MitOst-Magazin # 23

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#23 Frühjahr 2010 Projekte & Initiativen Das Vereinsjahr 2009 7. Internationales MitOst-Festival Zu Gast in Danzig

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7. Internationales MitOst-Festival: Zu Gast in Danzig / Projekte und Initiativen: Das Vereinsjahr 2009

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#23 Frühjahr2010

Projekte & InitiativenDas Vereinsjahr 2009

7. Internationales MitOst-FestivalZu Gast in Danzig

Liebe Leserinnen und Leser,

die Wende ´89 und ihre für Mittel-, Ost- und Südosteuropa so be-

deutsamen Folgen standen auch bei uns im Zentrum des vergange-

nen Vereinsjahres. Unter dem Motto »Europa im Dialog” lud ein Jour-

nalistenwettbewerb zum Einsenden von Beiträgen zum 20. Jahrestag

der friedlichen Revolution ein. Mit einer Reihe von Workshops trug

das Theodor-Heuss-Kolleg zu der von der Stadt Leipzig ausgerichteten

Demokratie-Konferenz bei. Und auf dem 7. Internationalen MitOst-

Festival in Danzig engagierten sich haupt- und ehrenamtliche Mitar-

beiterinnen und Mitarbeiter in einer Veranstaltungsreihe zum Thema.

Diese und viele andere Aktivitäten dokumentiert das vorliegende Ma-

gazin. Wir stellen die Siegerprojekte des gemeinsam mit der Schering

Stiftung ausgelobten Wettbewerbs nachbarschaft.moe vor und prä-

sentieren die vielen anderen von MitOstlerinnen und MitOstlern eh-

renamtlich durchgeführten Projekte. Auf sehr individuelle Weise trägt

jedes von ihnen zum Vereinsziel, der Förderung von Zivilgesellschaft

und Kulturaustausch in MOE, bei. An dieser Stelle nicht nur ein herz-

licher Dank an die Projektleiter, sondern auch an die Mitglieder, die

diese Projekte in Form ihres Jahresbeitrags ermöglichen!

Menschen bei MitOst - einige von ihnen kommen im Magazin per-

sönlich zu Wort: So geben uns Vorstand und Projektbeirat, die jedes

Jahr auf dem Festival neu gewählt werden, einen Einblick in ihr En-

gagement.

Anregung und Lesevergnügen wünschtJulia Ucsnay

Dank an den Club Mozaika und das Restaurant Toscana!

Dank für die Förderung des MitOst-Festivals an:

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Inhaltsverzeichnis

Dieses Magazin wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommis-

sion finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt trägt allein der Ver-

fasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der

darin enthaltenen Angaben.

7. Internationales MitOst-Festival: Zu Gast in Danzig

Das Schwanken der Züge in Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Zeitenwende 1989/90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Die Wende und ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

»Diese Tram fährt nicht weiter« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Berliner Begegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Festival trifft Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Söhne – eine etwas andere deutsch-polnische

Familiengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Amaro Sumnal – Nasz Swiat – unsere Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

MitOst als Ganzes sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Die Stadtschreiberin von Danzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Danzig à l’intime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Das Problem der Modernität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Am Anfang stand die E-Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Festival 2010: Pipeline – under construction . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Perm ist Anfang, Perm ist Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Projekte & Initiativen - das Vereinsjahr 2009

Neulich bei MitOst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Ein Interkultureller Garten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

nachbarschaft.moe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Mehr Mitgliederprojekte 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

Kleinstprojekte bei MitOst: Ohne großes Tam-Tam . . . . . . . . . . . . 42

MitOst wird zum betterplace . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Grüner werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Begeistert von Ideen. Der Projektbeirat 2009/2010 . . . . . . . . . . 44

Europa im Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

Herkunft - was bedeutet das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Europäische Begegnungsinsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

MitOst-Editionen. Neuerscheinungen 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Demokratie im 21. Jahrhundert — Bilanz und Perspektiven . . . . . 51

Neue Alumnigruppe bei MitOst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Ein Dach für Alle? MitOst als Alumniverein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

II. BoschAlumniForum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

MitOst-Sprache Deutsch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

FOTO: KRISTINA JUROTSCHKIN

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7. Internationales MitOst-Festival

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-FestivalZu Gast in Danzig

FOTO: OLGA NAZAROVA

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Liegen ist besser als Sitzen, und normales Laufen geht gar nicht. Man

läuft den eigenen Beinen hinterher oder vorweg und versucht, die

Balance zu halten. Besonders wenn man einen Teller trägt. Wobei

Essen auch keine wirklich gute Idee ist, zumindest nicht in den ersten

Stunden.

Vom neunten Deck, wo die Kabinen liegen, ins zwei Stock höher

liegende Restaurant zu kommen, ist eine Kletterpartie. Wer sich nicht

am Geländer festhält, läuft Gefahr zu fallen. Fahrstuhlfahren wäre

wohl der ultimative Kick...

Irgendjemand hat vergessen, das Geschirr ausreichend zu sichern.

Haufen von weißen Scherben auf dem Boden, und immer noch ge-

hen Dinge zu Bruch. In der kleinen Bar am Heck ist sogar die Kaffee-

maschine aus der Verankerung gerissen. Überall sind die Blumenkü-

bel umgekippt, die Pflanzen gottseidank alle aus Plastik.

Zwölf Stunden vorher stehen dreißig Lektoren in Travemünde am

Skandinavienkai und schiffen sich ein – mit der Fähre zum Festival

nach Danzig, großartige Idee! Kennen lernen und Vernetzen bei Buf-

fet und Bierchen auf der Ostsee. Eine Nacht schlafen, dann Alum-

nitag... Da kommt ein Reederei-Angestellter: Sturmwarnung für die

Ostsee, es gibt keine Garantie, dass wir am nächsten Morgen tatsäch-

lich in Gdynia anlegen können. Entweder wir treten geschlossen von

der Reise zurück, oder... Risiko! Na klar, keine Frage, was soll schon

passieren! Wir sind doch alle risikokompetent, immerhin waren wir

Lektoren! Wir kennen das Schwanken der Züge in Russland, was soll

uns da die Ostsee...

Durch das Panoramafenster am Bug sieht man die Wellen gegen

das Schiff branden. 20 Meter über dem Meeresspiegel, und wenn

das nächste Wellental kommt, gischtet es gegen das Fenster wie in

der Autowaschanlage. An Deck zu gehen ist ausschließlich am Heck

zu empfehlen, das Wort «frisch” beschreibt die Luft draußen nur un-

zureichend.

Am Abend spielt Finnland gegen Deutschland, WM-Qualifikation. Im

Fernsehen steht es am Ende 1:0 für die deutsche Mannschaft, auf

der Ostsee aber hat ganz klar Finnland gewonnen.

Manche perfektionieren ihre Meisterschaft im Autorennen – Com-

puterspiele kostenlos. Andere spielen Karten. Trotz Wellengangs

trifft man sich für einen halben Alumni-Tag und andere (Vereins)

Aktivitäten. Die Idee, in Helsinki einen Finnen für MitOst zu gewin-

nen und als jüngstes Mitglied gleich nach Danzig mitzunehmen, wird

verworfen. Ersatzweise turnen wir auf den Stufen vor der Kathedrale:

MitOst in Helsinki, und man kann es sogar lesen. Ein paar Stunden

Zeit für die Stadt – vielleicht sind die ungeplanten Ziele gar nicht die

schlechtesten. Ich glaube, ich will wiederkommen. Im Sommer, wenn

es nicht so früh dunkel wird.

Auf dem Meer Sonneninseln. Strahlen aus den Wolken wie auf kitschi-

gen Heiligenbildern. Nuancen von Preußischblau, Stahlgrau, Schaum-

weiß. Am Abend eine dichte Wolkendecke und nur am Horizont ein

schmaler Streifen Sonnenuntergang, flammendrot.

Danke an Finnlines.

Das Schwanken der Züge in Russlandoder Wie ich einmal nach Gdynia wollte und in Helsinki landete

Geschichten von abenteuerlichen Anreisen zum Festival erzählt man sich jedes Jahr. Diese hier ist dennoch besonders. Von einem Alumnitreffen auf hoher See berichtet Heike Fahrun.

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7. Internationales MitOst-Festival

Dienstag 13-14 Uhr: Check-In

ca. 15 Uhr: Sturmwarnung

17 Uhr: Das Schiff legt ab

23-24 Uhr: Der Sturm beginnt

Mittwoch6 Uhr: Der Kapitän gibt auf: nächster Stopp Helsinki

7 Uhr: Geplante Ankunft in Gdynia. Es stürmt bis zum Abend

20 Uhr: Anpfiff Länderspiel Deutschland – Finnland

Donnerstag11 Uhr: Das Schiff legt in Helsinki an

Bis 18 Uhr: Stadtbesichtigung inkl. »MitOst in Helsinki«-Aktion

20 Uhr: Das Schiff legt ab. Kein Sturm mehr

FreitagDen ganzen Tag kein Sturm

15 Uhr: Das Schiff legt in Gdynia an: Festival, wir kommen!

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7. Internationales MitOst-Festival

Zeitenwende 1989/90Eindrücke aus Polen – Deutschland – Mitteleuropa

Lilla Mohai, Ungarn1989 war ich acht Jahre alt. Ich glaube, wir haben die Wende nicht

so stark gespürt, weil die Einwohner meiner Heimatstadt sie gar nicht

wahrnehmen wollten. Meine Stadt wurde in den fünfziger Jahren ge-

baut, da gab es die große Idee vom Sozialismus. Man hat sich ein

gewisses Bild einer Stadt vorgestellt und dieses in meiner Stadt, der

Stalin-Stadt, verwirklicht. Die Leute waren sehr engagiert, sie haben

aus dem Nichts etwas gebaut und ich glaube, sie blieben einfach

an dieser Idee des perfekten Kommunismus hängen. In dieser Stadt

habe ich gewohnt, bis ich achtzehn war. Später haben wir einfach die

Symbole des Sozialismus weggeräumt, zum Beispiel stellten wir das

Lenin-Denkmal aus dem Zentrum ins Museum. Meine Stadt ist ein

Museum des Sozialismus.

Karl-Ernst Friederich, Deutschland (West )Drei historische Ereignisse haben sich tief in mein Gedächtnis einge-

graben, als wären sie erst gestern geschehen: der Mauerbau 1961, die

Maueröffnung 1989 und der Terroranschlag 2001. Am 13. August sah

ich, dass West- und Ostberlin durch eine Mauer getrennt werden, errich-

tet von Arbeitern, die durch bewaffnete Kräfte bewacht wurden. Ich war

tief betroffen. Zwar war der Besuchsverkehr zu meinen Thüringer Ver-

Die Wende und ichWie erinnern wir uns an die Zeit der Wende? In einem Work-shop tauschten MitOstlerinnen und MitOstler Erfahrungen aus. Aufgezeichnet von Agnieszka Kudelka und Hanna Gross.

An dieser Jahreszahl (noch dazu in dieser Stadt!) kamen wir nicht vorbei: Schwerpunkt des diesjäh-rigen Festivalprogramms war das Thema »Wende 89/90«. Die Ausstellung »Ganz normale Helden« präsentierte Eindrücke aus dem Leben und der politischen Tätigkeit von Oppositionellen. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion diskutierten die MitOstler über das Thema »20 Jahre freie Medien in Polen und Deutschland«. Der Film »Videogramme einer Revolution« von Harun Farocki zeigte inoffizielle Film- und Videoaufnahmen aus dem Rumänien des Jahres 89 und verglich diese mit den offiziellen Bildern des Fernsehens. Weitere Eindrücke auf den nächsten Seiten.

Die Reihe »Zeitenwende 1989/90. Eindrücke aus Polen – Deutschland – Mitteleuropa« wurde von der Stiftung für deutsch-polnische Zusam-

menarbeit gefördert.

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

wandten schon zuvor alles andere als einfach: stundenlanges Stehen

in den überfüllten »Interzonenzügen« und zeitraubende, penible Kont-

rollen durch Grenzbeamte. Aber jetzt wurde die Teilung Deutschlands

perfektioniert. In den folgenden Jahren gewöhnte ich mich daran, dass

es zwei deutsche Staaten gab. Dann der Herbst 1989; das Fernsehen

berichtete täglich über Ereignisse, die ich kaum für möglich gehalten

hätte. Der Kladderadatsch war da. Am Abend des 9. November gab es

eine Pressekonferenz, auf der das Politbüromitglied Günter Schabowski

weitgehende Reiseerleichterungen verkündigte; man müsse aber wei-

terhin Genehmigungen beantragen. Auf die Frage eines Journalisten,

ab wann diese Erleichterungen gelten, stammelte Schabowski: »Nach

meiner Kenntnis sofort, unverzüglich.« Durch das Fernsehen wurde ich

Augen- und Ohrenzeuge dieses folgenschweren Satzes, ebenso wie

des nachfolgenden Andrangs zum Grenzübergang Bornholmer Stra-

ße, der schließlich geöffnet wurde, so dass jeder unkontrolliert in den

Westen gelangen konnte. Mir kamen die Tränen, und ich schäme mich

ihrer nicht. Für mich ist diese Nacht mit mehr Gefühlen besetzt als

die Maueröffnung selbst. Den Menschen in Polen, in der DDR und in

anderen Ländern, die sich so mutig für ihre und unsere Freiheit einge-

setzt haben, schulden wir auch heute noch unseren Dank; schließlich

bestand durchaus die Gefahr einer »chinesischen Lösung«.

Anonym, Deutschland (Ost)Als die Wendezeit begann, merkte ich schon, dass in der Familie ein

sehr großes Gefühl der Befreiung da war. Und ich erinnere mich, dass

wir abends regelmäßig die halb-acht-Uhr-Nachrichten, das bestinfor-

mierte Fernsehen in Oppositionskreisen in der DDR, geschaut haben.

Und das war dann eigentlich das, was mich politisiert hat. Für mich

kam die Wende eigentlich genau richtig. Ich hatte noch genug Schul-

zeit vor mir, um im neuen System meine Interessen auszubilden und

dann auch das zu studieren, was ich wollte. Aber diejenigen, die zur

Wendezeit so 16, 17, 18 waren, die waren schon so stark durch das

DDR-System geprägt, dass sie Schwierigkeiten hatten, danach wirklich

einen eigenständigen Weg zu finden. Es gab auch so einen Hype,

überall wurde demonstriert, man war überall dagegen.

Es gab eine öffentliche Stimmung: Alles, was bisher war, ist doof,

und jetzt machen wir alles neu. Aber es ist so, dass es halt schon

ein gutes Leben im Falschen geben kann. Also auch, wenn das Sys-

tem diktatorisch ist, kann ein einzelner Mensch, ohne sich mit dem

System gemein zu machen, ein schönes Leben haben. Man kann

eben nicht alles nur auf Diktatur reduzieren. Wobei ich immer noch

sehr radikal werde, wenn Leute auch 20 Jahre danach immer noch

unreflektiert dasitzen und es schön reden und sagen: »Ja, war ja

alles gar nicht so schlimm.«

Ivanna Pekar, UkraineZu der Zeit ging ich gerade in die erste Klasse. Das heißt, die Un-

abhängigkeit wurde im Sommer ausgerufen, und am 1. September

sollte ich in die Schule kommen. Meine Oma hat damals in einer

Nähfabrik gearbeitet. Mit Hilfe verschiedener Bekannter besorgte sie

10 oder 15 Uniformen für mich, Pionieranzüge, für die Zukunft, weil

es da immer Defizite gab, und die Enkelkinder sollten ja gut versorgt

sein. Dann kam es zum Zerfall der Sowjetunion und man sagte in der

Schule, dass die Kinder keine Uniform mehr tragen müssten. Meine

Oma wusste dann nicht, was sie mit den Uniformen machen sollte.

So habe ich drei Jahre lang unterschiedliche Kleider aus diesem Stoff

getragen, da sie alles umgenäht hat.

Verena Huber, Schweiz»Für mich als Schweizerin war die Wende weit weg. Im Juni 1989

war ich erstmals in der DDR, für einen Vortrag über Wohnen im Rah-

men des Bauhaus-Symposiums in Weimar. Als offizieller Staatsgast

brauchte ich kaum Geld. Doch ich wollte ein Buch kaufen. Ich lieh

mir Geld von einem Professor der TU Dresden. Er meinte, ich müsse

es nicht zurückzahlen, das sei sowieso nichts wert. Aber als es dann

im Herbst losging, dachte ich, er hat es geahnt.

Ansonsten hatte ich gute Kontakte zu Textilkünstlerinnen in der Slo-

wakei, für die ich in der Schweiz Ausstellungen organisierte und die

ich oft in Bratislava besuchte und heute noch besuche. So auch im

Frühling 1989. Vorher hatte ich von Wien aus einen Ausflug in die

March gemacht. Von Bratislava aus gingen wir nach Devin auf die

Hügel, von denen man die Aussicht auf die March genießt. Damals

noch zwischen Grenzsoldaten mit Maschinengewehren. Ich ließ die

Bermerkung fallen, ich würde das nächste Mal erst wieder hierher

kommen, wenn keine Soldaten mehr dort stünden, bereit für einen

Angriff der Österreicher über die March. Meine Freundin meinte dann,

ich dürfe das nicht sagen, sonst würde ich wohl nie mehr kommen

können. Zum Glück stellte sich heraus, dass sie sich getäuscht hat.

1990 feierten wir mit meinen Wiener Freunden die Wende mit einer

Flasche Champagner auf Devin.

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Am 15. August 1980 brachte die Tramfahrerin Henryka Krzywonos

ihre Bahn mit der Nummer 15 an der zentralen Haltestelle Baltik-Oper

zum Stehen und leitete damit den Streik der Verkehrsbetriebe der

Dreistadt ein. Gemeinsam mit anderen unterschrieb sie die Danziger

Vereinbarungen, die den Ausgangspunkt für die Anerkennung der Ge-

werkschaft »Solidarność” bildeten. Ihre politischen Aktivitäten wurden

von arte im 3. Teil der Reihe »Als der Ostblock Geschichte wurde«

unter dem Titel »Henrykas Solidarität« verfilmt. Ein Kamingespräch mit

ihr auf dem MitOst-Festival musste wegen Krankheit leider ausfallen.

Dank der Zeitschrift Krytyka polityczna können wir an dieser Stelle

jedoch eine Kurzversion des Interviews abdrucken, das Sławomirem

Sierakowski am 22. Juni 2009 mit Henryka Krzywonos geführt hat.

Gab es viele Frauen unter den Tramführern?Nein, aber es gab einige. Ich wurde Tramführerin, als ich 18 Jahre

alt war.

Waren Sie und Ihre Familie antikommunistisch?Ja, total! Wenn mein Vater etwas getrunken hatte, öffnete er nachts

das Fenster und schimpfte über die Kommunisten. Ich hab’s mir als

Kind sehr gut gemerkt.

Sie waren also immun gegen die Partei und die Gewerkschaft?Damals wurden die Leute nicht unbedingt aus eigenem Willen Mit-

glieder der Gewerkschaft.

Aber Sie haben sich für die Arbeitnehmer eingesetzt?Zu Beginn meiner Arbeitszeit gingen die Tramtüren oft kaputt und

standen auch während der Fahrt offen. Wir wollten deswegen strei-

ken, aber meine Kollegen riskierten es nicht, wegen ihrer Familien.

Bis zum Jahr 1980.

Hatte die Tätigkeit der Freien Gewerkschaft einen Einfluss darauf?Ich habe immer die Werftmitarbeiter gefahren. Von der Brücke bei der

Werft flogen bei jedem Schichtwechsel Flugblätter herunter. Irgend-

wann wurden plötzlich viele aktiv.

Erzählen Sie uns bitte von dem Tag, an dem Sie Ihre Tram ge-stoppt haben!Ich war sehr aufgeregt und hatte große Angst, auch vor der Reakti-

on der Passagiere. Ich hatte nicht geplant, die Tram anzuhalten. Ich

wollte etwas unternehmen, als ich erfuhr, dass der Streik in der Werft

angefangen hatte. Mir war klar, dass ich mit einem Halt bei der Oper

den gesamten Verkehr in Gdańsk lahm legen würde. Die Tram war

brechend voll, die Leute fuhren zur Arbeit. Ich habe trotzdem gestoppt

und verkündet: »Wir halten an, weil auf der Werft auch niemand mehr

arbeitet. Wir müssen den Streik unterstützen.« Ich hatte große Angst

vor der Reaktion der Fahrgäste - aber sie haben geklatscht. Es war

unglaublich! Ich habe in der Tram geweint. Meine Kollegen kamen

zu mir und wir besprachen den weiteren Streikverlauf. Wir verfassten

unsere Forderungen und ein Kollege brachte sie zur Werft. Lange Zeit

kehrte er nicht zurück. Wir hatten Angst, dass die Werft nicht mehr

streikte. Dann sollte ich zur Werft fahren. Und es stellte sich heraus,

dass Wałęsa das Streikende angekündigen wollte.

Was haben Sie dann gemacht?Ich bin auf einen Wagen gesprungen, habe geschrieben, wer ich bin

und woher ich komme. Die Mitarbeiter versammelten sich um mich

herum. Dann kam auch Wałęsa zu mir. Ich rief: »Verrat! Wenn ihr uns

verlasst, sind wir verloren!«

Wie haben die anderen reagiert?Wałęsa überlegte kurz, beendete aber den Streik nicht. Wir wählten

noch zwei Männer als Berichterstatter über die Ereignisse auf der

Werft. Und ich erfuhr, dass wir durch die Miliz und das »SB« [Sicher-

heitsdienst] beobachtet wurden.

Wie haben Sie Lech Wałęsa während des Streiks in Erinnerung?Er war schnell beleidigt, wenn er etwas nicht akzeptieren konnte und

ging dann raus. Aber alle konnten sich äußern und ihm auch wider-

sprechen. Er war charismatisch, das hat die Massen angesprochen.

Was haben Sie später gemacht, viele Monate nach dem Streik?Ich habe mich weiter für »Solidarność” engagiert, habe geholfen, Op-

positionsmaterialien zu kopieren und zu drucken. Einmal fand der

»SB« bei mir eine Teigrolle zum Kopieren von Texten und schlug mich

in meiner Wohnung so zusammen, dass ich mein Kind verlor. Sie ver-

hafteten mich für 48 Stunden, verhörten mich, entließen mich und

verhafteten mich wieder. Ich musste eine Verweisung und ein Ar-

beitsverbot in der Volksrepublik Polen unterschreiben. Politisch habe

ich mich später mit den Solidarność-Mitarbeitern nur eingeschränkt

eingelassen. Ihre kämpferische, unversöhnliche Art gefiel mir nicht.

