Moldau
Transcript of Moldau
Humboldt Universität zu Berlin
Philosophische Fakultät II
Institut für Sozialwissenschaften
(Re-) Autokratisierung als Muster der Transformation?
Prof. Dr. Silvia von Steinsdorff
Funktionscharakteristika von Parteiensystemen in
parlamentarischen Demokratien
Länderstudie der Republik Moldau
Seminararbeit
eingereicht von Kristin Eichhorn
Kristin Eichhorn Nebenhörerin
Tegeler Straße 35 [email protected]
13353 Berlin Berlin, den 27.09.2013
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ..................................................................................................................... 1
2. Bedingungen demokratischer Konsolidierung ............................................................. 2
2.1 Regierungssystem als Determinante demokratischer Konsolidierung ....................... 2
2.1.1 Parlamentarische und präsidentielle Demokratien ........................................... 3
2.1.2 Konsolidierung durch parlamentarische Regierungssysteme .......................... 4
2.1.3 Bedeutung institutioneller Variationen ............................................................ 5
2.2 Parteien und demokratische Konsolidierung .............................................................. 7
2.2.1 Parteien in parlamentarischen Demokratien .................................................... 8
2.2.2 Parteien in osteuropäischen Transformationsstaaten ....................................... 8
2.3 Indikatoren ................................................................................................................ 10
2.3.1 Demokratische Konsolidierung und Regierungssystem ................................ 10
2.3.2 Funktionscharakteristika des Parteiensystems ............................................... 11
3. Konsolidierung der Republik Moldau ........................................................................ 13
3.1 Regierungssystem und demokratische Konsolidierung ............................................ 14
3.1.1 Freedom House .............................................................................................. 14
3.1.2 Polity IV und Regierungsstabilität ................................................................. 14
3.2 Das moldauische Parteiensystem im Parlamentarismus ........................................... 15
3.2.1 Fragmentierung des Parteiensystems ............................................................. 15
3.2.2 Volatilität und Wiederwahlquoten ................................................................. 16
3.2.3 Kohäsion von Wahlbündnissen und Koalitionsdisziplin ............................... 16
3.3 Phasen der Parteientwicklung ................................................................................... 17
3.3.1 Dominanz der kommunistischen Partei 2001 bis 2009 .................................. 17
3.3.2 AEI als demokratische Alternative ................................................................ 19
3.4.4 Ausblick ......................................................................................................... 21
4. Schlussfolgerung ........................................................................................................ 22
Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................. 24
Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 25
Datenanhang ................................................................................................................... 28
1
1. Einleitung
Nach Zusammenbruch des Staatssozialismus standen die ehemaligen Ostblockstaaten
vor der Aufgabe, ein demokratisches Regierungssystem aufzubauen. Hierbei stellte sich
die Frage nach der bestmöglichen Regierungsform. In dieser Situation erschien 1990
Juan Linz„ Aufsatz „The Perils of Presidentialism“. Linz argumentiert, dass für die
Herstellung und Konsolidierung von Demokratie parlamentarische Regierungssysteme
besser geeignet seien als präsidentielle. Diese Annahme begründet Linz mit empirischen
Beobachtungen und einer Analyse der systeminhärenten Schwächen präsidentieller
Demokratien.
Linz„ These liegt die Annahme zugrunde, dass die Stabilität allein auf der
Funktionsweise des Regierungssystems basiert. Gleichzeitig treten aber innerhalb von
präsidentiellen und parlamentarischen Regierungssystemen eine Vielfalt institutioneller
Variationen in Erscheinung. Entsprechend der Annahme, dass diese Variationen die
Funktionsweise des Systems beeinflussen, wurden in späteren politikwissenschaftlichen
Forschungsarbeiten weitere institutionelle Variablen einbezogen (Elegie 2004: 112).
Eine dieser Variationen ist das Parteiensystem. Unabhängig von Regierungssystem
können sich verschiedene Typen herausbilden, die die Stabilität beeinflussen.
Parlamentarische Regierungssysteme stellen aufgrund ihrer Funktionslogik spezifische
Anforderungen an das Parteiensystem (Pütz 2004: 217; Steffani 1983: 393). Laut Pütz
benötigen parlamentarische Regierungssysteme zur Sicherung der demokratischen
Stabilität „diszipliniertere Parteien mit stärkerem Zusammenhalt und höherem
Organisationsgrad sowie eine Wählerschaft mit stärkerer Partei- bzw. Lagerbindung“
(Pütz 2004: 219).
Anhand dieser Theorien wird in der vorliegenden Arbeit eine Länderstudie der Republik
Moldau durchgeführt. Vor der Errichtung eines parlamentarischen Regierungssystems
durchlief die Republik Moldau sowohl eine präsidentielle (1991-1994) als auch eine
semi-präsidentielle Phase (1994-2001). Seit der Implementierung des parlamentarischen
Regierungssystems eine zunehmende Autokratisierung zu beobachten (Way 2003: 458).
Diese Entwicklung widerspricht dem von Linz beobachteten empirischen Trend. Ein
möglicher Erklärungsansatz muss daher weitere institutionelle Variablen
2
berücksichtigen. In dieser Arbeit wird daher das Parteiensystem einbezogen. Wird das
moldauische Parteiensystem den Anforderungen des parlamentarischen
Regierungssystems gerecht, um die Demokratie zu konsolidieren?
Zunächst wird der Blick auf die Regierungssysteme gerichtet und die Unterscheidung
parlamentarischer und präsidentieller Systeme und deren jeweilige Besonderheiten
betrachtet (Kap. 2.1). Die systematischen Unterschiede sind sowohl für Linz„
Favorisierung parlamentarischer Regierungssysteme als auch für die Systemfunktion
von Parteien grundlegend. Daraufhin werden die Implikationen der
verfassungspolitischen Ausgestaltung des Regierungssystems anhand des Arguments
von Linz und darauf bezogene Kritik vorgestellt. Neben dem Regierungssystem sollen
Parteiensysteme in die Betrachtung einbezogen werden (Kap. 2.2). Insbesondere liegt
der Fokus auf den Systemfunktionen von Parteien in parlamentarischen Demokratien
und den Besonderheiten osteuropäischer Parteiensysteme. Aus diesen Vorüberlegungen
werden Indikatoren für die Anwendung der vorgestellten Theorien (Kap. 2.3) und auf
den Fall der Republik Moldau angewendet (Kap. 3).
2. Bedingungen demokratischer Konsolidierung
Demokratische Konsolidierung „ist ein komplexer und langwieriger Prozeß, der von
vielen Bedingungen beeinflußt wird“ (Segert 1997: 78). Die Erklärung demokratischer
Konsolidierung ist auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Hier werden
institutionalisitische Herangehensweisen betrachtet.
2.1 Regierungssystem als Determinante demokratischer Konsolidierung
Die systematische Unterscheidung von Regierungssystemen stellt laut Aurel Croissant
den Ursprung der vergleichenden Politikwissenschaften dar und basiert auf der
aristotelischen Unterscheidung guter und schlechter Staatsformen (Croissant 2006:
113f). Das Ziel moderner Typologien ist es festzustellen, ob systematische Unterschiede
zwischen Regierungsformen ihre Funktionsweise qualitativ beeinflussen (ebd.: 115).
Entsprechend der verwendeten Unterscheidungskriterien entstehen verschiedenartige
Typologien. Anhand der Gewaltenteilung zwischen der Legislativen und der
3
Exekutiven können parlamentarische und präsidentielle Demokratien unterschieden
werden (Schmidt 2010: 298).
2.1.1 Parlamentarische und präsidentielle Demokratien
Sowohl parlamentarische als auch präsidentielle Regierungssysteme stellen Typen des
Parlamentarismus dar. In beiden Typen liegen die gleichen Institutionen vor, die sich
aber in ihrer Zuordnung zueinander unterscheiden (Steffani 1983: 391). Dies betrifft
insbesondere die wechselseitige Beziehung zwischen der Exekutiven und Legislativen
(Pütz 2004: 215).
