Mörderduett · 2019-08-21 · einfach nur um neben uns zu sitzen damit wir uns nicht so allein, so...

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Mörderduett Krimitheaterstück für zwei Schauspielerinnen von Isabella Archan

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Inhalt:

Mitten in der Nacht eine Bushaltestelle. Einsam und verlassen im Nebel.

Else und Barbara treffen dort aufeinander. Warten auf den nächsten Bus, der in dieser Nacht

nie mehr zu kommen scheint. Um sich die Zeit zu vertreiben, beginnen die beiden, sich

gegenseitig Krimis und unheimliche Geschichten zu erzählen, zu erfinden und nachzuspielen.

Was aber machen diese beiden so unterschiedlichen Frauen wirklich an dieser

Bushaltestelle? Was haben beide zu verbergen?

Vor allem aber: Werden beide diese Nacht überstehen?

Ein Stück für zwei Schauspielerinnen – rasant, spannend und sehr unterhaltsam.

Spieldauer: 120 min.

Personen: 2 (0 m / 2 w)

Else

Barbara

Handlungsort: Eine improvisierte Bushaltestelle mitten in der Nacht

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1. Akt

(Else tritt auf die leere Bühne.

In der Mitte eine Insel aus Licht wie von einer Straßenlaterne. Sonst dunkel wie die Nacht.

Ganz hinten hängt ein halber Mond am Bühnenhimmel. Elses Schritte hallen nach.

Hinter sich her zieht sie einen großen schwarzen Koffer auf Rädern.

In so einem Koffer könnte man glatt eine Leiche verstecken.

Else trägt eine schwarze Lederjacke und einen breitkrempigen Hut dazu. Weite gut

geschnittene Stoffhosen und Pumps. Sie sieht ein wenig verkleidet aus wie einer dieser

Gangster in einem der alten schwarz-weiß Filme. Oder wie Marlene Dietrich in

Männerkleidern.

Else hält in der Mitte der leeren Bühne an, setzt sich auf den Koffer, zieht ihren Hut ab, fährt

mit der Hand in ihre Jacke, überprüft, ob alles dort noch am richtigen Ort ist.)

Else:

Lassen Sie uns über die Dunkelheit reden. Lassen Sie uns über die Zeit nach Mitternacht

reden, in denen eine leicht Trauer und Enge im Kreis der Straßenlaterne liegt. Dahinter die

Schwärze dieser Nacht. Oben funkeln kalt die Sterne, unten treibt das einsame Jaulen eines

Hundes einen Pfahl der Angst in unser Herz.

(Ein Hund heult. Else fröstelt, seufzt, sieht sich um, schaut auf ihre Uhr.

Ihr Handy klingelt. Ein leichtes Erschrecken, dann holt sie es aus ihrer Jacke, geht ran.)

Else:

Wann?.. o.k. …alles klar! ... Postbank ja! .. bitte kein Verwendungszweck! … Darauf können

Sie Ihr Leben verwetten, mein Freund!!! (lächelt, legt auf, steckt das Handy wieder weg, steht

auf)

(Else öffnet den Koffer. Verstaut ihren Hut. Holt aus dem Koffer ein kleines Busschild, das sie

an eine ausziehbare Stange schraubt und aufstellt. Auf dem Schild steht

„Ersatzbushaltestelle“. Dann noch eine Tafel, darauf „Bitte heute hier einsteigen“.

Dazu hebt sie zwei Blöcke aus dem Koffer über die sie ein Brett legt, eine improvisierte

Sitzgelegenheit. Sie arbeitet schnell und präzise, als hätte sie es schon öfter so gemacht.

Als sie fertig ist, setzt sie sich wieder, diesmal auf das Brett auf den Blöcken, das wie eine

kleine Bank wirkt. Prüft noch mal den Gegenstand in ihrer Jacke.)

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(Während all dieser Aktionen, hält Else weiter ihren Monolog.)

Else:

Wer atmet hinter uns im Dunkeln, wer beobachtet uns aus der Sicherheit dieser Schwärze

und wer wird wohl heute aus dem Maul dieser einsamen Stunden auftauchen um uns zu

überraschen, zu erschrecken, vielleicht auch um uns nach dem Leben zu trachten? Oder

einfach nur um neben uns zu sitzen damit wir uns nicht so allein, so Gott verlassen und klein

fühlen in den fleischigen Armen der Dunkelheit.

Begleitet mich jemand in diese Nacht, in diese Dunkelheit? Bleibt einer bei mir in diesem

kleinen Kreis aus fahlem Licht, in diesem weichen und sanften Atem einer dunklen

Vorahnung auf etwas, das geschehen könnte, einem jeden um solch eine Zeit?

Gänsehaut breitet sich aus wie der Nebel.

(Else lacht auf, als hätte sie soeben einen guten Witz erzählt, steht noch mal auf, holt aus

dem Koffer eine kleine Nebelmaschine, drückt zweimal drauf. Die Nebelmaschine spuckt den

Nebel aus. Else setzt sich wieder, schaut wieder auf ihre Uhr. Wartet.)

(Barbara stolpert auf die Bühne. Sie ist kleiner und sehr schnell. Trägt Jeans, Turnschuhe

und einen leichten Mantel. Ein Typ wie Goldie Hawn oder die junge Ingrid Steeger.

Keucht, als wäre sie vor etwas davon gelaufen. Wirkt aufgekratzt. )

Barbara:

Scheiß Nebel. Scheiß, aber auch wirklich scheiß Nebel…

Else:

Kein Hund mehr auf der Straße.

(Der Hund heult wieder.)

Barbara:

Ist die Haltestelle dahinten nicht in Betrieb?

Else: (zeigt nach oben auf das Schild)

Heute geht es hier ab.

Barbara:

Ach so. Scheiße!

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(Barbara setzt sich neben Else. Steht schnell wieder auf, tritt auf der Stelle, atmet in ihre

Hände. Sucht an der improvisierten Haltestelle nach einem Fahrplan.)

Barbara:

Wann fährt denn der Scheiß Bus?

Else:

Eben weg.

Barbara:

Was?

Else:

Sie haben ihn gerade verpasst.

Barbara:

Scheiße. Fuck und Scheiße!!!

Else:

Unangenehm. Unpassend. Unwillkommen.

Barbara:

Was?

Else:

Ich mag kultivierte Worte lieber. Unangenehm oder Unkomfortabel. Oder von mir aus auch

dumm gelaufen.

Barbara:

Ich sag` s wie es ist. Scheiße! Was dagegen?

Else:

Nein, um Gottes Willen, Friede in dieser Nacht.

Barbara:

Was?

Else:

Nichts, nichts.

Barbara:

Wissen Sie denn, wann der nächste fährt?

Else:

Der nächste?

Barbara:

Bus. SCHEISS BUS!!!!

