Modellierung der pseudoelastischen Materialeigenschaften von Formgedächtnislegierungen

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Modellierung der pseudoelastischen Materialeigenschaften von Form- ged¨ achtnislegierungen Dirk Helm * Universit¨ at Kassel, Fachbereich Maschinenbau, Institut f ¨ ur Mechanik, M ¨ onchebergstr. 7, 34109 Kassel, Deutschland Die pseudoelastischen Materialeigenschaften von Formged¨ achtnislegierungen werden unter anderem im Bereich der Medi- zintechnik eingesetzt (vgl. [1]). In dem Artikel wird ein Materialmodell zur Beschreibung der Pseudoelastizit¨ at vorgestellt (vgl. [2]). Das Materialmodell basiert auf einer Materialfunktion f ¨ ur die Freie Energie sowie Evolutionsgleichungen f¨ ur In- nere Variable. Die Energiefunktion beschreibt dabei Energiespeicherungsvorg¨ ange aufgrund der Thermoelastizit¨ at, der Ener- giedifferenz zwischen den beiden betrachteten Phasen (Austenit und Martensit) sowie die Energiespeicherung infolge der Entwicklung von Inneren Spannungen. Das System der Konstitutivgleichungen erf¨ ullt den 2. Hauptsatz der Thermodynamik in Form der Clausius-Duhem Ungleichung. 1 Freie Energie Im Rahmen einer geometrisch linearen Theorie wird von der additiven Zerlegung des linearisierten GREENschen Verzerrungs- tensors E in einen elastischen Anteil E e und einen inelastischen Anteil E d ausgegangen: E = E e + E d . Dar¨ uber hinaus wird zur Modellierung von Inneren Spannungen der inelastische Anteil E d in einen Anteil Y e und Y d zerlegt: E d = Y e + Y d . Dabei wird die Innere Variable Y e verwendet, um die Energiespeicherung infolge Innerer Spannungsfelder zu modellieren. Im Gegensatz dazu dient Y d der Modellierung dissipativer Ph¨ anomene w¨ ahrend der Entwicklung von Inneren Spannungsfeldern. Um den pseudoelastischen Effekt zu erzeugen, muss eine austenitische Mikrostruktur im spannungsfreien Zustand vor- liegen. Infolge mechanischer Belastungen treten ab einem bestimmten Spannungsniveau spannungsinduzierte Phasenum- wandlungen von Austenit (Abk. A) in den Martensit (Abk. M) auf. Um die Kopplung zwischen den inelastischen Defor- mationen E d und dem Martensitanteil z zu beschreiben, wird in dem Modell eine einfache Konstitutivgleichung gew¨ ahlt: z = kE d k/( 1.5γ d ). Hierin ist γ d ein Materialparameter, der ein Maß f¨ ur die breite der Hysterese darstellt. Zur Beschreibung der Energiespeicherungsvorg¨ ange aufgrund der Thermoelastizit¨ at, der Engergiedifferenz zwischen den beiden betrachteten Phasen (Austenit und Martensit) sowie der Energiespeicherung infolge der Entwicklung von Inneren Spannungen wird in dem Modell eine Funktion f ¨ ur die Freie Energie ψ gew¨ ahlt: ρψ(E e ,θ,z, Y e )= £ M + (1 - z)μ A / E D e · E D e + M + (1 - z)κ A 2 (SpE e ) 2 - 3 £ M κ M + (1 - z)α A κ A / (SpE e )(θ - θ 0 )+ ρ £ zc M d 0 + (1 - z)c A d 0 / (θ - θ 0 ) + ρ £ u A 0 + zΔu 0 / - ρθ £ zc M d 0 + (1 - z)c A d 0 / ln θ θ 0 + £ η A 0 + zΔη 0 / + c 2 Y e · Y e . (1) Hierbei handelt es sich um eine zweiphasige Mischung unter der Annahme, dass die Dehnungen in beiden Phasen ¨ ubereinstim- men. Infolgedessen ist die Freie Energie ψ gem¨ aß der Gl. (1) eine Funktion der elastischen Verzerrungen E e , der Temperatur θ, des Martensitanteils z und der Inneren Variable Y e . Die Freie Energie enth¨ alt die Materialparameter der Thermoelastizit¨ at ur die Austenit- und Martensitphase (ω =A,M): Schubmodul μ ω , Kompressionsmodul κ ω , linearer Ausdehnungskoeffizient α ω , Bezugstemperatur θ 0 , spezifische W¨ armekapazit¨ at bei konstanter Deformation c ω d 0 , sowie die konstanten Anteile der In- neren Energie u ω 0 und der Entropie η ω 0 . Die Differenzen Δu 0 = u M 0 - u A 0 und Δη 0 = η M 0 - η A 0 spielen bei der Beschreibung der Phasenumwandlungen eine besondere Rolle. 2 Evolutionsgleichungen f ¨ ur Innere Variable Um ein thermomechanisch konsistentes Materialmodell zu entwickeln, wird von Beginn an die CLAUSIUS-DUHEM Unglei- chung (2) betrachtet. Das Einsetzen der Freien Energie (Gl. (1)) in die CLAUSIUS-DUHEM Ungleichung liefert Potential- beziehungen f¨ ur den Spannungstensor T und die Entropie η sowie eine Definitionsgleichung f¨ ur die Inneren Spannungen X ε : δ = - ˙ ψ - ˙ θη + 1 ρ T · ˙ E 0 = T = ρ ∂ψ E e , η = ∂ψ ∂θ und X ε = ρ ∂ψ Y e . (2) * Corresponding author: e-mail: [email protected], Phone: +49 (0)561 804 2824, Fax: +49 (0)561 804 2720 PAMM · Proc. Appl. Math. Mech. 4, 258259 (2004) / DOI 10.1002/pamm.200410110 © 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim © 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