Winfried Steffani identifiziert Abberufbarkeit der Regierung durch das Parlament als
primäres Unterscheidungsmerkmal zwischen parlamentarischen und präsidentiellen
Demokratien. Durch die Einführung dieses systematisch-funktionalen Kriteriums (Pütz
2004: 219) wird die Bildung von Idealtypen möglich (Croissant 2006: 116). In
parlamentarischen Demokratien ist die Regierung in „ihrer Amtsdauer und
Amtsführung grundsätzlich vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängig, die über
das Recht der Abberufung aus politischen Gründen (Mißtrauensvotum) verfügt“
(Steffani 1983: 391). In präsidentiellen Demokratien hingegen liegt kein
Abberufungsrecht vor: „Die Amtsdauer der Regierung bzw. Regierungschefs
(Präsident) ist in der Verfassung verbindlich festgestellt, und die Parlamentsmehrheit
kann die Regierung bzw. den Regierungschef aus politischen Gründen nicht abberufen“
(ebd.).
Steffani unterstützt das primäre Unterscheidungsmerkmal durch weitere sekundäre
Merkmale, beispielsweise die Wahl des Staatsoberhauptes oder die Möglichkeit der
Auflösung des Parlaments (Steffani 1983: 392). Diese Unterscheidungsmerkmale haben
jedoch keinen definitorischen Charakter und müssen supplementär zu dem Kriterium
der Abberufbarkeit der Regierung betrachtet werden (Croissant 2006: 117).
Steffani nimmt eine trennscharfe Unterscheidung zwischen den Regierungssystemen
vor. Hierdurch ist es möglich jeden Fall anhand eines Kriteriums einzuordnen.
Allerdings sind auch Grenzfälle bekannt (Schmidt 2010: 295f). Es handelt sich hierbei
um Länder, die nach Steffanis Unterscheidungsmerkmal parlamentarische Demokratien
4
sind, aber gleichzeitig ein direktgewählter Präsident regiert1. Während Steffani diese
Fälle als Parlamentarismus mit Präsidialdominanz definiert, bezeichnet sie Duverger als
semi-präsidentielle Demokratien (Steffani 1995: 630). Für die gesonderte Betrachtung
spricht die Annahme, dass in semi-präsidentiellen Regierungssystemen eine eigene
Funktionslogik vorliegt. Diese unterscheidet sich von Parlamentarismus und
Präsidentialismus (Skach 2006: 6).
2.1.2 Konsolidierung durch parlamentarische Regierungssysteme
Juan Linz vertritt in seinem 1990 erschienen Aufsatz „The Perils of Presidentialism“ die
These, dass sowohl für Demokratisierung als auch für Konsolidierung parlamentarische
Regierungssysteme erfolgversprechender sind als präsidentielle (Linz 1990: 51).
Linz‟ Ausgangspunkt ist die empirische Beobachtung, dass Demokratien mehrheitlich
parlamentarisch organisiert sind: „Indeed, the vast majority of the stable democracies in
the world today are parliamentary regimes, where executive power is generated by
legislative majorities and depends on such majorities for survival” (ebd.). Linz
untermauert diese Beobachtung mit einer Analyse der systeminhärenten Vor- und
Nachteile der Regierungssysteme. Hierbei legt er im untersuchten Aufsatz den Fokus
auf die Nachteile des Präsidentialismus im Vergleich zu parlamentarischen
Regierungssystemen.
Die Nachteile des Präsidentialismus fasst er in drei Bereichen zusammen: der dualen
Machtlegitimation, dem Wahlsystem und der zeitlichen Rigidität. Da sowohl Parlament
als auch Präsident gewählt werden, liegt eine duale demokratische Legitimation vor.
Hierdurch kann es zu Machtkonkurrenz zwischen Präsidenten und Parlament kommen.
Insbesondere wenn Präsident und parlamentarische Mehrheit verschiedenen politischen
Lagern angehören, können politische Pattsituationen entstehen. Da das Parlament über
kein Abberufungsrecht verfügt, droht politischer Stillstand oder eine Systemkrise. In
dieser Situation kommt es häufig zu Unruhen oder Interventionen des Militärs in Form
eines Putsches (ebd.: 53).
1 Duverger führt als weiteres Charakteristikum umfangreiche Befugnisse des Präsidenten an (Schmidt
2010: 296, Steffani 1995: 628). Dieses wird in der weiteren Forschung aufgrund der impliziten
Subjektivität in der Definition von „umfangreich“ verworfen (Elegie 2004b: 317).
5
Die zeitliche Rigidität basiert auf der festen Amtszeit des Präsidenten. Hierdurch erhält
dieser eine machtvolle Position für einen vorbestimmten Zeitraum. Die Amtsdauer des
Präsidenten wird zu einer strategischen Kenngröße der Politik, wodurch der politische
Prozess inflexibel wird (ebd.: 54).
Ein weiteres Problem stellt das exklusive Wahlsystem dar. Entsprechend dem Prinzip
„winner-take-all“ wird Politik zu einem Nullsummenspiel, in dem der Verlier der Wahl
klar feststeht und aus Politik ausgeschlossen wird. Dies kann zu einer verstärkten
Polarisierung führen (ebd.: 56).
Linz sieht die Vor- und Nachteile der jeweiligen verfassungsrechtlichen Ausgestaltung
der Regierungssysteme: „The perils of presidential and the virtues of parliamentarism
are intrinsic to the institutional features of the respective systems“ (Elegie 2004a: 5).
Hierbei wird das parlamentarische Regierungssystem als Determinante des Erfolges der
demokratischen Konsolidierung betrachtet: „This is the sense in which, for Linz, there
is, in effect, just one explanatory variable: regime type“ (ebd.).
Zunächst betrachtet Linz nur parlamentarische und präsidentielle Systeme. Sogenannte
„hybrids“ (Linz 1990: 52) bleiben unberücksichtigt. Den Grund hierfür sieht Elegie in
der damaligen unzureichenden wissenschaftlichen Betrachtung dieser Systemtypen:
„For Linz and most other writers at this time, semi-presidentialism was either an ill-
defined or largely untried concept“ (Elegie 2004a: 7). Später betrachtet Linz
Semipräsidentialismus als unvorteilhaft: „In view of some of the experiences with this
type of system it seems dubious to argue that in and by itself it can generate democratic
stability” (Linz in Elegie 2004b: 315).
2.1.3 Bedeutung institutioneller Variationen
In der weiteren politikwissenschaftlichen Debatte wird Linz eine falsche Dichotomie
vorgeworfen, da der Fokus allein auf dem Regierungssystem liegt und andere
institutionelle Variablen vernachlässigt werden: „Fundamental institutional features of
regime types needed to be analysed in conjunction with other institutional variables: the
powers of the executive, the party system, and/or the electoral system“ (Elegie 2004a:
9). Parlamentarische und präsidentielle Regierungssysteme sind jeweils keine
homogene Gruppe und unterscheiden sich in ihrer Verfassungsrealität, die durch diese
Variablen beeinflusst wird (Schmidt 2010: 304). Zu der verfassungsrechtlichen
6
Ausgestaltung eines Regierungssystems kommen also weitere institutionellen
Variationen hinzu, welche die Stabilität und somit den Erhalt der Demokratie
maßgeblich beeinflussen.
Diese institutionellen Variationen wurden beispielsweise von Mainwaring und Shugart
(1997) untersucht. In einer vergleichenden Studie präsidentieller Systeme stellen sie
fest, dass es institutionelle Variationen gibt, die die Funktionsweise des Systems
beeinflussen: „Presidentialism encompasses a range of systems of government, and
variations within presidentialism are important. Presidential systems vary and their
dynamics change considerably according to the constitutional powers of the president,
the degree of party discipline, and the fragmentation of the party system” (Mainwaring
und Shugart 1997: 463).