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Else:

Ich denke, in einer Stunde?

Barbara:

WASSSS?

Else:

Tja, die KVB macht hier nicht gerade ihr Abendgeschäft, wie Sie sehen. Außer uns keiner da.

Barbara:

Sind Sie aus dieser öden Gegend?

Else:

Nein. Sie?

Barbara:

Oh Gott, Nein. Habe nur meinen Liebsten besucht.

Else:

Nett.

Barbara:

O ja!!

Else:

Hat er Sie rausgeschmissen?

Barbara:

Wie kommen Sie da drauf?

Else:

Na ja, Sie warten auf den Bus, mitten in der Nacht. Allein.

Barbara:

Nein, natürlich nicht, obwohl,….na ja, darüber rede ich nicht. Scheißkalt hier.

Else:

Erfrischend frostig.

Barbara:

Erfrischend scheiß frostig. Au Ja!!!

(Barbara läuft weiter auf und ab. Else holt aus seiner Lederjacke einen Flachmann.)

Else:

Einen Schluck?

Barbara:

Ich trinke nicht.

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Else:

Sie fluchen also, aber trinken nicht. Köstlich.

Barbara:

Einen Schluck nehm’ ich. Und ich rede wie es mir passt.

(Else trinkt und gibt Barbara den Flachmann. Barbara spuckt ihren Schluck wieder aus.)

Barbara:

Das ist ja Tee.

Else:

Klar doch. Ich fluche nicht und ich trinke nicht.

Barbara:

Na toll! Mitten in der Nacht treff’ ich so was…was soll’s!? Wenigstens sind Sie kein

Arschlochkerl, der mich anbaggert.

Else: (seufzt laut)

Ja, die Männer.

Barbara:

Was?

Else:

Sie haben doch eben erzählt, dass Sie von Ihrem Liebsten kommen.

Barbara:

Darüber will ich jetzt nicht reden.

Else:

Nein, keine Angst. Ich bin doch nicht hier, um Sie auszufragen. Nein, ich warte auf den Bus.

Aber wenn wir schon warten, könnten wir doch… nein, zu banal.

Barbara:

Was?

Else:

Ach, ich dachte eben…

Barbara:

Spucken Sie es aus, Lady.

Else:

Ein Spiel.

Barbara:

Ein Spiel? Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist schwarz oder was?

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Else:

Nein, subtiler.

Barbara:

WAS?

Else:

Spannender, erregender, damit uns warm wird und die Zeit schneller vergeht.

Barbara:

Die Zeit?

Else:

Bis der Bus kommt, liebe Freundin.

Barbara:

Bin ich nicht. Bin nicht Ihre Scheiß Freundin.

Else:

Entschuldigen Sie, ich meinte das eher auf unsere Situation bezogen. Wir sind hier zufällig

zusammengetroffen, der Bus ist uns vor der Nase davon gefahren und es ist kalt und wir

könnten…

Barbara:

Aber nichts Unanständiges!!

Else:

Um Gottes Willen, nein. Wie kommen Sie denn da drauf? Mehr etwas Amüsantes.

Barbara:

Also doch, ich sehe was, das du nicht siehst.

Else:

Passen Sie auf. Vertrauen Sie mir.

(Else nimmt Barbaras Hände, führt sie zur Bank, setzt sie drauf. Stellt sich hinter sie und legt

ihre Hände auf Barbaras Schultern.)

Else:

Atmen Sie einmal tief ein.

Barbara:

Scheiße, was…?

Else:

Kommen Sie schon, einfach loslassen und versuchen. Macht Spaß, Ehrenwort.

Also, atmen Sie tief ein. Langsam wieder ausatmen. Alles loslassen, was Sie beschwert.

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Gehen Sie mit mir auf eine kleine Reise. Auf eine kleine Reise in die Welt Ihrer

Vorstellungskraft.

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine gutaussehende Frau in den besten Jahren,…

(Barbara dreht sich ungläubig zu Else um, will was dazu sagen, Else legt ihren Zeigefinger

auf Barbaras Mund, schüttelt den Kopf, dreht Barbaras Kopf wieder zurück und weiter geht

es.)

… eine Frau älter als Sie jetzt sind, reifer.

Auch wenn der Alltag und der Stress Spuren hinterlassen hat, Sie sehen immer noch richtig

klasse aus: blond, groß, gut gebaut.

Sie lieben es, sich gut zu kleiden, Ihre Vorteile zu unterstreichen und haben mit Ihrem Make-

up und Outfit schon so manches Männerherz höher schlagen lassen.

Aber Sie sind immer noch allein.

Tief in Ihrem Herzen wünschen Sie sich, was jede Frau sich schon als kleines Mädchen

erträumt, den Prinzen, der auf einem weißen Pferd, Sie in den 7. Himmel entführt.

Endlich ist es wieder Freitag und Sie haben Feierabend.

Heute Abend sind Sie wieder unterwegs. Tragen die hautenge Jeans und ein tief

ausgeschnittenes enganliegendes Shirt. Darüber die Lederjacke mit den tiefen Taschen, in

denen sich so viel verstauen lässt.

Es ist kurz vor Mitternacht und Sie trinken Ihren Lieblingscocktail in einer Bar. Ein hohes Glas

mit grüner Flüssigkeit, Absinth gemixt mit Zitrone und Angostura. Grüne Fee, so heißt dieser

Drink und wie eine Fee fühlen Sie sich heute und grün ist die Hoffnung auf eine kleine Liebe

aus der große Leidenschaft erwachsen kann.

Hier in der Bar in die es Sie an diesem Freitagabend verschlagen hat, gibt es Prinzen, oh ja

und wie im Märchen haben Sie schon drei in die Nähere Auswahl genommen.

Nummer eins ist ein kleiner niedlicher am anderen Ende der Theke, der einen Red Snapper

schlürft, so Tomatenrot wie sein Pullover und der Ihnen Blicke zuwirft, die Sie an einen

kleinen treuen Hund mit großem Herzen erinnern.

Nummer zwei trinkt Old Fashion und sieht auch so aus. Hat sich für heute Nacht fein gemacht

und trägt einen Schnauzer auf der Oberlippe und eine Fliege am Hemdkragen, lächelt

väterlich.

Nummer drei nun scheint der mutigste von allen zu sein, nicht umsonst hat er soeben seinen

dritten Zorro beim Barkeeper bestellt und Sie sehen zu wie der Mann hinter dem Tresen

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Tequila, Cointreau, Curaçao Blue und Grapefruitsaft in einen Shaker füllt und zu schütteln

beginnt.

Zorro, der Drink für den feurigen Liebhaber!

Sie blicken tief in Ihre grüne Fee und in Ihr Herz und spüren diese Sehnsucht, dieses Ziehen,

das weh tut, aber auch schön ist und wer soll denn nun Ihr kleiner Prinz werden?