Mit Wałęsa traf ich mich auch nur selten.

Missbilligen Sie etwas im Verhalten von Wałęsa?Ja, vielleicht, dass er seine Mitstreiter vergessen hat, und dass er die

Werft nicht aus der Pleite gezogen hat. Und dass er zum 25. Jahres-

tag der Augustvereinbarungen die einfachen Werftmitarbeiter nicht zu

den Feierlichkeiten eingeladen hat. Ich bin enttäuscht. Aber Wałęsa

war mutig, er hat sich nicht einschüchtern lassen und dafür sollten

wir ihn schätzen.

Übersetzung: Agnieszka Kudelka

»Diese Tram fährt nicht weiter«

Das vollständige Interview ist in polnischer Sprache nachzulesen unter:http://www.krytykapolityczna.pl/Nr-16-17-jesli-nie-monogamia-to-co/Tramwajem-do-domu-dziecka/menu-id-27.html

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Berlin ist eine sehr lebens- und liebenswerte Stadt. Das liegt nicht

zuletzt auch an den Besuchern, die in den letzen 300 Jahren für

internationales Flair sorgten. Für die Begegnungen, die sich aus die-

ser bunten Durchmischung von Menschen ergeben, könnte man

eine eigene Kategorie einführen, die der »Berliner Begegnung«. Eine

Berliner Begegnung ist multinational, spontan und kreativ. Die er-

örterten Ideen werden nicht immer, aber auch nicht selten in die

Realität umgesetzt.

So auch bei der Berliner Begegnung zwischen einer jungen Ungarin,

Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung und bei einer Berliner Senats-

verwaltung hospitierend und dem Verfasser dieser Zeilen. Letzterer

befasst sich seit rund 20 Jahren mit der Idee, mit den in seinem

Besitz befindlichen ersten Stücken der Maueröffnung ein Denkmal für

diesen europäischen Umbruchsmoment zu errichten.

Für einen Fernsehbeitrag von arte war das erste Segment im Maß-

stab 1:1 aus Holz und Styropor nachgebaut worden und wartete nun

anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls auf weitere Einsätze.

Aus der zufälligen Begegnung an einer Verkehrsampel in Kreuzberg

ergab sich eine Einladung der Robert Bosch Stiftung zu einem Sym-

posium nach Sopron in Ungarn, wo am 19. August mit der Öffnung

der Grenzanlagen beim Paneuropäischen Picknick ein wichtiger Bei-

trag zur Überwindung der europäischen Teilung geleistet wurde. Eine

Einladung zum MitOst-Festival in Danzig folgte, sowie in das Okkupa-

tionsmuseum in Riga anlässlich des 20. Jahrestages der »Baltischen

Kette«. Letztere ein ebenfalls wichtiges und viel zu wenig beachtetes

Ereignis im Umbruchsjahr 1989.

Damit waren die Eckdaten einer rund 4.500 km langen und mit Un-

terbrechungen fast vier Monate währenden Ausstellungsreise gesetzt.

Die Route führte von Sopron aus ins Dreiländereck Slowakei/Polen

/Ukraine, um von hier aus entlang der Flüsse San, Bug und Narew

dem Grenzverlauf des Hitler-Stalin-Paktes zu folgen. Die Routenfüh-

rung ergibt sich aus dem auf den Originalmauerteilen von einem

Esten aufgesprühten Graffiti mit ineinander verschränktem Hammer

und Sichel sowie Hakenkreuz als Protest gegen den Hitler-Stalin Pakt

von 1939 und der Forderung »FREE THE BALTIC STATES«.

Die von den zwei Diktatoren willkürlich festgelegte europäische Tren-

nungslinie beginnt im Süden an der Quelle des Flusses San. In im-

perialer Nachlässigkeit zog man die Linie einige hundert Meter wei-

ter nach Süden bis in den Garten eines freundlichen ukrainischen

Bauern hinein, der von dieser welthistorischen Relevanz bisher noch

nichts geahnt hatte.

Eine Vielzahl improvisierter Ausstellungen in Polen, Litauen, Lettland

und Estland schloss sich an. In der estnischen Hauptstadt Tallinn

diente das Stück als Kulisse einer Rede des Staatspräsidenten Too-

mas Hendrik Ilves.

Die letzte Etappe vor der Rückkehr nach Berlin war ein Aufenthalt

beim MitOst-Festival in Danzig unter dem Motto »20 Jahre Wende«.

Das mittlerweile von Menschen aus ganz Europa künstlerisch mitge-

staltete Mauerteil bewies mit der tatkräftigen Unterstützung mehrerer

Festivalteilnehmer seine Schwimmfähigkeit vor der Danziger Werft –

eine Verbeugung vor der polnischen Gewerkschaft Solidarność, de-

ren Wirken Europa die ersten Risse in der Mauer verdankt.

Berliner Begegnungund was daraus entstand

Vier Tage lang lud ein nachgebildetes Stück der Berliner Mauer in der Danziger Fußgängerzone Mit- Ostler und Passanten ein, es mittels Stiften und Farben zu gestalten. Im Anschluss an das Festival ließ der Besitzer Hans Martin Fleischer das Mauerstück mit Hilfe einiger MitOst-Mitglieder in der Dan-ziger Werft schwimmen. Diese Kunstaktion war der Endpunkt einer langen Reise quer durch Europa, von der Hans Martin Fleischer im Folgenden berichtet.

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7. Internationales MitOst-Festival

Was ist das Besondere an europäischen Städten? Wie können wir das Ziel eines umwelt-

freundlichen, sozialen und demokratischen Zusammenlebens in einer Stadt wie Danzig um-

setzen? Diese Fragen diskutierten 20 Schülerinnen und Schüler im Rahmen des MitOst-Schul-

projekttags zum Thema »Europa findet Stadt!«.

Die Idee unseres Vereins wollten wir den Schülerinnen und Schülern der 11. Klasse des

Liceums II in Danzig kreativ näher bringen und mit ihnen der Frage nachgehen, wie zivil-

gesellschaftliches Engagement in ihrer Stadt aussehen könnte. Die Diskussionen und Ge-

danken der Teilnehmer über Initiativen, die Danzig umweltfreundlicher machen könnten,

waren vielfältig. Am Ende des Tages machte jedoch eine Idee das Rennen um das beste

Zukunftsprojekt für Danzig: eine Fahrradverleihstation. Sowohl Schülerinnen und Schüler als

auch die Seminarleiterin Marta, ausgebildet vom Theodor-Heuss-Kolleg, hätten an diesem

Punkt gern weitergearbeitet: Warum erscheint den Jugendlichen gerade eine Fahrradver-

leihstation als möglicher Schritt in die richtige Richtung? Wer kann was beisteuern und wann

fangen wir an?

Doch auch das Interesse an Marta und ihrem Engagement beim Theodor-Heuss-Kolleg war

groß. Warum sie nach Georgien gezogen sei und ob denn ein Debattierclub auch so etwas

wie zivilgesellschaftliches Engagement sei, waren nur zwei der Fragen. Der Schulprojekttag hat

die Neugier an MitOst und seinen Programmen geweckt – das Konzept ist somit aufgegan-

gen. Noch am gleichen Abend trafen wir auf der MitOst-Party eine Schülerin vom Vormittag in

der zu Balkanbeats tanzenden Menge.

Das Rezept für dieses erfolgreiche Projekt? Man nehme zwei aktive MitOstlerinnen, die die

Leidenschaft für die Bildungsarbeit verbindet, dazu kommen eine engagierte Lehrerin an einer

deutschen Schule in Danzig aus dem MitOst-Netzwerk samt ihren kreativen Schülerinnen und

Schülern sowie die tolle Unterstützung aus dem Schulreferat der MitOst-Geschäftsstelle.

Ein Tag, der viele Ideen hervorbrachte, wie gesellschaftliches Engagement in Europa aussehen

kann, und einige Menschen für MitOst begeisterte.

Festival trifft SchuleIm MitOst-Referat »Schülerinnen und Schüler in Europa« organisierte die Arbeitsgemeinschaft Schule eine Fortbildung für Multiplikatoren und einen Schulprojekttag.

Europa findet Stadt!Schulprojekttag am Liceum II

Von Katharina Lampe

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Was hat eine Streichholzschachtel mit der Revolution 1989 in Rumänien zu tun? Die Teilneh-

mer sehen gespannt auf das lange Streichholz und finden keine Antwort. Dann löst Agnes

Simon, die rumänische Seminarleiterin, das Geheimnis. Das Streichholz symbolisiert die mög-

liche Zündung einer Flamme – sinnbildlich für die so genannte rumänische Revolution 1989

– die aber nicht aufloderte, weil die dazu notwendige Reibungsfläche der Streichholzschachtel

fehlte. Zum Auftakt der Fortbildung präsentieren die Workshopteilnehmer aus Polen, Russland,

der Ukraine, Albanien, der Slowakei und Deutschland persönliche Erinnerungsgegenstände

aus der Zeit des Kommunismus und lassen die anderen raten, was sie damit verbinden.

In der Fortbildung »1989 – Ein kollektives Gedächtnis?« für Lehrerinnen und Lehrer geht es um

die kollektiven und subjektiven Erinnerungen an die Umbrüche des Jahres 1989 und um die

Vermittlung der Methode des narrativen Interviews.

Im Gespräch zeigt sich, dass allein für die Beschreibung des Ereignisses verschiedene Be-

zeichnungen exisitieren. In der Slowakei wird die Wende als die »Samtene Revolution« be-

zeichnet, in Deutschland als die »Friedliche Revolution«, in Rumänien als die »So genannte

Revolution«, in Polen einfach als die »Wende« und in Albanien spricht man stets von der Zeit

»vor Hoxha» und der Zeit »nach Hoxha«.

Die Wende 1989 wurde sehr unterschiedlich wahrgenommen. Eine Schulleiterin aus dem

Ruhrgebiet empfand die tobenden Arbeiterkämpfe um die Erhaltung der Stahlwerke in Duis-

burg Ende der achtziger Jahre als einschneidender für ihr persönliches Leben als den Fall der

Mauer. Dagegen betont eine Geschichtslehrerin aus Rostock, wie viele Jahre sie brauchte, um

die Umbrüche in der DDR persönlich zu verarbeiten. Eine Polin beschreibt den Generalstreik

an der Universität in Posen, an dem sie als Studentin teilgenommen hat, als ihr persönliches

Wendeerlebnis. Eine der jüngsten Teilnehmerinnen des Seminars aus der Ukraine erzählt,

wie sie im Jahre 1992 als Sechsjährige zusammen mit ihrer Familie aus Aserbaidschan in die

Ukraine floh.

Im zweiten Teil des Seminars wird die Methode des narrativen Interviews vermittelt. Die Teil-

nehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlicher Generationen interviewen sich gegenseitig.

Sie erzählen über Ereignisse des Umbruchs, die in ihrem eigenen Leben brisant waren. An-

schließend üben sie das Formulieren von Fragen, um ein Interviewgespräch mit unterschied-

lichen Fragetypen steuern zu können.

Nicht nur der multiperspektivische Blick auf die Vorgänge des Jahres 1989 war Ziel des Semi-

nars, sondern auch, die Teilnehmer anzuregen, selbst Projekte mit Schülern durchzuführen.

Dies ist gelungen. Der Austausch war sehr lebhaft und einige Teilnehmer diskutierten am

Ende sogar über gemeinsame binationale Schülerprojekte.

1989 –Ein kollektives Gedächtnis?Fortbildung für Multiplikatoren

Von Annett Polk

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Unsere Geschichte nahm 60 Kilometer nordwestlich von Danzig

ihren Anfang, in der Nähe der Stadt Putzig/Puck, im so genannten

Korridor. Das Gut Celbau/Celbowo lag in einer Gegend, in der Polen

und Deutsche seit Jahrhunderten zumeist friedlich miteinander leb-

ten. Die Familie erwarb das Gut 1823, als Celbau noch zu Preußen

gehörte. Mit dem Ende des 1. Weltkriegs wurde Celbau polnisch,

so dass die Großeltern und die Mutter polnische Staatsbürger mit

deutscher Nationalität wurden. Viele Polen wurden damals aus dem

Korridor vertrieben. Mit Ausbruch des 2. Weltkriegs wurde der Korridor

wieder ins Deutsche Reich eingegliedert.

In den Jahren 1938 bis 1944 hat meine Mutter, Elisabeth Paetzold,

vier Söhne geboren: Klaus (1938), Wolf (1940), Hans Friedrich (jetzt

Staś, 1942), und mich, Rainer Joachim, (jetzt Joachim oder Jerzy,

1944). Unser Vater wurde 1943 eingezogen. Ende 1944 kamen die

Flüchtlingszüge aus Ostpreußen, so dass Mutter gedrängt wurde, zu

fliehen. Allerdings war die Flucht im harten Winter mit vier kleinen

Kindern viel zu riskant, so dass wir jüngeren Geschwister, Hans Fried-

rich und ich, vorerst bei den Großeltern blieben.

Zu dieser Zeit wurde der Vater in der Nähe von Mostar von serbischen

Partisanen erschossen, galt aber noch jahrelang als vermisst. Nach

der gelungenen Flucht meiner Mutter ließ sie die älteren Geschwister

bei Verwandten westlich der Elbe und versuchte, zurück nach Celbau

zu kommen. Die Front bewegte sich aber schneller als vermutet. Die

Rote Armee stieß auf Kolberg, Danzig und Putzig wurden in einem

Kessel eingeschlossen, so dass für Mutter der Weg zurück von West-

deutschland nach Putzig abgeschnitten war. Als sie versuchte, mit

dem Schiff von Swinemünde nach Danzig durchzukommen, wur-

de der Hafen vor ihren Augen zerbombt. Im März 1945 kamen die

Russen nach Putzig. Die Großeltern wurden vom Gut verjagt und

obdachlos, Großmutter starb in einem Altersheim und Großvater im

russischen Lager Fünfeichen in Neubrandenburg. Putzig und Celbau

wurden nun wieder polnisch. Viele Deutsche waren gezwungen, das

Land zu verlassen.

Auf der Suche nach den Söhnen in Danzig verhaftetMein Bruder und ich kamen in ein Kinderheim in Zoppot/Sopot. Dort

wurden wir unter fiktiven polnischen Namen und Geburtsdaten er-

fasst. Ich wurde von einem polnischen Ehepaar als leibliches Kind ad-

optiert und mit einer entsprechenden Geburtsurkunde ausgestattet.

Mein Bruder Hans Friedrich lebte in der Wohnung der Heimleiterin,

die ihn lieb gewann und für ihn sorgte. Da eine legale Einreise für

eine Deutsche nach Polen damals nicht möglich war, reiste unsere

Mutter im November 1945 illegal mit der Bahn nach Putzig und fand

schließlich meinen Bruder, der ihr durch ein Gerichtsverfahren zu-

Das Grenzgänger-Programm der Robert Bosch Stiftung unterstützt Autoren bei Recherchen für Ver-öffentlichungen, die die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas oder China als Thema grenzüber-schreitend und für ein breites Publikum aufbereiten. Eines der geförderten Werke ist der auf dem Festival gezeigte Dokumentarfilm »Söhne« (2007) von Volker Koepp, der die Lebensgeschichte von Joachim (Jerzy) Paetzold und seinen Brüdern aufzeichnet. Noch lange nach der Vorführung des Films diskutierten die beeindruckten MitOstler mit Paetzold, der persönlich in Danzig anwesend war. Für das MitOst-Magazin erzählt Joachim Paetzold noch einmal die unglaubliche Geschichte der »Söhne«.

Söhne – eine etwas andere deutsch-polnische Familiengeschichte

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Nach welchen Kriterien sucht ihr die Grenzgänger-Autoren aus?Wichtig ist uns ein frischer Blick auf die gewählte Region. Bestechend

ist auch eine innovative Form, etwa ein Animationsfilm. Gerade för-

dern wir zum Beispiel eine Graphic Novel über den polnischen Arzt

und Pädagogen Janusz Korczak, der zusammen mit den Kindern des

von ihm geleiteten Waisenhauses im Konzentrationslager Treblinka

starb.

Bewerber müssen schon eine Publikationszusage eines Verlags oder einer Rundfunkanstalt vorweisen können – keine einfache Voraussetzung.Das ist in der Tat die größte Hürde, vor allem bei Büchern. Aber man

kann ja auch bei kleinen Verlagen anfangen. Im Hörfunk kommt man

dagegen besser unter. Uns geht es vor allem darum, dass die Leute

sich den Markt schon mal angeschaut haben, Kontakt aufgenom-

men haben. Das Produkt sollte nicht lediglich erst im Ideenstadium

stecken.

Wie gestaltet sich der Kontakt zu den Grenzgängern?Wir unterstützen sie von Beginn an mit unserem Netzwerk. Wenn

jemand etwa für die Recherche den Alltag eines Kindes in Ostpolen

kennenlernen will, schauen wir, wen wir vermitteln können. Diese

kleinen alltäglichen Dinge sind für die Autoren oft am schwersten zu

bewerkstelligen.

Gibt es ein Grenzgänger-Werk, das du besonders gerne magst?Hm, da gibt es viele. Sehr gern mag ich Oliver Bottinis »Im Auftrag der

Väter«, ein Krimi, der in Kroatien spielt. Ein abgewiesener Antragsstel-

ler, ein Donauschwabe, verübt einen Mordanschlag. Das war für mich

eine lustige Pointe, da ich ja täglich mit abgewiesenen Antragsstellern

zu tun habe. Bisher zum Glück ohne Folgen! Und Saša Stanišićs »Wie

der Soldat das Grammofon repariert« hat mich so beeindruckt, dass

ich privat die Stationen seines Romans nachgereist bin, von Sarajevo

über Višegrad bis ins winzige Dorf seiner Großeltern.

Im Rahmen des MitOst-Festivals habt ihr zwei Kulturveranstaltun-gen gefördert, die Filmvorführung »Söhne« und eine Lesung mit der Autorin Emma Braslavsky. Unter welchen Bedingungen kön-nen MitOst-Mitglieder eine Veranstaltung bei euch beantragen?Die Organisatoren sollten mit einer Institution zusammenarbeiten,

etwa einer Bücherei, einer Uni, einer Schule oder einem Literatur-

haus. Gerne fördern wir Tourneen oder Veranstaltungsreihen, bei de-

nen beispielsweise drei verschiedene Autoren an einem Ort lesen.

Und wir freuen uns immer, wenn wir die Werke in die Länder zurück-

tragen können, in denen die Inspiration zu ihnen lag!

Mehr zum Grenzgänger Programm:www.bosch-stiftung.de/grenzgaenger

Recherchen in MOEFörderung durch das Grenzgänger-Programm

rückgegeben wurde. Kurz bevor Mutter mit dem nächsten Transport

zurück nach Deutschland fahren konnte, wurde sie auf der Straße in

Danzig verhaftet. Als sie nach 8 Monaten aus dem Gefängnis frei

kam, war die Leiterin des Kinderheimes mit Hans Friedrich Richtung

Warschau verschwunden und hatte die Spuren verwischt. Anfang

1947 fand unsere Mutter ein Kind, das vom Alter her und vom Aus-

sehen mir, ihrem jüngsten Kind, entsprach.

Mich hatte sie zuletzt im Alter von 10 Monaten gesehen. In dieser

Zeit lebte mein älterer Bruder mit seiner Pflegemutter in der Nähe

von Warschau unter den Namen Stanisław (Staś) und ich in Danzig

bei meinen Pflegeeltern unter den Namen Jerzy. Unsere Pflegefami-

lien wussten, aus welcher Familie wir kamen und dass wir gesucht

werden. Da Mutter dachte, ihren jüngsten Sohn gefunden zu haben,

suchte sie nur nach Hans Friedrich (Staś). 1955 erfuhr er als 13Jähri-

ger von der polnischen Polizei, dass er ein Deutscher ist. Seine Pflege-

mutter wollte ihn allerdings nicht hergeben und auch er wollte Polen

nicht verlassen. Ich lebte in dieser Zeit in Danzig und war überzeugt,

dass ich bei meinen leiblichen Eltern lebe. Ich wurde auch wie ein

leibliches Kind behandelt und sehr gut versorgt und gefördert. 1959,

als ich 15 war, erzählte mir meine polnische Pflegemutter, dass ich

nicht ihr leibliches Kind bin. Sie bewegte mich dazu, Kontakt mit mei-

ner Mutter aufzunehmen.

Fünf statt vier SöhneSo erfuhr unsere leibliche Mutter schließlich, dass sie nicht den »ech-

ten« Rainer gefunden hatte, und dass sie nun statt vier fünf Söhne

hatte. Ich selbst wollte allerdings lieber in Polen bleiben, die deutsche

Familie war mir fremd. Erst 1973 beschloss ich, Polen zu verlassen

und in Deutschland zu leben. Für die Ausreise nutzte ich eine Sil-

vesterreise nach Jugoslawien und Venedig. Seit der Zeit lebe ich in

Deutschland im engen Kontakt mit meiner deutschen Familie. Staś

kommt häufig zu Besuch. Unsere Mutter hat es genossen, alle ihre

Söhne wieder um sich zu haben. 1998 starb sie mit fast 90 Jahren.

Offiziell heiße ich jetzt Joachim Paetzold (um nicht mit Rainer ver-

wechselt zu werden). Von allen Verwandten und Freunden werde ich

aber Jerzy genannt.

Das prominenteste Werk, das im Grenzgänger-Programm gefördert wurde, ist mit Sicherheit der Ro-man »Atemschaukel« der Nobelpreisträgerin Herta Müller. Doch auch unbekannte Autoren können sich bewerben. Das Genre reicht von Prosa, Foto(text)bänden, Kinder- und Jugendbuchliteratur über Drehbücher bis zu Hörfunkbeiträgen. Pro Jahr bewerben sich rund 300 Autoren. Das Programm för-dert außerdem Veranstaltungen, in denen die Grenzgänger-Werke präsentiert werden. Julia Ucsnay sprach mit Dr. Maja Sibylle Pflüger von der Robert Bosch Stiftung.

