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Mittwoch, 21. Februar 2018, 10:17 Uhr ~10 Minuten Lesezeit Die Mehrheit schlägt zurück „Es ist Zeit, dass die ‚Anywheres‘ aufhören, auf die ‚Somewheres‘ herabzublicken“, schreibt David Goodhart. von Brigitte Domurath-Sylvers Foto: Peyker/Shutterstock.com Die politische Fahrt, so die These von David Goodhart, bewege sich in Europa und den USA seit geraumer Zeit aufwärts nur dorthin, wo die „Anywheres“, die gut verdienenden 25 Prozent der Bevölkerung sind. Für die Mehrheit in den „developed democracies“, den „poorer people in rich countries“, gehe es dagegen weiter abwärts.

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Mittwoch, 21. Februar 2018, 10:17 Uhr~10 Minuten Lesezeit

Die Mehrheit schlägtzurück„Es ist Zeit, dass die ‚Anywheres‘ aufhören, auf die ‚Somewheres‘ herabzublicken“,schreibt David Goodhart.

von Brigitte Domurath-Sylvers Foto: Peyker/Shutterstock.com

Die politische Fahrt, so die These von David Goodhart,bewege sich in Europa und den USA seit geraumer Zeitaufwärts nur dorthin, wo die „Anywheres“, die gutverdienenden 25 Prozent der Bevölkerung sind. Für dieMehrheit in den „developed democracies“, den „poorerpeople in rich countries“, gehe es dagegen weiterabwärts.

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Großbritannien zeige immer mehr Züge eines Dritte-Welt-Landes,etwa den riesigen Gegensatz zwischen den vernachlässigtenRegionen im Norden und der Metropole. London, die Heimatstadtdes Autors – er nennt sie „Anywhereville“ –, ist mit 9 MillionenEinwohnern achtmal größer als die zweitgrößte englische Stadt.Londons Wohnverhältnisse und öffentlicher Verkehr seienchaotisch. Im oberen Viertel der Einkommensskala werde der „warof talents“ zwischen Bewerbern aus aller Welt ausgefochten,während noch viel größere Mengen gering qualifizierterEinwanderer aus aller Welt sich mit den „native citizens“ – ausMangel an anderen Arbeitsplätzen – in Warteschlangen umDienstleistungsjobs, Sozialwohnungen und Arzttermine einreihten.Aufgrund der Massen schlecht bezahlter Arbeitsplätze sei Londoneine Stadt mit exorbitanten Sozialausgaben.

Die Politik werde seit geraumer Zeit von den „Anywheres“,arrivierten Akademikern/-innen, dominiert, die mit derGlobalisierung gut zurechtkämen. Ihre Werte seien Autonomie,Offenheit, Internationalität. Goodhart zitiert PremierministerinTheresa May, die die „Global Villagers“, eine kleine Minderheit nochextremerer „Anywheres“, in einer Rede als „Citizens of Nowhere“bezeichnet habe.

Die schlechter bezahlte, aber weitaus größere Gegengruppe seien

Der englische Politikwissenschaftler und Journalist DavidGoodhart sieht in den zwei „upsets“ des Jahres 2016, der Brexit-Abstimmung und der Wahl des US-Präsidenten Donald Trump, diezwei wichtigsten Ereignisse der jüngsten Geschichte: Dieschweigenden Mehrheiten meldeten kehrten auf die politischeBühne zurück. In seiner soziologischen Analyse „The Road toSomewhere“ zeigt er, wie der politische Kurs Großbritanniens alsVorreiter der Globalisierung – aber auch der anderer europäischerLänder – zu enormen sozialen Gegensätzen geführt habe, dieinzwischen alle Vorstellungskraft sprengten.

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die „Somewheres“: oft weniger gebildet, meist in ihrer Regionverwurzelt und konservativer. Goodharts vermutliche Anspielung imTitel auf George Orwells „The Road to Wigan Pier“ aus dem Jahr1937, eine Reportage über Bergarbeiter in der Depression, machtbereits klar, auf welcher Seite er steht.

Bereits seit Jahrzehnten hätten die „Anywheres“ und ihre Parteienan den Interessen der Mehrheit vorbeiregiert. So kommt es, dassder Autor, auch wenn selbst weder den „Somewheres“ noch einemrechtsradikalen Kreis zugehörig, in die großflächige Medienschelteüber Brexit, Trump-Wahl und die sogenannten „populistischen“Parteien nicht einstimmen mag. Denn: „Die Probleme, die sie (jeneParteien) ansprechen, sind real genug.“

Verlorene Terrains: Die „Somewheres“in der Falle

Detailliert schildert der Autor die Zange, in die die britischen„Somewheres“ seit den 80er Jahren genommen worden seien: kaumsozial abgefederte Deindustrialisierung des Nordens, Privatisierungöffentlicher Unternehmen, schließlich der Ausverkauf der größtenbritischen Produktionsstätten an börsennotierte, internationalvernetzte Unternehmen. Deren Gewohnheit, lieber Dividenden anAktionäre auszuzahlen, als zu reinvestieren, habe für großflächigesFirmensterben gesorgt. „Ersatz“ für die ehemaligen Arbeiter/-innenbiete fast ausschließlich der Niedriglohnsektor.