Gleiches gilt für parlamentarische Systeme. Durch unterschiedliche Ausgestaltung der
Beziehungen zwischen den Institutionen bilden sich verschiede Regierungsstile heraus
(Steffani 1983: 395). Mainwaring und Shugart schließen daraus, dass institutionelle
Variationen nicht ignoriert werden können: ”In Presidential and parliamentary systems
alike, institutional combinations are of paramount importance“ (ebd.: 469).
Eine dieser Variablen ist der Kontext, in dem das Regierungssystem eingeführt wird.
Die Häufigkeit von präsidentiellen und parlamentarischen Regierungssystemen
unterscheidet sich regional: „Presidentialism is more likely to be adopted in Latin
America and in Africa than in other parts of the world, and these parts of the world have
had more formidable obstacles to democracy regardless of the form of government”
(ebd.: 460).
In Anbetracht der höheren Stabilität des Parlamentarismus empfiehlt Linz, in
demokratischen Transformationsphasen ein parlamentarisches Regierungssystem
herzustellen: „Considerations of this sort loom especially large during periods of regime
transition and consolidation, when the rigidities of a presidential constitution must seem
inauspicious indeed compared to the prospect of adaptability that parliamentarism
offers” (Linz 1990: 55). Die darin enthaltene Forderung nach einem Systemwechsel
kritisieren Mainwaring und Shugart. Besonders im Falle eines instabilen Parteiensystem
sei der Wechsel des Regierungssystems eine weitere Belastung der Demokratie: „In
countries with undisciplined parties, switching to parliamentary government could
7
exacerbate problems of governability and instability unless party and electoral
legislation was simultaneously change to promote greater discipline“ (Mainwaring und
Shugart 1997: 468).
Zu einem ähnlichen Urteil kommt Sartori. Bezugnehmend auf das Referendum in
Brasilien im Jahr 19932 beschreibt er die brasilianischen Mandatsträger und Parteien
wie folgt: „They freely and frequently change party, vote against the party line, and
refuse any kind of party discipline [...] Thus parties are powerless and volatile entities,
and the Brazilian president is left to float over a vacuum, an unruly and eminently
atomized parliamentary system that would require parties to solidify because they
would be required to sustain a parliament-derived government“ (Sartori 1994: 113).
Sartori bezeichnet diese Parteien als „parliamentary unfit parties“ (ebd.). Ein Wechsel
des Regierungssystem würde Unter diesen Umständen nicht zur Stabilisierung der
Demokratie beitragen: „That under such circumstances a parliamentary experience
would lead Brazil out of chaos into some kind of efficient parliamentary government is,
in my opinion, against all odds“ (ebd.).
Linz betrachtet zwar nur Regierungssysteme als Determinante demokratischer Stabilität,
verweist aber auch auf die Bedeutung weiterer institutioneller Variablen: „Indeed, to
complete the analysis one would need to reflect upon the best type of parliamentary
constitution and its specific institutional features. Among these would be a prime-
ministerial office combining power with responsibility, which would in turn require
strong, well-disciplined political parties“ (Linz 1990:68f.). Parlamentarische
Regierungssysteme stellen also spezifische Anforderungen an das Parteiensystem.
Daraus erschließt sich, dass Parteien nicht nur eine zentrale Rolle in Demokratien im
Allgemeinen erfüllen. Für die Stabilisierung parlamentarischer Regierungssysteme sind
bestimmte Charakteristika des Parteiensystems notwendig.
2.2 Parteien und demokratische Konsolidierung
Zweifelsohne spielen politische Parteien in demokratischen Regierungssystemen eine
bedeutende Rolle: „Eine Binsenweisheit lautet, dass eine parlamentarisch-pluralistische
Demokratie ohne funktionsfähige Parteien nicht realisiert werden kann, nach der
2 Konstitutionelles Referendum zur Bestimmung der zukünftigen Regierungsform.
8
Definition Dahls sind sie sogar eine ihrer Konditionen“ (Veen 2008: 11). Parteien gelten
als zentrale Figuren in der Repräsentation (Rohrschneider und Whitefield 2007: 1134)
und Schlüsselfaktor im Demokratisierungsprozess (Crowther 1997: 282).
Unabhängig von der konstitutionellen Ausgestaltung des demokratischen
Regierungssystems identifiziert von Beyme die folgenden Funktionen politischer
Parteien: Zielfindung, Interessenartikulation und -aggregation, Mobilisierung und
Elitenrekrutierung und Regierungsbildung (Beyme 1984: 25). Parteien dienen als
Bindeglied zwischen der Gesellschaft und staatlichen Institutionen und sichern
politische Handlungsfähigkeit sowie demokratische Legitimierung (Tiemann 2010:
127). Neben den allgemeinen Funktionen und Aufgaben von Parteien in Demokratien
kommt ihnen in parlamentarischen Regierungssystemen eine gesteigerte Bedeutung zu.
2.2.1 Parteien in parlamentarischen Demokratien
Das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung begründet die gesteigerte Bedeutung
von Parteien in parlamentarischen Regierungssystemen. Insbesondere durch das
Abberufungsrecht des Parlaments gegenüber der Regierung erhalten die Parteien eine
systemrelevante Funktion: „In parlamentarischen Parlamenten haben die im Parlament
vertretenen Parteien [...] die verfassungspolitische Systemfunktion, eine Regierung ins
Amt zu bringen und darüber zu befinden, wie lange sie im Amt bleibt“ (Steffani 1983:
393). Die Regierung entsteht aus parlamentarischen Mehrheiten und Bestand ist von der
Kohäsion dieser Mehrheit abhängig (Pütz 2004: 217).
Fraktions- und Koalitionsdisziplin sind Kennzeichen dieser Kohäsion der
parlamentarischen Mehrheit. Wenn die Parteien nicht fähig sind diese Funktion zu
erfüllen, also „längerfristige trag- und handlungsfähiger Parlamentsmehrheiten zu
sichern“ (Pütz 2004: 217), können Regierungs- und Systemkrisen entstehen. Noch vor
der Fraktions- und Koalitionsstabilität ist ein Mindestmaß an Stabilität des
Parteiensystems notwendig. Aufspaltungen von Parteien und Neugründungen
verhindern nicht nur eine Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft, sondern
erschweren die Regierungsbildung auf Basis stabiler Parlamentsmehrheiten deutlich.
2.2.2 Parteien in osteuropäischen Transformationsstaaten
Die Entstehung politischer Parteien in den post-sozialistischen Staaten unterscheidet
sich von der Entstehung der Parteien westlicher Demokratien. Neben dem zeitlichen
9
Rahmen unterscheiden sich die Entstehungskontexte auf kultureller, sozialer und
ökonomischer Ebene (Merkel 1997: 10).
Für die Entstehung der Parteien mittel- und osteuropäischer Transformationsstaaten
arbeitet Segert zwei definierende Besonderheiten heraus. Erstens entstehen Parteien
1989, also „nachdem sich die institutionellen Rahmenbedingungen für die Entwicklung
der repräsentativen Demokratie bereits herausgebildet hatten“ (Segert 2008: 56).
Hierdurch mussten die oppositionellen Kräfte 1989 ohne stabile Wählerbasis oder
gesellschaftliche Verankerung in den poltischen Wettbewerb eintreten (Tiemann 2010:
129). In westlichen Demokratien hingegen konnten die Parteien demokratische
Institutionen bilden. Zweitens wurden während des Staatssozialismus vorsozialistische
soziokulturelle Konfliktlinien, die von Bedeutung für die Strukturierung von
Parteiensystemen sind, eingeebnet (Segert 2008: 56, Tiemann 2010: 128).
Hinzukommend ist die Erfahrung aus dem Sozialismus einzubeziehen. In den
sozialistischen Staaten gab es zwar Parteien, hierbei handelte es sich aber um
Blockparteien. Realer Pluralismus und Wettbewerb wurden nicht zugelassen. In einem
Teil der Länder fanden die ersten Wahlen in der sozialistischen Phase statt. Es wurden
also scheindemokratische Instrumente genutzt, wodurch die Gesellschaft das Vertrauen
in diese Institutionen verlor (Tiemann 2010: 128).
