Mistkübelanzünder - Artikel von Elisabeth von Samsonow / Recherche 2/2011

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  • 8/6/2019 Mistkbelanznder - Artikel von Elisabeth von Samsonow / Recherche 2/2011

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    MistkhelanznderVON ELISABETH VON SAMSONOWPeinlich genug, dass das Verfahren um vier Studierendesich so lange hinzieht, dass einVergleich mit gewissen, die weltf-fentlichkeit bewegenden und vern-dernden Vorgngen nicht ausbleibenkann. Aus verschiedensten Grndenrckte 2009 die sterreichische Studentenschaft ins Zentrum europi-scher Aulinerksamkeit, es kndigtesich fast so etwas wie ein kleines 1968ao, eine Generation fing an, ber ihreRolle, ihre Aufgaben und ihre Chancen ffentlich zu reflektieren, sichschlieende gesellschaftliche Felderzu befragen, zu kritisieren , eben po -tisch zu werden. In einem Land, dasan groen Umwlzungen immer nurnach gewissen Vengerungen undFormatvernderungen teJIUmmt, wardas nun schon bemerkenswert.Man htte gedacht, d a s ~ sich einegewisse Genugtuung ber das Er-wachen dieser Generation einstel-len wrde, dass dieses Land, diesesglckliche Land, aus der hohen Warte seiner Politik gtig, gndig, mildeund mit mzenatischem Blick auf diejungen Triebe blickte. Nun aber tatman das nicht. Im Gegenteil. Angesteckt vom neuen Klima des War onTerror} beseelt vom Umschwung desRechtsstaates in einen EmergencyState} beschwingt durch verschiedeneVerschrfungen des Paragraphen 278(der auch erlaubt) Tierschtzer als po-tentiell staatsgefahrdende Individuenzu arretieren)} dirigierte eine in allenFarben schillernde neoliberale Politikihre auf internationales Reizniveau

    regulierte Exekutive hin auf die nundoch eigentlich durch ein gewissesautonomes Ethos bewundernswrdigantiruerarcrusch strukturierten undorganisierten studentischen Proteste.

    Im Schatten weltpolitischerEreignisse schrumpfen dieangeblich staatsgefhlu-denden

    Taten aufErbsengrezusammen.

    Die Lehre aus '68 besagte (so dieundeutliche Erinnerung)} dass dieGeburt des Terrors eine Kreation ausdem Geiste der Universitt sei. Ausdiesem verhngnisvollen Schlussknnte sich ansatzweise erhellen} wasdann passiert ist: Eines Tages nmlichriss eine erschrockene , nichtsahnen-de Studentin der Kunstakademie dieTure ihrer Studentenwohnung auf inder Furcht} dass sie dieselbe Ture auseigener Tasche ersetzen msste, falls ,wie drohend bevorstand} die Polizeisie eintrte. Sie sieht die Wohnungwenige Sekunden spter gestrmtvon maskierten und gepanzertenSpezialkrften, die nach Waffen suchen (selbstverstndlich vergeblich).Sie und drei weitere, offenbar schonlnger observierte Studierende wer-den festgenommen und in Untersu-chungshaft verbracht, whrend man

    ihnen vorwirft, Mlltonnen vor einemffentlichen Gebude angezndet undin einem weiteren Akt, nmlich derfilmischen Dokumentation einer Ab -schiebung, die ffentliche Sicherheituntergraben gewollt zu haben. (Schonhier muss der Einschub gemachtwerden, dass eine hnliche Anschuldigung fr eine Inhaftierung in vielenLndern, beispielsweise in ltalien,nicht ausreicht. Mistkbelanzndenist dort eine tgliche Beschftigungvieler Leute. Brennende Mistkbelund brennende Papierkrbe werdenhingenommen, wohl oder bel) undnicht mehr als apokalyptische Zeichen gedeutet. Der Philosoph undkonom A1&ed Sohn-Rethel widmete im brigen den einem erwei-terten Ordnung.begriff anhngendenMenschen seine schnste Schrift} DasIdeal des Kaputten Ober IIeapolitallischeTechllik.)Hysterisches RadarDie Vorwurfsrhetorik im Falle der in-haftierten Studierenden konnte sichaus einem reichen Fundus bedienen}und sie tat dies beinahe automatisch}nachdem endlich das hysterischeRadar der Ausnahmezustandsgesellschaft ein geeignetes}ein verdchtigesObjekt gefunden hat. Besonders diejuristische Erkenntnis} dass ein Videoeiner Abschiebung, welches im Rah-men einer Akademieprsentation alsein Beitrag aktivistischer Kunst ausge-steUt worden war, als Nachweis terro-ristischer Umtriebe gelten knne} gibtwirklich zu denken.