Auch die britische Bildungspolitik gehöre trotz ihrer Möglichkeitenfür einzelne in das Kapitel „top down liberalism“. Sie führe die Hälfteder Bevölkerung sogleich in eine Sackgasse. Denn in derPflichtschule führe die „progressive“ Pädagogik mit ihrerPermissivität und Vernachlässigung des Übens dazu, dass mehr als20 Prozent sie jährlich praktisch als Analphabeten und „Innumerale“

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verließen. Die britische Berufsausbildung befinde sich in einemnoch bedauernswerteren Zustand.

Krankenhäuser und andere Arbeitgeber für die Gesundheitsberufeseien aufgrund der Freizügigkeit innerhalb der EU schon seitgeraumer Zeit zum „free riding on the training system of othercountrie s“, dh. zur „Freifahrt“ auf dem Zug des Ausbildungssystemsanderer Länder“, zumeist Nordosteuropas, übergegangen. Dadurchwürden nur noch wenige britische Schulabgänger/-innen zuKrankenschwestern oder Pflegern ausgebildet. Fast ausschließlichder Abschluss an einer Hochschule/Universität biete eine gewissezweite Chance auf eine Arbeit mit mittlerem Einkommen.

Einwanderung, Masseneinwanderungund „in-your-face-globalisation“

Zu all jener Unbill sei für die britischen Bürger der unteren Hälfteder Einkommensskala in den letzten Jahren dieMasseneinwanderung hinzugetreten und den Brexit-Wählern wurdeaußer politischer Dummheit ebenso Fremdenfeindlichkeitvorgeworfen. Auch hier kommt Goodhart zu anderen Ansichten.

Tatsächlich sei die Art der Einwanderung der letzten Jahre „not astrikingly positive story“ gewesen. Unternehmer behaupteten diesgern, so der Autor, da sie wegen des Lohndrucks, den Immigrationzumindest „unten“ immer erzeuge, daran interessiert seien. DerSaldo der steuerlichen Beteiligung der Immigranten der letzten 20Jahre (1992 bis 2012) – Goodhart beruft sich auf den Bericht eines„Migration Advisory Commitee“ aus dem Jahr 2012 – sei jedochleicht negativ.

Davon abgesehen sei die Mehrheit der Bevölkerung nicht xenophob.Die „normale“ Einwanderung der „Goldenen Jahre der

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Nachkriegsökonomie“ aus den ehemaligen Kolonien sei rechtreibungslos verlaufen. Die zweite große Einwanderungswelle der90er Jahre zu Beginn der Globalisierung habe dazu geführt, dasseine Reihe großer Städte wie London, Birmingham und ManchesterEinwanderermehrheiten besäßen, wie auch die Hälfte allerbritischen Schulen. Aber auch die gewöhnlichen Symptome der nunfolgenden Multi-Kulti-Gesellschaft unter wirtschaftlichschlechteren Vorzeichen, wie Segregation, Parallelgesellschaften,„white flight“, seien ähnlich wie in den USA in Großbritannien eherkeine Aufreger gewesen. Selbst auf die anschließendejahrzehntelange Periode mit 300.000 Einwanderern pro Jahr habedie weiße Bevölkerung ohne nennenswerten Protest reagiert.

Für eine einschneidende Verschärfung habe allerdings 2004 die vonder Labour-Regierung animierte Binnen-EU-Wanderung –Goodhart nennt sie „Masseneinwanderung“ – auf mehr als einehalbe Million pro Jahr gesorgt. Denn sie hatte eine neue „Qualität“:Während viele Bulgaren und Rumänen nun freie Stellen in derLandwirtschaft eingenommen hätten, hätten gleichzeitig gutausgebildete Einwanderer, meist aus den baltischen Staaten undPolen – bisher eine Million allein aus diesem Land –, dieeinheimische Bevölkerung zum ersten Mal förmlich aus Fabrikenund mittleren Unternehmen verdrängt, da sie für weniger Lohnarbeiteten. Für Goodhart ein Fall von „in-your-face-globalisation“,der schließlich auch das Brexit-Fass zum Überlaufen gebracht habe.