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Amaro Sumnal – Nasz Swiat – unsere WeltVon Agnieszka Kudelka und Petra Sejdi

In Wejherowo, etwa 50 Kilometer von Danzig entfernt, wohnen 70

Romafamilien. Wir wollten erfahren, wie ihr Leben dort aussieht und

führten anlässlich des Festivals ein Fotoprojekt mit Kindern und Ju-

gendlichen durch. Wir baten die Schüler, mit einer Einwegkamera ih-

ren Alltag, die Welt, in der sie sich bewegen, zu dokumentieren und

zu kommentieren. Auf diese Weise wollten wir ihnen die Gelegenheit

geben, sich selbst zu präsentieren und andere über eventuell falsche

Vorstellungen aufzuklären. Der Kontakt zu den Schülern wurde uns

durch zwei von der polnischen Regierung beauftragte Romareferen-

tinnen ermöglicht (deren Aufgabe v.a. darin besteht, die Romakinder

im Lernprozess zu unterstützen und der polnischen Bevölkerung die

Romakultur näher zu bringen).

Die so entstandene Ausstellung wurde in der MitOst-Festivalzentrale

in Danzig gezeigt. Eingeladen waren auch die jungen Fotografen, die

aber leider nicht teilnahmen. Ein Schulfeiertag sowie eine gewisse

Scheu vor der Veranstaltung mögen hier im Weg gestanden haben.

Im Rahmen der Ausstellung fand auch ein Workshop unter Leitung

des Roma Gjulner Sejdi statt, bei der die Teilnehmer mehr über das

Projekt, die polnischen Roma und Roma anderer Länder erfuhren.

Bisher wurde den Roma in Wejherowo zwar Aufmerksamkeit von Sei-

ten der Regierung geschenkt - einmal im Jahr gibt es so genannte

»Romakulturtage« in Wejherowo. Das Wissen über Roma in Wejhe-

rowo, ihre Sitten und Kultur ist aber selbst in anderen nah gelegenen

Städten wie Danzig sehr wenig verbreitet. Die Roma in Wejherowo

sind sehr zersplittert. Nur ein paar Familien wohnen nah beieinander.

Sie pflegen und achten ihre Traditionen sehr, die sich in vieler Hin-

sicht (z.B. in der Religion - polnische Roma sind hauptsächlich katho-

lisch -, aber auch, was die Anbindung an die Mehrheitsgesellschaft

betrifft) von denen der Roma anderer Länder unterscheiden. Proble-

me und Meinungen werden meist nur von den Romareferentinnen,

die in Wejherowo gleichzeitig die Verbindung zu den administrativen

Einrichtungen bilden, der Öffentlichkeit präsentiert.

Insofern war neben Workshop, Ausstellung und Infoveranstaltung

auch ein von uns organisiertes Zusammentreffen mit dem Bürger-

meister der Stadt Wejherowo bedeutsam, um unser Projekt vorzustel-

len und die Roma in ihrer Arbeit zu stärken.

Das Projekt wurde von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und

Zukunft« gefördert.

DIE BLUMEN MEINER MUTTER. WIR LEBEN IN EINEM MEHRFAMILIENHAUS. DIE MEISTEN LEBEN NOCH IMMER IN DEN BARACKEN, SIE WOLLEN GAR NICHT UMZIEHEN.WIR HABEN ES DOCH GEMACHT.

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

DIESES TUCH IST SEIT SEHR LANGEM IN UNSERER FAMILIE. MEINE MUTTI TRÄGT ES ZU WICHTI-GEN FAMILIENFESTEN, ABER ES IST SEHR SCHWER UND SIE MAG ES NICHT LANGE ANHABEN.

WIR KÜMMERN UNS UM SAUBERKEIT. DIE TEPPICHE MÜSSEN OFT SAUBER GEMACHT WERDEN, WEIL MAN IM HAUS VON ROMA NICHT DIE SCHUHE AUSZIEHEN DARF.

DAS IST UNSERE VERKÄUFERIN. SIE IST POLIN, ABER WIR SIND TROTZDEM SEHR MITEINANDER BEFREUNDET.

ICH FAHRE GERNE MIT MEINEM POLNISCHEN PAPA ZU DEN PFERDEN AM RANDE VONWEJHEROWO.

SO SIEHT UNSERE KLEINE SIEDLUNG NACH DEM REGEN AUS.

WIR GEHEN OFT MIT DER MUTTER ZUR KIRCHE. WIR BETEN ZUSAMMEN MIT DEN POLEN. DIE KIRCHE IST SCHÖN. DIE GANZE SIEDLUNG HAT DAFÜR GESPENDET.

SO HEIZEN WIR. SO ETWAS HAT NICHT JEDE FAMILIE.

UNSER HAUS WIRD IMMER SCHÖNER. DIE FENSTER SIND SCHON NEU...

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

MitOst als Ganzes sehenMitgliederversammlung im Alten Rathaus von Danzig. Der neue Vorstand wird gewählt, vier Mitglie-der bleiben, zwei kommen neu hinzu. Vorstandsarbeit kostet viel Zeit und mitunter auch Nerven. Wo der aktuelle Vorstand MitOst sieht und was es bedeutet, ein solches Ehrenamt auszuüben, erfragte Lisa E. Wagner.

Stephan Bull1. Vorsitz, Vorstandsmitglied im 3. Jahr

Was steht für dich hinter dem Begriff »MitOst«?MitOst ist für mich inzwischen fast ein Eigenbegriff. Er steht für die

Überwindung der klassischen Einteilung in West-, Mittelost- und Ost-

europa und damit für die Definition einer Region, die von der West-

grenze Deutschlands bis nach Wladiwostok reicht und vom Kaukasus

bis zum Ostbalkan…

Welche Erfahrungen verbindest du mittlerweile mit dem Verein und der Vereinsarbeit?Vereinsarbeit ist manchmal wie eine Droge, man kann nicht ohne

sie, aber auch manchmal nicht mit ihr. An keinem anderen Ort hätte

ich als Ehrenamtlicher ausprobieren können, an leitender Stelle mit

viel Verantwortung Entscheidungen herbeizuführen und dann auch

umsetzen zu dürfen. Schwierig ist es, im Vorstand genau an der

Schnittstelle zwischen Haupt- und Ehrenamt zu arbeiten. Teilwei-

se braucht es dabei die Professionalität und Möglichkeiten eines

Hauptamtlichen, um der Aufgabe gerecht zu werden. Gleichzeitig

arbeitet man aber unter den zeitlichen Bedingungen eines ehren-

amtlich Aktiven: immer in der Freizeit, häufig genug neben einem

Job mit Zehn-Stunden-Tagen. Diesen Spagat hinzubekommen, ist

nicht einfach. Und trotzdem: dann erlebt man wieder MitOst als

einen Ort, an dem das Unmögliche möglich gemacht wird. Dinge

ausprobiert werden und aus einer unbeschreiblichen Kreativität he-

raus vorangetrieben werden.

An welcher Stelle kann MitOst noch zulegen?Am liebsten würde ich jedem einzelnen Mitglied sagen: Es geht um

euch, wenn es um die Zukunft von MitOst geht, nicht um irgendeine

ferne, selbstverständliche Struktur! Wir brauchen mehr Bewegung in

allen Regionen und Gruppen von MitOst. Der Vorstand allein wird

zusammen mit den hauptamtlichen Mitarbeitern die Zukunft des

Vereins in der aktuellen Form nicht sichern können. Viele Mitglieder

sitzen mir inzwischen zu häufig auf der Konsumentenbank und sind

zu wenig selbst aktiv. Wir brauchen mehr Ideen, wie ein aktiver Verein

auch ohne viel Geld funktionieren kann. Und wir konzentrieren uns

immer noch zu stark auf Deutschland, um Partner zu finden, die uns

bei unserem Engagement unterstützen.

Stephan Bull ist Referent der sozialdemokratischen Fraktion im Deut-

schen Bundestag in Berlin, zuständig für Verkehr, Bau und Stadtent-

wicklung, Mobilität und Umwelt, europäische Verkehrspolitik.

Ulrike Würz2. Vorsitz, Vorstandsmitglied im 2. Jahr

Was siehst du als Vorstandsmitglied anders, als du es als Ver-einsmitglied gesehen hast?Diese Frage kann ich relativ leicht und nüchtern beantworten: Als

Vorstand muss ich zusammenhängende und zum Teil eng mitein-

ander verwobene Strukturen sehen, bedenken, berücksichtigen, die

mir als Vereinsmitglied nur als Ausschnitt, insbesondere als Alumna,

bekannt und bewusst waren. MitOst als Ganzes sehen, in all seinen

Teilen – das ist etwas, was man als Vorstandsmitglied lernt. Dieser

Lernprozess ist zuweilen schmerzhaft, da man dadurch auch Grenzen

wahrnimmt, insbesondere die Grenzen menschlicher Kapazitäten

und finanzielle Grenzen.

Welcher Teil deiner Vorstandsarbeit ist dir besonders wichtig?Ganz klar – meine Tätigkeit im Schulbereich, weil ich dort mehr oder

weniger als ganz normales Mitglied aktiv sein kann. Mich hat z.B. un-

glaublich beeindruckt, dass wir es innerhalb einer Woche geschafft

haben, eine Grundtvig-Lernpartnerschaft zu konzipieren und bis zum

Antrag zu bringen.

An welcher Stelle kann MitOst noch zulegen?Ich glaube, dass die regionale Bindung in allen MitOst-Ländern zu-

nehmend wichtiger wird. Unsere Mitglieder vor Ort zusammenzubrin-

gen, neue Mitglieder zu begeistern wird eine Hauptaufgabe in der

Zukunft sein. Diese kann aber auch nur durch unsere Mitglieder um-

gesetzt werden. Darüber hinaus müssen wir verstärkt allen jetzigen

und künftigen Mitgliedern zeigen, was ihnen MitOst gibt – ein gran-

dioses internationales (Alumni-)Netzwerk, ein Festival, Möglichkeiten

des aktiven und auch des passiven Engagements.

Ulrike Würz arbeitet am Institut für Auslandsgermanistik, Deutsch als

Fremd- und Zweitsprache an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Eszter KovátsProjekte, neu gewähltes Vorstandsmitglied

Was steht für dich hinter dem Begriff »MitOst«?MitOst ist für mich Internationalität im Alltag. Er verbindet meine

Faszination für Deutschland und mein Interesse für Osteuropa. Mit-

Ost ist für mich Lieferant neuer Interessen: Durch spannende Leute,

politische Themen, kulturelle Ereignisse, bisher unbekannte Länder,

ja, auch durch Projektanträge öffnet mir meine Mitgliedschaft meine

Augen täglich für etwas Neues.

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Welche Erfahrungen verbindest du mittlerweile mit dem Verein und der Vereinsarbeit?Vereinsarbeit verbinde ich stark mit der Projektarbeit. Ich wünsche mir

so sehr, dass Mitglieder, die über die Projektarbeit zu MitOst gekom-

men sind, sich auch danach noch einbringen. Das könnte dem Verein

einen kreativen Schwung geben. Als Projektbeiratsmitglied habe ich

häufig das Gefühl, dass wir von vielen Mitgliedern als simple Geldge-

ber gesehen werden. Kommunikation und echter Austausch gestal-

ten sich so schwierig in unserem tollen, aber großen Verein...

Welcher Teil deiner Vorstandsarbeit ist dir besonders wichtig?Klar die Arbeit im Projektbeirat. Eine kreative, unkomplizierte Gruppe.

Ich hoffe, wir ziehen unsere vielen Ideen dieses Jahr durch – neue

Kooperationen, Mitgliederprojekte, über die die Mitglieder selbst ab-

stimmen können, unsere Präsenz auf betterplace usw.

Estzer Kováts arbeitet als Projektmanagerin der Bereiche »Arbeits-

beziehungen und Gewerkschaften« sowie »Gender« im Budapester

Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Maria ShamaevaAlumni, Vorstandsmitglied im 2. Jahr

Was steht für dich hinter dem Begriff »MitOst«?Ideen. Gutes zusammen tun. Ehrlich gesagt ist das eine ziemlich

schwierige Frage. MitOst lässt sich nicht mit einem Satz beschreiben.

Kulturaustausch plus Zivilgesellschaft ist zu wenig gesagt. Wir sind ein

Verein, in dem der Prozess und die Atmosphäre oft wichtiger sind als

Ziele bzw. selbst schon als Ziele dienen.

Welche Erfahrungen verbindest du mittlerweile mit dem Verein und der Vereinsarbeit?Entscheidungen bei vielen Variablen nach dem Mehrheitsprinzip zu

treffen, sie nach außen zu vertreten und für deren Folgen Verantwor-

tung zu tragen.

Auf welche Ereignisse im MitOst-Jahr freust du dich?Auf das Bilanzseminar des Theodor-Heuss-Kollegs. Es ist schon zur

Tradition geworden, dass die Sommersitzung des Vorstands am Ran-

de des Bilanzseminars stattfindet. In diesem Jahr freue ich mich ganz

besonders darauf, weil ich dank des Projektetreffens in Nowosibirsk,

das ich mitgeleitet habe, nun einen großen Teil der aktuellen Projekte

und Projektteams des Kollegs kenne und sehr gerne etwas über die

Entwicklungen in den Projekten erfahren würde. Und selbstverständ-

lich freue ich mich auf das Festival.

Maria Shamaeva unterrichtet die Fächer »Grundlagen der staatlichen

und kommunalen Verwaltung« sowie »Wohnungswirtschaft« an der

Sibirischen Verwaltungsakademie in Nowosibirsk.

Ivanna PekarRegionalisierung und Vernetzung, Vorstandsmitglied im 2. Jahr

Was steht für dich hinter dem Begriff »MitOst«?MitOst war für mich immer ein »Ort«, wo sich Menschen treffen, die

ohne Grenzen denken, Menschen, die nach Zusammenarbeit, Dis-

kussion und Kreativität streben. Hier kann ich meine Ideen teilen,

entwickeln und umsetzen und weiß, dass ich nicht alleine bin, dass

ich Mitdenker finde.

Welche Erfahrungen verbindest du mittlerweile mit dem Verein und der Vereinsarbeit?Seit ich Mitglied des Vorstands bin, hat MitOst sein Profil inhaltlich

geschärft und konkretisiert - das hat mir ein klareres Verständnis dafür

gegeben, wofür ich mich eigentlich ehrenamtlich engagiere.

Welcher Teil deiner Vorstandsarbeit ist dir besonders wichtig?Mir liegen die regionalen Aktivitäten des Vereins sehr am Herzen. Mei-

ner Erfahrung nach entstehen große Ergebnisse von unten, in diesem

Sinn sind für mich die lokalen Tätigkeiten der Mitglieder sehr wichtig.

Ivanna Pekar unterrichtet Deutsch an der Universität ihrer ukraini-

schen Heimatstadt Ushgorod.

Dirk BretschneiderFinanzen, neu gewähltes Vorstandsmitglied

Was steht für dich hinter dem Begriff »MitOst«?Es ist eine deutsche Wortbildung, die auf die Wurzeln, die Entstehung

des Vereins verweist. »Mitte«, »Osten«, »Mittel- und Osteuropa« fallen

dazu sicher nicht nur mir ein. Die zentrale Idee daran ist für mich

allerdings das »Miteinander«, das eigentlich allen Vereinen ihren Sinn

verleiht.

Was siehst du als Vorstandsmitglied anders, als du es als Ver-einsmitglied gesehen hast?Dass so eine Organisation kein »Selbstläufer« ist, war mir schon vorher

klar. Die Vielfalt der Interessen unter einem Dach, die Möglichkeiten

und Grenzen, die sich daraus vielleicht ergeben und die Arbeit, die

der Vereinsalltag – auch den gibt es - verursacht, nimmt man als

Vorstandsmitglied jedoch deutlicher wahr.

Mit welchen Erwartungen hast du dich aufstellen lassen?Die Entscheidung, mich aufstellen zu lassen, fiel sehr kurzfristig. So

war wenig Zeit, eigene Erwartungen aufzubauen – viel mehr beschäf-

tigten mich die möglichen Erwartungen der Vereinsmitglieder.

Dirk Bretschneider arbeitet als freiberuflicher Übersetzer in Stuttgart.

VON LINKS NACH RECHTS: DIRK BRETSCHNEIDER, ESZTER KOVÁTS, MARIA SHAMAEVA,IVANNA PEKAR, ULRIKE WÜRZ, STEPHAN BULL

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Die Stadtschreiberin von Danzig

Freitagabend, Kinosaal Helikon in der Festivalzentrale. Lesung mit Sabrina Janesch, die als Stadtschreiberin seit drei Monaten in Danzig lebt und ein Internet-Tagebuch führt. 2009 wurde in Zusammenarbeit mit der Stadt Danzig erstmals das Stadtschrei-ber-Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa vergeben. Es ermöglicht Janesch, sich ein knappes halbes Jahr den Vorbereitungen zu ihrem ersten Roman zu widmen. 1985 in eine deutsch-polnische Familie geboren, wuchs Sabrina Janesch in Deutschland auf und studierte Kreatives Schreiben, Kulturjour-nalismus und Polonistik in Hildesheim und Krakau. Mit beiden Kulturen eng verbunden, brachte sie uns Danzig mit ihren Prosa-miniaturen auf feinfühlige Art näher. Einen dieser Texte drucken wir hier ab. Doch zunächst Sabrina Janeschs Blogeintrag zur Le-sung (weitere Auszüge auf den nächsten Seiten).

Genius lociMontag, 19. Oktober 2009

Am Freitag also die Lesung auf dem MitOst-Festival in Danzig. Zwölf Seiten Stadterzählung und

eine Stille im Raum, dass ich die Leute in der ersten Reihe atmen hören konnte. Nach der

eigentlichen Lesung dann eine Diskussion, die länger als der erste Teil dauerte: Jeder hatte

eine Frage loszuwerden, generell zur Literatur oder zu Danzig, aber auch ganz speziell zum

Schreiben, meiner Aufgabe in Danzig, Pflichten und Freiheiten, dem Stipendium. Selten habe

ich bei fremden, aber auch bei eigenen Lesungen eine so offene und heitere Atmosphäre

erlebt. Es war großartig, danke!

Die Lesung wie das Festival fanden in den Räumen des Kino Neptun in der Langgasse statt,

allein schon der Ort hat viel versprochen: die ausladende Eingangshalle, der Aufgang, und

schließlich die kleineren, mit Einzelsesseln ausgestatteten Kinosäle. Und draußen, vor den

Fenstern: Die berühmten Giebel der ulica Dluga... Ein, zwei Mal ist meine Aufmerksamkeit

während des Lesens nach draußen gerutscht, auf das kalt-nasse Pflaster der Langgasse, bis

vor das Rathaus und den Neptun geschlittert (das Wetter hatte sich am Freitag wieder be-

ruhigt - dennoch hatten die Gäste, die von Deutschland aus mit einer Fähre nach Danzig

übersetzen wollten, nach Helsinki ausweichen müssen!) und erst dann wieder zurückgekehrt.

Genius loci!

Als Zuhörer kann ich nur aus meiner Sichtweise wiederholen: Es war großartig, danke!

Sabrina Janeschs Debütroman »Katzenberge« erscheint im Herbst 2010 im Aufbau-Verlag.

Von Karl-Ernst Friederich

FOTO: OLGA NAZAROVA

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Auf einer Danzig-Karte des sechzehnten Jahrhunderts finde ich die Straße, in der ich wohne.

Klar lässt sich auf dem brüchigen Papier der Verlauf der Straße erkennen. Und in winzig kleiner

Sütterlinschrift: Johannisgasse, die Schrift reicht von der Mottlau bis hinauf zu Sankt Nikolai.

Viel weiter reichte damals die Stadt selber nicht – befestigt zu allen Seiten, wusste sie sich

beisammen zu halten und sich zu verteidigen. Die Stadtmauern gaben den Platz vor, in den

hinein sich alle städtische Struktur entwickeln und ergießen konnte. Eng beieinander lebten

und arbeiteten die Danziger, aber immerhin beschützt. Vor den Mauern und Wällen hätte

wohl niemand gerne gewohnt, denn was passierte, wenn man nicht geschützt war, zeigte

das Kloster Oliva: Ständig ausgesetzt feindlichen Übergriffen und Plünderungen. Ich denke

also an meine kleine Wohnung in der Johannisgasse und fühle mich sicher, behütet, wenn

ich meine Nachbarn rumoren höre und draußen die Leute und die Autos, ich weiß, ich bin in

der alten Rechtstadt, und somit beschützt und aufgehoben. Man müsste allerdings gar nicht

viel lesen, um darauf zu kommen, was die dichte Bebauung, die Menschenmenge und die

nicht existenten sanitären Anlagen ebenfalls mit sich brachten: die Pest, später die Cholera. In

furchtbaren Wogen muss diese schrecklichste aller Krankheiten durch die Stadt gewütet und

vor keinem Haus, keinem Bürger halt gemacht haben. Ich denke jedes Mal daran, wenn ich

Ratten an den Mülltonnen draußen im Hof sehe, oder Wimpel und Fähnchen an Häuserwän-

den. Denn: Wer Pestkranke im Haus hatte, hisste die Pestfahne... Die Stadt muss umgeben

sein von Massengräbern gigantischer Ausmaße. Am Ende der Swietojanska, wie die Johannis-

gasse heute heißt, kurz vor der Johanneskirche, liegen einige Kellergewölbe brach, metertief

kann man dort in die Erde hineinschauen, mit dem Blick die Wände, den Boden abtasten,

und immer wieder Stufen finden, die tiefer hinein führen. Danzig hat sich nicht nur horizontal

entwickelt, sondern ebenfalls vertikal. Für mich führt die Johannisgasse tief hinein in die Erde

und die Geschichte der Stadt.

Prosaminiatur aus »Danzig. Eine Stadterzählung«von Sabrina Janesch

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Am Fenster // 3. August 2009

Draußen scheint die Sonne, Danzig hat sein Sommerkleid angezo-

gen, und Blumenfrauen haben mein Auto umstellt, bis heute Abend

also bleibt es umrankt von Nelken und Sonnenblumen. Möwen

zerschneiden den Himmel, ich werde sie vermissen, das weiß ich

schon jetzt.

Meer sehen // Montag, 10. August 2009

Und dann also der Strand. Hatte durchaus Ähnlichkeit mit der Ulica

Dluga (Langgasse) in Gdańsk, nur dass die Leute lagen, sich nicht

schwerfällig in Richtung Neptun schoben, und generell weniger an-

hatten. Das Meer selber: Unbeeindruckt, ruhig, dunkel...nach anfäng-

licher Verzweiflung hatte ich doch einen halben Quadratmeter freien

Platzes gefunden und mich für ein paar Minuten hingesetzt. Schön,

wie die Danziger Bucht Brzezno umarmt... Nach links hinaus ging die

Promenade weiter nach Jelitkowo (Glettkau), wo sich früher die Mole

befand, heute ist sie in Brzezno. Anders als in Sopot muss man nicht

bezahlen, um sie zu betreten.

