MITTWOCH 12. Dezember 2018 KULTUR · Salomon Bausch nach dem Tod seiner Mut-ter gegrn dete Stiftung...

1
www.stuttgarter-zeitung.de 12. Dezember 2018 MITTWOCH 27 KULTUR KULTUR KULTUR Von dieser Harmonie ist das Wuppertaler Tanztheater derzeit weit entfernt: Das Bild zeigt das Ensemble bei einer Probe. Foto: dpa Kontakt Kulturredaktion Telefon: 07 11/72 05-12 41 E-Mail: [email protected] Kann Architektur sexy sein? D ass Berlin sich für sexy hält, weiß jedes Kind. Ist Architektur sexy? So sexy, dass sie Schlagzeilen in der Tageszeitung, umfangreiche Expertisen in Fachzeitschriften und klickträchtige On- line-Artikel im Netz bekommt? Der Titel des BDA-Wechselgesprächs am Montag- abend legte nahe, in welche Richtung die Selbsteinschätzung geht: „Moderat – or?“ war der Abend, mit dem das Format seine fünfzigste Ausgabe feierte, überschrieben. Moderat wie gemäßigt, bescheiden – also weit entfernt von sexy. Muss das so sein? Eine Infragestellung signali- sierte das angefügte „or“ – englisch für oder. Seit sieben Jahren lädt der BDA Baden-Württemberg sechsmal im Jahr zur Archi- tekturdebatte in den Wechsel- raum im Stuttgarter Zeppelin-Carré; „Wohnen – Ade Schlafstadt!“ lautete am 17. Januar 2011 das Thema der Debütrunde. Höchste Zeit, zum Jubiläum über die Wahrnehmung von Architektur in der Öf- fentlichkeit nachzudenken und dabei von Spezialisten Einschätzungen, Ratschläge und Impulse einzuholen. Rollentausch war angesagt: Architekten fragen, Architektur- kritiker antworten. Das Gespräch, das der Architekt Dieter Ben Kauffmann als Moderator mit der Pu- blizistin Ursula Baus, dem Kritiker Chris- tian Holl und der Journalistin Amber Sa- yah, langjährige Redakteurin unserer Zei- tung und Mitbegründerin des Ludwigs- burger Architekturquartetts, führte, mach- te deutlich: Bei Öffentlichkeitsarbeit, Selbstdarstellung und Selbstbewusstsein ist noch Luft nach oben. Dass auf die Frage nach dem bekanntesten deutschen Archi- tekten häufig Friedensreich Hundertwas- ser genannt würde, der weder Architekt noch Deutscher war, spreche Bände, merk- te Kauffmann an. Von „Personenkult“ woll- te er indes nichts wissen. Also Profilschärfung – aber wie? Während sich Ursula Baus hier mehr „Wahrnehmbarkeit von Berufsethik“ wünschte, riet Amber Sayah, sich bei der Literaturszene abzugucken, wie man etwa mit medienwirksamen Aus- zeichnungen à la Deutscher Buchpreis mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte. Warum nicht den Hugo-Häring- Landespreis, der alle drei Jahre vom BDA vergeben wird, noch „stärker inszenieren“? Dass damit ein starker Auftritt machbar ist, beweist die Ausstellung, die am gleichen Abend eröffnet wurde: schick, zeitgemäß, wie die sieben Preisträgerbauten von 2018 auf das umlaufende Tapetenband im Wech- selraum gebannt wurden. Welche Bauten schaffen es überhaupt in die Presse? Dafür gebe es keine Matrix, sag- te Christian Holl, nannte dennoch ein Kri- terium: Es müsse sich etwas zeigen lasse, was über das einzelne Gebäude hinaus wei- se; bei der Debatte über Stuttgarter Oper und Interim etwa könne man viel über die Bedeutung von Subkultur in der Stadt er- fahren. Das Problem der Architektur sei ein anderes, befand hingegen Ursula Baus. „Warum sieht die Alltagsarchitektur aus, wie sie aussieht?