Auf dem im Entstehen begriffen Parteien lastete nun also „der lange Schatten der
kommunistische Monopolparteien“ (Veen 2008: 11). Ein Teil der neuen Parteien
entstand direkt aus sozialistischen Institutionen. Ein anderer Teil entstand völlig neu.
Hierdurch wurde die gesellschaftliche Verwurzelung der Parteien und die Schaffung
einer gesellschaftlichen Vertrauensbasis erschwert (Lewis 2000: 127). Die fehlende
gesellschaftliche Verankerung schränkt die Handlungsfähigkeit der Parteien deutlich
ein. Tiemann bezeichnet diese Parteien als ad hoc entstandene Protoparteien. Parteien
sind im Allgemeinen instabil und es kommt häufig zu Zusammenschlüssen und
Spaltungen von Parteien (Tiemann 2010: 127).
Diese Schwäche der Parteien und des Parteiensystems hat direkte Auswirkungen auf das
Regierungssystem. Segert argumentiert, dass Parteien in Osteuropa die dargestellte
Systemfunktionen nicht erfüllen können: „Man kann für Osteuropa nicht erwarten, daß
man auf Kräfte stößt, die in der Lage sind, die für entwickelte westliche Demokratien
10
charakteristische Palette von Funktionen innerhalb des politischen Prozesses zu
realisieren“ (Segert und Machos 1995b: 15). Hierdurch wird das Regierungssystem
instabil und die demokratische Entwicklung gefährdet.
2.3 Indikatoren
Für die Anwendung der vorgestellten Theorien auf den Fall der Republik Moldau
werden im Folgenden messbare Merkmale der Regierungs- und Parteiensysteme
vorgestellt.
2.3.1 Demokratische Konsolidierung und Regierungssystem
Zur Anwendung von Linz„ These des Zusammenhanges von Stabilität und
Konsolidierung der Demokratie mit konstitutioneller Ausgestaltung des
Regierungssystems wird das jeweilige Regierungssystem mit Kenngrößen
demokratischer Konsolidierung in Bezug gesetzt.
Jährlich überprüft Freedom House im Rahmen des Freedom in the World Survey die
Umsetzung poltischer Rechte und Bürgerfreiheiten. Beide Variablen stellen
Kenngrößen demokratischer und freiheitlicher Entwicklungen dar. Unter poltischen
Rechten werden Pluralismus, Wahlprozess, Partizipationsrechte und Funktionsfähigkeit
der Regierung gemessen. Bürgerfreiheiten umfassen Meinungs- und Glaubensfreiheit,
Versammlungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit sowie weitere Persönlichkeitsrechte. Der
Wertebereich reicht von 1 bis 7, wobei der Wert 7 das niedrigste Maß an Freiheit
signalisiert (Freedom House 2011).
Way beobachtete eine ab 2001 zunehmende Autokratisierung im Bereich der freien
Meinungsäußerung und Pressefreiheit (Way 2003: 458). Daher wird zu Überprüfung
außerdem der Freedom of the Press Index herangezogen. Hier wird mit Blick auf
politisches, rechtliches und wirtschaftliches Umfeld die Pressefreiheit bewertet. Anhand
von 109 Indikatoren in diesen Bereichen wird ein Punktewert von 0 bis 100 vergeben.
Die Werte 0 bis 30 stehen für frei, 31 bis 60 für teilweise frei und 61 bis 100 für nicht
frei (Freedom House 2013).
Sowohl Freedom in the World als auch Freedom of the Press beziehen sich auf die
individuelle Erfahrung der abgefragten Indikatoren. Somit stellen sie die
Verfassungsrealität dar: „The survey does not rate governments or government
11
performance per se, but rather the real-world rights and freedoms enjoyed by
individuals“ (Freedom House 2011). Zur umfassenden Darstellung der institutionellen
Veränderungen im Regierungssystem und der entsprechenden Effekte wird in dieser
Arbeit Polity IV als Indikator hinzugezogen. Hierbei handelt es sich um einen
institutionszentrierte Betrachtung, in der die Verfassungsrealität nicht berücksichtigt
wird (Dietrich 2011: 4). Der kombinierte Wert Polity IV entsteht durch Messung von
Autokratie und Demokratie3. Der Wertebereich umfasst die Werte -10 für stark
autokratisch bis 10 für stark demokratisch (Marshall et al. 2013: 16).
Entsprechend der in den Kopenhagener Kriterien festgehaltenen Annahme, dass
institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung
dient, wird hier in Anlehnung an Segert die durchschnittliche Regierungsdauer in
Monaten betrachtet (Segert 2008: 55; Segert und Machos 1995a: 80).
2.3.2 Funktionscharakteristika des Parteiensystems
Zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Parteiensystems entsprechend der
Anforderungen parlamentarischer Regierungssysteme werden hier verschiedene
Kenngrößen des Parteiensystems betrachtet.
Die Wahlbeteiligung gibt Auskunft über die Verankerung der Parteien in der
Gesellschaft (Segert und Machos 1995b: 78). Die effektive Parteienzahl und der
Aggregationsindex geben Auskunft über die Fragmentierung der Parteiensysteme und
die Möglichkeit stabiler Regierungsbildung: „Wenn in einem Parteiensystem zu viele
Parteien existieren, die effektive Zahl der Parteien hoch ist und der Aggregationsindex
niedrig, dann lassen sich schwierige Regierungsbildungen und instabile Regierungen
erwarten“ (Segert 2008: 58). Die effektive Parteienzahl wird hier nach Laakso und
Taagepera anhand der Mandatsanteile berechnet (Tiemann 2010: 135). Der
Aggregationsindex berechnet sich nach dem Produkt des prozentualen Sitzanteils der
größten im Parlament vertreten Partei und der Zahl der im Parlament vertreten Parteien
(Segert 2008: 57).
3 Autokratie und Demokratie werden in fünf Dimensionen gemessen: (1) Wettbewerbscharakter der
Rekrutierung der Exekutive, (2) Offenheit der Rekrutierung der Exekutiven, (2) Einschränkung des Chefs
der Exekutiven, (4) Wettbewerbscharakter der politischen Partizipation und (5) Steuerung politischer
Partizipation (Marshall et al. 2013: 16, Übersetzungen nach Dietrich 2011).
12
Ein weiterer Indikator das Parteiensystem betreffend ist die Wählerfluktuation. Eine zu
hohe Volatilität stellt die Funktionalität der Repräsentation und somit die Kernaufgabe
des Parteiensystem infrage (Rohrschneider und Whitefield 2007: 1135). Gleichzeitig ist
es Zeichen eines instabilen Parteiensystems (Segert 2008: 60). Die Volatilität wird hier
nach Pedersen anhand der Sitzanteile im Parlament berechnet. Der Wert 0 steht für
vollkommene Stabilität und der Wert 100 für einen vollständigen Austausch der
Parlamentsparteien (Tiemann 2010: 132).
In post-sozialistischen Parteiensystemen basiert Volatilität nicht allein auf der
Wahlentscheidung, sondern auch auf häufigen Auflösungen und Neugründungen von
Parteien: „In der Konsolidierungsphase ist die Wählerfluktuation oft keine echte
Volatilität, die den rationalen Wähler verrät. Wo Parteien verschwinden, fusionieren
oder in wechselnden Listen unter hochtrabenden Namen kooperieren […], ist die
Volatilität das Kunstprodukt instabiler Parteienorganisationen“ (Beyme 1997: 46).
Daher werden zum Abgleich Wiederwahlquoten der Abgeordneten einbezogen. Neben
der Stabilisierung des Parlaments durch die Wiederwahl von erfahrenen Abgeordneten
(Steinsdorff 2010: 178), gibt es auch Auskunft über die Stabilität des Parteiensystems.
Wenn die Wiederwahlquote höher ist als der Anteil der im Parlament verblieben
Parteien, muss es folglich zu Parteienwechsel oder Neugründungen gekommen sein.
Berechnet wird der prozentuale Anteil der wiedergewählten Abgeordneten zu Beginn
einer Legislaturperiode im Vergleich zur vorherigen Legislaturperiode (ebd.: 357).