Frei // Samstag, 26. September 2009

Seit längerem endlich wieder ein dreistündiger Spaziergang... wahl-

los quer durch Wrzeszcz, wunderbare Straßen und Gassen habe ich

entdeckt, bis ganz nah heran an den Waldrand. Oh ja, hier würde ich

mir ein Plätzchen zum Leben und Wohnen suchen, wenn ich länger

bliebe!

Der Geruch von Stein und Wald liegt hier in der Luft, Katzen, die

lautlos durch die Gärten huschen, kleine Kneipen, die man auf den

ersten Blick gar nicht als solche erkennt: Weil sie in einer Garage sind,

in einem Gartenhäuschen... In einem Zimmer mit Parkett und Erker

würde ich wohnen, und den Schreibtisch so nah wie möglich ans

Fenster heran schieben, bis ich fast die Kastanie, die vor meinem

Fenster wüchse, berühren könnte.

Eimerweise Licht // Freitag, 13. November 2009

Heute das erste Mal wieder seit längerem: Ein Sonnentag von sol-

cher Vehemenz, dass mich vormittags nichts am Schreibtisch hal-

ten konnte, ich mich in meinen Wollpullover packte und durch das

Treppenhaus hinaus auf die Straße rannte, gierig die Luft einsog und

geblendet die Augen schloss. Ganz klar also ein Fall für den Klassiker

meiner Routen, durch die Niederstadt, zu der Schleuse, vorbei an den

Bastionen und endlich um den Wallplatz herum, in die alte Vorstadt.

Zum ersten Mal in diesem Herbst war es so kalt, dass die Spucke

der Passanten auf dem Gehweg gefroren war, blitzend schossen die

kleinen Eispfützchen die Sonnenstrahlen nach oben zurück. Jedes

Loch, jede Ecke, jeder Winkel wurde durchflutet von dem Licht: die

Kioske in den Hinterhöfen der Lakowa, die Vorgärten der verfallenden

Villen. Ein Licht also wie ein Seziermesser, nichts bleibt verborgen.

DanzigAuszüge aus dem Blog

22

MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Nicht der abblätternde Putz auf den Garagen der Dobra, nicht die

fein ziselieren Balkongeländer auf der Polna oder der Zielona. Hinten

an der Mottlau saßen mehr Angler als gewöhnlich, als hätten sie nur

auf das gute Wetter gewartet, als hätten auch die Fische nur auf das

gute Wetter gewartet und als hätten sich beide Parteien auf ein Stell-

dichein getroffen.

Ex oriente lux // Donnerstag, 19. November 2009

Ganz, ganz früh am Morgen, noch bevor die Sonne richtig aufgegan-

gen ist, ist man mit den Anglern an der Mottlau allein. Die Stadt selber

schläft noch, die Mariacka - die Frauengasse - ist wie leergefegt, Ruhe.

Ab und zu eine Katze. Keine Vögel. Fast hätte man die Wellen gegen

das Lange Ufer schwappen hören können, so still war es heute früh.

Automatisch selber leise auftreten, um keinen Lärm zu verursachen,

niemanden aufzuwecken. Und im immer heller werdenden Tag hinü-

ber zur Niederstadt laufen, leise, denn ein Freund hatte Nachtschicht

bei der Polizei und lud ein zu einem frühmorgendlichen Frühstück,

Kaffee und Pfannkuchen. Die Niederstadt bei Sonnenaufgang: Noch

entrückter, verschlafener als sonst. Auf der anderen Seite des Flusses

scheint es noch Nacht zu sein, trotz des Lichtes, das sich langsam,

vom Osten kommend, über Dächer und Häuser ausbreitet... Dann in

der Wohnung von Andrzej. Auf den kleinen Balkon im achten Stock

treten, windig ist es hier oben, und hinüber zum Bischofsberg blicken.

Einen heißen Kaffee in der Hand, und, also: Mit Danzig gemeinsam

aufwachen.

Farbe. Einfärbung // Montag, 23. November 2009

Ausgiebiger Spaziergang durch die Vor- und Niederstadt mit Alek-

sander Maslowski, einem stadtbekannten (und darüber hinaus)

Danzig-Experten. Was er auf einer seiner Seiten (www.rzygacz.

webd.pl) betreibt, kam auch während des Gangs zum Tragen: die

Aneignung und das Verständnis von Geschichte mithilfe persönli-

cher Geschichten, Geschichten »normaler« Menschen und Orten.

Die große Geschichte kennt jeder. Die Kleine kennen nur wenige.

Und sei es, dass sie schmackhafter gemacht wird mithilfe von An-

ekdoten, Legenden, Sagen, Mythen: All das gehört zu dem, was

wir Geschichte, was wir menschlich nennen. Nichts anderes ist

Geschichte. Zu den Bastionen Maidloch und Gertrud gewinnt man

ein ganz anderes Verhältnis (überhaupt: ein Verhältnis), wenn man

erzählt bekommt, dass zwischen ihnen, am Ufer des Grabens, ein

deutscher Soldat, der dort erschossen wurde, begraben liegt. Und

das Rauschen des Schilfes im Ohr: Natürlich, ein Flüstern. Geschich-

te wird so unmittelbar, be-rührend.

www.stadtschreiber-danzig.de

à l’intimeder Stadtschreiberin Sabrina Janesch

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Das Problem der ModernitätDanzigs architektonische Kultur

Die Festivalzentrale als Haupttreffpunkt der MitOstler befand sich in diesem Jahr mitten in der pit-toresken Danziger Altstadt. »Alt« ist dabei relativ, denn beim Danziger Zentrum handelt es sich in weiten Strecken um eine Rekonstruktion der im 2. Weltkrieg zerstörten Originalbauten. Doch nicht immer stand fest, dass Danzig im alten Stil wieder aufgebaut werden sollte. Der Kunsthistoriker Dr. Jacek Friedrich erläutert die damalige Debatte und Entwicklung. Die Fotografien entstanden in ei-nem Workshop der ProjektNetzWerkStatt auf dem Festival.

Traditionell oder modern? Diese Frage nahm im Zuge des Wiederauf-

baus Danzigs nach 1945 eine besonders klare Form an, wurde doch

die Rekonstruktion der historischen Altstadt damals äußerst kontro-

vers diskutiert. Während einige Architekten und Stadtplaner die Chan-

ce gekommen sahen, die Rekonstruktion unter den Gesichtspunkten

der sozialistischen Vision zu verwirklichen, plädierten andere für die

originale Erarbeitung der historischen Formen. Denn die Zerstörung

denkmalgeschützter Städte wurde als vorsätzlicher barbarischer Akt

der deutschen Besatzer angesehen, der die nationale Identität Polens

untergraben sollte. Wie sah sie aus, die Vision der »neuen, anmutigen

und glücklichen Stadt«?

Diese Frage stellte man sich nicht nur in Danzig, sondern auch in

Rotterdam, Minsk, Dresden, Coventry, Warschau, Berlin, in den vom

Krieg zerstörten europäischen Städten. Jedes Mal wurde sie anders

beantwortet. Während der mehrjährigen Diskussion, die dem Wie-

deraufbau Danzigs vorausging, offenbarten sich weit differenzierte

Ansichten. Die Idee der Rekonstruktion des historischen Stadtkerns

gewann immer mehr Anhänger, jedoch gab es auch Stimmen, die ei-

nen Wiederaufbau in modernen Formen forderten. Besonders radikal

trat der Publizist Henryk Tetzlaff auf, der einen vollständigen Umbau

des Zentrums in modernistischem Geiste forderte. Diese Betrachtung

schien jedoch an Bedeutung zu verlieren. Schon zwei Monate nach

dem Beitrag Tetzlaffs fand in Danzig eine nationale Denkmalpfleger-

tagung statt. Entschieden sprach man sich für den Wiederaufbau der

Innenstadt in historischen Formen aus. Im Oktober 1947 stellte der

Wojewodschaftsdenkmalpfleger den Bereich der Rechtstadt und der

Speicherinsel unter Denkmalschutz. Zwei Monate später präsentierte

im Sejm eine Ausstellung den neuen Nutzungsplan für die Stadt, der

die Entstehung eines Verwaltungs- und Handelszentrums in der In-

nenstadt von Danzig unter Bewahrung des Denkmalcharakters für die

historischen Stadtteile vorsah. Jedoch blieb der Standpunkt der Be-

fürworter moderner Lösungen nicht ohne Echo. Im weiteren Verlauf

der Diskussion und auch beim Wiederaufbau selbst ist deutlich das

Streben nach einer Synthese aus historischer Option und »modernis-

tischen« Postulaten zu erkennen.

Mischform von Vergangenheit und ModerneAuch in den erweiterten Richtlinien für einen Raumordnungsplan der

historischen Stadtteile Danzigs lassen sich Anhaltspunkte finden, die

eine Art Verschmelzung historischer und modernistischer Forderun-

gen fördern. Modernistische Prinzipien wurden dahingehend ver-

wirklicht, dass trotz der Bewahrung des historischen Straßennetzes

die Bebauung zwischen den Gebäudeblöcken grundsätzlich aufzu-

lockern sei und geräumige Bereiche für Innenhöfe und Grünflächen

belassen bleiben. Diese Denkweise führte schon bald zur Entstehung

einer ungewöhnlich interessanten Mischform von Vergangenheit und

Modernität, zu der sich die wieder aufgebaute Danziger Rechtstadt

entwickelte.

Wie aber gestaltete sich die Danziger Architektur in den ersten Jahren

nach dem Krieg, als die Entscheidung über den Wiederaufbau der

Innenstadt in ihrer historischen Gestalt noch nicht endgültig gefallen

war? Die wichtigsten der damals entstandenen Gebäude wurden in

zeitgemäßen, wenn auch nicht radikal modernistischen Formen er-

richtet. Diese kurzzeitige Dominanz moderner Formen endete 1949,

ein Wendepunkt nicht nur in der polnischen Architekturgeschichte

hin zum sozialistischen Realismus. Seit 1954 führte die Umwertung

der modernistischen Tradition zum Wandel: Erster wichtiger Impuls

für Veränderungen war die im Dezember 1954 von Nikita Chruscht-

24

MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

schow geäußerte Kritik an der bisherigen sowjetischen Praxis auf dem

Gebiet von Architektur und Bauwesen. Unabhängig jedoch von den

sowjetischen Bedingungen ist hier von einem Umbruch zu sprechen,

der in kurzer Zeit zu einer offiziellen Akzeptanz der Modernität inner-

halb der polnischen Architektur führte. Angesichts dieser Atmosphäre

ist verständlich, dass Ende der 1950er-Jahre der Wiederaufbau der

historischen Altstadt sowohl die Presse als auch die Danziger selbst

nicht mehr bewegte. Damals ergriff die Faszination für die endlich

erlaubte Modernität ganz Polen. In dieser Zeit, also seit dem Ende der

fünfziger Jahre, entstand ein wesentlicher Teil der besten Nachkriegs-

architektur in Danzig.

Nach dem Eisernen VorhangMit den Wendejahren nach 1989 zeigten sich die Vorboten einer

grundlegenden Veränderung, die sich erst in der nächsten Dekade

vollziehen sollte: Sowohl die architektonische Praxis, als auch die sie

begleitende Diskussion begann, die Werte des Modernismus erneut

infrage zu stellen. Die Planer bemühten sich um einen Dialog mit

dem im Westen langsam zu Ende gehenden historisierenden Post-

modernismus. In den 1990er-Jahren des 20. Jahrhundert und zu

Beginn des neuen Jahrtausends hat sich eine antimodernistische

Tendenz nicht nur in der architektonischen Praxis offenbart; auch

von führenden Vertretern des Kulturlebens wurde das Erbe des ar-

chitektonischen Modernismus stark infrage gestellt, wobei sicherlich

auch der positiv bewertete Wiederaufbau Danzigs eine wichtige Rol-

le spielte. Essentiell aber ist, dass Entwürfe neuer Bauwerke wieder

moderne Formen anzunehmen beginnen. Sicherlich ist es noch zu

früh zu entscheiden, in welche Richtung sich die Architektur in Danzig

entwickelt. Sicherlich ist das Problem der Modernität im Begriff erneut

eine wichtige Rolle sowohl in der Diskussion, als auch in der architek-

tonischen Praxis der Stadt einzunehmen.

Der ungekürzte Artikel ist nachzulesen aufwww.buero-kopernikus.org/de/article/31/7/

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Am Anfang stand die E-MailDass jeder und jede auf dem Festival mit anpackt, mal eine Kiste schleppt oder einen Beamer auf-baut, ist selbstverständlich. Das Festival in Dan-zig hatte jedoch eine heimliche Heldin, die sich halbstündlich je nach Bedarf in eine Technikerin, Übersetzerin, Babysitterin, Telefonistin und Fah-rerin verwandelte. Von ihrem ganz persönlichen »Abenteuer MitOst« erzählt Kristina Senne.

»Ich organisiere im Oktober ein Festival und würde mich freuen,

wenn Sie mir bei einigen Kleinigkeiten helfen würden.« Mein Aben-

teuer MitOst-Festival beginnt mit einem Eintrag in die Liste meines

Dozenten Marcin Urbans, auf der sich freiwillige Helfer bereit erklären,

ihn als Festivalkoordinator zu unterstützen.

Schnell wird mir klar, dass sich eine Organisationsassistentin, wie

mein offizieller Titel einige Wochen später lautet, nicht nur mit dem

Zusammenstellen einer Restaurantführers, dem Aufbau einer Festival-

zentrale oder dem Fundraising beschäftigt. Der Posteingang meines

E-Mail-Accounts platzt, das Telefon ruht nur zu offiziellen Sperrstunden

und mein Aufgabenbereich wächst von Tag zu Tag. Stadtpläne müssen

ausgearbeitet, Tische organisiert und Musikanlagen besorgt werden.

Aufräumen, umräumen, einräumenDie Zeit vergeht wie im Flug und schon bald ist der Tag da, an dem

»die Deutschen« kommen, um vor Beginn des Events die Festivalzen-

trale einzurichten. Spätestens nach dem ersten Gespräch mit dem

lustigen, arbeitswütigen Organisationsteam ist mir klar, dass eine

chaotische und einmalige Woche vor mir liegt. Der Ablauf bis zum

offiziellen Anfang des Festivals ist vorgezeichnet: Um 6 Uhr aufste-

hen, kurz zur Uni, mittags die entstehende Zentrale auf Trab bringen

(aufräumen, umräumen, einräumen), verloren gegangene Utensilien

suchen, Pläne über den Haufen werfen, um 22 Uhr Frühstück - und

danach feststellen, dass am nächsten Tag noch eine Menge Arbeit

auf uns wartet.

Man hätte meinen können, wir hätten alles im Griff gehabt. Doch mit

dem Sturm, der kurz vor Festivalbeginn wie ein Hurrikan auf Danzig

zurollt, hatte keiner von uns gerechnet. Schon bald bin ich glückliche

Telefonkorrespondentin unserer samt Schiff nach Helsinki verwehten

Lektorengruppe. Die Information, sie würden - mit viel Glück! - am

16., also zwei Tage nach Festivalbeginn, in Danzig eintreffen, wird

stündlich durch meine neuerrungenen Telefonbekanntschaften ver-

worfen und dann wieder verifiziert.

15.10.: Der Tag der Eröffnung ist da, ich habe erste Erfolgserlebnis-

se: Das Orchester ist pünktlich und findet sogar genug Platz auf der

Bühne. Als ich in dieser Nacht durch die Straßen Danzigs nach Hause

gehe, treffe ich die ersten gerade erst kennen gelernten und doch

schon bekannten Menschen, mit denen ich die nächste halbe Stunde

im Gespräch verbringe, bevor ich mich endlich schlafen lege.

16.10.: 6.42 Uhr und ein erlösender Anruf: Die Lektorengruppe trifft

in Danzig ein. Ich kann es kaum fassen, bis ich sie um 14 Uhr selbst

in Empfang nehme und in der Zentrale abliefere. Davor bleibt jedoch

noch genug Zeit, um planmäßige Vorlesungen schleifen zu lassen

und stattdessen mehr über MitOst zu erfahren.

»Es gibt Probleme«17.16 Uhr und ein Besorgnis erregender Anruf: Es gibt Probleme mit

dem von MitOst im Irish Pub anberaumten Konzert und der anschlie-

ßenden Party mit DJ Tobič. Das Orgateam hat vergessen, dem Ma-

nager und dem hauseigenen DJ Bescheid zu geben, dass eine von

uns organisierte Band und unser Tobi auftreten. Klar: Nun wird die

Organisationsassistentin gelyncht. Ich blicke mich ungefähr 3 Sekun-

den lang böse im Spiegel an - für mehr bleibt keine Zeit. Nach einer

fünfzehnminütigen Diskussion zwischen deutschen und polnischen

Musikern hat MitOst im Clubmanager einen neuen Fan gefunden

und der Abend wird ein voller Erfolg, untermalt von rockigen Klängen

der Band Jaroslaw, viel Spaß und Tanz.

17.10.: Die letzte Party in der Festivalzentrale. Es wird gedankt, gere-

det und getanzt. Abschiedsschmerz steigt in mir auf. Die Gespräche

mit den Mitgliedern aus Georgien, Russland, der Ukraine, aus ganz

Mittel- und Osteuropa, der Spass am Spiel mit den MitOst-Kindern,

das Gefühl, mit einem tollen Team zusammenzuarbeiten - all dies

vermischt sich mit der Musik des letzten Zusammentreffens. Als der

Abend zu Ende geht und wir die Türen abschließen, will ich die Zent-

rale gar nicht erst verlassen.

Traurig, aber froh18.10.: Das nachgebildete Stück der Berliner Mauer mit den Unter-

schriften der Festivalteilnehmer und einiger Danziger wird ins Was-

ser der Motlau gelassen und formt das offizielle Ende des Festivals.

Am Mittag sitzen wir Organisatoren bei den Resten des fantastischen

Buffets vom Vorabend, müde und traurig, aber froh, dass wir doch

ganz gute Arbeit geleistet haben. Die letzten Tische sind geputzt und

verladen, Ausstellungen eingepackt und Routen für den Heimweg

ausgearbeitet.

Als ich in meiner Wohnung ankomme und endlich Zeit habe, die

Erfahrungen der letzten Tage in mein Bewusstsein fließen zu lassen,

wird mir klar, dass die vergangene Woche trotz aller Anstrengungen

eine der besten war, die ich erleben durfte. MitOst ist mir näher ge-

kommen und für mich steht fest, dass ich diese Organisation nicht

missen möchte. Ich freue mich auf viele neue Erlebnisse und Freund-

schaften auf dem MitOst-Festival 2010 in Perm!

26

MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Festival 2010

Pipeline – under constructionBlick nach vorn, Oktober 2010, Festival in Perm. Die Kultur-AG organisiert einen Teil des Veranstal-tungsprogramms – wer will, kann sich noch anschließen. Von ihren Plänen berichten Witja Frank, Bettina Matthies, Maike Theuerkauf und Katrin Wendel

Seit einem Jahr planen und organisieren wir an »Pipeline – under

construction«. Entstanden ist das Projekt, als sich acht MitOstler in

Berlin-Neukölln als Kultur-AG tauften und loslegen wollten. Damals

wusste noch keiner so richtig, wohin unsere Reise gehen sollte. Ein

Jahresthema für 2011 wollten wir setzen, das MitOst als ganzen

Verein betrifft und in dem sich viele MitOstler wiederfinden können.

Ein Thema, das von europäischer Relevanz ist, mit dem man euro-

päische Finanzierung und Partnerschaften akquirieren kann.

»Pipeline« – das Thema stieß bei uns sofort auf Begeisterung. End-

lich mal was Handfestes. Zur Nabucco-Pipeline konnten wir schnell

Assoziationen entwickeln – »Nabucco« steht als Symbol für Freiheit

und Unabhängigkeit, die Pipeline gilt als Metapher für Transfer, Aus-

tausch, Machtbeziehungen, Exklusivität versus Inklusivität, Freiheit

versus Abhängigkeit, Ressourcen, Verteilung usw.

Mit all diesen Assoziationen im Kopf gingen wir auseinander und

trafen uns bald wieder, um das Thema weiter auszuarbeiten. Allein

fünfmal trafen wir uns bis zum Festival in Danzig im Oktober 2009.

Als Ziel eines möglichen Projektes stellte sich bald heraus, Men-

schen in den Transit-, Geber- und Empfängerländern des Rohstoffs

Erdgas für das Thema (Energie-)Ressourcen und (Energie-)Transfer

zu sensibilisieren und als gleichberechtigte, betroffene Akteure mit-

einander ins Gespräch zu bringen.

Der nach wie vor wachsende Energiebedarf in Europa und die He-

rausforderung einer globalen Umweltpolitik erfordern insbesondere

für fossile Brennstoffe eine neue politische, soziale und kulturelle Re-

flexion. Die in Planung und teilweise schon im Bau befindlichen Gas-

Pipelines »Nabucco« sowie »North-« und »South-Stream« verweisen

auf die Dimensionen der Abhängigkeit von einem Rohstoff aus dem

Osten für den westlichen Wohlstand. Diese Verbundenheit birgt so-

wohl lokale und internationale Konflikte in sich als auch die Chance,

das herkömmliche Ost-West-Gefüge aufzubrechen. Mit unserem Pro-

jekt möchten wir das komplexe Beziehungsgeflecht aus Politik, Wirt-

schaft und Umwelt, das sich in den alten/neuen Verteilungskämpfen

um Ressourcen spiegelt, im Zeichen des freundschaftlichen Dialogs

auf eine kulturelle Bühne heben. Damit soll eine kritische Auseinan-

dersetzung durch Akteure aus den unterschiedlichsten Ländern mög-

lich werden. Wichtig ist uns, dass die Vielschichtigkeit des Themas

in seinen lokalen und globalen politischen und kulturellen Bezügen

breit und kontrovers thematisiert und diskutiert wird.

So befindet sich die Pipeline tatsächlich immer noch »under const-

ruction« und wir sind genauso gespannt wie ihr, was uns am Ende

erwarten wird.

Sicher ist, ihr könnt uns und die Pipeline in Perm erwarten!

Wenn ihr künstlerische und politische Beiträge und Ideen zum Thema »Pipeline – under construction« habt, schickt uns was durch die Datenpipeline an [email protected].