“, fragte sie und beklagte eine „Rasterisierung der Innenstädte“ durch Renditeorientierung. Um die Leis- tungen der Architekten und ihre gesell- schaftliche Rolle ins richtige Licht zu rü- cken, empfahl Amber Sayah, ein den Wech- selraum erweiterndes „Architekturforum“ zu schaffen – etwa im Kunstgebäude. Debatte Beim 50. BDA-Wechselgespräch denken die Planer über ihre Selbstdarstellung nach – höchste Zeit! Von Ulla Hanselmann Hotspot: Turmbergterrasse in Karlsruhe, einer der „Großen Hugos“ Foto: González Vive la France! Der König tanzt Man hat vielleicht kein allzu vorteilhaftes Bild von Ludwig XIV.: schlechte Zähne, fürchterli- cher Mundgeruch, verlauste Perücke, blutige Kriege. Und man kann nicht sagen, dass Frank- reich der Kult um den Sonnenkönig unbedingt gut getan hätte. Doch ist es gut zu wissen, wo- her er kommt. Und da begegnet man einem an- deren Ludwig, der zu entsetzlich schöner Mu- sik die Nacht durchtanz- te. 1653 trat der Fünf- zehnjährige in dem „Bal- let Royal de la Nuit“ als Sonne auf. Angetan mit einer strahlenförmig ver- zierten gelben Weste trieb er die chaotischen nächtlichen Kapriolen von Dieben, Hexen, Kur- tisanen auseinander. Der Sonnenkönig war ge- boren, und diese Rolle blieb an ihm haften. „Ich zweifle nicht daran, dass die großen und fol- genreichen Unternehmungen, an denen ich An- teil gehabt habe, später einmal eine ganz ver- schiedene Beurteilung finden werden“, sagte der alte Monarch später, längst zu jener schwerfälligen Hermelin-Krähe geworden, die aus den Bildern seiner Hofmaler unter turmho- hem Haarteil abgelebt heraus lächelt. Doch noch heute, wo wütende Gelbwesten gegen die Reste absolutistischen Selbstgefühls zu Felde ziehen, kann man sich dem tanzenden König nur schwer entziehen. kir Bloß raus aus den Turbulenzen! D er Todestag von Pina Bausch jährt sich im nächsten Sommer zum zehnten Mal. Im Juni 2009 war die Erfinderin des Wuppertaler Tanztheaters plötzlich gestorben, fünf Tage nur nach der Diagnose Lungenkrebs. In Stuttgart fühlte man sich damals an die Lücke erinnert, die der Tod John Crankos hinterlassen hatte; der Gründer des Stuttgarter Balletts war 1973 beim Rückflug von einem Amerika- Gastspiel erstickt. Der Zustand, in dem die Ensembles zu- rückblieben, ähnelte sich: Auf den Schock folgte ein schwieriger Neustart. In Stutt- gart gab der amerikanische Choreograf Glen Tetley als Ballettdirektor nach weni- gen Monaten sein Amt wieder auf. Erst sei- ner Nachfolgerin Marcia Haydée gelang es von 1976 an, einerseits das Erbe John Cran- kos zu bewahren, andererseits das Reper- toire in seinem Sinn weiterzuentwickeln. Genau das erwarte- te man in Wuppertal von der im Mai 2017 verpflichteten künst- lerischen Leiterin Adolphe Binder. Doch statt vor einer viel- versprechenden Zukunft steht Pina Bauschs Ensemble nach der fristlosen Kündigung seiner neuen Intendantin im Juli vor einer Lücke, die noch größer zu klaffen scheint als vor zehn Jahren. Die Verlagerung von internen Auseinanderset- zungen vors Arbeitsgericht wirft kein gutes Licht auf den Umgang in der Führungsriege des Wuppertaler Tanztheaters, wo admi- nistrative Interessen im Streit mit künstle- rischen für Unstimmigkeiten auslösten statt Aufbruchstimmung zu bringen. Vom gemeinschaftlichen Geist, den Wim Wenders Kino-Dokumentation „Pi- na“ 2011 in drei Dimensionen feierte, dringt nicht mehr viel nach außen. „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“ lautet der Untertitel des Oscar-nominierten Films. Und obwohl seit Pina Bauschs Tod in Wup- pertal und bei Gastspielen in der ganzen Welt wie demnächst in Athen immer weiter getanzt wird, steht der zweite Teil von Bauschs Aufforderung aktuell wie eine Drohung im Raum. „Wir sind mit dem Tanztheater in einer durchaus schwierigen Situation“, sucht denn auch Johannes Slawig, der Wupperta- ler Stadtdirektor, erst gar nicht nach Aus- flüchten. Immerhin scheint ein Problem vorerst gelöst: Nach viermonatiger Vakanz ist die künstlerische Leitung des Tanzthea- ters wieder besetzt: Bettina Wagner-Ber- gelt hat die Aufgabe seit Mitte November für zunächst zwei Jahre übernommen; En- de dieser Woche stellt sie den noch fehlen- den Spielplan, den Adolphe Binder nur bis Februar konzipieren konnte, für den Rest der laufenden Spielzeit vor. Bettina Wagner-Bergelt, die 1987 die Münchner