Darüber hinaus wird in Anbetracht der Tatsache, dass Abgeordnete zum Teil nur für
eine Legislaturperiode ausscheiden und beispielsweise in der Zwischenzeit eine neue
Partei gründen oder sich einer neuen Partei anschließen, mit der sie in das Parlament
einziehen, auch eine totale Wiederwahlquote berechnet. Hierbei wird der Anteil der
Abgeordneten angegeben, der bereits in einem der vorherigen Parlamente vertreten war.
Besondere Bedeutung für die Stabilität parlamentarischer Regierungssysteme hat
Kohäsion innerhalb von Fraktionen und Koalitionen. Aufgrund mangelnder Datenlage
kann der Rice-Index, welcher als Kenngröße für Fraktionsdisziplin gilt, nicht berechnet
werden. Daher soll dieser Indikator anhand qualitativer Berichte und Einschätzungen
bewertet werden. Des Weiteren werden die Fraktionswechsel von Abgeordneten als
Indikator für Kohäsion herangezogen.
13
Innerhalb der Phasen des Parteiensystems (vgl. Kap. 3.3) wird außerdem das
demokratiedestabilisierende Potenzial von Parteien einbezogen. Extremistische Parteien
erschweren demokratische Konsolidierung. Wenn bedeutende Akteure des
Parteiensystems ihre Ressourcen gegen die Konsolidierung einsetzen, verfügen sie über
ein demokratiedestabilisierendes Potenzial (Beyme 1997: 34).
3. Konsolidierung der Republik Moldau
Während der 1990er Jahre unterlag die demokratische Entwicklung der Republik
Moldau aufgrund von Sezessionskonflikten und Wirtschaftskrisen hohen
Belastungsfaktoren. Trotzdem wurden demokratische Mechanismen zur Machtvergabe
eingehalten. Es lag ein vergleichsweise4 pluralistisches System vor (Way 2003: 454f.).
Ab 2001 kam es allerdings zu einer zunehmenden Autokratisierung (ebd.: 456).
Nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus durchlief die Republik Moldau drei
Regierungssysteme. Durch die Transformation des Obersten Sowjet wurde zunächst ein
parlamentarisches System eingeführt. Aufgrund der drohenden Sezession Transnistriens
und Gagauziens wurde aber bereits 990 das Amt eines Präsidenten eingeführt. Die
Machtbestrebungen des Amtsinhabers Mireca Snegur führten 1991 zu einer
Verfassungsänderung, welche die Direktwahl des Präsidenten vorsah. Hierdurch wurde
ein präsidentielles System geschaffen. Im Jahr 1994 wurde eine parlamentarische
Verfassungskommission eingesetzt, welche das System korrigierte und ein semi-
präsidentielles System einführte. Amtsinhaber Lucinschi strebte allerdings nach der
Einführung eines präsidentiellen Systems. Hierdurch erhoffte er sich eine Erhöhung der
Regierungsstabilität. Gegen seinen Willen setzt das Parlament eine
Verfassungsänderung durch, die die Republik Moldau 2001 in eine parlamentarische
Demokratie transformierte (Büscher 2010: 585f).
4 Way bezieht sich hier auf die post-sowjetischen Staaten und kommt zu dem Schluss, dass die Republik
Moldau mit Ausnahme der baltischen Staaten pluralistischer als die Restregion war (Way 2003: 456)
14
3.1 Regierungssystem und demokratische Konsolidierung
In Tabelle 1 im Datenanhang werden die verfassungspolitischen Phasen des
Regierungssystem im Kontext der Indikatoren der demokratischen und freiheitlichen
Entwicklung betrachtet.
3.1.1 Freedom House
Nach Zusammenbruch des Staatssozialismus waren die politischen Rechte zunächst
sehr eingeschränkt. Die Lage verbesserte sich kontinuierlich bis 2001. Ab 2002 nahmen
die Werte wieder zu und erreichten ihren Höhepunkt 2008. Gleichzeitig waren die
Bürgerfreiheiten kontinuierlich deutlich eingeschränkt und verblieben bis 2009 auf
einem Wert von 4.
Deutlicher wurden die Verschlechterungen mit Blick auf die Pressefreiheit. In den
Jahren 1993 und 1994 unterlag die Presse den geringsten Einschränkungen. Sowohl
1995 als auch in den Jahren 2003 bis 2009 wurde die Presse als „nicht frei“ klassifiziert.
Erst seit 2010 ist wieder ein abnehmender Trend zu beobachten.
3.1.2 Polity IV und Regierungsstabilität
Der Polity IV Indikator weist in eine andere Richtung. Der Wert konnte ab 2001 auf 8
erhöht werden. Seither ist dieser Wert konstant. Somit wird Moldau als demokratisch
eingestuft. Hinzukommend wurde die durchschnittliche Regierungsdauer berechnet.
Während der nicht-parlamentarischen Phase (1991-1994) lag sie bei 16,1 Monaten. In
der parlamentarischen Phase konnte die durchschnittliche Regierungsdauer auf 23,7
Monate gesteigert werden5. Insbesondere während der semi-präsidentiellen Phase waren
die Regierungen von Instabilität geprägt. Büscher führt dies auf das fluide
Parteiensystem zurück (Büscher 2010: 591).
Mit Blick auf die Regierungssysteme werden also paradoxe Entwicklungen deutlich.
Die von Lucan Way beschriebene zunehmende Autokratisierung in der
5 Eigene Berechnungen anhand der Daten zu Kabinetten (Büscher 2010: 592, Irmer und Mreyen 2013: 1).
Es wurden die Tage für jedes einzelne Kabinett errechnet. Der Mittelwert wurde durch 30,4
(durchschnittliche Monatsdauer) geteilt. Alle Kabinette bis zum 19.04.2001 wurden der nicht-
parlamentarischen Phase zugerechnet. Obwohl es hier zu eine Überscheindung mit der Einführung des
parlamentarischen Regierungssystems um 3 Monate kommt, wurde die Koalition in der nicht-
parlamentarischen Phase gebildet. Alle darauf folgenden Kabinette wurden in die parlamentarische Phase
eingerechnet.
15
parlamentarischen Phase kann für die Verfassungsrealität bestätigt werden und
widerspricht somit Linz„ These. Gleichzeitig widersprechen sich die Entwicklungen auf
den Ebenen der Verfassungsrealität und der institutionellen Ausgestaltung des Systems
und Stabilität. Diese gegensätzlichen Entwicklungen können nicht durch das
Regierungssystem erklärt werden und erfordern einen Blick auf das Parteiensystem.
3.2 Das moldauische Parteiensystem im Parlamentarismus
Die allgemeine Charakterisierung der Parteiensysteme Mittel- und Osteuropas trifft
auch auf die Republik Moldau zu: Es handelt sich größtenteils um „organisatorisch
schwache und instabile, programmatisch diffuse, auf einzelne Führungspersonen hin
ausgerichtete oder klientelistischen Interessen nahe stehende Kripperunden“ (Büscher
2010: 603). Diese Einschätzung widerspricht der Systemfunktion, die Parteien in
parlamentarischen Demokratien erfüllen sollen.
In Tabelle 2 im Datenanhang werden die berechneten Kennzahlen für das
Parteiensystem dargestellt. Hierbei werden alle Wahlen ab 1994 betrachtet. Die
vorherige Wahl zum Obersten Sowjet 1990 war zwar die erste freie Wahl, aber zu
diesem Zeitpunkt war außer der kommunistischen Partei noch keine weitere Partei
registriert. Daher nahmen an den Wahlen nur individuelle Kandidaten teil, keine
Parteien (Neukirch 2010: 1340).
3.2.1 Fragmentierung des Parteiensystems
Die effektive Parteienzahl variiert zwischen 1,85 und 3,41. Es handelt sich um eine
vergleichsweise niedrige Parteienzahl. Für die Länder Westeuropas wurde ein
Durchschnitt von 7,0 Parteien ab dem Jahre 1945 berechnet (Segert 2008: 58). Moldau
liegt deutlich unter diesem Wert.