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Perm ist Anfang, Perm ist AufbruchBoschlektor Reiner Quirin lebt in der MitOst-Festivalstadt 2010 und stimmt uns auf unseren Besuch ein. Bericht aus einer Stadt im Wandel.

und Hochhäusern. Doch dominiert das übliche Schachbrettmuster

an Straßen, einigen dominanten Betonklötzen wie dem Hotel Ural

und anderen sowjetischen Institutionen die Stadt. Das Zentrum ist

überschaubar, es wird bestimmt von der »ulica Lenina«, die sich von

Bahnhof (Perm II) zu Bahnhof (Perm I, der alte Bahnhof) zieht, und

dem »Komsomolskij Prospekt« (Kompros), der von der Kama zum

Ploschad führt. Im Gegensatz zum kleinen Stadtzentrum zählt die

Stadt aber zu den drei größten Städten in Russland, was Ausdehnung

und Fläche betrifft. Angeschlossen ist Perm an die Transsibirische Ei-

senbahnstrecke.

Pasternak war hierWenn man sich mit den Fakten abgefunden hat und bereit ist, sich

auf das Erlebnis Perm einzulassen, bleibt noch vieles zu entdecken.

Morgens auf dem Weg zum Hauptgebäude der technischen Uni-

versität laufe ich die Sibirskaja entlang und streife dabei das kleine,

aber feine Puschkin-Denkmal, das in einem kleinen Park steht und

umzäunt ist mit Darstellungen aus seinen Märchenerzählungen. Das

ist im Sommer ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche, die dort den

Abend einläuten. Das passiert in vielen Parks der Stadt, weniger im

Gorkij Park, der ebenfalls auf meinem Weg liegt. In diesem stehen

viele, verschiedene Attraktionen eines Vergnügungsparks. Interessant

wurde es aber, als die Stadt bei einem Theaterfestival die Autoscoo-

ter-Bahn als Bühne umfunktionierte: eine spannende Freiluftlocation

(trotz des Winters). Überhaupt ist Perm eine Stadt der Bühnen, von

der Oper (mit Leninstatue im schönen umschließenden Park) über

das Dramtheater (mit zwei Ensembles), wieder zwei Eckpunkte der

lenina, bis hin zum Ballett Ewgenij Panfilow und dem Theater unter

Wenn ich im Sommer morgens von der Sonne geweckt werde, ge-

nieße ich das Privileg, dass ich zu den ersten in Europa gehöre, de-

nen dieses Glück widerfährt. Ja, Perm liegt nicht »noch« in Europa,

hier fängt Europa an! Neben dem Ural, der bekannten geografischen

Scheide zwischen Europa und Asien, gelegen, erstreckt sich die Stadt

am Flusslauf der Kama entlang. Unabhängig vom Wetter ist von die-

sem Gebirgszug nichts zu sehen, es sind nur die natürlichen Reste

eines einst mächtigen Gebirges. Mehr wissen die wenigsten von der

Stadt, die einst als letzte Bastion vor Sibirien galt. Was ist das also für

ein Ort, an dem ich mich seit über einem Jahr aufhalte?

Perm – was für ein schöner, kurzer Name. Und doch nicht sehr ein-

fach auszusprechen. Auf das m folgt im Russischen noch, für unser

Schriftbild unsichtbar, das so genannte Weichheitszeichen und be-

fiehlt dem Sprecher ein weiches m. Der Name der Stadt ist wahr-

scheinlich aus einer der ethnischen Sprachen entstanden und bedeu-

tet so viel »fernes Land«.

Auf den ersten Blick erscheint die Stadt - geradezu modellhaft -

wie eine typische, russische Provinzstadt, durchsetzt mit den gele-

gentlichen Zeichen der Globalisierung in Form von Einkaufszentren

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

der Brücke. Ein kultureller Reichtum, der auch ein Erbe des zweiten

Weltkrieges ist, als nicht nur Rüstungsindustrie, sondern auch das

Ballett aus St. Petersburg an den Ural verlegt wurde. Man hat dieses

Geschenk gepflegt, doch begründet es nicht allein den Ruf. Pasternak

war hier und hat Perm als Jurjatino in seinem Dr. Schiwago verewigt,

Djagilew hat hier gewohnt, bevor er nach Paris ging und ein internati-

onales Dokumentarfilmfestival gibt es auch.

Heute versucht man diese Tradition zu erneuern und Perm als einen

kulturellen Fixpunkt in Russland zu etablieren. Nicht unumstritten,

kulminiert dieser Plan momentan in den Schauen zeitgenössischer

Kunst im Museum für moderne Kunst im ehemaligen Flussbahnhof.

Sogar Schiffe legen hier noch an, aber im Gebäude hängt provokative,

zeitkritische und für viele gewöhnungsbedürftige Kunst. Der Weg zum

Museum führt zu Fuß auf der Uferpromenade an der Kama entlang

und lädt zum Schlendern ein.

Perm, offene StadtIch denke, es ist ein schöner, neuer Weg in eine postsowjetische Iden-

tität, weg von der Rüstungsindustrie, die Perm jahrelang zur geschlos-

senen Stadt machte. Wie nachhaltig und demokratisch das gelingt, ist

ein anderer spannender Punkt. Nur in die Zukunft braucht man nicht

zu blicken, die reiche archaische Vergangenheit gehört auch zum Stadt-

gebiet, obwohl die Stadt vergleichsweise jung ist. Davon zeugen zwei

Museen. An der Kama liegt das Gebietsmuseum in einer schönen

restaurierten Villa, die man besuchen sollte. Dort sind die berühmten

Kultgegenstände aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. mit seltsamen Tier-

darstellungen ausgestellt. Diese ethnischen Traditionen werden u. a.

im Kamwa-Festival, welches mit dem sehr sehenswerten Holzbauten-

Freilichtmuseum »Chochlowka« verbunden ist, fortgeführt.

Bei der Kathedrale am Kamaufer ist man beim Wahrzeichen der

Stadt angelangt. In der ehemaligen Kathedrale, die heute die Per-

mer Kunstgalerie beherbergt, lohnt sich ein Besuch ebenso: Selten-

heitswert in Russland haben die sakralen Holzskulpturen. Von dort

gelangt man schnell wieder auf den Kompros. Auf der Mittelspur ist

ein Gehweg angelegt, der immer wieder mit modernen Skulpturen

geschmückt ist. Vor der Technischen Universität stößt man auf den

überdimensionalen Leninorden von 1971, den die Stadt als Auszeich-

nung erhalten hat. Solche Reminiszenzen sind im Stadtbild und vor

allem in den Straßennamen immer noch zu finden. Ich persönlich

betrachte bestimmte Skulpturen und Bauten dieser Zeit gerne, ohne

die historische Einordnung der Symbolik dabei zu vergessen. Kurz vor

dem Orden steht ein wesentlich sympathischeres Denkmal, die Per-

mer Salzohren. Jeder kann sich damit fotografieren lassen. Es erinnert

an die reiche Salzgewinnung im Permer Gebiet und die Legende der

vom Salzschleppen wachsenden Ohren.

Unterwegs ist es ein leichtes, sich zu stärken. Cafés und Restaurants

gibt es zu Genüge, praktischerweise - und zugleich leider - meistens

Ketten. Um nur einige zu nennen: KofeYou, KofeCity, Skovorodka.

Einer meiner Lieblingsorte ist die Kellerkneipe »Abyrwalg«, benannt

nach einem Wort aus Bulgakows Erzählung »Hundeherz«. Diese sa-

tirische Geschichte um einen Hund in Menschengestalt wurde erst

1988 verfilmt und Szenebilder schmücken die Wände. Hier gibt es

auch regelmäßig Jamsessions. Ein weiterer musikalischer Treffpunkt

nach meinem Geschmack ist der Pub »Gvozd«, wo ich so manches

Konzert erlebt habe. Ganz allgemein gibt es eine recht lebendige jun-

ge Musikszene in der Stadt, aber auch andere Künstler sind präsent.

Die vielen Festivals der Stadt ziehen nicht nur internationale Gäste an,

sondern auch das junge Publikum.

Die Stadt hat einen Ruf, relativ frei und offen zu sein. Das kann ich

jedenfalls in vielem bestätigen, da kaum Miliz auf den Straßen zu se-

hen ist und ich noch nie kontrolliert wurde. Wer sich dennoch einen

Blick in die mahnende Vergangenheit leisten will, fährt am besten

in das Motowilicha-Waffenmuseum oder in das einzigartige Gulag-

Museum Perm 36. Das kostet allerdings einen ganzen Tag. Schön

als Boschlektor finde ich natürlich, dass neben einigen NGOs auch

weitere zivilgesellschaftliche Programme in Perm Fuß gefasst haben.

Das Theodor-Heuss-Kolleg hat hier z. B. sein erstes regionales Modell

in Russland etablieren können.

Das Beste an Perm bleibt die Neugier der Menschen, auch auf Gäste

aus dem Ausland. Man wird willkommen geheißen. Ich lade euch

ebenfalls ein, die Stadt an der Kama selbst kennen zu lernen.

Herzlichen Dank an das Permer Touristeninformationscenter Krai für die Fotos (www.visitperm.ru)!

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MitOst Magazin #23

7. Internationales MitOst-Festival

Projekte & InitiativenDas Vereinsjahr 2009

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MitOst Magazin #23

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MitOst Magazin #23

Neulich bei MitOstWas hast du zuletzt im Verein gemacht? fragte Lisa Wagner einige Mitglieder.Hier sind die Antworten.

Valeria Schwarz(Moldawien, lebt in Berlin)macht MitOst grüner

Ich kenne MitOst seit dem Festival in Dan-

zig und habe mir schon dort überlegt, dass

mein Beitrag zu diesem tollen Netzwerk die

Themen Ökologie und Umweltschutz sein

müssen. Julian Gröger und ich haben dann

einen Aufruf in der MitOst-Gruppe auf Face-

book gestartet, um Mitstreiter zu finden. Wir

finden es wichtig, in der MitOst-Welt den Ge-

danken zu propagieren, dass unser Dasein

wertvoller wird, je bewusster wir mit anderen

Menschen und der Umwelt umgehen. Auf

den Aufruf haben sich vier MitOst-Mitglieder

bei uns gemeldet und wir freuen uns auf

jeden weiteren. Mit einem Bericht zum öko-

logischen Rucksack und einer Stofftaschen-

kampagne haben wir einen Anfang gemacht.

Die Stofftaschen tragen den Schriftzug „Plas-

tiktüte? – Nein, Danke!“ in vielen MitOst-

Sprachen und werden über betterplace.org

erhältlich sein. Für Perm fällt uns bestimmt

auch noch eine nette Aktion ein, um auf uns

aufmerksam zu machen!

Witja Frank(Deutschland, lebt in Berlin)schickt Kultur durch die Pipeline

Kurz was zu MitOst sagen...?! Dann sag

ich was zu den Perspektiven der Kultur AG,

die sich vor einiger Zeit gegründet hat und

in der ich mitarbeite. Die optimistische Per-

spektive ist: Die Kultur AG wird bis Ende

des Jahres im EURO STOXX 50 notiert und

bekommt hier eine nachhaltige Rolle als ge-

sellschaftspolitische Impulskraft mit partizi-

pativem Charakter in den Bereichen Bildung,

Kultur und europäische Sprachentwicklung.

Die realistische Perspektive ist: Die Kultur AG

entwirft Formate für MitOst, z.B. „PIPELINE

- under construction“ (Festival 2010). Und

noch eine kurzfristige Perspektive: Wir tref-

fen uns immer Dienstags in Berlin-Neukölln.

Dort machen wir nichts anderes als zwischen

MitOst, Kunst und Kaffeebechern realistische

Perspektiven in die Tat umzusetzen.

Erika Szabó(Ungarn, lebt in Pécs)vernetzte Kulturmanager

Vom 4. bis zum 7. März wimmelte Pécs

von etwa 80 jungen Kulturakteuren aus 18

Ländern, die zum von mir mit organisiertem

Vernetzungstreffen der Kulturmanagerpro-

gramme der Robert Bosch Stiftung gekom-

men waren. Die aktuellen und ehemaligen

Stipendiaten setzten sich dort mit dem The-

ma „Pécs 2010 - Kulturhauptstadt Europas“

auseinander, lernten wichtige Akteure des

Pécser Kulturlebens kennen und tauschten

Erfahrungen und Projektideen aus. Beson-

ders schön fand ich es, meine alten Kollegin-

nen und Kollegenen in meiner Stadt wieder-

zusehen. Ich hoffe auf eine Fortsetzung in

anderen Städten mit weiteren spannenden

Themen!

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Benjamin Spatz(Deutschland, lebt in Hamburg)entwickelt Visionen im Bereich Schule

Auf der vorletzten Planungskonferenz habe

ich mich für die Schul-AG gemeldet und bin

dabei geblieben: Ehrenamt soll ja schließlich

Spaß machen und mit Bürgerschaftlichem

Engagement habe ich im Job schon zu tun...

Mein Fazit: Tolle Leute und - wie beim letzten

Treffen- super spannende und konkrete Pro-

jekte, die auch gleich in Angriff genommen

wurden. Wir haben Anträge geschrieben,

Ansätze der zukünftigen Zusammenarbeit

diskutiert und vor allem Ideen für die Vision

„MitOst-Schule“ entwickelt. Ich freu mich auf

das nächste Mal!

Anikó Boros(Ungarn, lebt in Berlin)organisierte ein Planspiel

Ich habe im März im Rahmen eines MitOst-

Mitgliederprojekts das Planspiel und die

Konferenz „ChancenOst“ mit Teilnehmern

aus Rumänien, Ungarn, der Slowakei und

Deutschland organisiert. Ausgangspunkt war

dabei für mich die Tatsache, dass ich hier in

Berlin ständig mit den Problemen der ost-

mitteleuropäischen Region konfrontiert wur-

de. Auf die mir so oft gestellte Frage: „Was ist

eigentlich los bei euch in Ungarn? (Finanz-

krise, gesellschaftliche Spannungen, Korrup-

tion, Machtgeflechte politischer Seilschaften,

ethnische Probleme, Intoleranz, radikaler

Nationalismus, Minderheitenprobleme, Anti-

semitismus…)“ konnte ich aber keine befrie-

digende Antwort geben. Während der zwei

Projekttage gab es einen sehr anregenden

Diskurs zu diesen Themen. Besonders das

Planspiel kam sehr gut bei den jungen Teil-

nehmern an, einige von ihnen haben sogar

das Fortsetzungsprojekt „ChancenOst 2.0“

initiiert.

Cornelia Riedel(Deutschland, lebt in Neustadt)wirbt Gelder für MitOst ein

Auf der Planungskonferenz III in Berlin habe

ich mich an der Gruppe „Fundraising“ betei-

ligt. Es sind viele konkrete Ideen entstanden,

wie man kurz- und mittelfristig Gelder für

den Verein einwerben könnte, etwa durch

die Organisation von MitOst-Veranstaltungen

wie Partys oder Kulturabenden. Nach der

Konferenz hat sich eine Arbeitsgruppe ge-

gründet, die von Johannes Spranger geleitet

wird. Unser Ziel: 9.000 Euro für MitOst ak-

quirieren, erste Aufgaben haben wir bereits

verteilt.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Ein Interkultureller GartenFernab des Großstadtlärms traf sich im Sommer 2009 eine bunte internationale Gruppe im sieben-bürgischen Apold, um gemeinsam einen alten Pfarrhausgarten mit Mitteln der Naturarchitektur und des künstlerischen Gartenbaus neu zu gestalten. Von Marlen Hößelbarth

Das Alte Pfarrhaus in Apold, das durch die Auswanderung der Sie-

benbürger Sachsen seine eigentliche Funktion verloren hat, wird seit

Frühjahr 2006 als Gästehaus und offene Plattform für soziokulturelle

und ökologische Initiativen genutzt.

Im Mittelpunkt des MitOst-Projekts »Ein Interkultureller Garten zum

Mitwachsen und Mitbauen« stand das gemeinschaftliche Bauen

und Gartenkünstlern. Innerhalb einer Woche entstand im Garten

des Alten Pfarrhauses ein Labyrinthgarten mit zahlreichen Ecken

und Nischen, dessen Wände aus geflochtenen Weiden- und Ha-

selnussruten bestehen. Durch die gleichzeitig offene wie auch

geschlossene Struktur sind vielfältige Nutzungen möglich. Neben

einem Ess- und Feuerplatz wurden Waschecken und Ruheberei-

che geschaffen sowie zwei Duschnischen eingerichtet, für die ein

Solarkollektor gebaut wurde, um warmes Wasser zu erzeugen. Die

in den Ecken und Nischen der Gartenanlage eingebauten Wasser-

spiele und Solarduschen sollen einerseits den Erlebniswert steigern,

andererseits dem natürlichen Lebensraum der Weiden und dem

erhöhten Wasserbedarf gerecht werden. Das Ergebnis des Projekts

veranschaulichte, wie sensibel und kostbar das Element Wasser ist

und welche Alternativmodelle es gibt, dieses Element sparsam,

aber effizient zu verwenden, ohne es nachhaltig zu verunreinigen.

Der »Interkulturelle Garten« versteht sich als Ergänzung zu den be-

stehenden Einrichtungen des Alten Pfarrhauses und soll den Gästen

fortan als Sommerduschgarten und Erholungsraum dienen, aber auch

als gartenkünstlerisches Objekt betrachtet werden. Auf dem Grund-

stück wurden bereits ein Gemüsegarten und ein naturpädagogischer

Garten mit den Kindern und für die Kinder aus dem Dorf angelegt.

Die geschaffenen Grundstrukturen des »Interkulturellen Gartens« sol-

len von Gästen und Gruppen, die das Gästehaus aufsuchen, gemäß

dem Konzept »Zum Mitwachsen und Mitbauen« weiter mit Nutzen

und Kreativität ausgebaut und gefüllt werden.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Teilnehmerstimmen

Der riesige Garten des Alten Pfarrhauses,

umgeben von hohen romantischen Bäumen,

war ein idealer Ort, um sich auf ein »Gar-

tenabenteuer” einzulassen. Die Gestaltung

eines Labyrinthgartens war eine Einladung

zum Kreativsein, zur gartenkünstlerischen Tä-

tigkeit, zum Zusammensein. Gleichzeitig eine

Einladung zur Interkulturalität: Er hat Men-

schen aus verschiedenen Ländern und Kul-

turen zusammen gebracht. In dieser Atmo-

sphäre haben wir mitgebaut und sind auch

mitgewachsen. Ein phantasievoller Garten ist

entstanden, er umfasst Schönes, Freies und

Gemeinschaftliches.

Mihaela NetoiuBukarest, Teilnehmerin

For me creating the shower garden and the

whole participation at the project was a great

experience and a beautiful time spent in a

nice place with even nicer people! I`m gra-

teful for having a chance to join the project.

Thank you very much and hope to meet you

at some another of your wonderful projects.

Soňa KeresztesováSlovakei, Teilnehmerin

Es war eine inspirierende Woche gemein-

schaftlichen Bauens, Gartenkünstlerns und

Lebens. Besonders die Teilnehmer begeis-

terten uns. Sie bereicherten den Workshop

mit ihrer enormen Kreativität und sorgten für

viel Abwechslung. In kürzester Zeit entwickel-

te sich innerhalb der Gruppe eine schöne

Dynamik und sehr entspannte Stimmung,

die sich über das praktische Arbeiten hinaus

bis in die freien Stunden erstreckte. Trotz der

täglichen großen Hitze und der sehr einfa-

chen Unterkunftsverhältnisse waren alle Teil-

nehmer motiviert bei der Sache. Wir freuen

uns sehr über diese Aneignung und wir hof-

fen, dass sich weiterhin Menschen hier als

Gartenkünstler betätigen, um den Garten

weiterzubauen und wachsen zu lassen!

Marlen Hößelbarthund Leonie RhodeProjektteam

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

nachbarschaft.moeEin künstlerisches Fotoprojekt für und mit Kindern, ein Dokumentarfilm, ein Medienkunstworkshop – in sehr unterschiedlicher Form setzten sich die drei im Rahmen des Wettbewerbs nachbarschaft.moe 2009 geförderten Projektteams mit der Themenstellung auseinander. Mit dem Wettbewerb unter-stützt die Schering Stiftung in Zusammenarbeit mit MitOst Kulturprojekte, die die nachhaltigen Bezie-hungen zwischen Nachbarländern oder in Grenzregionen Ost-, Mittel- und Südosteuropas fördern.

Zwei junge Russinnen aus Moskau haben sich den »verlorenen Sowjetrepubliken« angenähert. Was waren die größten Unter-schiede zwischen den Frauen bzw. den Republiken? Ich kann mich nicht so gut an die Zeit erinnern, als diese drei Staaten

noch der Sowjetunion angehört haben, aber ich bemerke, dass diese

Staaten sich sehr selbständig entwickeln, dabei aber ihre Werte und

Traditionen bewahren. Die Länder haben wir bewusst nach ihrem Ver-

lauf von Norden nach Süden ausgewählt. So werden die Unterschie-

de besonders sichtbar. In Estland sind die jungen Leute europäisch

gestimmt, ähnlich wie in Deutschland oder Dänemark. Die Ukrainer

bewahren ihre eigenen Traditionen, entwickeln sich aber auch nach

Westen hin. Man könnte sagen, dass sie sich in der Mitte zwischen

Ost und West befinden. In Armenien hatten wir den Eindruck, dass

das Land sehr traditionell gestimmt ist, da die Bevölkerung sehr gläu-

big ist und es um Werte wie Kinder, Küche und Kirche geht - was

wahrscheinlich so nicht stimmt. Insgesamt kann man allerdings be-

obachten, dass sich die Mentalität der Menschen von Norden nach

Süden hin verändert.

Wie sind die Menschen dieser Länder euch begegnet, vor dem Hintergrund, dass die russische Außenpolitik die Sowjetrepu- bliken mehr oder weniger immer noch als berechtigte Einfluss-sphäre der russischen Föderation sieht?Vor allem was Estland betrifft, waren wir skeptisch, da das Land 80

Jahre von der Sowjetunion okkupiert wurde. Hier spielt insbesondere

die Freiheit eine sehr große Rolle, obwohl das Leben der Menschen

durch die Unabhängigkeit nicht perfekt geworden ist. Obwohl die

meisten Menschen nett zu uns waren, wurden wir in der Ukraine

nicht immer so gastfreundlich empfangen, da wir aus Moskau kom-

men. Die Russen haben kein gutes Bild von der Ukraine, obwohl es

ein sehr schönes Land ist, was die Ukrainer natürlich beleidigt. Die

Armenier wiederum sind den Russen sehr dankbar, da die christli-

chen Russen Armenien in der Vergangenheit vor den muslimischen

Ländern beschützt haben.