Tanzbiennale Dance gründete, war als stellvertretende Direktorin bis 2017 für die moderne Seite des Bayerischen Staatsballetts verantwortlich, mit dem sie als Erste eine Produktion von Pina Bausch übernehmen durfte. Seit Oktober 2017 plant sie als künstlerische Leiterin das Er- öffnungsfestival zum 100. Geburtstag des Bauhauses. Ihr traut man wie Binder den Neustart zu; doch warum sollte die sechzig- jährige Tanzmanagerin in Wuppertal eine bessere Ausgangsposition haben als ihre Vorgängerin? „Natürlich muss das Ensemble neue Im- pulse bekommen“, sagt Wagner-Bergelt über die Zukunft des Wuppertaler Tanz- theaters. Bereits Adolphe Binder hatte in der kurzen Zeit ihrer künstlerischen Lei- tung erstmals zwei abendfüllende Arbeiten anderer Choreografen für Wuppertal an- kurbeln können, vor allem der Norweger Alan Lucien Øyen und sein neues Stück überzeugten. Auf solche Impulse musste das Wuppertaler Tanztheater viel zu lange warten. Bis zu Adolphe Binders Antritt im Mai 2017 hatte das Urgestein Dominique Mercy das Bestehende verwaltet; Lutz Förster, ebenfalls ein ehemaliger Tänzer Bauschs, wagte sich als Nachfolger Mercys in der Saison 2015/16 mit drei kürzeren Ur- aufführungen von Gastchoreografen erst- mals auf Neuland vor. Von Adolphe Binder erhoffte man sich dann endlich nachhaltigen kreativen In- und Output. Man holte die Direktorin der Göteborger Danskompani, weil man der „exzellent vernetzten“ Tanzfrau zutraute, wie die damalige nordrhein-westfälische Kultusministerin Christina Kampmann äußerte, das Ensemble „auf hohem Niveau weiterzuentwickeln und in die Zukunft zu führen“ – Verjüngung der Kompanie, deren Tänzer drei Generationen umfassen, inklu- sive. Doch statt die Impulsgeberin bei der Umsetzung ihrer Ideen zu unterstützen, kam es zwischen ihr und Dirk Hesse, dem Tanztheater-Geschäftsführer, zu Unstim- migkeiten, die niemand bereinigen konnte – und wollte. Der Tanztheater-Beirat sah keine andere Möglichkeit, als Adolphe Bin- der fristlos zu kündigen; die ahnungslosen Tänzer erfuhren davon bei einem Gastspiel in Paris. Doch nun stehen die Zeichen in jeder Hinsicht auf Neuanfang. Geschäftsführer Dirk Hesse geht auf eigenen Wunsch, ihm folgt vom 1. Januar an Roger Christmann. Und überhaupt geht es derzeit Schlag auf Schlag in Sachen Zukunft. Am kommenden Montag wird im Stadt- rat im Grundsatz über das 60 Millionen Euro teure Projekt eines Pi- na-Bausch-Zentrums entschieden. Dort soll die Kompanie dauer- haft unterkommen, proben und auftreten. Der Bund übernimmt die Hälfte der Um- baukosten; das Land Nordrhein-Westfalen beteiligt sich ebenfalls. Das künftige Zen- trum soll im heute leer stehenden, denk- malgeschützten Schauspielhaus aus den 1960er Jahren entstehen. Auch eine von Salomon Bausch nach dem Tod seiner Mut- ter gegründete Stiftung soll dort unterkom- men. In der chronisch klammen Industrie- stadt ist das Vorhaben eine Herzensangele- genheit. „Das Tanztheater ist Teil der Wup- pertaler Kultur, ist Teil des Selbstbewusst- seins“, so Slawig. An diesem Donnerstag geht es aber erst noch einmal um Vergangenheitsbewälti- gung – vor dem Arbeitsgericht, das im nächsten Schritt über die Kündigungs- schutzklage von Adolphe Binder befinden muss. Dem internationalen Glanz der Kompanie scheint die Auseinandersetzung vorerst noch nicht zu schaden. Gerade erst kam sie von vier Auftritten vor vollen Rän- gen aus dem brasilianischen São Paulo zu- rück. Kurz vor Weihnachten geht es nach Athen. Auch dort waren die Karten im Nu ausverkauft. Tanz Neue Intendantin, neues Haus, neuer Spielplan und ein Termin vor dem Arbeitsgericht: Das Tanztheater Wuppertal sucht lange nach Pina Bauschs Tod noch immer nach dem richtigen Weg in die Zukunft. Von Andrea Kachelrieß GUTE ARCHITEKTUR AUF TAPETE Treffpunkt Der Wechselraum in der