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Modellierung der pseudoelastischen Materialeigenschaften von Form-gedachtnislegierungen

Dirk Helm ∗

Universitat Kassel, Fachbereich Maschinenbau, Institut fur Mechanik, Monchebergstr. 7, 34109 Kassel, Deutschland

Die pseudoelastischen Materialeigenschaften von Formgedachtnislegierungen werden unter anderem im Bereich der Medi-zintechnik eingesetzt (vgl. [1]). In dem Artikel wird ein Materialmodell zur Beschreibung der Pseudoelastizitat vorgestellt(vgl. [2]). Das Materialmodell basiert auf einer Materialfunktion fur die Freie Energie sowie Evolutionsgleichungen fur In-nere Variable. Die Energiefunktion beschreibt dabei Energiespeicherungsvorgange aufgrund der Thermoelastizitat, der Ener-giedifferenz zwischen den beiden betrachteten Phasen (Austenit und Martensit) sowie die Energiespeicherung infolge derEntwicklung von Inneren Spannungen. Das System der Konstitutivgleichungen erfullt den 2. Hauptsatz der Thermodynamikin Form der Clausius-Duhem Ungleichung.

1 Freie Energie

Im Rahmen einer geometrisch linearen Theorie wird von der additiven Zerlegung des linearisiertenGREENschen Verzerrungs-tensorsE in einen elastischen AnteilEe und einen inelastischen AnteilEd ausgegangen:E = Ee + Ed. Daruber hinaus wirdzur Modellierung von Inneren Spannungen der inelastische AnteilEd in einen AnteilYe undYd zerlegt:Ed = Ye + Yd.Dabei wird die Innere VariableYe verwendet, um die Energiespeicherung infolge Innerer Spannungsfelder zu modellieren. ImGegensatz dazu dientYd der Modellierung dissipativer Phanomene wahrend der Entwicklung von Inneren Spannungsfeldern.

Um den pseudoelastischen Effekt zu erzeugen, muss eine austenitische Mikrostruktur im spannungsfreien Zustand vor-liegen. Infolge mechanischer Belastungen treten ab einem bestimmten Spannungsniveau spannungsinduzierte Phasenum-wandlungen von Austenit (Abk. A) in den Martensit (Abk. M) auf. Um die Kopplung zwischen den inelastischen Defor-mationenEd und dem Martensitanteilz zu beschreiben, wird in dem Modell eine einfache Konstitutivgleichung gewahlt:z = ‖Ed‖/(

√1.5γd). Hierin istγd ein Materialparameter, der ein Maß fur die breite der Hysterese darstellt.

Zur Beschreibung der Energiespeicherungsvorgange aufgrund der Thermoelastizitat, der Engergiedifferenz zwischen denbeiden betrachteten Phasen (Austenit und Martensit) sowie der Energiespeicherung infolge der Entwicklung von InnerenSpannungen wird in dem Modell eine Funktion fur die Freie Energieψ gewahlt:

ρψ(Ee, θ, z,Ye) =[zµM + (1− z)µA

]ED

e ·EDe +

zκM + (1− z)κA

2(SpEe)

2

− 3[zαMκM + (1− z)αAκA

](SpEe) (θ − θ0) + ρ

[zcM

d0+ (1− z)cA

d0

](θ − θ0)

+ ρ[uA

0 + z∆u0

]− ρθ

[[zcM

d0+ (1− z)cA

d0

]ln

θ

θ0+

[ηA0 + z∆η0

]]+

c

2Ye ·Ye.

(1)

Hierbei handelt es sich um eine zweiphasige Mischung unter der Annahme, dass die Dehnungen in beiden Phasenubereinstim-men. Infolgedessen ist die Freie Energieψ gemaß der Gl. (1) eine Funktion der elastischen VerzerrungenEe, der Temperaturθ, des Martensitanteilsz und der Inneren VariableYe. Die Freie Energie enthalt die Materialparameter der Thermoelastizitatfur die Austenit- und Martensitphase (ω =A,M): Schubmodulµω, Kompressionsmodulκω, linearer Ausdehnungskoeffizientαω, Bezugstemperaturθ0, spezifische Warmekapazitat bei konstanter Deformationcω

d0, sowie die konstanten Anteile der In-

neren Energieuω0 und der Entropieηω

0 . Die Differenzen∆u0 = uM0 − uA

0 und∆η0 = ηM0 − ηA

0 spielen bei der Beschreibungder Phasenumwandlungen eine besondere Rolle.