Als die Conservative Party daraufhin 2010 Obergrenzen von 100.000Einwanderern pro Jahr versprach, habe sie damit die Wahlengewonnen. Seitdem sei die Mehrzahl der Wählerstimmen aus derArbeiterklasse zunächst bei der Brexit-Partei United KingdomIndependence Party (UKIP) gelandet, nach dem Referendum undihrer Auflösung vor allem bei den Conservatives. Und als man 2016durch jene Partei gar die Gelegenheit erhalten hatte, sich durch einReferendum gegen die EU zu entscheiden, hätten die untere„middle class“ und die „lowest paid class“ sie wahrgenommen. Die

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deutsche Phase der „open back door“-Politik gegenüber derFlüchtlings- und Einwanderungswelle 2015/16 auf den Kontinentmag, so der Autor, ihr Übriges zum Brexit-Votum beigetragenhaben.

Kollateralschäden-Demokratie undWohlfahrtsstaat ?

Einschneidend sei auch die Erfahrung vieler, die heute aufNeueinwanderer im sozialstaatlichen System träfen. Dieses basierebisher nach gemeinem Verständnis auf Solidarität der Einzahler. Dieenglischen Behörden jedoch würden die Vergabe vonSozialwohnungen, aber auch die Krankenversorgung nach demPrinzip der „Bedürftigkeit“ handhaben, so dass Bürger/-innen sichnicht selten ans Ende von Warteschlangen befördert sähen.Überhaupt entstünde so der Eindruck: „They (die Neueinwanderer)get out more than they pay in.“

Für den Autor ergeben sich daraus beunruhigende Fragen: Ist esbereits nationalistisch oder rassistisch, auf den Verlust des „nativecitizen favouritism“ hinzuweisen? Kommen Wohlfahrtsstaat undTarifverträge jetzt bald weg? Warum erschien Masseneinwanderungnirgends in den Wahlprogrammen derjenigen Parteien, die siedurchführten? Wo bleibt die Mitbestimmung der Bürgermehrheit?

Goodhart zitiert dazu Michael Lind, einen US-Journalisten undGrenzgänger zwischen dem republikanischen und demokratischenLager: „If the nation is put in doubt, so is his democracy and thewelfare state.“ Diesem letzteren drohe, so Goodharts Verdacht,baldiger Zusammenbruch. Denn wie das Beispiel USA und seinGesundheitssystem zeige, fügten sich Multi-Kulti, riesigeEinkommensunterschiede und Wohlfahrtsstaat nicht gutzusammen. Durch diese politische Kombination gehe das „soziale

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Kapital“ eines Staates, dass auf einem gewissen Grad gegenseitigenVertrauens fuße, verloren.

Den Nationalstaat nicht als „leeresSchiff“ verschrotten lassen

Der Autor setzt dem allgemeinen Kosmopolitismus der „Anywheres“und ihrer Wir-sind-alle-gleich-viel-wert-Rhetorik seinen„moralischen Partikularismus“, das in der Tat altbacken klingendePrinzip der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen eigenenBürger/-innen, entgegen. Soziale Ressourcen eines Staates seiennicht unendlich.

Davon seien Großbritannien und andere europäische Länderallerdings weit entfernt. „Governments seem to have lost interest toprotect their majorities”, zitiert Goodhart einen Kommentator der„Financial Times”, der darum eine Renaissance des englischenPhilosophen Thomas Hobbes und dessen Philosophie des Sicherheitgarantierenden Staates anregt. Das Nationale, so Goodhart, sei daslokale Element der Globalisierung. Es sei ein probates Mittel, dieKontrolle über die EU zurückzugewinnen – für den Autor ist sie mitihrer Leidenschaft für technokratischen Zentralismus selbst „thestory of Anywhere-overreach“.

Big Picture ohne polit-ökonomischeTheorie

Goodharts Buch, bisher nur auf Englisch verfügbar, ist ein breitesGesellschaftspanorama. Seine polittheoretischen Quellen sindanglo-amerikanische Journalisten und Wirtschaftswissenschaftlermit protektionistischen Sympathien, etwa der US-Ökonom Dani

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Rodrik und der britische Ökonom Robert Rowthorn mit seinem Buch„The Costs and Benefits of large Scale Immigration“ aus dem Jahr2015.

Weil der Autor von der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeht unddie Gesellschaft als Ganzes in den Blickwinkel nimmt, erinnert seinBuch an „The Affluent Society“ des US-Ökonomen KennethGalbraith, das Buch über das US-amerikanische Ungleichgewichtzwischen „privatem Überfluss“ und „öffentlicher Dürftigkeit“ derUSA der 50er Jahre. Wegen seines politischen Engagements erinnertGoodharts Buch sogar von Weitem an das marxistische „MonopolyCapitalism“ von Paul Baran und Paul Sweezy über die USA der 60erJahre.