Friedrich- str. 5 ist seit 2005 Sitz des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Baden-Württemberg; regelmäßig finden dort Ausstellungen sowie Podiumsdiskussionen zu Themen aus dem Bauwesen statt. Markantes Kennzeichen des Raums ist die umlaufende Tapetenwand, auf die Exponate „tapeziert“ werden können. Ausstellung Bis 1. März sind dort die sieben Gewinner des 18. Hugo-Häring-Landespreises 2018 zu sehen, dem bedeutendsten Architek- turpreis des Landes, den der BDA alle drei Jahre vergibt. Die Schau haben die Kunstakademie- Absolventen Felix Bareis und Christian Nico- laus konzipiert. Öffnungszeiten: Di–Fr 10–13, 15–18 Uhr. Von 22. 12. bis 6. 1. geschlossen. uh Der Hugo-Häring- Landespreis bekommt einen starken Auftritt. KOMPANIE IM UMBRUCH Erbe Bis zu ihrem Tod 2009 schuf Pina Bausch über vierzig Werke, die bis heute auf dem Spiel- plan stehen. Das Wuppertaler Tanztheater ist heute als GmbH organisiert, an der die Stadt Wuppertal zu 95 Prozent beteiligt ist. Termine Am Donnerstag, 13. Dezember, befin- det das Arbeitsgericht über die Kündigungs- schutzklage der ehemaligen Intendantin Adol- phe Binder; Ende dieser Woche stellt ihre Nachfolgerin den Spielplan vor; am 17. Dezem- ber entscheidet der Stadtrat im Grundsatz über ein Pina-Bausch-Zentrum. ak Von Aufbruch war in der Führung keine Spur. Dem Glanz der Kompanie schadet der Streit nicht. Pop Song von Queen ist Streaming-König Der Hit „Bohemian Rhapsody“ der briti- schen Rockband Queen ist der am häufigs- ten auf Streamingdiensten abgespielte Ti- tel des 20. Jahrhunderts. Auf Diensten wie Spotify, Apple Music und Youtube wurde der Titel dem Label Universal zufolge welt- weit mehr als 1,6 Milliarden Mal abgespielt. Damit liegt er vor „Smells like Teen Spirit“ von Nirvana und „Sweet Child o’ mine“ von Guns N’ Roses. Queen hatte „Bohemian Rhapsody“ 1975 auf dem Album „A Night at the Opera“ veröffentlicht. Mit sechs Minu- ten Länge ist der Titel doppelt so lang wie ein gewöhnlicher Pop-Song. Nicht nur Fans kennen den Text, auf vielen Partys und in Karaoke-Bars gilt der Song als Klassiker. Der im Oktober angelaufene biografische Film mit demselben Titel, der das Leben von Sänger Freddie Mercury und die Band- geschichte erzählt, dürfte den Song noch bekannter gemacht haben als zuvor. dpa Ludwig XIV. Foto: dpa Berlinale Binoche wird Präsidentin der Jury Die französische Schauspielerin und Os- car-Preisträgerin Juliette Binoche wird Ju- ry-Präsidentin der Berlinale 2019. Wie die Festivalleitung am Dienstag mitteilte, übernimmt Binoche den Vorsitz der Inter- nationalen Jury, die über die Vergabe der Goldenen und Silbernen Bären bei den 69. Internationalen Filmfestspielen Berlin entscheiden wird. Die Berlinale findet vom 7. bis 17. Februar 2019 statt. Der scheidende Berlinale-Direktor Die- ter Kosslick betonte, dass das Filmfestival der französischen Schauspielerin „ganz be- sonders verbunden“ sei. Er freue sich, dass Binoche nun in dieser herausragenden Position zum Festival zurückkomme. „Ich freue mich auf dieses besondere Rendez- vous mit der gesamten Jury und werde meine Aufgabe mit viel Freude und Sorgfalt angehen“, erklärte unterdessen Binoche. Sie folgt auf Tom Tykwer, der 2018 der Internationalen Jury vorsaß. Die Französin Juliette Binoche gilt als eine der profiliertesten internationalen Schauspielerinnen. In mehr als siebzig Fil- men begeisterte sie Publikum und Kritiker und erhielt zahlreiche Preise und Nominie- rungen. Sie war die erste europäische Schauspielerin, die sowohl auf dem Film- festival in Berlin als auch in Venedig und Cannes ausgezeichnet wurde. Den Silber- nen Bären und den Oscar gewann sie 1997 für ihre Darstellung der frankokanadi- schen Krankenschwester Hana in „The English Patient“ („Der englische Patient“) von Anthony Minghella. epd