Wo wurde der Film bislang gezeigt? Wie wollt ihr weiter vorgehen?Wir haben den Film in Estland, Armenien und Russland bereits

präsentiert und ihn an verschiedenen Universitäten, z.B. in Erevan,

Moskau und Tallinn, gezeigt. Die DVDs haben wir allen Interessierten

weitergegeben. Auch auf dem MitOst-Festival hat der Film sehr vielen

gefallen. Ich würde mich freuen, wenn der Film auch in Deutschland

gezeigt werden würde.

Drei junge Staaten,drei junge Frauen

In ihrem Kurzfilm dokumentieren Alexandra Gurkova und Evgeniya Svetlakova den Lebensstil junger Frauen in Estland, der Ukraine und Armenien. Sascha Götz sprach mit Alexandra Gurkova über ihre Er-fahrungen während der Drehar-beiten.

Das vollständige Gespräch kann als Hörver-sion unterhttp://www.moe-kompetenz.de/category/

im-profil/

herunter geladen werden.

Der Film steht unterhttp://www.mitost.org/projekte/projektarchiv/

2009/drei-junge-staaten-drei-junge-frauen.html

zum Download bereit.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Im Rahmen eines Workshops entwickelten junge mitteleuropäische Medien- und Videokünst-

ler eine Medienkunstperformance. Der Schwerpunkt lag auf der Beobachtung des künstleri-

schen Transformationsprozesses. Untersucht wurde das Verhältnis zwischen Werk, Künstler

und Publikum. Das Projektteam um die Ungarin Hajnal Szolga ging der Frage nach, wie man

das Individuum oder das Publikum in die Intimsphäre des Werkes und des Künstlers einbe-

ziehen kann, so dass diese »Heilige Dreifaltigkeit« eine harmonische Einheit bildet und der

Zuschauer zum Akteur und Darsteller des Vorgangs wird.

Die Methode von Synoptic lag in der experimentellen, innovativen Werkstattarbeit, die durch

eine bewusste Interdisziplinarität gekennzeichnet war. Durch die Verschmelzung verschiede-

ner kultureller, künstlerischer und technischer Kontexte sollte eine Interaktivität und Interme-

dialität erzielt und neue Richtungen der Verflechtung von Kunst und Wissenschaft erprobt

werden. Durch den bewussten Umgang mit dem Publikum wollte das Projektteam auch

Laien mit dem aktuellen Stand der zeitgenössischen Kunst vertraut machen und den Zugang

zu ihr fördern.

Das Projekt bot die einmalige Chance, unterschiedliche Medienkunst-Vertreter aus Deutsch-

land und seinen mitteleuropäischen Nachbarländern zusammen zu bringen und langfristige

Partnerschaften entstehen zu lassen.

Synoptic

Eine fotografische Reise entlang der Donau, durch Deutschland, Österreich, die Slowakische

Republik, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien und die Ukraine: Grenzen über-

schreitend produzierten 312 Kinder verschiedener Nationalitäten ein gemeinsames Fotogra-

fiewerk. Jedes der Kinder bekam eine Einwegkamera und die Aufgabe, mit drei Aufnahmen

die Donau zu fotografieren. Christine Frick, Kunstlehrerin des Albert-Schweitzer-Gymnasiums

Erlangen, plante mit je einer Schulklasse einen Ausflug an die Donau. Die belichteten Nega-

tivfilme wurden anschließend gescannt und als zweieinhalb Meter lange Streifen gedruckt.

Das optische Ergebnis entspricht einem vergrößerten analogen Kontaktabzug, auf dem die

belichteten Bilder als auch die schwarze Perforation mit den Zahlen der Bilder zu sehen sind.

So sind alle Belichtungen authentisch, ungekürzt und ungeschnitten in ihrer Abfolge zu sehen.

Die Fotografen eines Films lassen auf diese Weise ein gemeinsames Werk entstehen: Aus-

schnitte der Donau entlang ihres Verlaufs, auf einen Negativfilmstreifen gebannt. Die Donau

fließt nun ausgedruckt die Länge des ganzen Films mit seinen 27 Bildern entlang, dreißig Mal

auf je zweieinhalb Metern, und gibt die Eindrücke der Projektteilnehmer wieder.

Was Christine Frick auf ihrer Tour »donauabwärts« so alles erlebt hat, erfährt man in ihrem Reisebericht unter http://www.mitost.org/projekte/projektarchiv/2009/donau-abwaerts.html.

donauabwärts9 Länder11 Städte312 Schüler1620 Fotos5000 Kilometer1 Fluss

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Mehr Mitgliederprojekte 2009…

Altai: alles andere als homogenRussland20. bis 25. August 2009Projektleiterin: Oxana Zenner

Altaiische, russische und kasachische Teilnehmer gingen der Multikulturalität des Zusammenlebens ihrer Volksgrup-pen in der Republik Altai auf den Grund. Die Teilnehmer diskutierten mitgebrachte Fotografien und solche, die sie bei der Erkundung der Hauptstadt der Republik während des Seminars gemacht hatten. Die so entstandene Aus-wahl wurde in Gorno-Altaisk selbst, in Nowosibirsk, Danzig und in Berlin ausgestellt.

Ein Fotoprojekt zu organisieren bedeutet… viel Aufwand, aber

auch eine große Befriedigung, wenn man das Ergebnis sieht.

Das Schwerste? Fällt mir gerade überhaupt nicht ein!

Das Schönste? Die Leute zu begeistern.

Das Schlimmste? Wenn die Mitarbeiter eines Museums, wo deine

Ausstellungseröffnung stattfindet, kein Interesse haben, diese anzu-

schauen.

Der gute Rat? Alles gut vorab planen, aber nicht enttäuscht sein,

wenn nicht alles nach Plan läuft.

Das nächste Projekt? Ideen gibt es viele! Man muss sich nur für

eine entscheiden...

KinoTour Polska – DeutschlandPolen und Deutschland03. bis 13. Oktober 2009Projektleiterin: Natalia Kukielko

Das Projektteam nahm sich der Aufgabe an, den deutsch-polnischen Dialog nicht an der Grenze zu belassen, son-dern auch ins Landesinnere der beiden europäischen Nachbarn zu tragen. An sieben Stationen zwischen Olsztyn und Berlin trafen sich deutsch-polnische, polnische und deutsche Vereine und Kulturschaffende zum Gespräch. Mit Kurzfilmen von Regisseuren beider Länder wurden die Begegnungen thematisch unterfüttert und neue Perspek-tiven für den Dialog aufgezeigt.

Ein Filmprojekt zu organisieren bedeutet… den eigenen Spaß

mit einem Beitrag für die Gesellschaft zu verbinden. Es bedeutet eine

Idee zu verwirklichen und anderen eine Chance zu geben, sich daran

zu beteiligen.

Das Schwerste? Genug Zeit und Geld dafür zu finden.

Das Schönste? Die Zusammenarbeit mit den Teilnehmern, die Ent-

wicklung des Projekts, das Gefühl der Gemeinsamkeit und vor allem:

das Gefühl, dass man das Richtige macht.

Das Schlimmste? Die Unsicherheit, die Angst, dass gewisse Dinge

nicht laufen werden.

Der gute Rat? Wenn man das Projekt nicht im ganzen Herzen und

Körper spürt, wenn nicht bei jedem Schritt Adrenalin ausgeschüttet

wird, sollte man es sein lassen.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Wo endet Europa?Russland30. Januar bis 08. Februar 2009Projektleiter: Sebastian Gaudigs

Das Jugendtheaterprojekt stellte die Frage, wie berech-tigt die strikte Trennung Europas und Asiens entlang des Urals ist. 20 Teilnehmer waren aufgefordert, dieser Frage in der Diskussion auf den Grund zu gehen. Um ihre Er-kenntnisse zu verarbeiten, lernten sie die Aktionsform des Unsichtbaren Theaters, also die Aufführung von Szenen im öffentlichen Raum ohne Wissen des Publikums, kennen und wendeten sie auf den Straßen von Krasnojarsk an. Dabei entwickelten sie ein Bewusstsein für eigene Hand-lungsspielräume und eine unkonventionelle Methode der Kommunikation.

Ein Theaterprojekt zu organisieren bedeutet… einen innovati-

ven Weg von einem Problem zu seiner Lösung einzuschlagen, dabei

viel zu lernen und Spaß zu haben.

Das Schwerste? Die Finanzierung zusammen zu sammeln und po-

tentielle Teilnehmer von der Projektidee, die man selbst so innovativ

findet, zu begeistern.

Das Schönste? Wenn alles klappt und man nach dem gelungenen

Projekt zusammen mit den Teilnehmern feiern kann - und wenn man

das Gefühl hat, seine Projektziele erreicht zu haben.

Das Schlimmste? Zu hoher Erwartungsdruck an sich und die Teil-

nehmer. Niemand braucht ein Projekt als Selbstzweck.

Der gute Rat? Kein Projekt entsteht in Einzelarbeit – ein gutes Pro-

jektteam, in dem sich alle über die gemeinsamen Ziele bewusst sind,

ist das A und O.

Das nächste Projekt? Hat längst begonnen – und es ist nicht nur

eins, weshalb meine Antwort hier kurz ausfallen muss.

Lerne Deutsch im Vorbeigehen!WWWDezember 2009Projektleiterin: Irina Posrednikova

Jede lebende Sprache unterliegt Veränderungen, die sich nicht in Wörterbüchern widerspiegeln. Wer als Deutsch-lernender mit Muttersprachlern in Kontakt kommt, kann schnell knifflige oder peinliche Situationen erleben. Wich-tig ist es dann, nicht in Panik zu geraten, sondern daraus zu lernen. Darum geht es im Projekt »Lerne Deutsch im Vorbeigehen«: Sich neue deutsche Wörter anhand von be-stimmten Situationen einzuprägen. Das Projekt kann im Blog www.kreativesschreiben.wordpress.com nachgele-sen werden.

Ein Webprojekt zu organisieren bedeutet… die Idee kreativ und

treffend darzustellen, Teilnehmer zu finden und das Webprodukt zu

pflegen.

Das Schwerste? Die Zeit zu finden, um sich hinzusetzen, nachzu-

denken und – ohne das Ganze auf die lange Bank zu schieben –

gleich die neuen Beiträge zu schreiben.

Das Schönste? Die Geschichten aus dem Blog Deutschen zu erzäh-

len und ihre Reaktionen zu beobachten.

Das Schlimmste? Keine Zeit zu finden, den Blog zu pflegen.

Der gute Rat? Für ein Projekt, in dem es um Worte geht: sich alles

merken, aktiv zuhören, nachfragen, Notizen machen und danach erst

schreiben.

Das nächste Projekt? »Lerne Russisch im Vorbeigehen« für Rus-

sischlernende.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

GemeinsamHeldenhaftes vollbringenAlbanien und MazedonienJanuar – Mai 2009Projektleiterin: Charlotte Siegerstetter

Das Theaterprojekt »Gemeinsam Heldenhaftes vollbringen« war ein Kooperationsprojekt zwischen den Universitäten in Durrёs (Albanien) sowie Skopje und Tetovo (Mazedonien). Studenten der Anglistik und Germanisitk inszenierten B. Shaw´s »Arms and the Man – Helden« im englischen Ori-ginal. Das Stück wurde im Rahmen einer Tournee durch vier albanische und mazedonische Städte aufgeführt.

Ein Theaterprojekt zu organisieren bedeutet… zu erleben, wie

anfängliche Zurückhaltung, Angst und Scham schmelzen wie Eis und

sich in eine Fülle von Emotionen, Spannung und Stolz verwandeln.

Das Schwerste? Den Stress nicht an den Teilnehmern auszulassen,

sondern sich immer bewusst zu sein, dass man selbst den Projekt-

plan geschrieben hat: Vier Aufführungen in vier verschiedenen Thea-

tern in vier verschiedenen Städten mit einer Gruppe von Amateuren.

Ich muss verrückt gewesen sein!

Das Schönste? Wenn die Gruppe zusammenwächst und der The-

aterfunke überspringt: »Geht schon mal vor zum Abendessen, wir

proben unsere Szene noch einmal...«

Das Schlimmste? Wenn ein Schauspieler wegen Depression aus-

steigen muss, wenn zwei Teilnehmer (die im Stück ein Liebespaar

spielen) sich so sehr streiten, dass eine weinend sagt »Ich kann

mit diesem Menschen nie wieder sprechen«, wenn sich eine Teil-

nehmerin bei der ersten Aufwärmübung den Fuss verdreht und

das ganze Probenwochenende getragen werden muss, wenn eine

Teilnehmerin schwanger wird und ihre Familie ihr nicht erlaubt auf

die Aufführungstournee mit zu kommen.... Kann man das als »das

Schlimmste« bezeichnen? Ich denke nicht, wir sind ja überall irgend-

wie durchgekommen!

Der gute Rat? Spielt alle Theater, das Leben ohne Schauspielerei ist

ein grauer Regentag.

Das nächste Projekt? Das Projekt »Kulturdiplomaten« mit Teilneh-

mern aus Albanien, Mazedonien und Bulgarien. Selbst geschriebene

Texte zum Thema Essen werden zu einer Theateraufführung verbun-

den, einem kulinarischen Menü mit Speisen, die auf dem ganzen

Balkan zubereitet werden: Baklava, Byrek, Tarator, Kaffee etc.

Rasend durch PragTschechien22. bis 26. April 2009Projektleiter: Josef Urbanek

Über Jahrhunderte hinweg haben deutsche, tschechische und jüdische Wurzeln Prager Kunstschaffende geprägt. 10 deutsche und 10 tschechische Schüler und Schülerinnen setzten sich – in der Tradition des »rasenden Reporters« Egon Erwin Kisch immer unterwegs in der Stadt – mit die-ser besonderen kulturellen Symbiose in vier thematischen Workshops auseinander: Musik, Literatur, Fotografie und Dokumentation. Die Ergebnisse wurden im Goethe-Insti-tut präsentiert.

Eine Jugendbegegnung zu organisieren bedeutet… eine rie-

sige Koordinierungsarbeit und nicht zuletzt bis in die letzte Stunde

hinein eine absolute Flexibilität des Projektteams. Wenn die Begeg-

nung stattfindet, bedeutet es Spaß, Unterhaltung und unvergessliche

Erinnerungen.

Das Schwerste? In kritischen Momenten nicht aufzugeben.

Das Schönste? Das Lob der zufriedenen Teilnehmer.

Das Schlimmste? Schlechte Laune, die manchmal eben ausge-

klammert werden muss.

Der gute Rat? Voll motiviert und begeistert an die Sache herangehen!

Das nächste Projekt? Zeitzeugengespräche an deutschen und

tschechischen Schulen.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Mit Musik gegen PassivitätUkraine und PolenJanuar bis April 2009Projektleiterin: Edita Ullmann

Jugendlichen in der ukrainischen Kleinstadt Swaljawa die Chance und den Mut zu Engagement zu geben war Ziel des Begegnungs- und Kulturprojektes »Mit Musik gegen Passivität«. Die Swaljawaer Band »Tropfen der Hoffnung« erarbeitete gemeinsam mit Jugendlichen aus Polen ein Programm, das am Kindertag vorgeführt und auf einer CD veröffentlicht wurde.

Ein Musikprojekt mit Nichtmusikern zu organisieren bedeu-tet... Geduld aufbringen zu können und Vertrauen in die eigene Kraft

zu haben.

Das Schwerste? Die Arbeit im Team und die Rollen- bzw. Aufga-

benverteilung darin.

Das Schönste? Gute Ergebnisse genießen zu können. Die Arbeit im

Team, wenn Rollen und Ziele klar sind.

Das Schlimmste? Auf jeden Fall der Zeitdruck.

Der gute Rat? Man muss spüren, wie man sich »korrekt« durchsetzt

- und nie Panik ausbrechen lassen!

Das nächste Projekt? Unbedingt und bald! - to be continued...

SchattenTschechien10. Februar 2009Projektleiter: Thomas Kirschner

Exakt an ihrem 75. Todestag erinnerte im Prager Clam-Gallas-Palais eine literarisch-musikalische Akademie an die Pragerin Ossip Schubin (1854-1934), zu ihrer Zeit eine der populärsten deutschen Autorinnen. Eine biographisch-belletristische Lesung von Schubin-Texten gab eine skiz-zenhafte Einführung in Leben und Werk; Höhepunkt des Abends war die musikalische Dramatisierung einer Schu-bin-Novelle durch das Münchener Kammerensemble

Das Schwerste? In Zeiten globaler Krisenstimmung private Förderer

zu finden. Eine dramaturgische und kompakte Auswahl aus den über

lange Jahre angesammelten Texten zu treffen. Was kann man weglas-

sen? Was interessiert das Publikum?

Das Schönste? Die Unterstützung – dass sich so viele Menschen

das Projekt zu eigen gemacht haben. Das große Publikum in dem

prächtigen Barocksaal.

Das Schlimmste? Es gibt eine Menge Fotos von dem Abend – aber

keines von der begleitenden Ausstellung, die in drei Vitrinen Doku-

mente aus Schubins Leben zeigte.

Der gute Rat? Der gleiche wie letztes Mal: Alles NOCH FRÜHER

machen.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Ohne großes Tam-TamKleinstprojekte bei MitOst

Habt ihr schon mal den Satz »Projekte bilden das Herzstück von MitOst« gehört? Ivelina Kovanlashkas Herz schlägt vor allem für Kleinstprojekte.

Für mich steht nach anderthalb Jahren im Projektbeirat fest: Kleinst-

projekte sind die charmanteste »Lebensform« bei MitOst! Engage-

ment und Kreativität drücken sich nicht unbedingt in großen, profes-

sionell abgewickelten Projekten aus. Mit viel Motivation und kreativen

Zugängen zu den gewählten Themen erzielt man mit wenig Geld

große Wirkungen.

Menschen lassen sich durch kreative Lösungen auch ohne aufwändi-

ge Reisen und umständliche Vorbereitungen zusammenbringen. Ein

schönes Beispiel dafür ist das Projekt »Glücksgrüße von Zuhause«,

das Schüler aus Weimar und der tschechischen Stadt Opava durch

den Austausch von selbst gestalteten Postkarten mit den ganz per-

sönlichen Glücksorten zusammenbrachte.

Gesellschaftlich relevante Themen wie z.B. Globalisierung (ein gleich-

namiges Kleinstprojekt fand an einer Universität in Sofia statt) können

auch in Workshops und kleineren Runden thematisiert werden – der

gewünschte Austausch wird vielleicht sogar effektiver erreicht als im

großen Konferenzrahmen.

Lernen kann Spaß machen und sogar ganz nebenbei geschehen. Da-

von zeugt der Workshop »Deutsch im Vorbeigehen« für Deutschler-

nende und der daraus entstandene Blog (http://kreativesschreiben.

wordpress.com/). Das Projektteam hat bei der Organisation in Berlin

so gut gewirtschaftet, dass sogar Mittel für die Durchführung eines

zusätzlichen Workshops in Novosibirsk übrig blieben.

Ein Fotokurs für Kinder aus dem Kinderdorf Skopje, der den Teilneh-

menden hilft, ihre Potenziale zu entdecken, bei dem sie ihre Umge-

bung und die eigene Empfindungen auf Film abbilden und daraus

im Anschluss eine Ausstellung gestaltet – auch das wurde möglich im

Rahmen eines Kleinstprojekts.

Kleinstprojekte bei MitOst sind ein Spielfeld für engagierte Menschen,

die sich im Projektemachen ausprobieren oder auch bestätigen

möchten, die ohne großes Tam-Tam ein bewegendes Vorhaben auf

die Beine stellen wollen und damit andere Menschen mobilisieren,

sich für ein Thema oder ein Problem zu interessieren.

Mit dem Kleinstprojekt-Format fördert MitOst Vorhaben von Mitglie-

dern mit maximal 350 Euro.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

MitOst wird zum betterplaceAls Innovationsstipendiat hat Julian Gröger MitOst und die Spendenplattform betterplace zusammen gebracht. Was für Chancen bietet das für den Verein?

Auf der Spendenplattform betterplace.org kann jeder sein Projekt in

die Öffentlichkeit tragen und dafür Fürsprecher, Mitmacher und Spen-

der gewinnen. Man kann dort direkt einzelne Projekte von großen

Organisationen unterstützen und außerdem Rücksprache mit den

Verantwortlichen halten. Seit März 2010 ist unter den eingetragenen

Organisationen auch MitOst vertreten und wird dort in Zukunft nicht

nur seine attraktiven Projekte zur Schau stellen und damit für eine

größere Außenwirkung sorgen, sondern auch Gelder, Interessenten

und mögliche zukünftige Mitglieder sammeln.

Ist betterplace also ab jetzt die Lösung für alle finanziellen Probleme?

Nicht unbedingt. Die Erfahrung mit dieser Plattform zeigt, dass es

nicht viel bringt, einfach Projekte reinzustellen und dann zu warten,

bis das Geld zusammen gekommen ist. Wir Mitglieder müssen rein

in dieses Netzwerk und dann wiederum unsere Netzwerke nutzen

und aktivieren, damit unsere guten Projekte wirklich Gehör und Geld

finden.

Daher der Aufruf an alle Mitglieder: Guckt euch die Plattform mal an!

Es funktioniert prinzipiell ähnlich wie andere Netzwerke (facebook

etc.). Man kann sich registrieren und dann findet ihr unter »Organisati-

onen« auch MitOst und da könntet ihr euch »mit Organisation verbin-

den«. Es wäre gut, wenn möglichst viele Mitglieder als »Mitarbeiter«

dort sichtbar wären. So heißen Mitglieder in der betterplace-Sprache.

Noch so ein Netzwerk? Nochmal registrieren? Wieder mehr Mails im

Postfach? Ich würde euch dies nicht vorschlagen, wenn ich nicht ab-

solut überzeugt davon wäre, dass es den Verein nach vorne bringen

kann. Schon bald werden die ersten MitOst-Projekte dort sichtbar

sein, die ihr dann auf vielfältige Weise unterstützen könnte. Ich freue

mich auf dieses Experiment und über jeden Unterstützer!

