette Tshomba Ntundu : Congolais de l’étranger

Nelson Paluku Syayipuma : Défense nationale

Yvonne Iyamulemye Kabano : Anciens combattants

Kalinda Mitumbala Odia : Justice

Ferdinand Essambo Lukye : Plan

Hangi Binini : Finances

Célestin Mbuyu Kabango : Budget

Laure Marie Kawanda Kayena : Transports

Gervais Ntirumenyerwa Kimonyo : Travaux publics

Gentiny Ngobila Mbaka : Agriculture

Modeste Omba Sakatolo :Enseignement primaire,

secondaire et professionnel

Marie-Madeleine Mienze Kiaku : Enseignement supérieur et universitaire

Ferdinand Ntua Osiamba : Santé publique

Victor Kasongo Shomary : Mines

Arthur Sedeya Ngamo Zabusu : Energie

Télésphore Tsakala Munikengi : Travail et de la prévoyance sociale

Vincent Okoyo Nembe : Fonction publique

12.2. Beispiele Verbrechen gegen die Pygmäen

12.2.1. Exactions by soldiers.

January 2nd

Soldiers of armed forces of the DRCongo (FARDC) got into the pygmies’ houses in

Muyange village, Kabare territory. They loot importants properties.

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January 7th

Three soldiers of the FARDC rape the pygmy Faida M’Ntole (19 years), mother of a

18 months child and wife of the pygmy chinzali (22 years) of Chombo/ Buyungule

village.

January 13th

At about 9 o’ clock pm, the Rwandan militia Interahamwe and the Soldiers of FARDC

got successively in Madam Melania’s house, a pygmy subject of Kashodu village,

Kamakombe locality, Bugorhe grouping in the territory of Kabare. They take away a

goat, clothes, kitchen supplies and other possessions.

12.2.2. Expulsion from gold-mines

February 5th

Some Hutu non identified in any other way killed a pygmy near Opiko in Azavillage,

Mahaa district, territory of Wamba, Oriental Province.

Between February 5th and February 8th.

At Kaboneke in the district of Ntambuka on Idjwi Island, 25 pygmies’houses were

destroyed by ten men. The reason of that destruction was the fact that the King

(Mwami) Roger Ntambuka wanted to give the lands of Kaboneke, which belonged to

the Pygmy’s Boroto family, to his brothers “Urbain” and Mukunda.

Februar y 9th

In Kisiza village in South of Idjwi territory, at 5 o’ clock pm, the soldiers of FARDC

attacked at their home the pygmies subjects J.B. and john and caned them seriously.

They obliged the old pygmy Mufi to escort them in the night perquisition in each of

the pygmies’ houses so as to search for sacks of wood-embers. The exploitation of

live coals is a habitual activity of the pygmies on Idjwi Island but it is forbidden by the

customary headman (Kingmwami) Roger Ntambuka.

February 15th

The pygmy Kininga Msafiri of Maeta village in Itombwe forest in the territory of Fizi

was stolen his 180 kg of Cassiterite by the customary chiefs Msafiri and Ngenda.

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According to these latters, a pygmy does not have the right to possess such a

quantity of ores.

12.2.3. Rapes of girls

March 3 rd

The pygmy Buholo Masesa of Luindi district in the territory of Mwenga is expelled

from his mine of cassiterite by the factory named Mi-Congo.

Soldiers of FARDC lead by Colonnel Samy raped 3 pygmies girls in Kembe village in

the territory of Walikale.

12.2.4. Requisition for transport of ammunitions.

April 2nd

A truck of FARDC made an accident and bent its Cargo near Boroto village in

Walikale territory. With lashings, the Soldiers obliged the pygmies of that village to

load again the ammunitions in their truck.

12.2.5. Murder at the work post.

May 7th

The chair person of the administrative post of Panga in Banalia territory in the

Oriental Pronvince,

M. Lomali, and his policem arrested, undressed and caned at night and pub lically

the Pygmies of Bapele village. These had just killed a leopard which was threatening

them.

May 30th

The pygmy Soda Nyamushi was stabbed with a poniard by a person in civilian

clothes at about 11 o’ clock pm in kitambala’s plantation where he was working on

sentry-duty. Aged of 36 years, he was living in Chombo/Buyungule village in the

grouping of Miti in the territory of Kabare. He left his pregnant wife Jacqueline

M’Nyangirwa with 5 children.

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12.2.6. Arbitrary arrestations.

June 2nd

Two Soldiers of FARDC non-identified in another way arrested and obliged the

pygmy Bahati Nyamushi of Chombo/Buyungule village in the territory of Kabare to

transport a bunch of bananas to their camp of Civanga. The soldiers deployed in that

area were used to make the pygmies to transport luggages of possessions that they

had looted here and there.

June 9th

The pygmy Leonad Milenga EO, popularizor of forest and mining codes on the way

Mwenga-Itombwe, was seriously beaten and arres ted during 4 hours by the Soldiers

of the 107 th brigade of the FARDC. He was suspected to have much money to buy

ores. For his liberty he paid a fine of 20 American dollars. They also took away his

field pair of shoes and a jacket.597

597 CAMV (2005). The First Half-Year 2005 Painful for the Pygmies in East of DR Congo, Pygmies Echo, No.18, August 2005, S.14f.

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14. Literatur

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14.3. Internetquellen

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dem Autor vor.