Transcript of MITTWOCH 12. Dezember 2018 KULTUR · Salomon Bausch nach dem Tod seiner Mut-ter gegrn dete Stiftung...

  • www.stuttgarter-zeitung.de12. Dezember 2018

    MITTWOCH 27KULTURKULTURKULTUR

    Von dieser Harmonie ist das Wuppertaler Tanztheater derzeit weit entfernt: Das Bild zeigt das Ensemble bei einer Probe. Foto: dpa

    Kontakt

    KulturredaktionTelefon: 07 11/72 05-12 41E-Mail: [email protected]

    Kann Architektur sexy sein?

    D ass Berlin sich für sexy hält, weißjedes Kind. Ist Architektur sexy? Sosexy, dass sie Schlagzeilen in derTageszeitung, umfangreiche Expertisen in Fachzeitschriften und klickträchtige On-line-Artikel im Netz bekommt? Der Titeldes BDA-Wechselgesprächs am Montag-abend legte nahe, in welche Richtung die Selbsteinschätzung geht: „Moderat – or?“war der Abend, mit dem das Format seine fünfzigste Ausgabe feierte, überschrieben.Moderat wie gemäßigt, bescheiden – alsoweit entfernt von sexy. Muss das so sein?Eine Infragestellung signali-sierte das angefügte „or“ –englisch für oder.

    Seit sieben Jahren lädt derBDA Baden-Württembergsechsmal im Jahr zur Archi-tekturdebatte in den Wechsel-raum im Stuttgarter Zeppelin-Carré;„Wohnen – Ade Schlafstadt!“ lautete am 17.Januar 2011 das Thema der Debütrunde.Höchste Zeit, zum Jubiläum über dieWahrnehmung von Architektur in der Öf-fentlichkeit nachzudenken und dabei von Spezialisten Einschätzungen, Ratschlägeund Impulse einzuholen. Rollentausch warangesagt: Architekten fragen, Architektur-kritiker antworten.

    Das Gespräch, das der Architekt DieterBen Kauffmann als Moderator mit der Pu-

    blizistin Ursula Baus, dem Kritiker Chris-tian Holl und der Journalistin Amber Sa-yah, langjährige Redakteurin unserer Zei-tung und Mitbegründerin des Ludwigs-burger Architekturquartetts, führte, mach-te deutlich: Bei Öffentlichkeitsarbeit,Selbstdarstellung und Selbstbewusstseinist noch Luft nach oben. Dass auf die Frage nach dem bekanntesten deutschen Archi-tekten häufig Friedensreich Hundertwas-ser genannt würde, der weder Architektnoch Deutscher war, spreche Bände, merk-te Kauffmann an. Von „Personenkult“ woll-

    te er indes nichts wissen. AlsoProfilschärfung – aber wie?Während sich Ursula Baushier mehr „Wahrnehmbarkeitvon Berufsethik“ wünschte,riet Amber Sayah, sich bei derLiteraturszene abzugucken,

    wie man etwa mit medienwirksamen Aus-zeichnungen à la Deutscher Buchpreismehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte. Warum nicht den Hugo-Häring-Landespreis, der alle drei Jahre vom BDAvergeben wird, noch „stärker inszenieren“?

    Dass damit ein starker Auftritt machbarist, beweist die Ausstellung, die am gleichenAbend eröffnet wurde: schick, zeitgemäß,wie die sieben Preisträgerbauten von 2018 auf das umlaufende Tapetenband im Wech-selraum gebannt wurden.

    Welche Bauten schaffen es überhaupt indie Presse? Dafür gebe es keine Matrix, sag-te Christian Holl, nannte dennoch ein Kri-terium: Es müsse sich etwas zeigen lasse,was über das einzelne Gebäude hinaus wei-se; bei der Debatte über Stuttgarter Operund Interim etwa könne man viel über dieBedeutung von Subkultur in der Stadt er-fahren. Das Problem der Architektur sei einanderes, befand hingegen Ursula Baus.„Warum sieht die Alltagsarchitektur aus,wie sie aussieht?“, fragte sie und beklagteeine „Rasterisierung der Innenstädte“durch Renditeorientierung. Um die Leis-tungen der Architekten und ihre gesell-schaftliche Rolle ins richtige Licht zu rü-cken, empfahl Amber Sayah, ein den Wech-selraum erweiterndes „Architekturforum“zu schaffen – etwa im Kunstgebäude.

    Debatte Beim 50. BDA-Wechselgespräch denken die Planer über ihre Selbstdarstellung nach – höchste Zeit! Von Ulla Hanselmann

    Hotspot: Turmbergterrasse in Karlsruhe, einer der „Großen Hugos“ Foto: González

    Vive la France!