MitOst lebt vom Engagement seiner Mitglieder und wird auch von den Mitgliedern gestaltet. Fünf dieser Mitglieder haben vor kurzem eine Ökogrup-pe gegründet, um MitOst so zu gestalten, dass sie sich auch weiterhin mit ihrem Verein identifizie-ren können. Als ersten Schritt erstellte die Gruppe einen »ökologischen Rucksack« und berechnete den von MitOst verursachten CO2-Ausstoss für das Jahr 2009, um zu schauen, an welchen Stel-len der Verein umdenken muss. Darauf basierend sprach die Gruppe einige Empfehlungen aus, die v.a. das Flugverhalten der Mitglieder, der Gremien und der Geschäftsstelle betreffen. Diese Empfeh-lungen sollen nun im Vorstand und in der Mit-gliedschaft diskutiert werden. Nachzulesen ist der Bericht der Ökogruppe im internen Bereich der MitOst-Homepage.

Grüner werden

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Begeistert von IdeenDer Projektbeirat 2009/2010

Die Mitgliederprojekte sind das Herz des Vereinslebens und Ausdruck des aktiven Engagements der Mitglieder im MitOst-Kosmos. Doch bevor eine Projektidee umgesetzt werden kann, muss sie sich einer strengen Prüfung stellen: Sieben in der Projektarbeit erfahrene Mitglieder entscheiden, welche der vielen guten Ideen gefördert werden – und welche nicht. Ein Einblick in die Welt der Projektbei-räte. Die Fragen stellte Lisa E. Wagner.

Christine FrickNenne drei alternative Begriffe für »Engagement«!Der Duden von 2004 bietet »Aktivität, Anstrengung, Anteilnahme, Be-

teiligung, Bindung, Energie, Eifer, Einsatz, Hingabe, Mitwirkung, Kraft-

anstrengung, Teilnahme, Verbundenheit, Verpflichtung« an. Das sind

nun leider 14 alternative Begriffe, aber alle passen!

Worauf achtest du bei der Auswahl eines Projekts?»Originalität« ist mir sehr wichtig; das ist nun auch so ein abgegrif-

fenes Wort wie »Engagement«... Hier springt mein Duden zwischen

»originell« (»neuartig«) und »original« (»ursprünglich«) hin und her. Mir

ist eine Mischung der beiden Begriffe wichtig: ich suche in einem

Antrag nicht unbedingt etwas zwingend Neues, möchte aber spüren

können, dass hinter einer Projektidee etwas steckt, was mit dem in-

neren Interesse des Projektleiters eng verknüpft ist.

Wen bewunderst du für ihren/seinen Mut?...da wären Moses, Jesus, Mohammed, Buddha… Es gibt viele, die

zu bewundern sind, manche mir näher, manche weiter weg. Es wäre

schön, ein paar von ihnen tauchten immer rechtzeitig dann in mei-

nem Gedächtnis auf, bevor ich mich vom Gemecker und Gejammer

des Alltags verführen lasse.

Christine Frick wohnt in Forchheim/Nordbayern, arbeitet als Kunst-

lehrerin am Gymnasium, freischaffend als Künstlerin und leitet eine

kleine private Werkschule für Kinder (www.werkstatt-forchheim.de).

Julian GrögerWorauf achtest du bei der Auswahl eines Projekts?MitOst ist keine Stiftung. MitOst-Projekte sollten daher möglichst viele

MitOst-Mitglieder in Bewegung setzen.

HINTEN, VON LINKS NACH RECHTS: CAROLIN RÖLLE, ESZTER KOVÁTS, ELISA SATJUKOW, IVELINA KOVANLASHKA, MARTIN HOFMANN. VORN: CHRISTINE FRICK, JULIAN GRÖGER

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Was sind deiner Meinung nach die drei wichtigsten Inhalte, die man in einem Projekt vermitteln kann?Wer ein bisschen Zeit und Mut investiert, bekommt noch viel mehr

Energie zurück. Alles außerhalb des Alltags eröffnet eine neue Pers-

pektive auf sich selbst und seine Umgebung. Wir alle sind ein biss-

chen verrückt und das ist auch gut so.

Welches Projekt würdest du selbst gern organisieren?Baumpflanzaktionen in den rumänischen Karpaten mit integrierter

Wanderung.

Julian Gröger wohnt in Berlin, studiert Umweltmanagement und

pflanzt Bäumchen.

Martin HofmannWen bewunderst du für ihren/seinen Mut?»Mama« Muriel Sigasa, eine Pastorenwitwe aus Soweto/Südafrika, die

ein Heim für Straßenkinder aufbaute, nachdem eines Morgens ein

Hund einen Babykopf vor ihrer Haustür abgelegt hatte. Die Bewohner

von Tresnjevac/Oromhegyes in Serbien, die sich weigerten, beim Ju-

goslawienkrieg mitzumachen.

Was sind deiner Meinung nach die drei wichtigsten Inhalte, die man in einem Projekt vermitteln kann?Dreimal »viel«, wie in dem Kinderlied: Viele kleine Leute an vielen

kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der

Welt verändern.

Welches Projekt würdest du selbst gern organisieren?Ein Musik- und Tanzseminar, bei dem Schüler und Studenten aus

verschiedenen Ländern Stücke und Tänze aus ihrer Heimat mitbrin-

gen und sie den anderen beibringen. Eine andere Idee ist, mit Stu-

denten aus Polen, Deutschland und Rumänien Erinnerungsorte an

das Jahr 1989 aufzusuchen und durch die Verknüpfung von Orten

und Familienbiographien einen Bezug zur Wendezeit herzustellen.

(Ist eigentlich die Fortsetzung eines Lektorenprojekts.)

Martin Hofmann wohnt in Griesheim und promoviert zum Thema

städtische Erinnerungskulturen am Beispiel des Umgangs mit dem

Jahr 1989 in Leipzig und Temeswar.

Ivelina KovanlashkaNenne drei alternative Begriffe für »Engagement«!Ich finde den Begriff schön und benutze ihn gern, dahinter kann

sich eine ganze Menge verbergen: Optimismus, Willen und Wollen,

Offenheit für andere und für die eigene Umwelt, Freundschaft, Kol-

legialität, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft – letztlich ein aktives

Leben und Teilhabe an gesellschaftlichen Geschehnissen.

Worauf achtest du bei der Auswahl eines Projekts?Am Herzen liegen mir besonders die Kleinstprojekte, weil sie mit

viel Enthusiasmus und Engagement realisiert werden. Mit viel Geld

ein Projekt zu machen ist nicht so schwer. Die Kunst liegt darin, et-

was Feines aus wenig zu machen. Es gibt bei MitOst wunderschöne

Beispiele für Kleinstprojekte, z.B. »Glücksgrüße von Zuhause« oder

»Deutsch im Vorbeigehen«.

Was sind deiner Meinung nach die drei wichtigsten Inhalte, die man in einem Projekt vermitteln kann?Es geht, Hauptsache, du willst. Miteinander können wir. Man soll da-

bei auch Spaß haben.

Ivelina Kovanlashka wohnt in Berlin und arbeitet als Programmassis-

tentin beim Theodor-Heuss-Kolleg, nebenbei schließt sie gerade ihr

Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft ab.

Carolin RölleWorauf achtest du bei der Auswahl eines Projekts?Wichtig finde ich, dass viele Menschen an einem Projekt beteiligt

werden, jedoch nicht nur passiv teilnehmen, sondern aktiv dabei sind

und eingebunden werden.

Wen bewunderst du für ihren/seinen Mut?Ich bewundere die Menschen, die ihren Prinzipien treu bleiben, auch

wenn sie gegen den Strom schwimmen müssen, diejenigen, die für

eine gute Sache kämpfen und andere motivieren, sich ebenfalls ein-

zusetzen. Es gehört Mut und Durchsetzungsvermögen dazu, Prinzi-

pien zu leben.

Welches Projekt würdest du selbst gern organisieren?Ein Projekt im Bereich bürgerschaftliches Engagement in Belarus.

Erste Ideen haben wir in der AG Bürgerschaftliche Bildung schon ge-

sammelt

Carolin Rölle wohnt in Stuttgart und arbeitet als Assistentin im Pro-

gramm »Robert Bosch Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa«.

Elisa SatjukowNenne drei alternative Begriffe für »Engagement«!Thesaurus sagt: Einstellung, Leidenschaft. Ich füge hinzu: Zivilcou-

rage.

Worauf achtest du bei der Auswahl eines Projekts?Innovation, Ergebnis- und/oder Prozessorientiertheit, Methodik, Spra-

che, und nicht zuletzt: Herzblut. Ich muss merken, dass der/die An-

tragstellerIn sich für seine/ihre Idee begeistert, motiviert und auch

kompetent in der Umsetzung seines/ihres Projektes ist.

Welches Projekt würdest du selbst gern organisieren?Ein Feature über die Beziehungsgeschichte deutsch-russischer Famili-

en in Deutschland, speziell die der Kinder und des Elternteils aus der

ehemaligen Sowjetunion.

Elisa Satjukow wohnt in Leipzig und Berlin und studiert osteuropäi-

sche Geschichte, Literaturwissenschaft und Russistik.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Europa im DialogJunge Journalisten schreiben über die Wende

Zum 20. Jubiläum der friedlichen Revolution schrieb MitOst im Jahr 2009 den Internationalen Jour-nalistenpreis »1989 – 2009: Europa im Dialog« aus. Projektleiterin Joanna M. Rother stellt den Wett-bewerb und seine Ergebnisse vor.

»Die Welt muss sich ändern…! Wir sind die Welt…!«, rief der Frie-

densnobelpreisträger Michail Gorbatschow den Versammelten wäh-

rend des Reformprozesses der »Perestroika« in Russland zu. Auch die

Medien erhielten im Jahr 1989 eine neue politische Rolle. Bei dem

Umbruch in Mittel- und Osteuropa waren sie die entscheidenden

länder- und grenzübergreifenden Informationsträger der damaligen

Ereignisse. 1989 war das Jahr der deutschen Wende, der Zeit der

Emanzipation und Befreiung in Mittel- und Osteuropa, aber auch das

Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West.

Zwanzig Jahre danach befindet sich Europa im neuen Dialog. Wie

wirkt sich das Jahr 1989 auf die Europäische Union der inzwischen

27 Staaten aus? Wie gestalten sich die Grenzen Europas zwanzig Jahre

nach der Wende? Welche Themen von damals interessieren die jun-

ge Generation von heute?

Im Rahmen des von MitOst ausgeschriebenen Internationalen Jour-

nalistenpreises »1989 – 2009: Europa im Dialog« suchten Print- und

Online-Journalisten im Alter von 18 bis 35 Jahren aus über 15 euro-

päischen Ländern Antworten auf diese Fragen.

Thematische Vielfalt und stilistischer Reichtum zeichneten die insge-

samt 53 eingereichten Arbeiten aus. Während es in den Texten aus

Albanien, Kirgistan, Moldawien, Rumänien und Transnistrien oft um

die Frage der neuen Grenzen Europas ging, vermittelten die nomi-

nierten Beiträge aus Deutschland, Polen und Tschechien eher einen

subjektiven Eindruck des selbst als Kinder oder Jugendliche erlebten

Jahres 1989.

Die Auswahl wurde in einem mehrstufigen Auswahlverfahren durch-

geführt, bestehend aus Sitzungen der Vorjury und Jury, besetzt mit re-

nommierten Experten und Journalisten angesehener Zeitungen und

Zeitschriften (darunter Marc Bermann von der Robert Bosch Stiftung,

Alfhild Böhringer von der European Youth Press, der ukrainische Publi-

zist Juri Durkot, Adam Krzemiński von der polnischen Wochenzeitung

POLITYKA, Claus C. Malzahn von SPIEGEL ONLINE, Ivan Rodionov

vom russischen TV-Nachrichtensender Westi24, Andrea Seibel von

der WELT und der Berliner Morgenpost, Luise Tremel von der Bundes-

zentrale für politische Bildung sowie Bernd Ulrich, stellvertretender

Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT).

Im November 2009, dem historisch bedeutenden Monat für das Ju-

biläum des Jahres 1989, kamen bei der feierlichen Preisverleihung

im Collegium Hungaricum Berlin die 10 nominierten Autorinnen und

Autoren zusammen. Darüber hinaus nahmen sie in der Stadt des

Mauerfalls an einem Medienprogramm teil und besuchten erfahrene

Journalisten in den Redaktionen der Wochenzeitung DIE ZEIT und

des Magazins DER SPIEGEL. Ebenfalls auf dem Programm stand ein

zweitägiges Medientraining mit dem Schwerpunkt Fotografie in der

Berliner Journalistenschule.

Die zehn besten Arbeiten des Internationalen Journalistenpreises sind

in einer Fachpublikation erschienen.

Der Wettbewerb wurde von der Robert Bosch Stiftung, der Ha-niel Stiftung und durch die Europäische Union im Rahmen des Programms »Europa für Bürgerinnen und Bürger« 2007-2013 ge-fördert.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Michal Hvorecky (SK), »Der Sommer, in dem meine Kindheit endete«, 1. Preis der JuryAuch die anderen Touristen waren in den ostdeutschen Autos aus

Duroplast angereist, die auf der Heckklappe den absurden Schrift-

zug de Luxe trugen. Überall hörte ich den zischelnden sächsischen

Dialekt. Etwas lag in der Luft. Die enorme Spannung spürten auch

die Kinder. Die entsetzlichen Gemeinschaftswaschräume, in die man

sich schämen würde, Rinder hineinzutreiben, waren voll mit nervö-

sen Menschen. Nie sprach man über die Sonne oder über das Türki-

sche Bad, immer wurde nur konspirativ und geheimnisvoll geflüstert.

Mir war das ziemlich egal. Meine Welt drehte sich nur um die leckeren

Schokoladenpalatschinken, die Plakate von Sandra und Michael Jack-

son (der damals noch schwarz und äußerst lebendig war) und die in

meiner Heimat verbotenen Comic-Hefte in einer Sprache, die ich aus

Trotz nicht verstand: »Köszönöm szépen!«

Anna Wakulik (PL), »Himmel über Berlin oder: (Nichts) Neues im Westen«, 2. Preis der JuryIch frage mich immer, wo die Mauer war. Als ich im Oktober an-

kam, war mir bewusst, dass diese Stadt einer gewaltigen, schlecht

vernähten Wunde gleicht, die durch irgendein Wunder zu neuem

Leben erwacht ist. »Blood is liquid that dries very fast”, hat Charles

de Gaulle einmal gesagt. Wie die hier es schaffen, normal zu leben,

nachdem sie aufgestanden sind, sich die Geschichte von den Hosen

geklopft haben, und wie sie jetzt einfach weitergehen können, weiß

ich nicht.

Agnieszka Hreczuk (PL), »Zusammen kann man mehr«, 3. Platz der Jury»Die EU war für uns eine Chance«, sagt der Bürgermeister des anderen

Orts, der von Gozdnica. Er heißt Zdzislaw Plaziak und hat damals mit

Ja gestimmt. Es war die Zeit, als Gozdnica dabei war, unterzugehen.

4000 Einwohner, acht Kilometer Luftlinie bis zur deutsch-polnischen

Grenze. In Berlin ist man schneller als in Warschau. Ein Rabe ist das

Wappenzeichen der Stadt, Schornsteine würden besser passen. Denn

sie sind überall. Als Gozdnica noch Freiwaldau hieß, entstand hier die

erste Dachziegelfabrik. Die Ziegel aus Freiwaldau steckten im Leipziger

Hauptbahnhof und in einer Kirche auf dem Jerusalemer Ölberg. Fast

200 Jahre lang ließ die Baukeramikindustrie die Gemeinde wachsen.

Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks kamen die Globalisierung

und der Abstieg, heute zieht durch die meisten Fabriken nur noch der

Wind. »Gozdnica hat eine Rettung gebraucht«, sagt Plaziak.

Yaryna Borenko (UKR), »Fünfundachtzig Millimeter«Nach 1989 ist Čierna (ph. Tschernja) leer geworden. Das Leben ist

hier wie im benachbarten Zakarpatia eintönig, hinterwäldlerisch und

kriminalisiert durch einen der beliebten Wege für illegale Migration

und Schmuggel…

Veronika Wengert (D), »SLOWENIEN/ITALIEN: Eine Stadt mit zwei Gesichtern«Seit der EU-Erweiterung vor fünf Jahren wachsen das slowenische

Nova Gorica und das italienische Gorizia langsam zusammen […]

Ettore Romoli, konservativer Bürgermeister von Gorizia. Romoli lehnt

sich in einem Polstersessel mit den barocken Holzfüßen zurück und

fährt sich durchs schlohweiße Haar. Eine Explosion habe es im Hin-

blick auf die bilateralen Beziehungen jedoch nicht gegeben. »Es ist

eine Annäherung, die sich langsam entwickelt«, so Romoli. Mit dem

EU-Beitritt Sloweniens habe sich zwar einiges intensiviert, maßgeb-

licher sei jedoch das Inkrafttreten des Schengen-Abkommens im

Dezember 2007 gewesen. »Die Veränderungen waren dabei eher

psychologischer Natur«, sagt Romoli.

Auszüge aus den eingesandten Texten

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

»Ich habe die neugierigen, für Verständigung offenen und bereiten Augen der Jugendlichen

gesehen«, berichtete die Projektleiterin Ilana Elmakayes über die manchmal auch kontrover-

se Projektarbeit zwischen den deutschen, jüdischen und arabischen Jugendlichen. Am Ende

sollte das Zusammenwachsen der Teilnehmer zu einer Gruppe gelingen - nicht zuletzt über

gemeinsame Themen, Interessen und Ziele in der Projektarbeit: Die Jugendlichen erforschten

die Herkunft ihrer eigenen Familien und deren vielfältige Beweggründe, die zum Verlassen

der Heimat führten. Sie befragten Großeltern oder Eltern und waren von den verschiede-

nen Lebensschicksalen sehr bewegt. So die Geschichte von Ester Danon-Eilon, die vor den

Nationalsozialisten fliehen musste und als siebzehnjährige nach Palästina kam, oder jene

des arabischen Israelis Baschar Nahas, dessen Familie mit der Gründung Israels ihr Dorf ver-

lassen musste. Aber auch deutsche Geschichten, wie die von Bernd Jacubaschs Flucht aus

der DDR in die Bundesrepublik Deutschland, wurden betrachtet. Die verschiedenen Migra-

tionsgeschichten präsentierten die Jugendlichen in einer mehrsprachigen Ausstellung, einer

Dokumentation und einem Videofilm.

Die intensive Zusammenarbeit, die Verständigung untereinander und gegenseitiges Verständ-

nis füreinander haben die Gruppe schließlich zusammengeschweißt. »Von heute an sehe ich

meine Hoffnung und meinen Traum von Frieden und Brüderlichkeit zwischen den beiden

Völkern möglich werden. Ich glaube, dass wir – die junge Generation – es schaffen werden.

Unsere Gruppe ist ein Beispiel dafür«, so fasste ein arabischer Schüler seine Erlebnisse zu-

sammen.

Herkunft - was bedeutet das?Deutsche, jüdische und arabische Jugendliche beschäftigen sich mit den Themen Flucht, Vertreibung und Migration

Im Rahmen der Ausschreibung 2008/2009 des Programms EUROPEANS FOR PEACE beschäftigten sich die Jugendlichen mit aktuellen und historischen Fragen zum Thema »Herkunft und Vielfalt«. Im Mittelpunkt der 71 Schul- und Jugendprojekte standen die Fragen »Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wie vielfältig war und ist Europa mit seinen Kulturen, seinen Menschen und seiner Ge-schichte?« Während eines feierlichen Festaktes in Berlin im Dezember 2009 präsentierten sich die sechs Preisträgerteams und wurden für ihr Engagement ausgezeichnet. Heide Lübge stellt eines der Projekte vor.

Begegnung»Dieses Wort steht in vier Sprachen –

arabisch, hebräisch, deutsch und eng-

lisch – auf unserem Projektlogo. (...)

Es steht für Verständigung zwischen

jüdischen, arabischen, und deutschen

Jugendlichen; es bedeutet Toleranz

und Respekt vor anderen Kulturen, Zu-

sammenarbeit, gemeinsames Erleben

und Freundschaft. Die Hände, die das

Viereck der Worte schließen, weisen

auf die Zukunft, auf das Ziel, das wir

mit dem deutsch-jüdisch-arabischen

Jugendprojekt anstreben: Hände, die

zusammenfinden und fest verbunden

sind.« (Magdalene Krumpholz, Projekt-

leiterin)

EUROPEANS FOR PEACE ist ein För-

derprogramm der Stiftung »Erinnerung,

Verantwortung und Zukunft« (EVZ) in

Trägerschaft von MitOst e.V.

Ab Herbst 2010 wird das Programm

von der Stiftung EVZ selbst durchge-

führt. Das Programmthema für die Jah-

re 2010-2012 lautet »Menschenrechte

in Vergangenheit und Gegenwart«.

Nähere Informationen zu den Projek-

ten und zum Programm unter

www.europeans-for-peace.de

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Europäische BegegnungsinselNach 10jähriger Förderung ist »Junge Wege in Europa« zum Jahresende 2009 ausgelaufen. Ziel des von MitOst durchgeführten Programms der Robert Bosch Stiftung war es, die heranwachsende Ge-neration bei der Gestaltung eines gemeinsamen und partnerschaftlichen Europas zu unterstützen. Ein Rückblick von Jona Adler.

Wie kann ein Baum Begegnung ermöglichen? Mit dieser Frage setz-

ten sich ungarische und deutsche Berufsschüler in ihrem Projekt aus-

einander. Sie begleiteten den Verarbeitungsprozess eines Baumes

von seiner Fällung bis zum Sägewerk und bauten anschließend aus

dem Material einen Holzpavillon. Der Holzpavillon wird in Gödöllő als

Ort der Begegnung genutzt und ist zugleich Symbol für die langjährige

Zusammenarbeit der beiden Schulen.

»Vom Baum zur Europäischen Begegnungsinsel. Jugendliche bauen

einen Holzpavillon« ist ein Beispiel für die zahlreichen Projekte, die

in den letzten zehn Jahren im Programm Junge Wege in Europa

realisiert wurden. Schüler und Jugendliche aus Deutschland und

mindestens einem mittel- oder osteuropäischen Land beschäftig-

ten sich im Rahmen einer oder mehrerer Begegnungen mit alltags-

nahen Themen und erarbeiteten ein gemeinsames Produkt. Dabei

lernten sie Menschen und Kulturen kennen, vertieften ihr Wissen

über Deutschland und Mittel- und Osteuropa und bauten durch

die Realisierung ihrer Projekte langfristige Beziehungen in andere

Länder auf. Die so entstandenen Partnerschaften zwischen Schu-

len und zwischen außerschulischen Institutionen trugen dazu bei,

Schüler und Jugendliche bei der Gestaltung eines gemeinsamen

Europas zu unterstützen. Die Jugendlichen konnten Europa aktiv

mitgestalten, indem sie eigene Ideen, Interessen und Zukunftser-

wartungen in interkulturellen Projekten verwirklichten.