    Inzwischen ereigneten sich nundie unterschiedlichsten Aufruhre ingypten, in Libyen, in Marokko, inSyrien und im Jemen. Zu Recht be -troffen von der Unangemessenheitdes politischen Umgangs mit demProtest der Brgerlnnen fhlen wiruns sensibilisiert} solidarisch} hof-fend und bangend. Wir sind entsentdarber} wie ber die Antithese deswirklichen Souverns} nmlich desVolkes, hinweggegangen, ja hinweggeschossenwird. Das ist der Moment} indem noch einmal zu fragen ist, welcheMastbe eigentlich die Politik ihremHandeln zu Grunde legtund zu Grunde zu legen hat. Im Schatten dieserwe!tpolitischen Ereignisse schrump-fen folglich die Scheinriesen-Schatten,die die studentischen Proteste und diedarauffolgenden angeblichen staatsgefhrdenden Taten geworfen hatten,aufErbsengre zusammen.Wir haben gerade noch den scha-len Nachgeschmack einer angeblichen Grotat der Gerechtigkeit} dergezielten Totung des weltschlinunsten Terroristen auf der Zunge. Wennder Weste,n in solchen Momenteneine Genugtuung empfindet ber dieVerfassung seiner Demokratien, dannsoUte auch noch einmal ein sehr klarerund nchterner Blick auf die Unmastblichkeit von Handlungen wie derbeschriebenen Verhaftung der Studierenden gerichtet werden. Wie leicht-fertig nmlich das} was den Namendemokratischer Freiheit verdient} imNamen von Sicherheit} Kontrolle undffentlicher Hygiene preisgegeben

    wird} ist tief beunruhigend. Wenn wirunser Modell, das Modell der westlichen Demokratien, den post-diktatorischen Gesellschaften als ein Summwn Bonum vorhalten} dann wre esauch an der Zeit, in diesen Demokra-tien hin wieder abzulassen von jenermedial gesteuerten Aufgeregtheit, diedie Politik nicht mehr nur begleitet,sondern sie ersetzt.Es wre an der Zeit, sich der Frei-rume und der sie garantierendenPrinzipien zu versichern} an sich selbstGefallen zu finden, indem ma n sich alsein Staat begreift, der, anstatt seineBf-gerinnen mit gelegentlichen, punktuellen Eingriffen einzuschchtern} sichaus reiflicher berlegung mild, gtig,grozgig und mzenatisch geriert.Vor allem msste ein solches gutesGebot gegenber den jngeren Br-gerinnen gelten} und zwar auch aufGrund der tatschlichen Lehre aus'68, Dass es genau die unmastbliehe Repression ist} die erst wirklichradikalisiert. Dies also ein Appell andie westlichen Demokratien, sichernsthaft so gut und erstrebenswertzu machen, wie sie in den Augen derheurigen Frhlingsrevolutionen er-scheinen wollen. ...Elisabeth I.'OU Samsonow, geborw 1956,ist Professorin fr philosophische "nd his-torische Anthropologie der Kunst an derAkademie der bi/d",d", Knste Wien.Zuletzt erschien", Anti-Elektra. Totemismus und Schizogamie (diaphanes)2007) "nd Egon Schiele - Ich bin dieVielen (Passagell Verlag, 2010).