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Und Ihr Herz entscheidet sich leichter als Sie gedacht

haben.

Zorro siegt und Zorro hat seinen Drink vor sich fertig stehen und Sie rutschen näher, rücken

einen Hocker auf, stellen Ihre grüne Fee neben sein Glas und selbst die Cocktails

harmonieren auf eine wunderbare Weise.

Ein Gespräch beginnt und Zorro ist tatsächlich Ihr Typ: dunkles lockiges Haar, nettes

Lächeln, lustiges Shirt, kein dummer Aufreißer, sondern eine verwandte Seele, die in einer

einsamen Nacht in einer Bar die Happy Hour genießt. Und natürlich ist er Jahre jünger als

Sie. Doch heute Nacht spielt das keine Rolle.

Jetzt haben Sie doch zu lange geträumt und den Namen des Mannes nicht mitbekommen,

egal, Sie nennen ihn weiter nach seinem Cocktail, Zorro klingt doch gut, Zorro, der den

Reichen nimmt und den Armen gibt und seiner Geliebten ewige Treue schwört.

Sie und Zorro lachen, Sie plaudern, Sie stoßen an und die Zeit rinnt durch Ihre Adern, einmal

müssen Sie auf Toilette, hoppla, jetzt sind Sie fast aufs Männerklo gerannt, peinlicher

Fauxpas, aber Zorro hat Gott sei Dank nicht hergeschaut.

Dann auf der Damentoilette kontrollieren Sie noch mal im Spiegel Ihr Bild. Ja, das Make-up

sitzt, ja Ihr blondes langes Haar glänzt und ja in Ihrer rechten Jackentasche können Sie es

fühlen, das kleine Geschenk das Sie für Ihren Traumprinzen mit dabei haben, immer

griffbereit, damit es im richtigen Moment gut in der Hand liegen wird.

Von der Toilette zurück, will Zorro schon zahlen, zieht seine Jeansjacke an.

‚Trink aus’ sagt er und ‚lass uns weiter ziehen’ sagt er und ‚die Nacht ist noch jung meine

Schöne. Ich kenn’ da was Besseres als das hier.’

Stellen Sie sich vor, wie Ihr Herz da klopft, Ihr kleines so oft gebrochenes Herz und Sie sind

jetzt die grünen Glücksfee, heute Nacht am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist.

Sie gehen dem jungen Mann hinterher und Schwindel erfasst Sie, ist es das Glück oder die

Lichter, ist der Rauch oder die Tiefe Ihrer Empfindungen.

Dann sind Sie draußen, es ist tatsächlich kalt.

Der erste Herbstregen ist über die Stadt gezogen und der Himmel wölbt sich in Grau und

Schwarz und dunkel. Die Feuchtigkeit und die frische Luft lassen Sie frösteln, Sie stellen den

Kragen Ihrer Lederjacke auf und schlingen Ihre Arme um Ihre Brust.

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Zorro hat bemerkt, dass Sie zittern und legt freundlich seinen Arm um Ihre Schulter.

So gehen Sie beide weiter, weg von der Bar und dem Lärm, biegen um eine Ecke, dann noch

eine. Sie gehen im Gleichschritt, Sie sind wirklich ein großes gewachsenes Mädchen, und

begegnen Ihrem Zorro auf Augenhöhe.

Bodennebel schwebt über dem Asphalt, hat sich wie ein weicher, feuchter Umhang um die

Nacht gelegt.

Noch mal links. Da kommt eine schmale Gasse und die Häuser rücken enger, kein Strahl

dringt aus den Fenstern, kein Passant kommt Ihnen entgegen. Vorne ist ein kleiner Park, der

Weg führt daran vorbei, ein hoher Baum steht majestätisch Spalier. Hier gibt es kaum mehr

Licht, erst weiter vorne, fast schon in einer anderen Dimension ist die nächste Straßenlaterne.

Ihnen kommt es vor, als wäre die Welt in einem Riesenschritt in der Zeit nach hinten gefallen,

Jahrhunderte, in eine Vergangenheit mit Gaslaternen und Pferdekutschen. Ihnen ist, als

wären Sie in London, im Nebel, im Jahre 1888, als liefen Sie durch die Gassen, die Jack the

Ripper so liebte und bevorzugte.

Ein Schauer vom Scheitel bis zur Sohle überfällt Sie.

Warum Ihnen gerade jetzt so ein blöder Vergleich einfällt?

Ihnen wird übel. Der kleine Park ist erreicht. Sie bleiben stehen. Zorro’ s Arm rutscht von Ihrer

Schulter, jetzt ist die Kälte dieser Herbstnacht wieder gnadenlos zurück, Ihre Knie werden

weich und Sie fühlen wieder diesen Schwindel, diese Abgleiten in eine Tiefe, die noch viel

schwärzer als diese Nacht ist.

Sie lehnen sich an den Baum, seine Blätter schon bereit in diesem Herbst zu fallen und zu

sterben. Sie stützen sich ab, fühlen die Rauheit der Rinde.

‚Was hast du denn?’ fragt Ihr Zorro und ist jetzt ganz nah. Sie riechen seinen Atem, der

Alkohol lässt ihn sauer aufstoßen. Sein Arm packt Ihre Hüfte, sein Mund wandert an Ihr Ohr.

Sie fühlen seinen Körper an Ihren Körper gedrückt. Das geht Ihnen zu schnell, Sie fühlen sich

überfahren, erdrückt.

Ein Rauschen ist in Ihrem Kopf. Ein singender Ton hetzt Ihre Gedanken.

Sie lassen den Baumstamm los, schieben den Mann mit beiden Händen weg von Ihnen, er

macht einen Schritt nach hinten, in der Dunkelheit glitzern seine Augen wie die Sterne, die

am Himmel fehlen.

Ihre rechte Hand verschwindet in Ihrer Jacke, da ist doch noch das Geschenk, die Gabe an

Ihren Prinzen, der langsam zu einem Frosch mutiert. Doch Sie wollen an diese Liebe

glauben, an dieses letzte Aufbäumen, bevor Ihr Körper schlaff und faltig wird.

‚Was denn?’ fragt er jetzt, seine Sätze werden immer kürzer.

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Plötzlich bekommen Sie richtig Angst. Was zum Teufel machen Sie hier? Wie konnten Sie

losgehen, allein mit einem Fremden, den Sie gerade mal vor einer halben Stunde in einer Bar

kennengelernt haben?

Sie zittern in der Dunkelheit, im Nebel, in einer Zeit, in der ein neuer Jack the Ripper sein

Unwesen treiben könnte.