Diesen Ansatz hat das Programm Junge Wege in Europa bei der Aus-

wahl der Projekte in den letzten zehn Jahren konsequent verfolgt.

Als der Förderwettbewerb im Schuljahr 1998/1999 erstmals aus-

geschrieben wurde, waren seit dem Ende des Kalten Krieges zehn

Jahre vergangen. Längst hatte die europäische Integration begonnen,

Europa wuchs zusammen. Die neue Aufgabe bestand darin, die mit-

tel- und osteuropäischen Nachbarländer an die Europäische Union

heranzuführen, sie zu integrieren und diese Integration mit Leben zu

füllen. Diese Herausforderung hat sich das Förderprogramm Junge

Wege in Europa zum Ziel gemacht und dabei erfolgreich über 650

Partnerschaftsprojekte gefördert. Alle geförderten Projekte hatten das

gemeinsame Ziel, die demokratischen, zivilgesellschaftlichen und

wirtschaftlichen Kompetenzen der Jugendlichen zu stärken. Die Wege

hin zu diesem Ziel hätten nicht unterschiedlicher, die Produkte der

einzelnen Projekte nicht vielfältiger sein können: von Theaterauffüh-

rungen und Filmen über Ausstellungen und Fotodokumentationen

bis hin zum Bau eines Holzpavillons – der Kreativität der beteiligten

Jugendlichen waren bei der Realisierung ihrer Projekte keine Grenzen

gesetzt. »Ich bin davon überzeugt, dass es gerade solche Baustei-

ne, solche Projekte sind, die entscheidend dazu beitragen, dass sich

junge Menschen verschiedener Völker wirklich kennenlernen und

gemeinsam am Haus Europa bauen«, so ein Projektleiter über das

Programm. Auch der Holzpavillon in Gödöllő wird in Zukunft für viele

Jugendliche ein Ort der Begegnung sein und sie auf ihrem Weg zu

einem gemeinsamen Europa begleiten.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

MitOst-EditionenNeuerscheinungen 2009

ZwischenWelten

26-minütiger Dokumentarfilm von Stefanie Trambow über die Auslandserfah-

rungen eines russischen Studenten, der die Seminarleiterausbildung beim Theo-

dor-Heuss-Kolleg macht. Die DVD enthält neben dt., engl. und russ. Unterti-

teln und einigem Zusatzmaterial auch eine Broschüre mit Fragen zu den einzelnen

Filmsequenzen, die als Anregung für den pädagogischen Einsatz des Films dienen können.

Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=WewbI8Qbkg4

Trainer – Gruppe – Seminar (Тренер — Группа — Семинар)

Hrsg: Theodor-Heuss-Kolleg

Das Methodenhandbuch in russischer Sprache bietet einen detaillierten Einstieg in die The-

matik der non-formalen bürgerschaftliche Bildung. In den einzelnen Kapiteln werden ausführ-

lich Seminarkonzeption- und Leitung, Teilnehmerkommunikation und Begleitung von Grup-

penprozessen, Methoden und Arbeitsformen der Seminarleitung behandelt.

Phänomenologie als Dialog. Der Einfluss des Ideentransfers zwischen Ost und West auf das phänomenologische Denken EuropasHrsg.: Enrico Sperfeld, Pawel Walczak

Tagungsband zum 6. MitOstForum Philosophie in Zielona Góra/Polen. 10 junge Wissen-

schaftlerInnen aus Russland, Lettland, der Ukraine, Slowenien, Polen und Deutschland kamen

zusammen, um über Grenzen hinweg Kontakte zu knüpfen. Der vorliegende Sammelband

beleuchtet den Ideenaustausch zwischen phänomenologisch orientierten Philosophen, der

zum Teil über den Europa teilenden »Eisernen Vorhang« hinweg vollzogen wurde.

Internationaler Journalistenpreis»1989 - 2009: Europa im Dialog«Hrsg.: Joanna M. Rother, Anna Samol

Zum 20. Jubiläum der friedlichen Revolution schrieb MitOst im Jahr 2009 den Internationalen

Journalistenpreis »1989 – 2009: Europa im Dialog« aus. Der Band versammelt die besten

der eingesandten Arbeiten und bietet damit einen Blick auf das Europa von 1989 zwanzig

Jahr danach.

Die Publikationen sind über [email protected] zu beziehenund stehen teilweise als Download auf www.mitost.org zur Verfügung.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Demokratie im 21. Jahrhundert —Bilanz und PerspektivenDas Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung und des MitOst e.V. trug mit einer Workshoprei-he zur Demokratie-Konferenz in Leipzig bei. Von Nils-Eyk Zimmermann

Die sächsische Metropole Leipzig war im September/Oktober 1989

das Zentrum der großen Demonstrationen in der DDR. Wenn Michail

Gorbatschow und die Solidarność-Bewegung die Überwindung des

Ost-West-Gegensatzes in Europa erst möglich machten - aus der

innerdeutschen Perspektive sind die Leipziger Montagsdemonstra-

tionen das Zentrum der Veränderungen. Anlässlich des zwanzigsten

Jahrestags dieses Ereignisses führte die Stadt Leipzig deshalb eine

Konferenz durch, die diesen Impuls für Gegenwart und Zukunft

fruchtbar machte. »Wir wollten das nicht nur zum Anlass nehmen

um zu feiern, sondern ein Thema setzen, das sich authentisch ergibt

aus dem 9. Oktober 1989, nämlich die Demokratie«, so Dr. Georg

Girardet, Organisator der Konferenz und ehemaliger Bürgermeister

der Stadt Leipzig.

Ganz besonders am Herzen lag den Organisatorinnen und Organi-

satoren der Blick über Deutschland hinaus. Zudem sollten junge Teil-

nehmende aktiv beteiligt werden. Hier kommen das Theodor-Heuss-

Kolleg und MitOst ins Spiel. Für die Konferenz organisierten wir vier

Workshops zur Vertiefung einzelner Konferenzthemen und ermöglich-

ten die Teilnahme von 60 jungen Erwachsenen aus ganz Mitteleuro-

pa. Das hieß logistisch, alle visatechnischen Hebel in Bewegung zu

setzen und inhaltlich: ein Programm zu entwickeln, das der Vielfalt der

Teilnehmenden und ihren Ansprüchen entsprach.

Das Konzept sah die Ergänzung des eher klassischen Konferenzfor-

mats um handlungsorientierte und auf den Austausch konzentrierte

Workshops vor. So war die Rolle der Straße als öffentlicher Ort ein

Thema, ferner wurde direkt im Sitzungssaal des Stadtrats ein Planspiel

in internationaler Besetzung durchgeführt. In welchem mental-geo-

grafischen Gebilde leben wir zwanzig Jahre nach der Wende? Dieser

Frage ging ein Workshop mit dem Titel »West-Ost-oder?« nach. »Frei-

heit, Partizipation, Verantwortung« sind die Stichwörter, zu denen ein

Medienworkshop arbeitete.

Die Idee ist aufgegangen, über einen fachliches Wissen, Gespräch

und persönlichen Austausch zusammenführenden Rahmen alt und

jung, Expertise und Engagement an einen Tisch zu bringen. Als großes

Kompliment betrachten wir die Worte des ukrainischen Schriftstellers

Mykola Rjabtschuk an die Teilnehmenden: »Ich wollte Sie provozie-

ren und Sie haben mich zum Nachdenken gebracht.« Aufbauend auf

der Erfahrung des Jubiläumsjahrs möchte die Stadt Leipzig auch in

Zukunft am Thema »Demokratie« dranbleiben. Aktuell wird über zu-

künftige Formate für die Konferenz nachgedacht.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Seit kurzem koordiniert MitOst die Alumniarbeit des Kaliningrader Europainstituts Klaus Mehnert (EIKM). Die neue Alumnigruppe umfasst 50 Absolventen. MitOst-Alumnibeauftragte Maria Shamae-va sprach mit Absolventin Elena Kuleshova und Christian Welscher, Koordinator des EIKM.

Neue Alumnigruppe bei MitOst

Was zeichnet das Institut und den Studiengang aus?Christian Welscher: Das EIKM wurde 2005 mit Hilfe der beiden

deutschen Stiftungen Robert Bosch und Marga und Kurt Möllgaard

gegründet. Der Studiengang ist derzeit der einzige deutschsprachige

Europastudiengang in Russland. Ihn zeichnen eine kleine interkultu-

relle und interdisziplinäre Studierendengruppe, renommierte Dozenten

und exzellente internationale Kontakte aus. Sehr attraktiv ist auch, dass

es durch eine Kooperation mit der Bergischen Universität Wuppertal/

Deutschland möglich ist, in einem Jahr zwei Abschlüsse zu erwerben:

ein russisches Diplom und einen weltweit anerkannten Master of Arts.

Wer sind die EIKM-Alumni?Elena Kuleshova: Wir sind eine deutschsprachige interkulturelle Grup-

pe. Wir kommen aus insgesamt 10 Ländern – aus Westeuropa, MOE

und der GUS. Fachlich ist die Gruppe auch ganz bunt: Germanisten

bilden die Mehrheit, aber es gibt auch Leute, die Politologie, Soziolo-

gie, Public Health, Ökologie, Rechtswissenschaften oder Wirtschafts-

romanistik studiert haben. Nach dem Abschluss des Studiums am

EIKM sind die Absolventen in den verschiedensten Bereichen tätig,

beispielsweise im Stiftungswesen, in der Wirtschaft, in der internatio-

nalen Zusammenarbeit oder in der Wissenschaft.

Habt ihr schon konkrete Ideen für Alumniprojekte? Elena Kuleshova: Viele unserer Alumni haben bereits Projektvorschlä-

ge gemacht, die von grenzüberschreitender kultureller Zusammenar-

beit über berufliche Weiterbildung bis zu ökologischen und sozialen

Projekten reichen. Nun ist es Zeit, diese Ideen weiterzuentwickeln

und umzusetzen.

Warum MitOst? Was macht den Verein für eure Alumnigruppe attraktiv? Elena Kuleshova: Durch die Mitgliedschaft bei MitOst eröffnet sich für

uns die Möglichkeit, unsere Projekte mit einer größeren Reichweite

zu organisieren und über diese Arbeit einen Beitrag zur Intensivierung

der Beziehungen zwischen den MOE-Ländern zu leisten. Sehr inter-

essant für unsere Alumni sind auch Unterstützungsmöglichkeiten, die

MitOst den Mitgliedern in Bezug auf die weitere berufliche Qualifizie-

rung bietet. Zu diesem Netzwerk möchten wir mit unseren Ideen und

Ressourcen beitragen.

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Brauchen wir MitOst als Alumniverein? Warum eigentlich, man könn-

te sich doch einfach so treffen und wenn nötig einen eigenen kleinen

Kreis oder gar Verein gründen. Wie heißt es in Deutschland so schön:

7 Menschen = 1 Verein. Dann geht man zu Onkel Robert und fragt

ihn, ob er nicht daran interessiert ist, sein Alumnigeld an viele kleine

Menschengruppen zu verteilen. Man könne viel effizienter arbeiten

und die Strukturen wären weniger starr, einfacher - so lässt sich eine

Argumentation vorstellen.

Wie sollen aber eben diese Strukturen aufrecht erhalten werden? Wie

kommt man an Kontakte, um sich weiter zu entwickeln und den Ge-

danken des Programms fortzusetzen? Und warum sollte eine Stiftung

in Zeiten knapper Kassen daran interessiert sein, viele kleine Grüpp-

chen mit Mitteln zu versorgen, die dann jede eine eigene Struktur,

eigene Treffen und Pläne entwerfen, obwohl sie doch so viel gemein-

sam haben und effektiver zusammen arbeiten könnten? Und wieso

eigentlich nicht zusammen arbeiten, sich austauschen, wenn man

doch sowieso ähnliche Ziele verfolgt? Eventuell lässt sich am Ende ja

ein Mehrgewinn erzielen?

MitOst ist ein gewachsenes Netzwerk mit Erfahrungen und Kom-

petenzen in den Bereichen der Programme, aus denen die Alumni

zum Verein finden. MitOst bietet den ehemaligen Stipendiaten ein

Forum, sich weiter für Kultur, Sprache, Bildung und bürgerschaft-

liche Partizipation zu engagieren. Außerdem ist der Verein unter

Stiftungen bekannt und hält intensive Kontakte zu entsprechen-

den Institutionen. Als Alumna oder Alumnus, der oder die von den

Fundamenten des MitOst e.V. während ihrer Stipendien profitier-

ten, wäre es meines Erachtens verschenkte Energie, Kraft und Zeit,

sich ein neues Haus zu bauen, wenn einem doch ein robuster Bau

zur Nutzung angeboten wird. Und man kann dabei mitbestimmen,

wie die Wände gestrichen werden sollen, ob vor dem Haus Beete

oder eine grüne Wiese angelegt werden, wer wann welchen Besuch

empfangen darf, womit die Fenster verkleidet werden und ob der

Dachboden ausgebaut oder die Garage umfunktioniert wird.

Wir Alumni haben mit anderen Interessierten die Möglichkeit stabile

Strukturen zu nutzen, um uns weiter zu entwickeln. Wir können Mit-

Ost derart gestalten, dass weitere Stipendiaten und ganze Program-

me davon profitieren. Nicht zuletzt finden wir bei MitOst kreative Pro-

jekte, kontroverse Gesprächspartner und verrückte Freunde, die sich

thematisch auf unserem Interessengebiet tummeln. Für mich erübrigt

sich somit die Frage, ob wir MitOst als Alumniverein brauchen.

MitOst koordiniert die Alumniarbeit von sieben Stipendienprogrammen der Robert Bosch Stiftung. Nicht alle ehemaligen Stipendiaten sind vom bestehenden Modell überzeugt. Tino Rasche, Alumni-vertreter des Theodor-Heuss-Kollegs, über das Für und Wider.

Ein Dach für Alle? MitOst als Alumniverein

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Das BoschAlumniForum, das vom 30.10.-1.11.2009 in den Räumen

der Universität Hohenheim in Stuttgart stattfand, vereinte diesmal

rund 25 Alumni aus den Stipendienprogrammen der Robert Bosch

Stiftung.

Die Teilnehmer diskutierten mit Referenten aus Wirtschaft, Zivil-

gesellschaft und Verwaltung über soziale Verantwortung in Unter-

nehmen und der Wirtschaft. Als Key Note Speaker konnten wir

Dr. Lothar Ulsamer von der Daimler AG gewinnen. Über den LEA-

Mittelstandspreis für soziale Verantwortung in Baden-Württemberg

berichteten Günther Schmid vom Wirtschaftsministerium Baden-

Württemberg aus Sicht des Ausrichters des landesweit etablierten

Wettbewerbs. Petra von Borstel von der teilnehmenden Firma Sa-

nofi Pasteur sowie Mathias Hübner von der Beratungsfirma ILTIS

stellten aus Unternehmersicht Fallbeispiele vor, wie ihre Firmen so-

ziale Verantwortung leben oder Beratungsprojekte in Südosteuropa

durchführen.

In einer Podiumsdiskussion debattierten die Teilnehmer mit dem

Corporate Social Responsibilty Experten Arved Lüth, dem Gründer

der bundesweiten Initiative Common Purpose Frank Trümper sowie

dem Managementberater Martin Römer von Horvath & Partner. Die

Diskussion wurde moderiert von Andreas Metz.

Am Abend bot die Alumni-Lounge in der strikt im 70er Jahre-Style ge-

haltenen Location »Loft & Liebe« einen außergewöhnlichen Rahmen,

um sich unter Alumni und eingeladenen Gästen aus dem Stuttgarter

Netzwerk bei Bio-Buffet, Flipper und Billard auszutauschen.

II. BoschAlumniForum: Wirtschaft und Zivilgesellschaft - Neugierige Fremde oder getrennte Welten?

Dass Themen der zivilgesellschaftlichen Verantwortung wie wertorientiertes Management oder Corporate Social Responsibility im Zuge der Wirtschaftskrise eine solche Brisanz in der öffentlichen Diskussion entfalten würden, war noch nicht abzusehen, als wir das Thema »Wirtschaft und Zivilge-sellschaft« im Herbst 2008 als Leitthema für das zweite BoschAlumniForum avisierten. Umso mehr freuten wir uns über die anhaltende Relevanz der Thematik in der öffentlichen Diskussion. Von Frank Kupferschmidt

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

Vita Kuchinska aus dem Bezirk Rivne in der Ukraine hat vor knapp

zwei Jahren ein lokales Festival in ihrem Heimatdorf organisiert, um

die örtliche Jugend mal »für was anderes« zu interessieren. Bis jetzt

kann sie »die Projektarbeit und das Denken in Projekten nicht mehr

stoppen«. Vita spricht ihre Muttersprache Ukrainisch, kann auch Rus-

sisch und ein paar Worte Englisch. Dennoch konnte sie das MitOst-

Festival in Uschhorod völlig genießen, da Engagement eine interna-

tionale Sprache ist.

Sergey Pavlov gilt in Perm als Umweltprofi – er studiert Umweltstu-

dien und hat selber Umweltprojekte gemacht. Für ein eigenes Video

wurde er vor kurzem mit einem Preis im Wettbewerb für Umweltso-

zialwerbung geehrt. Er kann gut gerne sehr lange und dabei außer-

ordentlich spannend über globale Prozesse im Umweltschutz reden.

Einige haben ihn sicher in Perm oder in Uschhorod schon mal gese-

hen – ein fast 2 Meter großer Seminarleiter des russischen Koopera-

tionsprogramms »Engagement täglich«, der ständig am Machen, laut

Sprechen, schnell Laufen oder innig Diskutieren ist.

Murad Mammadov aus Aserbaidschan hat trotz und gerade wegen

seiner Biographie als Kriegsflüchtling zusammen mit Armeniern und

Georgiern bei »Getting Involved!« teilgenommen, dem englischspra-

chigen Kooperationsprogramm im Südkaukasus. Mit Überschwang

stürzte er sich in die Projektarbeit und hat Seminare zur Gesundheits-

prävention durchgeführt. Er ist Feuer und Flamme für die von ihm

als besonders wahrgenommene Form des gemeinsamen Lernens

und des Austauschens. Murad spricht neben Aserbaidschanisch auch

Russisch und Englisch sowie nun ebenfalls ein paar Brocken Arme-

nisch und Georgisch.

Diese drei Persönlichkeiten sind engagierte junge Menschen aus Mit-

tel-, Ost- und Südosteuropa, die durch die Regionalkooperationen des

Theodor-Heuss-Kollegs zum zivilgesellschaftlichen Engagement ge-

funden haben und sich nun, auch wenn sie kein oder kaum Deutsch

sprechen, weiter kulturell und sprachlich austauschen wollen. Offiziell

gelten sie als Alumni des Theodor-Heuss-Kollegs, aber können sie

somit auch Mitglied bei MitOst werden? Laut §5 der Vereinssatzung

darf das jede natürliche Person über 18. Allerdings gibt es einen Ha-

ken, die Vereinssprache ist Deutsch. Und mit der Beitrittserklärung

gibt Mann oder Frau an, internen Informationen und Diskussionen in

dieser Sprache ausreichend folgen zu können.

Auf der einen Seite ist es notwendig, im Verein eine gemeinsa-

me Kommunikation zu ermöglichen, um die vielen verschiedenen

Mitglieder mit unterschiedlichen Ideen zusammen zu bringen. An-

dererseits möchten sich immer mehr regionale Alumni von traditi-

onellen Trägerschaftsprogrammen sowie vereinzelte Interessenten

aus Festivalorten und anderen Netzwerken am Austausch beteili-

gen, die zwar kein Deutsch sprechen, sich aber dennoch den Zie-

len von MitOst verbunden fühlen. Diesem Umstand hat sich eine

Gruppe aus dem Kreise des Theodor-Heuss-Kollegs angenommen.

Gemeinsam versuchen die Akteure ihre Erfahrungen aus der regio-

nalen Zusammenarbeit in die Arbeit des MitOst e.V. einzubringen.

Sie erarbeiten ein Konzept, wie sich, beginnend mit Alumni der Re-

gionalkooperationen des Theodor-Heuss-Kollegs, engagierte Men-

schen in den Verein integrieren lassen, auf die MitOst in Zukunft

angewiesen sein wird. Wenn es nicht um eine kleine Menschen-

menge mit gelegentlichen Treffen geht, sondern wir von dezentra-

len Strukturen, Diversifizierung der Finanzierungsmöglichkeiten und

stärkerer regionaler Verwurzelung reden, werden wir als Verein um

nachhaltige Kooperationen mit den Menschen vor Ort nicht herum

kommen. Sicherlich ist dies eine gewagte Herausforderung, aber

die Bereicherung für unser Netzwerk ist ungleich größer und trägt

entscheidend zur Entwicklung des Vereins bei.

»Ich versichere, dass meine Deutschkenntnisse ausreichen, um vereinsinternen Informationen und Diskussionen folgen zu können« – dieses Sätzchen muss bislang jedes MitOst-Neumitglied im Bei-trittsantrag unterschreiben. Ist dies noch zeitgemäß? Von Alona Karavai und Tino Rasche

MitOst-Sprache Deutsch?Regionalisierung und regionale Alumniarbeit

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MitOst Magazin #23

Vereinsjahr 2009

MitOst-Magazin #23 / Frühjahr 2010

Herausgeber: MitOst e.V. – Verein für Sprach- und Kulturaustausch

in Mittel-, Ost- und Südosteuropa

Verantwortlich:Stephan Bull

Vorstandsvorsitzender MitOst e.V.

Schillerstraße 57

D-10627 Berlin

Redaktion: Julia Ucsnay

Redaktionelle Mitarbeit: Lisa E. Wagner, Lucie Geiger

Gestaltung: Maxim Neroda

Foto Cover und Rückseite: Kiên Hoàng Lê

Geschäftsstelle MitOst e.V.Schillerstraße 57

D-10627 Berlin

Tel.: +49 - (0)30 – 31 51 74 – 70

Fax: +49 - (0)30 – 31 51 74 – 71

[email protected]

www.mitost.org

Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“

GD Bildung und Kultur

Gefördert durch die Europäische Union

im Rahmen des Programms »Europa für

Bürgerinnen und Bürger« 2007-2013