Gleichzeitig liegt ein hoher Aggregationsindex vor. Der Durchschnitt für die
parlamentarische Phase liegt bei 15,63 und ist somit deutlich höher als in den von
Segert untersuchten mittel- und osteuropäischen Staaten (Segert 1997:63, Segert 2008:
58). Hierdurch entsteht entsprechend des oben dargestellten Zusammenhanges von
effektiver Parteienzahl und Aggregationsindex, eine Situation in der Regierungen sich
stabilisieren.
16
Hierbei muss aber beachtet werden, dass der Aggregationsindex nicht vorbehaltlos in
Osteuropa interpretierbar ist: „Wenn die größte Partei, deren Mandatsanteil hier der
Berechnung zugrunde liegt, nicht homogen agiert, spiegelt ein hoher Aggregationsindex
nicht die reale Stabilität eines Parteiensystems wider, sondern stellt eine fiktive Größe
dar“ (Segert 2008: 58). Für den Fall Moldau ist festzuhalten, dass in der
parlamentarischen Phase zunächst nur die kommunistische Partei, welche mit einer
absoluten Mehrheit die größte Parlamentsfraktion darstellte, homogen agierte (vgl. Kap.
3.3). Aufgrund der Dominanz der Partei konnte durch ihre Stabilität und Kohäsion das
Regierungssystem stabilisiert werden (vgl. Kap. 3.1.2).
3.2.2 Volatilität und Wiederwahlquoten
Die Volatilität in Moldau konnte kontinuierlich gesenkt werden. In den Wahlen 1998
schaffte keine der vorherigen Parlamentsparteien einen Wiedereinzug in das Parlament,
wodurch eine Wählerfluktuation von 100 entsteht.
Hohe Volatilität ist Ausdruck einer geringen Wählerbindung (Segert 1997: 64) und
zeigt gleichzeitig aber auch Veränderungen im Parteiensystem an. Auch wenn Parteien
sich auflösen oder fusionieren, entstehet eine hohe Volatilität. Volatilität gibt nur
Auskunft über den Wiedereinzug von Parteien. Unabhängig davon können die gleichen
Abgeordneten als Kandidaten einer anderen oder neuen Partei wiedergewählt werden.
Dies wird anhand der Wiederwahlquoten dargestellt. Es wird deutlich, dass auch in den
Wahlen 1998 trotz einer absoluten Volatilität 19,8 Prozent der Sitze mit Abgeordneten
der vorherigen Legislaturperiode besetzt wurden. Hieraus lässt sich eine Instabilität des
Parteiensystem ableiten.
Inzwischen konnte die Volatilität auf etwa 15% gesenkt werden. Damit ist sie aber noch
immer doppelt so hoch wie in westeuropäischen Demokratien (Tiemann 2010: 134). In
der parlamentarischen Phase konnten außerdem die Wiederwahlquoten gesteigert
werden. So waren ab Juli 2009 81 Prozent der Abgeordneten bereits in einem
vorherigen Parlament vertreten.
3.2.3 Kohäsion von Wahlbündnissen und Koalitionsdisziplin
Die mangelnde Kohäsion von Parteien zeigt sich bereits an dem Spannungsverhältnis
zwischen Wiederwahlquote und Volatilität. Außerdem verweisen die
Schrumpfungsprozesse parlamentarischer Fraktionen während der Legislaturperioden
17
auf die geringe Kohäsion (Büscher 2010: 593). Besonders auffällig war die schwache
Kohäsion der Fraktionen in der Legislaturperiode 1990-1994, noch bevor Parteien
gegründet wurden: „By mid-1992, less than half (45.7 percent) of Moldovan deputies
retrained their initial 1990 political affiliations“ (Crowther 1997: 309).
Auch in der aktuellen Legislaturperiode weisen die Fraktionen eine geringe Kohäsion
auf. Tabelle 3 im Datenanhang zeigt die Zusammensetzung der parlamentarischen
Fraktionen nach den Wahlen im November 2010 und im September 2013. Am
drastischsten waren die Verluste der Kommunistischen Partei (PCRM). Hinzukommend
wurden Aufgrund der Spaltung der liberalen Partei in PL und Reformflügel (PLR),
sieben Abgeordnete aus der Fraktion ausgeschlossen (Irmer 2013: 3). Diese Spaltung
wird in den aktuellen Zahlen noch nicht deutlich.
In der Betrachtung wird deutlich, dass sich im parlamentarischen System die
Funktionscharakteristika des Parteiensystems zwar verbessert haben. Dies drückt sich in
der gesteigerten Regierungsstabilität aus. Im Vergleich zu westeuropäischen
Demokratien muss das Parteiensystem aber noch immer als instabil eingestuft werden.
Die vermeintliche Stabilität kommt auch durch die Dominanz der PCRM zu Beginn der
parlamentarischen Phase zustande.
3.3 Phasen der Parteientwicklung
Aus der empirischen Betrachtung des Parteiensystems der Republik Moldau im
parlamentarischen Regierungssystem ergeben sich zwei Phasen. Zwischen 2001 und
2009 stieg zwar die Stabilität des Parteiensystems, gleichzeitig wurde aber eine
zunehmende Autokratisierung deutlich. Nach 2009 blieb das Parteiensystem weiterhin
vergleichsweise stabil, aber die Autokratisierung nahm ab. Diese widersprüchlichen
Trends erklären sich bei einer genaueren Betrachtung der Parteienlandschaft innerhalb
der Phasen.
3.3.1 Dominanz der kommunistischen Partei 2001 bis 2009
Auf Basis eines instabilen Parteiensystems wurde 2001 ein parlamentarisches
Regierungssystem errichtet. Dieses instabile Parteiensystem wirkte sich wie vermutet
auf das Regierungssystem aus: „The frequent power changes and the unstable,
18
personally-dominated party system have, on the other hand, also resulted in a lack of
political stability“ (Neukirch 2010: 1313).
Auch 2001 brach kurz nach Verfassungsänderung die bisherige Koalition zusammen.
Insbesondere im Kontext einer Wirtschaftskrise waren die Bürger enttäuscht (Sieg
2010: 6). In den darauffolgenden Wahlen erreichte die PCRM die absolute Mehrheit.
Erst durch diesen Erdrutschsieg konnten sich sowohl das Parteiensystem als auch das
Regierungssystem stabilisieren. Dies geschah allerdings auf Kosten der
Demokratisierung (Neukirch 2010: 1313).
Die PCRM stellte in dieser Phase die größte und stabilste Fraktion und konnte durch die
absolute Mehrheit im Parlament sowohl Verfassungsänderungen als auch
Präsidentschaftswahlen im Alleingang durchführen. Faktisch sah die Verfassung ab
2001 einen Machtverlust des Präsidenten vor, allerdings konnte der von der PCRM
gewählte Vladimir Voronin sowohl durch seine hohe Popularität bei der Bevölkerung
als auch durch den parlamentarischen Rückhalt seine Machtstellung de facto ausbauen.
Zu der Autokratisierung des Systems führte das demokratiedestabilisierende Potenzial
der PCRM. Die PCRM kann in dieser Zeit fraglos als bedeutender Akteur gelten. Durch
Voronins Bereitschaft, nicht-demokratische Mittel zum Machterhalt einzusetzen, gab er
der PCRM ein demokratiedestabilisierendes Potenzial. Insbesondere nach
Stimmenverlusten in Kommunalwahlen im Jahr 2007 hat die PCRM sich zunehmend
autokratisiert und administrative Mittel zugunsten eigener Machtinteressen eingesetzt.
Mit Blick auf das Parteiensystem wurde eine künstliche Stabilität geschaffen,
beispielsweise durch die Steigerung der Sperrklausel und dem Verbot von
Wahlblöcken. Durch eine Neuorganisierung der der Parteienfinanzierung und
Meldeverpflichtung von Parteien wurden hinzukommend ab 2008 große Parteien
unverhältnismäßig bevorzugt. Die neugeschaffenen Meldeverpflichtungen beim
Justizministerium kommen einer Neuregistrierung der Parteien gleich. Diese erforderte
eine hohen Organisationsgrad, wodurch kleine Parteien verdrängt wurden. Gleichzeitig
wurde die Neugründung von Parteien erschwert (Büscher 2010: 605).