Nicht umsonst ist Ihnen vorhin dieser Vergleich eingefallen, es sind gefährliche Zeiten, ein

Irrer geht um und schlitzt Bäuche auf. Die Zeitungen, das Fernsehen sind voll von The Ripper

Vergleichen und der Vergleich ermutigt den Wahnsinnigen, denn bereits das vierte Opfer

wurde letzte Woche gefunden, aufgeschlitzt wie ein Kartoffelsack.

Sie können in der Dunkelheit gerade noch das Lächeln Ihres Zorro sehen, es ist gierig,

unnachgiebig. Geifert er??

Plötzlich löst eine Wut Ihre Angst ab. Was glaubt der Typ denn, wer Sie sind? Eine billiges

Flittchen, das nach einem Cocktail willig seine Jacke öffnet und sich herschenkt?

Apropos Jacke, apropos Geschenk! Das scharfe Messer liegt gut in Ihrer rechten Hand, Sie

holen es aus der Jackentasche.

‚Was?’ Jetzt ist Zorro tatsächlich bei einem Wort angelangt und das bleibt ihm in der Kehle

stecken.

Stellen Sie sich vor, wie dieses Messer gleich nach vorne stoßen wird, seine Klinge wird

Zorros Jacke, Zorros lustiges Shirt wie Butter durchdringen und dann das Fleisch finden.

Wird hineingehen und in die Tiefe zugleich. Wird stechen, schlitzen und wie angegossen im

Gedärm sitzen. Und Blut wird rinnen, wenn das Fleisch keinen Widerstand mehr gibt.

Schenken macht Freude, oh ja! Wortlos wird Zorro auf die Erde fallen und schnell verbluten.

So ein gut geschärftes Messer leistet perfekte Arbeit. Das haben Sie schon viermal erlebt, es

hat immer bestens funktioniert.

Die Opfer des in der Presse titulierten neuen Jack the Rippers sind immer junge Männer,

keiner über dreißig Jahre alt. Stadt und Polizei sind in Aufruhr.

Wenn es vorbei ist, werden Sie weiter gehen, sich nicht umdrehen, nur kein Blick zurück.

Wenn es vorbei ist, dann schnell nach Hause, über Seitenstraßen, weg vom Licht, weg von

möglichen Zeugen.

Zuhause wartet noch Arbeit auf Sie in dieser Freitagnacht.

Später müssen Sie das Blut von Ihren Händen abwaschen, das Make-up vom Gesicht, die

falschen Wimpern und Nägel abziehen.

Später müssen Sie die hautenge Jeans und das enganliegende Shirt in die Waschmaschine

tun. Auch der ausgestopfte BH hat schon Blut abgekriegt, unglaublich wie tief so ein Fleck

geht.

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Nur an der schwarzen Lederjacke kann man die roten Spuren nicht erkennen, die lassen Sie

immer trocknen, als kleine Erinnerung. Ganz am Ende müssen Sie auch Ihre hübsche blonde

Perücke ablegen.

Mit schwerem Herzen und einem Seufzen müssen Sie wieder der Mann werden, der Sie in

Wahrheit sind und letztlich auch bleiben wollen. Bis zum nächsten Freitagabend.

Bis die Sehnsucht wieder kommt. Bis die grüne Fee in Ihnen erwacht. Stellen Sie sich vor!

Aber mal ehrlich: Ein Cocktail die Woche ist doch wirklich nicht zu viel. Oder?

(Else lässt Barbara los, die steht auf, schwankt etwas, lehnt sich an das Bushalteschild.)

Barbara:

Buh…, das ist ja, ich meine, das war ja,…buhuhu!

Else:

Toll was?

Barbara:

Wie meinen Sie das? Toll?! Irrer Serienkiller schlitzt harmlosen Passanten auf? Fucking toll

oder was??!!

Else:

Nein, nein, meine Liebe, keine Sorge, ich meinte natürlich nicht die Story, die ist schon etwas

mörderisch. Aber toll, wie die Zeit vergeht. Toll, wie man sich mitten in der Nacht, im Nebel

seinen Spaß machen kann. Zwei Mädels allein. Ohne Männer. Auch ohne Liebsten. (zwinkert

Barbara zu) Und es wärmt besser als der Tee in meinem Flachmann.

Barbara:

Na ja, ich habe eine Gänsehaut. Immerhin ist unser Nebel weniger geworden.

(Barbara versucht sich mit den Händen warm zu klopfen, geht ein paar Schritte seitlich weg.

Else tritt schnell auf die Nebelmaschine. Neuer Nebel wallt auf. Barbara kommt wieder, hält

im Nebel Ausschau nach dem Bus.)

Barbara:

Kaum spricht man vom Teufel…! Nix zu sehen in dieser Suppe. Aber irgendwie haben Sie

Recht. Die Zeit vergeht schneller.

Else:

Sag’ ich doch.

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(Pause)

Else:

Jetzt mal ehrlich: Warum sind Sie denn so spät nicht bei Ihrem Liebsten geblieben?

Barbara: (geht nicht auf Else ein)

Könnte ich das auch?

Else:

Was?

Barbara:

Na, so eine unheimliche Story erfinden.

Else:

Kann jeder.

Barbara:

Mmh.

Else:

Probieren wir es?

Barbara:

Tja, ich weiß nicht …

Else:

Rein ins kalte Wasser, meine Freundin. Wenn ich Sie jetzt so nennen darf.

(Else holt aus ihrem Koffer ein Kissen, das sie sich unter ihre Lederjacke stopft. Einen

Plastikbecher, eine Flasche mit einer dunklen Flüssigkeit. Eine große Wasserpistole.

Sie stellt sich auf wie hinter einen Tresen. Die Waffe verschwindet darunter.)

Else:

Mitternacht in der roten Laterne, es war Zeit für Jimmy einen weiteren glücklichen Arbeitstag

zu beenden. Jimmy polierte das letzte Glas fertig, bis es glänzte. Bewegte sich um den

Tresen herum, begann ein kleines Tänzchen.

(Else macht zwei Schritte nach vorne, ein Wiegeschritt, noch mal und summt dabei eine

Tangomelodie). Danach wollte er seine Runde durch seine kleine Taverne drehen, die Tische

polieren, die Sessel hochstellen. Alles sollte sauber und ordentlich sein, wie immer.

Schließlich würde er abschließen, das Licht ausdrehen, nach oben gehen, und endlich in die

wohlverdiente Heia. Heia, ja so hatte das Oma Mildred immer genannt, wenn sie ihren

kleinen Jimmy ins Bettchen gebracht hatte. Ab in die Heia, Jimmylein. Obwohl Jimmy

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inzwischen über fünfzig Jahre und über hundert Kilo wog, freute er sich immer wieder nach

einem langen Tag in seinem Lokal auf seine Heia.

(Else hört auf und zeigt auf Barbara.)

Else:

Jetzt Sie!