Goodhart benutzt sehr viele Statistiken und Umfragen, rekurriertauf EU-Politik und Globalisierung, jedoch nicht auf Annahmen überdie Entwicklung des Kapitalismus. Es findet sich keinunheilverkündender Hauch von Frankfurter Schule, wie etwa in„Monopoly Capitalism“ oder in der 2015 erschienenen„Abstiegsgesellschaft“ des Soziologen Oliver Nachtwey, über dieBundesrepublik. Dessen Thesen über das Verschwinden desMittelstands – auch über die nur horizontale Richtung derGleichheitsidee der diversity-Rhetorik – passen indes gut zuGoodharts „Anywhere“-Kritik und seiner Diagnose der „hour glass“,also Sanduhr-Form der neuen globalisierten Gesellschaft.

Ein „neuer“ oder alter Konservativer?

„Dangerously moderate“ nennt ein Rezensent Goodharts Methode.Stetig konzediert der Autor die Berechtigung auch der Gegenseite,der„Anywhere“-Anliegen. Seine bescheidene Botschaft:Kompromissbereitschaft der herrschenden Klassen gegenüber denInteressen der „Somewheres“ um des politischen Friedens willen:

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„Es ist Zeit, dass die ‚Anywheres‘ aufhören, auf die ‚Somewheres‘, obweiß oder nicht weiß, herabzublicken, und lernen, die Berechtigungihrer ‚Wechsel ist Verlust‘-Perspektive anzuerkennen.“

Goodhart konzediert durchaus die Holzschnittartigkeit seinerDichotomie besonders auf Seiten der „Somewheres“. Denn ihre„non-white“-Mitglieder bilden bisher, wie er selbst darlegt,mehrheitlich die Stammwählerschaft der Labour Party, nicht derConservatives Theresa Mays, auf die er selbst politisch am ehestenzu setzen scheint. Die Labour Party, auch in ihrer erneuerten Formmit Jeremy Corbyn, ist in Goodharts Augen, ohne dass er dies nähererklärt, außer in der Wirtschaftspolitik weiterhin „ extremeAnywhere“.

Die sogenannten „populistischen“ Parteien seien, so der Autor,immerhin ein Protest von „unten“ und Ausdruck einer Krise derpolitischen Legitimation. Die EU führe eben seit der Bankenkrise,ihrer eigenen Nord-Süd-Spaltung und der jüngstenMasseneinwanderung nur mehr ein „zwielichtiges“ Dasein. Unterdiesen neuen europäischen Parteien sei ein Kaleidoskop aus „TheNecessary, the Weird and the Ugly“ zu finden. „Decent populism“ –dazu zählt er außer der Brexit-Partei UKIP und vielen anderenübrigens auch die Alternative für Deutschland – wurzele im „centerright mainstream“ und habe damit, trotz aller realer Gefahren vonrechts, eine wichtige ausgleichende Funktion gegenüber dendominanten „Anywhere“-Positionen.

Dass Goodharts Thesen auch Züge eines „old conservatism“besitzen, zeigt sich in seiner Kritik des „Anywhere“-Einflusses aufdie Familienpolitik. Den ökonomischen Nutzen des Leitbildes derberufstätigen Frau für die Unterschichten haben zwar auch anderekritisch dargestellt. Der oben erwähnte Soziologe Oliver Nachtweywies zum Beispiel darauf hin, dass die Löhne der ehemaligen„Alleinverdiener“ in jenem Sektor in dem Moment zu fallenbegannen, als die Frauenarbeit zum Normalfall wurde. Goodhart

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spricht sich hingegen für eine Bezahlung – in der deutschen Pressedie verächtlich so genannte „Herdprämie“ – als Wahlmöglichkeit fürFrauen beziehungsweise deren Partner aus, die Erziehung undFamilienfürsorge einem „low paid job“ vorziehen.

Brigitte Domurath-Sylvers, Jahrgang 1952, Lehrerin inBerlin-Neukölln, engagiert in der GEW, pensioniert,Mitarbeit an dem biografischen Lexikon „DemokratischeWege“, gab zusammen mit Inge Gerlinghoff das Buch„Die getötete Kindheit. Erinnerungen ehemaligerKinderhäftlinge in faschistischen Konzentrationslagern“heraus und schrieb mit Malcolm Sylvers „Mythen undKritik in der Ideengeschichte der USA“.

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