Die Opposition konnte sich in dieser Phase zunächst nicht stabilisieren (ebd. 589). Die
PCRM missachtete nachweislich Oppositionsrechte, beispielsweise indem
Oppositionsanfragen ignoriert wurden. „Eine demokratische politische Kultur, bei der
19
auch Oppositionsrechte respektiert werden, hat sich in Moldova nicht entwickelt“
(ebd.: 597). Die Opposition wurde durch Strafverfahren eingeschüchtert und die
Massenmedien wurden manipuliert (ebd.: 589).
Dementsprechend kann für diese Phase Büschers Einschätzung zugestimmt werden: Die
PCRM hat die demokratische Konsolidierung behindert und zum Teil umgekehrt.
Gleichzeitig bewirkte sie aber eine institutionelle Stabilisierung des Parteiensystems
(ebd.: 593) und somit des gesamten Regierungssystems.
Obwohl die PCRM in den Wahlen im April 2009 noch immer die absolute Mehrheit
erreichte, stellte diese Wahl vorerst das Ende der kommunistischen Dominanz dar. Nach
den Wahlen kam es zu Demonstrationen enttäuschter Oppositionsanhänger und
Vorwürfen der Wahlfälschung. Gleichzeitig brach eine Systemkrise aus, da 2001
Voronins zweite Amtsperiode und er somit nicht erneut gewählt werden konnte. Der
von der PCRM favorisierte Kandidat konnte nicht gewählt werden, da der PCRM für
die erforderliche Drei-Fünftel-Mehrheit eine Stimme fehlte. Nach drei gescheiterten
Wahlversuchen fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt. In diesen Wahlen im
November 2009 verlor die PCRM die absolute Mehrheit und neue Koalitionen waren
rein rechnerisch möglich (ebd.: 594).
3.3.2 AEI als demokratische Alternative
Nach den Parlamentswahlen 2009 konnten sich die Liberaldemokratische Partei
(PLDM), die Demokratische Partei (PDM), die Liberale Partei (PL) und die Allianz
„Unser Moldawien“ (ANM) auf einen Koalitionsvertrag einigen und bildeten die
Allianz für Europäische Integration (AEI). Die beteiligten Parteien sind stark polarisiert.
Die einzige Gemeinsamkeit war der Wunsch eine erneute Regierungsübernahme der
PCRM zu verhindern. Außerdem hatten die Parteien wenig Erfahrungen in
Koalitionsbildung, wodurch die Hoffnungen auf eine stabile Regierungsbildung niedrig
waren (ebd: 594).
Die Verfassungskrise hielt weiterhin an. Die AEI verfügte nur über 53 der 101
Parlamentssitze und war somit nicht fähig, ohne Unterstützung der PCRM einen
Präsidenten zu wählen. Die PCRM hingegen boykottierte jegliche Wahlversuche und
nahm zeitweise nicht an Parlamentssitzungen teil. Dadurch trat ab 2009 eine politische
„Dauerkrise“ ein (Sieg 2011: 1). Zwischen 2009 und 2012 konnte kein
20
parlamentarisches Lager die zur Präsidentenwahl nötige Drei-Fünftel-Mehrheit
erreichen (ebd.). Es kam zu acht Versuchen, einen Präsidenten zu wählen. Zwei davon
wurden vom Verfassungsgericht als ungültig erklärt (Dix und Corj 2012: 1). Des
Weiteren scheiterte ein Referendum zur Direktwahl des Präsidenten an zu geringer
Wahlbeteiligung (Dix 2010: 1)
Durch die wiederholt fehlgeschlagenen Versuche der Präsidentenwahlen kam es 2010
erneut zu vorgezogenen Parlamentswahlen. In diesen Wahlen verfehlte die ANM zwar
den Einzug in das Parlament, die nun aus PLDM, PDM und PL bestehende AEI konnte
ihren Sitzanteil aber erweiterten und verfügte über 59 Sitze. Dadurch fehlten bei
absoluter Fraktionsdisziplin nur zwei Stimmen für eine Präsidentenwahl. 2012 konnte
mit Unterstützung von drei Abgeordneten der PCRM ein Präsident gewählt werden:
„Nach Aussagen von Beobachtern konnte die Koalitionsdisziplin bei der
Präsidentenwahl nur durch Überwachungsmaßnahmen gewährleistet werden, die sich in
der Grauzone demokratischer Praxis befinden“ (Dix und Corj 2012: 3).
Durch die erfolgreiche Wahl eines Präsidenten erhofften Beobachter eine Stabilisierung
der Lage: „Durch die Wahl Timoftis konnte nun nicht nur die Stelle des
Staatspräsidenten wieder besetzt werden, sondern auch Neuwahlen verhindert und damit
die Regierungsarbeit mit einer mittelfristigen Perspektive ausgestattet werden“ (ebd.: 1).
Die Koalition blieb aber weiterhin sehr fragil und Rivalitäten untereinander bestimmten
die Politik: „Es herrscht zwischen den Parteien eine Einstellung der Rivalität, des
Misstrauens und der Eitelkeit, die letztendlich zu Konflikten führt“ (Şandru 2011: 2).
Das gemeinsame Interesse der Verhinderung einer erneuten Machtübernahme der
PCRM rückte zugunsten von Partikularinteressen immer weiter in den Hintergrund:
„Mächtige Einzelakteure innerhalb der AEI versuchten sich wechselseitig zu Fall zu
bringen“ (Brändle und Jobelius 2013: 1)
Von dieser Fragilität profitierte die PCRM, welche sich in Neuwahlen einen
Stimmzuwachs erhoffte (Şandru 2011: 2). Gleichzeitig hat sich die PCRM auch ihrer
Rolle als Oppositionspartei angepasst. Während sie zunächst als Boykottpartei galt,
wurde sie zu einer aktiven Oppositionspartei: „Sie geben sich kooperativ, boykottieren
Parlamentssitzungen nicht mehr und treten immer mit starken Argumenten auf. Sie
verhalten sich wie eine aktive und konstruktive Oppositionspartei“ (ebd: 3).
21
Nach einem Jagdunfall, in dessen Folge der Generalstaatsanwalt zurücktreten musste,
zerbrach die fein austarierte Machtbalance der AEI. Des Weiteren bestätigte sich der
Verdacht, dass eigentlich unabhängige Institutionen (z.B. Steuerbehörde) in die
Machtaufteilung zwischen den Koalitionsparteien einbezogen wurden. Dies führte zum
Zusammenbruch der Koalition, da man sich auf eine neue Machtaufteilung nicht einigen
konnte: „Die Parteien der ‚Allianz für Europäische Integration„ führten seit Anfang
Januar einen ausufernden Machtkampf, der Korruption, Amtsmissbrauch und
Klientelismus für alle Augen sichtbar zu Tage treten ließ“ (Brändle und Jobelius 2013:
1).
Der Zusammenbruch der Koalition machte den Weg für einen Misstrauensantrag der
PCRM frei. Begründet wurde dieser mit der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung
sowie mangelnden Bemühungen der Regierung, Korruption zu verhindern (Irmer und
Mreyen 2013: 1). Die mitregierende PDM stimmte dem Antrag zu, wodurch die
Regierung gestürzt wurde. Die PCRM hatte auf erfolglose Koalitionsverhandlungen und
darauf folgende Neuwahlen gehofft. Hier erhoffte man sich erneut einen Ergebnis
vergleichbar mit 2001, da die Bürger wiederum von der zerbrochenen Koalition
enttäuscht waren und die wirtschaftliche Lage vergleichbar war (Brändle und Jobelius
2013: 2).