Barbara:

Wie ich?

Else:

Das wollten Sie doch? Machen Sie weiter.

(Barbara überlegt kurz, steigt dann aber schnell und mit Enthusiasmus ein.)

Barbara:

Die Tür flog mit einer Wucht auf, als hätte man eine Salve gegen sie geschossen.

Das schwere Holz knallte gegen die dunkelrot verputzte Innenwand und ließ die Gläser im

Regal klirren. Ein vergessenes halbausgetrunkenes Glas Bier kippte auf dem Tresen um und

sein schales Inneres ergoss sich über die Theke und tropfte auf einen der Barhocker.

Else:

Trotz seines massigen Körperbaus und seinem ersten Schrecken über diese gewaltige

nächtliche Störung, war Jimmy mit einer schnellen Drehung zurück an der Bar, wuchtete sich

hinter die Theke und hatte wie ein Zauberer in einer Varietéshow zwar kein Kaninchen, aber

eine abgesägte Schrotflinte in der Hand. (Als Jimmy:) Was, was, WWWAAAASSSS???

Brüllte Jimmy, legte die Waffe an und zielte Richtung Tür.

Barbara:

Zuerst war dort nur die Stille nach dem Lärm des gewaltsamen Aufstoßens und ein Schwall

kalte Luft drang herein.

Else:

Jimmy merkte, dass kalter Schweiß auf seiner Stirn aufstieg und er vertiefte seine Atmung um

nicht die Ruhe zu verlieren. (Als Jimmy:) Wer immer da draußen ist, wird mir den Schaden

ersetzten müssen. Nur, dass das schon mal klar ist.

Barbara:

Zuerst blieb es still und dunkel hinter der offenen Holztür. Nur das tropfende Bier und Jimmys

Atemzüge waren zu hören. Dann hörte man ein Räuspern, gefolgt von einem hellen Lachen.

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(Barbara versucht ein helles Lachen, das zuerst etwas heißer und gehemmt ausfällt. Dann

wird sie mutiger und lacht eine helle Koloratur.)

Else:

Jimmys Finger an der Schrotflinte verkrampften sich. Er kannte diesen hellen, fast schrillen

Koloratursopran von einem Gelächter.

Auch wenn es mindestens zehn Jahre her war, das Jimmy dieses Lachen zuletzt gehört

hatte, es war in seinem Gedächtnis eingebrannt wie Oma Mildreds Heia.

Barbara:

Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit und trat in das Licht des Türrahmens. Groß und

schlank, mit langen, endlosen Beinen und Brüsten, die sich so mancher Schönheitschirurg

patentieren hätte lassen. Ihre Schuhe waren hochhackig und spitz, kleine Mordwerkzeuge an

den Füßen.

(Barbara zieht sich den Mantel aus, schlingt ihn um die Hüfte. Else holt noch ein paar

Highheels aus dem Koffer. Und zwei kleine Kissen dazu. Zuletzt noch eine kleine

Wasserpistole. Wirft alles Barbara zu.)

Else:

Ziehen Sie die Schuhe an. Na los! Stopfen Sie sich die Dinger in den BH. Lassen Sie die

Waffe verschwinden. Los, los!

Barbara:

Scheiße ja! Abgefahren! So wollte ich schon immer aussehen!

(Barbara schlüpft in die hohen Schuhe, polstert sich oben rum aus, wackelt und schwankt

noch etwas. Steckt die Wasserpistole in ihren Ausschnitt.)

Barbara:

Selma trug ein enges langes Kleid, das eher zu einem Galadiner als zu einem Besuch in

einer kleinen Taverne mit sechs Tischen und einer Bar und einer Toilette für beide

Geschlechter gepasst hätte. Selma machte vier lange Schritte in das Innere von Jimmys

Taverne und blieb in einer koketten Haltung stehen.

Else:

Jimmy blieb der Mund offen stehen und erst als ein langer Speichelfaden daraus tropfte und

über sein Kinn rann, zog er auf, schluckte und senkte den Lauf der Flinte nach unten. Ganz

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aus der Hand durfte er die Waffe nicht legen, von Selmas äußerer Erscheinung durfte man

sich niemals täuschen lassen.

Barbara: (als Selma)

Jimmy, Darling, hast du einen Jack für mich?

Else: (als Jimmy)

Mein Gott, Selma, da bist du wieder.

Barbara:

Ja, die Jack Daniels, die alten, die guten, die hatte Selma immer schon geliebt. Sie trank sie

wie Wasser an einem heißen staubigen Tag. Ihre Trinkfestigkeit war nur noch durch eine

andere Fertigkeit übertroffen worden.

Else:

Doch daran durfte Jimmy jetzt nicht denken, sonst würden seine Hände zu zittern beginnen

und sein Speichel wieder rinnen. Vor allem aber brauchte er sein Blut in seinem Kopf, denn,

wie jeder wusste, tauchte Selma nach zehn Jahren mitten in der Nacht nicht so einfach

wieder auf, weil sie einen Jack Daniels trinken und mit ihm über alte Zeiten plaudern wollte.

Jimmy klemmte sich die Schrotflinte unter die linke Achsel, drehte sich um eine der

Whiskeyflaschen und ein Glas zu holen. Ließ Selma im Spiegel, der hinter der Bar

angebracht war, keine Zehntelsekunde aus den Augen.

Barbara:

Als er sich ihr wieder zudrehte, schwang sich Selma auf einen der Barhocker, drehte sich auf

ihm einmal im Kreis und begutachtete Jimmys Taverne.

Else:

Ihr Blick blieb lange auf der großen roten Laterne auf einem Regal an der linken Wand

hängen. Die hatte schon zum Inventar gehört, als Jimmy den Laden übernommen hatte und

er hatte das alte, vielleicht antike Stück als gutes Omen, als kleinen Glückbringer angesehen

und den Laden auch danach benannt. Tatsächlich lief die rote Laterne wie am Schnürchen

und war Jimmys Lebensinhalt und Lebensfreude geworden. Sein Traum hatte sich erfüllt.

Was man mit einer Handvoll Glitzersteinchen alles erreichen konnte? Wovon Selma wohl

träumte?

Als Jimmy die Flasche aufmachte und eingoss, voll bis an den Rand des Glases, lächelte

Selma und sah ihn direkt an. Jetzt konnte er die Fältchen um ihren Mund erkennen und die

Schatten unter ihren Augen, zehn Jahre waren eine verdammt lange Zeit.

Selma nahm das Glas in ihrer rechte Hand, der Ring und kleine Finger streckten sich weit

weg und mit einem großen gierigen Schluck verschwand der erste Jack in ihrem Rachen. Als

sie das Glas zurück auf den Tresen stellte, zuckte sie nicht einmal mit einer Wimper.

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Das war also geblieben.