    Der König tanztMan hat vielleicht kein allzu vorteilhaftes Bild von Ludwig XIV.: schlechte Zähne, fürchterli-cher Mundgeruch, verlauste Perücke, blutige Kriege. Und man kann nicht sagen, dass Frank-reich der Kult um den Sonnenkönig unbedingt gut getan hätte. Doch ist es gut zu wissen, wo-her er kommt. Und da begegnet man einem an-deren Ludwig, der zu entsetzlich schöner Mu-sik die Nacht durchtanz-te. 1653 trat der Fünf-zehnjährige in dem „Bal-let Royal de la Nuit“ als Sonne auf. Angetan mit einer strahlenförmig ver-zierten gelben Weste trieb er die chaotischen nächtlichen Kapriolen von Dieben, Hexen, Kur-tisanen auseinander. Der Sonnenkönig war ge-boren, und diese Rolle blieb an ihm haften. „Ich zweifle nicht daran, dass die großen und fol-genreichen Unternehmungen, an denen ich An-teil gehabt habe, später einmal eine ganz ver-schiedene Beurteilung finden werden“, sagte der alte Monarch später, längst zu jener schwerfälligen Hermelin-Krähe geworden, die aus den Bildern seiner Hofmaler unter turmho-hem Haarteil abgelebt heraus lächelt. Doch noch heute, wo wütende Gelbwesten gegen die Reste absolutistischen Selbstgefühls zu Felde ziehen, kann man sich dem tanzenden König nur schwer entziehen. kir

    Bloß raus aus den Turbulenzen!

    D er Todestag von Pina Bausch jährtsich im nächsten Sommer zumzehnten Mal. Im Juni 2009 war dieErfinderin des Wuppertaler Tanztheatersplötzlich gestorben, fünf Tage nur nach derDiagnose Lungenkrebs. In Stuttgart fühlteman sich damals an die Lücke erinnert, dieder Tod John Crankos hinterlassen hatte; der Gründer des Stuttgarter Balletts war1973 beim Rückflug von einem Amerika-Gastspiel erstickt.

    Der Zustand, in dem die Ensembles zu-rückblieben, ähnelte sich: Auf den Schockfolgte ein schwieriger Neustart. In Stutt-gart gab der amerikanische ChoreografGlen Tetley als Ballettdirektor nach weni-gen Monaten sein Amt wieder auf. Erst sei-ner Nachfolgerin Marcia Haydée gelang esvon 1976 an, einerseits das Erbe John Cran-kos zu bewahren, andererseits das Reper-

    toire in seinem Sinnweiterzuentwickeln.

    Genau das erwarte-te man in Wuppertalvon der im Mai 2017verpflichteten künst-lerischen Leiterin

    Adolphe Binder. Doch statt vor einer viel-versprechenden Zukunft steht Pina Bauschs Ensemble nach der fristlosenKündigung seiner neuen Intendantin imJuli vor einer Lücke, die noch größer zuklaffen scheint als vor zehn Jahren. DieVerlagerung von internen Auseinanderset-zungen vors Arbeitsgericht wirft kein gutesLicht auf den Umgang in der Führungsriegedes Wuppertaler Tanztheaters, wo admi-nistrative Interessen im Streit mit künstle-rischen für Unstimmigkeiten auslöstenstatt Aufbruchstimmung zu bringen.

    Vom gemeinschaftlichen Geist, denWim Wenders Kino-Dokumentation „Pi-na“ 2011 in drei Dimensionen feierte, dringt nicht mehr viel nach außen. „Tanzt,

    tanzt, sonst sind wir verloren“ lautet derUntertitel des Oscar-nominierten Films. Und obwohl seit Pina Bauschs Tod in Wup-pertal und bei Gastspielen in der ganzenWelt wie demnächst in Athen immer weitergetanzt wird, steht der zweite Teil vonBauschs Aufforderung aktuell wie eineDrohung im Raum.

    „Wir sind mit dem Tanztheater in einerdurchaus schwierigen Situation“, suchtdenn auch Johannes Slawig, der Wupperta-ler Stadtdirektor, erst gar nicht nach Aus-flüchten. Immerhin scheint ein Problemvorerst gelöst: Nach viermonatiger Vakanzist die künstlerische Leitung des Tanzthea-ters wieder besetzt: Bettina Wagner-Ber-gelt hat die Aufgabe seit Mitte Novemberfür zunächst zwei Jahre übernommen; En-de dieser Woche stellt sie den noch fehlen-den Spielplan, den Adolphe Binder nur bisFebruar konzipieren konnte, für den Restder laufenden Spielzeit vor.