3.4.4 Ausblick
Erst im Mai 2013 konnte ein neues Kabinett gebildet werden. Dieses basiert auf der
Pro-Europäischen Koalition (CPE) bestehend aus PDM, PLDM und dem abgespaltenen
Reformflügel der PL (Irmer 2013: 1)
Die Aussichten der CPE sind gemischt. Insbesondere mit Blick auf den Wahlmodus des
Präsidenten werden Bedenken laut: „Die pro-europäische Koalition wird provisorisch
und ineffizient bleiben, solange keine geeignete Lösung für die Wahl des
Staatspräsidenten gefunden wird. Wahrscheinlich werden sich die jeweiligen
Parteichefs auf einen Kompromiss einigen, sobald deren wirtschaftliche Interessen auf
dem Spiel stehen.“ (Şandru 2011: 4). Für November 2013 ist die Unterzeichnung eines
Assoziationsabkommens zwischen EU und Moldau vorgesehen (Irmer 2013: 1). Ein
erneutes Scheitern der Koalition würde den Annäherungsprozess an die EU deutlich
erschweren.
22
Vor der nächten Präsidentschaftswahl stehen zunächst aber Parlamentswahlen an,
welche planmäßig Ende 2014 stattfinden sollen. Zur Verhinderung einer
kommunistischen Mehrheit ist es notwendig, dass die Koalition sich stabilisiert und das
Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnt. Die Möglichkeit einer erneuten Regierung
der PCRM wird kritisch betrachtet. Insbesondere die Annäherung der Republik Moldau
an die EU könnte im Falle einer Machtübernahme der PCRM ins Stocken geraten
(Irmer und Mreyen 2013: 1f).
4. Schlussfolgerung
Die empirischen Erkenntnisse zur Entwicklung der Republik Moldau erscheinen
zunächst paradox. Nach der Einführung des parlamentarischen Regierungssystems
konnte entsprechend Linz„ These die Stabilität des Systems gesteigert werden. Auch die
Entwicklung des Parteiensystems verweist auf eine zunehmende Stabilisierung.
Gleichzeitig wurden aber in der Verfassungsrealität zunehmende Einschränkungen der
Freiheitsrechte deutlich. Zwischen 2001 und 2009 stehen sich also die gegenläufigen
Trends der Reautokratisierung der Verfassungsrealität und der Stabilisierung des
Regierungssystems gegenüber. Somit müssen die Thesen abschließend auf zwei Ebenen
betrachtet werden.
Die institutionalistische Herangehensweise unter Betrachtung des Regierungssystems
und des Parteiensystems können die gesteigerte verfassungspolitische Stabilität
erklären. Linz„ Ansatz kann aber die Reautokratisierung der Verfassungsrealität nicht
erklären. Diese ist durch das demokratiedestabilisierende Potenzial der PCRM
entstanden und kann dementsprechend nur anhand der Parteien erklärt werden. Die
PCRM konnte das parlamentarische System nutzen, um demokratische Mechanismen
zu untergraben und Institutionen bis zu einem gewissen Grad auszuhöhlen. Mit Verlust
der Dominanz der PCRM konnte auch die Verfassungsrealität zunehmend
demokratisiert werden.
In Anbetracht des demokratiestabilisierenden Potentials der PCRM zwischen 2001 und
2009 und der von Partikularinteressen bestimmten instabilen Koalitionsregierungen ab
2009 muss festgestellt werden, dass das Parteiensystem der Republik Moldau nicht den
dargestellten Anforderungen entspricht.
23
In der Arbeit wurde deutlich, dass auch weitere Institutionen eine Rolle spielen, die hier
nicht im Detail betrachtet werden konnten. Es zeigte sich beispielsweise, dass der
Wahlmodus des Präsidenten zu mehreren Verfassungskrisen führte und somit das
System destabilisierte. Daneben führt eine unzureichende Spezifizität der Verfassung zu
Unklarheiten, deren Interpretation dem Verfassungsgericht obliegt, auf welches in der
Studie nicht eingegangen werden konnte. Somit zeigt sich auch, dass weder
Regierungssystem noch Parteiensystem deterministisch die Demokratisierung
vorbestimmen.
24
Abkürzungsverzeichnis
AEI Allianz für Europäische Integration (rum.: Alianţa pentru Integrare
Europeană)
ANM Parteiallianz "Unser Moldova" (rum.: Alianța Moldova Noastră)
CPE Pro-Europäische Koalition (rum.: Coaliţia Pro Europeană)
PCRM Partei der Kommunisten der Republik Moldau (rum.: Partidul
Comuniștilor din Republica Moldova)
PDM Demokratische Partei Moldaus (rum.: Partidul Democrat din Moldova)
PL Liberale Partei (rum.: Partidul Liberal)
PLR Liberale Reformer Partei (rum.: Partidul Liberal Reformator)
PLDM Liberaldemokratische Partei Moldawiens (rum.: Partidul Liberal
Democrat din Moldova,
25
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Regierungssysteme in Mittel- und Osteuropa. Die neuen EU-Staaten im Vergleich.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 171–193.
Tiemann, Guido (2010): Parteiensysteme: Interaktionsmuster und Konsolidierungsgrad.
In: Florian Grotz und Ferdinand Müller-Rommel (Hg.): Regierungssysteme in
Mittel- und Osteuropa. Die neuen EU-Staaten im Vergleich. Wiesbaden: VS Verlag
für Sozialwissenschaften, S. 127–146.
Veen, Hans-Joachim (2008): Was bedeutet demokratische Konsolidierung? In: Hans-
Joachim Veen, Ulrich Mahlert, Franz-Josef Schlichting und Markus Pieper (Hg.):
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Way, Lucan (2003): Weak States and Pluralism. The Case of Moldova. In: East
European Politics and Societies 17 (3), S. 454–482.
28
Datenanhang
29
Tabelle 2: Funktionscharakteristika des Parteiensystems der Republik Moldau
Datum der Wahl 27.02.
1994
22.03.
1998
25.02.
2001
06.03.
2005
05.04.
2009
29.07.
2009
28. 11.
2010
Wahlbeteiligung 79,3 69,12 67,52 64,84 57,55 58,77 63,37
effektive Parteienzahl
2,6 3,4 1,8 2,3 2,4 3,3 3,2
Aggregationsindex 13,5 9,9 23,4 18,5 14,9 9,5 10,5
Volatilität k.A. 100 60,4 33,7 44,6 15,8 15,8
Wiederwahlquotea
17,3 19,8 32,7 31,7 28,4 75,2 60,4
Wiederwahlquote (total)b
17,3 26,7 38,6 40,6 34,7 81,2 67,3
Quelle: eigene Berechnungen auf Basis der Association for Participatory Democracy: Parliamentary
Elections. Online verfügbar unter http://www.e-democracy.md/en/elections/parliamentary/, zuletzt
geprüft am 20.09.2013.
Abkürzung: k.A. = keine Angaben a Prozentualer Anteil der wiedergewählten Abgeordneten zu Beginn der Legislaturperiode im Vergleich
zur vorherigen Legislaturperiode. b Prozentualer Anteil der wiedergewählten Abgeordneten zu Beginn der Legislaturperiode im Vergleich
zu allen vorherigen Legislaturperioden.
Tabelle 3: Fraktionen des moldauischen Parlament der aktuellen Legislaturperiode
Komm.
Partei
(PCRM)
Liberale
demokr.
Partei
(PLDM)
Demokr.
Partei
Moldau
(PDM)
Liberale
Partei
(PL)
Fraktions-
lose
Beginn der Legislaturperiode
42 32 15 12 0
Stand September 2013 33 31 16 12 8
Quelle: eigene Zusammenstellung auf Basis Wahlergebnisse nach Association for Participatory
Democracy: Parliamentary Elections. Online verfügbar unter www.e-
democracy.md/en/elections/parliamentary/, zuletzt geprüft am 20.09.2013; und Informationen zur
aktuellen Parlamentszusammensetzung nach Informationen des Moldauischen Parlaments, online
verfügbar unter http://www.parlament.md/, zuletzt geprüft am 20.09.2013
Anmerkung: Stand vom 20.09.2013