Selma:

Hübsch hast du es hier, Jimmy-Boy.

Else:

Jimmy merkte, dass sein Blut im Kopf geblieben war und beschloss keine Zeit zu verlieren.

(Als Jimmy:) Was machst du hier, Selma? Wie hast du mich gefunden? Wie geht es dir?

Warum bist du…?

Selma:

Ach Jimmy, altes Haus. So viele Fragen auf die du die Antworten doch schon kennst…

Jimmy:

Wenn ich jetzt sagen würde, es tut mir ehrlich leid, Selma, Schatz, dann…

Barbara:

Noch bevor Jimmy ausreden konnte, hatte Selma eine Waffe in der Hand. Wie in einem

Zaubertrick hielt sie in ihrer ausgestreckten Rechten eine elegante kleine Smith and Wesson.

Eine Zehntelsekunde Unaufmerksamkeit von ihrem übergewichtigen Exfreund hatte ihr

genügt.

(Als Selma: ) Keine Bewegung, Jimmy.

(Jimmy/Else erstarrt.)

Selma:

So und jetzt leg deine scheußliche Flinte auf die Theke. Streck die Hände aus. Gut so. Schieb

sie weg, weiter, ja noch weiter. Ja, braver dicker Jimmy. Immer noch so langsam wie früher.

Fett mach träge, Jimmy-Boy. Und jetzt die Hände nach oben.

Else:

Jimmy fragte sich, wo Selma die Waffe versteckt gehabt hatte. Doch dann erinnerte er sich,

dass er selbst zwischen Selmas wohlgeformten Brüsten oft und öfter seinen breiten Schädel

vergraben hatte. Eine kleine Damenwaffe war dagegen ein Floh im Ohr.

Selma:

Du Schwein!

Jimmy:

Selma Schatz.

Selma:

Nenn mich nicht Schatz, du aufgedunsener fetter Bastard. (Selmas Stimme überschlägt sich)

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Else:

Jimmy erinnerte sich auch daran, dass Selmas Stimme, wenn sie sich aufregte, in

schwindelerregende Höhen abhob.

Selma:

Was glaubst du denn, wie es mir ergangen ist? Ha! Nachdem du dich mit den Diamanten aus

dem Staub gemacht hast, hatte ich alle Hände voll damit zu tun, nicht von der Polizei

gefunden zu werden. Als Gras über unseren Überfall im Juwelierladen gewachsen war, war

es verdammt schwer dich wiederzufinden. Hast dich gut getarnt mit diesem Loch. Diese zehn

Jahre waren nicht das easy Leben, das ich mir von unserem Coup erhofft hatte.

Jimmy:

Nun ja, arm scheinst du nicht zu sein, Selma, Schatz, allein dein Kleid…

Selma:

Dieses Kleid ist von H & M, du Trottel? 19,99 im Ausverkauf. Schon mal was davon gehört,

dass man sich auch mit wenig Kohle aufbrezeln kann?

Jimmy:

Apropos Kohle, diese Bar ist das Einzige, was ich mir…

Selma:

Wo sind meine Diamanten?

Jimmy:

UNSERE, Selma, bitte ja, bleib korrekt, unsere Diamanten.

Selma:

Schnauze, Dicker oder ich blas dir ein Loch in deinen Wamst!

Jimmy:

Wenn du das tust, wirst du deinen Anteil niemals kriegen.

Selma:

Pass auf, Schweinchen Dick. Die Sache läuft so. Ich zähle bis zehn und dann erzählst du mir,

wo du die restlichen Glitzersteinchen aufbewahrst. Die hässliche Kneipe kann doch kaum

was gekostet haben.

Jimmy:

Rote Laterne!

Selma:

Was?

Jimmy:

Rote Laterne heißt diese Taverne. Öffnungszeiten von zehn bis zehn. Jeden Tag mit

Ausnahme Weihnachten und Karfreitag. Diese „Kneipe“ ist mein Lebensinhalt.

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Selma:

Mein Lebensinhalt war mal unser Plan von einem Leben in der Sonne.

Jimmy:

Ich wollte immer eine eigene Taverne.

Selma:

Hast du mich deshalb hintergangen?

Jimmy:

Wer hat hier wen reingelegt, Selma, Schätzchen? Glaubst du wirklich, ich habe nicht

gewusst, dass du dich nach dem Überfall allein ins Warme absetzten wolltest?!

Selma:

Gar nicht wahr!!

Jimmy:

Zieh keinen Schmollmund, Selma. Ich habe das Ticket gesehen. One Way! Für eine Person!

Auf deinen Namen!

Selma:

Man schnüffelt nicht in Damenhandtaschen, fetter Jim!

Jimmy:

Du warst NIE eine Dame Selma. Selbst in Dolce und Gabbana würdest du wie eine Schlampe

aussehen.

Selma:

Halt dein Maul!... Zehn!

Jimmy:

Und wenn ich nicht rede?

Selma:

Zuerst schieße ich dir in den rechten Arm, dann in den linken, dann in deine kurzen fetten

Beine, dann mal schauen. Neun.

(Barbara überlegt kurz wie es mit der Geschichte weiter gehen soll. Hat eine Idee:

Barbara/Selma schwankt plötzlich mit der Waffe in der Hand.)

Jimmy:

Was ist los, Selma, Schätzchen? Schwindlig.

Selma:

Hab’ ich dir nicht gesagt, du sollst dein Maul halten. Mir ist schlecht…

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(Barbara/Selma greift sich an den Magen. Stöhnt.)

Selma:

Acht. Oh Gott, gleich kotz ich…

Jimmy:

Schmerzen im Bauch? Krämpfe in den Eingeweiden? Ein Stechen, das sich von der Kehle

bis zu Knien zieht? Ein heißes Lavabrennen??

Selma: (keucht, schwankt mit der Waffe)

Was hast du gemacht, Bastard??

Jimmy:

Weißt du, meine Oma Mildred hat mir einen guten Rat mit auf den Weg gegeben.

Selma:

Scheiß auf deine Oma! (Barbara/Selma kann die Waffe kaum noch halten, der Schmerz wird

immer größer)

Jimmy:

Wenn sie mich in die Heia gebracht hat, hat sie mir immer gesagt, dass kleine dicke Kerle

unbedingt schlau sein müssen, um in dieser Welt zurecht zu kommen. Kleine dicke Kerle

sollten immer einen Fluchtplan in der Hinterhand haben, um den Großen Schlanken voraus

zu sein.

Barbara:

Selma fiel die Waffe aus der Hand. Die Schmerzen waren jetzt unerträglich. Schwarze Punkte

tanzten vor ihren Augen. Lavabrocken zersetzten ihre Eingeweide.

Else:

Jimmy griff in aller Seelenruhe nach seiner Schrotflinte, klemmte sie sich wieder unter die

Achsel. Er brauchte nicht zu schießen, nur abzuwarten.