    Bettina Wagner-Bergelt, die 1987 dieMünchner Tanzbiennale Dance gründete,war als stellvertretende Direktorin bis 2017für die moderne Seite des BayerischenStaatsballetts verantwortlich, mit dem sie als Erste eine Produktion von Pina Bauschübernehmen durfte. Seit Oktober 2017plant sie als künstlerische Leiterin das Er-öffnungsfestival zum 100. Geburtstag des Bauhauses. Ihr traut man wie Binder denNeustart zu; doch warum sollte die sechzig-jährige Tanzmanagerin in Wuppertal eine bessere Ausgangsposition haben als ihre Vorgängerin?

    „Natürlich muss das Ensemble neue Im-pulse bekommen“, sagt Wagner-Bergelt über die Zukunft des Wuppertaler Tanz-theaters. Bereits Adolphe Binder hatte in der kurzen Zeit ihrer künstlerischen Lei-tung erstmals zwei abendfüllende Arbeitenanderer Choreografen für Wuppertal an-kurbeln können, vor allem der Norweger

    Alan Lucien Øyen und sein neues Stück überzeugten. Auf solche Impulse musstedas Wuppertaler Tanztheater viel zu langewarten. Bis zu Adolphe Binders Antritt imMai 2017 hatte das Urgestein DominiqueMercy das Bestehende verwaltet; LutzFörster, ebenfalls ein ehemaliger TänzerBauschs, wagte sich als Nachfolger Mercysin der Saison 2015/16 mit drei kürzeren Ur-aufführungen von Gastchoreografen erst-mals auf Neuland vor.

    Von Adolphe Binder erhoffte man sichdann endlich nachhaltigen kreativen In-und Output. Man holte die Direktorin derGöteborger Danskompani, weil man der„exzellent vernetzten“ Tanzfrau zutraute,wie die damalige nordrhein-westfälische Kultusministerin Christina Kampmannäußerte, das Ensemble „auf hohem Niveauweiterzuentwickeln und in die Zukunft zuführen“ – Verjüngung der Kompanie, derenTänzer drei Generationen umfassen, inklu-sive. Doch statt die Impulsgeberin bei derUmsetzung ihrer Ideen zu unterstützen, kam es zwischen ihr und Dirk Hesse, dem Tanztheater-Geschäftsführer, zu Unstim-migkeiten, die niemand bereinigen konnte– und wollte. Der Tanztheater-Beirat sah

    keine andere Möglichkeit, als Adolphe Bin-der fristlos zu kündigen; die ahnungslosen Tänzer erfuhren davon bei einem Gastspielin Paris.

    Doch nun stehen die Zeichen in jederHinsicht auf Neuanfang. GeschäftsführerDirk Hesse geht auf eigenen Wunsch, ihmfolgt vom 1. Januar an Roger Christmann. Und überhaupt geht es derzeit Schlag auf Schlag in Sachen Zukunft. Am kommendenMontag wird im Stadt-rat im Grundsatz überdas 60 Millionen Euroteure Projekt eines Pi-na-Bausch-Zentrumsentschieden. Dort solldie Kompanie dauer-haft unterkommen, proben und auftreten.Der Bund übernimmt die Hälfte der Um-baukosten; das Land Nordrhein-Westfalenbeteiligt sich ebenfalls. Das künftige Zen-trum soll im heute leer stehenden, denk-malgeschützten Schauspielhaus aus den1960er Jahren entstehen. Auch eine vonSalomon Bausch nach dem Tod seiner Mut-ter gegründete Stiftung soll dort unterkom-men. In der chronisch klammen Industrie-stadt ist das Vorhaben eine Herzensangele-genheit. „Das Tanztheater ist Teil der Wup-pertaler Kultur, ist Teil des Selbstbewusst-seins“, so Slawig.

    An diesem Donnerstag geht es aber erstnoch einmal um Vergangenheitsbewälti-gung – vor dem Arbeitsgericht, das imnächsten Schritt über die Kündigungs-schutzklage von Adolphe Binder befinden muss. Dem internationalen Glanz derKompanie scheint die Auseinandersetzungvorerst noch nicht zu schaden. Gerade erst kam sie von vier Auftritten vor vollen Rän-gen aus dem brasilianischen São Paulo zu-rück. Kurz vor Weihnachten geht es nachAthen. Auch dort waren die Karten im Nuausverkauft.

    Tanz Neue Intendantin, neues Haus, neuer Spielplan und ein Termin vor dem Arbeitsgericht: Das Tanztheater Wuppertal sucht lange nach Pina Bauschs Tod noch immer nach dem richtigen Weg in die Zukunft. Von Andrea Kachelrieß

    GUTE ARCHITEKTUR AUF TAPETETreffpunkt Der Wechselraum in der Friedrich-str. 5 ist seit 2005 Sitz des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Baden-Württemberg; regelmäßig finden dort Ausstellungen sowie Podiumsdiskussionen zu Themen aus dem Bauwesen statt. Markantes Kennzeichen des Raums ist die umlaufende Tapetenwand, auf die Exponate „tapeziert“ werden können.