2 Evolutionsgleichungen fur Innere Variable

Um ein thermomechanisch konsistentes Materialmodell zu entwickeln, wird von Beginn an dieCLAUSIUS-DUHEM Unglei-chung (2) betrachtet. Das Einsetzen der Freien Energie (Gl. (1)) in dieCLAUSIUS-DUHEM Ungleichung liefert Potential-beziehungen fur den SpannungstensorT und die Entropieη sowie eine Definitionsgleichung fur die Inneren SpannungenXε:

δ = −ψ − θη +1ρT · E ≥ 0 =⇒ T = ρ

∂ψ

∂Ee, η =

∂ψ

∂θund Xε = ρ

∂ψ

∂Ye. (2)

∗ Corresponding author: e-mail:[email protected], Phone: +49 (0)561 804 2824, Fax: +49 (0)561 804 2720

PAMM · Proc. Appl. Math. Mech. 4, 258–259 (2004) / DOI 10.1002/pamm.200410110

© 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

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Die sich hieraus ergebende Restungleichung wird noch um die Innere VariableXθ (Xθ · Ed −Xθ · Ed = 0) erganzt und dieZeitableitung des Martensitanteilsz berucksichtigt, so dass die folgende Ungleichung entsteht:

ρδ =

Xθ −

ρ∂ψ∂z Ed√

32γd‖Ed‖

· Ed + Xε · Yd + [T−X] · Ed ≥ 0 mit X = Xε + Xθ. (3)

Die eingefuhrte Innere VariableXθ dient der Modellierung der temperaturabhangigen Phasenumwandlungsspannung (vgl.[3]). Motiviert durch die Struktur der Restungleichung (3) werden fur die Inneren VariablenEd undYd die beiden folgendenEvolutionsgleichungen gewahlt:

• Fur die zeitlicheAnderung der inelastischen VerzerrungenEd wird die Konstitutivgleichung

Ed = λd N mit N =

[TD −XD

]

‖TD −XD‖ (4)

und dem inelastischen Multiplikatorλd vom PERZYNA-Typ angenommen:

λd =

1ηd

⟨f

rd

⟩md A → M falls: z < 1, ‖TD −Xε‖ > ‖Xθ‖, ∂ψ∂z > 0 undEd ·N ≥ 0

M → A falls: z > 0, ∂ψ∂z > 0 undEd ·N < 0

0 sonst

. (5)

Darin dienen die Materialparameterηd undmd der Beschreibung der geschwindigkeitsabhangigen Effekte undrd wirdverwendet um das Argument in der Macauley-Klammer,〈x〉 = (|x| + x)/2, in eine dimensionslose Form zu bringen.In Gl. (5) bezeichnetf die Fließ- bzw. Phasenumwandlungsfunktion: Um stets eine positive Entropieproduktion zugewahrleisten, wird hierfur die Funktion

f =

Xθ −

ρ∂ψ∂z Ed√

32γd‖Ed‖

·

[TD −XD

]

‖TD −XD‖ + ‖TD −XD‖ −√

23k ≥ 0 (6)

vorgeschlagen. Hierin istk ein Maß fur die Hohe der Hysterese. Ein einfacher und zugleich sehr effektiver Ansatz fur dieInnere VariableXθ ist die folgende Funktion (vgl. [2]):

Xθ =ρ

⟨∂ψ∂z

⟩ED

√32γd (‖ED‖+ a)

. (7)

Der Parametera > 0 vermeidet eine Singularitat and der StelleED = 0.

• Fur die Innere VariableYd wird ein modifizierterARMSTRONG–FREDERICK Ansatz gewahlt:

Yd = ξXε mit ξ =

12

(tanh [−β(z − γ)] + 1)b

c

√23‖Ed‖ fur: z > 0

b

c

√23‖Ed‖ fur: z < 0

. (8)

Darin handelt es sich bei den Großenb, β undγ um Materialparameter.

Das vorgeschlagene Modell ist in der Lage,uber einen großen Temperaturbereich die pseudoelastischen Materialeigenschaftenvon Formgedachtnislegierungen zu beschreiben. In [2] wurden die Materialparameter mit Hilfe der Methode der neuronalenNetze identifiziert und die Materialantwort mit den experimentellen Ergebnissen einer NiTi Formgedachtnislegierung vergli-chen.

Acknowledgements Der Autor dankt der Deutschen Forschungsgemeinschaft fur ihre Unterstutzung.

References

[1] K. Funakubo, Shape Memory Alloys, Gordon and Breach Science Publishers, New York et al., (1987).[2] D. Helm, Pseudoelasticity: experimental observations, thermomechanical modeling, and identification of the material parameters, Proc.

of Smart Struct. and Mat. 2004: Active Materials: Behavior and Mechanics, Ed.: D. C. Lagoudas, Proc. of SPIE Vol.5387(2004).[3] D. Helm und P. Haupt, Shape memory behaviour: modelling within continuum thermomechanics, International Journal of Solids and

Structures40, 825-849 (2003).

Section 6 259

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