Selma:

Wie hast du…?

Jimmy:

Der Whiskey, Selma. Ich wusste, solltest du mich je finden, würdest du zuerst einen alten

Jack trinken wollen. Diese spezielle Flasche hat zehn Jahre auf dich gewartet, Schätzchen.

(Selma sackt zu Boden. Jimmy kommt um den Tresen herum, bleibt über Selma stehen.)

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Jimmy:

Ich verspreche dir, Selma, Schatz, der Teppich in den ich dich wickle wird sicher mehr als

19,99 kosten…

Else: (als Jimmy: macht zwei Schritte nach vorne, einen Wiegeschritt, singt kurz an)

Kriminaltango, in der Taverne, dunkle Gestalten, unter der Laterne

Abend für Abend, immer das Gleiche,

denn dieser Tango geht niemals vorbei….

(Barbara kommt hoch, klopft sich ab, zieht ihren Mantel wieder an und die hohen Schuhe aus.

Gibt Kissen und Schuhe an Else zurück. Spielt noch mit der Wasserpistole, bis Else sie

zurück fordert. Schnürt ihre Turnschuhe.)

Barbara:

Geil!!

Else:

Und einfach – oder?

Barbara:

Ich war ne Frau mit langen Beinen und vollen Brüsten…

Else:

…und einer Stimme wie eine Kreissäge.

(Beide lachen.)

Else:

Wollen wir uns duzen?

Barbara:

Was?

Else:

Na, Sie und ich. Oder eben du und ich. In so einer Nacht sollte man nicht zu förmlich bleiben.

Ich bin Else.

Barbara:

Barbara. Oder auch Babs.

Else:

Freut mich.

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Zugabe:

(Der Applaus beginnt, Else und Barbara verbeugen sich einmal, gehen raus, kommen wieder

und gehen an den Bühnenrand, setzen sich. Es geht direkt los mit der Zugabe.)

(Die Zugabe kann auch wie eine szenische Märchen-Lesung gemacht werden.)

Else:

Die Fee schlägt auf ihr großes Märchenbuch, sind viel Geschichten wohl drinnen.

Barbara:

Die guten, die bunten, die wilden, die bösen. Ihr Kindlein wählt aus und das Märchen kann

beginnen.

Schneeweißchen:

Mein Mann Prinz Charming hat mir mal wieder Rosen mitgebracht.

Rosenrot:

Nein, Schneeweißchen, wie toll!!

Schneeweißchen:

Nicht nur toll. Phantastomatisch, mein liebes Rosenrot, Ach!

(direkt ins Publikum) Schneeweißchen setzte diesem Statement einen kleinen liebevollen

Seufzer hinterher mit gekonntem zuckrigen Augenaufschlag.

Rosenrot: (direkt ins Publikum)

Schneeweißchen saß mit Rosenrot auf der Terrasse im Garten vor ihrem Einfamilienhaus in

guter Lage, dass sie mit ihrem Mann Prinz Charming bewohnte.

Schneeweißchen: (direkt ins Publikum)

Rosenrot schnitt ihrer Freundin mit dem scharfen Messer ein Stück vom Käsekuchen ab, den

sie aus dem Kaffee in der Straße extra für diesen Nachmittag mitgebracht hatte.

Rosenrot: (direkt ins Publikum)

Rosenrot hasste Schneeweißchen.

Rosenrot konnte doch nichts dafür, dass sie über vierzig und noch immer allein, Singlefrau

war. Trotz ihrer Bemühungen in all den Jahren. Kontaktbörsen, Partys, Tanzkurse und

natürlich anstrengende kräftezehrende Onenightstands, denen die Hoffnung folgte, dass

einer der Prinzen wenigstens die erste Woche überstand. Ganz abgesehen von den

Schönheitsbehandlungen, dem Fitnesswahn um die Figur zu halten und den unendlich vielen

Blasen auf den Zehen von den viel zu engen Highheels.

Trotz alledem. Nichts. Nada. Niente. Aber auch schon gar nix.

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Rosenrot warf Schneeweißchen einen freundschaftlich liebevollen Blick zurück und nickte ihr

wohlwollend zu. Dann wechselte sie knallhart das Thema. „Habe ich dir schon erzählt, Oh

Weißchen, Süße, dass ich wieder in Größe 36 passe?“

Schneeweißchen: (direkt ins Publikum)

Schneeweißchen, 45, die schon seit Jahren gegen ihr Übergewicht kämpfte, konnte einen

weiteren Seufzer nicht unterdrücken. Doch dieser war erfüllt von Neid und unendlicher Wut

auf ihre super schlanke, immer noch beneidenswert jugendlich aussehende Freundin

Rosenrot.

Schneeweißchen konnte doch nichts dafür, dass es seit ihrer Eheschließung in all den Jahren

immer und immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen mit Prinz Charming kam.

Natürlich brachte er anschließend immer Rosen mit, aber bis zur Versöhnung hatte

Schneeweißchen bereits die Schokoladenvorräte geplündert und sich ein weiteres Pfund auf

die Hüfte gemampft. Ganz abgesehen davon, dass es mühsam war, dreimal die Woche

immer nach der Sportschau für Sex zur Verfügung zu stehen, und ganz abgesehen auch

davon, dass Prinz Charming kein Mann war, der sich lange auf die Suche nach dem G-Punkt

machte.

Sie goss den Kaffee ein und hasste Rosenrot.

Sie hasste vor allem den Käsekuchen, den Rosenrot eben mit dem scharfen Messer in zwei

große Stücke zerteilte und der sich ebenso gerne auf Schneeweißchens Hüfte und den

Schenkeln niederlassen würde wie Nugatnusstafeln.

Schneeweißchen verachtete sich für ihren zweiten Seufzer, der ihre Mutlosigkeit sich zu

trennen und ihre Angst vor dem Alleinsein ausdrückte und wollte sich ihr Thema mit Gewalt

zurückholen.

„Charming und ich, wir werden unseren 12. Hochzeitstag auf Gran Canaria verbringen. Hatte

ich das schon erwähnt, ach mein liebes Röschen?“

Rosenrot:

Oh Weißchen, Schätzchen, Größe 36, ich konnte es kaum fassen, als ich heute Vormittag im

Laden die tolle Jeans anprobiert und sofort gekauft habe.

Schneeweißchen:

Ach Röschen, Kleine, Charming und ich, wir werden die Honey Moon Suite buchen mit

Meerblick und einem runden Bett, was sagst du nur dazu, ein rundes Bett, hat überhaupt

jemals jemand schon in einem runden Bett geschlafen?!

Rosenrot:

Oh, Weißchen, die Kerle stehen auf Größe 36 und Größe 36 ist die Größe der Stars, das

merkt man, wenn man manchmal so wie ich mit Sandra Bullock verwechselt wird.