    Ausstellung Bis 1. März sind dort die sieben Gewinner des 18. Hugo-Häring-Landespreises 2018 zu sehen, dem bedeutendsten Architek-turpreis des Landes, den der BDA alle drei Jahre vergibt. Die Schau haben die Kunstakademie-Absolventen Felix Bareis und Christian Nico-laus konzipiert. Öffnungszeiten: Di–Fr 10–13, 15–18 Uhr. Von 22. 12. bis 6. 1. geschlossen. uh

    Der Hugo-Häring-Landespreis bekommt einen starken Auftritt.

    KOMPANIE IM UMBRUCHErbe Bis zu ihrem Tod 2009 schuf Pina Bausch über vierzig Werke, die bis heute auf dem Spiel-plan stehen. Das Wuppertaler Tanztheater ist heute als GmbH organisiert, an der die Stadt Wuppertal zu 95 Prozent beteiligt ist.

    Termine Am Donnerstag, 13. Dezember, befin-det das Arbeitsgericht über die Kündigungs-schutzklage der ehemaligen Intendantin Adol-phe Binder; Ende dieser Woche stellt ihre Nachfolgerin den Spielplan vor; am 17. Dezem-ber entscheidet der Stadtrat im Grundsatz über ein Pina-Bausch-Zentrum. ak

    Von Aufbruch war in der Führung keine Spur.

    Dem Glanz der Kompanie schadet der Streit nicht.

    Pop

    Song von Queen ist Streaming-KönigDer Hit „Bohemian Rhapsody“ der briti-schen Rockband Queen ist der am häufigs-ten auf Streamingdiensten abgespielte Ti-tel des 20. Jahrhunderts. Auf Diensten wieSpotify, Apple Music und Youtube wurde der Titel dem Label Universal zufolge welt-weit mehr als 1,6 Milliarden Mal abgespielt.Damit liegt er vor „Smells like Teen Spirit“von Nirvana und „Sweet Child o’ mine“ vonGuns N’ Roses. Queen hatte „Bohemian Rhapsody“ 1975 auf dem Album „A Night atthe Opera“ veröffentlicht. Mit sechs Minu-ten Länge ist der Titel doppelt so lang wieein gewöhnlicher Pop-Song. Nicht nur Fanskennen den Text, auf vielen Partys und inKaraoke-Bars gilt der Song als Klassiker.Der im Oktober angelaufene biografischeFilm mit demselben Titel, der das Lebenvon Sänger Freddie Mercury und die Band-geschichte erzählt, dürfte den Song noch bekannter gemacht haben als zuvor. dpa

    Ludwig XIV.

    Foto

    : dpa

    Berlinale

    Binoche wird Präsidentin der JuryDie französische Schauspielerin und Os-car-Preisträgerin Juliette Binoche wird Ju-ry-Präsidentin der Berlinale 2019. Wie dieFestivalleitung am Dienstag mitteilte,übernimmt Binoche den Vorsitz der Inter-nationalen Jury, die über die Vergabe der Goldenen und Silbernen Bären bei den 69.Internationalen Filmfestspielen Berlinentscheiden wird. Die Berlinale findet vom7. bis 17. Februar 2019 statt.

    Der scheidende Berlinale-Direktor Die-ter Kosslick betonte, dass das Filmfestivalder französischen Schauspielerin „ganz be-sonders verbunden“ sei. Er freue sich, dass Binoche nun in dieser herausragendenPosition zum Festival zurückkomme. „Ichfreue mich auf dieses besondere Rendez-vous mit der gesamten Jury und werdemeine Aufgabe mit viel Freude und Sorgfaltangehen“, erklärte unterdessen Binoche.Sie folgt auf Tom Tykwer, der 2018 derInternationalen Jury vorsaß.

    Die Französin Juliette Binoche gilt alseine der profiliertesten internationalenSchauspielerinnen. In mehr als siebzig Fil-men begeisterte sie Publikum und Kritikerund erhielt zahlreiche Preise und Nominie-rungen. Sie war die erste europäischeSchauspielerin, die sowohl auf dem Film-festival in Berlin als auch in Venedig und Cannes ausgezeichnet wurde. Den Silber-nen Bären und den Oscar gewann sie 1997 für ihre Darstellung der frankokanadi-schen Krankenschwester Hana in „TheEnglish Patient“ („Der englische Patient“)von Anthony Minghella. epd