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Schneeweißchen:

Ach Röschen, ist das nicht die, die auch alleinstehend ist, seit ihr Mann sie betrogen hat?

Rosenrot: (direkt ins Publikum)

Für Sekunden verdunkelte sich Rosenrots Horizont und ihr Entschluss stand fest. Vielleicht

hatte ihr Entschluss schon letzte Woche, vielleicht sogar die Woche davor festgestanden, als

sie sich das Rattengift im Internet bestellte.

Wie lange würde es dauern, bis es wirkte und konnte man davon ausgehen, dass die Polizei

einen bedauernswerten Unfalltod feststellen würde? Rosenrot konnte die Dose in

Schneeweißchens Schrank stellen und man könnte denken, dass die überforderte Hausfrau

sie verwechselt hatte mit…Zuckerstreuer??

Schneeweißchen:

Ach, Röschen, ich muss mal…sei so lieblich und schenk uns doch noch Kaffee ein.

Rosenrot:

Gerne, ach mein Weißchen, beste Freundin, du.

(direkt ins Publikum) In dem Moment als Schneeweißchen sich entschuldigte um auf die

Toilette zu gehen, holte Rosenrot die Dose Gift aus ihrer Handtasche und füllte ihren

Kaffeelöffel damit voll um ihn in Schneeweißchens Kaffee zu mischen, der ohnehin voll mit

Zucker war, sodass er die Bitterkeit überdecken würde.

In diesem Moment riss der Himmel über Garten und Terrasse auf und ein Sonnenstrahl

schickte sich an auf Rosenrots Nase zu fallen und sie zu kitzeln. Das Niesen war gewaltig

und donnernd und pustete den Kaffeelöffel wieder leer, das giftige Streupulver segelte wie

feiner Staub auf den Steinboden.

Schneeweißchen:

So da bin ich wieder, eine Blase wie ein kleines frisch verheiratetes Schäfchen habe ich, ach!

Rosenrot: (direkt ins Publikum)

An diesem Nachmittag passierte nichts mehr Außergewöhnliches, außer dass sich die beiden

nach drei Stunden Plauderei auf der Terrasse mit einem liebevollen Küsschen

verabschiedeten.

Erzähler/Polizistin: (direkt ins Publikum)

Zwei Tage später war Schneeweißchen tot und Rosenrot bekam Besuch von zwei Männern

und einer streng aussehenden Frau von der Polizei. Rosenrot bat die Drei einzutreten. Ihre

Augen waren noch gerötet, sie hatte um Schneeweißchen doch mehr Tränen verdrückt als

erwartet, sich aber auch schon Gedanken darüber gemacht, dass Prinz Charming jetzt doch

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frei wäre und ein Single wie sie selbst und nach einer angemessenen Trauerzeit…(zu

Rosenrot) „Frau Rosenrot?! Wir haben hier einen Haftbefehl gegen Sie.“

Rosenrot: (direkt ins Publikum)

Rosenrot konnte den weiteren Wortschwall der Polizistin nicht mehr hören, in ihrem Kopf lief

eine andere Stimme Amok. (zu sich) Ich habe doch gar nichts getan und bin unschuldig und

das Rattengift ist auf dem Terrassenfußboden verstreut oder im Winde verweht worden und

außerdem können Gedanken schlecht oder gar nicht töten, warum also jetzt in Panik

ausbrechen? Immer die Ruhe, immer die Ruhe, immer die Ruhe. (laut) „ Ich habe Weißchen

nicht vergiftet!“ (direkt ins Publikum) Rosenrot merkte, dass sie zu laut und zu schrill sprach.

Sie wollte zum Telefon rasen und Prinz Charming anrufen, der musste das Missverständnis

aufklären, der wusste doch, dass sie und Schneeweißchen Freundinnen gewesen waren,

letztendlich doch.

Erzähler/Polizistin: (direkt ins Publikum)

Der strenge Polizistin hielt sie zurück. (zu Rosenrot) „Frau Schneeweißchen wurde erstochen.

Mit einem scharfen Messer auf dem wir noch Ihren Daumenabdruck gefunden haben, Frau

Rosenrot. Den haben Sie in der Eile wohl vergessen so wie die anderen abzuwischen.“

Rosenrot: (zu sich)

Der Käsekuchen. Ja, da hatte ich das Messer in der Hand gehabt, aber das ist zwei Tage her,

jeder hätte…Charming hätte…(laut) „Charming…fragen Sie Prinz Charming…er kann…“

(direkt ins Publikum) Rosenrot stammelte nur noch, als ihr die Handschellen angelegt

wurden.

Erzähler/Polizistin: (direkt ins Publikum)

Die Polizistin blieb streng und knapp. (zu Rosenrot) „Herr Prinz Charming war bis heute

Morgen auf Geschäftsreise und wurde erst gestern vom Tod seiner Frau unterrichtet. Eine

Nachbarin von gegenüber aus dem Mietshaus hat Frau Schneeweißchen auf der Terrasse

gefunden. Mit dem Messer in der Brust.“

Rosenrot: (direkt ins Publikum)

Rosenrot ließ sich in ihrer neuen Jeans, Größe 36, abführen und verstand die Welt nicht

mehr.

Erzähler: (direkt ins Publikum)

Prinz Charming heiratete ein halbes Jahr später überraschend schnell Cinderella Mäjabach-

Kulpringer.

Cinderella:

Ich tauschte meinen Nachnamen nur zu gerne gegen ein einfaches Cinderella Charming. Ich

passe zwar nicht in Größe 36, bin aber erst fünfundzwanzig Jahre alt und habe mir schon

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immer gewünscht meinen langweiligen Sekretärinnenposten aufzugeben um nur noch ein

schönes Haus mit einem schönen Garten samt Terrasse zu pflegen. Ich mag dreimal die

Woche Sex nach der Sportschau und konnte meinen Prinz Charming überreden auch am

Sonntag Morgen Liebe zu machen, bevor wir in das Kaffee in der Straße zum Frühstück

gehen, in dem es so leckeren Käsekuchen gibt.

Erzähler: (direkt ins Publikum)

Manchmal saß Cinderella danach auf der Terrasse und sah auf das Mietshaus gegenüber, in

dem sie früher in einer winzig kleinen Wohnung gelebt hatte von der man einen guten Blick in

den Garten hier und auf die Terrasse hatte.

Cinderella:

Früher, als ich noch Single und auf der Suche war. Ach!

Barbara:

Die Fee schlägt zu ihr großes Märchenbuch, es raschelt ihr schönes Kleid aus Seide.

Else:

Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch. Prinz Charming und seine Cinderella.

Beide.

(Dunkel.)

Vorhang…Applaus

ENDE